§ 36 StVO -
Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten
Inhaltsverzeichnis:
01 Verkehrskontrollen
02 Typischer Kontrollverlauf 03
Anhalten zur
Verkehrskontrolle 04 Anhalten zu anderen Zwecken 05
Wozu
diese Akribie der Differenzierung 06 Folgen einer
Fehleinschätzung 07 Verkehrskontrolle auf einem
Privatgrundstück 08 Fehlerhafte Belehrung und Widerstand
09 Missachten von Anhaltezeichen 10
Fliehen muss kein
Widerstand sein 11 Folgenschweres Unterlassen am Kontrollort
12 Zusammenfassung 13
Schlüsselwörter
01
Verkehrskontrollen
TOP
In der
Allgemeinen
Verwaltungsvorschrift zur
Straßenverkehrs-Ordnung
(VwV-StVO)
zu § 36 Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten heißt es:
Verkehrskontrollen sind sowohl solche zur Prüfung der
Fahrtüchtigkeit der Führer oder der nach den
Verkehrsvorschriften mitzuführenden Papiere als auch solche zur
Prüfung des Zustandes, der Ausrüstung und der Beladung der
Fahrzeuge.
Anders
ausgedrückt:
Verkehrskontrollen dienen der Sicherheit und Ordnung des
Straßenverkehrs im Hinblick auf die:
-
Fahrtüchtigkeit der Fahrzeugführer
-
Mitzuführenden Fahrzeugpapiere
-
Kontrolle der
Betriebssicherheit der Fahrzeuge im Rahmen der
Möglichkeiten, über die die Polizei verfügt.
Die
Sprachfigur der Verkehrskontrolle umfasst auch Weisungen und
Zeichen an Fahrzeugführer, ihre Fahrzeuge anzuhalten bzw. den
Weisungen nachzukommen. Allgemeine Verkehrskontrollen sind auch
ohne einen konkreten Anlass zulässig. Bei Verkehrskontrollen
handelt es sich somit um so genannte verdachtsunabhängige
Kontrollen, so dass Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr im
Sinne der Gefahrenabwehr oder Hinweise auf eine Straftat oder
eine Ordnungswidrigkeit nicht gegeben sein müssen.
Allgemeine Verkehrskontrollen können jederzeit im öffentlichen
Straßenverkehr auf der Grundlage von § 36 Abs. 5 StVO (Zeichen
und Weisungen der Polizeibeamten) durchgeführt werden. Daraus
lässt sich schließen, dass die StVO allgemeine
Verkehrskontrollen auf privatem Gelände grundsätzlich nicht zulässt. Dazu
später mehr.
Nach dem
im Gesetz verkörperten Staatswillen sind demzufolge im
öffentlichen Straßenverkehr allgemeine Verkehrskontrollen
möglich. In einem Urteil des BGH aus dem Jahr 1974 heißt es
diesbezüglich:
BGH 1974:
Der Vollstreckung dieses Staatswillens im Einzelfall dient das
Haltegebot, das nach § 36 Abs. 1 StVO von jedem
Verkehrsteilnehmer zu befolgen ist. Die Polizeibeamten, die eine
allgemeine Verkehrskontrolle durchführen, handeln auf Grund
eigener, selbständiger Entschließung zur unmittelbaren
Verwirklichung des Gesetzeswillens. Sie können ihr Haltegebot
notfalls mit unmittelbarem Zwang durchsetzen, wobei der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur für die Frage, welche
Zwangsmittel zulässig sind, eine Rolle spielt.
BGH, Urteil vom 30.04.1974 - 4
StR
67/74
Zulässige
Rechtsfolgen gem. § 36 Abs. 5 StVO:
Die Befugnis erlaubt der Polizei das Anhalten als auch die
Erteilung von zu befolgenden Zeichen (Anhaltezeichen mittels
Anhaltekelle oder mittels Anhaltesignalgeber). Auch andere, dem
Zweck einer allgemeinen Verkehrskontrolle dienenden Weisungen
können auf der Grundlage von § 36 Abs. 5 StVO erteilt werden.
Bei diesen Weisungen, zu denen auch die Anhaltezeichen gehören,
handelt es sich um Verwaltungsakte im Sinne des
Verwaltungsverfahrensgesetzes.
§ 35 VwVfG
(Begriff des Verwaltungsaktes)
Die
Zeichen und Weisungen müssen jedoch grundsätzlich von Beamten
erteilt werden, die als Polizeibeamte erkennbar sind.
Bei erteilten Zeichen und
Weisungen handelt es sich um sofort vollziehbare Verwaltungsakte
im Sinne von § 80 Abs. 2
VwGO
soweit es sich im Sinne von § 36 Abs. 5 StVO um Anhaltezeichen
oder um unmittelbar mit der Durchführung der Kontrolle
erforderliche Anweisungen handelt. Das bedeutet, dass es sich
dabei um unaufschiebbare Maßnahmen der Polizei handelt, sie
sofort durchgesetzt werden dürfen.
§ 80
VwGO (Aufschiebende Wirkung, vorläufiger Rechtsschutz)
Folgende Weisungen lässt § 36
Abs. 5 StVO
nicht
zu:
-
Zu
wenden und der Polizei zu folgen
-
Zum
Streifenwagen zu gehen
-
Sich
einem Alkoholtest oder Drogentest zu unterziehen etc.
Dagegen
haben angehaltene Verkehrsteilnehmer Anweisungen nachzukommen,
die unmittelbar der Ermöglichung der Kontrolle dienen.
Dazu
gehören folgende Anweisungen:
-
Das
Radio auszumachen
-
Aus dem
Fahrzeug auszusteigen
-
Die
Fahrtrichtungsanzeiger zu betätigen
-
Abblendlicht und Fernlicht einzuschalten
-
Den
Scheibenwischer in Gang zu setzen u.a.
Im
Gegensatz dazu ist die Aushändigung von Führerschein,
Fahrzeugschein und Anhängerschein an Kontrollbeamte
spezialgesetzlich geregelt. Unabhängig davon können diese
Aufforderungen auch auf § 36 Abs. 5 StVO gestützt werden.
Dennoch ist es hilfreich, zu wissen, was in den
spezialgesetzlich geregelten Befugnissen steht:
Führerschein:
Führerscheine sind beim Führen von Kraftfahrzeugen mitzuführen
und zuständigen Personen auf Verlangen auf der Grundlage der
Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) zur Prüfung auszuhändigen.
§ 4
FeV (Erlaubnispflicht und Ausweispflicht für das Führen von
Kraftfahrzeugen)
Fahrzeugschein:
Fahrzeugscheine sind vom Fahrzeugführer mitzuführen und
zuständigen Personen ebenfalls auf Verlangen auf der Grundlage
der
Fahrzeugs-Zulassungsverordnung (FZO)
zu Kontrollzwecken auszuhändigen.
§ 13
FZO
(Zulassungsbescheinigung Teil I)
Ausrüstungsgegenstände:
Die Kontrolle von mitzuführenden Ausrüstungsgegenständen wie:
Warndreieck, Verbandskasten, Warnweste und anderen
Ausrüstungsgegenständen sind in der
StVZO
geregelt und sind ebenfalls zuständigen Personen zur Kontrolle
auszuhändigen, siehe § 31b StVZO.
§ 31b
StVZO (Überprüfung mitzuführender Gegenstände)
Hinweis:
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte die Verkehrsteilnehmer
auffordern, von ihnen mitzuführenden Ausrüstungsgegenstände
ihrer Fahrzeuge zu Kontrollzwecken auszuhändigen, können solch
eine Aufforderung somit auch auf § 31b StPO stützen, obwohl
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte dazu genau genommen
zumindest nicht auf der Grundlage der StVZO zuständig
sind, denn in der StVZO gibt es keine, mit dem § 44 Abs. 2 StVO
(Sachliche Zuständigkeit) vergleichbare Regelung. Da die Polizei
aber dazu befugt ist, Verkehrskontrollen durchzuführen, die auch
die Kontrolle mitzuführender Ausrüstungsgegenstände umfasst,
lässt sich, durch Rückschluss von der Befugnis auf die
Zuständigkeit, diese Lücke durch § 36 Abs. 5 StVO
schließen.
§ 44
StVO (Sachliche Zuständigkeit)
Die
Zuständigkeit, mitzuführende Ausrüstungsgegenstände
kontrollieren zu können, ergibt sich somit - vereinfacht
ausgedrückt - aus der
Zuständigkeit, Verkehrskontrollen durchführen zu können und die
dafür erforderlichen Zeichen und Weisungen erteilen zu können.
Für den
Fall, dass Verkehrsteilnehmer die Herausgabe bzw. das Vorzeigen
mitzuführender Ausrüstungsgegenstände verweigern, bedarf es im
Hinblick auf die zwangsweise Durchsetzung solcher Weisungen,
einer besonderen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Darauf haben die
Richter des Bundesverfassungsgerichts bereits in ihrer
Entscheidung aus dem Jahr 1974 hingewiesen. Dazu später mehr. So
viel bereits an dieser Stelle vorab:
Personen, die sich üblichen Kontrollmaßnahmen verweigern,
verhalten sich so auffällig, dass sich daraus durchaus
hinreichende Anhaltspunkte dafür ableiten lassen, dass durch die
Weigerung, simple Kontrollmaßnahmen zu dulden,
Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten verdeckt werden sollen.
Auch dazu später mehr, denn im Regelfall verhalten sich
Verkehrsteilnehmer anlässlich von allgemeinen Verkehrskontrollen
kooperativ, allein schon aus dem Grunde, den Zeitrahmen einer
solchen Kontrolle möglichst kurz zu halten.
02 Typischer Kontrollablauf
TOP
Lars und
Mia führen zurzeit eine allgemeine Verkehrskontrolle an einem
dafür geeigneten Ort durch. Während Mia Fahrzeugführer mit einer
Winkerkelle deutlich sichtbare Anhaltezeichen gibt, kontrolliert
Lars die von Mia angehaltenen Fahrzeugführer.
Guten
Tag, mein Name ist Lars. Wir
führen hier eine allgemeine Verkehrskontrolle durch. Schalten
Sie bitte das Radio und den Motor aus. Herzlichen Dank. Bitte
händigen Sie mir jetzt Ihren Führerschein und Ihren
Fahrzeugschein aus. Haben
Sie Alkohol getrunken? Nein! Bitte
betätigen Sie jetzt den Scheibenwischer. Und nun
den Blinker links und jetzt bitte rechts. Danke. Bitte
einmal auf die Bremse treten. OK, die
Bremslichter funktionieren. Bitte
händigen Sie mir jetzt noch das Warndreieck, die Warnweste und
den Verbandskasten aus. Danach schaut sich Lars die
Reifen des Pkw an, um im Anschluss daran sowohl das Kennzeichen
des Pkw als auch den Namen des Fahrers im Datensystem zu
überprüfen, um ausschließen zu können, dass der Pkw als
gestohlen im
polizeilichen Fahndungssystem
einliegt
und der Fahrer dort ebenfalls nicht zur Fahndung ausgeschrieben ist, oder wegen
eines erteilten Fahrverbotes zurzeit nicht Besitz einer gültigen
Fahrerlaubnis ist. Da Lars
keine Auffälligkeiten feststellen kann, gibt er dem Fahrer im
Anschluss an die erfolgte Datenabfrage seine Papiere zurück und
wünscht ihm eine gute Fahrt.
Eine
solche Kontrolle dürfte kaum mehr 5 bis 10 Minuten in Anspruch
nehmen.
Der
folgenden Auflistung können Sie entnehmen, welche Befugnisse
Lars und Mia bei der oben skizzierten „Standardkontrolle“ in
Anspruch genommen haben. Lassen Sie sich bitte Zeit und lesen
Sie die Befugnisse sorgfältig. Ich habe die erteilten Weisungen
so zusammengestellt, dass diese dem Ablauf der allgemeinen
Verkehrskontrolle entsprechen.
Die
Frage nach dem Alkoholkonsum lässt sich auf § 36 Abs. 5 StVO
stützen, soweit für einen Alkoholkonsum zurzeit noch keine
konkreten Anhaltspunkte erkennbar sind. Für den Fall aber, dass Lars bereits zu
diesem Zeitpunkt schon den typischen Geruch von Alkohol in der
Atemluft des Fahrers feststellen sollte, hätte Lars bereits
jetzt schon Belehrungspflichten zu beachten, die sich aus dem
sich daraus ergebenden Tatverdacht ergeben.
Die Kontrolle mitzuführender
Ausrüstungsgegenstände ist spezialgesetzlich in der StVZO
geregelt.
§ 31b StVZO
(Überprüfung mitzuführender Gegenstände)
Da
diese Befugnis auf die nachfolgend aufgelisteten Normen der
StVZO verweist, ist es erforderlich, sich auch mit den
nachfolgend aufgelisteten Ausrüstungsvorschriften
auseinanderzusetzen.
Hinsichtlich der darüber hinausgehenden Kontrolle der
Verkehrssicherheit des zu kontrollierenden Fahrzeuges können die
dafür erforderlichen Weisungen auf § 36 Abs. 5 StVO gestützt
werden. Hilfreich ist es aber auch in diesem Sachzusammenhang
gesehen, die Vorschriften zu kennen, die der Verkehrssicherheit
dienen, und die Lars im Rahmen einer allgemeinen
Verkehrskontrolle kontrolliert:
Datenabfrage:
Zu einer Verkehrskontrolle gehört standardgemäß auch eine
Datenabfrage. Bei dieser Maßnahme handelt es sich im
Zusammenhang mit der Durchführung allgemeiner Verkehrskontrollen
in der Regel um eine polizeiliche Maßnahme zur Gefahrenabwehr
auf der Grundlage von § 25 PolG NRW (Datenabfrage), deren Ziel
es ist, die Funktionsfähigkeit der Polizei zu gewährleisten.
Was
ist damit gemeint?
Vereinfacht ausgedrückt kann nicht
hingenommen werden, dass kontrollierte Personen oder Fahrzeuge,
deren Antreffen/Auffinden Folgemaßnahmen nach sich ziehen
müssen, wenn polizeibekannt wird, dass sie zur Festnahme oder
die von ihnen benutzten Fahrzeuge als gestohlen im polizeilichen
Datenverbund
einliegen,
einen Kontrollort verlassen, an dem das hätte festgestellt werden
müssen, wenn dort tätige Kontrollbeamte professionell
eingeschritten wären.
Datenabfrage, § 25 PolG
NRW
Auch dazu mehr an anderer Stelle in diesem Kapitel.
Hinweis:
Im Zusammenhang mit der Kontrolle von Bussen und Schulbussen,
der Kontrolle des Schwerlastverkehrs sowie des Transportes
gefährlicher Güter auf der Straße sind meist umfangreichere und
auch zeitaufwendigere Kontrollen erforderlich. Solche Kontrollen
werden in der Regel von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten
durchgeführt, die über die dafür erforderlichen besonderen
Kenntnisse verfügen.
03 Anhalten zur Verkehrskontrolle
TOP
Sowohl
Personen als auf Fahrzeuge können zu Kontrollzwecken angehalten
werden. Aus dem fließenden Verkehr heraus kann die Polizei
auch durch Zeichen den jeweiligen Fahrer zum Halten
aufgefordert. Anhaltezeichen können auch durch
Anhaltesignalgeber (ASG) verfügt werden, zum Beispiel durch
folgende Leuchtschriften: „Stop Polizei“ oder „Bitte folgen“.
Anhaltezeichen können aber auch durch Handzeichen oder mittels einer
sogenannten Winkerkelle gegeben werden.
Wird der
Fahrer von einem Polizeifahrzeug von hinten mittels ASG
gestoppt, ist der Fahrer gehalten, möglichst frühzeitig an einer
dafür geeigneten Stelle anzuhalten. Entsprechende Anweisungen
können dem Fahrer durch Lautsprecherdurchsagen gegeben werden.
Fahrzeugführer, die den Zeichen und Weisungen von Polizeibeamten
keine Folge leisten, handeln ordnungswidrig. Im Bußgeldkatalog
2023 heißt es diesbezüglich:
136606
Sie befolgten nicht das
Haltgebot des Polizeibeamten. § 36 Abs. 1, 2, § 49 StVO; § 24
Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 129 BKat 1 Punkt 70 Euro
Bußgeld
Anhalten
ist ein Vorgang, der als eine zugelassene Rechtsfolge
im Zusammenhang mit den nachfolgend aufgeführten polizeilichen
Kontrollmaßnahmen gesetzlich geregelt ist:
-
Anhalten
zur Verkehrskontrolle
-
Anhalten
zur Befragung auf der Grundlage des Polizeigesetzes
-
Anhalten
zum Zweck der Identitätsfeststellung (diese Rechtsfolge gehört
zu den ungeschriebenen erforderlichen Maßnahmen zur
Identitätsfeststellung).
In allen Fällen des Anhaltens
wird
nicht
die Freiheit einer Person beschränkt, sondern einer Person wird
lediglich für die Dauer der Kontrollmaßnahme die Möglichkeit
genommen, die eigene Handlungsfreiheit ungehindert ausüben zu
können, die durch Artikel 2 Abs. 1 GG geschützt ist.
Wäre das
nicht so, dann wären alle Verkehrskontrollen, die die Polizei
täglich auf der Grundlage von § 36 StVO durchführt,
verfassungswidrig. Verfassungswidrig deshalb, weil Eingriffe in
die persönliche Bewegungsfreiheit nur auf der Grundlage eines
förmlichen Gesetzes zulässig sind. Bei der
Straßenverkehrsordnung (StVO) handelt es aber nicht um ein
förmliches Gesetz, so dass Eingriffe in die Bewegungsfreiheit
(Freiheitsbeschränkungen und Freiheitsentziehungen) auf der
Grundlage dieser Befugnis verfassungswidrig wären, denn bei der StVO handelt
es sich lediglich um eine Rechtsverordnung, die nicht den
Anforderungen eines förmlichen Gesetzes, bei dem es sich um ein
Parlamentsgesetz handeln muss, zu entsprechen vermag, siehe
Artikel 104 GG.
Art
104 (Rechtsgarantie bei Freiheitsentzug)
In der
Lehre wird deshalb die Auffassung vertreten, dass die Dauer, die
erforderlich ist, um eine polizeiliche Kontrollmaßnahme
durchführen zu können, nicht als ein Eingriff in die
Bewegungsfreiheit einer Person anzusehen ist, wenn die Zeit, die
für solch eine Maßnahme üblicherweise aufzuwenden ist, dabei nicht
überschritten wird. Diese Dauer soll, in Abhängigkeit von der
jeweils durchzuführenden Maßnahme, bis zu zwei Stunden dauern
können.
04 Anhalten zu anderen Zwecken
TOP
Für eine
allgemeine Verkehrskontrolle auf der Grundlage von § 36 Abs. 5
StVO ist kein Raum, wenn das Anhalten eines Verkehrsteilnehmers
wegen des konkreten Verdachts einer Verkehrsstraftat oder
Verkehrsordnungswidrigkeit erfolgt.
Beispiel:
Lars und Mia sehen, wie ein Pkw-Fahrer gerade bei Dunkelrot in
einen Kreuzungsbereich einfährt. Die Beamten nehmen dieses
Fehlverhalten zum Anlass, den Fahrer zu kontrollieren.
Rechtslage?
Der von
Lars und Mia beabsichtigten Kontrolle liegt in diesem Beispiel
eine Verkehrsordnungswidrigkeit zugrunde, die so schwerwiegend
ist, dass gegen den Fahrer ein Bußgeldverfahren einzuleiten ist.
§ 37
StVO (Wechsellichtzeichen, Dauerlichtzeichen und Grünpfeil)
Im
Bußgeldkatalog 2023 heißt es im Hinblick auf die Ahndung dieser
Verkehrsordnungswidrigkeit wie folgt:
137600
Sie missachteten das
Rotlicht der Lichtzeichenanlage. § 37 Abs. 2, § 49 StVO; § 24
Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 132 BKat
1 Punkt 90,00
Euro
Mit anderen
Worten:
Der Fahrzeugführer wird von Lars und Mia angehalten, um gegen
ihn ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einleiten zu können. Das
setzt voraus, dass die Identität des Fahrers festzustellen ist.
Das ist auf der Grundlage von § 163b StPO (Maßnahmen zur
Identitätsfeststellung) zulässig, denn zu diesem Zweck können
tatverdächtige Personen zur Feststellung ihrer Identität
angehalten werden, auch wenn diese Rechtsfolge in der Befugnis
nicht benannt, dennoch aber mit erfasst ist, denn anders lassen
sich die Rechtsfolgen dieser Befugnis nicht realisieren. Das
gilt auch für die Betroffenen von Verkehrsordnungswidrigkeiten,
denn die Befugnisse der StPO kommen auch zur Verfolgung von
Ordnungswidrigkeiten in Betracht.
§
163b StPO (Maßnahmen zur Identitätsfeststellung)
§ 46
OWiG
(Anwendung der Vorschriften über das Strafverfahren)
Im
Rahmen der durchzuführenden Kontrolle können Lars und Mia
natürlich auch noch, nachdem die Beamten die Voraussetzung für
die Verfolgung der festgestellten Verkehrsordnungswidrigkeit
„geschaffen“ haben, die Kontrollmaßnahmen durchführen, die für
eine allgemeine Verkehrskontrolle typisch sind
(Ausrüstungsgegenstände, Führerschein, Fahrzeugschein etc.).
Anders
ausgedrückt:
Die eine Zuständigkeit wird durch die andere nicht vollständig
verdrängt, wohl aber an die ihr zuständige Position verschoben. Insoweit kommt es bei der Prüfung von Maßnahmen, die
Beamte anlässlich von Kontrollen verfügen, darauf an, sich
bewusst zu machen, welcher
Zweck gerade vorrangig verfolgt wird, denn was zu einer
allgemeinen Verkehrskontrolle gehört, muss nicht zwangsläufig
auch zu einer Identitätsfeststellung gehören und umgekehrt.
05 Wozu diese Akribie der Differenzierung?
TOP
Die
Gründe dafür sind in dem Regelwerk zu suchen, das sicherstellen
will, dass sowohl die Rechte von Tatverdächtigen als auch die
von Betroffenen von der Polizei beachtet werden.
Bei
Verkehrsteilnehmern, die anlässlich allgemeiner
Verkehrskontrollen von der Polizei kontrolliert werden, handelt
es aber sich, zumindest zu Beginn einer solchen Kontrolle, weder
um Betroffene einer Verkehrsordnungswidrigkeit, noch um
Tatverdächtige, sondern um Verkehrsteilnehmer, denen (noch)
nichts vorgeworfen werden kann. Das hat zur Folge, dass
kontrollierte Verkehrsteilnehmer nicht belehrt werden müssen.
Aus diesem Grunde reicht es aus, eine allgemeine
Verkehrskontrolle wie folgt zu beginnen:
Guten
Tag, mein Name ist Lars. Wir
führen hier eine allgemeine Verkehrskontrolle durch. Bitte
händigen Sie mir Ihren Führerschein und Ihren Fahrzeugschein
aus.
Ganz
anders der Gesprächseinstieg von Lars, als er den Fahrer des Pkw
anspricht, der bei Dunkelrot in den Kreuzungsbereich eingefahren
ist.
Guten
Tat, mein Name ist Lars. Wir
haben Sie angehalten, weil sie bei Rot in den Kreuzungsbereich
eingefahren sind. Das ist eine Verkehrsordnungswidrigkeit, die
eine Bußgeldanzeige zur Folge hat. Es ist Ihnen freigestellt,
sich zu diesem Fehlverhalten hier an Ort und Stelle zu äußern.
Bitte
händigen Sie mir jetzt Ihren Führerschein und Ihren
Fahrzeugschein aus.
Die spontane Antwort des
Fahrers lautet: Da habe ich wohl Pech gehabt.
Ich hatte
es sehr eilig. Entschuldigung.
§ 55
OWiG
(Anhörung des Betroffenen)
Gesetzt
den Fall, dass Lars, bevor er den Rotlichtfahrer überhaupt
anspricht, schon feststellt, dass die Atemluft des Mannes stark
nach Alkohol riecht. Im Hinblick auf zu beachtende
Belehrungspflichten könnte der Gesprächseinstieg dann wie folgt
beginnen.
Guten
Tat, mein Name ist Lars. Wir
haben Sie angehalten, weil sie bei Rot in den Kreuzungsbereich
eingefahren sind. Das ist eine Verkehrsordnungswidrigkeit, die
eine Bußgeldanzeige zur Folge hat. Nach meiner Wahrnehmung
riecht Ihre Atemluft aber auch stark nach Alkohol, so dass Sie
im Verdacht stehen, auch eine Verkehrsstraftat zumindest aber
eine Verkehrsordnungswidrigkeit begangen zu haben. Um
diesbezügliche Sicherheit zu erhalten, schlage ich Ihnen vor,
hier an Ort und Stelle sich einem Alcotest zu unterziehen. Dazu
sind sie aber nicht verpflichtet, denn solch ein Test setzt
Freiwilligkeit auf Ihrer Seite voraus. Sollte der dabei
festgestellte Wert nicht ausreichen, den Verdacht einer Straftat
oder einer Ordnungswidrigkeit zu belegen, dann hätte das zur
Folge, dass die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe nicht
erforderlich werden wird. Es liegt somit an Ihnen, ob Sie diesen
Vorteil nutzen wollen oder nicht. Für den Fall, dass sie solch
einen Test ablehnen, wird mir nichts anderes übrig bleiben, als
die Entnahme einer Blutprobe anzuordnen.
Ich habe
nur ein Bier getrunken. Mit der Durchführung eines Alcotests bin
ich einverstanden.
Gut.
Bevor ich das Testgerät hole, möchte ich Sie noch darauf
hinweisen, das es Ihnen freigestellt, sich zu dem von mir und
meiner Kollegin festgestellten Fehlverhalten hier an Ort und
Stelle weiter zu äußern.
§ 55
OWiG
(Anhörung des Betroffenen)
06 Folgen einer Fehleinschätzung
TOP
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sollten wissen, dass die
irrige Annahme, eine allgemeine Verkehrskontrolle jederzeit und
überall durchführen zu können, durchaus problembehaftet sein
kann.
Beispiel:
Lars und Mia diskutieren gerade über eine Gerichtsentscheidung,
der folgender Sachverhalt zugrunde lag. Zwei Beamte, nennen wir
sie Max und Moriz, hatten bei dem Fahrer eines ihnen
entgegenkommenden Fahrzeuges eine auffällige Rotfärbung in
dessen Gesicht wahrgenommen. Sowohl Max als auch Moritz halten
eine allgemeine Verkehrskontrolle auf der Grundlage von § 36
Abs. 5 StVO für erforderlich. Deshalb wendet Max den
Streifenwagen und fährt hinter dem Fahrzeug her, dessen Fahrer
sie anhalten und kontrollieren wollen. Was die Beamten nicht
wissen können, das ist die äußerst negative Einstellung des zu
kontrollierenden Fahrzeugführers mit dem auffällig roten Gesicht
gegenüber der Polizei. Obwohl die Beamten ihn durch die
Betätigung des Blinksignalgebers „Stopp, Polizei“ und durch das
Einschalten von Blaulicht eindringlich dazu aufgefordert hatten,
wollte er einfach nicht anhalten. Erst als der Fahrer auf seiner
Garagenauffahrt seine Fahrt beendet hatte und nunmehr davon
ausging, von der Polizei jetzt nicht mehr behelligt werden zu
dürfen, gelang es Moriz, gerade als der Mann seinen Pkw verließ,
diesem zu eröffnen, eine allgemeine Verkehrskontrolle
durchführen zu wollen und ihm deshalb Führerschein und
Fahrzeugschein auszuhändigen seien. Daraufhin kam es zu einer
lautstarken Auseinandersetzung, verbunden mit dem Hinweis von
Max, dass Anhaltezeichen missachtet worden seien und die Polizei
jederzeit das Recht habe, sowohl eine Fahrzeugkontrolle
durchzuführen als auch die Verkehrstauglichkeit des Fahrers zu
überprüfen. Der Mann schrie daraufhin die Beamten an und
verlangte, dass diese sofort sein Grundstück zu verlassen
hätten, weil ein weiteres Verbleiben als Hausfriedensbruch
anzusehen sei.
Moritz
sagte dem Fahrer nun, dass sie einfache körperliche Gewalt
anwenden würden, sollte ihren Anordnungen nicht nachgekommen
werden. Der Angeklagte schrie und schimpfte darauf einfach
weiter, so dass die Beamten nicht zu Wort kamen und deshalb den
Mann nicht belehren konnten. Bei dem Versuch, dem Mann aus einer
Brusttasche die Brieftasche zu entnehmen, um die Identität des
Mannes feststellen zu können, wehrte sich der Mann so intensiv,
dass die Beamten ihn zu Boden brachten, ihn dort fixierten, um
so an dessen Papier gelangen konnten. Als die Beamten den Mann
wieder losließen, rannte er in die Garage seines Hauses und
begann, deren Tor zu schließen. Max und Moriz gingen aufgrund
dieses Verhaltens davon aus, dass der Mann verkehrsuntüchtig
sei. Sie ergriffen den Mann in der Garage, legten ihm
Handfesseln an, weil sie weiteren Widerstand erwarteten und
verbrachten den Mann gegen dessen Willen zur Polizeistation. Auf
der Dienststelle stellte sich alsbald heraus, dass der
Angeklagte keinen Alkohol getrunken hatte und auch nicht unter
dem Einfluss von Medikamenten stand. Der Mann durfte schließlich
das Polizeirevier wieder verlassen und zu Fuß nach Hause gehen.
Gegen den Mann konnte nur ein Ordnungswidrigkeitenverfahren
wegen der Missachtung von Anhaltezeichen im öffentlichen
Verkehrsraum als auch ein Strafverfahren wegen Widerstandes
gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet werden. Rechtslage?
Über
einen vergleichbaren Fall hatten 2012 die Richter des OLG Celle
zu entscheiden. Da diese Entscheidung aber nicht alle Aspekte
des Einschreitens abdeckt, soll die Komplexheit des
polizeilichen Einschreitens an dem Meinungsaustausch zwischen
Lars und Mia aufgezeigt werden.
Lars:
Ob ein rotes Gesicht für sich allein gesehen ausreicht, einen
Fahrzeugführer anzuhalten, um eine allgemeine Verkehrskontrolle
durchführen zu können, wird letztendlich jeder Polizist für sich
selbst beantworten müssen, denn letztendlich handelt es sich bei
allgemeinen Verkehrskontrollen ja um verdachtsunabhängige
Kontrollen.
Mia:
Das sehe ich auch so.
Lars:
Nach meiner Sicht der Dinge ist es also zulässig, den Fahrer
dieses Wagens anzuhalten, um eine allgemeine Verkehrskontrolle
durchführen zu können.
Mia:
Ganz meiner Meinung. Der Fahrer hätte somit den Anhaltezeichen
Folge leisten müssen, die ihn dazu aufforderten, anzuhalten.
Lars:
Richtig. Zum Stillstand brachte der Mann sein Fahrzeug aber erst
auf der Einfahrt vor der Garage seines Hauses.
Mia:
Genau. Die Frage, die sich mir jetzt stellt, lautet: Können
allgemeine Verkehrskontrollen auch auf einem Privatgrundstück
durchgeführt werden?
Lars:
Das ist wohl die Kernfrage, auf die es hier eine Antwort zu
finden gilt, denn allgemeine Verkehrskontrollen werden
grundsätzlich im öffentlichen Verkehrsraum durchgeführt.
Mia:
Das sehe ich auch so. Dennoch: Eine Kontrolle von Personen, die
im öffentlichen Verkehrsraum auffällig geworden sind, können von
der Polizei auch dann kontrolliert werden, wenn sie erst auf
deren Privatgrundstück angesprochen werden können.
Lars:
Richtig. Das setzt aber eine
andere Anhaltebefugnis voraus als die, die sich aus § 36 Abs. 5
StVO ergibt.
Mia:
So ist es. Das war auch wohl der ausschlaggebende Fehler von Max
und Moritz bei der Begründung ihrer Maßnahmen, zumal Moritz dem
Mann mehrfach nur zu verstehen gegeben hat, dass die Polizei
sozusagen Verkehrskontrollen überall durchführen darf.
Lars:
Das haben auch die Richter des OLG Celle so gesehen, denn die
haben das gegen den Mann eingeleitete Strafverfahren wegen
Widerstands mit der Begründung eingestellt, weil in Ermangelung
eines konkreten Tatverdachtes die Kontrolle ausdrücklich auf §
36 Abs. 5 StVO gestützt worden war, und somit diese völlig
unzureichende Belehrung des Angeklagten demnach zur
Rechtswidrigkeit der maßgeblichen Diensthandlung habe führen
müssen. Eine Belehrung im Hinblick auf den Verdacht, dass der
Fahrer aufgrund seines roten Gesichts seine Straftat oder eine
Ordnungswidrigkeit begangen habe, erfolgte nämlich nicht.
Vielmehr hatten die Beamten den Mann, auch nach dessen Frage
nach der Berechtigung der Vorgehensweise der beiden
Polizeibeamten, ausdrücklich erneut im Sinne von § 36 Abs. 5
StVO belehrt. Erst auf der Polizeiwache, wo die
Fahruntüchtigkeit des Mannes festgestellt werden sollte, war
eine Belehrung im Hinblick auf die zu erwartenden Folgen des
Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und die damit verbundenen
Körperverletzungen erfolgt. Eine Belehrung im Hinblick auf den
bestehenden Tatverdacht einer Trunkenheitsfahrt erfolgte nicht.
Hinweis:
Aus dem
Beschluss des OLG Celle vom 23.07.2012 - 31 Ss 27/12 wird an
anderer Stelle in diesem Kapitel zurückzukommen sein.
Mia:
Die beiden Beamten hätten sich sicherlich viel Ärger erspart,
wenn sie den Mann von Anfang an richtig belehrt hätten.
Lars:
So ist es. Da der Mann gar nicht wissen konnte, was ihm
vorgeworfen wurde, und der Tatvorwurf des Widerstands gegen
Vollstreckungsbeamte nun einmal voraussetzt, gegen eine
rechtmäßige Vollstreckungshandlung sich aktiv zur Wehr zu
setzen, kann es zu solchen kuriosen Verläufen kommen, die wir
hier gerade diskutieren, zumal die Anwendung von Gewalt, bloß um
eine Verkehrskontrolle durchführen zu können, wohl kaum dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen vermag.
Mia:
Aber wie ist das mit der Missachtung der Anhaltezeichen, die der
Mann ja wohl hat wahrnehmen müssen, und bei denen es sich ja
auch um Verwaltungsakte handelt, die sogar dem sofortigen
Vollzug unterliegen?
Lars:
Diesbezüglich haben die
Richter des OLG Celle festgestellt, dass diese
Ordnungswidrigkeit verwirkt worden sei. Denn dass der Angeklagte
das hinter ihm fahrende Polizeifahrzeug gesehen haben muss, dass
mittels Signalgeber, Blaulicht und Lichthupe für jedermann
erkennbare Anhaltezeichen gab, konnte auch von dem
vorausfahrenden Fahrer nicht übersehen werden.
Mia:
Und wie hätten die Richter des OLG Celle entschieden, wenn
Moritz den Fahrer, als dieser den Pkw verließ, wie folgt belehrt
hätte?
„Sie
haben unsere Anhaltezeichen missachtet, mit denen wir Sie
unmissverständlich dazu aufgefordert haben, Ihren Pkw
anzuhalten. Das ist eine Ordnungswidrigkeit, die es
rechtfertigt, gegen Sie ein Bußgeldverfahren einzuleiten.
Außerdem ist Ihr Verhalten so auffällig, dass wir davon ausgehen
können, dass Sie unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehen. Das
reicht aus, um Ihre Identität auf der Grundlage der
Strafprozessordnung festzustellen.“
Lars:
Wahrscheinlich wären die Richter dann zu einem anderen Ergebnis
gekommen, denn dann hätte der Fahrer erkennen müssen,
Betroffener einer rechtmäßigen polizeilichen Maßnahme zu sein,
die erforderlichenfalls auch hätte erzwungen werden können. Daran haben
Max und Moritz beim Einschreiten aber wohl nicht gedacht. Ich
habe daraus gelernt, dass es immer sinnvoll ist, sich zu fragen,
zu welchem Zweck polizeiliche Maßnahmen notwendig werden.
Anlässlich von allgemeinen Verkehrskontrollen bedeutet das für
mich, schon bei der Belehrung des polizeilichen Gegenübers
äußerste Sorgfalt walten zu lassen.
Mia: Das
sehe ich auch so, sobald sich Aspekte ergeben, die den Bereich
der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten
betreffen, reicht allein der Hinweis, eine allgemeine
Verkehrskontrolle durchführen zu wollen, nicht aus.
07 Verkehrskontrolle auf einem Privatgrundstück
TOP
Der
folgende Sachverhalt wurde 2018 vom Amtsgericht München
verhandelt:
Anlass:
Nach dem Ende einer Feier war die von der Polizei kontrollierte
Person mit ihrem Pkw nach Hause gefahren. Er habe sich nicht
durch den Alkohol beeinträchtigt gefühlt. Zu der Kontrolle durch
die Polizeibeamten sei es erst auf seinem privaten Parkplatz
gekommen. Zu vorherigen Anhalteaufforderungen durch
entsprechende Signale
sei es nicht gekommen. Letztendlich wurde im Anschluss an ein
Verbringen des Mannes zur Polizeiwache dort ein Wert von circa
0,75 Promille festgestellt, der aber nicht, so die Einlassung
des betroffenen Fahrers, verwertet werden dürfe, da die
Verkehrskontrolle auf seinem Privatgrundstück durchgeführt
worden sei.
Das Amtsgericht München
widersprach und legte in seinem Urteil (Az.: 953
OWi
421
Js
125161/18) fest, dass Polizisten einem möglichen Verkehrssünder
auf Verdacht auch auf das eigene Grundstück folgen und ihn auch
dort kontrollieren dürfen. Ausschlaggebend sei, dass der Fahrer
schließlich zuvor auf öffentlichen Straßen unterwegs gewesen
war. Die festgestellte Ordnungswidrigkeit dürfe ebenfalls
verfolgt werden.
AG München
2018:
Das Ergebnis der Atemalkoholmessung ist auch verwertbar. Soweit
die Verteidigung in der Hauptverhandlung vorbrachte, die
Verkehrskontrolle hätte auf Privatgrund nicht durchgeführt
werden dürfen, da es sich um eine verdachtsunabhängige
allgemeine Verkehrskontrolle gehandelt habe, begründet dies kein
Verwertungsverbot für die Atemalkoholmessung. Selbst wenn die
allgemeine Verkehrskontrolle nicht hätte durchgeführt werden
dürfen und rechtswidrig gewesen wäre, durften die Polizeibeamten
aufgrund des dabei gewonnenen Tatverdachts wegen der
Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG die erforderlichen Maßnahmen
treffen. Diese richteten sich gegen einen Verdächtigen. Selbst
wenn der Anfangsverdacht aus Anlass einer rechtswidrigen
Verkehrskontrolle entdeckt worden wäre, begründet dies kein
Verwertungsverbot für die weiteren Ermittlungsergebnisse. Eine
Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten gibt es nicht. Zudem
führt nicht jede fehlerhafte Polizeimaßnahme automatisch zu
einem Verwertungsverbot. Im vorliegenden Fall ist den
Polizeibeamten zudem keine fehlerhafte Verhaltensweise
vorzuwerfen. Selbst wenn sie ohne vorherigen Anhalteversuch die
allgemeine Verkehrskontrolle erst auf dem Privatparkplatz des
Betroffenen durchgeführt haben sollten, so war dies zulässig und
gerechtfertigt, da der Betroffene zuvor zweifellos am
öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen hatte und es nach den
Umständen durchaus vertretbar war, die Verkehrskontrolle abseits
des öffentlichen Verkehrsgrundes erst durchzuführen, nachdem der
Betroffene sein Fahrziel erreicht hatte. Zwar heißt es in § 36 V
1 StVO, dass Polizeibeamte Verkehrsteilnehmer zur
Verkehrskontrolle einschließlich der Kontrolle der
Verkehrstüchtigkeit und zu Verkehrserhebungen anhalten dürfen.
Die Eigenschaft als Verkehrsteilnehmer ist aber nicht nur
während der unmittelbaren Teilnahme am Verkehrsgeschehen
gegeben, sondern auch noch unmittelbar nach Erreichen des
Fahrtzieles und Abstellen des Fahrzeugs außerhalb öffentlicher
Verkehrsflächen. Auch schließt der Wortlaut „anhalten“ nicht
aus, dass die Kontrolle erst durchgeführt wird, wenn der zu
kontrollierende Fahrzeugführer am Fahrtziel von selbst
angehalten hat. Denn wenn sogar das Anhalten im fließenden
Verkehr zum Zwecke der Kontrolle zulässig ist, dann ist die
Kontrolle erst recht zulässig, wenn der Verkehrsteilnehmer dafür
nicht einmal angehalten werden muss. Aber selbst wenn man die
Durchführung der allgemeinen Verkehrskontrolle hier als
rechtswidrig betrachten wollte, was nach Ansicht des Gerichts
unabhängig von der Frage, ob vorher rechtzeitig ein
Anhaltesignal gegeben wurde, nicht der Fall ist, wurde diese
durch den tatsächlichen Verlauf der Dinge überholt, da sogleich
am Beginn der Kontrolle der Verdacht der Ordnungswidrigkeit nach
§ 24a StVG entdeckt wurde. Im weiteren Verlauf handelt es sich
eben nicht mehr um eine nach § 36 V StVO zu beurteilende
allgemeine Verkehrskontrolle, sondern um die Einleitung und
Durchführung von Ermittlungen im Bußgeldverfahren nach § 46
OWiG. Weder beruht der Tatverdacht auf einer rechtswidrig
erlangten Information noch wurde das weitere Verfahren in
gesetzwidriger Weise durchgeführt. Selbstverständlich dürfen
auch Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden, die auf Privatgrund
entdeckt werden, sofern nicht in für spezielle, besonders
eingriffsintensive Ermittlungsmethoden (etwa Telefonüberwachung
und dgl.) besondere Regelungen über den Umfang der
Verwertbarkeit getroffen wurden. Darüber hinaus kann ein
Verwertungsverbot nur angenommen werden, wenn besondere
gesetzliche Sicherungen, etwa ein Richtervorbehalt, willkürlich
umgangen werden sollen. Dies ist hier nicht geschehen. Der von
der Verteidigung gestellte, auf den Nachweis der Nichtbetätigung
von Anhaltesignalen durch die Polizeibeamten gerichtete
Beweisantrag auf Vernehmung der Beifahrerin des Betroffenen
wurde daher mangels Entscheidungserheblichkeit der unter Beweis
gestellten Tatsache abgelehnt. Es ist völlig belanglos, ob und
ggf. wann ein
Anhaltesignal betätigt wurde.
AG München, Urteil vom 7.
September 2018 – 953
OWi
421
Js
125161/18
Zusammenfassung Anhalten zur Verkehrskontrolle:
Eine Verkehrskontrolle umfasst nur die Kontrolle von
Fahrzeugführern und deren Fahrzeuge. Fahrzeuge und deren Führer
dürften nur aus solchen Gründen sozusagen verdachtsunabhängig angehalten werden, die für die
Sicherheit im Straßenverkehr von Bedeutung sind.
Anders
ausgedrückt:
§ 36 StVO beziehe sich allein auf Zeichen und Weisungen von
Polizeibeamten im Rahmen des Straßenverkehrs. Die Ausdehnung des
§ 36 Abs. 5 StVO auch auf Fälle der Verbrechensbekämpfung oder
der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt somit außerhalb
des Bereichs dieser Befugnis. In einem Beschluss des BGH aus dem
Jahr 1984 heißt es:
BGH 1984:
Bußgeldbewehrt nach §§ 36 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 1 StVO, § 24
StVG sind alle Weisungen eines Polizeibeamten, die aus einem
augenblicklichen Verkehrsbedürfnis heraus zur Regelung des
Straßenverkehrs oder zur Beseitigung einer andauernden
Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit einem bestimmten
Verkehrsteilnehmer erteilt werden, nicht jedoch solche
Weisungen, die allein die Verfolgung einer (beendeten)
Verkehrsordnungswidrigkeit ermöglichen sollen.
BGH,
Beschluss vom 31. Januar 1984, Az.: 4 StR 350/83
So auch
die Rechtsauffassung des OLG Koblenz.
OLG Koblenz
1986:
Für Weisungen, die nicht aus Anlass eines Verkehrsbedürfnisses
erfolgten, sondern anderen Zwecken dienen, sei § 36 Abs. 1 StVO
nicht anwendbar. Weisungen, insbesondere Haltegebote, die bei
der Verfolgung von Gesetzesverstößen fielen demnach nicht unter
§ 36 Abs. 1 StVO. Dies gelte nicht nur bei Weisungen, die der
Aufklärung einer mit dem Straßenverkehr nicht zusammenhängenden
Straftat dienten, sondern auch bei solchen, die die Ahndung von
Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die im Straßenverkehr
begangen worden sind, bezweckten.
OLG
Koblenz, Urteil vom 20. Februar 1986 – 1 Ss 64/86
08 Fehlerhafte Belehrung und Widerstand
TOP
Sie
erinnern sich, über dieses Thema haben sich Lars und Mia schon
ausgetauscht. Wegen der besonderen Bedeutung rechtsfehlerhafter
Belehrungen halte ich es dennoch für geboten, diesbezüglich die
Stellen aus dem Beschluss des OLG Celle zu zitieren, die
von Bedeutung sind:
Sie
erinnern sich, es ging um eine unzureichende Belehrung eines
Verkehrsteilnehmers auf dessen Garagenauffahrt, der den
Kontrollbeamten zuvor aufgefallen war, weil dessen
Gesichtsfärbung ein auffälliges – auf den Konsum von Alkohol
hindeutendes –
Rot zeigte.
OLG Celle
2012:
Die Beamten gingen den vom Landgericht getroffenen
Feststellungen zufolge davon aus, dass der Angeklagte sich
aufgrund der mitgeteilten Umstände in einem Zustand der
Fahruntüchtigkeit befunden haben könnte. Die tätig gewordenen
Polizeibeamten hatten demzufolge ausdrücklich den konkreten
Verdacht des Vorliegens einer Straftat, nämlich einer
Trunkenheit im Verkehr, unter Umständen auch des Verdachts einer
entsprechenden Ordnungswidrigkeit. Hierüber aber haben die
Polizeibeamten den Betroffenen indessen nicht belehrt, als sie
ihn auf seinem Grundstück angesprochen und zur Herausgabe seiner
Papiere aufgefordert hatten. Die Beamten hatten den getroffenen
Feststellungen zufolge vielmehr die Absicht, den Angeklagten
wegen ihres Verdachts im Rahmen einer allgemeinen
Verkehrskontrolle zu überprüfen und haben diesem auf dessen
Frage nach der Berechtigung ihres Vorgehens ausdrücklich
erklärt, dass sie jederzeit das Recht hätten, eine
Fahrzeugkontrolle nach § 36 Abs. 5 StVO durchzuführen und die
Verkehrstauglichkeit des Fahrers zu überprüfen. Eine Belehrung
im Hinblick auf ihren konkreten Verdacht, der Angeklagte könne
alkoholisiert gefahren sein, erfolgte den getroffenen
Feststellungen zufolge aber gerade nicht. Auch lässt sich den
vom Landgericht getroffenen Feststellungen nicht entnehmen, dass
eine entsprechende Belehrung im Hinblick auf den Verdacht einer
Trunkenheitsfahrt zumindest versucht wurde. Dies führt im
Ergebnis zum Fehlen der Rechtmäßigkeit der maßgeblichen
Diensthandlung.
Zwar ermächtigt die Vorschrift
des § 36 Abs. 5 StVO ihrem Wortlaut zufolge Polizeibeamte zum
Durchführen einer Verkehrskontrolle einschließlich der
Verkehrstüchtigkeit von Verkehrsteilnehmern und sind nach der
VwV zu dieser Norm Verkehrskontrollen sowohl solche zur Prüfung
der Verkehrstüchtigkeit der Führer oder der nach den
Verkehrsvorschriften mitzuführenden Papiere als auch solche zur
Prüfung des Zustands der Fahrzeuge. Allgemeine
Verkehrskontrollen in diesem Sinne sind allgemeinem Verständnis
zufolge indessen lediglich präventive verkehrsbezogene
Maßnahmen, die ergriffen werden, um vorbeugend die Ordnung und
Sicherheit des Straßenverkehrs zu gewährleisten, ohne dass ein
augenblickliches Bedürfnis zur Regelung des Straßenverkehrs bzw.
zum Erhalten seiner Ordnung und Sicherheit vorliegt oder eine
Veranlassung zum repressiven Einschreiten zum Verfolgen einer
Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit besteht. Für eine
allgemeine Verkehrskontrolle auf der Grundlage von § 36 Abs. 5
StVO ist demzufolge kein Raum, wenn das Anhalten eines
Verkehrsteilnehmers wegen des konkreten Verdachts einer
Verkehrsstraftat oder Verkehrsordnungswidrigkeit erfolgt. [...].
Dies schließt bei Vorliegen einer konkreten Verdachtslage ein
Einschreiten der Polizeibeamten indessen nicht aus. Ihr Vorgehen
stützt sich dann aber nicht auf die Vorschrift in § 36 Abs. 5
StVO, sondern auf die besonderen Regelungen der StPO und des
Polizeirechts etwa auf §§ 163b i.V.m.§ 163a Abs. 4 Satz 1 StPO,
53
OWiG.
Dies kann für die Frage nach der formellen Rechtmäßigkeit des
Handelns von Polizeibeamten, vorliegend vor allem im Hinblick
auf das Einhalten der wesentlichen Förmlichkeiten einschließlich
einer formal ordnungsgemäßen Belehrung, nicht ohne Folgen
bleiben. Die fehlerhafte, weil bei Vorliegen eines konkreten
Verdachts ausdrücklich auf§ 36 Abs. 5 StVO gestützte, Belehrung
des Angeklagten muss demnach zur Rechtswidrigkeit der
maßgeblichen Diensthandlung führen.
Oberlandesgericht Celle,
Beschluss vom 23. Juli 2012 – 31 Ss 27/12
09 Missachtung von Anhaltezeichen
TOP
Fahrzeugführer, die Anhaltezeichen nicht nur missachten, sondern
dabei Halt gebietende Polizeibeamte sogar gefährden oder gar
verletzen, können vorwerfbar im Sinne des Strafrechts handeln.
Als
Straftaten kommen in Betracht:
Das
nachfolgende Beispiel soll zumindest zum Nachdenken anregen.
Beispiel:
Anlässlich einer allgemeinen Verkehrskontrolle versucht Lars mit
einer Winkerkelle einen Fahrzeugführer anzuhalten, der, wie sich
später herausstellte, unter Alkoholeinwirkung das Fahrzeug
führte. Als Lars den Fahrer mittels einer Winkerkelle dazu
aufforderte, am Kontrollort anzuhalten, beschleunigte der Fahrer
sein Fahrzeug. Der Beamte muss zur Seite springen, um einen
Zusammenstoß zu vermeiden. Nach kurzer Verfolgungsfahrt können
Lars und Mia den Fahrer anhalten und erforderlich werdenden
Maßnahmen treffen. Rechtslage?
Über
einen vergleichbaren Fall hatten 1974 die Richter des BGH zu
entscheiden. In Bezug auf den Tatvorwurf des Widerstands gegen
Vollstreckungsbeamte heißt es dort:
BGH 1974:
Nach allgemeiner und zutreffender Auffassung gehört es zum
Tatbestand des Widerstands, dass einer bereits begonnenen oder
unmittelbar bevorstehenden bestimmten (konkreten)
Vollstreckungshandlung eines dazu berufenen Beamten [...] Gewalt
oder Drohung mit Gewalt entgegengesetzt wird, um den Beamten zur
Unterlassung der Vollstreckungshandlung zu nötigen.
Vollstreckungshandlung in diesem Sinne ist jede Handlung einer
dazu berufenen Person, welche die Verwirklichung [...] Eines
notfalls zwangsweise durchsetzbaren Staatswillens bezweckt.
An
anderer Stelle:
Wenn [...]
ein
Polizeibeamter bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle einen
Verkehrsteilnehmer zum Anhalten auffordert, um ihn oder sein
Fahrzeug zu kontrollieren, so ist das bereits der Beginn einer
bestimmten Vollstreckungshandlung. [...]. Nach dem im Gesetz
verkörperten Staatswillen sollen demnach allgemeine
Verkehrskontrollen möglich sein. Der Vollstreckung dieses
Staatswillens im Einzelfall dient das Haltegebot, das nach § 36
Abs. 1 StVO von jedem Verkehrsteilnehmer zu befolgen ist. Die
Polizeibeamten, die eine allgemeine Verkehrskontrolle
durchführen, handeln auf Grund eigener, selbständiger
Entschließung zur unmittelbaren Verwirklichung des
Gesetzeswillens. Sie können ihr Haltegebot notfalls mit
unmittelbarem Zwang durchsetzen, wobei der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit nur für die Frage, welche Zwangsmittel
zulässig sind, eine Rolle spielt.
BGH,
Urteil vom 30.04.1974 - 4 StR 67/74
10 Fliehen muss kein Widerstand sein
TOP
So
zumindest die Rechtsauffassung des BGH, der den nachfolgend
skizzierten Fall an die Tatrichter zurückwies.
Anlass:
Bei der Festnahme von Intensivtätern durch drei
Streifenwagenbesatzungen wurde ein Smart, in dem sich die beiden
Täter befanden, von den drei Streifenwagen eingekeilt. Die Insassen
des Smart wurden aufgefordert, auszusteigen. Der Fahrer legte
abrupt den Rückwärtsgang ein, um fliehen zu können. Dabei wurden
ein Dienstfahrzeug beschädigt und ein Beamter verletzt, der für
den Fahrer nicht erkennbar, beim Rückwärtsfahren eingeklemmt
wurde und sich dabei am Knie verletzte. Nach dem
Befreiungsversuch gaben die Insassen des Smart ihren Widerstand
auf. Rechtslage?
Die
Strafkammer des Landgerichts Erfurt hat diesen Sachverhalt als
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 und 3
StGB in Tateinheit mit Sachbeschädigung (§§ 303 Abs. 1, 303c
StGB) gewertet. Indem der Angeklagte D. versucht habe, sich der
Polizeikontrolle durch Festnahme zu entziehen und zu diesem
Zweck den Pkw Smart abrupt trotz der ihn einkeilenden drei
Fahrzeuge zurücksetzte, habe er bewusst und gewollt mit Gewalt
Widerstand gegen die rechtmäßige Diensthandlung der
Polizeibeamten geleistet.
Dieser
Rechtsauffassung folgten die Richter des BGH nicht, denn nach
Ansicht des Senats sei unter Widerstand eine aktive Tätigkeit
gegenüber dem Vollstreckungsbeamten mit Nötigungscharakter zu
verstehen, mit der die Durchführung einer Vollstreckungsmaßnahme
verhindert oder erschwert werden soll. Nach dem Schutzzweck des
§ 113 StGB müsse daher die Gewalt gegen den Amtsträger gerichtet
und für ihn körperlich spürbar sein. Bloße Flucht vor der
Polizei sei daher kein strafbarer Widerstand gegen
Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB. Dies gelte, so der BGH
auch dann, wenn dadurch gegebenenfalls Dritte gefährdet oder
unvorsätzlich verletzt werden.
Wörtlich
heißt es in dem Beschluss:
BGH 2015:
Unter Widerstand ist eine aktive Tätigkeit gegenüber dem
Vollstreckungsbeamten mit Nötigungscharakter zu verstehen, mit
der die Durchführung einer Vollstreckungsmaßnahme verhindert
oder erschwert werden soll. Nach dem Schutzzweck des § 113 StGB
muss die Gewalt gegen den Amtsträger gerichtet und für ihn -
unmittelbar oder mittelbar über Sachen - körperlich spürbar
sein. Bloße Flucht vor der Polizei ist kein (gewaltsamer)
Widerstand, auch wenn dadurch gegebenenfalls Dritte gefährdet
oder unvorsätzlich verletzt werden.
Danach fehlt es hier an einem
Widerstandleisten
im Sinne von § 113 StGB. Da der Polizeibeamte E. vom Angeklagten
unbemerkt um das Heck des Pkw Smart herumlief, als der
Angeklagte das Fahrzeug zurücksetzte, fehlt es bereits an der
für den äußeren Tatbestand erforderlichen, gewaltsamen, gegen
die Person des Vollstreckenden gerichteten Handlung. Ebenso
wenig wird der für die Verwirklichung des § 113 StGB notwendige
Vorsatz deutlich, durch eine nötigende Handlung gegen den
Vollstreckungsbeamten die Vollstreckungsmaßnahme zu verhindern
oder zu erschweren; festgestellt ist lediglich, dass der
Angeklagte D. die Beschädigung des Opel Vectra billigend in Kauf
nahm, nicht jedoch, dass er die Verletzung eines der
Polizeibeamten im Rechtssinne gebilligt hat.
BGH 2
StR
204/14 - Beschluss vom 15. Januar 2015
11 Folgenschweres Unterlassen am Kontrollort
TOP
Datenabfragen gehören zu den Standardmaßnahmen, die anlässlich
von allgemeinen Verkehrskontrollen zu treffen sind. Warum
Datenabfragen unverzichtbar sind, macht das folgende Beispiel
mehr als deutlich.
Beispiel:
Anlässlich einer Verkehrskontrolle wird ein Kradfahrer
kontrolliert, der angibt, seinen Führerschein zu Hause liegen
gelassen zu haben. Der Kontrollbeamte vertraut den Angaben des
Kradfahrers und lässt diesen, nach Zahlung eines
Verwarnungsgeldes in Höhe von 10 Euro für dieses Fehlverhalten,
weiterfahren. Wenige Kilometer vom Kontrollort entfernt kommt es
zu einem folgenschweren Verkehrsunfall, den der zuvor
kontrollierte Kradfahrer selbst verursacht hat. Der Kradfahrer
zieht sich dabei schwerste Verletzungen zu, die ihn zum
Pflegefall machen. Der Rechtsanwalt des Kradfahrers verlangt
daraufhin von der Polizeibehörde Schadenersatz für diese
Folgeschäden mit der Begründung, dass bei einer korrekt
durchgeführten Verkehrskontrolle, die kurz vor dem Unfall
durchgeführt wurde, der kontrollierende Beamte hätte feststellen
müssen, dass sein Mandant ein Fahrzeug im öffentlichen
Straßenverkehr gar nicht hätte führen dürfen, weil seinem
Mandanten die Fahrerlaubnis bereits von Monaten entzogen worden
war. Diese Tatsache hätte der Kontrollbeamte vor Ort feststellen
können und auch feststellen müssen, wenn eine
Führerscheinüberprüfung im Rahmen eines Datenabgleichs
durchgeführt worden wäre. Der Beamte habe es jedoch für
ausreichend erachtet, seinen Mandanten leigiglich mit einem
Verwarnungsgeld in Höhe von 10 Euro zu belegen. Rechtslage?
Dieser
Sachverhalt hat sich Anfang der 1980er Jahre in NRW ereignet.
Damals mussten Führerscheindaten noch beim zuständigen
Straßenverkehrsamt telefonisch oder, außerhalb der
Geschäftszeiten, von der Polizei selbst im Straßenverkehrsamt
überprüft werden. Heute geht das viel schneller, nämlich über
eine automatische Schnittstelle zum „Zentralen
Fahrerlaubnisregister (ZFER)“ beim Kraftfahrtbundesamt in
Flensburg im Wege einer vollautomatisierten Datenabfrage.
Zurück zum
Beispiel.
Die örtliche Polizeibehörde wurde für die Folgeschäden, die der
Kradfahrer erlitten hatte, haftbar gemacht. In der Begründung
ihrer Entscheidung stellten die Richter fest, dass es nicht zum
Unfall gekommen wäre, wenn der Kontrollbeamte eine ihm zumutbare
Führerscheinüberprüfung durchgeführt hätte. Dann hätte der
Beamte in Kenntnis der Tatsache, dass der Kradfahrer nicht im
Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis war, die Weiterfahrt
unterbinden müssen.
Ich
erinnere mich an diesen Vorfall deshalb so genau, weil ich über
einen Erlass des Innenministers NRW zum oben erwähnten Urteil im
Rahmen des Dienstunterrichtes zu referieren hatte.
Um solche Folgen durch
Unterlassen vermeiden zu können, gehört es sozusagen zur
polizeilichen Standardmaßnahme anlässlich von allgemeinen
Verkehrskontrollen, Datenabfragen auf der Grundlage von § 25
PolG NRW (Datenabfrage) durchzuführen. Solche Datenabfragen sind
zulässig, denn sie dienen der Aufrechterhaltung der
Funktionsfähigkeit der Polizei und somit dem Zweck der
Gefahrenabwehr. Zum richtigen Funktionieren der Polizei gehört
nun einmal auch eine konsequente Nutzung ihrer technischen
Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr, wozu auch die Verhinderung des
Fahrens eines
führerscheinpflichtigen
Fahrzeuges gehört, ohne über die dafür erforderliche
Fahrerlaubnis zu verfügen, was im Wege einer Datenabfrage innerhalb von
Sekunden festgestellt werden kann.
§ 25
PolG NRW (Datenabgleich)
Erfolgt
ein Datenabgleich zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten oder
Straftaten, dann ist der § 98c StPO die anzuwendende Befugnis.
§ 98c
StPO (Maschineller Abgleich mit vorhandenen Daten)
Diese
Befugnis setzt jedoch einen konkreten Tatverdacht voraus.
12 Zusammenfassung
TOP
Allgemeine Verkehrskontrollen werfen eine Vielzahl von
Fragestellungen auf, die an dieser Stelle sicherlich nicht
abschließend erörtert wurden. Im Rahmen der Ausführungen dürfte
aber deutlich geworden sein, sich immer zu fragen, zu welchem
Zweck gerade jetzt polizeiliches Handeln erforderlich ist.
Soweit
dieses Handeln ausschließlich der Sicherheit und Ordnung des
Straßenverkehrs dient, zu deren Aufrechterhaltung der § 36 StVO
(Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten) geschaffen wurde,
reicht es aus, darauf hinzuweisen, dass ein Anhalten
ausschließlich zu dem Zweck erfolgte, um eine allgemeine
Verkehrskontrolle durchführen zu können.
Das ist
aber nicht der Fall, wenn ein Anhalten zu einem anderen Zweck
für erforderlich gehalten wird. Gleiches gilt auch, wenn
Wahrnehmungen vor Ort erkennen lassen, dass es jetzt nicht mehr
um eine bloße allgemeine Verkehrskontrolle geht, sondern Aspekte
der Erforschung und Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten oder
Straftaten sozusagen einen Maßnahmenwechsel erforderlich machen,
der dann zwangsläufig Belehrungspflichten auslöst.
Wurde
ein Verkehrsteilnehmer zum Beispiel angehalten, um eine
festgestellte Verkehrsordnungswidrigkeit zu verfolgen, dann
schließt das aber nicht aus, dass im Rahmen der Kontrolle auch
Weisungen erteilt werden, die üblicherweise auch bei allgemeinen
Verkehrskontrollen erteilt werden, was aber nicht zwingend ist.
Anders
ausgedrückt:
Zur Feststellung der Identität einer Person, um gegen diese
Person ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einleiten zu können,
ist es nicht erforderlich, die Beleuchtung eines Pkw, dessen
Bereifung oder die mitzuführenden Ausrüstungsgegenstände zu
kontrollieren. Das bedeutet aber nicht, dass, wenn der
eigentliche Zweck des Anhaltens realisiert wurde, die
Zuständigkeit, allgemeine Verkehrskontrollen durchführen zu
können, nicht mehr besteht. Das Gegenteil ist der Fall.
13 Schlüsselwörter
TOP
Anhalten
zur Verkehrskontrolle
Anhaltezeichen - Missachten als OWi
Anhaltezeichen - Missachten als Straftat
Aushändigen: Führerschein und Fahrzeugschein
Aushändigen: Mitzuführende Ausrüstungsgegenstände
Datenabfrage anlässlich von Verkehrskontrollen
Verkehrskontrollen
Zeichen und Weisungen sind VA
Fehler, Verbesserungsvorschläge und Fragen richten Sie bitte an:
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