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§ 19 StVO – Bahnübergänge

Inhaltsverzeichnis:

01 Allgemeines
02
TBNR gemäß Bußgeldkatalog 2023
03 Verhalten an Bahnübergängen
04 Komplexe Regeln für Schienenfahrzeuge in der StVO
05 Unfall mit Schienenfahrzeug
06 Unfall Zug und Lkw
07 Sich öffnende
Schranken
08 Grobe Fahrlässigkeit beim Überqueren
09 Ordnungswidrigkeit oder Straftat

01 Allgemeines

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Für alle aktiven Verkehrsteilnehmer, die sich einem Bahnübergang nähern, sind die im § 19 StVO (Bahnübergänge) aufgeführten Regelungen verbindlich.

§ 19 StVO (Bahnübergänge)

In der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) sind nämlich keine diesbezüglichen Regelungen enthalten, die sich an Verkehrsteilnehmer richten, denn die EBO enthält nur Regelungen, die sich an „regelspurige Eisenbahnen“ richten. Eisenbahnen müssen, so heißt es im § 2 EBO (Allgemeine Anforderungen), so beschaffen sein, dass sie den Anforderungen der Sicherheit und Ordnung genügen.

Kurzum: Schienenfahrzeuge haben auf höhengleichen Übergängen mit Straßen stets Vorrang, wenn dieser Bahnübergang mit einem Andreaskreuz, Zeichen 201 der Anlage 2 zur StVO, gekennzeichnet ist.

Zeichen 201
Andreaskreuz

Ge-
oder Verbot

1. Wer ein Fahrzeug führt, muss dem Schienenverkehr Vorrang gewähren.
2. Wer ein Fahrzeug führt, darf bis zu 10 m vor diesem Zeichen nicht halten, wenn es dadurch verdeckt wird.

3. Wer ein Fahrzeug führt, darf vor und hinter diesem
Zeichen

a) innerhalb geschlossener Ortschaften (Zeichen 310 und 311) bis zu je 5 m,
b) außerhalb geschlossener Ortschaften bis zu je 50 m

nicht
parken.

4. Ein Zusatzzeichen mit schwarzem Pfeil zeigt an, dass das Andreaskreuz nur für den Straßenverkehr in Richtung dieses Pfeils gilt.

Erläuterung

Das Zeichen (auch liegend) befindet sich vor dem Bahnübergang, in der Regel unmittelbar davor. Ein Blitzpfeil in der Mitte des Andreaskreuzes zeigt an, dass die Bahnstrecke eine Spannung führende Fahrleitung hat.

Andreaskreuz

02 TBNR gemäß Bußgeldkatalog 2023

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Im Bußgeldkatalog 2023 sind im Hinblick auf Regelverstöße im Sinne von § 19 StVO (Bahnübergänge) insgesamt 19 Tatbestandsmerkmale aufgeführt. Bei den meisten Regelverstößen handelt es sich um anzeigepflichtige Verkehrsordnungswidrigkeiten, die nicht nur ein Bußgeld, sondern auch Punkte und in besonderen Fällen auch Fahrverbote vorsehen.

119600
Sie fuhren mit nicht angepasster Geschwindigkeit an einen Bahnübergang heran.
1 Punkt
100,00 Euro
119606
Sie missachteten mit einem Fahrzeug den Vorrang eines Schienenfahrzeuges.
1 Punkt
80,00 Euro
119607
Sie missachteten mit einem Fahrzeug den Vorrang eines Schienenfahrzeuges und gefährdeten dadurch Andere.
1 Punkt
100,00 Euro
119608
Sie missachteten mit einem Fahrzeug den Vorrang eines Schienenfahrzeuges. Es kam zum Unfall.
1 Punkt
120,00 Euro
119612
Sie überholten unzulässig ein Kraftfahrzeug an einem Bahnübergang.
1 Punkt
70,00 Euro
119613
Sie überholten unzulässig ein Kraftfahrzeug an einem Bahnübergang und gefährdeten dadurch Andere.
1 Punkt
85,00 Euro
119614
Sie überholten unzulässig ein Kraftfahrzeug an einem Bahnübergang. Es kam zum Unfall.
1 Punkt
105,00 Euro
119618
Sie überquerten mit einem Fahrzeug den Bahnübergang unter Verstoß gegen die Wartepflicht, obwohl sich ein Schienenfahrzeug näherte.
1 Punkt
80,00 Euro
119619
Sie überquerten mit einem Fahrzeug den Bahnübergang unter Verstoß gegen die Wartepflicht, obwohl sich ein Schienenfahrzeug näherte, und gefährdeten dadurch Andere.
1 Punkt
100,00 Euro
119620
Sie überquerten mit einem Fahrzeug den Bahnübergang unter Verstoß gegen die Wartepflicht, obwohl sich ein Schienenfahrzeug näherte. Es kam zum Unfall.
1 Punkt
120,00 Euro
119624
Sie überquerten mit einem Fahrzeug den Bahnübergang unter Verstoß gegen die Wartepflicht, obwohl rotes Blinklicht gegeben wurde oder gelbe Lichtzeichen gegeben wurden oder rote Lichtzeichen gegeben wurden.
1 Punkt
1 Monat Fahrverbot
240,00 Euro
119625
Sie überquerten mit einem Fahrzeug den Bahnübergang unter Verstoß gegen die Wartepflicht, obwohl rotes Blinklicht gegeben wurde oder gelbe Lichtzeichen gegeben wurden oder rote Lichtzeichen gegeben wurden, und gefährdeten dadurch Andere.
2 Punkte
1 Monat Fahrverbot
290,00 Euro
119626
Sie überquerten mit einem Fahrzeug den Bahnübergang unter Verstoß gegen die Wartepflicht, obwohl rotes Blinklicht gegeben wurde oder gelbe Lichtzeichen gegeben wurden oder rote Lichtzeichen gegeben wurden. Es kam zum Unfall.
2 Punkte
1 Monat Fahrverbot
350,00 Euro
119627
Sie überquerten mit einem Fahrzeug den Bahnübergang unter Verstoß gegen die Wartepflicht, obwohl die Schranken sich senkten oder ein Bahnbediensteter „Halt“ gebot oder ein hörbares Signal, wie das Pfeifsignal des herannahenden Zuges, ertönte.
2 Punkte
1 Monat Fahrverbot
240,00 Euro
119628
Sie überquerten mit einem Fahrzeug den Bahnübergang unter Verstoß gegen die Wartepflicht, obwohl die Schranken sich senkten oder ein Bahnbediensteter „Halt“ gebot oder ein hörbares Signal, wie das Pfeifsignal des herannahenden Zuges, ertönte, und gefährdeten dadurch Andere.
2 Punkte
1 Monat Fahrverbot
290,00 Euro
119629
Sie überquerten mit einem Fahrzeug den Bahnübergang unter Verstoß gegen die Wartepflicht, obwohl die Schranken sich senkten oder ein Bahnbediensteter „Halt“ gebot oder ein hörbares Signal, wie das Pfeifsignal des herannahenden Zuges, ertönte. Es kam zum Unfall.
2 Punkte
1 Monat Fahrverbot
350,00 Euro
119630
Sie überquerten mit einem Kraftfahrzeug den Bahnübergang trotz geschlossener Schranke/Halbschranke.
2 Punkte
3 Monate Fahrverbot
700,00 Euro
119636
Sie überquerten als nichtmotorisierter Verkehrsteilnehmer den Bahnübergang trotz geschlossener Schranke/Halbschranke.
1 Punkt
350 Euro
119100
Sie verletzten vor einem Bahnübergang eine Wartepflicht.
10,00 Euro

03 Verhalten an Bahnübergängen

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Die wichtigsten Verhaltensregeln an Bahnübergängen werden wie folgt überblickhaft aufgelistet:

  • Heranfahren mit mäßiger Geschwindigkeit

  • Überholverbot im Bereich von Bahnübergängen

  • Verhaltensregelungen, wenn sich ein Schienenfahrzeug nähert

  • Wartepflicht für Fahrzeuge und Fußgänger

  • Wartepflicht bei rotem oder gelbem Blinklicht oder roten Lichtzeichen

  • Wartepflicht wenn sich Schranken senken oder geschlossen sind

  • Wartepflicht wenn Bahnbedienstete Halt gebieten

  • Wartepflicht bei hörbarem Signal eines sich nähernden Zuges

  • Kann der Bahnübergang wegen des Straßenverkehrs nicht zügig und ohne Aufenthalt überquert werden, ist vor dem Andreaskreuz zu warten.

  • Auch an Bahnübergängen ohne Vorrang ist stets mit Bahnverkehr zu rechnen, es sei denn, es kommt offensichtlich kein Zug.

Den Betreiber von Schienenbahnen im industriellen Umfeld, an denen es mehrfach zu Verkehrsunfällen gekommen ist, trifft eine besondere Verkehrssicherungspflicht.

OLG Oldenburg 1999: An viel befahrenen Bahnübergängen mit industriellem Umfeld, an denen es in der Vergangenheit bereits zu mehreren tödlichen Unfällen gekommen ist, muss die Bahn in Erfüllung ihrer Verkehrssicherungspflichten über die in EBO vorgesehenen Sicherungen hinaus geeignete weitere Sicherungsmaßnahmen ergreifen, um den Bahnübergang ausreichend zu sichern, wenn dieser unbeschrankt und lediglich mit Blinklicht und akustischem Signal ausgestattet ist.

An anderer Stelle heißt es:

§ 19 Abs. 1 und 2 StVO regelt das Verhältnis zwischen Schienenverkehr und Straßenverkehr an unbeschrankten Bahnübergängen dahingehend, dass die Schienenfahrzeuge bei Beschilderung mit einem „Andreas-Kreuz“ den Vorrang haben und dass die Straßenverkehrsteilnehmer vor diesem Verkehrszeichen warten müssen, wenn sich ein Schienenfahrzeug nähert. Weil der Kraftfahrzeugführer stets mit Bahnverkehr rechnen muss, ist er vor unbeschrankten Bahnübergängen zur erhöhten Aufmerksamkeit verpflichtet. Er hat so zu fahren, dass er auf kürzester Entfernung anhalten kann, jedenfalls solange er die Sicherungen des Überganges nicht ausmachen kann. Er muss notfalls mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder vor dem Übergang anhalten und sich vergewissern, dass sich keine Schienenbahn nähert.

OLG Oldenburg, Urteil vom 23.04.1999 - 13 U 1/99

04 Komplexe Regeln für Schienenfahrzeuge in der StVO

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Im Hinblick auf das Verhalten von Verkehrsteilnehmern gegenüber Schienenfahrzeugen enthält die StVO eine Vielfalt von Regelungen. Welche das im Einzelnen sind, das kann dem folgenden Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth aus dem Jahr 2021 entnommen werden, aus dem im Folgenden zitiert wird. In diesen Text wurden die Paragrafen der StVO von mir eingefügt.

Anlass für dieses Urteil war ein Verkehrsunfall zwischen einem Pkw und einem Schienenfahrzeug. Das Urteil macht deutlich, wie filigran verkehrsrechtliche Fragen , die Bahnübergänge betreffen, geregelt sind.

LG Nürnberg-Führt 2021: Die StVO enthält in § 19 StVO eine spezielle Regelung für Bahnübergänge, sowie z.B. in § 2, § 5, § 9, § 12, § 37 StVO besondere Regelungen im Zusammenhang mit Schienenfahrzeugen.

§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 3 StVO sieht dabei zunächst einen generellen Vorrang von Schienenfahrzeugen an mit einem Andreaskreuz (Zeichen 201 nach Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO) gekennzeichneten Bahnübergängen vor. Dasselbe gilt nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StVO für Bahnübergänge über untergeordnete Wege.

An anderen Bahnübergängen ergibt sich nach § 19 Abs. 5 StVO ein Vorrang der Schienenfahrzeuge nur bei entsprechenden Signalen durch Bahnbedienstete, wobei § 19 Abs. 5 Satz 2 StVO zur Bedeutung von roten und gelben Lichtsignalen auf § 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO verweist. Im Übrigen enthält die StVO für solche Bahnübergänge keine Vorrangregelung. Die Rechts-vor-links-Regel des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO gilt nicht, weil das Bahngleis keine öffentliche Straße darstellt (...).

Der Schienenverkehr soll in diesen Fällen vielmehr die sich aus § 10 StVO ergebenden Pflichten zu beachten haben (...).

Nach § 2 Abs. 3 StVO müssen Fahrzeuge, die in der Längsrichtung einer Schienenbahn verkehren, diese, soweit möglich, durchfahren lassen. Wer nach links abbiegen will, darf sich nach § 9 Abs. 1 Satz 3 StVO auf längs verlegten Schienen nur einordnen, wenn kein Schienenfahrzeug behindert wird. Zudem muss er nach § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 StVO Schienenfahrzeuge durchlassen, wenn sie auf oder neben der Fahrbahn in der gleichen Richtung fahren. Nach § 5 Abs. 7 Satz 2 bis Satz 4 StVO sind Schienenbahnen grundsätzlich rechts zu überholen. Gemäß § 12 Abs. 4 Satz 4, Satz 5 StVO darf im Fahrraum von Schienenfahrzeugen nicht gehalten werden.

Nach § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 StVO kann der Verkehr, für den eine Wechsellichtzeichenanlage „Grün“ zeigt, an Kreuzungen nach den Regeln des § 9 StVO abbiegen, nach links jedoch nur, wenn er Schienenfahrzeuge dadurch nicht behindert. § 37 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 Halbs. 1 StVO sieht vor, dass für Schienenbahnen besondere Zeichen, auch mit abweichenden Phasen gegeben werden können.

Aus dieser Systematik scheint sich zu ergeben, dass die Vorschriften zur Bestimmung des Vorrangs an Bahnübergängen i.S. des § 20 Abs. 1 Satz 1 BOStrab - zumindest primär - in § 19 StVO zu finden sind.

Die weiteren (...) angeführten Regelungen scheinen hingegen - zumindest primär - den Fall vor Augen zu haben, dass die Straßenbahn auf einem straßenbündigen Bahnkörper verkehrt, damit nach § 55 Abs. 1 Satz 1 BOStrab am Straßenverkehr teilnimmt und deren Führer daher nach § 55 Abs. 1 Satz 2 BOStrab die Vorschriften der StVO zu beachten hat.

Nicht ausgeschlossen - und daher durch eine Auslegung der Vorschriften im Einzelfall festzustellen - ist dabei jedoch, dass auch die Regelungen außerhalb des § 19 StVO eine Regelung des Schienenverkehrs zum Straßenverkehr i.S. des § 20 Abs. 1 Satz 1 BOStrab beinhalten können.

Insbesondere das Verhältnis zwischen den Vorrangregeln des § 19 StVO einerseits und § 37 StVO andererseits ist dabei in der StVO nicht ausdrücklich geregelt. Das Verständnis dieses Verhältnisses wird dabei noch dadurch erschwert, dass beide Vorschriften absolute Geltung und damit Vorrang vor der anderen zu beanspruchen scheinen (...).

Bei zutreffender Auslegung ergibt sich jedoch, dass jedenfalls dann, wenn Fahrsignale für die Straßenbahn in eine Gesamtlichtzeichenanlage nach § 37 StVO integriert sind, die sich die aus den Lichtzeichen ergebende Vorrangregelung der Regelung des § 19 StVO vorgeht.

§ 19 Abs. 1 StVO räumt in Satz 1 genannten Schienenfahrzeugen Vorrang vor dem (gesamten) in Satz 2 genannten Straßenverkehr (nicht etwa den „anderen Verkehrsteilnehmern“) ein. Hieran wird deutlich, dass § 19 Abs. 1 StVO keinen Vorrang von verschiedenen Teilnehmern des Straßenverkehrs, sondern den Vorrang einer Verkehrsart vor der anderen statuiert.

Der Wortlaut des § 37 Abs. 1 Satz 1 StVO lässt hingegen keine Beschränkung dahingehend erkennen, dass die durch Lichtzeichenanlagen getroffenen Anordnungen nur auf die Geltung innerhalb des Straßenverkehrs beschränkt sein soll. Mit dem Hinweis auf die „besonderen Zeichen“ für Schienenbahnen in § 37 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 StVO werden zudem die Signalzeichen nach der Anlage 4 zu §§ 20, 21, 40, 51 BOStrab, insbesondere die Fahrsignale nach Ziffer 3 (F0 bis F5), in die Lichtzeichenregelung nach § 37 StVO mit einbezogen. Auch § 21 Abs. 4 Satz 1 BOStrab sieht eine solche Einbeziehung in eine Gesamtanlage vor.

Aus dieser Regelungssystematik dürfte zu folgern sein, dass die aus Fahrsignalen nach der Anlage 4 zur BOStrab ergebende Vorrangregelung jedenfalls dann nach § 37 Abs. 1 Satz 1 StVO der Vorrangregelung nach § 19 Abs. 1 StVO vorgeht, wenn die Fahrsignale an einer Kreuzung in die Lichtzeichenregelung einer Gesamtanlage einbezogen sind.

In dieser Anlage sind alle Signale erfasst, die Führern von Schienenfahrzeugen zur Verfügung stehen, als da sind:

1. Hauptsignale
2. Vorankündigungssignale
3. Fahrsignale
4. Abfertigungssignale
5. Zugsignale
6. Geschwindigkeitssignale
7. Schutzsignale
8. Rangiersignale
9. Schaltsignale
10. Weichensignale
11. Überwachungssignale für Bahnübergänge
12. Sondersignale

Die sich aus den Lichtzeichen ergebende Vorrangregelung dürfte ihren Regelungsgehalt dann nicht nur innerhalb des Straßenverkehrs, sondern darüber hinaus auch im Verhältnis der Verkehrsarten Schienenverkehr und Straßenverkehr zueinander entfalten und damit auch - nach § 20 Abs. 1 Satz 1 BOStrab zulässig - den Vorrang an Bahnübergängen über besondere und unabhängige Bahnkörper regeln. Die Regelung durch Verkehrszeichen dürfte gegenüber dieser Regelung durch Lichtzeichen zurücktreten (...).

LG Nürnberg-Fürth, Hinweisbeschluss v. 19.10.2021 – 8 S 5015/21

Solche Rechtsfragen haben Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte bei der Aufnahme von Verkehrsunfällen unter Beteiligung von Schienenfahrzeugen nicht zu beantworten. Dieses Beispiel soll lediglich aufzeigen, wie filigran die Regelungen in der StVO sind, die Schienenfahrzeuge betreffen.

05 Unfall mit Schienenfahrzeug

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In Städten, in denen noch Straßenbahnen fahren, kann es zu Verkehrsunfällen kommen, bei denen zu klären ist, welchen Lichtsignalen Vorrang gebührt.

§ 19 StVO (Bahnübergänge)
§ 37 StVO (Wechsellichtzeichen, Dauerlichtzeichen und Grünpfeil)

Über diese komplizierte Rechtsfrage hatten 2021 die Richter des AG Nürnberg zu entscheiden.

Anlass für die Entscheidung war ein Zusammenstoß zwischen einer Straßenbahn und einer Pkw-Fahrerin.

AG Nürnberg: Allerdings ist den Beklagten (gemeint ist der Betreiber der Straßenbahn) insoweit zuzustimmen, dass nach § 19 Abs. 1 Nr. 1, 2 Nr. 1 StVO Schienenfahrzeuge Vorrang auf Bahnübergängen mit Andreaskreuz (Zeichen 201) haben. Fahrzeuge haben vor dem Andreaskreuz zu warten, wenn sich ein Schienenfahrzeug nähert. Insoweit ist das Verhältnis zwischen § 19 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StVO einerseits und § 37 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StVO anderseits zu klären. Denn zunächst gewähren beide Vorschriften Vorrang gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern.

Denn gemäß § 37 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Hs. 1 StVO bedeutet an Kreuzungen: Grün: „Der Verkehr ist freigegeben“. Gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StVO besteht aber ein Vorrangrecht für den Schienenverkehr. § 37 Abs. 2 S: 2 Nr. 1 Hs. 2 StVO schränkt das Vorfahrtsrecht bei Lichtzeichenanlagen aber dahingehend ein, dass Abbiegende unter weiterer Beachtung der Regeln des § 9 abbiegen können, nach links jedoch nur, wenn Schienenfahrzeuge dadurch nicht behindert werden.

Es wurde bereits ausgeführt, dass in § 9 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StVO die parallel zur Straße fahrenden Schienenfahrzeuge ausdrücklich erwähnt wurden; nicht hingegen die kreuzenden Schienenfahrzeuge. Das Gericht versteht daher § 37 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Hs. 2 StVO dahingehend, dass hier nicht nochmals wiederholend die Regelung aus § 9 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StVO aufgegriffen werden soll. Damit die Regelung in § 37 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Hs. 2 StVO einen eigenständigen Regelungsgehalt hat, müssen hier auch alle anderen Schienenfahrzeuge gemeint sein. Das ergibt dann insoweit Sinn, als in § 19 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StVO ein uneingeschränkter Vorrang für Schienenfahrzeuge auf Bahnübergängen mit Andreaskreuz geregelt ist. Die Rechtsprechung im Bereich der Ordnungswidrigkeiten hat insoweit auch einen Vorrang von § 19 StVO vor § 37 StVO bejaht (...).

Der Beklagte zu 2 (gemeint ist der Fahrer der Straßenbahn) hingegen hatte das Vorfahrtsrecht der Zeugin gemäß § 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StVO missachtet. Denn er war seit mehreren (mind. 14) Sekunden trotz Stoppsignal weitergefahren.

Grundsätzlich führt ein Vorfahrtsverstoß zu einer vollständigen Haftung des Wartepflichtigen (...). Hier ist allerdings zum einen zu berücksichtigen, dass für die Zeugin der Vorfahrtsverstoß erkennbar war. Außerdem bestand für sie aufgrund des Andreaskreuzes eine Wartepflicht (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 StVO). Dem gegenüber verletzten die Beklagten das Vorfahrtsrecht der Zeugin erheblich (mind. 14 Sekunden). Außerdem ist zu beachten, dass die normale Betriebsgefahren eines PKW gegenüber der einer Straßenbahn geringer abzusetzen ist (...).

Nach Abwägung aller Umstände hält das Gericht eine Haftung von 80% zu 20% zu Lasten der Beklagten für angemessen.

AG Nürnberg, Endurteil vom 07.07.2021 - 19 C 6255/20

06 Unfall Zug und Lkw

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Es entspricht polizeilicher Erfahrung, dass es im öffentlichen Straßenverkehr zu Schadensereignissen kommen kann, die, wenn es zum Unfall kommt, eine Fülle von Rechtsfragen aufwerfen. So auch der Anlass, der einem Urteil des OLG Celle aus dem Jahr 2023 zugrunde lag.

Anlass: Am 24. Januar 2019 beabsichtigte der Fahrer einer Sattelzugmaschine samt Sattelauflieger einen Bahnübergang zu überqueren, um dann unmittelbar hinter dem Bahnübergang nach rechts abzubiegen. Bei geöffneter Schranke fuhr der Fahrer des Sattelzuges los. Es gelang ihm jedoch aufgrund der Länge seines Gespanns und der örtlichen Verhältnisse nicht, den Bahnübergang unmittelbar zu überqueren und den Abbiegevorgang in einem Zug durchzuführen. Nach einigem Rangieren und während sich das Heck des Aufliegers noch auf den Bahnschienen befand, wechselte die Lichtzeichenanlage auf Rot, ein akustisches Signal ertönte und die Halbschranken begannen, sich zu senken. Zwar senkte sich die Halbschranke auf einer Seite vollständig, nicht aber auf der Seite des Sattelzuges, der das ja verhinderte.

Der Bahnübergang löste daraufhin eine Störungsmeldung aus, die bei dem Fahrdienstleiter auf dem Stellwerk einging. Dieser erteilte jedoch keinen Nothaltauftrag an den Triebfahrzeugführer, da ein solcher Auftrag den Zusammenstoß nicht mehr hätte verhindern können, da der Zug nicht mehr rechtzeitig hätte angehalten werden können.

Im amtlichen Leitsatz des OLG Celle heißt es wie folgt:

OLG Celle 2023: 1. Zwischen einem Eisenbahnverkehrsunternehmen und Eisenbahninfrastrukturunternehmen besteht im Rahmen eines Anspruchs aus § 1 HaftPflG bzw. §§ 7, 17 StVG eine Haftungs- und Zurechnungseinheit mit der Folge der Zurechnung der jeweiligen Verursacherbeiträge.

2. Die Überwachung eines Bahnübergangs ist so auszugestalten, dass im Falle eines nicht vollständigen Absinkens der Schranken aufgrund eines auf den Gleisen befindlichen Hindernisses der herannahende Zug noch rechtzeitig vor dem nicht gesicherten Bahnübergang angehalten werden kann.

3. Ist dem Eisenbahnverkehrsunternehmen oder dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen eine besondere Gefahrenlage an einem Bahnübergang bekannt, hat das Unternehmen ggf. bei den zuständigen Behörden oder weiteren Dritten auf Sicherungsmaßnahmen hinzuwirken und jedenfalls bis zur vollständigen Umsetzung eines beschlossenen Maßnahmenpaketes umgehend alles Erforderliche und Zumutbare zu tun, um die bekannten Gefahren bestmöglich abzuwenden.

Mit anderen Worten: Der Fahrer des Sattelzuges verstößt gegen § 19 Abs. 3 StVO, wenn er einen Bahnübergang kreuzt, obwohl er sich nicht vergewissert hat, dass er diesen aufgrund der beengten Straßenverhältnisse so zügig überqueren kann, dass es nicht zu einer Gefährdung des Eisenbahnverkehrs kommt. Das gilt aber nicht, wenn er das beim „Losfahren“ nicht erkennen konnte.

OLG Celle 2023: Nach § 19 Abs. 3 StVO ist vor dem Andreaskreuz zu warten, wenn der Bahnübergang wegen des Straßenverkehrs nicht zügig und ohne Aufenthalt überquert werden kann. Der einen Bahnübergang überquerende Verkehrsteilnehmer muss die Gewissheit haben, jenseits der Gleise genügend Platz zum Anhalten oder Weiterfahren zu haben (...). Nach dem Vortrag des Klägers [...] gab es vor dem Einfahren auf den Gleisbereich für den [Lkw-Fahrer] keine Anhaltspunkte, dass ein zügiges Überqueren des Bahnübergangs nicht möglich sein würde, denn die problematische Passierbarkeit des Bahnübergangs sei für den [Lkw-Fahrer] erst erkennbar gewesen, als dieser sich bereits auf dem Bahnübergang befunden habe. Dafür, dass der [Lkw- Fahrer] aufgrund der konkreten örtlichen Verhältnisse unter Berücksichtigung der Größe seines Fahrzeugs schon vor Einfahrt auf den Bahnübergang keine Gewissheit haben konnte, mit seinem Fahrzeug den Bahnübergang unmittelbar zu räumen, sind die Beklagten [gemeint ist der Betreiber der Bahn, und das von ihm beschäftigte Personal] nach den allgemeinen Grundsätzen beweispflichtig.

OLG Celle, Urteil vom 29.03.2023 – 14 U 132/22

07 Sich öffnende Schranken

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Wenn sich die Schranken öffnen, weil ein Schienenfahrzeug vorbeigefahren ist, dann handelt in der Regel derjenige nicht ordnungswidrig, wer bei den sich öffnenden Schranken losfährt.

OLG Naumburg 2017: Ein Verstoß gegen die Wartepflicht nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 StVO rechtfertigt im Allgemeinen nicht die Verhängung der Regelbuße und des Regelfahrverbots, wenn der Betroffene einen beschränkten Bahnübergang nach Passieren des Zuges überquert, während sich die Schranken öffnen.

An anderer Stelle heißt es:

Die Schranken am Bahnübergang beginnen sich erst zu öffnen, wenn in absehbarer Zeit kein weiterer Zug durchfährt. Das gilt auch, wenn das rote Blinklicht (planwidrig?) noch nicht erloschen ist. Der Fall liegt insoweit anders als in der Konstellation, dass beim unbeschrankten Bahnübergang das Blinklicht leuchtet und der Verkehrsteilnehmer sich aus seiner Sicht zutreffend davon überzeugt hat, dass sich kein Schienenverkehr nähert. In diesen Fällen ist ein Irrtum seinerseits nie auszuschließen, weshalb ein Verstoß gegen die Haltepflicht unabhängig von der subjektiven Wahrnehmung stets eine jedenfalls abstrakte Gefahr einer Kollision mit dem Schienenverkehr begründet. Mit Beginn der Schrankenöffnung besteht dagegen auch die abstrakte Gefahr einer Kollision nicht mehr.

OLG Naumburg, Beschluss vom 21.03.2017 - 2 Ws 6/17

08 Grobe Fahrlässigkeit beim Überqueren

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Anlässlich eines Verkehrsunfalls auf einem Bahnübergang versuchte der unfallverursachende Fahrer eines Pkw sein grob fahrlässiges, das für den Unfall ursächlich gewesen war, damit vor Gericht zu rechtfertigen, das der Unfall in erster Linie darauf zurückzuführen sei, dass der Bahnübergang unzureichend gesichert gewesen sei. Ein etwaiges Überhören des Pfeifftons und das zu späte Erkennen der Andreaskreuze könne hinsichtlich seines Fehlverhaltens nicht als grobe Fahrlässigkeit bewertet werden.

Das sahen die Richter des OLG Hamm anders. In einem Beschluss aus dem Jahr 2000 heißt es unter anderem:

OLG Hamm 2000: Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und wer unbeachtet gelassen hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (...). Neben einer objektiv grob verkehrswidrigen Fahrweise muss daneben auch subjektiv eine gesteigerte persönliche Vorwerfbarkeit festgestellt werden. Dabei kann vom äußeren Geschehensablauf und vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden (...). Allerdings können in der Person des Handelnden liegende subjektive Umstände die Verantwortlichkeit geringer als grob fahrlässig erscheinen lassen. Dabei ist allein der Umstand, dass der Handelnde nur für eine kurze Frist die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat (sogenanntes Augenblicksversagen), nicht geeignet, den Schuldvorwurf herabzustufen. Es müssen vielmehr weitere, in der Person des Handelnden liegende Umstände hinzukommen, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen (...). Die objektive und die subjektive Seite sind im Rahmen einer einheitlichen Gesamtbetrachtung abschließend zu würdigen (...).

Das Überfahren des unbeschrankten, mit zwei Andreaskreuzen beschilderten Bahnübergangs war im konkreten Fall objektiv grob fahrlässig. § 19 StVO, der dem Schienenverkehr Vorrang einräumt und der die Sorgfaltspflichten an Bahnübergängen vorschreibt, ist eine Regelung, deren Einhaltung wegen der extrem gefährlichen Situation in jedem Fall verlangt werden muss. Die Sorgfaltsanforderung des § 19 StVO gehören zu den höchsten Anforderungen, die die StVO überhaupt einem Verkehrsteilnehmer abverlangt. Ein Kraftfahrer, der sich einem unbeschrankten Bahnübergang nähert, hat ganz besondere Aufmerksamkeit aufzubringen und muss seine Fahrweise und insbesondere seine Geschwindigkeit so einrichten, dass er in der Lage ist, vor einem herannahenden Zug anzuhalten und diesem Vorrang zu gewähren. Ist die Strecke unübersichtlich, dann muss er ggf. mit Schrittgeschwindigkeit an den Übergang heranfahren und notfalls sogar halten, bis er beurteilen kann, dass die Strecke frei ist.

OLG Hamm, Urteil vom 16.08.2000 - 13 U 20/00

09 Ordnungswidrigkeit oder Straftat

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Die bußgeldbewehrte Verhaltensregelung des § 19 StVO (Bahnübergänge) tritt zurück, wenn es sich bei dem festgestellten Fehlverhalten von einer Straftat im Sinne von § 315 StGB (Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr) auszugehen ist. Als Tathandlung im Sinne des § 315 StGB kommt das Bereiten eines Hindernisses in Betracht. Diesbezüglich heißt es in einem Beschluss des BGH aus dem Jahr 2020 wie folgt:

BGH 2020: Unter einem Hindernisbereiten im Sinne des § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist jede Einwirkung im Verkehrsraum zu verstehen, die geeignet ist, den reibungslosen Verkehrsablauf zu hemmen oder zu verzögern (...). Tatbestandlich erfasst werden auch solche Einwirkungen, die erst durch die psychisch vermittelte Reaktion des Fahrzeugführers zu einer Beeinträchtigung des Verkehrsablaufs führen, etwa weil sie Brems- oder Ausweichvorgänge mit den damit verbundenen Gefahren zur Folge haben. Daher handelt es sich bei einem auf den Gleisen befindlichen Menschen um ein Hindernis im Sinne des § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB (...).

BGH, Beschluss vom 24. März 2020 - 4 StR 673/19

In Betracht kommt neben tatbestandlichem Handeln im Sinne von § 315 StGB auch tatbestandliches Handeln im Sinne von § 315a StGB. Das setzt aber voraus, dass der tatbestandlich Handelnde unter Alkoholeinwirkung steht.

§ 315 StGB (Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr)
§ 315a StGB (Gefährdung des Bahn-, Schiffs- und Luftverkehrs)

Bei den oben genannten Taten handelt es sich um konkrete Gefährdungsdelikte, das sich auf alle öffentlichen und privaten Verkehrsarten - mit Ausnahme denen des Straßenverkehrs - bezieht. Die Vorschriften schützen nach neben der Aufrechterhaltung der allgemeinen Verkehrsswicherheit gleichermaßen auch Leib, Leben und Eigentum des Einzelnen vor Verletzungen, die sich aus bestimmten Eingriffen in den jeweiligen Verkehr ergeben können.

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