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§ 36 StVO - Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten

Inhaltsverzeichnis:

01 Verkehrskontrollen
02 Typischer Kontrollverlauf
03 Anhalten zur Verkehrskontrolle
04 Anhalten zu anderen Zwecken
05 Wozu diese Akribie der Differenzierung
06 Folgen einer Fehleinschätzung
07 Verkehrskontrolle auf einem Privatgrundstück
08 Fehlerhafte Belehrung und Widerstand
09 Missachten von Anhaltezeichen
10 Fliehen muss kein Widerstand sein
11 Folgenschweres Unterlassen am Kontrollort
12 Zusammenfassung

13 Schlüsselwörter

01 Verkehrskontrollen

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In der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) zu § 36 Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten heißt es:

Verkehrskontrollen sind sowohl solche zur Prüfung der Fahrtüchtigkeit der Führer oder der nach den Verkehrsvorschriften mitzuführenden Papiere als auch solche zur Prüfung des Zustandes, der Ausrüstung und der Beladung der Fahrzeuge.

Anders ausgedrückt: Verkehrskontrollen dienen der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs im Hinblick auf die:

  • Fahrtüchtigkeit der Fahrzeugführer

  • Mitzuführenden Fahrzeugpapiere

  • Kontrolle der Betriebssicherheit der Fahrzeuge im Rahmen der Möglichkeiten, über die die Polizei verfügt.

Die Sprachfigur der Verkehrskontrolle umfasst auch Weisungen und Zeichen an Fahrzeugführer, ihre Fahrzeuge anzuhalten bzw. den Weisungen nachzukommen. Allgemeine Verkehrskontrollen sind auch ohne einen konkreten Anlass zulässig. Bei Verkehrskontrollen handelt es sich somit um so genannte verdachtsunabhängige Kontrollen, so dass Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr im Sinne der Gefahrenabwehr oder Hinweise auf eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit nicht gegeben sein müssen.

Allgemeine Verkehrskontrollen können jederzeit im öffentlichen Straßenverkehr auf der Grundlage von § 36 Abs. 5 StVO (Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten) durchgeführt werden. Daraus lässt sich schließen, dass die StVO allgemeine Verkehrskontrollen auf privatem Gelände grundsätzlich nicht zulässt. Dazu später mehr.

Nach dem im Gesetz verkörperten Staatswillen sind demzufolge im öffentlichen Straßenverkehr allgemeine Verkehrskontrollen möglich. In einem Urteil des BGH aus dem Jahr 1974 heißt es diesbezüglich:

BGH 1974: Der Vollstreckung dieses Staatswillens im Einzelfall dient das Haltegebot, das nach § 36 Abs. 1 StVO von jedem Verkehrsteilnehmer zu befolgen ist. Die Polizeibeamten, die eine allgemeine Verkehrskontrolle durchführen, handeln auf Grund eigener, selbständiger Entschließung zur unmittelbaren Verwirklichung des Gesetzeswillens. Sie können ihr Haltegebot notfalls mit unmittelbarem Zwang durchsetzen, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur für die Frage, welche Zwangsmittel zulässig sind, eine Rolle spielt.

BGH, Urteil vom 30.04.1974 - 4 StR 67/74

Zulässige Rechtsfolgen gem. § 36 Abs. 5 StVO: Die Befugnis erlaubt der Polizei das Anhalten als auch die Erteilung von zu befolgenden Zeichen (Anhaltezeichen mittels Anhaltekelle oder mittels Anhaltesignalgeber). Auch andere, dem Zweck einer allgemeinen Verkehrskontrolle dienenden Weisungen können auf der Grundlage von
§ 36 Abs. 5 StVO erteilt werden. Bei diesen Weisungen, zu denen auch die Anhaltezeichen gehören, handelt es sich um Verwaltungsakte im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes.

§ 35 VwVfG (Begriff des Verwaltungsaktes)

Die Zeichen und Weisungen müssen jedoch grundsätzlich von Beamten erteilt werden, die als Polizeibeamte erkennbar sind.

Bei erteilten Zeichen und Weisungen handelt es sich um sofort vollziehbare Verwaltungsakte im Sinne von § 80 Abs. 2 VwGO soweit es sich im Sinne von § 36 Abs. 5 StVO um Anhaltezeichen oder um unmittelbar mit der Durchführung der Kontrolle erforderliche Anweisungen handelt. Das bedeutet, dass es sich dabei um unaufschiebbare Maßnahmen der Polizei handelt, sie sofort durchgesetzt werden dürfen.

§ 80 VwGO (Aufschiebende Wirkung, vorläufiger Rechtsschutz)

Folgende Weisungen lässt § 36 Abs. 5 StVO nicht zu:

  • Zu wenden und der Polizei zu folgen

  • Zum Streifenwagen zu gehen

  • Sich einem Alkoholtest oder Drogentest zu unterziehen etc.

Dagegen haben angehaltene Verkehrsteilnehmer Anweisungen nachzukommen, die unmittelbar der Ermöglichung der Kontrolle dienen.

Dazu gehören folgende Anweisungen:

  • Das Radio auszumachen

  • Aus dem Fahrzeug auszusteigen

  • Die Fahrtrichtungsanzeiger zu betätigen

  • Abblendlicht und Fernlicht einzuschalten

  • Den Scheibenwischer in Gang zu setzen u.a.

Im Gegensatz dazu ist die Aushändigung von Führerschein, Fahrzeugschein und Anhängerschein an Kontrollbeamte spezialgesetzlich geregelt. Unabhängig davon können diese Aufforderungen auch auf § 36 Abs. 5 StVO gestützt werden. Dennoch ist es hilfreich, zu wissen, was in den spezialgesetzlich geregelten Befugnissen steht:

Führerschein: Führerscheine sind beim Führen von Kraftfahrzeugen mitzuführen und zuständigen Personen auf Verlangen auf der Grundlage der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) zur Prüfung auszuhändigen.

§ 4 FeV (Erlaubnispflicht und Ausweispflicht für das Führen von Kraftfahrzeugen)

Fahrzeugschein: Fahrzeugscheine sind vom Fahrzeugführer mitzuführen und zuständigen Personen ebenfalls auf Verlangen auf der Grundlage der Fahrzeugs-Zulassungsverordnung (FZO) zu Kontrollzwecken auszuhändigen.

§ 13 FZO (Zulassungsbescheinigung Teil I)

Ausrüstungsgegenstände: Die Kontrolle von mitzuführenden Ausrüstungsgegenständen wie: Warndreieck, Verbandskasten, Warnweste und anderen Ausrüstungsgegenständen sind in der StVZO geregelt und sind ebenfalls zuständigen Personen zur Kontrolle auszuhändigen, siehe § 31b StVZO.

§ 31b StVZO (Überprüfung mitzuführender Gegenstände)

Hinweis: Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte die Verkehrsteilnehmer auffordern, von ihnen mitzuführenden Ausrüstungsgegenstände ihrer Fahrzeuge zu Kontrollzwecken auszuhändigen, können solch eine Aufforderung somit auch auf § 31b StPO stützen, obwohl Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte dazu genau genommen zumindest nicht auf der Grundlage der StVZO zuständig sind, denn in der StVZO gibt es keine, mit dem § 44 Abs. 2 StVO (Sachliche Zuständigkeit) vergleichbare Regelung. Da die Polizei aber dazu befugt ist, Verkehrskontrollen durchzuführen, die auch die Kontrolle mitzuführender Ausrüstungsgegenstände umfasst, lässt sich, durch Rückschluss von der Befugnis auf die Zuständigkeit, diese Lücke durch  § 36 Abs. 5 StVO schließen.

§ 44 StVO (Sachliche Zuständigkeit)

Die Zuständigkeit, mitzuführende Ausrüstungsgegenstände kontrollieren zu können, ergibt sich somit - vereinfacht ausgedrückt - aus der Zuständigkeit, Verkehrskontrollen durchführen zu können und die dafür erforderlichen Zeichen und Weisungen erteilen zu können.

Für den Fall, dass Verkehrsteilnehmer die Herausgabe bzw. das Vorzeigen mitzuführender Ausrüstungsgegenstände verweigern, bedarf es im Hinblick auf die zwangsweise Durchsetzung solcher Weisungen, einer besonderen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Darauf haben die Richter des Bundesverfassungsgerichts bereits in ihrer Entscheidung aus dem Jahr 1974 hingewiesen. Dazu später mehr. So viel bereits an dieser Stelle vorab:

Personen, die sich üblichen Kontrollmaßnahmen verweigern, verhalten sich so auffällig, dass sich daraus durchaus hinreichende Anhaltspunkte dafür ableiten lassen, dass durch die Weigerung, simple Kontrollmaßnahmen zu dulden, Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten verdeckt werden sollen. Auch dazu später mehr, denn im Regelfall verhalten sich Verkehrsteilnehmer anlässlich von allgemeinen Verkehrskontrollen kooperativ, allein schon aus dem Grunde, den Zeitrahmen einer solchen Kontrolle möglichst kurz zu halten.

02 Typischer Kontrollablauf

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Lars und Mia führen zurzeit eine allgemeine Verkehrskontrolle an einem dafür geeigneten Ort durch. Während Mia Fahrzeugführer mit einer Winkerkelle deutlich sichtbare Anhaltezeichen gibt, kontrolliert Lars die von Mia angehaltenen Fahrzeugführer.

Guten Tag, mein Name ist Lars.
Wir führen hier eine allgemeine Verkehrskontrolle durch.
Schalten Sie bitte das Radio und den Motor aus.
Herzlichen Dank.
Bitte händigen Sie mir jetzt Ihren Führerschein und Ihren Fahrzeugschein aus.
Haben Sie Alkohol getrunken?

Nein!

Bitte betätigen Sie jetzt den Scheibenwischer.
Und nun den Blinker links und jetzt bitte rechts.
Danke.
Bitte einmal auf die Bremse treten.
OK, die Bremslichter funktionieren.
Bitte händigen Sie mir jetzt noch das Warndreieck, die Warnweste und den Verbandskasten aus.

Danach schaut sich Lars die Reifen des Pkw an, um im Anschluss daran sowohl das Kennzeichen des Pkw als auch den Namen des Fahrers im Datensystem zu überprüfen, um ausschließen zu können, dass der Pkw als gestohlen
im polizeilichen Fahndungssystem einliegt
und der Fahrer dort ebenfalls nicht zur Fahndung ausgeschrieben ist, oder wegen eines erteilten Fahrverbotes zurzeit nicht Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis ist.

Da Lars keine Auffälligkeiten feststellen kann, gibt er dem Fahrer im Anschluss an die erfolgte Datenabfrage seine Papiere zurück und wünscht ihm eine gute Fahrt.

Eine solche Kontrolle dürfte kaum mehr 5 bis 10 Minuten in Anspruch nehmen.

Der folgenden Auflistung können Sie entnehmen, welche Befugnisse Lars und Mia bei der oben skizzierten „Standardkontrolle“ in Anspruch genommen haben. Lassen Sie sich bitte Zeit und lesen Sie die Befugnisse sorgfältig. Ich habe die erteilten Weisungen so zusammengestellt, dass diese dem Ablauf der allgemeinen Verkehrskontrolle entsprechen.

Die Frage nach dem Alkoholkonsum lässt sich auf § 36 Abs. 5 StVO stützen, soweit für einen Alkoholkonsum zurzeit noch keine konkreten Anhaltspunkte erkennbar sind. Für den Fall aber, dass Lars bereits zu diesem Zeitpunkt schon den typischen Geruch von Alkohol in der Atemluft des Fahrers feststellen sollte, hätte Lars bereits jetzt schon Belehrungspflichten zu beachten, die sich aus dem sich daraus ergebenden Tatverdacht ergeben.

Die Kontrolle mitzuführender Ausrüstungsgegenstände ist spezialgesetzlich in der StVZO geregelt.

§ 31b StVZO (Überprüfung mitzuführender Gegenstände)

Da diese Befugnis auf die nachfolgend aufgelisteten Normen der StVZO verweist, ist es erforderlich, sich auch mit den nachfolgend aufgelisteten Ausrüstungsvorschriften auseinanderzusetzen.

Hinsichtlich der darüber hinausgehenden Kontrolle der Verkehrssicherheit des zu kontrollierenden Fahrzeuges können die dafür erforderlichen Weisungen auf § 36 Abs. 5 StVO gestützt werden. Hilfreich ist es aber auch in diesem Sachzusammenhang gesehen, die Vorschriften zu kennen, die der Verkehrssicherheit dienen, und die Lars im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle kontrolliert:

Datenabfrage:
Zu einer Verkehrskontrolle gehört standardgemäß auch eine Datenabfrage. Bei dieser Maßnahme handelt es sich im Zusammenhang mit der Durchführung allgemeiner Verkehrskontrollen in der Regel um eine polizeiliche Maßnahme zur Gefahrenabwehr auf der Grundlage von § 25 PolG NRW (Datenabfrage), deren Ziel es ist, die Funktionsfähigkeit der Polizei zu gewährleisten.

Was ist damit gemeint?

Vereinfacht ausgedrückt kann nicht hingenommen werden, dass kontrollierte Personen oder Fahrzeuge, deren Antreffen/Auffinden Folgemaßnahmen nach sich ziehen müssen, wenn polizeibekannt wird, dass sie zur Festnahme oder die von ihnen benutzten Fahrzeuge als gestohlen im polizeilichen Datenverbund einliegen, einen Kontrollort verlassen, an dem das hätte festgestellt werden müssen, wenn dort tätige Kontrollbeamte professionell eingeschritten wären.

Datenabfrage, § 25 PolG NRW

Auch dazu mehr an anderer Stelle in diesem Kapitel.

Hinweis: Im Zusammenhang mit der Kontrolle von Bussen und Schulbussen, der Kontrolle des Schwerlastverkehrs sowie des Transportes gefährlicher Güter auf der Straße sind meist umfangreichere und auch zeitaufwendigere Kontrollen erforderlich. Solche Kontrollen werden in der Regel von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten durchgeführt, die über die dafür erforderlichen besonderen Kenntnisse verfügen.

03 Anhalten zur Verkehrskontrolle

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Sowohl Personen als auf Fahrzeuge können zu Kontrollzwecken angehalten werden. Aus dem fließenden Verkehr heraus kann die Polizei auch durch Zeichen den jeweiligen Fahrer zum Halten aufgefordert. Anhaltezeichen können auch durch Anhaltesignalgeber (ASG) verfügt werden, zum Beispiel durch folgende Leuchtschriften: „Stop Polizei“ oder „Bitte folgen“.

Anhaltezeichen können aber auch durch Handzeichen oder mittels einer sogenannten Winkerkelle gegeben werden.

Wird der Fahrer von einem Polizeifahrzeug von hinten mittels ASG gestoppt, ist der Fahrer gehalten, möglichst frühzeitig an einer dafür geeigneten Stelle anzuhalten. Entsprechende Anweisungen können dem Fahrer durch Lautsprecherdurchsagen gegeben werden. Fahrzeugführer, die den Zeichen und Weisungen von Polizeibeamten keine Folge leisten, handeln ordnungswidrig. Im Bußgeldkatalog 2023 heißt es diesbezüglich:

136606
Sie befolgten nicht das Haltgebot des Polizeibeamten. § 36 Abs. 1, 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 129 BKat

1 Punkt
70 Euro Bußgeld

Anhalten ist ein Vorgang, der als eine zugelassene Rechtsfolge im Zusammenhang mit den nachfolgend aufgeführten polizeilichen Kontrollmaßnahmen gesetzlich geregelt ist:

  • Anhalten zur Verkehrskontrolle

  • Anhalten zur Befragung auf der Grundlage des Polizeigesetzes

  • Anhalten zum Zweck der Identitätsfeststellung (diese Rechtsfolge gehört zu den ungeschriebenen erforderlichen Maßnahmen zur Identitätsfeststellung).

In allen Fällen des Anhaltens wird nicht die Freiheit einer Person beschränkt, sondern einer Person wird lediglich für die Dauer der Kontrollmaßnahme die Möglichkeit genommen, die eigene Handlungsfreiheit ungehindert ausüben zu können, die durch Artikel 2 Abs. 1 GG geschützt ist.

Wäre das nicht so, dann wären alle Verkehrskontrollen, die die Polizei täglich auf der Grundlage von § 36 StVO durchführt, verfassungswidrig. Verfassungswidrig deshalb, weil Eingriffe in die persönliche Bewegungsfreiheit nur auf der Grundlage eines förmlichen Gesetzes zulässig sind. Bei der Straßenverkehrsordnung (StVO) handelt es aber nicht um ein förmliches Gesetz, so dass Eingriffe in die Bewegungsfreiheit (Freiheitsbeschränkungen und Freiheitsentziehungen) auf der Grundlage dieser Befugnis verfassungswidrig wären, denn bei der StVO handelt es sich lediglich um eine Rechtsverordnung, die nicht den Anforderungen eines förmlichen Gesetzes, bei dem es sich um ein Parlamentsgesetz handeln muss, zu entsprechen vermag, siehe Artikel 104 GG.

Art 104 (Rechtsgarantie bei Freiheitsentzug)

In der Lehre wird deshalb die Auffassung vertreten, dass die Dauer, die erforderlich ist, um eine polizeiliche Kontrollmaßnahme durchführen zu können, nicht als ein Eingriff in die Bewegungsfreiheit einer Person anzusehen ist, wenn die Zeit, die für solch eine Maßnahme üblicherweise aufzuwenden ist, dabei nicht überschritten wird. Diese Dauer soll, in Abhängigkeit von der jeweils durchzuführenden Maßnahme, bis zu zwei Stunden dauern können.

04 Anhalten zu anderen Zwecken

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Für eine allgemeine Verkehrskontrolle auf der Grundlage von § 36 Abs. 5 StVO ist kein Raum, wenn das Anhalten eines Verkehrsteilnehmers wegen des konkreten Verdachts einer Verkehrsstraftat oder Verkehrsordnungswidrigkeit erfolgt.

Beispiel: Lars und Mia sehen, wie ein Pkw-Fahrer gerade bei Dunkelrot in einen Kreuzungsbereich einfährt. Die Beamten nehmen dieses Fehlverhalten zum Anlass, den Fahrer zu kontrollieren. Rechtslage?

Der von Lars und Mia beabsichtigten Kontrolle liegt in diesem Beispiel eine Verkehrsordnungswidrigkeit zugrunde, die so schwerwiegend ist, dass gegen den Fahrer ein Bußgeldverfahren einzuleiten ist.

§ 37 StVO (Wechsellichtzeichen, Dauerlichtzeichen und Grünpfeil)

Im Bußgeldkatalog 2023 heißt es im Hinblick auf die Ahndung dieser Verkehrsordnungswidrigkeit wie folgt:

137600
Sie missachteten das Rotlicht der Lichtzeichenanlage. § 37 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 132 BKat

1 Punkt
90,00 Euro

Mit anderen Worten: Der Fahrzeugführer wird von Lars und Mia angehalten, um gegen ihn ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einleiten zu können. Das setzt voraus, dass die Identität des Fahrers festzustellen ist. Das ist auf der Grundlage von § 163b StPO (Maßnahmen zur Identitätsfeststellung) zulässig, denn zu diesem Zweck können tatverdächtige Personen zur Feststellung ihrer Identität angehalten werden, auch wenn diese Rechtsfolge in der Befugnis nicht benannt, dennoch aber mit erfasst ist, denn anders lassen sich die Rechtsfolgen dieser Befugnis nicht realisieren. Das gilt auch für die Betroffenen von Verkehrsordnungswidrigkeiten, denn die Befugnisse der StPO kommen auch zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten in Betracht.

§ 163b StPO (Maßnahmen zur Identitätsfeststellung)

§ 46 OWiG (Anwendung der Vorschriften über das Strafverfahren)

Im Rahmen der durchzuführenden Kontrolle können Lars und Mia natürlich auch noch, nachdem die Beamten die Voraussetzung für die Verfolgung der festgestellten Verkehrsordnungswidrigkeit „geschaffen“ haben, die Kontrollmaßnahmen durchführen, die für eine allgemeine Verkehrskontrolle typisch sind (Ausrüstungsgegenstände, Führerschein, Fahrzeugschein etc.).

Anders ausgedrückt: Die eine Zuständigkeit wird durch die andere nicht vollständig verdrängt, wohl aber an die ihr zuständige Position verschoben. Insoweit kommt es bei der Prüfung von Maßnahmen, die Beamte anlässlich von Kontrollen verfügen, darauf an, sich bewusst zu machen, welcher Zweck gerade vorrangig verfolgt wird, denn was zu einer allgemeinen Verkehrskontrolle gehört, muss nicht zwangsläufig auch zu einer Identitätsfeststellung gehören und umgekehrt.

05 Wozu diese Akribie der Differenzierung?

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Die Gründe dafür sind in dem Regelwerk zu suchen, das sicherstellen will, dass sowohl die Rechte von Tatverdächtigen als auch die von Betroffenen von der Polizei beachtet werden.

Bei Verkehrsteilnehmern, die anlässlich allgemeiner Verkehrskontrollen von der Polizei kontrolliert werden, handelt es aber sich, zumindest zu Beginn einer solchen Kontrolle, weder um Betroffene einer Verkehrsordnungswidrigkeit, noch um Tatverdächtige, sondern um Verkehrsteilnehmer, denen (noch) nichts vorgeworfen werden kann. Das hat zur Folge, dass kontrollierte Verkehrsteilnehmer nicht belehrt werden müssen. Aus diesem Grunde reicht es aus, eine allgemeine Verkehrskontrolle wie folgt zu beginnen:

Guten Tag, mein Name ist Lars.
Wir führen hier eine allgemeine Verkehrskontrolle durch.
Bitte händigen Sie mir Ihren Führerschein und Ihren Fahrzeugschein aus.

Ganz anders der Gesprächseinstieg von Lars, als er den Fahrer des Pkw anspricht, der bei Dunkelrot in den Kreuzungsbereich eingefahren ist.

Guten Tat, mein Name ist Lars.
Wir haben Sie angehalten, weil sie bei Rot in den Kreuzungsbereich eingefahren sind. Das ist eine Verkehrsordnungswidrigkeit, die eine Bußgeldanzeige zur Folge hat. Es ist Ihnen freigestellt, sich zu diesem Fehlverhalten hier an Ort und Stelle zu äußern.
Bitte händigen Sie mir jetzt Ihren Führerschein und Ihren Fahrzeugschein aus.

Die spontane Antwort des Fahrers lautet: Da habe ich wohl Pech gehabt. Ich hatte es sehr eilig. Entschuldigung.

§ 55 OWiG (Anhörung des Betroffenen)

Gesetzt den Fall, dass Lars, bevor er den Rotlichtfahrer überhaupt anspricht, schon feststellt, dass die Atemluft des Mannes stark nach Alkohol riecht. Im Hinblick auf zu beachtende Belehrungspflichten könnte der Gesprächseinstieg dann wie folgt beginnen.

Guten Tat, mein Name ist Lars.
Wir haben Sie angehalten, weil sie bei Rot in den Kreuzungsbereich eingefahren sind. Das ist eine Verkehrsordnungswidrigkeit, die eine Bußgeldanzeige zur Folge hat. Nach meiner Wahrnehmung riecht Ihre Atemluft aber auch stark nach Alkohol, so dass Sie im Verdacht stehen, auch eine Verkehrsstraftat zumindest aber eine Verkehrsordnungswidrigkeit begangen zu haben. Um diesbezügliche Sicherheit zu erhalten, schlage ich Ihnen vor, hier an Ort und Stelle sich einem Alcotest zu unterziehen. Dazu sind sie aber nicht verpflichtet, denn solch ein Test setzt Freiwilligkeit auf Ihrer Seite voraus. Sollte der dabei festgestellte Wert nicht ausreichen, den Verdacht einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit zu belegen, dann hätte das zur Folge, dass die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe nicht erforderlich werden wird. Es liegt somit an Ihnen, ob Sie diesen Vorteil nutzen wollen oder nicht. Für den Fall, dass sie solch einen Test ablehnen, wird mir nichts anderes übrig bleiben, als die Entnahme einer Blutprobe anzuordnen.

Ich habe nur ein Bier getrunken. Mit der Durchführung eines Alcotests bin ich einverstanden.

Gut. Bevor ich das Testgerät hole, möchte ich Sie noch darauf hinweisen, das es Ihnen freigestellt, sich zu dem von mir und meiner Kollegin festgestellten Fehlverhalten hier an Ort und Stelle weiter zu äußern.

§ 55 OWiG (Anhörung des Betroffenen)

06 Folgen einer Fehleinschätzung

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Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sollten wissen, dass die irrige Annahme, eine allgemeine Verkehrskontrolle jederzeit und überall durchführen zu können, durchaus problembehaftet sein kann.

Beispiel: Lars und Mia diskutieren gerade über eine Gerichtsentscheidung, der folgender Sachverhalt zugrunde lag. Zwei Beamte, nennen wir sie Max und Moriz, hatten bei dem Fahrer eines ihnen entgegenkommenden Fahrzeuges eine auffällige Rotfärbung in dessen Gesicht wahrgenommen. Sowohl Max als auch Moritz halten eine allgemeine Verkehrskontrolle auf der Grundlage von § 36 Abs. 5 StVO für erforderlich. Deshalb wendet Max den Streifenwagen und fährt hinter dem Fahrzeug her, dessen Fahrer sie anhalten und kontrollieren wollen. Was die Beamten nicht wissen können, das ist die äußerst negative Einstellung des zu kontrollierenden Fahrzeugführers mit dem auffällig roten Gesicht gegenüber der Polizei. Obwohl die Beamten ihn durch die Betätigung des Blinksignalgebers „Stopp, Polizei“ und durch das Einschalten von Blaulicht eindringlich dazu aufgefordert hatten, wollte er einfach nicht anhalten. Erst als der Fahrer auf seiner Garagenauffahrt seine Fahrt beendet hatte und nunmehr davon ausging, von der Polizei jetzt nicht mehr behelligt werden zu dürfen, gelang es Moriz, gerade als der Mann seinen Pkw verließ, diesem zu eröffnen, eine allgemeine Verkehrskontrolle durchführen zu wollen und ihm deshalb Führerschein und Fahrzeugschein auszuhändigen seien. Daraufhin kam es zu einer lautstarken Auseinandersetzung, verbunden mit dem Hinweis von Max, dass Anhaltezeichen missachtet worden seien und die Polizei jederzeit das Recht habe, sowohl eine Fahrzeugkontrolle durchzuführen als auch die Verkehrstauglichkeit des Fahrers zu überprüfen. Der Mann schrie daraufhin die Beamten an und verlangte, dass diese sofort sein Grundstück zu verlassen hätten, weil ein weiteres Verbleiben als Hausfriedensbruch anzusehen sei.

Moritz sagte dem Fahrer nun, dass sie einfache körperliche Gewalt anwenden würden, sollte ihren Anordnungen nicht nachgekommen werden. Der Angeklagte schrie und schimpfte darauf einfach weiter, so dass die Beamten nicht zu Wort kamen und deshalb den Mann nicht belehren konnten. Bei dem Versuch, dem Mann aus einer Brusttasche die Brieftasche zu entnehmen, um die Identität des Mannes feststellen zu können, wehrte sich der Mann so intensiv, dass die Beamten ihn zu Boden brachten, ihn dort fixierten, um so an dessen Papier gelangen konnten. Als die Beamten den Mann wieder losließen, rannte er in die Garage seines Hauses und begann, deren Tor zu schließen. Max und Moriz gingen aufgrund dieses Verhaltens davon aus, dass der Mann verkehrsuntüchtig sei. Sie ergriffen den Mann in der Garage, legten ihm Handfesseln an, weil sie weiteren Widerstand erwarteten und verbrachten den Mann gegen dessen Willen zur Polizeistation. Auf der Dienststelle stellte sich alsbald heraus, dass der Angeklagte keinen Alkohol getrunken hatte und auch nicht unter dem Einfluss von Medikamenten stand. Der Mann durfte schließlich das Polizeirevier wieder verlassen und zu Fuß nach Hause gehen. Gegen den Mann konnte nur ein Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen der Missachtung von Anhaltezeichen im öffentlichen Verkehrsraum als auch ein Strafverfahren wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet werden. Rechtslage?

Über einen vergleichbaren Fall hatten 2012 die Richter des OLG Celle zu entscheiden. Da diese Entscheidung aber nicht alle Aspekte des Einschreitens abdeckt, soll die Komplexheit des polizeilichen Einschreitens an dem Meinungsaustausch zwischen Lars und Mia aufgezeigt werden.

Lars: Ob ein rotes Gesicht für sich allein gesehen ausreicht, einen Fahrzeugführer anzuhalten, um eine allgemeine Verkehrskontrolle durchführen zu können, wird letztendlich jeder Polizist für sich selbst beantworten müssen, denn letztendlich handelt es sich bei allgemeinen Verkehrskontrollen ja um verdachtsunabhängige Kontrollen.

Mia: Das sehe ich auch so.

Lars: Nach meiner Sicht der Dinge ist es also zulässig, den Fahrer dieses Wagens anzuhalten, um eine allgemeine Verkehrskontrolle durchführen zu können.

Mia: Ganz meiner Meinung. Der Fahrer hätte somit den Anhaltezeichen Folge leisten müssen, die ihn dazu aufforderten, anzuhalten.

Lars: Richtig. Zum Stillstand brachte der Mann sein Fahrzeug aber erst auf der Einfahrt vor der Garage seines Hauses.

Mia: Genau. Die Frage, die sich mir jetzt stellt, lautet: Können allgemeine Verkehrskontrollen auch auf einem Privatgrundstück durchgeführt werden?

Lars: Das ist wohl die Kernfrage, auf die es hier eine Antwort zu finden gilt, denn allgemeine Verkehrskontrollen werden grundsätzlich im öffentlichen Verkehrsraum durchgeführt.

Mia: Das sehe ich auch so. Dennoch: Eine Kontrolle von Personen, die im öffentlichen Verkehrsraum auffällig geworden sind, können von der Polizei auch dann kontrolliert werden, wenn sie erst auf deren Privatgrundstück angesprochen werden können.

Lars: Richtig. Das setzt aber eine andere Anhaltebefugnis voraus als die, die sich aus § 36 Abs. 5 StVO ergibt.

Mia: So ist es. Das war auch wohl der ausschlaggebende Fehler von Max und Moritz bei der Begründung ihrer Maßnahmen, zumal Moritz dem Mann mehrfach nur zu verstehen gegeben hat, dass die Polizei sozusagen Verkehrskontrollen überall durchführen darf.

Lars: Das haben auch die Richter des OLG Celle so gesehen, denn die haben das gegen den Mann eingeleitete Strafverfahren wegen Widerstands mit der Begründung eingestellt, weil in Ermangelung eines konkreten Tatverdachtes die Kontrolle ausdrücklich auf § 36 Abs. 5 StVO gestützt worden war, und somit diese völlig unzureichende Belehrung des Angeklagten demnach zur Rechtswidrigkeit der maßgeblichen Diensthandlung habe führen müssen. Eine Belehrung im Hinblick auf den Verdacht, dass der Fahrer aufgrund seines roten Gesichts seine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit begangen habe, erfolgte nämlich nicht. Vielmehr hatten die Beamten den Mann, auch nach dessen Frage nach der Berechtigung der Vorgehensweise der beiden Polizeibeamten, ausdrücklich erneut im Sinne von § 36 Abs. 5 StVO belehrt. Erst auf der Polizeiwache, wo die Fahruntüchtigkeit des Mannes festgestellt werden sollte, war eine Belehrung im Hinblick auf die zu erwartenden Folgen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und die damit verbundenen Körperverletzungen erfolgt. Eine Belehrung im Hinblick auf den bestehenden Tatverdacht einer Trunkenheitsfahrt erfolgte nicht.

Hinweis: Aus dem Beschluss des OLG Celle vom 23.07.2012 - 31 Ss 27/12 wird an anderer Stelle in diesem Kapitel zurückzukommen sein.

Mia: Die beiden Beamten hätten sich sicherlich viel Ärger erspart, wenn sie den Mann von Anfang an richtig belehrt hätten.

Lars: So ist es. Da der Mann gar nicht wissen konnte, was ihm vorgeworfen wurde, und der Tatvorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nun einmal voraussetzt, gegen eine rechtmäßige Vollstreckungshandlung sich aktiv zur Wehr zu setzen, kann es zu solchen kuriosen Verläufen kommen, die wir hier gerade diskutieren, zumal die Anwendung von Gewalt, bloß um eine Verkehrskontrolle durchführen zu können, wohl kaum dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen vermag.

Mia: Aber wie ist das mit der Missachtung der Anhaltezeichen, die der Mann ja wohl hat wahrnehmen müssen, und bei denen es sich ja auch um Verwaltungsakte handelt, die sogar dem sofortigen Vollzug unterliegen?

Lars: Diesbezüglich haben die Richter des OLG Celle festgestellt, dass diese Ordnungswidrigkeit verwirkt worden sei. Denn dass der Angeklagte das hinter ihm fahrende Polizeifahrzeug gesehen haben muss, dass mittels Signalgeber, Blaulicht und Lichthupe für jedermann erkennbare Anhaltezeichen gab, konnte auch von dem vorausfahrenden Fahrer nicht übersehen werden.

Mia: Und wie hätten die Richter des OLG Celle entschieden, wenn Moritz den Fahrer, als dieser den Pkw verließ, wie folgt belehrt hätte?

Sie haben unsere Anhaltezeichen missachtet, mit denen wir Sie unmissverständlich dazu aufgefordert haben, Ihren Pkw anzuhalten. Das ist eine Ordnungswidrigkeit, die es rechtfertigt, gegen Sie ein Bußgeldverfahren einzuleiten. Außerdem ist Ihr Verhalten so auffällig, dass wir davon ausgehen können, dass Sie unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehen. Das reicht aus, um Ihre Identität auf der Grundlage der Strafprozessordnung festzustellen.“

Lars: Wahrscheinlich wären die Richter dann zu einem anderen Ergebnis gekommen, denn dann hätte der Fahrer erkennen müssen, Betroffener einer rechtmäßigen polizeilichen Maßnahme zu sein, die erforderlichenfalls auch hätte erzwungen werden können. Daran haben Max und Moritz beim Einschreiten aber wohl nicht gedacht. Ich habe daraus gelernt, dass es immer sinnvoll ist, sich zu fragen, zu welchem Zweck polizeiliche Maßnahmen notwendig werden. Anlässlich von allgemeinen Verkehrskontrollen bedeutet das für mich, schon bei der Belehrung des polizeilichen Gegenübers äußerste Sorgfalt walten zu lassen.

Mia: Das sehe ich auch so, sobald sich Aspekte ergeben, die den Bereich der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten betreffen, reicht allein der Hinweis, eine allgemeine Verkehrskontrolle durchführen zu wollen, nicht aus.

07 Verkehrskontrolle auf einem Privatgrundstück

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Der folgende Sachverhalt wurde 2018 vom Amtsgericht München verhandelt:

Anlass: Nach dem Ende einer Feier war die von der Polizei kontrollierte Person mit ihrem Pkw nach Hause gefahren. Er habe sich nicht durch den Alkohol beeinträchtigt gefühlt. Zu der Kontrolle durch die Polizeibeamten sei es erst auf seinem privaten Parkplatz gekommen. Zu vorherigen Anhalteaufforderungen durch entsprechende Signale sei es nicht gekommen. Letztendlich wurde im Anschluss an ein Verbringen des Mannes zur Polizeiwache dort ein Wert von circa 0,75 Promille festgestellt, der aber nicht, so die Einlassung des betroffenen Fahrers, verwertet werden dürfe, da die Verkehrskontrolle auf seinem Privatgrundstück durchgeführt worden sei.

Das Amtsgericht München widersprach und legte in seinem Urteil (Az.: 953 OWi 421 Js 125161/18) fest, dass Polizisten einem möglichen Verkehrssünder auf Verdacht auch auf das eigene Grundstück folgen und ihn auch dort kontrollieren dürfen. Ausschlaggebend sei, dass der Fahrer schließlich zuvor auf öffentlichen Straßen unterwegs gewesen war. Die festgestellte Ordnungswidrigkeit dürfe ebenfalls verfolgt werden.

AG München 2018: Das Ergebnis der Atemalkoholmessung ist auch verwertbar. Soweit die Verteidigung in der Hauptverhandlung vorbrachte, die Verkehrskontrolle hätte auf Privatgrund nicht durchgeführt werden dürfen, da es sich um eine verdachtsunabhängige allgemeine Verkehrskontrolle gehandelt habe, begründet dies kein Verwertungsverbot für die Atemalkoholmessung. Selbst wenn die allgemeine Verkehrskontrolle nicht hätte durchgeführt werden dürfen und rechtswidrig gewesen wäre, durften die Polizeibeamten aufgrund des dabei gewonnenen Tatverdachts wegen der Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG die erforderlichen Maßnahmen treffen. Diese richteten sich gegen einen Verdächtigen. Selbst wenn der Anfangsverdacht aus Anlass einer rechtswidrigen Verkehrskontrolle entdeckt worden wäre, begründet dies kein Verwertungsverbot für die weiteren Ermittlungsergebnisse. Eine Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten gibt es nicht. Zudem führt nicht jede fehlerhafte Polizeimaßnahme automatisch zu einem Verwertungsverbot. Im vorliegenden Fall ist den Polizeibeamten zudem keine fehlerhafte Verhaltensweise vorzuwerfen. Selbst wenn sie ohne vorherigen Anhalteversuch die allgemeine Verkehrskontrolle erst auf dem Privatparkplatz des Betroffenen durchgeführt haben sollten, so war dies zulässig und gerechtfertigt, da der Betroffene zuvor zweifellos am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen hatte und es nach den Umständen durchaus vertretbar war, die Verkehrskontrolle abseits des öffentlichen Verkehrsgrundes erst durchzuführen, nachdem der Betroffene sein Fahrziel erreicht hatte. Zwar heißt es in § 36 V 1 StVO, dass Polizeibeamte Verkehrsteilnehmer zur Verkehrskontrolle einschließlich der Kontrolle der Verkehrstüchtigkeit und zu Verkehrserhebungen anhalten dürfen. Die Eigenschaft als Verkehrsteilnehmer ist aber nicht nur während der unmittelbaren Teilnahme am Verkehrsgeschehen gegeben, sondern auch noch unmittelbar nach Erreichen des Fahrtzieles und Abstellen des Fahrzeugs außerhalb öffentlicher Verkehrsflächen. Auch schließt der Wortlaut „anhalten“ nicht aus, dass die Kontrolle erst durchgeführt wird, wenn der zu kontrollierende Fahrzeugführer am Fahrtziel von selbst angehalten hat. Denn wenn sogar das Anhalten im fließenden Verkehr zum Zwecke der Kontrolle zulässig ist, dann ist die Kontrolle erst recht zulässig, wenn der Verkehrsteilnehmer dafür nicht einmal angehalten werden muss. Aber selbst wenn man die Durchführung der allgemeinen Verkehrskontrolle hier als rechtswidrig betrachten wollte, was nach Ansicht des Gerichts unabhängig von der Frage, ob vorher rechtzeitig ein Anhaltesignal gegeben wurde, nicht der Fall ist, wurde diese durch den tatsächlichen Verlauf der Dinge überholt, da sogleich am Beginn der Kontrolle der Verdacht der Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG entdeckt wurde. Im weiteren Verlauf handelt es sich eben nicht mehr um eine nach § 36 V StVO zu beurteilende allgemeine Verkehrskontrolle, sondern um die Einleitung und Durchführung von Ermittlungen im Bußgeldverfahren nach § 46 OWiG. Weder beruht der Tatverdacht auf einer rechtswidrig erlangten Information noch wurde das weitere Verfahren in gesetzwidriger Weise durchgeführt. Selbstverständlich dürfen auch Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden, die auf Privatgrund entdeckt werden, sofern nicht in für spezielle, besonders eingriffsintensive Ermittlungsmethoden (etwa Telefonüberwachung und dgl.) besondere Regelungen über den Umfang der Verwertbarkeit getroffen wurden. Darüber hinaus kann ein Verwertungsverbot nur angenommen werden, wenn besondere gesetzliche Sicherungen, etwa ein Richtervorbehalt, willkürlich umgangen werden sollen. Dies ist hier nicht geschehen. Der von der Verteidigung gestellte, auf den Nachweis der Nichtbetätigung von Anhaltesignalen durch die Polizeibeamten gerichtete Beweisantrag auf Vernehmung der Beifahrerin des Betroffenen wurde daher mangels Entscheidungserheblichkeit der unter Beweis gestellten Tatsache abgelehnt. Es ist völlig belanglos, ob und ggf. wann ein Anhaltesignal betätigt wurde.

AG München, Urteil vom 7. September 2018 – 953 OWi 421 Js 125161/18

Zusammenfassung Anhalten zur Verkehrskontrolle: Eine Verkehrskontrolle umfasst nur die Kontrolle von Fahrzeugführern und deren Fahrzeuge. Fahrzeuge und deren Führer dürften nur aus solchen Gründen sozusagen verdachtsunabhängig angehalten werden, die für die Sicherheit im Straßenverkehr von Bedeutung sind.

Anders ausgedrückt: § 36 StVO beziehe sich allein auf Zeichen und Weisungen von Polizeibeamten im Rahmen des Straßenverkehrs. Die Ausdehnung des § 36 Abs. 5 StVO auch auf Fälle der Verbrechensbekämpfung oder der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt somit außerhalb des Bereichs dieser Befugnis. In einem Beschluss des BGH aus dem Jahr 1984 heißt es:

BGH 1984: Bußgeldbewehrt nach §§ 36 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 1 StVO, § 24 StVG sind alle Weisungen eines Polizeibeamten, die aus einem augenblicklichen Verkehrsbedürfnis heraus zur Regelung des Straßenverkehrs oder zur Beseitigung einer andauernden Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit einem bestimmten Verkehrsteilnehmer erteilt werden, nicht jedoch solche Weisungen, die allein die Verfolgung einer (beendeten) Verkehrsordnungswidrigkeit ermöglichen sollen.

BGH, Beschluss vom 31. Januar 1984, Az.: 4 StR 350/83

So auch die Rechtsauffassung des OLG Koblenz.

OLG Koblenz 1986: Für Weisungen, die nicht aus Anlass eines Verkehrsbedürfnisses erfolgten, sondern anderen Zwecken dienen, sei § 36 Abs. 1 StVO nicht anwendbar. Weisungen, insbesondere Haltegebote, die bei der Verfolgung von Gesetzesverstößen fielen demnach nicht unter § 36 Abs. 1 StVO. Dies gelte nicht nur bei Weisungen, die der Aufklärung einer mit dem Straßenverkehr nicht zusammenhängenden Straftat dienten, sondern auch bei solchen, die die Ahndung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die im Straßenverkehr begangen worden sind, bezweckten.

OLG Koblenz, Urteil vom 20. Februar 1986 – 1 Ss 64/86

08 Fehlerhafte Belehrung und Widerstand

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Sie erinnern sich, über dieses Thema haben sich Lars und Mia schon ausgetauscht. Wegen der besonderen Bedeutung rechtsfehlerhafter Belehrungen halte ich es dennoch für geboten, diesbezüglich die Stellen aus dem Beschluss des OLG Celle zu zitieren, die von Bedeutung sind:

Sie erinnern sich, es ging um eine unzureichende Belehrung eines Verkehrsteilnehmers auf dessen Garagenauffahrt, der den Kontrollbeamten zuvor aufgefallen war, weil dessen Gesichtsfärbung ein auffälliges – auf den Konsum von Alkohol hindeutendes – Rot zeigte.

OLG Celle 2012: Die Beamten gingen den vom Landgericht getroffenen Feststellungen zufolge davon aus, dass der Angeklagte sich aufgrund der mitgeteilten Umstände in einem Zustand der Fahruntüchtigkeit befunden haben könnte. Die tätig gewordenen Polizeibeamten hatten demzufolge ausdrücklich den konkreten Verdacht des Vorliegens einer Straftat, nämlich einer Trunkenheit im Verkehr, unter Umständen auch des Verdachts einer entsprechenden Ordnungswidrigkeit. Hierüber aber haben die Polizeibeamten den Betroffenen indessen nicht belehrt, als sie ihn auf seinem Grundstück angesprochen und zur Herausgabe seiner Papiere aufgefordert hatten. Die Beamten hatten den getroffenen Feststellungen zufolge vielmehr die Absicht, den Angeklagten wegen ihres Verdachts im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle zu überprüfen und haben diesem auf dessen Frage nach der Berechtigung ihres Vorgehens ausdrücklich erklärt, dass sie jederzeit das Recht hätten, eine Fahrzeugkontrolle nach § 36 Abs. 5 StVO durchzuführen und die Verkehrstauglichkeit des Fahrers zu überprüfen. Eine Belehrung im Hinblick auf ihren konkreten Verdacht, der Angeklagte könne alkoholisiert gefahren sein, erfolgte den getroffenen Feststellungen zufolge aber gerade nicht. Auch lässt sich den vom Landgericht getroffenen Feststellungen nicht entnehmen, dass eine entsprechende Belehrung im Hinblick auf den Verdacht einer Trunkenheitsfahrt zumindest versucht wurde. Dies führt im Ergebnis zum Fehlen der Rechtmäßigkeit der maßgeblichen Diensthandlung.

Zwar ermächtigt die Vorschrift des § 36 Abs. 5 StVO ihrem Wortlaut zufolge Polizeibeamte zum Durchführen einer Verkehrskontrolle einschließlich der Verkehrstüchtigkeit von Verkehrsteilnehmern und sind nach der VwV zu dieser Norm Verkehrskontrollen sowohl solche zur Prüfung der Verkehrstüchtigkeit der Führer oder der nach den Verkehrsvorschriften mitzuführenden Papiere als auch solche zur Prüfung des Zustands der Fahrzeuge. Allgemeine Verkehrskontrollen in diesem Sinne sind allgemeinem Verständnis zufolge indessen lediglich präventive verkehrsbezogene Maßnahmen, die ergriffen werden, um vorbeugend die Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs zu gewährleisten, ohne dass ein augenblickliches Bedürfnis zur Regelung des Straßenverkehrs bzw. zum Erhalten seiner Ordnung und Sicherheit vorliegt oder eine Veranlassung zum repressiven Einschreiten zum Verfolgen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit besteht. Für eine allgemeine Verkehrskontrolle auf der Grundlage von § 36 Abs. 5 StVO ist demzufolge kein Raum, wenn das Anhalten eines Verkehrsteilnehmers wegen des konkreten Verdachts einer Verkehrsstraftat oder Verkehrsordnungswidrigkeit erfolgt. [...]. Dies schließt bei Vorliegen einer konkreten Verdachtslage ein Einschreiten der Polizeibeamten indessen nicht aus. Ihr Vorgehen stützt sich dann aber nicht auf die Vorschrift in § 36 Abs. 5 StVO, sondern auf die besonderen Regelungen der StPO und des Polizeirechts etwa auf §§ 163b i.V.m.§ 163a Abs. 4 Satz 1 StPO, 53 OWiG. Dies kann für die Frage nach der formellen Rechtmäßigkeit des Handelns von Polizeibeamten, vorliegend vor allem im Hinblick auf das Einhalten der wesentlichen Förmlichkeiten einschließlich einer formal ordnungsgemäßen Belehrung, nicht ohne Folgen bleiben. Die fehlerhafte, weil bei Vorliegen eines konkreten Verdachts ausdrücklich auf§ 36 Abs. 5 StVO gestützte, Belehrung des Angeklagten muss demnach zur Rechtswidrigkeit der maßgeblichen Diensthandlung führen.

Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 23. Juli 2012 – 31 Ss 27/12

09 Missachtung von Anhaltezeichen

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Fahrzeugführer, die Anhaltezeichen nicht nur missachten, sondern dabei Halt gebietende Polizeibeamte sogar gefährden oder gar verletzen, können vorwerfbar im Sinne des Strafrechts handeln.

Als Straftaten kommen in Betracht:

Das nachfolgende Beispiel soll zumindest zum Nachdenken anregen.

Beispiel: Anlässlich einer allgemeinen Verkehrskontrolle versucht Lars mit einer Winkerkelle einen Fahrzeugführer anzuhalten, der, wie sich später herausstellte, unter Alkoholeinwirkung das Fahrzeug führte. Als Lars den Fahrer mittels einer Winkerkelle dazu aufforderte, am Kontrollort anzuhalten, beschleunigte der Fahrer sein Fahrzeug. Der Beamte muss zur Seite springen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Nach kurzer Verfolgungsfahrt können Lars und Mia den Fahrer anhalten und erforderlich werdenden Maßnahmen treffen. Rechtslage?

Über einen vergleichbaren Fall hatten 1974 die Richter des BGH zu entscheiden. In Bezug auf den Tatvorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte heißt es dort:

BGH 1974: Nach allgemeiner und zutreffender Auffassung gehört es zum Tatbestand des Widerstands, dass einer bereits begonnenen oder unmittelbar bevorstehenden bestimmten (konkreten) Vollstreckungshandlung eines dazu berufenen Beamten [...] Gewalt oder Drohung mit Gewalt entgegengesetzt wird, um den Beamten zur Unterlassung der Vollstreckungshandlung zu nötigen. Vollstreckungshandlung in diesem Sinne ist jede Handlung einer dazu berufenen Person, welche die Verwirklichung [...] Eines notfalls zwangsweise durchsetzbaren Staatswillens bezweckt.

An anderer Stelle:

Wenn [...] ein Polizeibeamter bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle einen Verkehrsteilnehmer zum Anhalten auffordert, um ihn oder sein Fahrzeug zu kontrollieren, so ist das bereits der Beginn einer bestimmten Vollstreckungshandlung. [...]. Nach dem im Gesetz verkörperten Staatswillen sollen demnach allgemeine Verkehrskontrollen möglich sein. Der Vollstreckung dieses Staatswillens im Einzelfall dient das Haltegebot, das nach § 36 Abs. 1 StVO von jedem Verkehrsteilnehmer zu befolgen ist. Die Polizeibeamten, die eine allgemeine Verkehrskontrolle durchführen, handeln auf Grund eigener, selbständiger Entschließung zur unmittelbaren Verwirklichung des Gesetzeswillens. Sie können ihr Haltegebot notfalls mit unmittelbarem Zwang durchsetzen, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur für die Frage, welche Zwangsmittel zulässig sind, eine Rolle spielt.

BGH, Urteil vom 30.04.1974 - 4 StR 67/74

10 Fliehen muss kein Widerstand sein

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So zumindest die Rechtsauffassung des BGH, der den nachfolgend skizzierten Fall an die Tatrichter zurückwies.

Anlass: Bei der Festnahme von Intensivtätern durch drei Streifenwagenbesatzungen wurde ein Smart, in dem sich die beiden Täter befanden, von den drei Streifenwagen eingekeilt. Die Insassen des Smart wurden aufgefordert, auszusteigen. Der Fahrer legte abrupt den Rückwärtsgang ein, um fliehen zu können. Dabei wurden ein Dienstfahrzeug beschädigt und ein Beamter verletzt, der für den Fahrer nicht erkennbar, beim Rückwärtsfahren eingeklemmt wurde und sich dabei am Knie verletzte. Nach dem Befreiungsversuch gaben die Insassen des Smart ihren Widerstand auf. Rechtslage?

Die Strafkammer des Landgerichts Erfurt hat diesen Sachverhalt als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 und 3 StGB in Tateinheit mit Sachbeschädigung (§§ 303 Abs. 1, 303c StGB) gewertet. Indem der Angeklagte D. versucht habe, sich der Polizeikontrolle durch Festnahme zu entziehen und zu diesem Zweck den Pkw Smart abrupt trotz der ihn einkeilenden drei Fahrzeuge zurücksetzte, habe er bewusst und gewollt mit Gewalt Widerstand gegen die rechtmäßige Diensthandlung der Polizeibeamten geleistet.

Dieser Rechtsauffassung folgten die Richter des BGH nicht, denn nach Ansicht des Senats sei unter Widerstand eine aktive Tätigkeit gegenüber dem Vollstreckungsbeamten mit Nötigungscharakter zu verstehen, mit der die Durchführung einer Vollstreckungsmaßnahme verhindert oder erschwert werden soll. Nach dem Schutzzweck des § 113 StGB müsse daher die Gewalt gegen den Amtsträger gerichtet und für ihn körperlich spürbar sein. Bloße Flucht vor der Polizei sei daher kein strafbarer Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB. Dies gelte, so der BGH auch dann, wenn dadurch gegebenenfalls Dritte gefährdet oder unvorsätzlich verletzt werden.

Wörtlich heißt es in dem Beschluss:

BGH 2015: Unter Widerstand ist eine aktive Tätigkeit gegenüber dem Vollstreckungsbeamten mit Nötigungscharakter zu verstehen, mit der die Durchführung einer Vollstreckungsmaßnahme verhindert oder erschwert werden soll. Nach dem Schutzzweck des § 113 StGB muss die Gewalt gegen den Amtsträger gerichtet und für ihn - unmittelbar oder mittelbar über Sachen - körperlich spürbar sein. Bloße Flucht vor der Polizei ist kein (gewaltsamer) Widerstand, auch wenn dadurch gegebenenfalls Dritte gefährdet oder unvorsätzlich verletzt werden.

Danach fehlt es hier an einem Widerstandleisten im Sinne von § 113 StGB. Da der Polizeibeamte E. vom Angeklagten unbemerkt um das Heck des Pkw Smart herumlief, als der Angeklagte das Fahrzeug zurücksetzte, fehlt es bereits an der für den äußeren Tatbestand erforderlichen, gewaltsamen, gegen die Person des Vollstreckenden gerichteten Handlung. Ebenso wenig wird der für die Verwirklichung des § 113 StGB notwendige Vorsatz deutlich, durch eine nötigende Handlung gegen den Vollstreckungsbeamten die Vollstreckungsmaßnahme zu verhindern oder zu erschweren; festgestellt ist lediglich, dass der Angeklagte D. die Beschädigung des Opel Vectra billigend in Kauf nahm, nicht jedoch, dass er die Verletzung eines der Polizeibeamten im Rechtssinne gebilligt hat.

BGH 2 StR 204/14 - Beschluss vom 15. Januar 2015

11 Folgenschweres Unterlassen am Kontrollort

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Datenabfragen gehören zu den Standardmaßnahmen, die anlässlich von allgemeinen Verkehrskontrollen zu treffen sind. Warum Datenabfragen unverzichtbar sind, macht das folgende Beispiel mehr als deutlich.

Beispiel: Anlässlich einer Verkehrskontrolle wird ein Kradfahrer kontrolliert, der angibt, seinen Führerschein zu Hause liegen gelassen zu haben. Der Kontrollbeamte vertraut den Angaben des Kradfahrers und lässt diesen, nach Zahlung eines Verwarnungsgeldes in Höhe von 10 Euro für dieses Fehlverhalten, weiterfahren. Wenige Kilometer vom Kontrollort entfernt kommt es zu einem folgenschweren Verkehrsunfall, den der zuvor kontrollierte Kradfahrer selbst verursacht hat. Der Kradfahrer zieht sich dabei schwerste Verletzungen zu, die ihn zum Pflegefall machen. Der Rechtsanwalt des Kradfahrers verlangt daraufhin von der Polizeibehörde Schadenersatz für diese Folgeschäden mit der Begründung, dass bei einer korrekt durchgeführten Verkehrskontrolle, die kurz vor dem Unfall durchgeführt wurde, der kontrollierende Beamte hätte feststellen müssen, dass sein Mandant ein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr gar nicht hätte führen dürfen, weil seinem Mandanten die Fahrerlaubnis bereits von Monaten entzogen worden war. Diese Tatsache hätte der Kontrollbeamte vor Ort feststellen können und auch feststellen müssen, wenn eine Führerscheinüberprüfung im Rahmen eines Datenabgleichs durchgeführt worden wäre. Der Beamte habe es jedoch für ausreichend erachtet, seinen Mandanten leigiglich mit einem Verwarnungsgeld in Höhe von 10 Euro zu belegen. Rechtslage?

Dieser Sachverhalt hat sich Anfang der 1980er Jahre in NRW ereignet. Damals mussten Führerscheindaten noch beim zuständigen Straßenverkehrsamt telefonisch oder, außerhalb der Geschäftszeiten, von der Polizei selbst im Straßenverkehrsamt überprüft werden. Heute geht das viel schneller, nämlich über eine automatische Schnittstelle zum „Zentralen Fahrerlaubnisregister (ZFER)“ beim Kraftfahrtbundesamt in Flensburg im Wege einer vollautomatisierten Datenabfrage.

Zurück zum Beispiel. Die örtliche Polizeibehörde wurde für die Folgeschäden, die der Kradfahrer erlitten hatte, haftbar gemacht. In der Begründung ihrer Entscheidung stellten die Richter fest, dass es nicht zum Unfall gekommen wäre, wenn der Kontrollbeamte eine ihm zumutbare Führerscheinüberprüfung durchgeführt hätte. Dann hätte der Beamte in Kenntnis der Tatsache, dass der Kradfahrer nicht im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis war, die Weiterfahrt unterbinden müssen.

Ich erinnere mich an diesen Vorfall deshalb so genau, weil ich über einen Erlass des Innenministers NRW zum oben erwähnten Urteil im Rahmen des Dienstunterrichtes zu referieren hatte.

Um solche Folgen durch Unterlassen vermeiden zu können, gehört es sozusagen zur polizeilichen Standardmaßnahme anlässlich von allgemeinen Verkehrskontrollen, Datenabfragen auf der Grundlage von § 25 PolG NRW (Datenabfrage) durchzuführen. Solche Datenabfragen sind zulässig, denn sie dienen der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Polizei und somit dem Zweck der Gefahrenabwehr. Zum richtigen Funktionieren der Polizei gehört nun einmal auch eine konsequente Nutzung ihrer technischen Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr, wozu auch die Verhinderung des Fahrens eines führerscheinpflichtigen Fahrzeuges gehört, ohne über die dafür erforderliche Fahrerlaubnis zu verfügen, was im Wege einer Datenabfrage innerhalb von Sekunden festgestellt werden kann.

§ 25 PolG NRW (Datenabgleich)

Erfolgt ein Datenabgleich zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten, dann ist der § 98c StPO die anzuwendende Befugnis.

§ 98c StPO (Maschineller Abgleich mit vorhandenen Daten)

Diese Befugnis setzt jedoch einen konkreten Tatverdacht voraus.

12 Zusammenfassung

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Allgemeine Verkehrskontrollen werfen eine Vielzahl von Fragestellungen auf, die an dieser Stelle sicherlich nicht abschließend erörtert wurden. Im Rahmen der Ausführungen dürfte aber deutlich geworden sein, sich immer zu fragen, zu welchem Zweck gerade jetzt polizeiliches Handeln erforderlich ist.

Soweit dieses Handeln ausschließlich der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dient, zu deren Aufrechterhaltung der § 36 StVO (Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten) geschaffen wurde, reicht es aus, darauf hinzuweisen, dass ein Anhalten ausschließlich zu dem Zweck erfolgte, um eine allgemeine Verkehrskontrolle durchführen zu können.

Das ist aber nicht der Fall, wenn ein Anhalten zu einem anderen Zweck für erforderlich gehalten wird. Gleiches gilt auch, wenn Wahrnehmungen vor Ort erkennen lassen, dass es jetzt nicht mehr um eine bloße allgemeine Verkehrskontrolle geht, sondern Aspekte der Erforschung und Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten sozusagen einen Maßnahmenwechsel erforderlich machen, der dann zwangsläufig Belehrungspflichten auslöst.

Wurde ein Verkehrsteilnehmer zum Beispiel angehalten, um eine festgestellte Verkehrsordnungswidrigkeit zu verfolgen, dann schließt das aber nicht aus, dass im Rahmen der Kontrolle auch Weisungen erteilt werden, die üblicherweise auch bei allgemeinen Verkehrskontrollen erteilt werden, was aber nicht zwingend ist.

Anders ausgedrückt: Zur Feststellung der Identität einer Person, um gegen diese Person ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einleiten zu können, ist es nicht erforderlich, die Beleuchtung eines Pkw, dessen Bereifung oder die mitzuführenden Ausrüstungsgegenstände zu kontrollieren. Das bedeutet aber nicht, dass, wenn der eigentliche Zweck des Anhaltens realisiert wurde, die Zuständigkeit, allgemeine Verkehrskontrollen durchführen zu können, nicht mehr besteht. Das Gegenteil ist der Fall.  

13 Schlüsselwörter

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Anhalten zur Verkehrskontrolle
Anhaltezeichen - Missachten als OWi
Anhaltezeichen - Missachten als Straftat
Aushändigen: Führerschein und Fahrzeugschein
Aushändigen: Mitzuführende Ausrüstungsgegenstände
Datenabfrage anlässlich von Verkehrskontrollen
Verkehrskontrollen
Zeichen und Weisungen sind VA

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