§ 26 StVO - Fußgängerüberwege
Inhaltsverzeichnis:
01
Allgemeines 02 Pflichten des
Fahrzeugführers im Überblick 03 TBNR gemäß
Bußgeldkatalog 2023 04 Fußgängerüberweg –
Fußgängerfurt 05 Verhalten an
Fußgängerüberwegen 06 Kein Vorrang für
Radfahrer 07 Radfahrende Kinder am
Fußgängerüberweg 08 Wartepflicht des
Fahrzeugführers 09 Blind einen
Fußgängerüberweg benutzt 10 Verzicht des
Fußgängers auf sein Vorrecht 11
Straßenverkehrsgefährdung 12 Unklare
Verkehrslage am Fußgängerüberweg 13 Quellen
01
Allgemeines
TOP
Auch 70 Jahre nach
seiner Verankerung in der Straßenverkehrsordnung ist der
Zebrastreifen weit verbreitet. Dennoch kommt es auch an
Fußgängerüberwegen immer wieder zu Verkehrsunfällen.
Unfälle an Fußgängerüberwegen:
Die Verkehrsunfallstatistik in Nordrhein-Westfalen 2022 weist 67
tödlich verunglückte und 6996 verletzte Fußgänger im
Straßenverkehr auf. Bundesweit kam es zu 3745 Unfällen an
Zebrastreifen, bei denen Menschen verletzt wurden. 15 überlebten
die Unfälle nicht [En01].
An
vorschriftsmäßig mit Zeichen 293 StVO gekennzeichneten
Fußgängerüberwegen
haben
-
Fußgänger und
-
Rollstuhlfahrer
gegenüber
dem fließenden Verkehr (Ausnahme Schienenfahrzeuge) Vorrang,
wenn sie erkennbar auf dem Fußgängerüberweg die Fahrbahn
überqueren wollen. Das gilt auch für Radfahrer, wenn sie ihr Rad
schieben oder nur mit einem Fuß auf der Pedale stehend die
Fahrbahn überqueren, nicht aber für Radfahrer, die mit dem Rad
lediglich in Schrittgeschwindigkeit fahren.
Zeichen 293 StVO
Ge-
oder Verbot
Wer ein Fahrzeug führt, darf auf Fußgängerüberwegen sowie bis zu
5 m davor nicht halten.
Zeichen 350
Zeichen 134
02 Pflichten des Fahrzeugführers im Überblick
TOP
Die von
Fahrzeugführern zu beachtenden Verhaltensvorschriften an
Fußgängerüberwegen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
-
Fahrzeugführer müssen mit mäßiger Geschwindigkeit an
Fußgängerüberwege heranfahren, wenn Fußgänger erkennbar den
Zebrastreifen benutzen
-
Notfalls muss der Fahrzeugführer anhalten, um dem Fußgänger
das Überqueren zu ermöglichen
-
Halten oder Parken auf Fußgängerüberwegen ist verboten
-
Bei
stockendem Verkehr sind Fußgängerüberwege freizuhalten
-
Das
Überholen an Fußgängerüberwegen ist verboten.
Die
Zeichen von Schülerlotsen an Zebrastreifen entlasten den
Fahrzeugführer nicht von seiner Sorgfaltspflicht.
03 TBNR gemäß Bußgeldkatalog 2023
TOP
Bei den
9 im Bußgeldkatalog aufgeführten Fehlverhalten an
Fußgängerüberwegen handelt es sich - bis auf eine Ausnahme,
siehe TBNR 126100 – um anzeigepflichtige
Verkehrsordnungswidrigkeiten.
126600 Sie fuhren nicht mit mäßiger Geschwindigkeit an
den Fußgängerüberweg heran, obwohl ein Bevorrechtigter diesen
erkennbar benutzen wollte. 80,00 Euro 126601 Sie
fuhren nicht mit mäßiger Geschwindigkeit an den Fußgängerüberweg
heran, obwohl ein Bevorrechtigter diesen erkennbar benutzen
wollte, und gefährdeten dadurch Andere. 100,00 Euro
126606 Sie ermöglichten einem Bevorrechtigten nicht das
Überqueren der Fahrbahn, obwohl dieser den Fußgängerüberweg
erkennbar benutzen wollte. 80,00 Euro 126607 Sie
ermöglichten einem Bevorrechtigten nicht das Überqueren der
Fahrbahn, obwohl dieser den Fußgängerüberweg erkennbar benutzen
wollte, und gefährdeten dadurch Andere. 100,00 Euro
126608 Sie ermöglichten einem Bevorrechtigten nicht das
Überqueren der Fahrbahn, obwohl dieser den Fußgängerüberweg
erkennbar benutzen wollte. Es kam zum Unfall. 120,00 Euro
126100 Sie fuhren auf den Fußgängerüberweg, obwohl der
Verkehr stockte. 5,00 Euro
126612
Sie
überholten an dem Fußgängerüberweg ein Fahrzeug. 80,00 Euro
126613 Sie überholten an dem Fußgängerüberweg ein
Fahrzeug und gefährdeten dadurch Andere. 100,00 Euro
126614 Sie überholten an dem Fußgängerüberweg ein
Fahrzeug. Es kam zum Unfall. 120,00 Euro
04 Fußgängerüberweg – Fußgängerfurt
TOP
Nur an
gekennzeichneten Fußgängerüberwegen gelten die im § 26 StVO
(Fußgängerüberwege) aufgeführten Verhaltensregeln.
§ 26 StVO
(Fußgängerüberwege)
Im Bereich
von Fußgängerfurten, die nur im Zusammenspiel mit
Lichtsignalanlagen den Benutzern dieser Furten Vorrang
einräumen, gelten die Verhaltensregeln des § 26 StVO
(Fußgängerüberwege) nicht. Diesbezüglich heißt es in einem
Urteil des OLG München aus dem Jahr 2022 wie folgt:
OLG München 2022:
Ein Fußgängerüberweg im Sinne des § 26 StVO, räumt Fußgängern,
„auch wenn sie ein Rad schieben (nicht aber, wenn sie damit
fahren). Nur auf den durch Z 293 („Zebrastreifen“)
gekennzeichneten Überwegen, nicht aber auf anderen Übergängen,
[haben Fußgänger] Vorrang vor dem Fahrverkehr. Die an
Lichtzeichenanlagen [...]
markierten
Fußgängerfurten, bei denen keine deutliche, durchgehende
Kennzeichnung mit sog. Zebrastreifen (Z 293) besteht, [handelt
es sich somit nicht um] Fußgängerüberwege im Sinne des § 26
StVO, so dass insoweit auch kein Vorrang vor dem Fahrverkehr
besteht. Vielmehr gelten für Fußgänger, die eine Fußgängerfurt
benutzen, weiterhin die Sorgfaltsanforderungen des § 25 III StVO
[En02].
Dort
heißt es:
§ 25
Abs. 3 StVO (Fußgänger)
(3) Wer
zu Fuß geht, hat Fahrbahnen unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs
zügig auf kurzem Weg quer zur Fahrtrichtung zu überschreiten.
Wenn die Verkehrsdichte, Fahrgeschwindigkeit, Sichtverhältnisse
oder der Verkehrsablauf es erfordern, ist eine Fahrbahn nur an
Kreuzungen oder Einmündungen, an Lichtzeichenanlagen innerhalb
von Markierungen, an Fußgängerquerungshilfen oder auf
Fußgängerüberwegen (Zeichen 293) zu überschreiten. Wird die
Fahrbahn an Kreuzungen oder Einmündungen überschritten, sind
dort vorhandene Fußgängerüberwege oder Markierungen an
Lichtzeichenanlagen stets zu benutzen.
05 Verhalten an Fußgängerüberwegen
TOP
Weder
Fußgänger noch Fahrzeugführer können darauf vertrauen, dass sich
der jeweils andere verkehrsgerecht verhält. Insoweit muss sowohl
von Fußgängern als auch von Fahrzeugführern eingefordert werden,
sich an Fußgängerüberwegen so zu verhalten, dass dort niemand
behindert, gefährdet und erst recht nicht geschädigt wird.
Im §
26 Abs. 1 StVO (Fußgängerüberwege) heißt es, dass an
Fußgängerüberwegen Fahrzeuge mit Ausnahme von Schienenfahrzeugen
den zu Fuß Gehenden sowie Fahrenden von Krankenfahrstühlen oder
Rollstühlen, welche den Überweg erkennbar benutzen wollen, das
Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen haben. Dann dürfen sie
nur mit mäßiger Geschwindigkeit heranfahren; wenn nötig, müssen
sie warten.
§ 26 StVO
(Fußgängerüberwege)
Die
Formulierung „welche den Überweg erkennbar benutzen wollen“,
richtet sich zuerst einmal nur an Fahrzeugführer.
Im
Zusammenhang mit den im § 25 Abs. 3 StVO (Fußgänger), haben aber
auch Fußgänger Regeln beim Überqueren von Fahrbahnen zu
beachten.
§ 25 StVO
(Fußgänger)
Fahrzeugführer können zum Beispiel durchaus darauf vertrauen,
dass sich auch Fußgänger verkehrsgerecht verhalten. 2017 hatten
die Richter des OLG Stuttgart darüber zu entscheiden, wie die
Haftungsfrage zu klären ist, wenn es auf einem Fußgängerüberweg
zu einem Verkehrsunfall gekommen ist, weil ein Fußgänger für den
Fahrzeugführer unerwartet, den Fußgängerüberweg betreten hatte.
OLG Stuttgart 2017:
Der Kläger [gemeint ist der Fußgänger], hat in grober Weise
gegen § 25 Abs. 3 StVO verstoßen, wonach Fußgänger die Fahrbahn
nur unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs überqueren dürfen. Er
hat den Fußgängerüberweg betreten, ohne auf das herannahende
Fahrzeug [des Fahrzeugführers] zu achten. An Fußgängerüberwegen
herrscht weder für die Kraftfahrer noch für die Fußgänger der
Vertrauensgrundsatz. Der Überwegbenutzer hat den Fahrverkehr mit
Sorgfalt zu beobachten; er darf sich nicht bedingungslos darauf
verlassen, dass ihm der Fahrzeugführer den Vorrang einräumen
wird, und darf seinen Vorrang auch nicht erzwingen. Er hat sich
daher nach links und rechts umzusehen und bei erkennbarer
Gefährdung durch nahende Fahrzeuge zu warten. Nach den
Feststellungen des Sachverständigen betrat der Kläger die
Fahrbahn etwa 0,4 bis 0,5 Sekunden vor der Kollision. Zu diesem
Zeitpunkt war das Fahrzeug der Beklagten noch 4,4 bis 6,9 Meter
von der Kollisionsstelle entfernt. Aus den vom Sachverständigen
angefertigten Lichtbildern der Unfallörtlichkeit ist
ersichtlich, dass das herannahende Fahrzeug der
[Fahrzeugführers] für den Kläger ohne weiteres erkennbar war.
Verhalten des Fahrzeugführers an Fußgängerüberwegen:
OLG
Stuttgart 2017: Zutreffend hat das Landgericht
ausgeführt, dass der [Fahrzeugführer] kein Verstoß gegen § 26
StVO vorzuwerfen ist. Nach § 26 Abs. 1 StVO haben Fahrzeuge den
zu Fuß Gehenden, welche einen Fußgängerüberweg erkennbar nutzen
wollen, das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Dann dürfen
sie auch nur mit mäßiger Geschwindigkeit heranfahren. Die
Absicht des Klägers, den Überweg zu benutzen, war für den
Fahrverkehr jedoch objektiv nicht erkennbar. [...]. Maßgeblich
für die Erkennbarkeit i.S.d. § 26 StVO ist das Gesamtverhalten
des Fußgängers, wobei es keiner ausdrücklichen, an den
Fahrzeugführer gerichteten Anzeige bedarf. Die bloße Anwesenheit
eines Fußgängers in der Nähe eines Fußgängerüberwegs und die nur
nicht ausschließbare Möglichkeit einer Überquerungsabsicht
reichen jedoch nicht aus. Die rechtlich maßgebliche
Erkennbarkeit der Überquerungsabsicht ist nur gegeben, wenn
konkrete objektive Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass
ein Fußgänger den Überweg jetzt überqueren will. Nach dem
Gesamtverhalten eines Fußgängers ist dessen Überquerungsabsicht
zum Beispiel dann erkennbar, wenn der Fußgänger auf den Überweg
zugeht, nicht jedoch dann, wenn er rechtwinklig zum Überweg und
parallel zur Fahrbahn geht. Eine allgemeine Pflicht für
Kraftfahrer, unabhängig von der Erkennbarkeit der
Überquerungsabsicht eines Fußgängers an jedem Überweg die
Geschwindigkeit zu verlangsamen, kann § 26 StVO nicht entnommen
werden; dies ergibt sich aus § 26 Abs. 1 Satz 2 StVO, der nur
unter den Voraussetzungen von § 26 Abs. 1 Satz 1 StVO eine
Geschwindigkeitsherabsetzung fordert: Nach § 26 Abs. 1 Satz 2
StVO in Verbindung mit Satz 1 dieser Vorschrift muss ein
Fahrzeug „dann“ – und nur dann – mit mäßiger Geschwindigkeit an
einen Fußgängerüberweg heranfahren, wenn ein Fußgänger den
Überweg erkennbar benutzen will [En03].
Dass
korrektes und situationsangepasstes Verhalten an
Fußgängerüberwegen immer voraussetzt, den Unfallhergang zu
kennen, macht auch das folgende Zitat aus einem Urteil des BGH
aus dem Jahr 1982 deutlich:
BGH 1982:
Freilich darf auch der Fußgänger, der einen geschützten Übergang
benutzt, wie ihn der sogenannte Zebrastreifen darstellt, nicht
blindlings darauf vertrauen, dass Kraftfahrer ihren
Verpflichtungen bei der Annäherung an einen solchen
Fußgängerüberweg (§26 StVO) nachkommen. So muss er vor Betreten
des Überweges sich mindestens durch einen beiläufigen Blick nach
den Seiten von der Verkehrslage überzeugen und bei erkennbarer
Gefährdung durch nah herangekommene Kraftfahrzeuge mit der
Überquerung der Fahrbahn warten. Im Streitfall durfte der
Kläger, ohne sich dem Vorwurf mangelnder Vorsicht auszusetzen,
den Zebrastreifen betreten und die Fahrbahn überschreiten, weil
nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die Erstbeklagte
in diesem Zeitpunkt noch mindestens 70 m entfernt und der
ausreichend beleuchtete Übergang für sie voll einzusehen war.
Der Kläger durfte deshalb darauf vertrauen, dass die
Erstbeklagte ihm die gefahrlose Überquerung der Fahrbahn
ermöglichen werde. Er ist auch, wie zu seinen Gunsten zu
unterstellen ist, zügig gegangen. Währenddessen brauchte er das
herannahende Fahrzeug der Erstbeklagten nicht dauernd im Auge zu
behalten. Zuzustimmen ist dem Berufungsgericht zwar darin, dass
auch der Fußgänger, der sich schon auf dem gesicherten Übergang
befindet, sich nicht ohne weiteres darauf verlassen darf, dass
ein herannahender Kraftfahrer seinen Vorrang respektieren werde,
wenn er durch einen beiläufigen Blick zur Seite eine konkrete
Gefährdung für sich erkennen kann [En04].
06 Kein Vorrang für Radfahrer
TOP
Radfahrer müssen absteigen und ihr Rad schieben, wenn sie den
Vorrang eines Fußgängerüberwegs in Anspruch nehmen wollen.
Fahren mit dem Rad ist nicht erlaubt.
LG Nürnberg 2016:
Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 StVO haben an Fußgängerüberwegen
Fahrzeuge mit Ausnahme von Schienenfahrzeugen den zu Fuß
Gehenden sowie Fahrenden von Krankenfahrstühlen oder
Rollstühlen, welche den Überweg erkennbar benutzen wollen, das
Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Im Umkehrschluss aus §
26 Abs. 1 Satz 1 StVO wird klar, dass für erkennbar
nutzungswillige Radfahrer auf Fußgängerüberwegen nach § 26 Abs.
1 StVO kein Vorfahrtsrecht besteht. Die vereinzelt gebliebene
Entscheidung des OLG Düsseldorf (28.04.1986 - 1 U 52/85 - MDR
1987, 1029), wonach auch Radfahrer grundsätzlich auf
Fußgängerüberwegen den Vorrang gegenüber dem fließenden Verkehr
genießen, sofern für diesen trotz der Geschwindigkeit des
Radfahrers rechtzeitig erkennbar ist, dass der Radfahrer die
Fahrbahn auf dem Fußgängerüberweg überqueren will, wird zu Recht
nicht anerkannt. Sie widerspricht dem klaren Wortlaut und Sinn
der Norm und würde zu unnötiger und unerträglicher
Rechtsunsicherheit an Fußgängerüberwegen führen. Um ein
Vorfahrtsrecht beanspruchen zu können, müssen Radfahrer vom
Fahrrad folglich absteigen und das Rad schieben [En05].
07 Radfahrende Kinder am Fußgängerüberweg
TOP
Ein
Fahrzeugführer muss auch bei Annäherung an einen
Fußgängerüberweg ohne erkennbare Umstände nicht damit rechnen,
dass ein 12-jähriges Kind, ohne seine Absicht merklich
anzuzeigen, auf dem Fahrrad fahrend den Fußgängerüberweg
überquert, so der Leitsatz 3 eines Urteils des OLG Celle aus dem
Jahr 2023.
An anderer Stelle heißt es:
OLG Celle 2023:
Der Kläger [gemeint ist ein 12-jähriger Radfahrer, der auf einem
Fußgängerüberweg angefahren wurde] kann sich nicht auf den
Schutzbereich der Vorschrift des § 26 S. 1 StVO berufen. Als
nicht abgestiegener Radfahrer
unterfiel
der Kläger nicht dem Schutzbereich dieser Norm. Der Vorrang nach
§ 26 StVO steht nur dem Bevorrechtigten zu, der als Fußgänger
ein Rad mitführt, solange er damit nicht fährt. Radfahrer, die -
wie hier unstreitig der Kläger - den Fußgängerüberweg benutzen,
ohne ihr Rad bei der Überquerung zu schieben, genießen nicht den
Schutz des § 26 S. 1 StVO. [...]. Ohne erkennbare Umstände, die
einzelfallabhängig zu würdigen sind, muss ein Verkehrsteilnehmer
nicht damit rechnen, dass (ältere) Kinder auf dem Fahrrad
fahrend einen Fußgängerüberweg - ohne vorheriges Anhalten und
Umschau - nutzen. [...]. Aufgrund der konkreten
Verkehrssituation war ohne weiteres nicht mit dem unerwarteten
Überfahren der Fahrbahn zu rechnen. Anders als ein Radweg, der
in eine auf der Fahrbahn aufgezeichnete Furt mündet, vermag ein
die Fahrbahn querender Fußgängerüberweg auch bei
verkehrsungewandten Radfahrern nicht die Vorstellung zu
erwecken, sie hätten Vorrecht, zumal eine solche Wertung der
Verkehrslage mit der eindeutigen Regelung des § 26 S. 1 StVO
nicht vereinbar wäre, wonach gerade keine Radfahrer vom
Schutzbereich des § 26 S. 1 StVO erfasst und damit bevorrechtigt
sind [En06].
08 Wartepflicht des Fahrzeugführers
TOP
Die
Verpflichtung eines Fahrzeugführers, einem Fußgänger Vorrang an
einem Fußgängerüberweg zu gewähren besteht bereits dann,
wenn er unsicher hinsichtlich des zu erwartenden
Fußgängerverhaltens ist. Diesbezüglich heißt es in einem Urteil
des OLG Düsseldorf aus dem Jahr 1998 sinngemäß, dass eine
Verurteilung des Fahrzeugführers nur dann in Betracht kommen
kann, wenn das Verhalten des Fußgängers irgendwie durch das sich
nähernde Fahrzeug beeinflusst werden könnte, was vor allem dann
zutrifft, wenn durch das Fahrverhalten des Fahrzeugführers der
Fußgänger auf dem Fußgängerüberweg vermeidbar gefährdet,
behindert oder belästigt wird.
OLG Düsseldorf 1998:
Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass Fußgänger an
derartigen Überwegen nicht nur bei offensichtlicher
Benutzungsabsicht, sondern schon beim geringsten Zweifel Vorrang
haben. Deshalb hat der Kraftfahrer bereits anzuhalten, wenn ein
Fußgänger zügig auf den Überweg zugeht oder dort wartet, es sei,
dass er ersichtlich auf seinen Vorrang verzichtet [En07].
09 Blind einen Fußgängerüberweg benutzt
TOP
Fußgänger, die sich bereits auf einem Fußgängerüberweg befinden
und diesen dann, beim Erreichen einer Mittelinsel mit gesenktem Kopf sozusagen „blind“
auch weiter überqueren,
trifft grundsätzlich keine Mitschuld, wenn es zu einem Unfall
kommt. Diesbezüglich heißt es in einem Beschluss des OLG Dresden
aus dem Jahr 2015 wie folgt:
OLG Dresden:
Ohne
[...]
konkrete
Anhaltspunkte muss ein Fußgänger auch nicht etwa ständig, auch
nach sicherem Betreten des Übergangs (nach den Feststellungen
des DEKRA-Gutachtens ca. 2 m), sich nach allen Seiten
vergewissern und entgegen dem auch für ihn geltenden
Vertrauensgrundsatz stets vorsorglich anhalten, wenn sich ein
Pkw oder Rad nähert. Dies würde ihn nicht zuletzt erst der
Gefahr aussetzen, den Übergang noch während des Wechsels auf
„rot“ benutzen zu müssen, und hätte negative Auswirkungen auf
den Verkehrsfluss. [...]. Die Klägerin ging, zumal in ihrem
Vertrauen noch gestützt durch die links von ihr haltenden Pkw,
nach ihrer eigenen Schilderung „ganz normal“ geradeaus über den
Übergang. Soweit sie selbst einräumt, nicht nach rechts oder
links geschaut zu haben, hat sich dies nicht unfallursächlich
ausgewirkt, weil sie dies mangels anderer erkennbarer Umstände
nur beim Betreten der Fahrbahn, nicht auch zwingend noch während
des Überquerens, zu tun brauchte. Beim Betreten des Überwegs
bestand aber – unstreitig – noch kein Grund vorsorglich von der
Überquerung der Straße abzusehen. [...]. Dass die Klägerin
durchweg mit gesenktem Blick die Fahrbahn überquert hätte, lässt
sich aus der Beweisaufnahme ebenso wenig sicher herleiten.
Jedenfalls gehen die an einem solchen unfallmitursächlichen
Mitverschulden der Klägerin verbleibenden Zweifel aufgrund der
Beweislastverteilung hier wie auch sonst bei Unfällen zwischen
Fußgängern und Kfz zu Lasten der Beklagten [gemeint ist der
Fahrzeugführer]. [...]. Ein – unterstellt – (allenfalls!)
leichtes
Mitverschulden des Fußgängers beim Überqueren der für ihn „grün“
zeigenden Fußgängerampel tritt jedenfalls hinter die schon wegen
der Sichteinschränkungen deutlich erhöhte Betriebsgefahr des Lkw
sowie das grobe Verschulden des Beklagten [Lkw-Fahrers im
Hinblick auf den] Verstoß gegen die Beachtung des
Fußgängervorrangs, vollständig zurück
[En08].
10 Verzicht des Fußgängers auf sei Vorrecht
TOP
Die
Wartepflicht eines Fahrzeugführers entfällt, wenn der Fußgänger
auf sein Vorrecht verzichtet.
BayObLG 2001:
Die Wartepflicht am Fußgängerüberweg entfällt zwar, wenn der
Fußgänger auf sein Vorrecht verzichtet. Das kann aber nur
angenommen werden, falls der Verzicht so unmissverständlich
angezeigt wird, dass hierüber keinerlei Zweifel möglich ist. Das
in § 26 Abs. 1 Satz 1 StVO angeordnete Gebot, benutzungswilligen
Fußgängern das Überqueren zu ermöglichen, setzt nach der
Rechtsprechung nicht voraus, dass diese ihre Absicht, den
Überweg zu benutzen, dem Kraftfahrer durch Winken oder
dergleichen zu erkennen geben. Vielmehr genügt ein
Gesamtverhalten des Fußgängers, das objektiv seinen Willen, von
seinem Vorrang Gebrauch zu machen, erkennbar werden lässt. Eine
für den Kraftfahrer erkennbare sofortige Benutzungsabsicht liegt
daher bereits vor, wenn der Fußgänger zügig und gezielt auf den
Überweg selbst zugeht und sich diesem nicht nur parallel zur
Straße gehend nähert. Dasselbe gilt, wenn er bereits wartend am
Fahrbahnrand steht, wobei es keine Bedeutung hat, ob er dabei in
die Richtung des sich nähernden Kraftverkehrs blickt oder in die
Gegenrichtung. Eine Verurteilung wegen Verstoßes gegen § 26 Abs.
1 Satz 1 StVO darf darüber hinaus jedoch nur erfolgen, wenn der
Fußgänger durch das Heranfahren mit unverminderter
Geschwindigkeit oder das Nichtanhalten eines Fahrzeuges in
seinem Verhalten irgendwie beeinflusst wird. Hierzu reicht es
nach gefestigter Rechtsprechung aus, dass er vermeidbar
gefährdet, behindert oder belästigt wird. Das ist insbesondere
anzunehmen, falls er erschreckt, verwirrt, verunsichert oder
sonst in seiner Benutzungsabsicht der Fahrbahn behindert wird.
Es genügt daher, wenn ein Fußgänger wegen des geringen Abstands
des vorbeifahrenden Kraftfahrzeuges dem Verkehrsgeschehen
gesteigerte Aufmerksamkeit und Vorsicht zuwenden muss.
Wichtig:
Das bloße
Stehenbleiben der Fußgängerin kann damit keinesfalls bereits als
eindeutig erkennbarer Verzicht gedeutet werden. Ein solcher
könnte auch nur angenommen werden, wenn über einen klar
geäußerten Verzichtswillen hinaus feststünde, dass der
Betroffene sich dem Überweg nur mit mäßiger Geschwindigkeit
genähert hätte
[En09].
11 Straßenverkehrsgefährdung
TOP
Eine
Straftat im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 2c StGB (Gefährdung des
Straßenverkehrs) begeht, wer als
Fahrzeugführer im Straßenverkehr grob verkehrswidrig und
rücksichtslos ein Fahrzeug führt und dabei an Fußgängerüberwegen
falsch fährt und dadurch Leib oder Leben eines
anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert
gefährdet.
§ 315c StGB
(Gefährdung des Straßenverkehrs)
Diesbezüglich heißt es in einem Beschluss des BGH aus dem Jahr
2015 wie folgt:
BGH 2015:
Nach
gefestigter Rechtsprechung muss die Tathandlung über die ihr
innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische
Situation geführt haben, in der - was nach allgemeiner
Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose
zu beurteilen ist - die Sicherheit einer bestimmten Person oder
Sache von bedeutendem Wert so stark beeinträchtigt war, dass es
nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder
nicht. [...]. § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c StGB erfasst nur
das Falschfahren an Fußgängerüberwegen im Sinne des § 26 StVO.
Das sind allein die durch Zeichen 293 (Zebrastreifen) markierten
Fahrbahnflächen
[En10].
12 Unklare Verkehrslage am Fußgängerüberweg
TOP
Menschliches Verhalten im Straßenverkehr ist vielschichtig. Das
betrifft auch menschliches Fehlverhalten. Kommt es zu
Verkehrsunfällen an oder auf Fußgängerüberwegen, dann stellt
sich oftmals die Frage der Vermeidbarkeit. Das gilt auch für den Verkehrsteilnehmer, der sich verkehrsgerecht
verhält. Die Richter des Landgerichts Arnsberg hatten 2017 über
einen Verkehrsunfall zu entscheiden, der sich auf einem
Fußgängerüberweg zwischen einem E-Bike-Fahrer und einem
Pkw-Fahrer ereignete.
LG Arnsberg 2017:
Zwar begründet § 26 Abs. 1 StVO als Ausnahmevorschrift den
Vorrang der den Fußgängerüberweg Überquerenden vor dem
fließenden Verkehr. Damit die Vorschrift auch auf den Kläger
[E-Bike-Fahrer] Anwendung fände, müsste er vom persönlichen
Schutzbereich der Vorschrift erfasst sein. Das ist aber gerade
nicht der Fall. Vom persönlichen Schutzbereich des § 26 Abs. 1
StVO sind Fußgänger, Schieb- und Greifreifenrollstuhlfahrer,
Krankenfahrstühle und Fußgänger erfasst, die ein Fahrrad mit
sich führen. Wer den Fußgängerüberweg wie der Kläger fahrend auf
einem Fahrrad überquert hat keinen Vorrang. Der eindeutige
Wortlaut rechtfertigt keine andere Auslegung. Einen fahrenden
Radfahrer kann auch keinem Fußgänger gleichgestellt werden. Ein
Fußgänger bewegt sich im Durchschnitt bedeutend langsamer als
ein Fahrradfahrer. Auch ist er weniger wendig. Das macht es für
einen Autofahrer bedeutend schwieriger, rechtzeitig und
angemessen auf ihn zu reagieren.
Aber:
Bereits zum
Zeitpunkt, in dem der Kläger auf den Fußgängerüberweg auffuhr,
um die Gegenfahrbahn [der Pkw-Fahrerin] zu überqueren, musste
eine Reaktion [der Pkw-Fahrerin] erfolgen. Der Verstoß des
[E-Bike-Fahrers], auch die Fahrbahn [der Pkw-Fahrerin]
fahrenderweise auf dem Fußgängerüberweg zu kreuzen und das
Missachten ihrer Bevorrechtigung, lag anhand des
Vorverhaltens
des [E-Bike-Fahrers] auf der Hand. Mit diesem Fehler musste die
[Pkw-Fahrerin] nach dem Befahren des Fußgängerüberwegs durch den
[E-Bike-Fahrer] in ihrer Gegenrichtung rechnen. Es wäre
lebensfremd, anzunehmen, die [Pkw-Fahrerin] hätte erst dann auch
auf den [E-Bike-Fahrer] reagieren müssen, als dieser ohne
anzuhalten, auch die Mittelinsel überquerte und auf die Fahrbahn
der Klägerin auffuhr. Ohne weitere Anhaltspunkte konnte sie
nicht davon ausgehen, der [E-Bike-Fahrer] würde dort stoppen.
Vielmehr entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der
Kläger auch ihre Fahrspur ohne Halt überqueren würde. Diese
weite Auffassung korreliert auch mit der sich an einen
Fußgängerüberweg annähernden Pflicht, die unmittelbare Umgebung
des Fußgängerüberwegs zu beobachten. Wenn die [Pkw-Fahrerin] den
gesamten Fahrbahnraum ausreichend beachtet hätte, so hätte sie
den [E-Bike-Fahrer] auch angesichts der Übersichtlichkeit der
Unfallörtlichkeit bemerken und die entsprechenden Schlüsse
ziehen müssen.
Die
[Pkw-Fahrerin] durfte auch nicht auf ihre Bevorrechtigung
vertrauen. Anhand des oben dargelegten eigenen Verkehrsverstoßes
ist bereits fraglich, ob der Vertrauensgrundsatz überhaupt auf
die [Pkw-Fahrerin] Anwendung findet. Der Vertrauensgrundsatz
besagt, dass derjenige, der sich selbst verkehrsrichtig verhält,
nicht vorsorglich auf alle möglichen Verkehrswidrigkeiten
anderer Verkehrsteilnehmer einstellen muss, sondern mangels
gegenteiliger Anhaltspunkte erwarten und sich darauf einstellen
darf, dass andere Verkehrsteilnehmer die für sie geltenden
Vorschriften beachten und den Verkehr nicht durch
pflichtwidriges Verhalten gefährden.
Für den,
der sich selbst verkehrswidrig verhält, gilt der
Vertrauensgrundsatz nicht. Gleichzeitig gilt aber auch, dass
der, der ein verkehrswidriges Verhalten anderer
Verkehrsteilnehmer erkennt oder Anhaltspunkte hierauf hindeuten,
sich nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen kann. Das
verkehrswidrige Befahren des Fußgängerüberwegs durch den
[E-Bike-Fahrer] war für die [Pkw-Fahrerin] erkennbar, sodass sie
ihr eigenes Fahrverhalten darauf anpassen musste [En11].
13 Quellen
TOP
Endnote_01 Zahl der
Woche: 70 Jahre Zebrastreifen:
https://www.umwelt.nrw.de/zahl-der-woche-70-jahre-zebrastreifen
Zurück
Endnote_02
Verhalten an Fußgängerfurten: OLG München, Endurteil vom
16.02.2022 - 10 U 6245/20 Zurück
Endnote_03
Verhaltenspflichten von Fahrzeugführern an Fußgängerüberwegen.
OLG Stuttgart, Az.: 12 U 193/16, Urteil vom 04.04.2017
Zurück
Endnote_04
Verhalten an Fußgängerüberwegen: BGH, Urteil vom 08. Juni 1982 –
VI ZR 260/80 Zurück
Endnote_05
Radfahrer müssen absteigen: LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom
06.10.2016 - 2 S 8390/15 Zurück
Endnote_06 Kein
„Vorrang“ auch für Radfahrer für ältere Kinder: OLG Celle, Urt.
v. 11.10.2023 - 14 U 157/22 Zurück
Endnote_07
Wartepflicht des Fahrzeugführers an Fußgängerüberwegen: OLG
Düsseldorf, Az: 5 Ss (OWi) 88/98 – (OWi) 51/98 I, Beschluss vom
31.03.1998 Zurück
Endnote_08
Wartepflicht des Fahrzeugführers. OLG Dresden – Az.: 7 U 568/14
– Beschluss vom 05.01.2015 Zurück
Endnote_09
Fußgängerverzicht auf seinen Vorrang muss eindeutig sein.
BayObLG, Beschluss vom 19.09.2001 - 2 ObOWi 393/01
Zurück
Endnote_10 § 315c
StGB an Fußgängerüberwegen: BGH, Beschluss vom 21.05.2015 - 4
StR 164/15 - Beschluss vom 21. Mai 2015
Zurück
Endnote_11 Richtiges Verhalten in unklaren
Situationen an Fußgängerüberwegen: LG Arnsberg, Urteil vom
07.03.2017 - 4 O 111/16 Zurück
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