§ 15 StVO (Liegenbleiben von
Fahrzeugen)
Inhaltsverzeichnis:
01
Allgemeines
02
TBNR
gemäß Bußgeldkatalog 2023
03 Liegenbleiben oder Anhalten
04 Auffahrunfall auf liegengebliebenes Fahrzeug
05 Anscheinsbeweis trifft den
Auffahrenden 06 Erstunfall
plus Zweitunfall 07 Außergewöhnliche
Gefahrensituation 08 Anhalten auf
Autobahnen ohne Warnblinklicht und Warndreieck
01
Allgemeines
TOP
Die Vorschrift betrifft
nur mehrspurige Fahrzeuge, die nicht ohne Weiteres aus dem
Verkehrsbereich entfernt werden können, in dem sie
liegengeblieben sind, also nicht vom Fahrzeugführer selbst
willentlich angehalten wurden.
§ 15 StVO
(Liegenbleiben von Fahrzeugen)
Sicherungspflichten, die sich unmittelbar aus § 15 StVO
(Liegenbleiben von Fahrzeugen) ergeben, wenn ein Fahrzeug
liegengeblieben ist:
-
Warnblinklicht ist sofort einzuschalten
-
Mindestens ein auffällig warnendes Zeichen gut sichtbar in
ausreichender Entfernung aufzustellen
-
Darüber
hinaus gelten die Vorschriften über die Beleuchtung haltender
Fahrzeuge.
§ 17 StVO
(Beleuchtung)
Eine
ergänzende Vorschrift, die ebenfalls dem Schutz des
fließenden Verkehrs vor liegengebliebenen Fahrzeugen dient, ist
in der StVZO enthalten.
§ 53a StVZO
(Warndreieck, Warnleuchte, Warnblinkanlage, Warnweste)
Danach
müssen in jedem mehrspurigen Fahrzeug mitgeführt werden:
-
1
Warndreieck: Innerhalb geschlossener Ortschaften reichen ca. 50
Meter Abstand zur Sicherung eines liegengebliebenen Fahrzeuges
aus. Auf Landstraßen ca. 100 Meter und wegen der hohen
Geschwindigkeiten auf Autobahnen sollte die Entfernung vom Pkw
dort mindestens 150 Meter betragen
-
1
Warnweste: Pro Fahrzeug muss nach dieser Vorschrift eine
Warnweste für den Fahrer vorhanden sein, die er nach einer Panne
oder einem Unfall, also dann, wenn ein mehrspuriges Fahrzeug
liegengeblieben ist, zu tragen hat. Wird eine Warnweste nicht
mitgeführt, kann dieser Verkehrsverstoß mit einem Bußgeld in
Höhe von 15 Euro geahndet werden. Die Warnwestenpflicht gilt für
alle in Deutschland zugelassenen Pkw, Lkw, Zug- und
Sattelzugmaschinen und Busse. Motorräder bleiben von dieser
Vorschrift ausgenommen.
02 TBNR
gemäß Bußgeldkatalog 2023
TOP
Die
Anzahl der bußgeldbewehrten Tatbestände beim Verlassen
liegengebliebener Fahrzeuge sind überschaubar, so dass sie hier
in Gänze wiedergegeben werden:
115000 Sie sicherten Ihr liegen gebliebenes mehrspuriges
Fahrzeug nicht vorschriftsmäßig ab. 30,00 Euro
115006 Sie beleuchteten Ihr liegen gebliebenes
mehrspuriges Fahrzeug nicht vorschriftsmäßig. 30,00 Euro
11501
Sie machten Ihr liegen gebliebenes mehrspuriges Fahrzeug
nicht vorschriftsmäßig kenntlich. 30,00 Euro
115600 Sie sicherten Ihr liegen gebliebenes mehrspuriges
Fahrzeug nicht mit den vorgeschriebenen Sicherungsmitteln ab und
gefährdeten dadurch Andere. 1 Punkt 60,00 Euro
115601 Sie sicherten Ihr liegen gebliebenes mehrspuriges
Fahrzeug nicht mit den vorgeschriebenen Sicherungsmitteln ab. Es
kam zum Unfall. 1 Punkt 75,00 Euro
115606 Sie beleuchteten Ihr liegen gebliebenes
mehrspuriges Fahrzeug nicht mit der vorgeschriebenen Lichtquelle
und gefährdeten dadurch Andere. 1 Punkt 60,00 Euro
115607 Sie beleuchteten Ihr liegen gebliebenes
mehrspuriges Fahrzeug nicht mit der vorgeschriebenen
Lichtquelle. Es kam zum Unfall. 1 Punkt 75,00 Euro
03 Liegenbleiben oder Anhalten
TOP
Vom
Wesen her ist „Liegenbleiben“ als ein unfreiwilliges Halten zu
verstehen, siehe Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 16.12.2020
- 14 U 77/1). Ein bloßes Anhalten erfüllt nicht den
Tatbestand des Liegenbleibens.
OLG Celle 2007:
Liegengeblieben ist ein Fahrzeug, das sich gleichgültig weshalb,
aus eigener Kraft nicht mehr fort- oder aus dem Verkehrsbereich
wegbewegen kann, d. h. entweder gegen den Willen des
Fahrzeugführers nicht mehr bewegt werden kann oder dieser aus
(primär im Fahrzeug liegenden) Umständen gezwungen ist, sein
Fahrzeug anzuhalten. Vom Wesen her ist „Liegebleiben“ damit ein
unfreiwilliges Halten.
Allerdings ist auch im Rahmen des Anhaltens die sofortige
Verkehrssicherung erstes Gebot. Es hängt jedoch von den
jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab, ob ein Fahrzeug, das
auf dem Seitenstreifen einer Autobahn zum Stehen gekommen ist,
entsprechend § 15 StVO gesichert werden muss. Hierfür sind unter
anderem die Beschaffenheit der Straße, der Standort des
Fahrzeugs sowie die Licht- und Sichtverhältnisse maßgeblich.
OLG
Celle, Urteil vom 12.12.2007 - 14 U 80/07
Anders ausgedrückt:
Ein Taxi-Fahrer, der sein Fahrzeug auf dem Seitenstreifen einer
Autobahn anhält, um einen Fahrer einsteigen zu lassen, dessen
Pkw liegengeblieben ist, hält an.
04 Auffahrunfall auf liegengebliebenes Fahrzeug
TOP
Einem
Beschluss des OLG Hamm aus dem Jahr 2014 lag folgender Anlass
zugrunde.
Anlass:
Eine
Mercedesfahrerin hielt mit ihrem Pkw vor einer Ampel auch dann
noch, als diese auf Grün wechselte, weil vor ihr sich ein Unfall
ereignet hatte. Ein Lkw erkannte nicht rechtzeitig das haltende
Fahrzeug und fuhr auf den Mercedes auf.
Das OLG
Hamm hatte zu entscheiden, ob die Mercedesfahrerin ihrer
Verpflichtung aus § 15 StVO (Liegenbleiben von Fahrzeugen) nicht
im gebotenen Umfang nachgekommen war. In dem Beschluss heißt es:
OLG Hamm 2014:
Ein Verstoß gegen § 15 StVO wegen unterbliebener Absicherung
einer Unfallstelle liegt dann nicht vor, wenn eine Absicherung
durch Warnzeichen deshalb entbehrlich ist, weil das Fahrzeug
rechtzeitig als stehendes Hindernis erkannt werden konnte.
An
anderer Stelle heißt es:
OLG Hamm 2014:
Die von dem LKW [...]
ausgehende
Betriebsgefahr ist durch ein Verschulden des [Lkw-Fahrers] gegen
§ 1 Abs. 2 StVO erhöht. Nach dieser Vorschrift hat sich jeder
Verkehrsteilnehmer so zu verhalten, dass kein Anderer
geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen
unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Dass der
[Lkw-Fahrer] die sich aus § 1 Abs. 2 StVO ergebenden
Sorgfaltsanforderungen nicht beachtet hat, weil er über einen
Zeitraum von mehr als 7 Sekunden den Verkehrsraum vor ihm nicht
beobachtet hat und ungebremst auf den Mercedes [...]
aufgefahren
ist, steht [...]
fest,
wie sich aus dessen schriftlicher Äußerung [...]
ergibt.
Danach hat der [Lkw-Fahrer] aus einer Entfernung von etwa 150 m
den Wechsel der Lichtzeichenanlage an der Kreuzung auf Grünlicht
bemerkt.
Ein
Verstoß gegen § 15 StVO verneint der Senat mit folgender
Begründung:
OLG Hamm 2014:
Zum einen ist das Fahrzeug der [Mercedesfahrerin] nicht
liegengeblieben, das heißt, nicht gegen ihren Willen zum Stehen
gekommen. Aufgrund des Sachverhalts erster Instanz durfte das
Landgericht davon ausgehen, dass Frau H ihr Fahrzeug gewollt
hinter der Unfallstelle angehalten hat. [...]. Dafür, dass das
Fahrzeug entgegen dem Willen der [Mercedesfahrerin] mangels
Fahrfähigkeit an der späteren Kollisionsstelle ausgerollt ist,
gibt der Sachverhalt aus erster Instanz nichts her. [...]. Der
fehlende Nachweis, dass das Fahrzeug liegengeblieben ist, geht
zu Lasten der darlegungs- und beweispflichtigen [Lkw-Fahrers].
Ein
Verstoß gegen § 15 StVO wegen unterbliebener Absicherung des
Mercedes läge aber auch ungeachtet dessen nicht vor, weil eine
Absicherung durch Warnzeichen nur dann erforderlich ist, wenn
das Fahrzeug nicht rechtzeitig als stehendes Hindernis erkannt
werden konnte.
Die
Unfallstelle war für den aufmerksamen Verkehrsteilnehmer aus
einer Entfernung von etwa 200 m gut erkennbar [...]. Da im
Bereich der Unfallstelle zudem eine Geschwindigkeitsbeschränkung
auf 70 km/h bestand, war für den aufmerksamen Verkehrsteilnehmer
ausreichend Zeit, in Annäherung an den Mercedes rechtzeitig zu
reagieren.
OLG
Hamm, Beschluss vom 11.04.2014 - 9 U 216/13
05 Anscheinsbeweis trifft den Auffahrenden
TOP
Das OLG
München hat 2018 entschieden, welche Anforderungen an den
Anscheinsbeweis beim Auffahren eines Pkw im fließenden Verkehr
auf einen auf der Linken von vier Fahrspuren zum Stillstand
gekommenen Lkw zu stellen sind.
Grundsatz:
Kommt es zu einem Auffahrunfall, dann spricht
der erste Anschein dafür, dass der Auffahrende den Unfall
schuldhaft dadurch verursacht hat, indem er:
-
Den
erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat (§ 4
Abs. 1 StVO
-
Unaufmerksam war, also seiner Sorgfaltspflicht nicht
genügte, § 1 Abs. 1 StVO, oder
-
Mit
unangemessener Geschwindigkeit gefahren ist (§ 3 Abs. 1
StVO).
Der
Anscheinsbeweis kann jedoch dadurch entkräftet werden, wenn ein
vorausfahrendes Fahrzeug, das noch rechtzeitig dem
liegengebliebenen Fahrzeug ausweichen konnte, dem Auffahrenden
die Sicht auf das liegengebliebene Fahrzeug versperrte, so dass
der Auffahrende das Hindernis nicht rechtzeitig erkennen konnte.
Im
Urteil des Landgerichts München heißt es zum oben skizzierten
Anlass wie folgt:
OLG München 2018:
Nach
der Entscheidung des Bundesgerichtshofs [...]
kommt
eine Erschütterung des Anscheinsbeweises beim Auffahren auf den
Vorausfahrenden auf einer Autobahn auch etwa dann in Betracht,
wenn der Nachweis erbracht wird, dass ein Fahrzeug
vorausgefahren ist, welches nach seiner Beschaffenheit geeignet
war, dem Nachfahrenden die Sicht auf das Hindernis zu
versperren, dieses Fahrzeug erst unmittelbar vor dem Hindernis
die Fahrspur gewechselt hat und dem Nachfahrenden ein Ausweichen
nicht mehr möglich oder erheblich erschwert war.
Auf der
Grundlage der obigen Ausführungen durfte das Landgericht die
Annahme einer Anscheinsbeweislage nur mit der Begründung
ablehnen [...], dass ein Fahrzeug vorausgefahren ist, welches
nach seiner Beschaffenheit geeignet war, ihr als Nachfahrender
die Sicht auf den Beklagten-LKW als Hindernis zu versperren,
dass dieses Fahrzeug erst unmittelbar vor dem Hindernis die
Fahrspur gewechselt hat und dass ihr als Nachfahrender ein
Ausweichen nicht mehr möglich oder erheblich erschwert war. Die
bloße Möglichkeit eines solchen Ablaufs oder die Feststellung,
dass der von dem Auffahrenden behauptete Ablauf nicht widerlegt
sei, reicht nicht aus. Die Beweislast für das Vorliegen von
Umständen, die zumindest die ernsthafte Möglichkeit eines
atypischen Ablaufs bedingen, liegt bei der Klägerin.
OLG
München, Urteil vom 28.09.2018 – 10 U 4206/17
06 Erstunfall plus Zweitunfall
TOP
Anlass:
Auf einer dreispurigen Autobahn war die Fahrerin eines Opels
aufgrund erhöhter Geschwindigkeit beim Fahrstreifenwechsel ins
Schleudern gekommen, gegen die Leitplanke prallte und
mit ihrem Pkw herumgeschleuderte worden, der schließlich quer ausgerichtet auf
der rechten Fahrspur zum Stehen kam. Das Warnblinklicht
wurde nicht eingeschaltet und die Unfallstelle wurde auch nicht
abgesichert. Auf der Fahrbahn lagen zudem Fahrzeugteile des
verunfallten Opel. Die Fahrerin eines Mercedes
konnte dem Hindernis nicht ausweichen. Es kam zum Zweitunfall.
Beide Fahrerinnen zogen sich Verletzungen zu.
Vor
Gericht machte die Fahrerin des Opel geltend, dass die
Mercedesfahrerin nicht auf Sicht gefahren sei und somit gegen §
3 StVO (Geschwindigkeit) verstoßen habe.
Die
Fahrerin des Mercedes warf der Opelfahrerin vor, ihren Pflichten
im Sinne von § 15 StVO nicht nachgekommen zu sein. Das
angerufene Gericht hatte im Rahmen der Haftungsabwägung zu
prüfen, welches Fehlverhalten schwerer wiegt: Der Verstoß gegen
§ 15 StVO oder der Verstoß gegen § 3 StVO.
OLG Frankfurt am Main 2020:
§ 15 Satz 1 StVO sieht vor, dass im Falle des Liegenbleibens
eines mehrspurigen Fahrzeugs an einer Stelle, an der es nicht
rechtzeitig als stehendes Hindernis erkannt werden kann, sofort
Warnblinklicht einzuschalten ist. Nach § 15 Satz 2 StVO ist
danach mindestens ein auffällig warnendes Zeichen gut sichtbar
in ausreichender Entfernung aufzustellen, und zwar bei schnellem
Verkehr in etwa 100 m Entfernung, wobei vorgeschriebene
Sicherungsmittel, wie Warndreiecke, zu verwenden sind. Wie das
Landgericht zu Recht festgestellt hat, ist die [Opelfahrerin]
diesen Anforderungen nicht nachgekommen. Die Unfallstelle wurde
[...] weder durch sofortiges Einschalten des Warnblinklichts
noch durch Aufstellung eines gut sichtbaren Warndreiecks in
ausreichender Entfernung abgesichert. Dies wäre aber
erforderlich gewesen, um andere Verkehrsteilnehmer, wie
[Mercedesfahrerin], rechtzeitig vor dem verunfallten [Opel] zu
warnen. Die Pflicht zur Aufstellung eines Warndreiecks ist
grundsätzlich unverzüglich zu erfüllen. Soweit dem
Fahrzeugführer ein gewisser Zeitraum einzuräumen ist, um der
Pflicht nachzukommen, war dieser hier schon nach dem eigenen
Vortrag der [Opelfahrerin] überschritten [denn die Opelfahrerin
hat selbst vorgetragen] dass sich der Erstunfall längere Zeit
vor der Zweitkollision zugetragen habe [...]. Die [Opelfahrerin]
ist dennoch untätig geblieben und hat keine Sicherungsmaßnahmen
zugunsten des nachfolgenden Verkehrs veranlasst. An
anderer Stelle: Das verunfallte
[Opelfahrzeug] bot für den nachfolgenden Verkehr eine typische
Gefahrenquelle, für deren Beseitigung und Absicherung die
[Opelfahrerin] die Verantwortung trug, weil sie die
Gefahrenquelle geschaffen hatte (§ 1 StVO). So wie bei einem
Verstoß gegen das Halteverbot auf Autobahnen (§ 18 Abs. 8 StVO)
oder gegen die Beleuchtungspflicht (§ 17 Abs. 1 StVO), spricht
bei einem Auffahrunfall auf der Autobahn der Anschein dafür,
dass die unterlassene Sicherungsmaßnahme für den Zusammenstoß
ursächlich war. Unangemessene Geschwindigkeit:
Nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO darf der
Fahrzeugführer nur so schnell fahren, dass er innerhalb der
übersehbaren Strecke halten kann. Die Vorschrift soll davor
schützen, auf Hindernisse aufzufahren und mit entgegenkommenden
Fahrzeugen zu kollidieren. Auch auf Autobahnen muss der
Kraftfahrer tags und nachts mit plötzlichen Hindernissen, wie
mit ungesichert liegen gebliebenen Fahrzeugen, rechnen. Nach
Anhörung der Klägerinnen und durchgeführter Beweisaufnahme ist
das Landgericht zu der Überzeugung gelangt, dass der
[Mercedesfahrerin] zwar ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot
anzulasten ist, da entweder der Bremsweg des auffahrenden
Klägerfahrzeugs länger als die Sichtweite gewesen ist oder die
Reaktion der [Mercedesfahrerin] auf die rechtzeitig erkennbare
Gefahr unzureichend gewesen ist. Zu Gunsten der
[Mercedesfahrerin] hat das Landgericht nach Auswertung der
Angaben [...] Indes aber gewertet, dass die Gefahrenlage „quer
stehendes Fahrzeug“ aufgrund des sich um das verunfallte
Beklagtenfahrzeug herum gebildeten weißen Rauchs (Qualmwolke)
[der Opel] nur schwer erkennbar gewesen ist. [...]. Mangels
freier Sicht auf das liegengebliebene [Opelfahrzeug] war eine
Reaktion auf die unmittelbare eigentliche Gefahrenlage („quer
stehendes Fahrzeug“) hingegen nicht möglich, was sich
haftungsmildernd auswirkte.
OLG Frankfurt am Main,
Urteil vom 02.06.2020 - 10 U 49/19
07 Außergewöhnliche Gefahrensituation
TOP
Nur
außergewöhnliche Gefahrensituationen machen es erforderlich, liegen gebliebenen Fahrzeugen kenntlich zu machen. Diese
Verpflichtung gilt nicht für Fahrzeuge, die angehalten wurden.
Anlass:
Die Richter des Landgerichts Hildesheim hatten 2009 zu
entscheiden, wie das Anhalten eines VW-Fahrers zu bewerten ist,
der seinen Pkw auf einer Straße angehalten hatte, um dem vor
einer Ampel liegengebliebenen Fahrer eines Fahrzeuges zu helfen,
ohne die Warnblinkanlage einzuschalten und ein Warndreieck
aufzustellen, was nach den Einlassungen eines BMW-Fahrers, der
auf den VW auffuhr, unfallursächlich gewesen sei.
In
der Einlassung des BMW-Fahrers heißt es:
Der
[VW-Fahrer] sei verpflichtet gewesen, ein Warndreieck
aufzustellen und zudem die Warnblinkanlage einzuschalten.
Erstere Verpflichtung ergebe sich aus § 15
Straßenverkehrsordnung, welche Vorschrift auch auf das
„helfende“ Fahrzeug anwendbar ist, zumindest aber aus § 1 Abs. 2
Straßenverkehrsordnung, so dass das liegen gebliebene und das
„helfende“ Fahrzeug eine gesamtschuldnerische Pflicht zur
Aufstellung des Warndreieckes hätten. Im Übrigen sei dem Kläger
die Sicht auf die Verkehrsunfallstelle durch ein vorausfahrendes
Fahrzeug versperrt gewesen, was auch der Zeuge ... bekundet
habe.
OLG Hildesheim 2003:
Zu Unrecht nimmt der [BMW-Fahrer] an, dass der [VW-Fahrer] die
Pflicht zum Aufstellen eines Warndreieckes hatte. Diese Pflicht
ergibt sich weder aus § 15 StVO noch aus § 1 Abs. 2 StVO. § 15
StVO betrifft nur solche Fahrzeuge, die verkehrsbedingt auf der
Straße liegengeblieben sind und sich nicht mehr aus eigener
Kraft fortbewegen können. Haltende oder parkende Kraftfahrzeuge,
deren Insassen Hilfe leisten, fallen hierunter schon nach dem
eindeutigen und einer weiteren Auslegung nicht zugänglichen
Wortlaut der Vorschrift nicht. Ob neben dem Einschalten der
Warnblinkanlage auch ein Warndreieck aufgestellt werden muss,
richtet sich für helfende Fahrzeuge nach § 1 Abs. 2 StVO. Eine
solche Pflicht nach § 1 Abs. 2 StVO zum Aufstellen eines
Warndreieckes neben der Einschaltung einer Warnblinkanlage
besteht aber nur bei außergewöhnlichen Gefahrensituationen. Hier
war die Unfallstelle nicht auf einer Autobahn, auf der
erfahrungsgemäß viel höhere Geschwindigkeiten gefahren werden
als auf dieser Straße und zudem im Bereich einer Ampelanlage,
die jederzeit von Grün auf Rot umschalten kann, weshalb
nachfolgende Fahrzeugführer ohnehin vorsichtiger fahren müssen.
Es kommt hier hinzu, dass die Panne, bei welcher der [VW-Fahrer]
helfen wollte, auf gerader Strecke in einem gut übersichtlichen
Teil geschah, bei welchem bereits eine Warnblinkanlage die
Gefahrenquelle hinreichend deutlich kenntlich macht.
An
anderer Stelle, den BMW-Fahrer betreffend, heißt es:
Denn der
[BMW-Fahrer] hat grob fahrlässig gegen die Verkehrsvorschriften
des § 3 Abs. 1 S. 4 und gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Er hat
nämlich, was der Fall zeigt, seine Geschwindigkeit nicht so
gewählt, dass er auch noch rechtzeitig vor dem [VW-Fahrer]
welcher auf der Fahrbahn stand, bremsen konnte, als er das
Fahrzeug erstmals erblickte. Immerhin haben es zwei vor dem
Klägerfahrzeug fahrende Pkw ohne Probleme geschafft, der
Gefahrenstelle auszuweichen.
LG
Hildesheim, Urteil vom 05.09.2003 - 1 S 124/03
08 Anhalten auf Autobahnen ohne Warnblinklicht
und Warndreieck
TOP
2013
hatten die
Richter des OLG Hamm darüber zu entscheiden, welches
Fehlverhalten einem Lkw-Wahrer anzulasten ist, der seinen Lkw
auf dem Standstreifen angehalten hatte, weil er sich übergeben
musste. Die Umrisse des Lkw ragten nach dem Anhalten deutlich in die
rechte Fahrspur hineinragten, wodurch es zu einem Unfall mit
einem BMW-Fahrer kam. Dieser machte geltend, dass es zu dem
Unfall nicht gekommen wäre, wenn der Fahrer des Lkw sein
Fahrzeug im erforderlichen Umfang als ein liegengebliebenes
Fahrzeug gekennzeichnet hätte.
OLG Hamm 2013:
Im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Betriebsgefahr hat der
Senat berücksichtigt, dass der Verkehr auf der Autobahn wegen
des Verbots gemäß § 18 Abs. 8 StVO grundsätzlich nicht mit
haltenden Fahrzeugen rechnen muss, insbesondere nicht mit einem
LKW, der noch recht weit in die Fahrspur hineinragt. Bereits aus
diesem Grund ist ein Halten nur in zwingenden Fällen zulässig,
erfordert dann aber alle notwendigen Sicherungsmaßnahmen nach §
15 StVO. Insoweit ist unstreitig, dass [der Lkw-Fahrer trotz
seines] berechtigten gesundheitlichen Notstopps zwar ein
Warnblinklicht eingeschaltet, aber kein Warndreieck aufgestellt
hat. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei seinem
Verhalten, zunächst den Eimer auszukippen und sich selbst zu
säubern statt entweder ein Warndreieck aufzustellen oder sofort
weiterzufahren, sogar um eine schuldhafte Handlung handelt; denn
in jedem Fall ist es dadurch zu einer erheblichen Erhöhung der
vom Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr gekommen, die vom Senat
mit mindestens 50% angesetzt wird, und zwar auch unter
Berücksichtigung der vom klägerischen [BMW] selbst ausgehenden
Betriebsgefahr.
OLG
Hamm, Urteil vom 29.10.2013 - 26 U 12/13
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