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§ 24 StVO – Besondere Fortbewegungsmittel

Inhaltsverzeichnis:

01 Allgemeines
02
TBNR gemäß Bußgeldkatalog 2023
03 Besondere Fortbewegungsmittel
04 Fußgängerverkehr zuzuordnende
Fortbewegungsmittel
05 Krankenfahrstühle
06 Haftung für von Kindern verursachte
Schäden
07 Aufsichtspflicht der Eltern
08 Haftung eines 9 Jahre alten Kindes
09 Die Einsichtsfähigkeit ist
entscheidend

01 Allgemeines

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In der „Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO)" heißt es:

Zu § 24 Besondere Fortbewegungsmittel

  • Solche Fortbewegungsmittel unterliegen auch nicht den Vorschriften der StVZO.

  • Schieberollstühle sind Rollstühle mit Schiebeantrieb nach Nummer 2.1.1, Greifreifenrollstühle sind Rollstühle mit Greifreifenantrieb nach Nummer 2.1.2 der DIN 13240 Teil 1.

  • Kinderfahrräder sind solche, die üblicherweise zum spielerischen Umherfahren im Vorschulalter verwendet werden.

  • Zur Freigabe von Fahrbahnen, Seitenstreifen und Radwegen für Inline-Skates und Rollschuhe vgl. VwV zu § 31 Absatz 2.

31 Abs. 2

  • Die Anordnung des Zusatzzeichens mit dem Sinnbild eines Inline-Skaters und dem Wortzusatz „frei“ kommt vor allem an Aufkommensschwerpunkten des Inline-Skatens/Rollschuhfahrens in Betracht, wenn die Beschaffenheit (Belag und Breite) der Fußgängerverkehrsanlage für diese besonderen Fortbewegungsmittel (vgl. § 24) nicht geeignet ist. Soll ein nicht benutzungspflichtiger Radweg für das Fahren mit Inline-Skates/Rollschuhen freigegeben werden, kann das Zusatzzeichen allein ohne ein entsprechendes „Hauptverkehrszeichen“ angeordnet werden.

02 TBRN gemäß Bußgeldkatalog 2023

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Der bundeseinheitliche Tatbestandskatalog sieht in Bezug auf besondere Fortbewegungsmittel keine bußgeldbewehrten Tatbestände vor. Grund dafür ist, dass Fußgänger, die besondere Fortbewegungsmittel nicht auf Gehwegen mit sich führen, oder entgegen § 25 Abs. 2 StVO sperrige Güter mit sich führen, die Fahrbahn zu benutzen haben.

§ 25 Abs. 2 StVO
(2) Wer zu Fuß geht und Fahrzeuge oder sperrige Gegenstände mitführt, muss die Fahrbahn benutzen, wenn auf dem Gehweg oder auf dem Seitenstreifen andere zu Fuß Gehende erheblich behindert würden. Benutzen zu Fuß Gehende, die Fahrzeuge mitführen, die Fahrbahn, müssen sie am rechten Fahrbahnrand gehen; vor dem Abbiegen nach links dürfen sie sich nicht links einordnen.

03 Besondere Fortbewegungsmittel

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Rein begrifflich sind auch die im § 24 Abs. 1 StVO (Besondere Fortbewegungsmittel) aufgeführten Fortbewegungsmittel als Fahrzeuge anzusehen. Da von ihnen aber geringere Gefahren für andere ausgehen als von Fahrzeugen, deren Zweck ja darin besteht, Personen oder Güter von einem zu einem anderen Ort zu transportieren, gehören die im § 24 Abs. 1 StVO genannten „Fahrzeuge“ nicht zu den Fahrzeugen im Sinne der StVO.

Grund dafür ist, dass es sich dabei um Fortbewegungsmittel von geringer Größe und von geringem Eigengewicht handelt, mit denen in der Regel auch nur eine geringe Geschwindigkeit erzielt werden kann, sind diese Fortbewegungsmittel auch von den Vorschriften der StVO ausgenommen.

Da solche Fortbewegungsmittel im öffentlichen Straßenverkehr meist nur in Schrittgeschwindigkeit bewegt.

§ 24 Abs. 1 StVO (Besondere Fortbewegungsmittel)
(1) Schiebe- und Greifreifenrollstühle, Rodelschlitten, Kinderwagen, Roller, Kinderfahrräder, Inline-Skates, Rollschuhe und ähnliche nicht motorbetriebene Fortbewegungsmittel sind nicht Fahrzeuge im Sinne der Verordnung. Für den Verkehr mit diesen Fortbewegungsmitteln gelten die Vorschriften für den Fußgängerverkehr entsprechend.

Kinderfahrräder: Als Kinderfahrräder, egal ob mit oder ohne Stützräder, sind nur solche Fahrräder anzusehen, die für die Körpermaße von Kindern im Vorschulalter gebaut sind und von Kindern zum spielerischen Umherfahren benutzt werden. Räder, die diese Maße überschreiten, sind als Fahrräder anzusehen. Das gilt auch für so genannte BMX-Räder.

04 Fußgängerverkehr zuzuordnende Fortbewegungsmittel

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Darunter fallen Fortbewegungsmittel, die dem Fußgängerverkehr zuzuordnen sind. Daraus lässt sich ableiten, dass diese Fortbewegungsmittel nur auf Gehwegen benutzt werden dürfen, nicht aber auf Fahrbahnen, Seitenstreifen. In Fußgängerzonen und auf Spielstraßen dürfen sie als Spiel- und Sportgerät mit geringer Geschwindigkeit benutzt werden.

Dazu zählen:

  • Inliner

  • Skate-Boards

  • Rollschuhe

05 Krankenfahrstühle

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§ 24 Abs. 2 StVO
(2) Mit Krankenfahrstühlen oder mit anderen als in Absatz 1 genannten Rollstühlen darf dort, wo Fußgängerverkehr zulässig ist, gefahren werden, jedoch nur mit Schrittgeschwindigkeit.

Anders ausgedrückt: Krankenfahrstühle, die nicht unter diese Regelung fallen, dürfen, unter Beachtung des Rechtsfahrgebotes, auch auf der Fahrbahn und auch auf Seitenstreifen fahren.

Dort wo Fußgängerverkehr stattfindet, müssen Krankenfahrstühle in Schrittgeschwindigkeit fahren.

06 Haftung für von Kindern verursachten Schäden

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Bis zum 7. Lebensjahr sind Kinder nie haftbar.

Mädchen und Jungen zwischen sieben und zehn Jahren müssen nur dann für ihr Tun gerade stehen, wenn sie offensichtlich vorsätzlich gehandelt haben.

Ansonsten gilt:

Bis zum 18. Lebensjahr ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nur verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat.

§ 828 BGB (Minderjährige)

07 Aufsichtspflicht der Eltern

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Aufsichtspflicht gegenüber kleinen Kindern im Freien. Diesbezüglich haben die Richter des Bundesgerichtshofs 2009 zwei Entscheidungen getroffen, aus denen im Folgenden zitiert wird:

BGH 2009: Bei Kindern bestimme sich das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter, weiterhin nach der Voraussehbarkeit des schädigenden Verhaltens sowie danach, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation an zumutbaren Maßnahmen treffen müssten. Hier habe für die Beklagten eine normale, nicht durch Gefahr erhöhende Umstände gesteigerte Aufsichtspflicht bestanden. Insbesondere sei M. vorher nicht durch ähnliche Taten aufgefallen und habe nicht zu Streichen oder aggressivem Verhalten geneigt. Die Beklagten seien ihrer Aufsichtspflicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Sie hätten nach ihren Angaben M. stets angehalten, das Eigentum anderer zu achten. Eine besondere Belehrung in Bezug auf die spezifischen Gefahren im Umgang mit Glasscherben sei nicht erforderlich gewesen, weil es sich auch für Kinder im Alter des M. von selbst verstehe, dass damit keine fremden PKW beschädigt werden dürften.

Auch die Beaufsichtigung in der konkreten Situation sei ausreichend gewesen. Die Beklagten hätten M. unstreitig angewiesen, den Parkplatz nicht zu betreten. Nach dem Entwicklungsstand eines siebenjährigen Kindes sei es nicht zu beanstanden, dieses auf einem Spielplatz auch über einen Zeitraum von bis zu zwei Stunden in Verbindung mit der Belehrung, den Spielplatz nicht zu verlassen, unbeaufsichtigt spielen zu lassen. Eine Verpflichtung zur lückenlosen Beaufsichtigung habe sich auch nicht aus der konkreten Ausgestaltung der Spielsituation ergeben, weil es sich nicht um ein besonders schadensgeneigtes Umfeld gehandelt habe. Unter diesen Umständen reiche eine stichprobenartige Überwachung aus, wobei zwischen den Stichproben auch bis zu zwei Stunden liegen könnten. Eine Verpflichtung zum besonderen Einschreiten habe auch nicht bestanden, weil M. in einem Gebüsch in der Nähe des Parkplatzes Verstecken gespielt habe, da es sich dabei um ein typisches kindliches Verhalten handle.

An anderer Stelle:

Da es insbesondere von den Eigenheiten des Kindes und seinem Erziehungsstand abhängt, in welchem Umfang allgemeine Belehrungen und Verbote ausreichen oder deren Beachtung auch überwacht werden muss (...), reichte es für die Erfüllung der elterlichen Aufsichtspflicht insoweit aus, dass die Beklagten ihren Sohn stets angehalten haben, fremdes Eigentum zu achten. Auch nach Auffassung der Revision kann ein Kind, das dahin belehrt wurde, keine fremden Sachen zu beschädigen, auch verstehen, dass es ein Auto nicht mit einer Glasscherbe beschädigen darf. Da die Beklagten über den Aufenthaltsort ihres Kindes jedenfalls im Wesentlichen informiert waren und M. zusätzlich angewiesen haben, den Parkplatz nicht zu betreten, haben sie das getan, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um eine Schädigung Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Eine darüber hinausgehende Belehrung dahin, dass durch ein Kratzen mit einer Glasscherbe an einem Autoblech regelmäßig ein erheblicher Schaden entsteht und das Kind in der Nähe von Autos nicht mit Bällen, Ästen, Steinen zu spielen und/oder zu werfen und Autos insbesondere nicht zu bemalen oder zu zerkratzen habe, war entgegen der Auffassung der Revision auch in einer größeren Wohnanlage mit einem Parkplatz nicht erforderlich. Bei einem Kind im Alter von 7 oder 8 Jahren kann man jedenfalls nach der hier erfolgten Belehrung die Einsichtsfähigkeit voraussetzen, dass die von der Revision angesprochenen Handlungen nicht vorgenommen werden dürfen.

BGH, Urteil vom 24.03.2009 - VI ZR 199/08

In einer anderen, aber am gleichen Tag erlassenen Entscheidung des BGH hinsichtlich der Aufsichtspflicht von Eltern, deren Kinder im Freien spielen, wie folgt:

BGH 2009: Zu ihrer Entwicklung gehört [gemeint ist die von Kindern] die Möglichkeit zum Aufenthalt und Spielen im Freien, ohne dass sie auf „Schritt und Tritt“ zu beaufsichtigen sind.

Normal entwickelte Kinder im Alter von fast 5 1/2 Jahren können zwar eine gewisse Zeit ohne unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit und Aufsicht gelassen werden. Zu ihrer Entwicklung gehört die Möglichkeit zum Aufenthalt und Spielen im Freien, ohne dass sie auf „Schritt und Tritt“ zu beaufsichtigen sind (...). Daher gesteht die Rechtsprechung Kindern ab einem Alter von vier Jahren einen Freiraum zu, wobei allerdings eine regelmäßige Kontrolle in kurzen Zeitabständen für erforderlich gehalten wird (...). Kinder in diesem Alter dürfen also ohne ständige Überwachung im Freien, etwa auf einem Spielplatz oder Sportgelände oder in einer verkehrsarmen Straße auf dem Bürgersteig spielen, und müssen dabei nur gelegentlich beobachtet werden. Dabei wird ein Kontrollabstand von 15 bis 30 Minuten als zulässig angesehen, um das Spiel von bisher unauffälligen fünfjährigen Kindern außerhalb der Wohnung bzw. des elterlichen Hauses zu überwachen.

An anderer Stelle heißt es:

Nicht zugestimmt werden kann dem Berufungsgericht aber darin, dass P. über einen Zeitraum von mindestens 40 Minuten bis zu einer Stunde - auch in Verbindung mit der von der Mutter erteilten Anweisung, den fraglichen Spielplatz nicht zu verlassen - unbeaufsichtigt bleiben durfte. Das Risiko, das von Kindern für unbeteiligte Dritte ausgeht, soll nach dem Grundgedanken des § 832 BGB von den Eltern getragen werden, denen es eher zuzurechnen ist als dem unbeteiligten Dritten (...). Damit ist es nicht zu vereinbaren, dass ein 5 1/2-jähriges Kind über einen so langen Zeitraum ohne irgendeine Aufsicht auf einem Spielplatz verbleibt.

BGH, Urteil vom 24.03.2009 - VI ZR 51/08

08 Haftung eines 9 Jahre alten Kindes

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Diesbezüglich heißt es in einem Urteil des OLG Oldenburg aus dem Jahr 2004 wie folgt:

OLG Oldenburg 2004: Die Neuregelung des § 828 Abs 2 BGB über den Ausschluss der haftungsrechtlichen Verantwortung des noch nicht 10 Jahre alten Kindes für Schäden aus einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug führt nicht zu einer Erweiterung und Verschärfung der Aufsichtspflicht der Eltern.

An anderer Stelle heißt es:

Üblicherweise werden Kinder jedenfalls zu Beginn der allgemeinen Schulpflicht mit 6 Jahren an die Teilnahme im Straßenverkehr herangeführt und gewöhnt. Dabei steht zunächst die Verkehrsteilnahme als Fußgänger und die Zurücklegung des Schulwegs ohne Begleitung der Eltern im Vordergrund. Nachdem dies erfolgreich geschehen ist, folgt üblicherweise auch die Teilnahme als Radfahrer im Straßenverkehr, und zwar auch ohne Begleitung der Eltern, nachdem das Kind das Fahrradfahren technisch beherrscht, hinreichende Fahrsicherheit gegeben ist, die wesentlichen Verkehrsregeln erlernt und die Eltern sich - insbesondere durch entsprechende Kontrollen - vergewissert haben, dass sie ein verkehrsgerechtes Verhalten ihres Kindes im Straßenverkehr erwarten dürfen. Es entspricht daher gesicherter Rechtsprechung, dass jedenfalls ein (fast) 8-jähriges Kind, das ein Fahrrad hinreichend sicher zu fahren vermag, über Verkehrsregeln eindringlich unterrichtet worden ist und sich über eine gewisse Zeit im Verkehr bewährt hat, auch ohne eine Überwachung durch die aufsichtspflichtigen Eltern mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnehmen kann, etwa um zur Schule zu fahren oder einen sonst bekannten, geläufigen Weg zurückzulegen.

An anderer Stelle heißt es:

Es besteht kein Grund von den dargestellten, bewährten Rechtsprechungsgrundsätzen abzuweichen im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 828 Abs. 2 BGB eine aus der Teilnahme am Straßenverkehr folgende deliktische Verantwortlichkeit von Minderjährigen der Altersgruppe von 7 bis 10 Jahren weitgehend ausgeschlossen hat. Der Gesetzgeber wollte durch diese Neuregelung allein den typischerweise noch vorhandenen Defiziten im Verkehrsverhalten von Kindern der genannten Altersgruppe Rechnung tragen; es ging ihm nicht darum, die Haftung ihrer Eltern wegen Aufsichtspflichtverletzung zu verschärfen und damit nur die Haftungsrisiken und -lasten innerhalb der Familie umzuschichten (...). Dies wäre nicht sachgerecht. Es ist offensichtlich auch weiterhin erforderlich, dass Kinder der genannten Altersgruppe nach den oben dargestellten Grundsätzen an eine eigenverantwortliche Teilnahme am Straßenverkehr herangeführt werden, was entsprechend ihrer Entwicklung eine Verkehrsteilnahme auch in Abwesenheit der aufsichtspflichtigen Eltern bedingt. Hierin kann dann keine Verletzung der Aufsichtspflicht der Eltern gesehen werden.

OLG Oldenburg, Urteil vom 04.11.2004 - 1 U 73/04

09 Die Einsichtsfähigkeit ist entscheidend

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OLG Oldenburg 2004: Gemäß § 828 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) können Kinder unter sieben Jahren nicht für Schäden verantwortlich gemacht werden, die sie anderen zufügen. Minderjährige ab sieben Jahren können hingegen für Schäden haftbar sein – sofern sie die erforderliche Einsicht besitzen, um zu erkennen, dass ihr Handeln Dritte schädigen könnte. Mädchen wusste, wie es richtig geht.

Entscheidend für das Gericht war, dass dem Mädchen durchaus bewusst war, dass man beim Fahrradfahren nach vorne schauen müsse. Zu dieser Überzeugung gelangte das Gericht aufgrund einer persönlichen Anhörung des Kindes und durch den Umstand, dass es bereits seit mehreren Jahren regelmäßig mit dem Rad im Straßenverkehr unterwegs war.

Das Mädchen wisse, dass es beim Radfahren nicht für längere Zeit nach hinten schauen dürfe. Das Verhalten sei auch nicht reflexhaft ausgelöst worden, wie es etwa beim Nachlaufen hinter einem Ball der Fall wäre. Deshalb sei das Kind für den durch sein Fehlverhalten entstandenen Schaden verantwortlich.

OLG Oldenburg, Urteil vom 04.11.2004 - 1 U 73/04

2020 hatten die Richter des OLG Celle über einen von einem achtjährigen Kind verursachten Schaden zu entscheiden, der dadurch entstanden war, dass das Kind beim Fahren nach hinten geschaut hatte.

OLG Celle 2020: Einem altersgerecht entwickeltem achtjährigem Kind, das bereits seit seinem fünften Lebensjahr im Straßenverkehr Fahrrad fährt, muss bewusst sein, dass eine länger andauernde Vorwärtsfahrt mit dem Fahrrad, während der Kopf rückwärtsgewandt und damit das Blickfeld vom Fahrweg abgewandt ist, gefahrenträchtig ist.

Die Beklagte haftet gem. §§ 823 Abs. 1, 828 Abs. 3 BGB dem Grund nach für die Schäden der Klägerin. Danach sind Minderjährige für die Schäden, die sie einem anderen zufügen, nur dann nicht verantwortlich, wenn sie bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht haben. Dabei verlangt das Gesetz vom Kind nur die Fähigkeit zu einem allgemeinen Verständnis des Unrechtsgehaltes seines Verhaltens und der Pflicht, dafür einstehen zu müssen; den konkreten Schaden muss es sich nicht vorstellen können. Vielmehr genügt die Fähigkeit, zu erkennen, dass es in irgendeiner Weise für sein Verhalten zur Verantwortung gezogen werden kann (...). Es bedarf auch nicht der Prüfung, ob der Minderjährige fähig war, seinen Willen dieser Einsicht gemäß zu steuern, wie es für die strafrechtliche Deliktsfähigkeit Jugendlicher erforderlich ist (§ 3 JGG). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Minderjähriger, der imstande ist, die Verantwortlichkeit für sein Tun einzusehen, ohne Rücksicht auf seine Steuerungsfähigkeit deliktsfähig i.S. von § 828 Abs. 3 BGB (...). Gemessen daran hat die Beklagte den streitgegenständlichen Sturz der Klägerin schuldhaft verursacht.

An anderer Stelle:

Die Beklagte hat auch schuldhaft gem. § 276 Abs. 2 BGB gehandelt. Danach handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Der Begriff der Fahrlässigkeit ist zivilrechtlich nach objektiven und nicht nach individuellen Merkmalen zu bestimmen. Entscheidend ist, ob ein altersgerecht entwickeltes Kind im Alter der Beklagten zu 1) hätte voraussehen können und müssen, dass die an den Tag gelegte Fahrweise auf der Promenade befindliche Fußgänger verletzen konnte und ob von ihm bei Erkenntnis der Gefährlichkeit seines Handelns in der konkreten Situation die Fähigkeit erwartet werden konnte, sich dieser Erkenntnis gemäß zu verhalten, oder ob ein Mangel an Verstandesreife Kinder dieser Altersgruppe an einem solchen Verhalten hindert.

Gemessen an den vorgenannten Maßstäben muss nach der Ansicht des Senats in der vorliegenden Unfallsituation einem Kind mit einem Alter und einer Entwicklungsstufe entsprechend der Beklagten zu 1) bewusst sein, dass es gefahrträchtig ist, während einer Vorwärtsfahrt den Kopf rückwärtig zu halten. Es wäre auch möglich und zumutbar gewesen, sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten.

OLG Celle, Urteil vom 19.02.2020 - 14 U 69/19

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