§ 14 StVO – Sorgfaltspflichten
beim Ein- und Aussteigen
Inhaltsverzeichnis:
01.0
Allgemeines
02.0
TBNR
zum Bußgeldtatbestand
03.0 Grundsätze für das Ein- und
Aussteigen 04.0 Fahrerpflichten im
Überblick 04.1 Ein- und Aussteigen zur
Fahrerseite 04.2 Abstands- oder
Aussteigefehler 04.3 Sorgfaltspflicht
04.4 Anscheinsbeweis 04.5
Sicherungspflichten beim Verlassen des Fahrzeuges 04.6
Sicherung gegen unbefugten Gebrauch 04.7
Ausschluss der Halterhaftung für Schwarzfahrten
05.0 Beifahrerverhalten - OWi, möglicherweise
auch Straftat
01.0
Allgemeines
TOP
Beim Ein- und Aussteigen
darf niemand gefährdet und erst recht niemand geschädigt werden.
§ 14 StVO
(Sorgfaltspflichten beim Ein- und Aussteigen)
Festzustellen ist, dass es
dennoch oftmals dabei zu Verkehrsunfällen kommt, obwohl die
immer vermeidbar sind, wenn beim Ein- und Aussteigen der
Sorgfaltspflicht nachgekommen wird, zu deren Beachtung sowohl
der Fahrer als auch der Beifahrer verpflichtet ist. Öffnet zum
Beispiel der Beifahrer beim Aussteigen die Beifahrertür
unvorsichtig die Beifahrertür und verursacht er dadurch einen
Unfall, dann kommt zwar der Kfz-Versicherer für den dabei
entstandenen Schaden auf, die Privathaftpflicht des Beifahrers
tritt dagegen nicht für den Schaden ein, siehe Urteil des LG
Saarbrücken vom 20.11.2015, (Az.: 13 S 117/15). Dort heißt es:
LG Saarbrücken 2015:
Denn das Risiko, das sich durch das (unvorsichtige) Türöffnen
verwirklicht hat, ist typischer Bestandteil der von einem Kfz
ausgehenden Betriebsgefahr und damit vom Schutzzweck der
Gefährdungshaftung erfasst, unabhängig davon, ob das Öffnen der
Tür durch den Halter, Fahrer oder einen sonstigen Insassen
erfolgt. Der gesetzgeberische Zweck der Gefährdungshaftung nach
§ 7 Abs. 1
StVG
liegt nämlich nicht im Ausgleich für Verhaltensunrecht, sondern
für Schäden aus den Gefahren - auch eines zulässigen -
Kraftfahrzeugbetriebs (...). Es ist deshalb weitgehend
anerkannt, dass der Halter und dessen Kfz-Haftpflichtversicherer
grundsätzlich auch für die Unfallschäden nach §§ 7 Abs. 1 StVG,
§ 115 VVG einzustehen haben, die ein Insasse des Fahrzeugs durch
das Öffnen der Beifahrertür verursacht.
LG
Saarbrücken, Urteil vom 20.11.2015 - 13 S 117/15
02.0 TBNR
zum Bußgeldtatbestand
TOP
Bei
Verstößen gegen den § 14 StVO (Sorgfaltspflichten beim Ein- und
Aussteigen) sieht der Bußgeldkatalog 2023 nachfolgend
aufgeführte Bußgelder vor:
114100 Sie gefährdeten beim Ein- bzw. Aussteigen andere
Verkehrsteilnehmer. 40,00 Euro
114106 Sie schädigten beim Ein- bzw. Aussteigen andere
Verkehrsteilnehmer. 50,00 Euro
114000 Sie verließen Ihr Kraftfahrzeug, ohne es gegen
unbefugte Benutzung zu sichern. 15,00 Euro
114112 Sie verließen Ihr Fahrzeug, ohne die nötigen
Maßnahmen getroffen zu haben, um Unfälle oder Verkehrsstörungen
zu vermeiden. Dadurch kam es zu einer Verkehrsstörung. 15,00
Euro
114118 Sie verließen Ihr Fahrzeug, ohne die nötigen
Maßnahmen getroffen zu haben, um Unfälle oder Verkehrsstörungen
zu vermeiden. Es kam zum Unfall. 25,00 Euro
Die
jeweils festgesetzte Höhe für festgestelltes Fehlverhalten lässt
den Schluss zu, dass es sich in allen Fällen um geringfügiges
Fehlverhalten handelt, wenn es, sollte es dadurch zu einem
Unfall kommen, kein Personenschaden eintritt. Sollte es durch
Fehlverhalten im Sinne von § 14 StVO (Sorgfaltspflichten beim
Ein- und Aussteigen) zu einem Verkehrsunfall mit Personenschaden
kommen, dann handelt es sich dabei nicht mehr um eine
Ordnungswidrigkeit, sondern um eine Straftat.
§ 229
StGB (Fahrlässige Körperverletzung)
03.0 Grundsätze für das Ein- und Aussteigen
TOP
Das OLG
Celle hat die Grundsätze des Ein- und Aussteigens in einem
Urteil vom 04.12.2019, Az. 14 U 127/19 leicht verständlich
zusammengefasst.
OLG Celle 2019:
Die Sorgfaltsanforderung des § 14 Abs. 1 StVO gilt für die
gesamte Dauer eines Ein- oder Aussteigevorgangs, also für alle
Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen
Zusammenhang damit stehen, wobei der Vorgang des Einsteigens
erst mit dem Schließen der Fahrzeugtür, der Vorgang des
Aussteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtür und dem
Verlassen der Fahrbahn beendet ist. Das Ein- und Aussteigen zur
Fahrbahnseite ist regelmäßig mit besonderen Gefahren verbunden,
weshalb der Vorgang so zügig wie irgend möglich durchzuführen
ist; die Tür darf nicht länger offengelassen werden als
unbedingt notwendig, und die Fahrbahn ist schnellstmöglich zu
verlassen.
Beim
Ein- und Aussteigen ist eine Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer auszuschließen; es muss zwar nicht mit
Unvorhersehbarem gerechnet werden, es wird aber höchste Sorgfalt
verlangt. Dem vorgegebenen Verhaltensmaßstab wird dabei nur der
gerecht, der besondere Aufmerksamkeit beim Ein- und Aussteigen
einhält und sich insbesondere an die von der Rechtsprechung
herausgearbeiteten Grundsätze des stufenweisen Vorgehens hält.
Wird beim Einoder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer
geschädigt, so spricht im Übrigen schon der Beweis des ersten
Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des
Ein- oder Aussteigenden.
OLG
Celle, Urteil vom 4.12.2019 - 14 U 127/19
04.0 Fahrerpflichten im Überblick
TOP
Die
nachfolgend aufgeführten Fahrerpflichten werden hier zuerst
einmal nur aufgelistet und im Anschluss daran in eigenen
Randnummern erörtert.
-
Ein-
und Aussteigen auf der Fahrerseite
-
Abstands- oder Aussteigefehler
-
Sorgfaltspflicht
-
Anscheinsbeweis
-
Sicherungspflichten beim Verlassen des Fahrzeuges
-
Sicherung des Fahrzeuges vor unbefugtem Gebrauch
-
Ausschluss der Haftung für Schwarzfahrten
04.1 Ein- und Aussteigen zur Fahrerseite
TOP
Das Ein-
und Aussteigen ist ein besonders gefährlicher Vorgang, weil
häufig nicht ausreichend Aufmerksamkeit auf den verbleibenden
fließenden Verkehr gerichtet wird; die Vorschrift dient dem
Schutz des fließenden Verkehrs. Diese Sorgfaltsanforderung, die
im § 14 Abs. 1 StVO enthalten ist, gilt für die gesamte Dauer
eines Ein- oder Aussteigevorgangs, also für alle Vorgänge, die
in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang
damit stehen.
Sowohl
der Vorgang des Einsteigens als auch der des Aussteigens endet
mit dem Schließen der jeweiligen Fahrzeugtür und dem Verlassen
der Fahrbahn.
OLG Celle 2010:
Die Sorgfaltsanforderungen des § 14 Abs. 1 StVO gelten für die
gesamte Dauer des Ein- oder Aussteigevorgangs, also für alle
Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen
Zusammenhang damit stehen, wobei der Vorgang des Ein- oder
Aussteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtür und dem
Verlassen der Fahrbahn beendet ist.
OLG
Celle, Urteil vom 22.09.2010 - 14 U 63/10
An
anderer Stelle heißt es:
OLG Celle 2010:
Das Ein- und Aussteigen zur Fahrbahnseite ist regelmäßig mit
besonderen Gefahren verbunden, weshalb der Vorgang so zügig wie
irgend möglich durchzuführen ist; die Tür darf nicht länger
offengelassen werden als unbedingt notwendig, und die Fahrbahn
ist schnellstmöglich zu verlassen.
Beim
Ein- und Aussteigen ist eine Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer auszuschließen; es muss zwar nicht mit
Unvorhersehbarem gerechnet werden, es wird aber höchste Sorgfalt
verlangt. Dem vorgegebenen Verhaltensmaßstab wird dabei nur der
gerecht, der besondere Aufmerksamkeit beim Ein- und Aussteigen
einhält und sich insbesondere an die von der Rechtsprechung
herausgearbeiteten Grundsätze des stufenweisen Vorgehens hält.
Wird beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer
geschädigt, so spricht im Übrigen schon der Beweis des ersten
Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des
Ein- oder Aussteigenden.
OLG
Celle – Az.: 14 U 127/19 – Urteil vom 04.12.2019
Bei dem
zu entscheidenden Fall hatten die Richter aber auch darüber zu
befinden, ob sich der vorbeifahrende Fahrzeugführer eines Busses
sich ordnungswidrig verhalten hatte.
Diesbezüglich heißt es in dem Urteil:
OLG Celle 2010:
Beim Vorbeifahren an haltenden Fahrzeugen ist ein ausreichender
Sicherheitsabstand zu halten, dessen Größe sich nach den
Umständen richtet. Er wird nicht stets 1 m betragen müssen. An
rechts parkenden, ersichtlich leeren Fahrzeugen wird auch mit
weniger als 1 m seitlichem Abstand vorbeigefahren werden dürfen,
anders aber auf breiter Fahrbahn ohne Gegenverkehr. Kann das
haltende Fahrzeug besetzt sein, ist ein solcher Abstand
einzuhalten, dass ein Insasse die linke Tür ein wenig öffnen
kann. Ein Seitenabstand von weniger als 1 m soll nach der
Rechtsprechung auch dann zu gering sein, wenn auf dem
Seitenstreifen neben der Fahrbahn ein Pkw mit geöffneter
Fahrzeugtür steht und jederzeit mit einem weiteren Öffnen der
Tür gerechnet werden muss oder in der geöffneten Fahrzeugtür
eine Person steht.
OLG
Celle – Az.: 14 U 127/19 – Urteil vom 04.12.2019
Hinsichtlich der Sorgfaltspflicht beim Ein- und Aussteigen eines
Beifahrers, der die Beifahrertür hin zu einem Radweg öffnete,
obwohl der Pkw, aus dem er aussteigen wollte, schon
verbotswidrig auf dem Radweg stand, hieß es in einem Urteil des
OLG Köln aus dem Jahr 1992 wie folgt:
OLG Köln 1992:
Wer beabsichtigt, die linke Wagentür zu öffnen, um auszusteigen,
muss zunächst prüfen, zu welcher Art von Verkehrsraum er
auszusteigen beabsichtigt und wer durch das Öffnen der Tür
gefährdet werden könnte.
Ein
Fahrzeugführer, der seinen Wagen verbotswidrig teilweise auf den
Radweg gefahren hat, muss davor warnen, die Tür zum Radweg hin
zu öffnen, bevor er oder der Aussteigende sich davon überzeugt
hat, dass dies ohne Gefahr für andere geschehen kann.
In den
Gründen heißt es:
OLG Köln 1992:
Die Bekl. [gemeint ist der aussteigende Beifahrer] und der Zeuge
K. [das ist der Fahrer, der seinen Pkw verbotswidrig auf einem
Radweg angehalten hatte] haben durch schuldhafte Verletzung der
im Straßenverkehr allgemein geltenden Pflicht zur Rücksichtnahme
und Schadensvermeidung (§ 1 StVO) und auch spezieller
Verkehrsregeln den Unfall der Zeugin W. gemeinsam verursacht.
Die
Bekl. hätte sich beim Aussteigen aus dem Pkw des Zeugen K. gemäß
§ 14 StVO so verhalten müssen, dass eine Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Die gesteigerte
Sorgfaltspflicht umfasste zunächst die Prüfung, zu welcher Art
Verkehrsraum hin sie auszusteigen beabsichtigte, und sodann die
Umschau nach dort befindlichen oder herannahenden Personen, die
durch das Öffnen der Fahrzeugtür gefährdet werden konnten.
[...]. Sie durfte die Tür, die geöffnet den Radweg nahezu
unpassierbar machte, nur aufmachen, wenn sie sich zuvor durch
sorgfältige Rückschau davon überzeugt hatte, dass kein Radfahrer
in der Nähe war. Falls ihr die Rückschau nur durch die teilweise
geöffnete Tür möglich war, durfte sie die Öffnung nur langsam
und zunächst nur gerade soweit vornehmen, wie es erforderlich
war, um nach hinten zu sehen.
In Bezug
auf die geschädigte Radfahrerin heißt es:
OLG Köln 1992:
Die Zeugin W. trifft an dem Unfall kein Mitverschulden. Sie
durfte grundsätzlich darauf vertrauen, sich als Radfahrerin auf
dem Radweg ungefährdet bewegen zu können. Auf vorschriftswidrige
Behinderungen durch andere Verkehrsteilnehmer brauchte sie sich
nicht generell einzurichten, sondern nur, wenn dafür besondere
Veranlassung bestand. Ein konkreter Grund zur Besorgnis lag auch
nicht etwa schon in dem Umstand, dass in einem neben oder, wie
hier, verbotswidrig sogar teilweise auf dem Radweg haltenden
Fahrzeug jemand auf dem Beifahrersitz saß. Denn in solchem Falle
ergab sich für die Zeugin aus § 14 StVO eindeutig das Vorrecht,
das der Aussteigende zu respektieren hatte. Die angeblich
zunächst einen Spalt weit geöffnete Tür hat die Zeugin nach
eigener Aussage nicht bemerkt; die Bekl. hat dazu auch keinen
Beweis angeboten. Daraus kann der Zeugin aber ebenfalls
kein Vorwurf
gemacht
werden.
Ein Radfahrer wäre überfordert und normales Vorankommen auf
Radwegen wäre nicht mehr möglich, wenn von ihm verlangt würde,
jedes am Straßenrand stehende Fahrzeug so genau zu beobachten,
dass ihm auch spaltbreit offenstehende Türen nicht entgehen
könnten. Bei der normalen Fortbewegungsgeschwindigkeit eines
Radfahrers ist so etwas unmöglich, erst recht, wenn zugleich von
der anderen Seite her ständig mit einer Gefährdung durch auf den
Radweg laufende Fußgänger gerechnet werden muss.
OLG
Köln, Urteil vom 1.4.1992 – 11 U 234/91
04.2 Abstands- oder Aussteigefehler
TOP
Zu
beiden Verhaltensweisen haben sich die Richter des Landgerichts
Saarbrücken 2024 wie folgt positioniert:
Seitenabstand:
LG Saarbrücken 2024:
Wer an einem stehenden Fahrzeug vorbeifährt, muss nach dem
allgemeinen Gebot der Gefährdungsvermeidung aus § 1 Abs. 2 StVO
einen angemessenen Seitenabstand einhalten. Grundsätzlich reicht
zwar ein Seitenabstand von ca. 50 cm eines vorbeifahrenden Pkws
zu einem geparkten Pkw aus. Ein Seitenabstand von unter 1 m
genügt jedoch dann nicht, wenn auf dem Seitenstreifen neben der
Fahrbahn ein Pkw mit geöffneter Fahrzeugtür steht und jederzeit
mit einem weiteren Öffnen der Tür gerechnet werden muss oder in
der geöffneten Fahrzeugtür eine Person steht.
An
anderer Stelle heißt es:
LG Saarbrücken 2024:
Wer an einem stehenden Fahrzeug vorbeifährt, muss nach dem
allgemeinen Gebot der Gefährdungsvermeidung einen angemessenen
Seitenabstand einhalten. Für die Angemessenheit des Abstandes
gibt es kein feststehendes Maß, sie ist abhängig von den
jeweiligen Umständen, muss aber zumindest so bemessen sein, dass
ein geringfügiges Öffnen der Wagentür noch möglich bleibt, wenn
für den Vorbeifahrenden nicht mit Sicherheit erkennbar ist, dass
sich im haltenden Fahrzeug und um das Fahrzeug herum keine
Personen aufhalten. Der beim Vorbeifahren einzuhaltende
Seitenabstand darf nach den Umständen des Einzelfalles durchaus
geringer sein als der beim Überholen und bei der Begegnung
regelmäßig verlangte Mindestabstand von 1 m. Wie groß der
Abstand zu sein hat, ist letztlich eine Frage des Einzelfalles,
wobei es auf die Verkehrslage, Geschwindigkeit und die bauliche
Situation, insbesondere die Breite der Straße, sowie die Art der
beteiligten Fahrzeuge ankommt.
LG
Saarbrücken, Urteil vom 15.02.2024 - 13 S 28/23
Aussteigen:
Diesbezüglich heißt es in dem Urteil des LG Saarbrücken wie
folgt:
LG Saarbrücken 2024:
Nach dieser Vorschrift [gemeint ist der § 14 StVO] muss sich,
wer ein- oder aussteigt, so verhalten, dass eine Gefährdung
anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese
Sorgfaltsanforderung gilt für die gesamte Dauer eines Ein- oder
Aussteigevorgangs, also für alle Vorgänge, die in einem
unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit
stehen, wobei der Vorgang des Einsteigens erst mit dem Schließen
der Fahrzeugtüre, der Vorgang des Aussteigens erst mit dem
Schließen der Fahrzeugtüre und dem Verlassen der Fahrbahn
beendet ist. Erfasst sind insbesondere auch Situationen, in
denen der Insasse eines Kraftfahrzeugs sich im unmittelbaren
Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter
Tür in das Kraftfahrzeug beugt, um etwa Gegenstände ein- oder
auszuladen. Die Sorgfaltspflicht des § 14 Abs. 1 StVO beschränkt
sich nicht ausschließlich auf solche Vorgänge, bei denen sich
durch das unvorsichtige Öffnen einer Fahrzeugtür ein
Überraschungsmoment für andere Verkehrsteilnehmer ergibt,
sondern gilt auch für Einsteigevorgänge, bei denen der
Einsteigende in der Regel für den fließenden Verkehr erkennbar
ist. Beim Ein- und Aussteigen darf eine Tür deshalb nicht länger
offengelassen werden als unbedingt notwendig und die Fahrbahn
ist schnellstmöglich zu verlassen.
LG
Saarbrücken, Urteil vom 15.02.2024 - 13 S 28/23
04.3 Sorgfaltspflicht
TOP
Bezugnehmend auf die im § 14 Abs. 1 StVO (Sorgfaltspflichten
beim Ein- und Aussteigen) heißt es in einem Urteil des BGH aus
dem Jahr 2009 wie folgt:
BGH 2009:
Nach dieser Vorschrift [gemeint ist der § 14 StVO] muss sich,
wer ein- oder aussteigt, so verhalten, dass eine Gefährdung
anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese
Sorgfaltsanforderung gilt für die gesamte Dauer eines Ein- oder
Aussteigevorgangs, also für alle Vorgänge, die in einem
unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit
stehen, wobei der Vorgang des Einsteigens erst mit dem Schließen
der Fahrzeugtüre, der Vorgang des Aussteigens erst mit dem
Schließen der Fahrzeugtüre und dem Verlassen der Fahrbahn
beendet ist. Erfasst sind insbesondere auch Situationen, in
denen der Insasse eines Kraftfahrzeugs sich im unmittelbaren
Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter
Tür in das Kraftfahrzeug beugt, um etwa Gegenstände ein- oder
auszuladen oder - wie hier - einem Kind beim Ein- oder
Aussteigen zu helfen. Die Sorgfaltspflicht des § 14 Abs. 1 StVO
beschränkt sich entgegen der Ansicht der Revision nicht
ausschließlich auf solche Vorgänge, bei denen sich durch das
unvorsichtige Öffnen einer Fahrzeugtür ein Überraschungsmoment
für andere Verkehrsteilnehmer ergibt. Das Gesetz stellt nicht
auf das überraschende Öffnen einer Fahrzeugtür ab, sondern auf
das Aus- und Einsteigen als solches, da ein solcher Vorgang aus
unterschiedlichen Gründen mit erheblichen Gefahren für den
fließenden Verkehr verbunden sein kann. Zwar ergeben sich die
Gefahren beim Aussteigen vielfach daraus, dass eine Fahrzeugtür
durch einen für den fließenden Verkehr nicht erkennbaren
Fahrzeuginsassen überraschend geöffnet wird. Doch beschränkt
sich der vom Gesetz erfasste Gefahrenkreis nicht ausschließlich
darauf. Dies ergibt sich schon daraus, dass die
Sorgfaltsanforderung auch für Einsteigevorgänge gilt, bei denen
der Einsteigende in der Regel für den fließenden Verkehr
erkennbar ist.
An
anderer Stelle heißt es zum Anscheinsbeweis wie folgt:
BGH 2009:
Wird beim
Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt,
so spricht im Übrigen schon der Beweis des ersten Anscheins für
fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- oder
aussteigenden.
BGH,
Urteil vom 06.10.2009 - VI ZR 316/08
Hinweis:
Es sei
denn, dass sich der Halter im Sinne von § 7 StVG entlasten kann.
04.4 Anscheinsbeweis
TOP
Kommt es
beim Ein- oder Aussteigen zu einer Gefährdung oder gar zu einem
Verkehrsunfall, durch den ein anderer geschädigt wird, spricht
der Anscheinsbeweis dafür, dass der Ein- oder Aussteigende sich
vorwerfbar fehlerhaft im Sinne von § 14 StVO (Sorgfaltspflichten
beim Ein- oder Aussteigen) verhalten hat. Diesbezüglich heißt es
in einem Urteil des OLG Frankfurt am Main, davon ausgehend, dass
ein Verkehrsteilnehmer gegen § 14 Abs. 1 StVO verstoßen hat, wie
folgt:
OLG Frankfurt am Main:
Danach muss, wer aus- oder einsteigt, sich so verhalten, dass
eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
Damit verlangt § 14 Abs. 1 StVO das höchste Maß an Vorsicht für
das Ein- oder Aussteigen, wobei der Vorgang des Einsteigens erst
mit dem Schließen der Fahrzeugtür und dem Verlassen der Fahrbahn
beendet ist. Vorliegend behaupten die Beklagten selbst nicht,
dass die Fahrzeugtür im Zeitpunkt des Unfalls bereits
geschlossen gewesen wäre, so dass der Einsteigevorgang andauerte
und § 14 StVO Anwendung findet. Wird bei einem Einsteige- oder
Aussteigevorgang ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt,
spricht [...] der Beweis des ersten Anscheins für eine
fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- oder
Aussteigenden. Diesen Anscheinsbeweis haben die Beklagten nicht
erschüttert.
Abweichung vom Grundsatz des Anscheinsbeweises setzt den Beweis
eines atypischen Verkehrsgeschehens voraus, auf das angemessen
zu reagieren dem Unfallverursacher nicht möglich war. Bei dem
Unfall, über den die Richter des OLG Frankfurt am Main zu
entscheiden hatten, war solch ein atypischer Vorgang nicht
gegeben. Diesbezüglich heißt es in dem Urteil wie folgt:
OLG Frankfurt am Main:
Bei Annahme des Beweises des ersten Anscheins kann dieser durch
den Nachweis einer ernsthaften Möglichkeit eines anderen
Geschehensablaufs erschüttert werden, oder es kann der
Vollbeweis eines anderen Geschehensablaufs erbracht werden.
Soweit die Beklagten behaupten, die Beklagte zu 1 habe die Tür
nur einen kleinen Spalt offen stehen gehabt, haben sie dies
nicht beweisen können; vielmehr steht für den Senat nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass im Zeitpunkt des Unfalls
die Fahrertür voll geöffnet war und ca. 55 cm in die Fahrbahn
hineinragte. Zwar hat die Beklagte zu 1 im Rahmen ihrer
persönlichen Anhörung vor dem Landgericht angegeben, die Tür nur
einen Spalt breit geöffnet und „höchstwahrscheinlich“ bei der
ersten Position eingehakt zu haben; auch bei ihrer Anhörung vor
dem Senat hat sie Entsprechendes geschildert. Dies kann jedoch
nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht zutreffen.
Der Sachverständige hat die unmittelbar nach dem Unfall
gefertigten Lichtbilder, die die Endpositionen der beiden
Fahrzeuge zeigen, sowie die Lichtbilder betreffend die an den
Fahrzeugen eingetretenen Schäden ausgewertet und ist dabei zu
dem Ergebnis gekommen, dass der Abstand des klägerischen
Fahrzeugs zum rechten Randstein bei Beginn des Anstoßes 0,45 bis
0,50 m betrug, das klägerische Fahrzeug angesichts seiner
vorhandenen Beschädigungen gegen die Fahrertür des
Beklagtenfahrzeugs fuhr (und nicht an dieser entlang glitt) und
dass sich zu diesem Zeitpunkt die Fahrertür des
Beklagtenfahrzeugs in der letzten Rastposition befand, damit
also rund 55 cm in die Fahrbahn hineinragte. Diese Ausführungen
des Sachverständigen sind für den Senat - insbesondere in
Anbetracht der vorliegenden Lichtbilder - nachvollziehbar und
von den Beklagten auch nicht angegriffen worden. Zudem hat auch
die Zeugin
Z2
bestätigt, dass die Tür des Beklagtenfahrzeugs geöffnet war und
das Taxi gegen die Tür gefahren ist.
OLG
Frankfurt am Main, Urteil vom 25.10.2016 - 16 U 167/15
04.5 Sicherungspflichten beim Verlassen des
Fahrzeuges
TOP
Die
nachfolgenden Sicherungspflichten betreffen sowohl zweispurige
Kraftfahrzeuge als auch Kräder.
Gemeint
ist hier die Sicherungspflicht eines Fahrzeugführers beim
Verlassen seines Fahrzeuges, zum Beispiel Lkw, Busse, Pkw,
Kräder und andere. Dieser Sicherungspflicht wird durch das
Anziehen der Handbremse entsprochen. Für Fuhrwerke gelte
besondere Regelungen, zum Beispiel die Beaufsichtigung durch
einen damit beauftragten Dritten.
Wie dem auch immer sei:
Zum Schutz vor unbefugter Benutzung sieht § 38a StVZO
(Sicherungseinrichtungen gegen unbefugte Benutzung von
Kraftfahrzeugen) vor, dass Fahrzeuge stets mechanische
Sicherungseinrichtungen besitzen müssen, die den Gebrauch durch
unbefugte Dritte unterbinden. Ist Ihr Fahrzeug nicht ausreichend
gesichert und wird es entwendet, müssen Sie am Ende häufig
selbst den Schaden tragen, der mit und an Ihrem Fahrzeug
verursacht wurde.
§ 38a
StVZO (Sicherung gegen unbefugte Benutzung)
04.6 Sicherung gegen unbefugten Gebrauch
TOP
Wird ein
Kraftfahrzeug unzureichend gesichert abgestellt und kommt es
dadurch zu einem unbefugten Gebrauch des Fahrzeuges, dann ist
der Halter zum Schadenersatz verpflichtet, siehe § 276 BGB.
§ 276
BGB (Verantwortlichkeit des Schuldners)
In einem
Beschluss des OLG Köln aus dem Jahr 1995 heißt es:
OLG Köln 1995:
Das Verschulden des Halters ist am Maßstab des § 276 BGB zu
messen. Danach sind an seine Sorgfalt, wie ein Fahrzeug gegen
unbefugte Benutzung zu sichern ist, strenge Anforderungen zu
stellen.
Die
Richter hatten über einen Fall zu entscheiden, in dem es darum
ging, einen Jugendlichen für den Kauf eines frisierten Mofas zu
interessieren, dass der Verkäufer nach der Vorführung des Mofas
verschlossen in der Nähe des Jugendlichen unbeaufsichtigt
abgestellt hatte, so dass es von dem Jugendlichen unbefugt zu
einer Probefahrt benutzt werden konnte. Im Beschluss heißt es:
OLG Köln 1995::
Wer
Jugendlichen sein auf eine größere Geschwindigkeit hin
ausgebautes Mofa vorführt, provoziert deren Wunsch, dieses
Fahrzeug einmal auszuprobieren. Stellt er das Fahrzeug danach
unbeaufsichtigt, wenn auch gesichert, in der Nähe der
Jugendlichen ab, so entfällt seine Halterhaftung nicht, wenn
einer der Jugendlichen sich des Fahrzeugs mit einem einfachen
Griff wieder in Betrieb setzen kann, um eine Probefahrt zu
unternehmen und dabei einen Unfall verursacht.
OLG
Köln, Beschluss vom 14.08.1995 - 16 W 42/95
Wird ein
Fahrzeug von einer unbefugten Person widerrechtlich in Betrieb
genommen, handelt diese Person tatbestandlich im Sinne von §
248b StGB (Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs).
§ 248b
StGB (Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs)
04.7 Ausschluss der Halterhaftung für
Schwarzfahrten
TOP
Kommt
ein Fahrzeughalter seiner Sicherungspflicht nicht im gebotenen
Umfang nach, kann er auf der Grundlage von § 823 BGB für einen
Unfall haften müssen, der durch den Schwarzfahrer verursacht
wurde.
Die
Halterhaftung entfällt nur bei vorschriftsmäßiger Sicherung des
unbefugt benutzten Fahrzeuges.
§ 823
BGB (Schadensersatzpflicht)
§ 831
BGB (Haftung für den Verrichtungsgehilfen)
Ein
Fahrzeughalter, der seinen Pkw über Nacht unverschlossen im
öffentlichen Straßenverkehr abstellt, so dass dieser dann von
einer unbefugten Person unbefugt in Gebrauch genommen und
dadurch einen folgenschweren Verkehrsunfall verursacht wird,
haftet für den dabei angerichteten Schaden. In einem Urteil des
BGH aus dem Jahr 1970 heißt es:
BGH 1970:
Amtlicher
Leitsatz. Die Haftung des Kraftfahrzeughalters, der sein
Fahrzeug ungesichert über Nacht auf öffentlicher Straße abstellt
und dadurch die Benutzung des Fahrzeugs durch Unbefugte
schuldhaft ermöglicht, umfasst auch Schäden, die dadurch
entstehen, dass der Schwarzfahrer bei dem Versuch, sich einer
Festnahme zu entziehen, mit dem Kraftfahrzeug einen
Polizeibeamten bedingt vorsätzlich verletzt.
An anderer Stelle heißt
es:
BGH 1970:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss
der Kraftfahrer im Rahmen der allgemeinen
Verkehrssicherungspflicht alles in seinen Kräften Stehende tun,
um seinen Wagen vor einer Benutzung durch Unbefugte zu bewahren.
Die Benutzung von Kraftfahrzeugen durch Personen, die hierzu
nicht geeignet oder nicht befugt sind, bringt erfahrungsgemäß
erhebliche Gefahren für den Verkehr mit sich. Da sich gerade auf
Schwarzfahrten eine unverhältnismäßig große Zahl von
Verkehrsunfällen ereignet, ist es gerechtfertigt, dem Halter
eines Kraftfahrzeugs eine besondere Obhutspflicht für sein
Fahrzeug aufzuerlegen und von ihm zu fordern, dass er alle ihm
zumutbaren Maßnahmen ergreift, um Schwarzfahrten zu verhüten.
Das Maß
der Anforderungen, die hiernach im Interesse der
Verkehrssicherheit zu stellen sind, bestimmt sich in erster
Linie nach § 35 StVO [heute § 14 StVO], der verlangt, dass ein
Kraftfahrer, der sein Fahrzeug verlässt, zur Verhinderung der
unbefugten Benutzung „die üblicherweise hierfür bestimmten
Vorrichtungen am Fahrzeug in Wirksamkeit setzt“. Gegen diese
Pflichten hat V verstoßen, denn es ist unstreitig, dass er das
Lenkradschloss nicht verriegelt hat, als er seinen Wagen über
Nacht auf der Straße stehen ließ. Zu den Sicherungsvorkehrungen,
die eine unbefugte Benutzung des Fahrzeugs verhindern sollen,
gehört neben dem Abschließen der Türen und dem Abziehen des
Zündschlüssels auch das Verriegeln des Lenkradschlosses. Das
ergibt sich zweifelsfrei aus § 38a StVZO. Hiernach müssen
Personenkraftwagen und Krafträder eine hinreichend wirkende
Sicherungseinrichtung gegen unbefugte Benutzung des Fahrzeugs
haben. Dabei ist ausdrücklich bestimmt, dass das Abschließen der
Türen und das Abziehen des Zündschlüssels nicht als Sicherung in
diesem Sinne gelten. V hat damit auch gegen § 823 Abs. 2 BGB in
Verbindung mit § 35 StVO verstoßen.
BGH, Urteil
vom 15.12.1970 - VI
ZR
97/69
05.0 Beifahrerverhalten
-
OWi,
möglicherweise auch Straftat
TOP
Zu den
passiven Verkehrsteilnehmern gehören:
Beifahrer können aber dann nicht mehr als passive
Verkehrsteilnehmer angesehen werden, wenn sie aktiv in das
Verkehrsgeschehen eingreifen.
Dennoch:
Im rechtlichen Sinne ist der Beifahrer grundsätzlich nur
Begleiter. Das heißt, es liegt allein in der Verantwortung des
Fahrers, das Kfz sicher im Straßenverkehr zu führen und seinen
Sorgfaltspflichten nachzukommen. Allerdings gibt es auch für den
Beifahrer Regeln und Pflichten zu beachten, um ein möglichst
sicheres Fahren zu gewährleisten.
Deshalb:
Greift ein Beifahrer aktiv in das Verkehrsgeschehen ein, kann er
dafür zur Verantwortung gezogen werden.
Das ist zum
Beispiel der Fall, wenn:
-
Ein
Beifahrer aus einem Fahrzeug aussteigt, ohne sich vorher
umzusehen, so dass durch die sich öffnende Beifahrertür ein
Fahrradfahrer zu Schaden kommt.
-
Ein
Beifahrer, der die Beifahrertür öffnet und dadurch die
Fahrertür des daneben abgestellten Pkw erheblich beschädigt.
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Der
Beifahrer nicht angeschnallt ist
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Vorgeschriebene Sicherheitsgurte während der Fahrt nicht
angelegt hat.
§ 21a
Absatz 1 StVO regelt Folgendes: Vorgeschriebene
Sicherheitsgurte müssen während der Fahrt angelegt sein; dies
gilt ebenfalls für vorgeschriebene Rollstuhl-Rückhaltesysteme
und vorgeschriebene Rollstuhlnutzer-Rückhaltesysteme. […]
Dem
Fahrzeugfahrer
ist demnach kein Vorwurf zu machen, wenn sich andere
Fahrzeuginsassen nicht ordnungsgemäß anschnallen.
Zurück
zu den Fehlern beim Ein- und Aussteigen.
Ordnungswidrigkeit:
In Bezug
auf ordnungswidriges Verhalten, das sich gegen einen Beifahrer
richtet, heißt es in einem Urteil des OLG München aus dem Jahr
1994 wie folgt:
OLG München:
Stürzt ein Radfahrer dadurch, dass die Beifahrertür geöffnet
wird, haftet der Fahrzeughalter bzw. dessen Haftpflicht nur für
den Sachschaden.
Orientierungssatz:
1. Wenn
ein Radfahrer dadurch stürzt, dass - während er rechts an einem
haltenden Fahrzeug vorbeifahren will - die Beifahrertür geöffnet
wird, haftet der Fahrzeughalter bzw. dessen
Haftpflichtversicherung nur für den materiellen Schaden des
verletzten Radfahrers; hinsichtlich der immateriellen Schäden
kann der Verletzte nur den - unvorsichtig - die Tür öffnenden
Mitfahrer in Anspruch nehmen.
2. Der
Radfahrer muss sich aber gegebenenfalls ein Mitverschulden
anrechnen lassen, wenn er den Unfall dadurch mitverursacht hat,
dass er sich zwischen haltenden und parkenden Fahrzeugen - ohne
Einhaltung eines ausreichenden Seitenabstandes - „durchgezwängt“
hat.
OLG
München, Urteil vom 28.10.1994 – 10 U 4858/93
Straftat:
Das
Öffnen einer Beifahrertür kann sogar den Tatbestand des
gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr erfüllen.
OLG Hamm 2017:
Wer im fließenden Verkehr mit seinem Kraftfahrzeug einem anderen
Verkehrsteilnehmer den Weg abschneidet, ohne durch die
Verkehrslage irgendwie dazu veranlasst zu sein und um dem
anderen die Weiterfahrt unmöglich zu machen, bereitet ein
Hindernis im Sinne von § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB.
An anderer Stelle heißt
es:
OLG Hamm 2017:
Im fließenden Verkehr stellt ein Verkehrsvorgang nur dann einen
Eingriff in den Straßenverkehr im Sinne von § 315 b Abs. 1 Nr. 2
StGB dar, wenn zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines
Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzukommt, dass es
mit (mindestens bedingtem) Schädigungsvorsatz - etwa als Waffe
oder Schadenswerkzeug - missbraucht wird. Erst dann liegt eine -
über den Tatbestand des § 315 c StGB hinausgehende -
verkehrsatypische „Pervertierung” des Verkehrsvorgangs zu einem
gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr im Sinne des § 315 b
Abs. 1 StGB vor.
Die
Feststellungen des Landgerichts tragen auch die Verurteilung
wegen gefährlicher Körperverletzung mittels einer das Leben
gefährdenden Behandlung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB.
Der
Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1
Nr. 5 StGB ist dann erfüllt, wenn die Art der Behandlung des
Geschädigten durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls
generell geeignet ist, das Leben zu gefährden. Dabei ist
erforderlich, dass der Körperverletzungserfolg „mittels“ der Art
der Behandlung durch den Angeklagten eingetreten ist.
Das
plötzliche Öffnen der Beifahrertür eines fahrenden Pkws, um
einen neben dem Fahrzeug befindlichen Radfahrer „auffahren“ zu
lassen bzw. zu einem riskanten Ausweichmanöver zu zwingen, ist
generell geeignet, dessen Leben zu gefährden. Denn sowohl bei
einer Kollision mit der Tür als auch - wie hier - einer
Notbremsung mit einem gleichzeitigen Ausweichmanöver, das zum
Aufprall auf andere Fahrzeuge o. Ä. bzw. einem Sturz führt, kann
es zu ganz erheblichen Verletzungsfolgen - insbesondere im
Kopfbereich - des im Regelfall wenig bis gar nicht geschützten
Radfahrers kommen.
Der
Körperverletzungserfolg ist im konkreten Fall auch „mittels“ der
Art der Behandlung durch den Angeklagten eingetreten. Zwar ist
der geschädigte Zeuge nicht mit der durch den Angeklagten
geöffneten Beifahrertür zusammen gestoßen, sondern erst bei dem
Versuch, dieser auszuweichen, zu Sturz gekommen und dabei mit
dem am Straßenrand abgestellten Pkw der Zeugin T kollidiert.
Gleichwohl ergibt sich aus dem engen zeitlich-räumlichen
Zusammenhang zwischen der Tathandlung des Angeklagten und dem
Verletzungserfolg, dass die Verletzungen des Geschädigten
„mittels“ der Art der Behandlung durch den Angeklagten
eingetreten sind. Das Ausweichmanöver des Zeugen mit dem sich
anschließenden Sturz und den dadurch hervorgerufenen
Verletzungsfolgen war in diesem Sinne unmittelbare Folge der
Tathandlung des Angeklagten.
OLG
Hamm, Beschluss vom 31.01.2017 - 4 RVs 159/16
Natürlich
macht sich auch ein Fahrzeugführer strafbar, wenn er, wie oben
aufgezeigt, sich beim Aussteigen tatbestgandlich im Sinne von §
315b StGB (Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr) verhält.
§ 315b StGB (Gefährliche Eingriffe in
den Straßenverkehr)
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