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§ 5 StVO - Überholen

Inhaltsverzeichnis:

01 Allgemeines
02 Überholen – Begriffsbestimmung
03 Überholverbote
04 Unklare Verkehrslage iSv § 5 StVO
05 Ausgeschilderte Überholverbote
06 Missachtung von Überholverbotszeichen
07 Überwachung von Überholverbotsstrecken
08 Rechtsüberholen
09 Pflichten des Überholenden im Überblick
10 Rückschaupflicht
11 Unzulässiges Ausscheren
12 Überholgeschwindigkeit
13 Rechtzeitiges und deutliches Zeichengeben
14 Äußerste Sorgfalt
15 Ausschluss von Gefährdungen
16 Ausreichender Sicherheitsabstand
17 Gegenverkehr nicht
behindern
18 Beendigung des Überholvorgangs
19 Überholverbot an Fußgängerüberwegen
20 Überholverbot öffentlicher Verkehrsmittel/Schulbusse
21 Pflichten des zu Überholenden
22 Überholen und § 315c StGB
23 Schlüsselwörter

01 Allgemeines

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Die Vorschrift wendet sich nur an den Fahrverkehr. Unbestritten ist, dass falsches Überholen hinsichtlich seiner Gefährlichkeit für Leib und Leben mit an höchster Stelle unter den Unfallursachen zu finden ist. 2022 wurden 12.246 Verkehrsunfälle mit Personenschäden statistisch erfasst, die auf Fehler beim Überholen zurückzuführen sind (Destatis.com – Fehlverhalten der Fahrer bei Unfällen mit Personenschaden). Bein den Verstößen gegen den § 5 StVO (Überholen) handelt es sich, in Verbindung mit § 49 Abs. 1 Nr. 5 StVO (Ordnungswidrigkeiten), um bußgeldbewehrte Verkehrsordnungswidrigkeiten.

§ 5 StVO (Überholen)

§ 49 Abs. 1 Nr. 5 StVO (Ordnungswidrigkeiten)

Damit Sie sich einen Eindruck über die insgesamt 94 Begehungsarten verkehrswidrigen Überholens verschaffen können, die im Bußgeldkatalog aufgelistet sind, öffnen Sie bitte folgenden Link.

Bußgeldkatalog 2023

Die Begehungsarten, die ordnungswidriges Überholen betreffen, sind dort auf den Seiten 63 bis 70 aufgelistet (TBNR 105100 bis 105006).

02 Überholen – Begriffsdefinition

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Der unbestimmte Rechtsbegriff des Überholens wird sowohl im § 5 StVO (Überholen) als auch im Strafgesetzbuch verwendet, siehe § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b StGB (Gefährdung des Straßenverkehrs). Deshalb ist es zuerst einmal erforderlich, sich darüber Klarheit zu verschaffen, wie der Rechtsbegriff "Überholen" zu definieren ist.

§ 5 StVO (Überholen)

§ 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b StGB (Gefährdung des Straßenverkehrs)

Diesbezüglich haben sich die Richter des Bundesgerichtshofs 2016 wie folgt positioniert:

BGH 2016: Leitsatz: 1. Das Tatbestandsmerkmal des Überholens wird auch durch ein Vorbeifahren von hinten an sich in derselben Richtung bewegenden oder verkehrsbedingt haltenden Fahrzeugen verwirklicht, das unter Benutzung von Flächen erfolgt, die nach den örtlichen Gegebenheiten zusammen mit der Fahrbahn einen einheitlichen Straßenraum bilden.

An anderer Stelle:

Überholen im Sinne der Straßenverkehrsordnung meint den tatsächlichen Vorgang des Vorbeifahrens von hinten an Fahrzeugen anderer Verkehrsteilnehmer, die sich auf derselben Fahrbahn in dieselbe Richtung bewegen oder verkehrsbedingt halten. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift des § 315c Abs. 1 StGB, der auf den Schutz des Lebens, der Gesundheit und bedeutender Sachwerte vor im Gesetz näher bezeichneten, besonders gefährlichen Verhaltensweisen im Verkehr abzielt, ist die Reichweite des Tatbestands des § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB indes nicht auf Überholvorgänge im Sinne der Straßenverkehrsordnung beschränkt.

[Überholen im Sinne von § 315c StGB bedarf einer Auslegung, die dem Regelungsgehalt der Strafrechtsnorm entspricht. Dazu später mehr].

An anderer Stelle heißt es in dem Beschluss:

Ausgehend von der Wortbedeutung und unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Sichbewegen auf derselben Fahrbahn kein taugliches Kriterium für eine abschließende Erfassung besonders gefährlicher Fälle des Vorbeifahrens liefert, wird das Tatbestandsmerkmal des Überholens auch durch ein Vorbeifahren von hinten an sich in derselben Richtung bewegenden oder verkehrsbedingt haltenden Fahrzeugen verwirklicht, das unter Benutzung von Flächen erfolgt, die nach den örtlichen Gegebenheiten zusammen mit der Fahrbahn einen einheitlichen Straßenraum bilden. Danach ist ein Überholen beispielsweise gegeben bei einem Vorbeifahren über Seiten- oder Grünstreifen, über Ein- oder Ausfädelspuren oder über lediglich durch Bordsteine oder einen befahrbaren Grünstreifen von der Fahrbahn abgesetzte Rad- oder Gehwege. Dagegen fehlt es an einem Überholvorgang etwa bei einem Vorbeifahren unter Benutzung einer von der Fahrbahn baulich getrennten Anliegerstraße oder mittels Durchfahren einer Parkplatz- oder Tank- und Rastanlage auf der Bundesautobahn.

Ebenso wenig wie das Überholen nach der Straßenverkehrsordnung einen Spurwechsel nach Abschluss des Überholvorgangs voraussetzt, kommt es für den strafrechtlichen Begriff des Überholens nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB darauf an, dass die Fahrt nach dem Vorbeifahren an dem anderen Fahrzeug auf dessen Fahrbahn fortgesetzt wird.

BGH, Beschluss vom 15. September 2016 - 4 StR 90/16

03 Überholverbote

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Zweck von Überholverboten ist es, nicht nur den Gegenverkehr, sondern auch vorausfahrende Fahrzeugführer vor Gefährdungen durch den Überholenden zu schützen.

Überholverbote auf der Grundlage von § 5 StVO:

  • Bei unklarer Verkehrslage

  • In durch Zeichen 276, 277 ausgeschilderten Überholverboten

  • Bei Sicht unter 50 m für Lkw über 7,5 t

Überholverbote an anderer Stelle in der StVO :

  • Überholverbot an öffentlichen Verkehrsmitteln und Schulbussen, siehe § 20 Abs. 3 StVO

  • Überholverbot an Fußgängerüberwegen, siehe § 26 Abs. 3 StVO

§ 20 Abs. 3 StVO (Öffentliche Verkehrsmittel und Schulbusse)

§ 26 Abs. 3 StVO (Fußgängerüberwege)

04 Unklare Verkehrslage iSv § 5 StVO

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Die Beurteilung einer unklaren Verkehrslage richtet sich nicht nach den Vorstellungen des Überholenden, sondern nach den objektiv vorhandenen Gegebenheiten. Das bedeutet, dass schon beim geringsten Verdacht einen Überholvorgang nicht völlig problemlos durchführen zu können, der Überholwillige von seinem Vorhaben absehen sollte.

Anders ausgedrückt: Unklar ist eine Verkehrslage, wenn nach den gegebenen Umständen mit einem gefahrlosen Überholen nicht gerechnet werden kann bzw. darf.

OLG Brandenburg 2023: Unklar ist die Verkehrslage, wenn nach allen Umständen mit einem gefahrlosen Überholen nicht gerechnet werden darf, etwa weil sich nicht verlässlich beurteilen lässt, was der Vorausfahrende sogleich tun werde. Eine unklare Verkehrslage liegt nicht schon dann vor, wenn das vorausfahrende Fahrzeug langsam fährt. Vielmehr müssen darüber hinaus weitere konkrete Umstände hinzutreten, die für ein möglicherweise unmittelbar bevorstehendes Ausscheren nach links sprechen könnten.

OLG Brandenburg, Urteil vom 9. März 2023 – 12 U 120/22

Beim Überholen einer Kolonne hingegen darf der Überholende darauf vertrauen, wenn er sich bereits im Überholvorgang befindet, dass aus der Kolonne kein Fahrzeug ausscheren wird.

OLG Celle 2022: Das Überholen ist nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO bei unklarer Verkehrslage unzulässig. Allein der Umstand, dass der Kläger eine Kolonne von mehreren Fahrzeugen überholt hat, begründet noch keinen solchen Verstoß. Das Überholen einer Fahrzeugkolonne ist auch nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO nicht generell verboten. Eine unklare Verkehrslage besteht nur, wenn sich nicht verlässlich beurteilen lässt, was Vorausfahrende jetzt sogleich tun werden. Dies erfordert konkrete Anhaltspunkte aufgrund der Verkehrssituation, etwa dem Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer oder der Örtlichkeit. So muss der Überholende nicht damit rechnen, dass ein in der Kolonne befindliches Fahrzeug unvermittelt nach links ausschert, solange keine besonderen Umstände hinzutreten, die für ein unmittelbar folgendes Ausscheren sprechen.

OLG Celle, Urteil vom 8. Juni 2022 – 14 U 118/21

Von einer unklaren Verkehrslage ist auszugehen, wenn:

  • Die Örtlichkeit unübersichtlich ist

  • Schlechte Witterungs- und Beleuchtungsverhältnisse bestehen

  • Das Fahrverhalten des Vorausfahrenden unkalkulierbar bzw. unsicher ist

  • Der Überholer nicht die gesamte Überholstrecke überblicken kann

  • Wenn die Verkehrslage unklar, bzw. nicht eindeutig übersehbar ist

  • Wenn der Überholer während des gesamten Überholvorgangs nicht jede Behinderung des Gegenverkehrs ausschließen kann.

05 Ausgeschilderte Überholverbote

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Wer am Straßenverkehr teilnimmt, hat die durch Vorschriftzeichen nach Anlage 2 angeordneten Ge- oder Verbote zu befolgen. Dazu gleich mehr.

§ 41 StVO (Vorschriftzeichen)

Ein ausgeschildertes Überholverbot betrifft in der Regel nur die auf derselben Fahrbahn fahrenden Fahrzeuge. Vor dem Erreichen ausgeschilderter Überholverbotszonen müssen bereits begonnene Überholvorgänge abgeschlossen sein. Das gilt zumindest für mit Zeichen 276 StVO beschilderte Streckenverbote.

BGH 1974: Im Verkehr auf mehreren Fahrstreifen für (nur) eine Richtung ist das Überholverbotszeichen 276 (...) beachtet, wenn der Überholende bis zum Zeichen das überholte Fahrzeug mindestens so weit hinter sich gelassen hat, dass er sich ohne Gefährdung vor diesem einordnen könnte.

An anderer Stelle heißt es:

Eine Gefährdung des überholten Fahrzeugs kann aber nur vermieden werden, wenn der Überholende bis zum Verbotsschild einen ausreichenden Sicherheitsabstand zum überholten Fahrzeug hergestellt hat. Das gilt nicht etwa nur für den Fall, dass der vom Überholenden benutzte Fahrstreifen bald nach dem Verbotsschild wegfällt. Auch sonst muss - nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO soll das Überholverbotszeichen ja unter anderem gerade „dort aufgestellt werden, wo die Gefährlichkeit des Überholens dem Fahrzeugführer nicht so erkennbar ist, dass er von sich aus nicht überholt“ (...) - mit dem plötzlichen Auftreten einer neuen Verkehrslage in der Überholverbotszone gerechnet werden, zu deren Bewältigung der Überholende eine gewisse Bewegungsfreiheit benötigt, um sie ohne Gefährdung vor allem des überholten Fahrzeugs meistern zu können. Diese Bewegungsfreiheit, etwa zum plötzlichen Ausweichen nach rechts, hat der Überholende jedenfalls nicht im ausreichenden Maße, wenn er erst nach dem Verbotsschild zunächst einmal durch weitere Beschleunigung einen ausreichenden Abstand zum überholten Fahrzeug herstellen muss. Darin wird der überholte Fahrzeugführer unter Umständen zu Reaktionen genötigt, die sich - gleichgültig, ob sie sich im Nachhinein bei ruhigem Überdenken als richtig erweisen sollten oder nicht - erfahrungsgemäß nicht nur für ihn selbst, sondern bei entsprechender Verkehrsdichte auch für nachfolgende Fahrzeuge als gefährlich erweisen können. Dies kann nur vermieden werden, wenn der Überholende bereits bei Erreichen des Verbotsschildes das überholte Fahrzeug so weit hinter sich gelassen hat, dass er sich notfalls ohne Gefährdung vor dieses setzen kann.

BGH, Beschluss vom 28. März 1974 – 4 StR 3/74

Zurück zur Beschilderung von Überholverbotszonen: Im hier zu erörternden Sachzusammenhang handelt es sich um die nachfolgend aufgelisteten Verbotszeichen, mit denen Überholverbotsstrecken ausgeschildert werden können.

Zeichen 276
Überholverbot für Kraftfahrzeuge aller Art

Zeichen 277
Überholverbot für Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t, einschließlich ihrer Anhänger, und für Zugmaschinen. Ausgenommen sind Personenkraftwagen und Kraftomnibusse.

Zeichen 277.1
Wer ein mehrspuriges Kraftfahrzeug führt, darf ein- und mehrspurige Fahrzeuge nicht überholen.

Zeichen 295
Das Zeichen 295 in der Anlage 2 zur StVO hat die gleiche Bedeutung wie ein Überholverbot und darf nicht überfahren werden. In der Erläuterung zu Zeichen 295 heißt es diesbezüglich u.a.: a)
Wer ein Fahrzeug führt, darf die durchgehende Linie auch nicht teilweise überfahren.

Im Gegensatz zur Missachtung von Überholverbotszeichen handelt es sich bei Verstößen gegen Zeichen 295 jedoch nicht um anzeigepflichtige Verkehrsverstöße, sondern um geringfügige Verkehrsordnungswidrigkeiten, die mit einem Verwarnungsgeld in Höhe von 10.00 Euro geahndet werden können.

TBNR 141253
Sie fuhren verbotswidrig über die Fahrstreifenbegrenzung (Zeichen 295/296).

§ 41 Abs. 1 iVm Anlage 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 155 BKat
10,00 Euro

Von einem Verwarnungsgeld wird gesprochen, wenn sich die Höhe der geforderten Zahlung zwischen 5 und 55 Euro bewegt.

Nur zur Erinnerung: Eine geringfügige Verkehrsordnungswidrigkeit kann mit einem Verwarnungsgeld an Ort und Stelle abschließend geahndet werden, wenn der Betroffene sein Fehlverhalten einsieht und nach erfolgter Belehrung dazu bereit ist, das festgesetzte Verwarnungsgeld zu entrichten, dessen Höhe sich aus dem Bußgeldkatalog ergibt, siehe zum Beispiel TBNR 141253. Bei der Maßnahme handelt es sich um einen zustimmungsbedürftigen Verwaltungsakt.

§ 55 OWiG (Anhörung des Betroffenen)

§ 56 OWiG (Verwarnung durch die Verwaltungsbehörde)

§ 57 OWiG (Verwarnung durch Beamte des Außen- und Polizeidienstes)

06 Missachtung von Überholverbotszeichen

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Fahrzeugführer, die Überholverbotszeichen missachten, begehen grundsätzlich anzeigepflichtige Verkehrsordnungswidrigkeiten. Solch ein Fehlverhalten kann somit grundsätzlich nicht mehr als geringfügig angesehen und somit auch in der Regel nicht mehr an Ort und Stelle mit einem Verwarnungsgeld geahndet werden.

Sobald das im bundeseinheitlich geltenden Bußgeldkatalog zu zahlende Bußgeld die Höhe von 55,00 Euro überschreitet, kommt eine Verwarnung mit einem Verwarnungsgeld somit – von Ausnahmen einmal abgesehen – nicht mehr in Betracht. Bei den nachfolgend zitierten Tatbestandsnummern des bundeseinheitlichen Tatbestandskataloges handelt es sich somit um anzeigepflichtige Verkehrsordnungswidrigkeiten.

TBNR 141627
Sie missachteten das Überholverbot, das durch Zeichen 276/277/277.1) angeordnet war. § 41 Abs. 1 iVm Anlage 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 153a BKat
1 Punkt
70,00 Euro

TBNR 141628
Sie missachteten das Überholverbot, das durch Zeichen 276/277/277.1) angeordnet war, und gefährdeten dadurch Andere. § 41 Abs. 1 iVm Anlage 2, § 1 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 153a BKat; § 3 Abs. 3 BKatV; § 19 OWiG
1 Punkt
85,00 Euro

TBNR 141629
Sie missachteten das Überholverbot, das durch Zeichen 276/277/277.1) angeordnet war. Es kam zum Unfall. § 41 Abs. 1 iVm Anlage 2, § 1 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 153a BKat; § 3 Abs. 3 BKatV; § 19 OWiG
1 Punkt
105,00 Euro

Eine ausgeschilderte Überholverbotsstrecke endet erst dort, wo das Überholverbot durch Zeichen 280 bis 282 aufgehoben wird.

Zeichen 280
Ende des Überholverbots für Kraftfahrzeuge aller Art.

Zeichen 281
Ende des Überholverbots für Kraftfahrzeuge über 3,5 t

Zeichen 281.1
Ende des Verbots des Überholens von einspurigen Fahrzeugen für mehrspurige Kraftfahrzeuge und Krafträder mit Beiwagen.

Zeichen 282
Ende sämtlicher streckenbezogener Geschwindigkeitsbeschränkungen und Überholverbote.

07 Überwachung von Überholverbotsstrecken

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Es gehört zu den Aufgaben der Polizei, den Straßenverkehr zu überwachen, siehe
§ 11 POG NRW (Sachliche Zuständigkeit der Kreispolizeibehörden).

§ 11 Abs. 1 Nr. 3 POG NRW (Sachliche Zuständigkeit der Kreispolizeibehörden)

Die im Rahmen dieser Aufgabe von der Polizei feststellbaren Verkehrsverstöße sind komplex. Das gilt auch für die Feststellungen und rechtlichen Bewertungen der Folgen der Missachtung von Überholzeichen, denn auch beim unzulässigen Überholen kann es sich sowohl um reine Formalverstöße als auch um Fehlverhalten handeln, die gefahrenträchtig sind. Natürlich sind auch weitere Steigerungsformen bis hin zu strafbarem Handeln möglich, siehe § 315c StGB (Gefährdung des Straßenverkehrs). Das lässt die Vermutung zu, dass hinsichtlich der Bewertung und auch im Hinblick auf die Ahndung der Feststellung fehlerhaften ordnungswidrigen Überholens der Polizei ein gewisser Ermessensspielraum zur Verfügung steht, denn im Gegensatz zur Verfolgung bekannt gewordener Straftaten, die von der Polizei verfolgt werden müssen (Legalitätsprinzip) greift bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten das Opportunitätsprinzip, siehe § 47 OWiG (Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten).

§ 47 OWiG (Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten)

Kurzum: Allein sachliche Umstände sind dafür maßgeblich, ob, in welchem Umfang und wie eine Ordnungswidrigkeit – und dazu zählen auch die Verkehrsordnungswidrigkeiten – verfolgt werden oder nicht.

Diesbezüglich entscheiden einschreitende Polizeibeamte nach pflichtgemäßem Ermessen. Diese Sprachfigur bedeutet, dass Amtswalter ausschließlich nach sachlichen und am Zweck der Ermächtigung ausgerichteten Zielen Entscheidungen zu treffen haben und Maßnahmen anordnen können. Das bedeutet natürlich auch, dass diesbezüglich stets die Besonderheiten des Einzelfalls in die Prüfung mit einbezogen werden müssen. Bei Ermessensentscheidungen kommt es auch immer darauf an, dass die Entscheidungsfindung sich unbeeinflusst von vermeidbaren Fehlern vollzieht. Zu bedenken ist auch, dass das Ermessen reglementiert sein kann. Insoweit dienen die Vorgaben im Bußgeldkatalog dazu, für gleiches Fehjlverhalten auch gleiche Rechtsfolgen im Sinne der dort enthaltenen Vorgaben zur Anwendung kommen zu lassen (Gleichbehandlung vor dem Gesetz).

Wie dem auch immer sei: Im hier zu erörternden Sachzusammenhang muss es ausreichen, festzustellen, dass die Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens gesetzlich dennoch nicht näher bestimmt sind. Hinsichtlich der Verfolgung von reinen Formalverstößen im Straßenverkehr, bei denen nach allgemeiner Erfahrung und nach den Umständen des Einzelfalls eine Behinderung oder Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, wird sogar die Meinung vertreten, dass solche Verstöße nicht verfolgt werden sollen.

Beispiel: Lars und Mia überwachen zurzeit eine Überholverbotsstrecke, die sich am Ende einer Autobahn befindet. Dort wird der Verkehr auf eine Fahrspur reduziert und auf der nicht schneller als 40 km/h gefahren werden darf, weil am Ende der einspurigen Fahrbahnführung sich eine Lichtsignalanlage befindet. Das erste Überholverbotszeichen steht etwa 500 m vor der Fahrbahnverengung, das zweite 300 m und das letzte Überholverbotszeichen gut 100 m vor der Fahrbahnverengung, verbunden mit einer trichterförmigen Geschwindigkeitsbeschilderung (80 km/h – 80 km/h – 60 km/h – 40 km/h). Lars und Mia haben sich dahingehend abgestimmt, nur die Fahrzeugführer anzuhalten, die zwischen dem zweiten und dem letzten Überholverbotszeichen vorausfahrende Fahrzeuge überholen. Ist das zulässig?

Soweit es bei solch einem Fehlverhalten nicht zu Behinderungen anderer Verkehrsteilnehmer kommt, ist es durchaus vertretbar, darin reine Formalverstöße zu erkennen, die von Lars und Mia nicht geahndet werden müssen. Solch eine Vorgehensweise lässt das Opportunitätsprinzip zu.

Beispielfortschreibung: Lars und Mia sehen, wie ein langsam fahrender Klein-Lkw von einem Pkw-Fahrer überholt wird. Der Überholvorgang wird gut 100 m vor der Fahrbahnverengung abgeschlossen. Handelt es sich jetzt auch noch um einen reinen Formalverstoß?

Lars und Mia werden auch diesen Verstoß nicht verfolgen, wenn damit zu rechnen ist, dass weitaus gefährlichere Überholvorgänge in Kürze, besser gesagt jederzeit, zu erwarten sind. Auch das lässt das Opportunitätsprinzip zu.

Die Beamten werden das festgestellte Fehlverhalten aber wohl verfolgen, wenn die Verkehrslage gefährliche Überholvorgänge zurzeit kaum erwarten lässt. Gehen wir davon aus, dass dies der Fall ist. Lars und Mia werden dann den Fahrzeugführer anhalten, ihm das festgestellte Fehlverhalten vorhalten und ihn über die Folgen verbotswidrigen Überholens eindringlich belehren. Bei einem einsichtsvollen Fahrzeugführer, der zu seiner Rechtfertigung nur vorbringt, ein langsam fahrendes Fahrzeug überholt zu haben, ohne dadurch andere auch nur im Geringsten behindert zu haben, könnte die Reaktion von Lars wie folgt aussehen:

Lars: „Sie wissen, dass ein Überholen in einer Überholverbotszone zumindest grundsätzlich nicht mehr als eine geringfügige Ordnungswidrigkeit angesehen werden kann, sondern eine Anzeige sowie ein Bußgeld und natürlich auch einen Punkt in Flensburg nach sich zieht. Andererseits kann ich Ihre Sichtweise durchaus nachvollziehen, zumal auch wir gesehen haben, dass Ihr Überholvorgang kaum mehr als ein schnelleres Vorbeifahren war, durch das niemand behindert wurde. Ich schlage Ihnen deshalb vor, die von Ihnen begangene Ordnungswidrigkeit mit einem Verwarnungsgeld in Höhe von 15 Euro sozusagen aus der Welt zu schaffen. Eine solche Regelung ist möglich, wenn ich in Ihrem Fehlverhalten lediglich die Missachtung eines Verbotszeichens erkenne. Solche Verstöße können durchaus als geringfügig angesehen werden. Natürlich kann ich diese Maßnahme nur dann treffen, wenn Sie damit einverstanden sind.“

Der Fahrer ist damit einverstanden.

§ 41 StVO (Vorschriftzeichen)

§ 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO (Ordnungswidrigkeit)

Eine solche Regelung setzt voraus, dass Lars zu dem steht, was er gesagt hat, denn wenn der Fahrer im Anschluss an den Vorschlag von Lars nicht dazu bereit ist, das von Lars vorgeschlagene Verwarnungsgeld zu zahlen, wird Lars eine Anzeige fertigen und in ihr vermerken müssen, dass der Fahrer ein angebotenes Verwarnungsgeld in Höhe von 15 Euro abgelehnt hat. Wahrscheinlich wird Lars dann später gefragt werden, warum er sich nicht an die Vorgaben gehalten hat, die sich aus der Anlage 2 der StVO ergeben, auf die § 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO (Ordnungswidrigkeit) Bezug nimmt, denn dort ist für die Missachtung von Überholverbotszeichen einen Regelsatz von 70 Euro und 1 Punkt in Flensburg festgelegt. Lars wird diesen Vorwurf nur dadurch entkräften können, indem er sich auf den Standpunkt beruft, dass die besonderen Gegebenheiten des Überholvorgangs von ihm als atypisch, nämlich als ein reiner Formalverstoß bewertet wurde, den er aber nicht für so unbedeutend hielt, den Fahrer erst gar nicht anzuhalten.

Beispielfortschreibung: Lars und Mia sehen, wie ein Pkw-Fahrer in Höhe des zweiten Überholverbotszeichens zum Überholen ausschert und mit hoher Geschwindigkeit mehrere vor ihm fahrende Pkw überholt. Den Überholvorgang kann der Fahrer vor dem Beginn der Fahrbahnverengung beenden. Zu Behinderungen und Gefährdungen anderer Verkehrsteilnehmer ist es nicht gekommen. Welche Maßnahme werden Lars und Mia treffen, nachdem die Beamten den Fahrer angehalten haben?

Dass es sich hier nicht mehr um einen Formalverstoß und auch nicht mehr um eine geringfügige Ordnungswidrigkeit handelt, dürfte nachvollziehbar sein, denn dem Fahrer kam es darauf an, möglichst schnell andere Verkehrsteilnehmer in einer Überholverbotsstrecke zu überholen. Dem Fahrer wird folglich eröffnet, was ihm vorgeworfen wird und mit welchen Konsequenzen das verbunden ist. Darüber hinausgehend werden am Kontrollort alle Daten erhoben, die für die Fertigung einer Ordnungswidrigkeitenanzeige erforderlich sind.

Hinweis: Die oben gemachten Ausführungen lassen zumindest erkennen, dass Polizeibeamte nicht wie Lochkarten zu funktionieren haben, auch wenn ein striktes Einhalten von Vorschriften, zu denen natürlich auch der Bußgeldkatalog gehört, nicht rechtswidrig sein kann. Nach der hier vertretenen Überzeugung handelt es sich bei Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten aber nicht um Maschinen, sondern um Menschen, die dazu in der Lage sind, geltendes Recht sozialverträglich anzuwenden. Vielleicht hilft bei der abschließenden Bewertung der oben aufgezeigten Thematik ein Satz von Altbundeskanzler Konrad Adenauer, der irgendwann gesagt hat: „Natürlich halte ich mich an geltendes Recht, nur darf man es nicht zu pingelig anwenden!“

08 Rechtsüberholen

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Im Gegensatz zu den im § 7 Abs. 2 StVO (Benutzung von Fahrstreifen durch Kraftfahrzeuge) geregelten Fällen, in denen u.a. bei dichter Verkehrslage rechts schneller gefahren werden darf als links, ist das Rechtsüberholen iSv § 5 StVO (Überholen), bis auf die im § 5 Abs. 7 StVO geregelten Ausnahmen, verboten, denn im § 5 Abs. 1 Satz 1 StVO heißt es:

(1) Es ist links zu überholen.

Im Gegensatz dazu heißt es im § 5 Abs. 7 StVO wie folgt:

(7) Wer seine Absicht, nach links abzubiegen, ankündigt und sich eingeordnet hat, ist rechts zu überholen. Schienenfahrzeuge sind rechts zu überholen.

Weitere Ausnahmen vom Grundsatz des „Linksüberholens“ enthält der § 7 StVO (Benutzung von Fahrstreifen durch Kraftfahrzeuge). Die dort geregelten Ausnahmen vom oben genannten Grundsatz beschränken sich auf vier Fälle:

  • Schlangenbildung auf gleichberechtigten Fahrstreifen

  • Die Richtungsfahrbahn hat mehr als zwei Fahrstreifen

  • Schlangenbildung auf der linken Fahrspur

  • Fahrzeuge, die sich zum Linksabbiegen eingeordnet haben.

Zulässiges Rechtsüberholen setzt immer voraus, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit dabei nicht überschritten, und der Überholvorgang stets unter sorgfältiger Beobachtung des Verkehrsgeschehens durchgeführt wird.

§ 7 StVO (Benutzung von Fahrstreifen durch Kraftfahrzeuge)

Bei Unfällen, bei denen verbotenes oder auch zulässiges Rechtsüberholen unfallursächlich ist, kommt es im Rahmen der polizeilichen Unfallaufnahme im besonderen darauf an, den Unfallhergang zu ermitteln, denn in Anlehnung an ein Urteil des BGH aus dem Jahr 1974 kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Anscheinsbeweis dafür spricht, dass stets der Rechtsüberholende durch sein Verhalten den Unfall verursacht hat.

BGH 1974: Das Berufungsgericht hält, weil die Vernehmung der von beiden Seiten benannten Zeugen den Unfallhergang nicht eindeutig habe klären können, weder für bewiesen, dass der Erstbeklagte jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt (§ 7 Abs. 2 StVG) beachtet noch dass der Kläger diesen Entlastungsbeweis geführt hat. Ferner ist es der Meinung, es spreche kein Anscheinsbeweis dafür, dass bei einer Kollision zwischen einem überholenden und einem überholten Fahrzeug der Zusammenstoß auf dem Verschulden des Fahrers des überholenden Fahrzeuges beruhe. Bei der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Betriebsgefahr lastet es den Beklagten eine höhere Quote (von 2/3) an, weil der Erstbeklagte der Überholende war und auch mit höherer Geschwindigkeit fuhr.

Der BGH, Urteil vom 26. November 1974 - VI ZR 10/74

Anders ausgedrückt: Verbotenes Rechtsüberholen ist innerhalb geschlossener Ortschaften eine häufige Unfallursache. Geschieht das Rechtsüberholen bei unklarer Verkehrslage, dann spricht Vieles dafür, dass der Rechtsüberholende meist den größten Vorwurf trifft. Oftmals handelt es sich dabei um Missverständnisse beim Linksabbiegen.

OLG Hamm 2013: Rechtsüberholen ist – als Ausnahme von dem in § 5 Abs. 1 StVO geregelten Grundsatz, dass links zu überholen ist – gemäß § 5 Abs. 7 StVO nur dann zulässig, wenn der zu Überholende seine Absicht, nach links abzubiegen, angekündigt und sich entsprechend eingeordnet hat, wobei aufgrund der Abweichung von der normalen Regel besondere Vorsicht und Aufmerksamkeit erforderlich sind.

OLG Hamm, Urteil vom 8. November 2013 - 9 U 88/13

So auch die Richter des LG Wuppertal.

LG Wuppertal 2015: In dem Befahren der Linksabbiegerspur unter gleichzeitigem Blinksignal nach rechts und (unstreitiger) starker Verlangsamung der Fahrt liegt eine unklare Verkehrslage, die dem Kläger die Vorbeifahrt in Form des Rechtsüberholens gem. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO verbot, so dass der Verstoß hiergegen die vom Amtsgericht ausgesprochene Mithaftungsquote rechtfertigt.

An anderer Stelle heißt es:

Auf § 7 Abs. 3 StVO, der es bei Fahrbahnen mit mehreren markierten Fahrstreifen für eine Richtung erlaubt, rechts schneller als links zu fahren, kann sich der Kläger nicht berufen, weil die Vorschrift durchgehende Fahrstreifen in einer Fahrtrichtung voraussetzt.

LG Wuppertal, Beschluss vom 09.01.2015 - 16 S 78/14

Natürlich gibt es beim Rechtsüberholen eines Linksabbiegers auch zulässige Ausnahmen. Diesbezüglich heißt es in einem Urteil des OLG Hamm aus dem Jahr 2013 wie folgt:

OLG Hamm 2013: Nur wenn sich der Rechtsabbieger so weit rechts eingeordnet hat, dass sein Abstand zum rechten Fahrbahnrand ein Überholen auch durch ein Krad oder Fahrrad nicht zulässt, die bevorstehende Richtungsänderung rechtzeitig angekündigt und seine Geschwindigkeit allmählich ermäßigt hat, darf er darauf vertrauen, dass ihn kein nachfolgendes Fahrzeug rechts zu überholen versucht. Ansonsten muss er damit rechnen, dass ihn andere Fahrzeuge rechts überholen, und darf den Abbiegevorgang daher nur nach gewissenhafter Rückschau ausführen.

OLG Hamm, Urteil vom 08.11.2013 - 9 U 89/13

Weitere Ausnahmen im Sinne der Rechtsprechung:

AG Raststatt 2005: Ausnahmsweise liegt ein unzulässiges Rechtsüberholen dann nicht vor, wenn das auf der Überholspur fahrende Fahrzeug - bei gleichbleibender Geschwindigkeit des Überholenden - seine Geschwindigkeit nicht unwesentlich verringert.

AG Rastatt, Urteil vom 02.09.2005 - 1 C 23/05

09 Pflichten des Überholenden

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Die nachfolgend aufgelisteten Pflichten des Überholenden werden in der vorgegebenen Reihenfolge kurz erläutert:

  • Rückschaupflicht

  • Unzulässiges Ausscheren

  • Rechtzeitiges und deutliches Zeichengeben

  • Äußerste Sorgfalt

  • Ausschluss von Gefährdungen

  • Gegenverkehr nicht behindern

  • Beendigung des Überholvorgangs

  • Überholen an Fußgängerüberwegen

  • Überholen von Radfahrern

10 Rückschaupflicht

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Diesbezüglich heißes in einem Urteil des OLG Brandenburg aus dem Jahr 2021 wie folgt:

OLG Brandenburg 2021: Die Rückschaupflicht besteht erstmals vor Einleiten des Überholvorganges, denn wer ausscheren will, muss sich vorher vergewissern, dass er dies ohne wesentliche Behinderung oder Gefährdung aufrückender Hintermänner tun kann (König a.a.O., Rn. 42). Ein explizites, von der Rechtssprechung entwickeltes Gebot zur „doppelten Rückschau“ oder zum Schulterblick gibt es unabhängig von den Erfordernissen, die nötig sind, um eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs bereits vor dem Ausscheren (und dann natürlich auch während des Ausscherens) auszuschließen i.S.v. § 5 Abs 4 Satz 1 StVO, allerdings nicht.

OLG Brandenburg, Urteil vom 23. Juni 2011 - 12 U 263/08

11 Unzulässiges Ausscheren

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Unzulässig ist ein Ausscheren zum Zweck des Überholens dann, wenn dadurch der nachfolgende Verkehr zu einem scharfen Bremsen oder zu anderen Fahrmanövern gezwungen wird.

OLG München 2017: Schert ein Kfz-Führer aus einer Kolonne aus, um sich durch Überholen an deren Spitze zu setzen, und kommt es dabei zu einer Kollision mit einem nachfolgenden - ebenfalls überholwilligen Kfz -, weil der Ausscherende sich nicht genügend sorgfältig über von hinten herannahenden Verkehr vergewissert hat oder jedenfalls willens war, das Überholen noch vor dem von hinten herannahenden Fahrzeug zu beenden, so trifft ihn die Schuld an dem Unfall.

OLG München, Urteil vom 24. Februar 2017 - 10 U 4448/16

12 Überholgeschwindigkeit

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Zweck der Regelung im § 5 Abs. 2 StVO ist es, eine Behinderung oder gar Gefährdung des übrigen Verkehrs durch ungewöhnlich lang andauernde Überholvorgänge zu verhindern. Ein Überholen kommt somit nur dann in Betracht, wenn der Überholvorgang aufgrund des Geschwindigkeitsunterschiedes zügig durchgeführt werden kann.

Eine eindeutige Festlegung hinsichtlich des einzufordernden Geschwindigkeitsunterschiedes gibt es jedoch nicht, weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur.

OLG Hamm 2008: Sinn und Zweck der Vorschrift des § 5 Abs. 2 S. 2 StVO ist es, eine Behinderung des übrigen Verkehrs durch lang andauernde Überholvorgänge zu vermeiden. [...]. Dies gilt insbesondere für Überholvorgänge durch bzw. von Lkw auf zweispurigen Autobahnen. Dabei darf nach Auffassung des Senats bei der Bestimmung der wesentlich höheren Geschwindigkeit nicht einseitig das Interesse der am schnellen Fortkommen interessierten Pkw-Fahrer im Vordergrund stehen mit der Folge, dass das Erfordernis nach einer zu großen Geschwindigkeitsdifferenz einem faktischen Überholverbot für Lkw auf zweispurigen Autobahnen gleich kommt. [...]. Es gilt daher im Rahmen des § 5 Abs. 2 S. 2 StVO eine sowohl für Lkw- als auch für Pkw-Fahrer zumutbare und für Verkehrsüberwachungsmaßnahmen praktikable Lösung zu finden. Danach bleibt als wesentliche Voraussetzung festzuhalten, dass eine Ahndung nach § 5 Abs. 2 S. 2 StVO unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck dieser Regelung nur dann in Betracht kommt, wenn der Verkehrsfluss durch einen Lkw-Überholvorgang unangemessen behindert wird.

OLG Hamm, Beschluss vom 29.10.2008 - 4 Ss OWi 629/08

In einem Beschluss des OLG Zweibrücken aus dem Jahr 2009, sind unter Bezugnahme anderer richterlicher Entscheidungen folgende Geschwindigkeitsunterschiede aufgeführt:

OLG Zweibrücken 2009: Für einen Verstoß wurde es jedenfalls als ausreichend angesehen, wenn die absolute Geschwindigkeitsdifferenz als zu gering anzusehen ist und der Überholvorgang daher zu viel Zeit in Anspruch nimmt. Innerorts wurde dabei eine Differenz von 50 zu 40 km/h (...) bzw. – auf vierspuriger Straße – sogar von 50 zu 45 km/h (...3) als noch zulässig angesehen; der Verkehrsfluss solle nicht durch ein sonst eintretendes faktisches Überholverbot gestört werden. Auf der Autobahn wurde dagegen ein Geschwindigkeitsunterschied von 10 km/h als zu knapp beurteilt, jedenfalls bei beiderseits eher langsamem Tempo von 80 zu 70 km/h (...). Bei alledem wurde auch ausdrücklich betont, dass es auf die konkrete Verkehrslage im Einzelfall ankomme.

OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16. November 2009 – 1 SsRs 45/09

Anders ausgedrückt: Im Vordergrund der Regelung im § 5 Abs. 2 StVO steht nicht das Interesse schnell fahrender Pkw-Fahrer am schnellen Fortkommen im Vordergrund. Wäre das so, dann würde auf zweispurigen Autobahnen oder Kraftfahrstraßen für Lkw-Fahrer sozusagen ein faktisches Überholverbot bestehen.

13 Rechtzeitiges und deutliches Zeichengeben

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Bevor zum Überholen angesetzt wird, ist, nach erfolgter sorgfältiger Rückschau der jeweilige Fahrtrichtungsanzeiger zu betätigen. Diese Pflicht besteht nicht nur im Hinblick auf den nachfolgenden Verkehr, sondern auch im Hinblick auf den zu überholenden Verkehrsteilnehmer. Eine verspätete Anzeige kommt einem Unterlassen gleich.

Ohne rechtzeitige Zeichengabe darf niemand zum Überholen ausscheren.

Warnzeichen zum Anzeigen des Überholens sind nur außerorts zulässig, oder wenn Unsicherheiten des Vorausfahrenden das zu rechtfertigen vermögen. Kommt es trotz erfolgter Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers zum Unfall, dann kann sich dadurch durchaus eine Haftungsverteilung ergeben. Diesbezüglich heißt es in einem Urteil des Amtsgerichts Nauen aus dem Jahr 2005 wie folgt:

AG Nauen 2005: Nach § 5 Abs. 4 StVO muss derjenige Fahrzeugführer, der zum Zwecke des Überholens ausscheren will, dies rechtzeitig und deutlich ankündigen und darüber hinaus durch eine rechtzeitige und sorgfältige Rückschau eine Behinderung oder Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs verhindern.

Bezug nehmend auf den zu entscheidenden Fall heißt es an anderer Stelle:

Gegen die ihr als Ausscherende insoweit treffende äußerste Sorgfalt hat die Beklagte zu 1. verstoßen. Zwar ist im Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass die Beklagte ihre Absicht, den Überholvorgang einzuleiten, durch Setzen des linken Blinkers angezeigt und sich zur Mittellinie eingeordnet hat, gleichwohl ist die Beklagte zu 1. auf die Gegenfahrbahn ausgeschert, als sich das von dem Zeugen F geführte Motorrad lediglich in einer Entfernung von 20 - 30 m hinter der Beklagten zu 1. befand.

Im Hinblick auf das Verhalten des überholenden Zeugen F heißt es:

Zwar begründet alleine das Überholen der vor dem Zeugen F fahrenden Fahrzeugkolonne noch kein Verschulden des Zeugen F, gleichwohl muss der Überholer überblicken können, dass der gesamte Vorgang vom Ausscheren bis zum Wiedereingliedern für einen durchschnittlichen Fahrer ohne irgend ein Wagnis gefahr- und behinderungslos möglich sein werde. Danach verbietet gerade ein unklare Verkehrslage gem. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO jedes Überholen, wobei sich der Begriff der unklaren Verkehrslage nicht nach dem Gefühl des Überholwilligen, sondern gerade nach den objektiven Umständen richtet.

Die Haftungsfrage wurde wie folgt entschieden:

Bei der Abwägung der beiderseitigen Schadensverursachungsbeiträge und der vorliegend zu berücksichtigenden Betriebsgefahr der unfallbeteiligten Fahrzeuge erachtet das Gericht eine Haftungsquote von 70 % (Zeuge F), zu 30 % (Beklagte zu 1.), als angemessen.

AG Nauen, Urteil vom 24.11.2005 - 12 C 63/05

14 Äußerste Sorgfalt

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Äußerste Sorgfalt setzt eine gesteigerte und vor allen Dingen eine gefahrenbewusste Sorgfalt voraus.

LG Mönchengladbach 2021: Denn der Überholende ist, um den nachfolgenden Verkehr nicht zu gefährden, vor dem Ausscheren zu besonders sorgfältiger Rückschau verpflichtet. Es ist äußerste Sorgfalt und damit eine ausreichende vorherige Rückschau geboten, auch und gerade beim Ausscheren aus einer Fahrzeugkolonne. Hat sich ein Unfall [...] im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Überholvorgang (vgl. § 5 Abs. 4 StVO) bzw. einem Fahrstreifenwechsel (vgl. § 7 Abs. 5 StVO) ereignet, spricht der Beweis des ersten Anscheins in beiden Fällen für ein Verschulden des Fahrzeugführers.

LG Mönchengladbach, Urteil vom 29. April 2021 – Az.: 12 O 157/20

In einem Beschluss des OLG Rostock aus dem Jahr 2015 heißt es zur Sorgfaltspflicht wie folgt:

OLG Rostock 2015: Es kann dahinstehen, ob das dem Kläger vorwerfbare Verhalten als Verstoß gegen die aus § 5 StVO resultierenden Pflichten beim Überholen oder als ein Verstoß gegen die sich aus § 7 StVO beim Spurwechsel ergebenden Pflichten zu werten ist. Nach § 5 Abs. 4 StVO muss sich der Überholende so verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist, nach § 7 Abs. 5 StVO darf ein Fahrstreifen ebenfalls nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Damit treffen den Verkehrsteilnehmer jeweils gesteigerte Sorgfaltspflichten, wie sich aus der Fassung des Gesetzestextes ergibt. Hat sich ein Unfall im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Überholvorgang bzw. dem Fahrstreifenwechsel ereignet, spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Fahrzeugführers.

OLG Rostock, Beschluss vom 10.07.2015 - 5 U 67/14

15 Ausschluss von Gefährdungen

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Das bedeutet, um für eine eingetretene Gefahr nicht verantwortlich zu sein, dass auch ein Idealfahrer die eingetretene Gefährdung nicht hätte vermeiden können. Diesbezüglich heißt es in einem Urteil des OLG Rostock aus dem Jahr 2007 wie folgt:

OLG Rostock 2007: Unabwendbar ist ein Ereignis, das auch durch eine äußerst mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hinaus. Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit des Unfalls geltend machen will, muss sich unter Berücksichtigung der konkreten Verkehrsumstände wie ein Idealfahrer verhalten haben. Dabei darf sich die Prüfung nicht nur auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein Idealfahrer reagiert hat. Vielmehr ist sie auf die weitere Frage zu erstrecken, ob ein Idealfahrer überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre. Denn der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelte Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer später ideal verhält. Der sorgfältige Fahrer eines Kleintransporters hätte in der konkreten Verkehrssituation schon nicht zum Überholen der Kolonne angesetzt, sondern angesichts der besonderen Umstände zunächst abgewartet.

OLG Rostock, Urteil vom 23.02.2007 - 8 U 39/06

16 Ausreichender Seitenabstand

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Diesbezüglich heißt es im § 5 Abs. 4 StVO (Überholen) wie folgt:

(4) Wer zum Überholen ausscheren will, muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. Beim Überholen muss ein ausreichender Seitenabstand zu den anderen Verkehrsteilnehmern eingehalten werden. Beim Überholen mit Kraftfahrzeugen von zu Fuß Gehenden, Rad Fahrenden und Elektrokleinstfahrzeug Führenden beträgt der ausreichende Seitenabstand innerorts mindestens 1,5 m und außerorts mindestens 2 m. An Kreuzungen und Einmündungen kommt Satz 3 nicht zur Anwendung, sofern Rad Fahrende dort wartende Kraftfahrzeuge nach Absatz 8 rechts überholt haben oder neben ihnen zum Stillstand gekommen sind. Wer überholt, muss sich so bald wie möglich wieder nach rechts einordnen. Wer überholt, darf dabei denjenigen, der überholt wird, nicht behindern.

Aber auch bei der Einhaltung des Sicherheitsabstandes gilt, dass der nicht millimetergenau verpflichtend ist, sondern sich auch aus der Besonderheit der Verkehrssituation ergeben kann. So haben sich die Richter des OLG Karlsruhe zum einzuhaltenden seitlichen Abstand beim Überholen sich 2001 wie folgt positioniert:

OLG Karlsruhe 2001: Ein Seitenabstand beim Überholen von knapp unter einem Meter ist jedenfalls dann ausreichend, wenn dadurch keine Schreckreaktion des Überholten ausgelöst wird. In der Regel reicht ein Meter Seitenabstand beim Überholen aus. Selbst wenn der Seitenabstand bei knapp unter einem Meter war, liegt kein Verstoß gegen § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO vor. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO liegt insbesondere darin, Schreckreaktionen anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Der Seitenabstand darf nicht bedrängend eng sein, dass er Fehlreaktionen heraufbeschwört.

Der Seitenabstand wäre mit knapp einem Meter nur dann zu gering gewesen, wenn die Fahrbahn in einem schlechten Zustand oder das Wetter ungünstig gewesen wäre, der Kläger mit hoher Geschwindigkeit überholt hätte oder der Beklagte Ziffer 1 als Überholter zuvor eine unsichere Fahrweise an den Tag gelegt hätte.

OLG Karlsruhe, Urteil vom 8. Juni 2001 – 10 U 77/01

Hinsichtlich des einzuhaltenden Seitenabstandes beim Überholen kann von folgenden Richtwerten ausgegangen werden:

  • Einspurige Fahrzeuge (Kraftrad, Fahrrad): mindesten 1,5 Meter

  • Mehrspurige Fahrzeuge (PKW, LKW): mindestens 1 Meter

  • Wartende Linien- und Schulbusse: mindestens 2 Meter.

17 Gegenverkehr nicht behindern

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Nach § 5 Abs. 1 und 2 StVO darf nur überholen, wer übersehen kann, dass während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Darunter ist eine im Einzelnen festzustellende Beeinträchtigung des zulässigen, beabsichtigten Verhaltens eines anderen zu verstehen, ohne diesen zu gefährden oder zu schädigen. Eine Behinderung setzt dennoch voraus, dass der andere Verkehrsteilnehmer zu einem nicht von ihm beabsichtigten Verkehrsverhalten gezwungen wird. Es reicht aus, dass der Andere dadurch unsicher wird (BayObLG VRS 25, 224).

Um beurteilen zu können, ob ein Überholvorgang tatsächlich zu einer Behinderung geführt hat, sind somit Wahrnehmungen unerlässlich, die darauf schließen lassen, dass es zu einer Behinderung des Gegenverkehrs tatsächlich gekommen ist.

Beispiel: Lars und Mia befinden sich hinter einem vorausfahrenden Pkw, dessen Fahrer das Fahrzeug plötzlich abbremst, um dem Fahrer eines entgegenkommenden Pkws, der gerade auf dessen Fahrspur ein vorausfahrendes Fahrzeug überholt, diesen abschließen zu können. Zeitgleich gibt der Fahrer, der abbremsen musste, durch deutliche Handzeichen zu verstehen, dass so viel Leichtsinn eigentlich bestraft werden müsste. Lars und Mia nehmen ihre Wahrnehmungen zum Anlass, den Fahrer anzuhalten, der beim Überholen einen anderen Fahrzeugführer im Gegenverkehr zumindest behindert hat. Rechtslage?

In diesem Beispiel handelt es sich um ein Fehlverhalten im Sinne von § 5 Abs. 2 StVO. Danach darf nun überholen, wer übersehen kann, dass während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Davon kann hier jedoch nicht ausgegangen werden, denn anders lässt sich wohl kaum begründen, weshalb der Fahrer die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges plötzlich abbremste. Auch die von Lars und Mia wahrgenommenen Handbewegungen des vorausfahrenden Fahrers lassen den Schluss zu, dass dieser sich zumindest behindert, wenn nicht gar gefährdet fühlte. Da dieser Fahrzeugführer nicht angehalten werden konnte hat sich Mia das Kennzeichen dieses Fahrzeuges notiert, um für den Fall der Fälle später einen Zeugen zur Verfügung zu haben, der das von den Beamten zur Anzeige gebrachte Fehlverhalten auch aus seiner Sicht bestätigen kann. Auf jeden Fall ist aufgrund der Schwere des festgestellten Verkehrsverstoßes dieses Fehlverhalten zur Anzeige zu bringen.

TBNR 105606
Sie überholten, obwohl Sie nicht übersehen konnten, dass während des gesamten Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen war.

§ 5 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 19 BKat
1 Punkt
100,00 Euro

Wer überholt, obwohl er nicht übersehen kann, dass während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist, verstößt nur gegen § 5 Abs. 2 S. 1 StVO, da diese Vorschrift das unzulässige Überholen bei unklarer Verkehrslage (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO) verdrängt.

Beispielfortschreibung: Lars und Mia müssen selbst stark abbremsen, weil der vorausfahrende Pkw-Fahrer durch den entgegenkommenden überholenden Fahrzeugführer nicht nur stark abbremsen, sondern auch nach rechts auf den Randstreifen ausweichen muss, um einen Unfall zu vermeiden. Rechtslage?

Nunmehr handelt es sich um ein Fehlverhalten, das im Bußgeldkatalog wie folgt beschrieben wird:

TBNR 105607
Sie überholten, obwohl Sie nicht übersehen konnten, dass während des gesamten Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen war, und gefährdeten
+) dadurch Andere.
§ 5 Abs. 2, § 1 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 19 BKat; § 3 Abs. 3 BKatV; § 19 OWiG
1 Punkt
120,00 Euro

Bei Tatbeständen, die eine Behinderung oder Gefährdung beinhalten, bedeutet das Zeichen +), dass in den Tatvorwürfen [...] zu konkretisieren ist, worin die Behinderung oder Gefährdung bestand.

Der Verweis auf § 1 Abs. 2 StVO in der oben zitierten TBNR ist eigentlich nicht erforderlich, weil sowohl die Behinderung als auch die Gefährdung zum Tatbestand des § 5 StVO (Überholen) gehören, siehe § 5 Abs. 2 Satz 1 und § 5 Abs. 4 Satz 1 StVO. Auch ein Verweis auf § 19 OWiG ist nicht zwingend, weil das angedrohte Bußgeld in den beiden oben zitierten TBNR wesentlich höher ist, als das bei den festgesetzten Regelsätzen für ordnungswidriges Verhalten im Sinne von § 1 StVO (Grundregeln) der Fall ist:

TBNR 101106
Sie behinderten durch Außer-Acht-Lassen der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt
Andere mehr als nach den Umständen unvermeidbar.
§ 1 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 1.2 BKat
20,00 Euro

TBNR 101112
Sie gefährdeten durch Außer-Acht-Lassen der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt Andere. § 1 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 1.3 BKat
30,00 Euro

Die Festsetzung des Bußgeldes richtet sich insoweit ausschließlich an den Regelsätzen der TBNR, die verbotswidriges Überholen betrifft. Das ergibt sich auch aus § 19 des Ordnungswidrigkeitengesetzes.

§ 19 OWiG (Tateinheit)

18 Beendigung des Überholvorgangs

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Der Überholvorgang darf erst dann beendet werden, wenn beim Einscheren ein ausreichender Sicherheitsabstand zum überholten Fahrzeug gegeben ist.

AG Meppen 2018: Schert ein Kfz-Führer nach dem Überholen mit einem Abstand von nur 2m vor dem überholten Fahrzeug ein und bremst dann nach kurzer Fahrstrecke das Fahrzeug ab, hat er gegen § 5 Abs. 4 S. 4 StVO verstoßen und trägt unter Berücksichtigung der Betriebsgefahr des überholten Fahrzeugs 80% des Schadens.

An anderer Stelle heißt es:

Der Überholende darf sich vor den Überholten nur in einem solchen Abstand setzen, dass zwischen der Rückseite seines Fahrzeugs dem nachfolgenden Verkehrsteilnehmer ein Abstand verbleibt, der den Weg deutlich übersteigt, den Letzterer in 1 Sekunde zurücklegt. Bei der auf Seite des klägerischen PKW anzunehmenden Geschwindigkeit von rund 100 km/h beträgt die Wegstrecke, die pro Sekunde zurückgelegt wurde, rund 28 m. Selbst wenn die Zeugin pp. nur 80 km/h gefahren wäre, hätte der Abstand beim Einscheren mindestens 20 m betragen müssen.

AG Meppen, Urteil vom 24. Mai 2018 – 3 C 853/17

In diesem Sachzusammenhang gesehen ist auch eine Entscheidung des OLG Hamm aus dem Jahr 2014 bedeutsam.

OLG Hamm 2014: Die Überholverbotszeichen der Straßenverkehrsordnung verbieten, so der Senat, nicht nur den Beginn, sondern auch die Fortsetzung und die Beendigung des Überholvorgangs innerhalb der Überholverbotszone. Ein bereits vor Beginn der Überholverbotszone eingeleiteter Überholvorgang müsse noch vor dem Verbotsschild abgebrochen werden. Wer sich bei Beginn der Überholverbotszone mit seinem Fahrzeug bereits schräg vor dem zu überholenden Fahrzeug befinde, zu diesem aber noch keinen hinreichenden Sicherheitsabstand gewonnen habe, so dass er vor dem überholten Fahrzeug einscheren könne, müsse das Überholmanöver ebenfalls abbrechen.

OLG Hamm, Beschluss vom 7. Oktober 2014 – 1 RBs 162/14

Hinweis: Überholverbotszeichen enthalten ein umfassendes Überholverbot. Wer sich im laufenden Überholvorgang befinde, hat diesen abzubrechen, wenn der Überholvorgang vor dem Erreichen des Verbotszeichens nicht regelkonform beendet werden kann. Wer mangels einer Lücke nicht einscheren kann, müsse bremsen und sich notfalls zurückfallen lassen.

19 Überholverbot an Fußgängerüberwegen

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Im Bereich von Fußgängerüberwegen ist das Überholen verboten, siehe § 36 Abs. 3 StVO (Fußgängerüberwege).

§ 36 StVO (Fußgängerüberwege)

Ein vorher begonnener Überholvorgang ist vor dem Erreichen des Fußgängerüberwegs zu beenden. Sollte das nicht möglich sein, ist er abzubrechen. Vor einem Überweg haltende Fahrzeuge werden nicht überholt. Da geparkte Fahrzeuge aber oftmals die Sicht auf den Fußgängerüberweg verdecken, ist mit besonderer Vorsicht an solchermaßen geparkten Fahrzeugen vorbeizufahren.

20 Überholverbot öffentlicher Verkehrsmittel/Schulbusse

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Omnibusse des Linienverkehrs und gekennzeichnete Schulbusse, die sich einer Haltestelle (Zeichen 224) nähern und Warnblinklicht eingeschaltet haben, dürfen nicht überholt werden, siehe § 20 Abs. 3 StVO (Öffentliche Verkehrsmittel und Schulbusse).

§ 20 StVO (Öffentliche Verkehrsmittel und Schulbusse)

Immer dann, wenn sich ein Schulbus oder ein Omnibus des Linienverkehrs einer Haltestelle nähert und potentielle Fahrgäste bereits Anstalten machen, die Fahrbahn zum Einsteigen zu betreten, greift eine besondere Sorgfaltspflicht. Nähert sich ein öffentliches Verkehrsmittel oder ein Schulbus mit eingeschaltetem Warnblinklicht der Haltestelle, dann darf dieses Fahrzeug nicht überholt werden.

Der einzuhaltende Seitenabstand muss so bemessen sein, dass es dabei nicht zu Gefährdungen kommen kann.

21 Pflichten des zu Überholenden

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Zu den Pflichten des Fahrers, dessen Fahrzeug überholt wird, gehört es, dem Überholenden das Überholen zu erleichtern. Er darf zum Beispiel nicht unerwartet nach links ausscheren. Wer ein Überholen durch eine verkehrswidrige Fahrweise verhindern will, setzt sich zudem dem Vorwurf der Nötigung aus, siehe § 240 StGB (Nötigung).

Ständiges Fahren in Schlangenlinien oder die ausschließliche Benutzung der Überholspur kann dann als Nötigung bewertet werden, wenn es dabei zu einer Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs kommt, obwohl eine Gefährdung nicht unbedingt zwingend ist.

Anders ausgedrückt: Wer ohne vernünftigen Grund über eine längere Strecke sozusagen die Überholspur blockiert, um Schnellfahrer zu „erziehen“ und dabei bewusst und gewollt die eigene Fahrgeschwindigkeit erhöht, um sie dann wieder zu reduzieren, oder gar den Abstand zum Vordermann reduziert, um ein Überholen dadurch gefahrenträchtiger werden zu lassen, überschreitet die Grenze von verkehrswidrigem bußgeldbewehrten Verhalten hin zu strafbarem Verhalten iSv § 240 StGB (Nötigung).

§ 240 StGB (Nötigung)

Nötigung setzt aber voraus, dass das verkehrswidrige Verhalten von einigem Gewicht ist, also nicht nur kurzfristig und zufällig, sondern gewusst und gewollt.

Aus § 5 Abs. 6 StVO (Überholen) ergibt sich sowohl ein Beschleunigungsverbot als auch ein Geschwindigkeitsermäßigungsgebot.

Dort heißt es:

(6) Wer überholt wird, darf seine Geschwindigkeit nicht erhöhen. Wer ein langsameres Fahrzeug führt, muss die Geschwindigkeit an geeigneter Stelle ermäßigen, notfalls warten, wenn nur so mehreren unmittelbar folgenden Fahrzeugen das Überholen möglich ist. Hierzu können auch geeignete Seitenstreifen in Anspruch genommen werden; das gilt nicht auf Autobahnen.

Linksabbieger: Diesbezüglich heißt es in einem Urteil des LG Lübeck aus dem Jahr 2023 wie folgt:

LG Lübeck 2023: Abbiege- und Überholvorgänge im Straßenverkehr bergen große Risiken und verlangen daher größte Aufmerksamkeit von allen Verkehrsteilnehmern.

Linksabbiegern unterliegen sozusagen einer doppelten Rückschaupflicht.

Derjenige, der links abbiegen wolle, habe vor dem Einordnen und nochmals direkt vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr zu achten.

LG Lübeck, Pressemitteilung vom 07.12.2023 zum Urteil 15 O 46/23 vom 28.09.2023

22 Überholen und § 315c StGB

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Die Grenze von ordnungswidrigem zu strafbarem Verhalten durch verbotswidriges Überholen wird überschritten, wenn der Täter tatbestandlich im Sinne von § 315 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b StGB handelt. Danach macht sich strafbar, wer im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er grob verkehrswidrig und rücksichtslos falsch überholt oder sonst bei Überholvorgängen falsch fährt.

§ 315c StGB (Gefährdung des Straßenverkehrs)

Strafbar handelt aber nur, wer grob verkehrswidrig und rücksichtslos überholt. Aus diesem Grunde wird im Folgenden auch nur dieses Tatbestandsmerkmal erörtert, weil die anderen Inhalte zum verbotswidrigen Überholen bereits erörtert wurden. Zu erörtern sind somit die beiden Tatbestandsmerkmale „grob verkehrswidrig“ und „rücksichtslos“. Diese Tatbestandsmerkmale enthalten sowohl sichtbare, also objektiv erkennbare Elemente, als auch subjektive, also vom Vorsatz getragene Merkmale.

Zu den Voraussetzungen einer Gefährdung des Straßenverkehrs haben sich die Richter des OLG Koblenz 2016 wie folgt positioniert:

OLG Koblenz 2016: Leitsatz: 1. Rücksichtslos im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB handelt, wer sich zwar seiner Pflichten als Verkehrsteilnehmer bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen darüber hinwegsetzt, oder wer sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten besinnt, Hemmungen gegen seine Fahrweise gar nicht erst aufkommen lässt und unbekümmert um die Folgen seiner Fahrweise darauf losfährt.

Leitsatz 2. Ob eine solche grob verkehrswidrige Gesinnung vorgelegen hat, ist aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller Tatumstände zu prüfen. Neben der Frage, inwieweit der Täter die Verkehrsumstände erkannt hat, können hierbei der Grad der objektiven Verkehrswidrigkeit, vorangehendes oder nachfolgendes Verhalten des Täters und der Ausschluss entlastender subjektiver Faktoren - beispielsweise ein mögliches Augenblicksversagen, Schreck, Eile aus nachvollziehbaren Gründen - Bedeutung gewinnen.

Leitsatz 3. Eine konkrete Gefährdung ist gegeben, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung aufgrund objektiv nachträglicher Prognose die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache von bedeutendem Wert durch das Verhalten des Täters so stark beeinträchtigt ist, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob die Rechtsgutverletzung eintritt oder nicht dabei an die tatrichterlichen Feststellung strenge Anforderungen zu stellen. Die Gefährdung ist präzise und nachvollziehbar zu belegen; inhaltsleere und eher wertende Begriffe wie z.B. Notbremsung, Vollbremsung oder scharfes Abbremsen sind wegen ihrer ungenügenden Aussagekraft zu vermeiden.

An anderer Stelle heißt es:

Nach der Rechtsprechung handelt rücksichtslos im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB, wer sich zwar seiner Pflichten als Verkehrsteilnehmer bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen darüber hinwegsetzt, oder wer sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten besinnt, Hemmungen gegen seine Fahrweise gar nicht erst aufkommen lässt und unbekümmert um die Folgen seiner Fahrweise darauf losfährt (...). Betrifft das Merkmal der groben Verkehrswidrigkeit im Wesentlichen die objektive Seite des Verkehrsverstoßes, bezieht sich die Voraussetzung der Rücksichtslosigkeit mehr auf die subjektive Tatseite (...). In subjektiver Hinsicht darf die Rücksichtslosigkeit des Täters nicht allein aus dem äußeren Tatgeschehen geschlossen werden (...).

Zum objektiven Tatbestand:

Der objektive Tatbestand des § 315c StGB setzt den Eintritt einer konkreten Gefährdung voraus. Eine solche ist anzunehmen, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung aufgrund objektiv nachträglicher Prognose die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache von bedeutendem Wert durch das Verhalten des Täters so stark beeinträchtigt ist, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob die Rechtsgutverletzung eintritt oder nicht (....). Zur Verhinderung einer ausufernden Anwendung der Vorschrift sind dabei an die tatrichterlichen Feststellungen strenge Anforderungen zu stellen. Das Vorliegen einer hochgradigen Existenzkrise für die bedrohten Rechtsgüter ist präzise und nachvollziehbar zu belegen; „inhaltsleere“ und eher wertende Begriffe wie z.B. „Notbremsung“, „Vollbremsung“ oder „scharfes Abbremsen“ sind im Hinblick auf die ungenügende Aussagekraft zu vermeiden. Nachvollziehbar beschrieben werden kann die Gefahrenlage indessen durch möglichst konkrete Angaben zum Fahrverhalten des Fahrzeugs, zu Reaktionen des Fahrers und zu wahrnehmbaren Veränderungen des verkehrstypischen Geschehensablaufs, wozu bei einem starken Bremsvorgang beispielsweise etwa quietschende Reifen, Ausbrechen, Schlingern oder Schleudern des Fahrzeugs, das Umherfliegen von Gegenständen im Fahrzeuginneren oder das Ansprechen von Sicherheitsgurten gehören können.

Zur subjektiven Tatseite heißt es:

Nach allgemeinen Grundsätzen der Beweiswürdigung wäre vielmehr zu prüfen gewesen, ob die subjektive Tatseite, mithin auch eine grob verkehrswidrige Gesinnung (...), aus einer wertenden Gesamtschau aller Tatumstände geschlossen werden kann. Neben der Frage, inwieweit der Täter die Verkehrsumstände erkannt hat, können hierbei der Grad der objektiven Verkehrswidrigkeit, vorangehendes oder nachfolgendes Verhalten des Täters und der Ausschluss entlastender subjektiver Faktoren - beispielsweise ein mögliches Augenblicksversagen, Schreck, Eile aus nachvollziehbaren Gründen - Bedeutung gewinnen.

OLG Koblenz, Beschluss vom 17. März 2016 - 2 OLG 4 Ss 18/16

Daraus ist zu schließen, dass in subjektiver Hinsicht die Rücksichtslosigkeit des Täters nicht allein aus dem äußeren Tatgeschehen geschlossen werden kann und darf. Vielmehr ist es nach allgemeinen Grundsätzen der Beweiswürdigung notwendig, die subjektive Tatseite, wozu insbesondere Feststellungen zur grob verkehrswidrigen Gesinnung des Täters gehören, aus einer umfassenden bewertenden Gesamtschau aller Tatumstände zu erforschen. Zu klären sind somit, inwieweit sich der Täter der Gefährlichkeit seines Verhaltens bewusst war. Diesbezüglich den Täter entlastende Elemente sind dabei genauso bedeutsam, wie Faktoren, die für seine verkehrsfeindliche Einstellung sprechen.

Insoweit können subjektive Faktoren, wie zum Beispiel ein mögliches Augenblicksversagen, Schreck oder auch Eile aus nachvollziehbaren Gründen, durchaus von Bedeutung sein.

23 Schlüsselwörter

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Überholen - Ausschluss von Gefährdungen
Überholen - Äußerste Sorgfalt
Überholen - Beendigung des Überholvorgangs
Überholen - Begriffsdefinition
Überholen - Linksabbieger
Überholen - Rückschaupflicht
Überholen - Sicherheitsabstand
Überholen -
Unklare Verkehrslage
Überholen -
Unzulässiges Ausscheren
Überholen -
Überholgeschwindigkeit
Überholen - § 315c
StGB

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