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§ 2 StVO - Straßenbenutzung durch Fahrzeuge

Inhaltsverzeichnis:

01.0 Allgemeines
02.0 Rechtsfahrgebot
02.1 Verkehrsgerechtes Rechtsfahren
03.0 Vorrang der Schienenbahn
04.0 Radfahrer
04.1 Pedelecs-Fahrräder
04.2 Rennräder
04.3 Abstellen von Fahrrädern auf Gehwegen
04.4 Zusammenfassung Radwege
05.0 Kinder mit Rädern auf Gehwegen
05.1 Aufsichtspflichtige Personen
05.2 Fußgänger
06.0 Anpassung an Witterung – Gefahrgut
07.0 Ordnungswidrigkeiten
08.0 Zunahme der Wegeunfälle
09.0 Beispiel: Verwarnung eines Radfahrers
10.0 Der Bußgeldkatalog als Ermessensrichtlinie
11.0 Erlassregelung Verwarnungsgeldverfahren NRW
12.0 Zusammenfassung Verwarnungsgeldverfahren
13.0 Schlüsselwörter

01.0 Allgemeines

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Die im § 2 StVO (Straßenbenutzung durch Fahrzeuge) enthaltenen Verhaltensregeln betreffen nur den Fahrverkehr, der ruhende Verkehr ist davon nicht erfasst. Diesbezüglich ist die Regelung im § 12 Abs. 4 StVO einschlägig.

§ 2 StVO (Straßenbenutzung durch Fahrzeuge)

§ 12 StVO (Halten und Parken)

Die jeweils vom Fahrverkehr zu benutzende Fahrbahn, gemeint sind die am Straßenverkehr teilnehmenden Fahrzeuge, ist entweder durch die Art ihrer Bauweise oder durch Fahrbahnbegrenzungen (Zeichen 295) gekennzeichnet.

In Anlehnung an das „Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr“ das am 11. Oktober 1977 im Bundesgesetzblatt verkündet wurde, sind die meisten der nachfolgend aufgelisteten Begriffe definiert:

  • Straße ist die gesamte Fläche jedes dem öffentlichen Verkehr dienenden Weges.

  • Fahrbahn ist der Teil der Straße, der üblicherweise von den Fahrzeugen benutzt wird; eine Straße kann mehrere Fahrbahnen haben, die insbesondere durch einen Mittelstreifen oder einen Höhenunterschied deutlich voneinander getrennt sind. Anders ausgedrückt: Eine Fahrbahn ist der für den Fahrzeugverkehr bestimmte Teil einer Straße.

  • Fahrbahnen mit einem seitlichen Seitenstreifen sind dem Verkehr bestimmter Fahrzeuge vorbehalten.

  • Beschleunigungsstreifen gehören nach wohl überwiegender Rechtsauffassung nicht zur Fahrbahn. Vielmehr sind sie als eigenständige Fahrbahnen anzusehen. Kommt es zu einer Kollision zwischen einem Lkw, der sich auf der rechten Normalfahrspur befindet mit einem Pkw, der sich den Beschleunigungsstreifen auf die rechte Fahrspur der Autobahn befährt, so ist eine Haftungsverteilung von 1/4 zu 3/4 zulasten des einfädelnden Fahrzeugs angezeigt, wenn es zu einem Zusammenstoß kommt. Dabei ist die aufgrund der Bauart des Lkw erhöhte Betriebsgefahr mit 1/4 anzusetzen, siehe OLG Celle, Urteil vom 23. Juni 2021 – 14 U 186/20.

  • Fahrstreifen ist jeder der Längsstreifen, in welche die Fahrbahn unterteilt werden kann, mag er durch Straßenmarkierungen in der Längsrichtung gekennzeichnet sein oder nicht. Fahrstreifen ist der Teil einer Fahrbahn, dessen Breite für die Fortbewegung mehrspuriger Kraftfahrzeuge ausreicht. Im § 7 StVO Abs. 1 StVO (Benutzung von Fahrstreifen durch Kraftfahrzeuge) heißt es: Fahrstreifen ist der Teil einer Fahrbahn, den ein mehrspuriges Fahrzeug zum ungehinderten Fahren im Verlauf der Fahrbahn benötigt.

  • Seitenstreifen: Darunter ist der befestigte oder unbefestigte, unmittelbar an den Fahrstreifen angrenzende Teil einer Straße zu verstehen, der noch befahrbar ist.

  • Radstreifen ist jener Teil der Fahrbahn, der für die Radfahrer bestimmt ist. Ein Radstreifen ist von der übrigen Fahrbahn durch Straßenmarkierungen in der Längsrichtung getrennt.

  • Radweg ist eine eigene Straße oder der Teil einer Straße, der Radfahrern vorbehalten und als solcher gekennzeichnet ist. Ein Radweg ist von anderen Straßen oder anderen Straßenteilen durch bauliche Einrichtungen getrennt.

  • Gehweg ist der Bereich im Verkehrsraum, auf dem sich ausschließlich Fußgänger fortbewegen dürfen. Ein Gehweg ist im Normalfall ein von der Fahrbahn baulich abgetrennter Bereich, der auch von Kindern mit Fahrrädern befahren werden darf, siehe § 2 Abs. 5 StVO.

  • Fußgängerbereiche, die als solche ausgeschildert sind, dürfen außerhalb der zugelassenen Lieferzeiten, während der Sperrzeit von Fahrzeugen nicht benutzt werden. Radfahrer können davon ausgenommen sein, wenn der Radfahrverkehr in Fußgängerbereichen durch das Verkehrszeichen „Radfahrer frei“ erlaubt ist. Radfahrer müssen dann aber besonders langsam und vorsichtig fahren. Es ist ihnen nicht erlaubt, Fußgänger sozusagen aus dem Weg zu klingeln.

  • Standstreifen BAB, auch Kriechspur genannt, gelten gemäß § 2 StVO nicht als Bestandteil der Fahrbahn und dürfen deshalb nicht regulär befahren werden. Diese Standstreifen dienen vorrangig dazu, liegengebliebenen Fahrzeugen die Möglichkeit zu geben, Behinderungen oder Gefährdungen des fließenden Verkehrs durch die Benutzung des Standstreifens ausschließen zu können, den Fahrern die Möglichkeit zu geben, notwendig werdende Hilfeleistungen leisten zu können, oder auch bei plötzlich eintretender körperlicher Schwäche von Fahrern benutzt werden zu können. Grundsätzlich ist das Halten auf dem Standstreifen aber verboten. Siehe § 18 Abs. 5 StVO verboten.

    § 18 Abs. 5 StVO (Autobahnen und Kraftfahrtstraßen)

    Von der Polizei kann der Standstreifen einer BAB bei der Inanspruchnahme von Sonderrechten benutzt werden. Zur kurzfristigen Entlastung stark befahrener Autobahnabschnitte kommt in Ausnahmefällen auch eine Umnutzung der Standstreifen zu einem weiteren Fahrstreifen in Betracht. Die Nutzung des Standstreifens durch Kfz, zum Beispiel, um an einem Stau vorbeifahren zu können, erhöht die Unfallgefahr erheblich. Kommt es dabei zu einem Verkehrsunfall, dann trägt der Fahrer des Fahrzeuges, das den Seitenstreifen entgegen den Vorschriften der StVO verbotswidrig benutzt hat, die Hauptschuld, wenn ein anderer Fahrzeugführer zeitgleich zum Überholenden nach rechts auf den Standstreifen ausschert, um zum Beispiel eine Rettungsgasse zu bilden, vgl. AG Recklinghausen, Urteil v. 13.3.2014 - 55 C 210/13, auch wenn dem Ausscheren dort ein anderer Anlass zugrunde lag.

02.0 Rechtsfahrgebot

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Das Rechtsfahrgebot schützt ausschließlich den erlaubten Gegen- und Überholverkehr. Verkehrsgerechtes Verhalten an Kreuzungen sowie an Straßeneinmündungen für den einmündenden oder ausfahrenden Verkehr richtet sich nach anderen Vorschriften der StVO.

§ 9 StVO (Abbiegen, Wenden und Rückwärtsfahren)

§ 10 StVO (Einfahren und Anfahren)

OLG München 2014: Das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO ist, wie schon der Wortlaut („möglichst weit rechts“) erkennen lässt, nicht starr. Was „möglichst weit rechts“ ist, hängt ab von der Örtlichkeit, der Fahrbahnart und -beschaffenheit, der Fahrgeschwindigkeit, den Sichtverhältnissen, dem Gegenverkehr und anderen Umständen. Dabei hat der Kraftfahrer einen gewissen Beurteilungsfreiraum, solange er sich so weit rechts hält, wie es im konkreten Fall im Straßenverkehr „vernünftig“ ist. Dieser Beurteilungsfreiraum entfällt indes dann, wenn - wie etwa an Kuppen oder in Kurven - die Strecke unübersichtlich ist. In diesen Fällen muss der Fahrer die äußerste rechte Fahrbahnseite einhalten, weil die Gefahr besteht, dass die Unübersichtlichkeit der Strecke ein rechtzeitiges Ausweichen nach rechts vor einem plötzlich auftauchenden Hindernis nicht mehr zulässt. Weiter hat die Rechtsprechung betont, dass dem Fahrer ein Beurteilungsfreiraum grundsätzlich nur innerhalb der rechten Fahrbahnhälfte verbleibt.

OLG München, Urteil vom 11. April 2014 - 10 U 4173/13

Hinsichtlich des Rechtsfahrgebotes auf Fahrstreifen, das auch für Kradfahrer gilt, haben die Richter des BGH sich wie folgt positioniert:

BGH 1990: Das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO ist nicht starr. Ob es verletzt ist, wenn sich ein Motorradfahrer in einer Kurve über den Sicherheitsabstand hinaus vom rechten Fahrbahnrand entfernt hat, lässt sich nicht abstrakt, sondern nur nach der konkreten Verkehrssituation beurteilen.

An anderer Stelle heißt es:

Dem Kläger kann nicht vorgeworfen werden, sich in diesem Sinne nicht „vernünftig“ verhalten zu haben, weil er sich der markierten Mittellinie um weniger als 1 m genähert habe. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich der Kläger im Bereich der für ihn linken Kurve mit seinem Motorrad der Mittellinie bis auf den Abstand von 65 cm nähern durfte, von dem mit dem Berufungsgericht im Streitfall auszugehen ist. In Rechtsprechung und Schrifttum hat sich für Fälle, in denen es an Besonderheiten wie etwa dem Überholverkehr nachfolgender oder entgegenkommender Fahrzeuge fehlt, die Auffassung durchgesetzt, dass auch noch ein Abstand von 50 cm zur Mittellinie hingenommen werden kann, weil dann zum Passieren zweier sich begegnender Fahrzeuge immer noch ein ausreichender Sicherheitsabstand von 1 m verbleibt; dies soll zumindest für Straßen von einer Breite von etwa 6 m gelten.

BGH, Urteil vom 20. Februar 1990 - VI ZR 124/89

Bei den im § 2 Abs. 2 StVO aufgeführten Örtlichkeiten und Verkehrssituationen, in denen das Rechtsfahrgebot zu beachten ist, handelt es sich lediglich um Beispiele, denn in allen Fällen von Unübersichtlichkeit gilt es, nicht nur die Geschwindigkeit zu verringern, sondern auch äußerst rechts zu fahren. Worauf die Unübersichtlichkeit beruht, das ist grundsätzlich ohne Bedeutung, denn anlässlich von Unübersichtlichkeit gelten die oben genannten Verhaltensweisen uneingeschränkt.

Grundsätzlich bedeutet, dass es vom strikten Rechtsfahrgebot auch Ausnahmen gibt. Die müssen sich aber aus besonderen Umständen ergeben, die für jedermann nachvollziehbar sind.

Beispiele:

  • Gegenstände liegen auf der Straße

  • Sachangepasste Fahrvernunft

  • Dichter Nebel

  • Benutzung einer Einbahnstraße etc.

Anders ausgedrückt: Das Rechtsfahrgebot ist nicht kleinlich, sondern situationsangemessen auszulegen.

02.1 Verkehrsgerechtes Rechtsfahren

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Verkehrsgerechtes Rechtsfahren setzt voraus, sich situationsangemessen zu verhalten.

Abstand zum rechten Fahrbahnrand: Der seitlich einzuhaltende Abstand zum Fahrbahnrand darf grundsätzlich 50 cm nicht unterschreiten.

Abstand beim Vorbeifahren an haltenden/parkenden Fahrzeugen:

Einen Regelabstand von 1 m wird man hierbei nicht unbedingt eingefordert werden können, denn 0,50 m können durchaus ausreichen, wenn andere Verkehrsteilnehmer dadurch nicht behindert oder gefährdet werden.

Ist eine Straße sehr schmal, dann darf dieser Abstand unterschritten werden.

Abstand beim Vorbeifahren an Bussen:

An Bussen des Linienverkehrs und an gekennzeichneten Schulbussen, die an Haltestellen halten und das Warnblinklicht eingeschaltet haben, darf nur mit Schrittgeschwindigkeit und nur in einem Abstand von mindestens 2 m vorbeigefahren werden.

Abstand beim Vorbeifahren an Fußgängern und Radfahrern:

Gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO muss beim Überholen ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern, insbesondere zu Fußgängern und Radfahrern, eingehalten werden.

Der Abstand, den Kraftfahrzeuge zu Radfahrenden innerorts einhalten müssen, beträgt 1,50 Meter/außerorts 2 m.

03.0 Vorrang der Schienenbahn

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Diesbezüglich ist die Regelung im § 2 Abs. 3 StVO eindeutig und bedarf keiner weiteren Kommentierung.

Dort heißt es:

(3) Fahrzeuge, die in der Längsrichtung einer Schienenbahn verkehren, müssen diese, soweit möglich, durchfahren lassen.

Warum? Der Fahrer der Schienenbahn kann grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihm Vorrang gewährt wird. Deshalb braucht er nicht damit zu rechnen, dass ein von ihm aus gesehen rechts fahrendes Fahrzeug plötzlich links blinkt und nach links ausschert. Andere Fahrzeugführer haben darauf zu achten, dass der Schienenbahn ausreichend Platz zur Durchfahrt zur Verfügung steht.

04.0 Radfahrer

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Auch Radfahrer haben auf Fahrbahnen rechts zu fahren, soweit Radwege oder andere Schonräume nicht zur Verfügung stehen. Fahrräder sind Fahrzeuge im Sinne der StVZO.

§ 63a StVZO (Fahrräder und Fahrradanhänger)

Radwege: Radfahrer haben beschilderte Radwege zu benutzen. Das setzt voraus, dass ein Radweg mit einem entsprechenden Schild (blau mit weißem Fahrradsymbol (Zeichen 237, 240 oder 241) als ein solcher gekennzeichnet ist. Die Anordnung der Benutzungspflicht muss an jeder Einmündung und Kreuzung wiederholt werden. Fehlt nach einer Kreuzung oder Einmündung das blaue Schild, endet hier die Benutzungspflicht.

Linke Radwege, besser ausgedrückt: Radwege entgegen der Fahrtrichtung, dürfen nicht benutzt werden, außer sie sind entsprechend beschildert, dann besteht eine Benutzungspflicht. Stehen auf dem rechten sowie auf dem linken Radweg die oben genannten Gebotszeichen, dann können die Radwege in beide Richtungen befahren werden.

Der Bedeutungsinhalt des Gebotszeichens 237 StVO (Radweg) im Überblick:

  • Radverkehr auf der Fahrbahn ist untersagt

  • Fahren ist nur auf dem Radweg zulässig (Benutzungspflicht)

  • Anderer Verkehr ist auf dem ausgewiesenen Radweg unzulässig

  • Anderer Verkehr kann durch Zusatzzeichen erlaubt sein

  • Radverkehr hat Vorrang.

Schutzstreifen für Radfahrer ohne Beschilderung: Sind auf einer Fahrbahn so genannte Schutzstreifen für Radfahrer markiert, dann handelt es sich bei diesen Schutzstreifen um einen Teil der Fahrbahn. Sie stellen einen für Radfahrer vorgesehenen Bereich dar, der Radfahrer schützen soll. Daraus ergibt sich, dass Radfahrer auf Fahrbahnen nicht neben Schutzstreifen fahren dürfen, die dem Kraftfahrzeugverkehr als Fahrspur dienen. Zur Benutzungspflicht von Schutzstreifen gibt es gegenteilige Meinungen: Einerseits argumentieren manche, dass aufgrund des Rechtsfahrgebotes Schutzstreifen benutzt werden müssen. In Anlehnung an ein Urteil des OVG Lüneburg vom 25.07.2018 Az. 12 LC 150/16 kann jedoch davon ausgegangen werden, dass es keine Benutzungspflicht für Schutzstreifen gibt, sondern der Grundsatz, möglichst weit rechts zu fahren, gilt. Oftmals werden Schutzstreifen für den Radverkehr beidseitig angelegt. Ist nur auf der rechten Seite ein Schutzstreifen markiert, gilt der nur für diese Fahrtrichtung.

Radfahrstreifen mit Beschilderung: Diese Verkehrsflächen sehen aus wie Seitenstreifen, sind aber ebenfalls mit blauen Schildern gekennzeichnet. Für solchermaßen beschilderte Radfahrstreifen gilt das gleiche wie für benutzungspflichtige Radwege.

Fahrradstraßen: Eine Fahrradstraße ist ausschließlich für Fahrräder bestimmt. Ausnahmen gelten, wenn diese durch entsprechende Zusatzzeichen angezeigt sind. Auf Fahrradstraßen gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h. Kraftfahrzeugverkehr muss auf Radfahrer Rücksicht nehmen und ggf. die Geschwindigkeit weiter reduzieren.

Radfahrer dürfen auf Fahrradstraßen nebeneinander fahren.

Fahrradstraßen sind grundsätzlich für Kraftfahrzeuge gesperrt. Autos, Motorräder und Lastwagen dürfen dort nur fahren, wenn ein Zusatzschild das erlaubt. Das Gleiche gilt für Fußgänger, Rollerfahrer oder Inline-Skater.

Radler haben auf Fahrradstraßen Vorrang.

Seitenstreifen: Die dürfen von Radfahrern benutzt werden, wenn keine Radwege vorhanden sind und Fußgänger dadurch nicht behindert werden.

04.1 Pedelecs-Fahrräder

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Gemäß § 1 Abs. 3 StVG werden Pedelecs den Fahrrädern gleichgestellt. In einem Beschluss des OLG Karlsruhe aus dem Jahr 2020 heißt es:

OLG Karlsruhe 2020: Es liegt nahe, Elektrofahrräder mit Begrenzung der motorunterstützten Geschwindigkeit auf 25 km/h (sog. Pedelecs) auch strafrechtlich nicht als Kraftfahrzeuge einzustufen.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. Juli 2020 – 2 Rv 35 Ss 175/20

Die Richter verweisen in ihrer Begründung auf die im § 1 Abs. 3 StVG enthaltene Regelung hin, dass diese Elektrofahrräder keine Kraftfahrzeuge im Sinne des Straßenverkehrsgesetzes sind.

Pedecles sind somit keine Kraftfahrzeuge.

§ 1 StVG (Zulassung)

E-Bikes hingegen, welche in Abgrenzung zum Pedelec mehr als 25 km/h fahren können, werden als Mofa, Kleinkraftrad oder Leichtkraftrad angesehen und sind damit Kraftfahrzeuge. Diesbezüglich sind die nachfolgenden Paragrafen der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) einschlägig. Dennoch dürfen auch solche Kraftfahrzeuge die Radwege, auch die von Radfahrern und Fußgängern gemeinsam zu nutzenden Schonräume befahren, siehe § 10 eKFV.

§ 1 eKFV (Anwendungsbereich)

§ 10 eKFV (Zulässige Verkehrsflächen)

§ 11 eKFV (Allgemeine Verhaltensregeln)

04.2 Rennräder

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Allgemein wird ein Fahrrad dann als Rennrad bezeichnet, wenn es wie ein Rennrad aussieht. Wie auch immer ein Fahrrad aussehen mag, jedes Fahrrad, egal ob es sich dabei um ein Touren-, ein Rennrad oder um ein Mountainbike handelt, muss verkehrssicher sein und den Vorschriften der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) entsprechen, wenn es im öffentlichen Straßenverkehr benutzt wird.

§ 63a StVZO (Fahrräder und Fahrradanhänger)

Auch Rennradfahrer, besser gesagt, alle die gerne Rennfahrer wären, müssen sich folglich, wie alle anderen Fahrradfahrer auch, an die Straßenverkehrsordnung (StVO) halten. Daher gilt auch hier für alle Fahrer von „Rennrädern“ die Benutzungspflicht von ausgeschilderten Radwegen oder Radfahrstreifen. Eine Ausnahme für die Nutzungspflicht von einem Radweg, ob mit normalen Fahrrad oder einem Rennrad, bilden Kinder bis zehn Jahre. Dazu gleich mehr.

Immer dann, wenn der Radweg mit einem blauen Verkehrszeichen Zeichen 237, 240 oder 241 StVO gekennzeichnet ist, greift die Benutzungspflicht. Das ergibt sich aus § 2 Abs. 4 Satz 2 der StVO. Das Fahren auf der begleitenden Fahrbahn ist dann verboten.

Baulich gekennzeichnete Radwege, gemeint sind aufgebrachte Piktogramme auf der Straße, sind nur dann benutzungspflichtig, sofern sie durch Zeichen 237, 240 oder 241 gekennzeichnet sind. Bei solchen Verkehrsflächen handelt es sich um „Radwege ohne Benutzungspflicht“, also um fahrbahnbegleitend baulich angelegte Fahrstreifen, die dem Radverkehr vorbehalten sind. Es ist - etwa durch Piktogramme - für jeden erkennbar, dass es sich um einen Radweg handelt, jedoch ist dieser ohne Benutzungsanordnung, soweit eine Beschilderung durch die Zeichen 237, 240 oder 241 fehlt.

Verband: Mehr als 15 Radfahrer, die einen geschlossenen Verband bilden, können zu zweit nebeneinander auf der Fahrbahn fahren. Im Zusammenhang mit Radsportlern kommt es oftmals vor, dass Gruppen in dieser Stärke gemeinsam auf Rennrädern unterwegs sind.

§ 27 StVO (Verbände)

Verhalten an Ampelkreuzungen: Ist keine eigene Ampel für den Fahrradverkehr vorhanden, müssen Radfahrer sich nach der Ampel für den Kfz-Verkehr richten. Das gilt auch dann, wenn sie einen Radweg neben der Fahrbahn benutzen. Eine Haltelinie auf dem Radweg verdeutlicht, wo bei Rotlicht auf dem Radweg anzuhalten ist.

Fußgängerampeln gelten nur für Fußgänger. Das war, im Gegensatz zu heute, nicht immer so. Für Radfahrer gelten heute ausschließlich die Ampeln für Kfz, oder die, die sich unmittelbar an Radfahrer richten oder die für Fußgänger und Radfahrer gleichermaßen gelten (Ampelsymbol Radfahrer) und (Ampelsymbol Radfahrer/Fußgänger).

Beim Verlassen eines Radweges gelten für Radfahrer erhöhte Sorgfaltspflichten.

LG Frankenthal 2010: Grundsätzlich ist das Verhalten eines Radfahrers bei Verlassen eines Radweges an den in § 10 S. 1 StVO niedergelegten Sorgfaltsanforderungen zu messen. Danach hat sich ein Verkehrsteilnehmer, der „von anderen Straßenteilen“ auf die Fahrbahn einfahren will, so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Das Verlassen eines Radweges entspricht dem Verlassen eines derartigen Straßenteiles mit der Folge, dass sich ein Radfahrer an diesen erhöhten Sorgfaltsmaßstäben des § 10 StVO messen lassen muss.

Da die Unfälle mit Radfahrern zunehmen, gehört es zu den Aufgaben der Polizei, nicht nur darauf zu achten, dass sich Radfahrer an die Regeln halten, sondern festgestelltes Fehlverhalten auch zu ahnden, wozu in der Regel die Erteilung eines Verwarnungsgeldes ausreicht, wenn der betroffene Radfahrer damit einverstanden ist. Andernfalls ist das Fehlverhalten zur Anzeige zu bringen.

§ 10 StVO (Einfahren und Anfahren)

Radfahrer verhalten sich an Fußgängerüberwegen oftmals verkehrswidrig.

LG Frankenthal 2010: Derjenige, der radfahrenderweise einen Fußgängerüberweg überquert, wird vom Schutzbereich eines Fußgängerüberwegs nicht erfasst. Gem. § 26 Abs. 1 StVO sind an Fußgängerüberwegen lediglich Fußgänger sowie Fahrer von Krankenfahrstühlen oder Rollstühlen privilegiert, nur diesen räumt die Straßenverkehrsordnung gegenüber Fahrzeugen des fließenden Verkehrs Vorrang ein. Dem gegenüber genießt ein Radfahrer, der sich als solcher fortbewegt, bei Überquerung der Fahrbahn auf einem Fußgängerüberweg gerade nicht den Schutz des § 26 Abs. 1 StVO.

LG Frankenthal, Urteil vom 24.11.2010, 2 S 193/10

§ 26 StVO (Fußgängerüberwege)

04.3 Abstellen von Fahrrädern auf Gehwegen

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Fahrräder dürfen grundsätzlich auf Gehwegen abgestellt werden. Fällt ein dort geparktes Fahrrad gegen ein Auto, muss der Radfahrer nicht automatisch für entstandene Schäden haften, so eine Entscheidung des Amtsgerichts München vom 11. Juni 2013 – 261 C 8956/13.

04.4 Zusammenfassung Radwege

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Wegen der Zunahme von Unfällen unter Beteiligung von Radfahrern, den Benutzern von E-Bikes, E-Scootern und anderen Kleinfahrzeugen, halte ich es für geboten, an dieser Stelle, unter Rückgriff auf ein von den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages 2019 erstellten Rechtsgutachtens, sozusagen die bisher gemachten Ausführungen im Zusammenhang mit der Benutzung von Radwegen etc. noch einmal aufzuzeigen. Über den im Anschluss der Zitate beigefügten Link können Sie das Gutachten in Gänze einsehen, wozu ich nur raten kann.

In dem Gutachten heißt es zum Thema Radwege wie folgt:

2. Begriffserklärungen

Grundsätzlich ist der Radfahrer nach § 2 Abs. 1 StVO verpflichtet, die Fahrbahn zu benutzen. Das Rechtsfahrgebot gilt entsprechend. Ausnahmsweise kann die Nutzung einer Radverkehrsanlage angeordnet werden. Unterschieden wird daher zwischen benutzungspflichtigen und nicht benutzungspflichtigen Radwegen. Eine Benutzungspflicht für Radwege ist nur zur Wahrung oder Erhöhung der Verkehrssicherheit zulässig.

2.1. Benutzungspflichtige Radwege

Die Benutzungspflicht richtet sich nach § 2 Abs. 4 StVO. Demnach wird diese durch die Zeichen 237, 240 oder 241 angeordnet. Folgende Konstellationen von benutzungspflichtigen Radwegen sind üblicherweise denkbar:

2.1.1. Radweg

Die Benutzung eines Radweges wird durch Zeichen 237 angeordnet. Er ist Teil der Straße, zu der auch die Fahrbahn gehört, und stellt eine erkennbare Alternative zur Fahrbahn dar. Liegen diese Voraussetzungen vor, darf die Fahrbahn selbst nur noch in Ausnahmefällen genutzt werden, etwa wenn die Benutzung des benutzungspflichten Radweges nicht zumutbar ist, der Radweg durch bauliche Maßnahmen unterbrochen wird oder Hindernisse die Nutzbarkeit bzw. den Zweck des Radweges beeinträchtigen.

2.1.2. Gemeinsamer Fuß- und Radweg

Der gemeinsame Fuß- und Radweg wird durch Zeichen 240 angeordnet. Hier nutzen Fußgänger und Radfahrer die gleiche Verkehrsfläche unter dem Grundsatz der Vorsicht und gegenseitigen Rücksichtnahme gemäß § 1 Abs. 1 StVO. Ausnahmen hinsichtlich der Benutzungspflicht gelten entsprechend.

2.1.3. Getrennter Fuß- und Radweg

Der getrennte Fuß- und Radweg wird durch Zeichen 241 angeordnet und bezeichnet Radwege, die neben dem Fußgängerverkehr durch eine optische Abgrenzung errichtet werden, sodass eine Trennung der Verkehrsfläche für Fußgänger und Radfahrer erfolgt.

2.1.4. Radfahrstreifen

Radfahrstreifen sind auf Fahrbahnniveau angelegte Radwege. Neben dem Zeichen 237 werden sie von der Fahrbahn durch Zeichen 295 - die Fahrbahnbegrenzung in Form des Breitstrichs mit einer Breite von 0,25 Metern - begrenzt. Diese Begrenzung darf von den Verkehrsteilnehmern nicht überfahren werden.

2.1.5. Schutzstreifen

Im Gegensatz zum Radfahrstreifen ist der Schutzstreifen lediglich durch eine Leitlinie - Zeichen 340 - von der Fahrbahn abgegrenzt. Diese Leitlinie darf bei Bedarf überfahren werden, sofern keine anderen Verkehrsteilnehmer dadurch gefährdet werden. Der Schutzstreifen für den Radverkehr ist in regelmäßigen Abständen mit dem Sinnbild „Radverkehr“ auf der Fahrbahn gekennzeichnet.

2.1.6. Fahrradstraße

Die Fahrradstraße ist ein Radweg auf der Fahrbahn. Durch das Zeichen 244.1 wird anderer Fahrzeugverkehr als der Radverkehr von der Nutzung der Fahrbahn ausgeschlossen, es sei denn, dies ist durch Zusatzzeichen erlaubt. Auf einer Fahrradstraße haben unabhängig von weiteren Nutzungserlaubnisregelungen Radfahrer Vorrang.

2.2. Nicht benutzungspflichtige Radwege

Radwege ohne Benutzungspflicht sind fahrbahnbegleitend baulich angelegte Fahrstreifen, die dem Radverkehr vorbehalten sind. Es ist - etwa durch Piktogramme - für jeden erkennbar, dass essich um einen Radweg handelt, jedoch ist dieser ohne Benutzungsanordnung durch eines der Zeichen 237, 240 oder 241 angelegt. Diese Radwege dürfen nur rechtsseitig befahren werden, es sei denn, das Zusatzzeichen 1022-10 „Radfahrer frei“ erlaubt auch den Linksverkehr. Dies soll aber innerorts weitestgehend vermieden werden.

2.3. Keine Radwege

Keine Radwege sind hingegen für den Radverkehr freigegebene Gehwege.

Wissenschaftliche Dienste Sachstand – WD 7 - 3000 - 191/13

Link zum Gutachten

05.0 Kinder mit Rädern auf Gehwegen

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Diesbezüglich ist die Regelung im § 2 Abs. 5 StVO eindeutig.

Dort heißt es:

(5) Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr müssen, Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr dürfen mit Fahrrädern Gehwege benutzen. Ist ein baulich von der Fahrbahn getrennter Radweg vorhanden, so dürfen abweichend von Satz 1 Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr auch diesen Radweg benutzen. Soweit ein Kind bis zum vollendeten achten Lebensjahr von einer geeigneten Aufsichtsperson begleitet wird, darf diese Aufsichtsperson für die Dauer der Begleitung den Gehweg ebenfalls mit dem Fahrrad benutzen; eine Aufsichtsperson ist insbesondere geeignet, wenn diese mindestens 16 Jahre alt ist. Auf zu Fuß Gehende ist besondere Rücksicht zu nehmen. Der Fußgängerverkehr darf weder gefährdet noch behindert werden. Soweit erforderlich, muss die Geschwindigkeit an den Fußgängerverkehr angepasst werden. Wird vor dem Überqueren einer Fahrbahn ein Gehweg benutzt, müssen die Kinder und die diese begleitende Aufsichtsperson absteigen.

05.1 Aufsichtspflichtige Personen

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Der Umfang und die Sorgfalt wahrzunehmender Aufsichtspflichten ergeben sich aus dem BGB. Diesbezüglich wird auf die bereits gemachten Ausführungen im Kapitel „Handlungsfeld des Verkehrsrechts“ verwiesen.

Eine Verletzung der Aufsichtspflicht liegt immer dann vor, wenn die aufsichtsführende Person ihren Pflichten nachweislich nicht nachgekommen ist. In erster Linie richten sich die Schadensersatzansprüche bei der Verletzung von Aufsichtspflichten nach § 832 BGB und § 831 BGB.

§ 831 BGB (Haftung für den Verrichtungsgehilfen)

§ 832 BGB (Haftung des Aufsichtspflichtigen)

Haftungspflichten entstehen aber nur dann, wenn eindeutig ist, dass die verantwortliche Person ihre Aufsichtspflicht tatsächlich verletzt hat und das jeweils eingetretene Schadensereignis vorhersehbar war.

Daraus kann abgeleitet werden, dass Eltern beziehungsweise andere aufsichtspflichtige Personen die ihnen anvertrauten Personen nicht permanent überwachen müssen. Kommt es trotz größter Aufmerksamkeit aufsichtspflichtiger Personen im Straßenverkehr zu einem Unfall des ihnen anvertrauten Schützlings, muss die Frage der Verantwortung sorgfältig am Einzelfall geprüft werden. Das ist im Übrigen auch Aufgabe der Polizei bei der Aufnahme solcher Unfälle. Das bedeutet, dass möglichst genau der Hergang des Unfalls zu ermitteln ist. Haftungsansprüche scheiden zum Beispiel dann aus, wenn unvorhergesehene und spontane Taten von Personen, die der Aufsicht unterliegen, den Schaden verursacht haben. Zwar entscheidet die Polizei nicht über „Recht oder Schuld“, dennoch wird auf der Grundlage polizeilicher Ermittlungsarbeit zu einem späteren Zeitpunkt entschieden, wer für den angerichteten Schaden aufzukommen hat.

05.2 Fußgänger

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Fußgänger haben die Gehwege zu benutzen und die im § 25 StVO (Fußgänger) enthaltenen Regelungen zu beachten.

§ 25 StVO (Fußgänger)

Andere Verkehrsarten dürfen die für Fußgänger vorgesehenen Gehwege nicht benutzen, soweit es sich nicht um einen Schonraum handelt, der sowohl von Fußgängern als auch von Radfahrern benutzt werden kann. Das Radfahren auf Gehwegen ist eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit.

Skateboardfahrer: Es ist in der StVO nicht eindeutig geregelt, ob Skateboardfahrer den Bürgersteig benutzen dürfen oder auf der Straße fahren müssen. Das liegt an der unklaren Definition in § 24 StVO.

§ 24 StVO (Besondere Fortbewegungsmittel)

Nach der hier vertretenen Auffassung haben Skateboardfahrer die Gehwege zu benutzen, weil sie eigentlich in den Katalog der besonderen Fortbewegungsmittel mit aufgenommen werden müssten.

Sie sind also auf den Gehwegen, in Fußgängerzonen und auch in anderen verkehrsberuhigten Bereichen zugelassen, soweit sie dort die für alle Verkehrsteilnehmer geltenden Grundregeln des § 1 StVO beachten.

§ 1 StVO (Grundregeln)

Klares Verbot für die Straße. Skateboards dürfen nicht auf der öffentlichen Straße oder auf dem Radweg fahren. Dafür sind sie schlicht zu langsam und somit als Hindernis einzustufen.

§ 32 StVO (Verkehrshindernisse)

Inlineskater: Diese Verkehrsteilnehmer sind wie Fußgänger zu behandeln und müssen den Gehweg benutzen. Dabei müssen sie ihre Geschwindigkeit den Fußgängern anpassen. Sind keine Gehwege vorhanden, müssen Inlinefahrer innerorts am rechten oder linken, außerorts am linken Fahrbahnrand fahren.

06.0 Anpassung an Witterung - Gefahrgut

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Diesbezüglich ist die Regelung im § 2 Abs. 3a StVO so komplex und unübersichtlich, dass an dieser Stelle nur auf den Wortlaut der Norm verwiesen wird.

§ 2 StVO (Straßenbenutzung durch Fahrzeuge)

Diese Norm enthält nicht nur eine Verpflichtung, sich sofort an plötzlich eintretende Witterungsverhältnisse anzupassen. Hinsichtlich der Bereifung im Winter wird von Fahrzeughaltern auch erwartet, ihre Fahrzeuge mit einer „geeigneten“ Bereifung auszustatten.

Dennoch: Das Fahren mit Sommerreifen im Winter ist nicht verboten, wohl aber fahrlässig, denn wenn es zu einem plötzlichen Wintereinbruch oder zu Blitzeisbildung zum Beispiel auf Autobahnen kommt, ist die Benutzung eines unzureichend ausgerüsteten Fahrzeuges mindestens fahrlässig.

Die Norm stellt auf alle Witterungseinflüsse ab, nicht nur auf die jeweils vorgefundenen Straßenverhältnisse. Die Anpassungsvorschrift bezieht sich nicht auch nicht nur auf die Bereifung, sondern auch auf andere Ausrüstungsgebote hinsichtliche (Beleuchtung, Scheibenwischer etc.).

Wer ein kennzeichnungspflichtiges Fahrzeug mit gefährlichen Gütern führt, muss bei einer Sichtweite unter 50 m, bei Schneeglätte oder Glatteis, jede Gefährdung Anderer ausschließen und wenn nötig den nächsten geeigneten Platz zum Parken aufsuchen.

07.0 Ordnungswidrigkeiten

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Verstöße gegen § 2 StVO (Straßenbenutzung durch Fahrzeuge) sind bußgeldbewehrt. Im Folgenden werden einige Verstöße aus dem Bußgeldkatalog 2023 zitiert.

§ 2 Abs. 1 StVO

102000
Sie benutzten vorschriftswidrig nicht die Fahrbahn. 10 Euro

§ 2 Abs. 1, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; -- BKat

102100
Sie benutzten vorschriftswidrig den Gehweg. 55,00 Euro

§ 2 Abs. 1, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 2 BKat

102126
Sie benutzten vorschriftswidrig den linken Radweg. 55,00 Euro

§ 2 Abs. 1, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 2 BKat

§ 2 Abs. 2 StVO

102006
Sie fuhren nicht möglichst weit rechts. 5,00 Euro

§ 2 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; -- BKat

102130
Sie benutzten nicht die rechte Fahrbahnseite. 15,00 Euro

§ 2 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 3.1 BKat

102144
Sie missachteten als Radfahrer das Rechtsfahrgebot, indem Sie den markierten Schutzstreifen nicht benutzten, und gefährdeten dadurch Andere. 25,00 Euro

§ 2 Abs. 2, § 1 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG;

3.4.2 BKat; § 19 OWiG

§ 2 Abs. 3, 3a StVO

102148
Sie ließen die in Längsrichtung fahrende Schienenbahn nicht durchfahren. 5,00 Euro

§ 2 Abs. 3, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 5 BKat

102706

Sie fuhren bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte ohne die vorgeschriebenen Reifen für winterliche Wetterverhältnisse. 1 Punkt und 60,00 Euro

§ 2 Abs. 3a, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 5a BKat

102690
Sie verhielten sich als Führer eines kennzeichnungspflichtigen Kraftfahrzeugs mit gefährlichen Gütern bei einer Sichtweite unter 50 m/Schneeglätte oder Glatteis *) nicht so, dass eine Gefährdung Anderer ausgeschlossen war. 1 Punkt 140,00 Euro

§ 2 Abs. 3a, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 6 BKat

§ 2 Abs. 4 StVO

102167
Sie fuhren als Radfahrer/Mofafahrer *) nebeneinander und

Behinderten +) dadurch Andere. 20,00 Euro

§ 2 Abs. 4, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 7.2.1 BKat

102174
Sie befuhren den Radweg in nicht zulässiger Richtung, obwohl ein Radweg oder Seitenstreifen in zulässiger Richtung vorhanden war,

und behinderten +) dadurch Andere. 25,00 Euro

§ 2 Abs. 4, § 1 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG;

7.3.1 BKat; § 19 OWiG

102021
Sie benutzten als Mofafahrer vorschriftswidrig den Radweg innerhalb einer geschlossenen Ortschaft. Es kam zum Unfall. 35,00 Euro

§ 2 Abs. 4, § 1 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; -- BKat;

§ 19 OWiG

08.0 Zunahme der Wegeunfälle

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Bei einem Wegeunfall handelt es sich, nach dem Sprachgebrauch der Unfallversicherer, um einen meldepflichtigen Unfall auf dem Weg zur Arbeit oder zurück nach Hause.

Diesbezüglich belegen die Zahlen der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), dass nicht nur die Unfälle mit Fahrrädern, sondern auch die mit E-Bikes und E-Scootern in einem besorgniserregenden Umfang zugenommen haben. Inzwischen handelt es sich bei jedem fünften Wegeunfall um einen Unfall mit dem Fahrrad.

Auch die Unfälle mit dem E-Bike oder Pedelec haben sich von 2019 bis 2022 mehr als vervierfacht, siehe Pressemeldung der DGUV vom 16. Juni 2023: Wegeunfälle mit dem Fahrrad nehmen zu - DGUV. Dieser Trend hat sich auch in der Polizeibehörde, in der Lars und Mia ihren Dienst versehen eingestellt.

Beispiel: Im Innenstadtbereich haben die Zweiradunfälle zugenommen. Lars und Mia haben deshalb einen Haltepunkt an einem Ort eingenommen, an dem sich in den letzten Wochen mehrere Unfälle ereignet haben, die durch Radfahrer verursacht wurden, die einen markierten und beschilderten Schutzstreifen verließen, um unter Nutzung der Normalfahrspur für Pkw vorausfahrende Radfahrer besser überholen zu können. Dabei ist es zu Zusammenstößen mit Pkw gekommen. Lars und Mia stehen mit ihrem Streifenwagen auf einem breiten Gehweg, den die Radfahrer nicht einsehen können, den Beamten es aber jederzeit möglich ist, auf festgestelltes Fehlverhalten sofort reagieren zu können. Rechtslage?

Dass es in diesem Beispiel um die Erforschung und Verfolgung von Verkehrsverstößen geht, die von Radfahrern, E-Bike-Fahrern oder den Benutzern von E-Scootern begangen werden können, dürfte offenkundig sein.

Die Frage, auf die es dennoch zuerst einmal eine Antwort zu finden gilt, lautet: Durften Lars und Mia ihren Streifenwagen auf einem Gehweg positionieren, um den Radfahrverkehr beobachten und sofort einschreiten zu können, wenn von den Beamten ein Fehlverhalten festgestellt worden ist?

Diese Frage gilt es zuerst einmal zu konkretisieren, um sie rechtlich korrekt beantworten zu können.

Frage 1:

Handelt es sich bei der Einnahme eines Haltepunktes bereits um eine polizeiliche Maßnahme, die den Nachweis einer Ermächtigung voraussetzt?

Frage 2:

Lässt es die Straßenverkehrsordnung zu, dass Polizeibeamte ihre Dienstfahrzeuge zum Zweck der Überwachung des Straßenverkehrs auf einem Gehweg platzieren dürfen?

Zur Frage 1:

Bei der Einnahme eines Haltepunktes handelt es sich noch nicht um eine polizeiliche Maßnahme, durch die in die Rechte von Grundrechtsträgern eingegriffen wird. Insoweit reicht es aus, dass Lars und Mia sowohl örtlich als auch sachlich zuständig sind. Es kann davon ausgegangen werden, dass Lars und Mia im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Behörde den Haltepunkt einnehmen, in dem sie Polizeivollzugsdienst versehen, insoweit kann von örtlicher Zuständigkeit ausgegangen werden. So lange, wie noch kein Fehlverhalten von Verkehrsteilnehmer festgestellt wurde, dient die Einnahme eines Haltepunktes dem Zweck, den Straßenverkehr zu überwachen. Diese Aufgabe wird durch das Polizeiorganisationsgesetz in Nordrhein-Westfalen (POG NRW) den Kreispolizeibehörden übertragen.

§ 11 POG NRW (Sachliche Zuständigkeit der Kreispolizeibehörden)

Die Einnahme des Haltepunktes dient diesem Zweck.

Definition Bußgeldkatalog: Ziel der Verkehrsüberwachung ist es, Gefahrensituationen frühzeitig zu erkennen, um Unfälle oder Staus zu vermeiden. Die Verkehrsüberwachung dient aber auch dazu, Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen und mit Sanktionen aus dem Bußgeldkatalog zu ahnden. Die Verkehrsüberwachung soll zudem dazu beitragen, dass Verkehrsteilnehmer sich an die bestehenden Regeln halten und fair miteinander umgehen. Die Verkehrsüberwachung hat also immer auch eine erzieherische Absicht.

Bußgeldkatalog 2023: So funktioniert die Verkehrsüberwachung in Deutschland

Bei der Einnahme eines Haltepunktes handelt es sich um so genanntes „schlicht hoheitliches Handeln“. Dafür reicht der Nachweis der Zuständigkeit aus.

Zur Frage 2

Die Benutzung von Gehwegen, die durch Zeichen 239 der Anlage zur StVO gekennzeichnet sind, ist dem Fahrzeugverkehr nicht gestattet.

Um die Nutzung eines Gehweges zur Überwachung des Straßenverkehrs durch Polizeibeamte rechtfertigen zu können, ist es deshalb notwendig, nachzuweisen, dass die dafür nachzuweisenden Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Sonderrechten gegeben sind.

§ 35 StVO (Sonderrechte)

Danach ist zum Beispiel die Polizei von der Einhaltung bestehender Verkehrsregeln befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist. Bei der Wahrnehmung der Überwachung des Straßenverkehrs handelt es sich offensichtlich um eine Zuständigkeit, die der Polizei durch POG NRW übertragen worden ist. Die Inanspruchnahme eines Gehweges zur Erfüllung dieser hoheitlichen Aufgabe ist auch dringend geboten, um ein zunehmend unfallträchtigeres Fehlverhalten nicht nur feststellen, sondern gegebenenfalls auch verfolgen zu können. Hier wird davon ausgegangen, dass durch die Art und Weise der Inanspruchnahme von Sonderrechten durch Lars und Mia der Fußgängerverkehr nicht beeinträchtigt wird, so dass von Lars und Mia Sonderrechte unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Anspruch genommen werden.

09.0 Beispiel: Verwarnung eines Radfahrers

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Lars und Mia haben den Haltepunkt gerade erst eingenommen, als sie Zeuge des nachfolgend skizzierten Sachverhalts werden.

Beispiel: Auf dem markierten Schutzstreifen nähert sich ein Radfahrer, der offensichtlich nur eins im Sinn hat: möglichst schnell an seinen Zielort zu kommen. Um schnell eine vor ihm fahrende Radfahrerin überholen zu können, hält er es für angemessen, ruckartig auf die Fahrspur der Pkw-Fahrer auszuweichen. Dabei wäre es fast zu einem seitlichen Zusammenstoß mit einem Pkw-Fahrer gekommen, der erkennbar erbost reagiert und durch Betätigen der Hupe seinen Unmut zum Ausdruck bringt. Lars und Mia nehmen dieses Fehlverhalten des Radfahrers zum Anlass, ihn nicht nur anzuhalten, sondern für sein Fehlverhalten auch mit einem Verwarnungsgeld zu belegen. Rechtslage?

Im Bußgeldkatalog 2023 heißt es, das festgestellte Fehlverhalten des Radfahrers betreffend, wie folgt:

102144
Sie missachteten als Radfahrer das Rechtsfahrgebot, indem Sie den markierten Schutzstreifen nicht benutzten, und gefährdeten dadurch Andere. 25,00 Euro

Auch das Anhalten des Radfahrers setzt voraus, dass Lars und Mia nur dann rechtmäßig einschreiten, wenn sie sowohl zuständig als auch ermächtigt sind. Das die beiden örtlich zuständig sind, das wurde bereits festgestellt.

Im Gegensatz zur örtlichen Zuständigkeit, die gleich geblieben ist, hat sich aber die sachliche Zuständigkeit von Lars und Mia verändert, denn nunmehr geht es nicht mehr um die Überwachung des Straßenverkehrs, sondern um die Verfolgung einer festgestellten Verkehrsordnungswidrigkeit. Diesbezüglich ist die sachliche Zuständigkeit durchaus kompliziert geregelt, denn dafür stehen unterschiedliche Rechtsquellen zur Verfügung, die im Folgenden dargestellt werden.

§ 10 POG NRW (Allgemeine sachliche Zuständigkeit der Polizeibehörden)

§ 11 POG NRW (Sachliche Zuständigkeit der Kreispolizeibehörden)

Ergänzend dazu heißt es in der Erlassregelung NRW „Verfolgung von Verkehrsverstößen durch die Polizei und Erhebung von Sicherheitsleistungen bei Ordnungswidrigkeiten und Straftaten Verfolgung und Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten durch die Ordnungsbehörden RdErl. d. Ministeriums für Inneres und Kommunales - 43.8 - 57.04.16 - v. 2.11.2010“ wie folgt:

Die Kreisordnungsbehörden sind zuständig für die Verfolgung und Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten nach den §§ 23, 24, 24 a und 24 c des StVG.

Dazu ist Folgendes anzumerken: § 23 StVO ist weggefallen und im § 24 StVG wird auf § 6 StVG (Verordnungsermächtigung) verwiesen. Danach ist das Bundesministerium für Verkehr befugt, zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen, Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassen. Dazu gehört insbesondere die Straßenverkehrsordnung und die dort im § 49 StVO (Ordnungswidrigkeiten) aufgelisteten Verkehrsordnungswidrigkeiten.

§ 49 StVO (Ordnungswidrigkeiten)

Diese Ordnungswidrigkeiten zu erforschen und zu verfolgen ist Aufgabe der Polizei. Da im § 49 StVO die Paragrafen 24a StVG (0,5 Promille-Grenze) und der § 24c StVG (Alkoholverbot für Fahranfänger und Fahranfängerinnen) nicht aufgeführt sind, verweist der oben zitierte Erlass konsequenterweise im Hinblick auf die polizeiliche Zuständigkeit auch auf diese beiden von der Polizei zu verfolgenden Verkehrsordnungswidrigkeiten.

§ 24a StVG (0,5 Promille-Grenze)

§ 24c StVG (Alkoholverbot für Fahranfänger und Fahranfängerinnen)

Damit ist der Reigen von Regelungen, die die polizeiliche Zuständigkeit im Hinblick auf die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten, wozu auch Verkehrsordnungswidrigkeiten gehören, noch nicht abgeschlossen, denn im Ordnungswidrigkeitengesetz sind weitere Regelungen enthalten, die sowohl die Erforschung als auch die Verfolgung und auch die der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten durch die Polizei betreffen.

§ 53 OWiG (Aufgaben der Polizei)

§ 56 OWiG (Verwarnung durch die Verwaltungsbehörde)

§ 57 OWiG (Verwarnung durch Beamte des Außen- und Polizeidienstes)

Ich gehe davon aus, dass Sie die verlinkten Gesetzesquellen aufgerufen und auch gelesen, zumindest aber grob gesichtet haben. Aber auch wenn Sie das getan haben, gehe ich nicht davon aus, dass Sie bereits jetzt schon alles verstanden haben. Das ist auch nicht erforderlich, denn für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte reicht es im Prinzip aus, darauf vertrauen zu können, dass die Polizei sowohl zur Erforschung als auch zur Verfolgung – und in einem begrenzten Ausmaß, gemeint ist das Verwarnungsgeldverfahren, auch dazu befugt ist, festgestellte Verkehrsordnungswidrigkeiten vor Ort mit dem Einverständnis des Betroffenen durch die Festsetzung eines Verwarnungsgeldes ahnden können. Dennoch sollten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte wissen, wo und wie die Zuständigkeiten geregelt sind.

Unabhängig von der oben skizzierten sachlichen Zuständigkeit sind Lars und Mia natürlich auch weiterhin zuständig im Hinblick auf Aufgaben, die sich aus der Überwachung des Straßenverkehrs ergeben. Diese Zuständigkeit erlischt ja nicht automatisch, wenn speziellere Zuständigkeiten greifen, zumal im hier zu erörternden Fall, dem sich verkehrswidrig verhaltenen Radfahrer ja auch Zeichen und Weisungen erteilt werden, für die eine Befugnis in Betracht kommt, die sich aus dem § 36 Abs. 5 StVO (Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten) ableiten lässt. Wie dem auch immer sei. Sinnvoll ist es, zuerst einmal davon auszugehen, dass Lars und Mia zur Verfolgung des festgestellten Fehlverhaltens sachlich zuständig sind.

Die Frage, auf die es jetzt eine Antwort zu finden gilt, lautet: Welche Befugnis erlaubt es den beiden Beamten, den sich verkehrswidrig verhaltenen Radfahrer anzuhalten.

Zuerst einmal ist festzustellen, dass sich die Rechtsfolge des „Anhaltens“ sowohl aus § 36 Abs. 5 StVO ergeben könnte, aufgrund des engen Sachzusammenhangs zu der festgestellten Verkehrsordnungswidrigkeit ist jedoch davon auszugehen, dass dem Anhalten das Ziel zugrunde liegt, gegen den Radfahrer das Ordnungswidrigkeitenverfahren einleiten zu können. Das setzt voraus, dass die Identität des Radfahrers festgestellt wird und das führt uns zum § 163b StPO (Maßnahmen zur Identitätsfeststellung), dem in diesem Beispiel der Vorrang zu gewähren ist.

§ 163b StPO (Maßnahmen zur Identitätsfeststellung)

Da es sich bei dem Radfahrer aber nicht um einen Verdächtigen, sondern um den Betroffenen einer Verkehrsordnungswidrigkeit handelt, ist zuerst einmal zu klären, ob § 163b StPO überhaupt zum Zweck der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten angewendet werden kann. Diesbezüglich ist die Regelung im § 46 OWiG (Anwendung der Vorschriften über das Strafverfahren) eindeutig.

§ 46 OWiG (Anwendung der Vorschriften über das Strafverfahren)

Der § 46 OWiG erfüllt insoweit die Funktion einer Transmissionsklausel.

Insoweit kann festgestellt werden, dass zum Zweck der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten auf der Grundlage von § 163b StPO die Identität des Radfahrers festgestellt werden kann. Die Befugnis spricht zwar von einem Verdächtigen, da es den aber im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht gibt, ist § 163b StPO durch die Sprachfigur des Betroffenen zu erweitern. Natürlich kann auf der Grundlage dieser Befugnis auch bei einem Betroffenen dessen Identität festgestellt werden. Obwohl der Radfahrer bei der Begehung einer Verkehrsordnungswidrigkeit sozusagen „betroffen“ wurde und gegen ihn als damit verbundene Folge das Bußgeldverfahren gegen ihn durch Lars eingeleitet wird, ändert das nichts daran, dass der Radfahrer von Lars als „Betroffener einer Ordnungswidrigkeit“ in Anspruch genommen wird. Wie dem auch immer sei. Die Identität des Radfahrers wird zuerst einmal benötigt, um einen Datenabgleich durchführen zu können, der sozusagen standardgemäß zu einer jeden Personenkontrolle gehören sollte, denn nur durch einen Datenabgleich lässt sich feststellen, ob der Radfahrer eventuell im Fahndungssystem der Polizei zur Festnahme ausgeschrieben ist. Würde auf solch einen Datenabgleich verzichtet und könnte der Radfahrer im Anschluss an die noch nicht beendete Kontrolle weiterfahren, obwohl er von Lars und Mia hätte festgenommen werden müssen, wenn er zur Festnahme ausgeschrieben ist, dann ließe solch ein polizeiliches Unterlassen nur einen Schluss zu, nämlich den, dass Polizeibeamte inkompetent eingeschritten sind.

Anzuwendende Befugnis für den Datenabgleich ist in diesem Beispiel der § 98c StPO (Maschineller Abgleich mit vorhandenen Daten), denn der ist „zur Aufklärung einer Straftat“, wie es im § 98c StGB heißt, erforderlich, weil strafprozessuale Befugnisse auch zur „Aufklärung von Ordnungswidrigkeiten“ greifen, siehe § 46 OWiG.

§ 98c StPO (Maschineller Abgleich mit vorhandenen Daten)

Da das Thema des Datenabgleichs an anderer Stelle in diesem Kurs mit gebotener fachlicher Gründlichkeit erörtert wird, sollen die hier gemachten Ausführungen zuerst einmal ausreichen, um nachvollziehen zu können, warum auch im Rahmen der anstehenden Kontrolle des Radfahrers ein Datenabgleich durchzuführen ist, was aber voraussetzt, dass die dafür erforderlichen personenbezogenen Daten erhoben werden.

Beispielfortschreibung: Der Datenabgleich ergibt, dass der Radfahrer nicht nur an der von ihm angegebenen Wohnadresse gemeldet ist, sondern gegen ihn auch nichts im polizeilichen Datenbestand enthalten ist, was weiterführende Maßnahmen erforderlich machen würde. Aus diesem Grunde bietet Lars, nachdem er den Radfahrer entsprechend belehrt hat, nunmehr ein Verwarnungsgeld in Höhe von 25 Euro für die von ihm begangene Verkehrsordnungswidrigkeit an, weil der Mann sein Fehlverhalten einsieht, und auch dazu bereit ist, das Verwarnungsgeld sofort zu bezahlen. Rechtslage?

Als Befugnis für die Festsetzung eines Verwarnungsgeldes greifen nunmehr wieder die Regelungen des Ordnungswidrigkeitengesetzes.

§ 56 OWiG (Verwarnung durch die Verwaltungsbehörde)

§ 57 OWiG (Verwarnung durch Beamte des Außen- und Polizeidienstes)

10.0 Der Bußgeldkatalog als Ermessensrichtlinie

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Bei der Festsetzung der Höhe des Verwarnungsgeldes sind Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte an die Vorgaben des bundeseinheitlichen Bußgeldkataloges gebunden, in dem die jeweilige Höhe des Verwarnungsgeldes für das jeweils festgestellte Fehlverhalten festgelegt ist.

Bei diesen Vorgaben handelt es sich um so genannte „das Ermessen einschränkende Bestimmungen“, von denen nur in Ausnahmefällen abgewichen werden darf. Soweit ein solcher Ausnahmefall nicht gegeben ist, wofür das Beispiel wirklich keinen Anlass zu erkennen ist, ist aus Gründen der Gleichbehandlung das Verwarnungsgeld in der Höhe festzusetzen, die im Bußgeldkatalog vorgegeben ist. Insoweit steht den einschreitenden Beamten diesbezüglich kein Ermessen zu.

Ermessen setzt nämlich grundsätzlich voraus, dass eine Behörde in der von ihr anzuwendenden Rechtsnorm Ermessen eingeräumt wird. Dabei handelt es sich um Ermächtigungen, die durch die Worte wie: „kann, darf oder soll“ einen Ermächtigungsbereich eröffnen. Um solch eine Ermessensvorschrift handelt es sich zum Beispiel auch bei den hier anzuwendenden Befugnissen, denn § 56 OWiG räumt der Verwaltungsbehörde durch das Wort „kann“ Ermessen ein und somit auch im Sinne von § 57 OWiG für Polizeibeamte gilt, weil § 57 OWiG auf § 56 OWiG verweist.

§ 56 OWiG (Verwarnung durch die Verwaltungsbehörde)

§ 57 OWiG (Verwarnung durch Beamte des Außen- und Polizeidienstes)

Ist der Polizei Ermessen eingeräumt, dann ergibt sich daraus für die Betroffenen polizeilicher Maßnahmen ein Anspruch, der darin besteht, dass die Behörde ihr eingeräumtes Ermessen ermessensfehlerfrei auszuüben hat.

BVerfG 1965: Der Ermessensspielraum kommt vor allem auch darin zum Ausdruck, dass - trotz genauer Umschreibung der Voraussetzungen für die jeweils zu treffende oder getroffene Maßnahme, diese niemals obligatorisch ist, sondern stets im pflichtmäßigen Ermessen des anordnenden Amtswalters steht; das folgt zum Beispiel aus dem Wort „darf“.

BVerfG, Beschluss vom 15.12.1965 - 1 BvR 513/85.

Übertragen auf das hier zu erörternde Beispiel bedeutet dies, dass eingeräumtes „Auswahlermessen“ rechtsfehlerfrei zur Anwendung kommt, wenn Lars sich an die Vorgaben des Bußgeldkataloges hält. Unabhängig davon hat Lars auch die Vorgaben von Erlassregelungen zu beachten, die von seinem obersten Dienstherrn, die das Verwarnungsgeldverfahren betreffen, erlassen hat.

11.0 Erlassregelung Verwarnungsgeldverfahren NRW

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Bei der Anwendung des Verwarnungsgeldverfahrens sind davon Gebrauch machende Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte nicht nur an die bereits erörterten Vorgaben bei der Ahndung geringfügiger Verkehrsordnungswidrigkeiten gebunden. Darüber hinausgehend haben Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte auch die Erlasse zu beachten, die von den jeweils obersten Dienstbehörden der Polizei, in NRW ist dies das Innenministerium, erlassen wurden. Die das Verwarnungsgeld betreffenden Vorgaben aus dem Erlass NRW werden in gekürzter Form im Folgenden zitiert:

2

Verwarnungen

2.1

Bedeutung der Verwarnung

Durch die Erteilung einer Verwarnung, ggf. unter Erhebung eines Verwarnungsgeldes, kann ein Ordnungswidrigkeitenverfahren im so genannten vereinfachten Verfahren erledigt werden. [...].

2.1.1

Unbedeutende Verkehrsordnungswidrigkeiten

Bei unbedeutenden Verkehrsordnungswidrigkeiten kommt eine Verwarnung ohne Verwarnungsgeld in Betracht.

2.1.2

Geringfügige Verkehrsordnungswidrigkeiten

Die [im Bußgeldkatalog] aufgeführten Verwarnungsgeldtatbestände sind Beispiele für geringfügige Verkehrsordnungswidrigkeiten. Grob verkehrswidriges Verhalten oder Rücksichtslosigkeit schließt die Ahndung als geringfügige Verkehrsordnungswidrigkeit aus.

2.2

Höhe des Verwarnungsgeldes

Bei Verkehrsordnungswidrigkeiten kommen Verwarnungsgelder nur in Höhe von 5, 10, 15, 20, 25, 30, 35, 40, 45, 50, 55 Euro in Betracht. [...]. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen bleiben in der Regel unberücksichtigt.

2.3

Ermächtigung

Polizeivollzugsbeamte werden hiermit gemäß den §§ 57 Absatz 2, 58 Absatz 1 OWiG ermächtigt, bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten nach [...] den Betroffenen gemäß § 56 OWiG zu verwarnen und ein Verwarnungsgeld zu erheben.

2.4

Verwarnungsverfahren mit Verwarnungsgeld

2.4.1

Grundsatz

Eine Verwarnung kann mündlich oder schriftlich erteilt werden. Sie ist nach Möglichkeit mündlich zu erteilen.

2.4.2

Mündliche Verwarnung

Der Betroffene ist zunächst auf den von ihm begangenen Verkehrsverstoß hinzuweisen. Ihm ist Gelegenheit zu geben, sich zu dem Vorwurf zu äußern.

[...].

Ist der Betroffene mit der Verwarnung nicht einverstanden, so ist ihm an Ort und Stelle mitzuteilen, dass ein Bußgeldverfahren eingeleitet wird. Ihm ist Gelegenheit zu geben, sich zu dem Vorwurf zu äußern.

[...].

2.4.3

Bezahlung

Ist der Betroffene mit der Verwarnung einverstanden, erhält er die Möglichkeit, mit Kredit- oder Girocard (ehemals EC-Karte) das Verwarnungsgeld zu bezahlen. [...]. Ist der Betroffene mit der Verwarnung einverstanden, kann oder will aber das Verwarnungsgeld nicht an Ort und Stelle zahlen, ist ihm eine Zahlungsaufforderung (Anlage 14) auszuhändigen. [...]. Ist das Verwarnungsgeld innerhalb von 30 Tagen (Referenz: Tattag) nicht eingegangen, ist ohne weitere Anhörung gegen den Betroffenen eine Ordnungswidrigkeitenanzeige zu erstatten. Geht das Verwarnungsgeld nach Abgabe der Anzeige an die Bußgeldstelle ein, ist die Rückzahlung auf Kosten des Betroffenen zu veranlassen.

[...]. Falls der Betroffene versichert, dass er das Verwarnungsgeld nicht an Ort und Stelle mit Kredit- bzw. Girocard in Euro entrichten kann, ist es zulässig, den Euro-Betrag in bar [...] Entgegenzunehmen. Wechselgeld ist nicht vorzuhalten.

[...].

2.6

Wirksamkeitsvoraussetzungen, Rechtswirkungen

2.6.1

Einverständnis des Betroffenen

Die Verwarnung ist wirksam, wenn der Betroffene nach Belehrung über sein Weigerungsrecht mit dem Verfahren einverstanden ist und das Verwarnungsgeld entweder sofort oder innerhalb der festgelegten Frist zahlt.

Die Belehrung über sein Weigerungsrecht soll dem Betroffenen deutlich machen, dass die Erledigung des Verfahrens durch die Verwarnung von seiner Mitwirkung abhängt. Der Betroffene ist darauf hinzuweisen, dass im Falle seiner Weigerung ein Bußgeldverfahren eingeleitet wird. Bei der Belehrung ist der Betroffene auch über die Verwaltungsgebühr und die Auslage für die Zustellung eines Bußgeldbescheides in Höhe von ca. 29 € zu informieren. Der Hinweis ist jedoch nach Form und Inhalt so zu geben, dass die freie Entschließung des Betroffenen nicht beeinträchtigt wird. Für ausländische Verkehrsteilnehmer sind entsprechende Belehrungen bereitzuhalten.

Die Zahlung des Verwarnungsgeldes ersetzt die ausdrückliche Erklärung des Einverständnisses. Erklärt der Betroffene nach ursprünglicher Weigerung, die Verwarnung anzunehmen und das Verwarnungsgeld zahlen zu wollen, so ist die Verwarnung zu erteilen.

Erlass NRW: Verfolgung von Verkehrsverstößen durch die Polizei

12.0 Zusammenfassung Verwarnungsgeldverfahren

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Lisa hat den Radfahrer angehalten, indem sie ihm mit einer Winkerkelle deutliche Anhaltezeichen gegeben hat. Dabei handelte es sich um Weisungen im Sinne von § 36 StVO (Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten), die von Verkehrsteilnehmern zu befolgen sind und die allen anderen Anordnungen und sonstigen Regeln vorgehen, den Radfahrer jedoch nicht von seiner Sorgfaltspflicht entbinden.

§ 36 StVO (Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten)

Natürlich lässt sich dieses Anhalten auch auf § 163b StPO stützen, denn um die Identität eines Radfahrers feststellen zu können, ist dieser natürlich zuerst einmal anzuhalten, auch wenn diese Rechtsfolge im § 163b StPO nicht ausdrücklich genannt ist.

§ 163b StPO (Maßnahmen zur Identitätsfeststellung)

Wie dem auch immer sei. Es führen bekanntermaßen immer mehrere Wege nach Rom.

Am Kontrollort wird der Radfahrer zuerst einmal darüber belehrt, was ihm vorgeworfen wird, um ihm dann, wenn er sein Fehlverhalten einsieht, zur Ahndung der festgestellten Verkehrsordnungswidrigkeit ein Verwarnungsgeld gemäß Bußgeldkatalog anzubieten.

Nur zur Erinnerung:

102144
Sie missachteten als Radfahrer das Rechtsfahrgebot, indem Sie den markierten Schutzstreifen nicht benutzten, und gefährdeten dadurch Andere. 25,00 Euro

Der Radfahrer war damit einverstanden, diesen Betrag an Ort und Stelle zu entrichten. Das, was jetzt noch zu tun bleibt, ist die Aufforderung an den Radfahrer, sich in Zukunft an die Verkehrsregeln zu halten.

Dieses Kapitel möchte ich mit der Feststellung beenden, dass es sich bei der Festsetzung eines Verwarnungsgeldes um einen Verwaltungsakt handelt, dessen Adressat der Betroffene einer Verkehrsordnungswidrigkeit ist. Der Radfahrer wird somit als Betroffener und nicht als ein Verdächtiger und erst recht nicht als ein Beschuldigter von Lars in Anspruch genommen.

13.0 Schlüsselwörter

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Die folgenden Schlüsselwörter stehen auch im Ordner ABC-VR zur Verfügung. Die Anzahl der Fachbegriffe wird dort kontinuierlich fortgeschrieben.

Beschuldigter
Betroffener
Bußgeldkatalog - Ermessensrichtlinie
Bußgeldkatalog – Verkehrsüberwachung
Verkehrsüberwachung – Haltepunkte
Ordnungswidrigkeiten - Transmissionsklausel
Sonderrechte - Inanspruchnahme
Verdächtiger - Tatverdacht
Verwaltungsakt (VA) - Begriff
Verwarnungsgeldverfahren
Zuständigkeit - schlicht hoheitliches Handeln



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