Zeitenwende Staatsverschuldung
Inhaltsverzeichnis:
01 Prometheus 2023 02
Organisierte Unverantwortlichkeit 03
Bisher bekannt gewordene
Optionen 04 Modern Monetary Theorie 05
Sechzig Milliarden, oder
was? 06 Warum nur 60 Milliarden? 07
BVerfG, Urteil vom
15.11.2023 08 Beratungs- und Lernresistenz 09
Vorbildhafte
Schweiz 10 Zukunft der Schuldenbremse
11 Sondervermögen sind
Schulden 12
Regierungserklärung des Bundeskanzlers 13
Und dann auch das noch
01
Prometheus 2023
TOP
An diesem Mythos lässt
sich heute durchaus die Situation der Ampelkoalition festmachen,
denn Prometheus war es ja bekanntermaßen, der von den Göttern
bestraft wurde, weil er den Menschen das Feuer gebracht hatte und dafür
auf Befehl des Göttervaters Zeus gefesselt an einem Felsen im
Kaukasusgebirge festgeschmiedet und dem Fraß der Geier
preisgegeben wurde.
Nur ist es heute nicht
mehr Prometheus, der den Menschen das Feuer bringt,
sondern ein „maßloser Prometheus“, der mit seiner
Ausgabenfreudigkeit in Milliardenhöhen, wohl die Götter in den roten Roben erzürnt
hat.
Gemeint sind die Richterinnen
und Richter des Bundesverfassungsgerichts, die das „Zweite
Nachtragshaushaltsgesetz 2021“ für verfassungswidrig erklärten
(Urteil vom 15. November 2023 – 2
BvF
1/22) und damit - zumindest vorläufig - dafür gesorgt haben,
dass die Quelle der wundersamen Geldvermehrung durch noch mehr
Schulden, plötzlich und „unerwartet?“
versiegte.
Nun denn, obwohl geliehenes Geld, also Schulden, nicht mehr wie
das bei der Leber des Prometheus ja bekanntermaßen der Fall
gewesen ist, sich ganz von alleine regenerieren, sondern
getilgt werden müssen, lässt sich die Folge dieses
„Götterzornes“ nur noch als eine hektische Suche nach
Ersatzlösungen beschreiben, denn ohne Geld lässt sich kein Staat
machen.
Die Freiheit einer
grenzenlosen Geldvermehrung durch Schulden, die aber hat wohl,
zumindest nach der Sichtweise von heute, die sich aber ändern
kann, zumindest
ihr vorläufiges Ende gefunden, denn die Bundesregierung wurde vom
Bundesverfassungsgericht sozusagen in „Schuldnerhaft“ genommen,
so dass dieses Leistungssubjekt jetzt wohl dazu gezwungen ist, sich
darüber im Klaren zu werden, dass es sich bei der Schuldenbremse
des Grundgesetzes nicht um eine sich generierende Leber, sondern
ganz im Sinne der Schuldenbremse des
Grundgesetzes, siehe Artikel 115 Abs. 2 GG, um eine
„Brandmauer“ handelt, die nur dann kurzfristig geöffnet werden
darf und kann, wenn es sich bei den dafür erforderlichen
Anlässen nicht um selbstverschuldete Notlagen handelt, die auch
nicht durch eine wohlklingende Namensgebung, zum Beispiel durch
ein weiteres „60-Milliarden-Sondervermögen“, umgangen werden
kann. Was aber noch viel schlimmer ist, das ist die
Jährlichkeit, die auch bei der Ausweisung von Sondervermögen
oder anderen Finanzierungsmöglichkeiten von „Ausnahmefällen
nationalen Ausmaßes“ einmal abgesehen, zu beachten sind. Anders ausgedrückt:
Tricksereien lässt die Schuldenbremse des Artikels 115 Abs. 2 GG
nach den Vorgaben der Richter des Bundesverfassungsgerichts
wohl nicht mehr zu.
Artikel 115 Abs. 2 GG:
(2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus
Krediten auszugleichen. [...]. Im Falle von Naturkatastrophen
oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle
des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich
beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines
Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages
überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan
zu verbinden. Die Rückführung der nach Satz 6 aufgenommenen
Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen.
Was ist
zu erwarten? Der
Mythos Prometheus weiß auch darauf eine Antwort. Sie
lautet: Die
Götter werden müde. Der
Adler wird müde. Die
Wunde schließt sich müde.
Anders ausgedrückt:
Der Bundesrepublik Deutschland stehen Entschleunigungen ihrer
Politiker bevor,
deren Ausmaß heute noch niemand überschauen kann. Deshalb muss
man ja auch so lange um den heißen Brei herumreden, zumindest so
lange, bis sich niemand
mehr für das Kleingedruckte interessiert. Das mag auch nicht zu
verwundern, denn jedes Zeitalter hat seine ganz besondere
Zeitkrankheit. Die Zeitkrankheit von heute heißt
Demokratieverdrossenheit, weil man es einfach nicht mehr
ertragen kann, wie in Deutschland Politik gemacht wird.
Ergänzend dazu sei angemerkt, dass es sich bei dieser Krankheit
sozusagen um eine schleichende Krankheit handelt.
Das, was
den Wählerinnen und Wählern bleibt, das lässt sich folglich nur noch
als Demokratiemüdigkeit beschreiben, der dann möglicherweise
Veränderungen folgen werden, von denen wir schon heute nur noch hoffen
können, dass es die Götter im Himmel gut mit uns meinen werden.
02 Organisierte Unverantwortlichkeit
TOP
Bereits
von 35 Jahren heißt es in einem Buch von Ulrich Beck,
„Gegengifte. Die organisierte Unverantwortlichkeit“, dass es
sich bei einer Restrisikogesellschaft um eine versicherungslose
Gesellschaft handelt, deren Versicherungsschutz paradoxerweise
mit der Größe der Gefahr abnimmt (Seite 132).
Dass
dieser Satz aus dem Jahr 1988 heute sozusagen wie die Faust aufs
Auge passt, liegt in der Natur der politischen Ratlosigkeit, die
sozusagen, was das Ausmaß der Neuverschuldung anbelangt, nunmehr
wohl das Ende der Fahnenstange erreicht haben dürfte.
Einsehen
will das aber zurzeit noch niemand, denn kaum, dass die
Richter des Bundesverfassungsgerichts entschieden hatten, begann
bereits, ganz im Sinne von Ulrich Beck, das Gerangel um
Standpunkte, Berechnungsverfahren und Ergebnisse, in denen
rechtliche, kulturelle und wirtschaftliche Standards immer
offener miteinander in Konflikt geraten sind und auch weiterhin
in Konflikt geraten werden werden, verbunden mit
der ebenso unbeabsichtigten, aber dennoch durchschlagenden
„Nebenfolge“, dass die Grundlagen der gesamten Kalkulationen und
Vorschläge zur Lösung des Problems kaum noch das Papier wert
sein werden, auf dem sie stehen.
Ulrich Beck, der gerade
sinngemäß von mir zitiert wurde, beschrieb bereits 1988 - sozusagen
vorausahnend - den Zustand der Haushaltspolitik der
Bundesrepublik Deutschland von heute. Wörtlich heißt es bei ihm:
Ulrich Beck:
Man muss sozusagen um die Ecke der Zukunft denken, das
Ungesehene, Vernachlässigte erhält Zentralbedeutung. Gerade
deswegen können Folgenvermutungen in die verschiedensten
Richtungen ausgesandt werden und kommen mit einem ungeheueren
Stimmengewirr gegensätzlicher Ratschläge zurück (Seite 147).
Nur
eines wird angesichts der sichtbar gewordenen Ratlosigkeit niemals zugegeben
wollen, gemeint
sind die Fehler, in denen Milliarden sozusagen verbrannt wurden
und werden,
denn die können gar nicht eingestanden werden, ohne eigenes
Politikversagen damit einzugestehen.
Wer
heute solche obszönen Perversitäten wie „Unabhängigkeit“, „einen
Mangel an Lernfähigkeit“, oder gar Eingeständnis von Fehlern“
oder - was an Perversität nicht mehr zu überbieten ist – sogar
die Notwendigkeit eines Systemwandels auch nur eingestehen
würde, der darf sich nicht wundern, wenn der Verfassungsschutz
ihm dann schon auf die Finger schaut.
03 Bisher bekannt gewordene Optionen
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Die
bisher bekannt gewordenen Optionen, einen verfassungsgemäßen
Haushalt 2024 verabschieden zu können, lassen sich wie folgt
zusammenfassen:
-
Einen
Weg finden, der es zulässt, die zurzeit bestehende
Wirtschaftslage zu einem Notfall nationalen Ausmaßes zu
erklären, um weiter Schulden machen zu können
-
Den
Artikel 115 GG zu ändern, um die lästige Schuldenbremse
flexibler handhaben zu können
-
Kürzungen von Subventionen, wo immer das noch geht
-
Steuererhöhungen, die alle gleichermaßen treffen
-
Eingriffe in das soziale Sicherungssystem
-
Sparen
bei Asylsuchenden und Flüchtlingen
-
Steuergeschenke beenden
oder die
-
Dienstwagenregelung abschaffen, aber das würde ja schon zu den
Foltermethoden gehören, die diesem privilegierten Nutzerkreis
wirklich nicht zugemutet werden können.
Abzuwarten bleibt auch, wann von den Beamten ein
Solidaritätsbeitrag eingefordert wird, um die Staatshaushalte
nicht noch weiter zu belasten, denn wie die öffentlichen Hände
die zurzeit eingeforderten Gehaltserhöhungen im öffentlichen
Dienst von 10,5 Prozent überhaupt stemmen sollen, das weiß ja
auch noch niemand, zumal der Gehaltsanstieg mindestens 500
Euro im Monat ausmachen soll. Anders ausgedrückt: Allein die
Übertragung dieser Forderung auf die Beamtenpensionen dürften
mehr als 60 Milliarden kosten.
Noch im
Oktober 2020 hieß es in einem Artikel auf
Spiegel.de,
die Beamtenpensionen betreffend, wie folgt:
Im
Schnitt entsprechen die Pensionslasten einem Drittel der
jährlichen Wirtschaftsleistung der Länder. Zusammengerechnet
ergeben die Verpflichtungen von Bund und Ländern für die
kommenden 40 Jahre Ende 2019 rund zwei Billionen Euro - das
entspricht rund 60 Prozent der jährlichen deutschen
Wirtschaftsleistung.
Link zur Quelle
Das war
2020.
04 Modern
Monetary
Theorie
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Diese
Theorie geht von der Vorstellung aus, dass Staaten so viel Geld
ausgeben können, wie sie wollen, denn sie können einfach nicht
pleite gehen.
Solch eine
Alternative zu bisherigen desaströsen Währungszusammenbrüchen, die ja wohl
hinreichend bekannt sein dürften, hat Maurice
Höfgen
2020 in seinem Buch „Mythos Geldknappheit – Modern
Monetary-Theory oder: Warum es am Geld nicht scheitern muss“
sozusagen ausgeschlossen und die "Unmöglichkeit eines Staates,
durch Geldvermehrung dem Bankrott zu entgehen", wie folgt zu erklären versucht:
Maurice
Höfgen:
Staatsausgaben erhöhen 1:1 das Nettogeldvermögen des
nichtstaatlichen Sektors. Vereinfacht gesprochen: Staatsausgaben
landen auf den Girokonten von Firmen und Haushalten und erhöhen
deren Gesamtpunktestand auf der Anzeigetafel. Die Ausgaben des
Staates sind die Einnahmen von Ihnen, mir und dem Rest der Welt.
Staatsausgaben kosten uns kein Geld, sie machen uns reicher. (S.
42).
Ob der
Staat Ausgaben durch Überziehung seines Kontos bei der
Zentralbank oder durch Begeben von Staatsanleihen organisiert,
ist letztlich zweitrangig. Staatsausgaben führen immer zu einem
höheren Nettogeldvermögen des nichtstaatlichen Sektors. Im
Gegenzug wird selbiges Nettogeldvermögen durch Steuern immer
reduziert. Aus unserer Sicht als Privatperson ergibt sich:
Staatsausgaben machen uns reicher, Steuern machen uns ärmer. Die
roten Zahlen des Staates sind die schwarzen Zahlen des
nichtstaatlichen Sektors. Diese Einsicht ist fundamental für das
Verständnis des Geldsystems und die Bewertung von
Reformvorschlägen. (53).
Für
einen währungsherausgebenden Staat geht es weder um
Finanzierbarkeit noch um irgendwelche buchhalterischen
Finanzgrößen. Die finanzielle Fähigkeit, Ausgaben zu tätigen -
jetzt und in der Zukunft -, ist unabhängig von Steuereinnahmen
und unabhängig von ausgegebenen Staatsanleihen. Die relevante
Frage ist: Wie setzen wir unsere realen Ressourcen bestmöglich
ein, um unsere gesellschaftlichen Zielvorstellungen, das
größtmögliche Gemeinwohl, zu erreichen? aWenn darauf eine
Antwort gefunden werden kann, dann steht einer Umsetzung nichts
im Wege. Es sei denn, Staaten haben sich eigens Beschränkungen
auferlegt. (83)
Eine
solche Beschränkung enthält der Artikel 109 Abs. 3 GG.
Art.
109 Abs. 3 GG (3) Die
Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen
aus Krediten auszugleichen. Bund und Länder können Regelungen
zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der
Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden
konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für
Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich
der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche
Finanzlage erheblich beeinträchtigen, vorsehen. Für die
Ausnahmeregelung ist eine entsprechende Tilgungsregelung
vorzusehen. Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des
Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist,
wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis
zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Die
nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder regeln diese
im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen mit der
Maßgabe, dass Satz 1 nur dann entsprochen ist, wenn keine
Einnahmen aus Krediten zugelassen werden.
Diese
Beschränkung war nicht nur 2009 sinnvoll, als sie als Folge der
damals gerade überwundenen Finanzkrise in das Grundgesetz eingefügt wurde.
Sie ist aber auch heute noch sinnvoll, obwohl führende Politiker darauf hinweisen, dass
sich die Zeiten geändert haben und Regelungen, die vor 24 Jahren
sinnvoll gewesen sein mögen, sich heute schlichtweg überlebt
haben. Zweifel an dieser Sicht dürften dennoch
berechtigt sein.
Warum?
Komplexe Probleme lassen sich nicht lösen, ohne zeitgleich andere komplexe
Probleme entweder entstehen oder anwachsen zu lassen. Um welches
Problem könnte es sich dabei handeln?
Verantwortungsvolle Okonomen gehen auch heute immer noch von der
Vorstellung aus, das durch immer mehr Schulden und durch die
damit verbundene Geldvermehrung die Inflation
anwachsen wird.
Anlässlich eines Symposiums stellte der ehemalige Präsident der
USA John F. Kennedy (1917 bis 1963) im Rahmen einer Diskussion
mit dem US-amerikanischen Ökonomen James Tobin diesem Fragen, die
hier nur verkürzt wiedergegeben wird:
Kennedy:
Gibt es irgendein ökonomisches Limit für das Defizit? Tobin:
Das einzige Limit ist tatsächlich Inflation. Kennedy:
Das ist es. Das Defizit kann von jeglicher Höhe sein und die
Schulden können von jeglicher Höhe sein, vorausgesetzt, dass sie
keine Inflation erzeugen. Alles andere ist nur Gerede.
Zitiert
nach Maurice
Höfgen.
Mythos Geldknappheit. Modern
Monetary
Theorie oder Warum es am Geld nicht scheitern muss:
Schöffer/Poeschel-Verlag
2020. S. 82
05 Sechzig Milliarden, oder was?
TOP
Ob es sich
lediglich um diese Summe handelt, das sei einmal dahingestellt. Wie
hoch auch immer die schuldenfinanzierten Investitionshilfen des Staates ausfallen
werden, mit 60 Milliarden Euros wird der Weg in eine
klimaneutrale Zukunft wohl kaum realisiert werden können. Staatliche
Investitionshilfen können sowieso nur als ein Anreiz verstanden
werden, privates Kapital in
einem weitaus
größeren Umfang
„dahingehend zu motivieren“, investiert zu werden.
Anders ausgedrückt:
Die Summe
von 60 Milliarden Euro machen nur einen kleinen Anteil von
maximal 20 Prozent der Investitionen aus, die dadurch
letztendlich ausgelöst werden sollen.
Kurzum:
Die 60 Milliarden,
wenn es denn gelingen solltge, auch 2024 Mittel in dieser Höhe
der Wirtschaft zur Verfügung zu
stellen, sollen dazu dienen, mindestens 300 Milliarden privater
Geldmittel von privaten Geldgebern dazu zu bewegen, wirtschaftliches Wachstum in eine
neue – in eine klimaneutrale Wirtschaft – zu investieren.
06 Warum nur 60 Milliarden?
TOP
Warum es
gerade nur 60 Milliarden schuldenfinanzierte Euros sind, über
die zurzeit diskutiert wird, das wirft zuerst einmal die Frage auf, sich mit dem Ursprung
dieser Summe auseinanderzusetzen, zumal über deren
Verfassungswidrigkeit
die Richter des Bundesverfassungsgerichts bereits 2021 dazu im
Rahmen eines Eilverfahrens entscheiden sollten, denn bereits im
Februar 2022 hatten sich 197 Abgeordnete der CDU/CSU an das
BVerfG gewandt, um zu verhindern, dass Haushaltsmittel, die
nicht mehr für die Pandemiebekämpfung (COVID)
benötigt wurden, dem Klimaschutz zugeführt werden sollten, denn im
Verlauf des Haushaltsjahres 2021 hatte sich gezeigt, dass die im
Nachtragshaushaltsgesetz vorgesehene Summe für die
Pandemiebekämpfung nicht mehr benötigt wurde.
Vor diesem
Hintergrund entstand im politischen Raum bereits schon 2021 die Idee, die mit dem
Nachtragshaushaltsgesetz 2021 eingeräumte Kreditermächtigung in
der vollen Höhe von 60 Milliarden Euro auf den „Energie- und
Klimafonds“ (nachfolgend:
EKF),
einem unselbständigen Sondervermögen des Bundes (...), zu
übertragen.
Diesbezüglich heißt es in dem Beschluss:
a) Zwar
sei COVID-19 als Massenerkrankung eindeutig eine
Naturkatastrophe im Sinne von Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115
Abs. 2 Satz 6 GG. Für den Klimawandel gelte dies hingegen nicht.
Dabei handele es sich nicht um den Fall eines „exogenen
Schocks“, den der verfassungsändernde Gesetzgeber 2009 im Blick
gehabt habe, als er die Möglichkeit der notlagenbedingten
Kreditaufnahme ausgestaltet habe. Es sei hierbei um den
budgetären Ausgleich plötzlich auftretender, nicht
vorauszusehender Notsituationen gegangen. Der Klimawandel sei
seit Langem bekannt, erfordere langfristig und weitgreifend
angelegtes Staatshandeln und stelle sich deshalb als im Rahmen
der regulären Haushaltswirtschaft zu bewältigende strukturelle
Zukunftsherausforderung dar. Begriffe man den Klimawandel als
Notsituation im Sinne von Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs.
2 Satz 6 GG, käme dies einer faktischen Abschaffung der
Schuldenbremse gleich.
Dennoch
lehnten die Richter des Bundesverfassungsgerichts den Erlass
einer einstweiligen Anordnung gegen ein Parlamentsgesetz mit der
Begründung ab, dass es sich dabei um einen erheblichen Eingriff
in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers handeln würde, der
besonders strengen Maßgaben unterliege.
Wörtlich heißt es in dem Beschluss:
Der
Normenkontrollantrag, der mit dem Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung gesichert werden soll, ist zwar weder
von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Eine
Ausnahmekonstellation, in der eine summarische Prüfung des
Gesetzes anzustellen wäre, liegt jedoch nicht vor. Die danach
gebotene Folgenabwägung ergibt, dass die Nachteile, die sich aus
dem Erlass der einstweiligen Anordnung ergeben, die Nachteile
deutlich überwiegen, die bei einer Ablehnung des Antrags zu
besorgen sind.
Zwischenergebnis:
Der Antrag in der Hauptsache, so die Rechtsauffassung des
Bundesverfassungsgerichts, ist aber weder von vornherein unzulässig
noch offensichtlich unbegründet. Zur weiteren Vorgehensweise des
Gerichts heißt es in dem Beschluss:
BVerfG November 2022: Das
Bundesverfassungsgericht wird (deshalb) zu klären haben, ob die
Tatbestandsvoraussetzungen für die notlagenbedingte Ausnahme vom
grundsätzlichen Verbot der strukturellen Neuverschuldung nach
Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 6
GG im Grundsatz verfassungsgerichtlich voll überprüfbar sind
(...). Einschränkungen der Kontrolldichte könnten für das in
Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vorgesehene
Erfordernis einer erheblichen Beeinträchtigung der staatlichen
Finanzlage und für die Ausgestaltung der Rückführung der
aufgenommenen Kredite binnen eines angemessenen Zeitraums
gelten.
Beschluss vom 22. November 2022 - 2 BvF 1/22
07 BVerfG, Urteil vom 15. November 2023
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Diesem
Urteil lag das oben bereits kurz aufgezeigte abstrakte
Normenkontrollverfahren zugrunde. Wie bereits festgestellt, hatte
sich im Haushaltsjahr 2021 gezeigt, dass die im
Nachtragshaushaltsgesetz vorgesehenen Aufstockungen in Höhe von
60 Milliarden Euro für die Pandemiebekämpfung nicht mehr
benötigt und deshalb in voller Höhe – sozusagen ersatzweise oder
im Wege der Umwidmung – dem „Energie- und Klimafonds“, einem
Sondervermögen des Bundes, zugeführt werden sollten.
Diesbezüglich haben die Richter des Verfassungsgerichts am 15.
November 2023 jedoch entscheiden, was durchaus voraussehbar war,
siehe den Beschluss vom 22. November 2022, dass das
Zweite
Nachtragshaushaltsgesetz 2021 mit Art. 109 Abs. 3, Art. 110 Abs.
2 und Art. 115 Abs. 2 Grundgesetz (GG) unvereinbar und somit
nichtig ist.
Im
Zentrum des Urteils standen drei Artikel des
Grundgesetzes.
Art. 109
Abs. 3 GG Art. 110
Abs. 2 GG Art. 115
Abs. 2 GG
Art. 109
Abs. 3 Satz 2 und Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG lassen es zu, dass
der Bundestag von seinem Recht Gebrauch machen kann, im Falle
von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die
sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche
Finanzlage erheblich beeinträchtigen, die Schuldenbremse außer
Kraft zu setzen, die seit 2009 im Grundgesetz verankert ist. Das
setzt aber voraus, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der
Notsituation und der Überschreitung der Kreditobergrenzen
nachzuweisen ist und somit außer Zweifel steht, dass
eine Auflockerung der Schuldenbremse unverzichtbar
weil unvermeidbar ist.
BVerfG 2023:
In materieller Hinsicht setzt Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG eine
Naturkatastrophe oder eine außergewöhnliche Notsituation voraus,
die sich der Kontrolle des Staates entzieht und die staatliche
Finanzlage erheblich beeinträchtigt. Zudem verlangt Art. 115
Abs. 2 Satz 7 und 8 GG einen Tilgungsplan zur Kreditrückführung
in einem angemessenen Zeitraum.
Das
Begriffsverständnis von einer „Naturkatastrophe“ im Sinne von
Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG kann im
Wesentlichen an die Auffassungen anknüpfen, die sich zu Art. 35
Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG entwickelt haben.
Der
Begriff der „Naturkatastrophe“ bezeichnet dabei unmittelbar
drohende Gefahrenzustände oder Schädigungen von erheblichem
Ausmaß, die durch Naturereignisse ausgelöst werden, wie etwa
Erdbeben, Hochwasser, Unwetter, Dürre oder Massenerkrankungen.
Demgegenüber ist der Begriff der „außergewöhnlichen
Notsituation“ im Sinne von Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs.
2 Satz 6 GG abweichend von dem Tatbestandsmerkmal des „besonders
schweren Unglücksfalls“ aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1
GG zu bestimmen. Unter Letzterem wird nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts ein Schadensereignis von großem
Ausmaß verstanden, das – wie ein schweres Flugzeug- oder
Eisenbahnunglück, ein Stromausfall mit Auswirkungen auf
lebenswichtige Bereiche der Daseinsvorsorge oder ein Unfall in
einem Kernkraftwerk – wegen seiner Bedeutung in besonderer Weise
die Öffentlichkeit berührt und auf menschliches Fehlverhalten
oder technische Unzulänglichkeiten zurückgeht.
Durch das
Attribut der Außergewöhnlichkeit der Notsituation kommt zugleich
zum Ausdruck, dass nicht jede Beeinträchtigung der
Wirtschaftsabläufe der Ausnahmeklausel des Art. 115 Abs. 2 Satz
6 GG
unterfällt.
Insbesondere sind Beeinträchtigungen der Finanz- und
Wirtschaftslage nicht schon dann ein Anwendungsfall dieser Norm,
wenn es sich um bloße Auf- und Abschwungbewegungen eines
zyklischen Konjunkturverlaufs handelt. Dem Regelungszusammenhang
von Art. 115 Abs. 2 Satz 3, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG lässt sich
vielmehr entnehmen, dass solche Entwicklungen abschließend im
Rahmen der Konjunkturkomponente des grundsätzlichen Verbots
struktureller Neuverschuldung Niederschlag finden sollen und
keine weitergehende Durchbrechung desselben rechtfertigen
können.
Zwischen
der Notsituation und dem Neuverschuldungsbedarf muss eine
kausale Beziehung bestehen. Erforderlich ist, dass die
Notsituation ursächlich zu einer Reaktion des Staates führt, die
sich in einer erheblichen Weise auf die „Finanzlage“ des Bundes
auswirkt und gerade deshalb die Rechtfertigung für eine
Neuverschuldung bietet. Der Finanzbedarf, der durch die Reaktion
des Staates auf die Naturkatastrophe oder die außergewöhnliche
Notlage sowie durch mögliche vorbeugende Maßnahmen entsteht,
muss den Gesamthaushalt spürbar
belasten.
Eine
Notsituation, die nur „unerhebliche“ Folgen für die Finanzlage
des Staates mit sich bringt, kann keine notlagenbedingte
Neuverschuldung tragen. In solchen Fällen muss ein plötzlich
auftretender Finanzbedarf ohne zusätzliche Kreditaufnahme,
beispielsweise durch Haushaltsumschichtungen, Ausgabenkürzungen
oder Steuererhöhungen, gedeckt werden. Das Tatbestandsmerkmal
der „erheblichen“ Beeinträchtigung der staatlichen Finanzlage
stellt damit in allgemeiner Weise auf den Einfluss der äußeren
Krise auf die staatlichen Finanzen in ihrer Gesamtheit ab.
Weitere Anforderungen ergeben sich aus dem Merkmal der
Erheblichkeit nicht.
Ob eine
Naturkatastrophe oder außergewöhnliche Notsituation vorliegt,
die sich der Kontrolle des Staates entzieht, unterliegt
vollumfänglicher verfassungsgerichtlicher Prüfung.
Zur Schuldenbremse heißt es:
Nach
Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG a. F. durften die Einnahmen aus
Krediten die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben
für Investitionen nicht überschreiten. Ausnahmen waren nur zur
Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
zulässig. Dabei führen die konkreten Anwendungsvoraussetzungen
des Art. 115 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 GG a. F. zu einer
verfassungsgerichtlich nur begrenzt kontrollierbaren Abwägung.
Nur wenn das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ernsthaft und
nachhaltig gestört war oder eine solche Störung unmittelbar
drohte, durfte von der Ausnahmevorschrift Gebrauch gemacht
werden. Dem Haushaltsgesetzgeber stand bei der Prüfung, ob eine
Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorlag oder
unmittelbar drohte, ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum
zu. Damit korrespondierte eine Darlegungslast im
Gesetzgebungsverfahren. Dem Bundesverfassungsgericht oblag im
Streitfall die Prüfung, ob die im Gesetzgebungsverfahren
dargelegte Beurteilung und Einschätzung des Gesetzgebers
nachvollziehbar und vertretbar war (...).
Bereits
nach dem geschriebenen Tatbestand des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG
ist zu prüfen, ob gerade die Naturkatastrophe oder
außergewöhnliche Notsituation die staatliche Finanzlage
erheblich beeinträchtigt, ob also eine Kausalbeziehung zwischen
der Notlage, dem erhöhten Finanzbedarf und der Störung der Lage
der staatlichen Finanzen besteht.
Überschreitungen der regulären Kreditobergrenze können
verfassungsrechtlich nur gedeckt sein, wenn der
Haushaltsgesetzgeber mit ihnen zweckgerichtet Maßnahmen zur
Überwindung oder Vorbeugung einer Naturkatastrophe oder
außergewöhnlichen Notsituation finanziert (...). Nicht erfasst
sind dagegen Neukredite für allgemeinpolitische Maßnahmen, die
allenfalls anlässlich der vermeintlich günstigen Gelegenheit des
Aussetzens der Schuldenbremse ergriffen werden, aber nicht auf
die Überwindung der Krisensituation zielen (...).
Je
weiter allerdings das auslösende Ereignis in der Vergangenheit
liegt, je mehr Zeit zur Entscheidungsfindung gegeben ist und je
entfernter die Folgen sind, desto stärker wird sich der
Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des
Haushaltsgesetzgebers verengen, weil die Folgen seines Handelns
mit der Zeit besser abzuschätzen sind und so verhindert werden
kann, dass die Ausnahme der Überschreitung der Kreditobergrenzen
zur Regel wird, wie es bei der grundgesetzlichen
Vorgängerregelung bemängelt wurde (...).
Macht
der Gesetzgeber wiederholt innerhalb eines Haushaltsjahres oder
innerhalb aufeinander folgender Haushaltsjahre von der
Möglichkeit notlagenbedingter Kreditmittel Gebrauch, so wachsen
auch die Anforderungen an seine Darlegungslasten. Je länger die
Krise dauert und je umfangreicher der Gesetzgeber
notlagenbedingte Kredite in Anspruch genommen hat, desto
detaillierter hat er die Gründe für das Fortbestehen der Krise
(Krisendiagnose) und die aus seiner Sicht weiter gegebene
Geeignetheit der von ihm geplanten Maßnahmen zur
Krisenbewältigung darzulegen.
Es
folgen umfangreiche Ausführungen zur Jährlichkeit.
Die
Geltung der Grundsätze der Jährlichkeit, Jährigkeit und
Fälligkeit im Staatsschuldenrecht erstreckt sich auch auf die
Ausnahmeregelung des Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit
Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG für Naturkatastrophen und
außergewöhnliche Notsituationen. Zwar rechtfertigen diese Normen
gerade die Überschreitung der Obergrenze der jährlichen
Nettokreditaufnahme. In ihrem auf die Durchbrechung der
regulären Grenze gerichteten Ausnahmecharakter bleiben die Art.
109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG aber eng auf das
jährliche Berechnungssystem der Schuldenbremse bezogen.
Die
Prinzipien der Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit können
nicht dadurch außer Kraft gesetzt werden, dass der Gesetzgeber
eine Gestaltungsform wählt, bei der Kreditermächtigungen für ein
juristisch unselbständiges Sondervermögen (Nebenhaushalte)
nutzbar gemacht werden. Auch juristisch unselbständige
Nebenhaushalte werden von dem Verbot der Neuverschuldung nach
Art. 109 Abs. 3 Satz 1, Art. 115 Abs. 2 GG umfasst, weshalb die
allgemeinen Anforderungen aus dem Zeitbezug der Schuldenbremse
bei dem Einsatz eines Sondervermögens im Grundsatz anwendbar
bleiben.
Deshalb:
Mit dem
Zweiten
Nachtragshaushaltsgesetz 2021 werden dem
KTF
als unselbständigem Sondervermögen des Bundes kreditfinanzierte
Mittel in Höhe von 60 Milliarden Euro zugeführt, die sich auf
die Berechnung der zulässigen Kreditaufnahme für das Jahr 2021
auswirken, während die vom Gesetzgeber zur Krisenbewältigung ins
Auge gefassten Maßnahmen, deren Finanzierung die
Kreditermächtigungen dienen sollen, für kommende Haushaltsjahre
geplant sind. Tatsächlich wirksame Verschuldung entsteht für den
Bund nach dieser Konzeption vor allem in den kommenden Jahren
und voraussichtlich über die dann für das jeweilige
Haushaltsjahr geltende verfassungsrechtliche Verschuldungsgrenze
hinaus. Dabei werden die jetzt geschaffenen Kreditermächtigungen
ohne Anrechnung auf die Verschuldungsgrenze des dann aktuellen
Haushaltsjahres nutzbar gemacht, weil die Anrechnung bereits mit
der Ermächtigung im Ausnahmejahr 2021, nicht aber mit der
späteren Kreditaufnahme selbst erfolgen soll. Dies ist mit dem
Grundsatz der Jährigkeit in Verbindung mit dem Grundsatz der
Fälligkeit bei Anwendung der Art. 109 Abs. 3, Art. 115 Abs. 2 GG
nicht zu vereinbaren.
Die
Verabschiedung des
Zweiten
Nachtragshaushaltsgesetzes für das Jahr 2021 nach Ablauf des
Haushaltsjahres 2021 – das Gesetz wurde vom Deutschen Bundestag
am 27. Januar 2022 beschlossen und am 25. Februar 2022 im
Bundesgesetzblatt verkündet – widerspricht damit dem
verfassungsrechtlich in Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG wurzelnden
Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit. Bei diesem Grundsatz
handelt es sich nicht nur um einen Ausdruck organschaftlicher
Pflichten, sondern um eine verfassungsrechtlich justiziable
Maßgabe an ein Nachtragshaushaltsgesetz.
BVerfG,
Urteil vom 15. November 2023 - 2 BvF 1/22
08 Beratungs- und Lernresistenz
TOP
Es
spricht für die Selbstüberschätzung der Bundesregierunge von
heute, obwohl sich deren Minister sehr viel Geld dafür ausgeben, sich auch hinsichtlich der verfassungsrechtlichen
Auswirkungen ihres Tuns von externen Anwaltskanzleien beraten zu
lassen, nicht einsehen wollen, dass das Grundgesetz ihren
Handlungen dennoch Grenzen setzt.
Und das
mit dem Ergebnis des nunmehr vorliegenden Urteils der
Bundesverfassungsrichterinnen und -richter zu rechnen war, das
deutete sich bereits in dem Beschluss des Gerichts aus dem Jahre
2022 an (November 2022). Die folgenden Zitate aus diesem
Beschluss dürften Ihnen, wenn Sie die Zitate aus dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom November 2023 gelesen haben,
zumindest bekannt
vorkommen, denn sich wurden in dem Urteil
(November 2023) wiederholt.
Seit einem Jahr war vor dem Urteil Folgendes bekannt:
BVerfG November 2022:
Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Sätze 6
bis 8 GG gibt dem Bundestag das Recht, zu beschließen, dass die
sich aus den dargestellten Maßgaben ergebenden Kreditobergrenzen
im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen
Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und
die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen,
überschritten werden dürfen. Über die geschriebenen
Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 115 Abs. 2 Sätze 6 bis 8 GG
hinaus stellt sich die Frage, ob ein spezifischer
Veranlassungszusammenhang zwischen der Notsituation und der
Überschreitung der Kreditobergrenzen erforderlich ist und ob
insoweit Anforderungen der Verhältnismäßigkeit zu beachten sind.
Auch könnten für die Schuldenbremse aus allgemeinen
Haushaltsgrundsätzen, wie etwa dem
Jährlichkeitsprinzip,
weitere verfassungsrechtliche Maßgaben folgen. Sollten diese
Anforderungen gelten, bestehen Anhaltspunkte dafür, dass das
Zweite
Nachtragshaushaltsgesetz 2021 ihnen nicht genügt.
In
formeller Hinsicht verlangt Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG für die
Überschreitung der Kreditobergrenze bei Naturkatastrophen und
außergewöhnlichen Notsituationen einen Beschluss der Mehrheit
der Mitglieder des Bundestages; dies ist gemäß Art. 121 GG die
Mehrheit seiner gesetzlichen Mitgliederzahl. In dem
qualifizierten Mehrheitserfordernis kommt die Tragweite der
parlamentarischen Entscheidung, eine Ausnahme von der
Schuldenbremse zu beschließen, zum Ausdruck.
Der
Tatbestand von Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG setzt in materieller
Hinsicht eine Naturkatastrophe oder eine außergewöhnliche
Notsituation voraus, die sich der Kontrolle des Staates entzieht
und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt. Zudem
verlangt Art. 115 Abs. 2 Sätze 7 und 8 GG einen Tilgungsplan zur
Kreditrückführung in einem angemessenen Zeitraum.
Das
Begriffsverständnis von einer „Naturkatastrophe“ im Sinne von
Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG dürfte im
Wesentlichen an dasjenige anknüpfen, welches sich zu Art. 35
Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG entwickelt hat. Unter den
Begriff der „Naturkatastrophe“ werden in diesem Zusammenhang
unmittelbar drohende Gefahrenzustände oder Schädigungen von
erheblichem Ausmaß, die durch Naturereignisse ausgelöst werden,
wie Erdbeben, Hochwasser, Unwetter, Dürre, Massenerkrankungen,
gefasst.
Die
Naturkatastrophe oder außergewöhnliche Notsituation, welche den
Anlass für die Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der
strukturellen Neuverschuldung geben soll, muss sich nach dem
Wortlaut der Art. 109 Abs. 3 Satz 2, Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG
der Kontrolle des Staates entziehen.
[Auch
muss es sich bei der Anwendung von] Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG um
eine Ausnahmebestimmung handelt, die nach dem Willen des
verfassungsändernden Gesetzgebers eng auszulegen ist, um den
Zuwachs von Staatsschulden im Gegensatz zu den
Vorläuferregelungen wirksam zu begrenzen.
Im Ergebnis
erscheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die im Rahmen
des angegriffenen Gesetzes vorgenommene Zuführung von
Kreditermächtigungen an den mittlerweile in den Klima- und
Transformationsfonds (KTF)
überführten Energie- und Klimafonds (EKF) nicht den
verfassungsrechtlichen Vorgaben an eine notlagenbedingte
Kreditaufnahme des Bundes entspricht.
BVerfG,
Beschluss vom 22. November 2022 - 2
BvF
1/22
Eine
Bundesregierung, die in Kenntnis dieser Rechtsauffassung des
höchsten deutschen Gerichts weiter
mit geltendem Verfassungsrecht in der Hoffnung gespielt hat,
dass sich die Richter ihrer Denkweise anschließen würden, hat
nicht funktioniert, denn die Richter des
Bundesverfassungsgerichts haben Recht gesprochen und damit zum
Ausdruck gebracht, dass sie nicht
dazu bereit waren, dieses Spiel einfach mitzuspielen.
09 Vorbildhafte Schweiz
TOP
Während die
Schuldenbremse in der Bundesrepublik Deutschland erst 2009 im
Grundgesetz verankert wurde, regelt der Artikel 126 der
Schweizer
Bundesverfassung
die Schuldenbremse bereits seit 2001.
Auch
dort soll die Schuldenbremse chronische Defizite und damit einen
Schuldenanstieg verhindern. In der Bevölkerung genießt die
Schuldenbremse im Übrigen eine große Unterstützung, denn 85
Prozent der Schweizer Wählerinnen und Wähler hatten im Rahmen
einer Volksbefragung die Schuldenbremse gutgeheißen, und auch
heute noch, also 22 Jahre nach ihrer Einführung, hat die
Schuldenbremse in der Bevölkerung und im Parlament einen starken
Rückhalt.
Angenommen in der
Volksabstimmung vom 2. Dez. 2001, in Kraft seit 2. Dez. 2001 (BB
vom 22. Juni 2001, BRB vom 4. Febr. 2002 - AS 2002 241; BBl 2000
4653, 2001 2387 2878, 2002 1209).
Ganz
anders die Situation in Deutschland.
Dort
gibt es zwar eine Schuldenbremse, aber das hindert in dieser
Demokratie weder die Regierung noch die Abgeordneten der
Regierungsparteien im Deutschen Bundestag daran, geltendes
Verfassungsrecht zu missachten, wider besseres Wissen, muss man
sagen, denn die Frage nach der Verfassungswidrigkeit der
Missachtung der Schuldenbremse stellt sich ja nicht erst im
Anschluss an das Urteil der Richter des
Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023, obwohl jetzt
der Eindruck erweckt werden soll, dass dem so ist und niemand
hat damit rechnen können, dass solch ein Urteil zu erwarten war.
Wie dem
auch immer sei: Es entspricht wohl der Denkstruktur von
Politikern, sich zuerst einmal überrascht zu zeigen.
Dass die
Schweizer Wählerinnen und Wähler über mehr gesunden
Menschenverstand verfügten, darauf sei an dieser Stelle nur
hingewiesen. Dass so viel gesunder Menschenverstand im
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht verankert ist,
das seinen Ursprung im
Parlamentarischen Rat, als es 1948/49 darum
ging, die aufzubauende Republik vor der Dummheit des Volkes zu
schützen. Daran sei an dieser Stelle nur kurz erinnert, denn bereits damals
hielt es der Parlamentarische Rat für unverantwortlich, in Anlehnung an die Schweizer
Demokratie, ein Volksbegehren mit in das Grundgesetz
aufzunehmen, denn die Unfähigkeit des „Kettenhundes“, so die
Bezeichnung des Volksbegehrens durch den ersten
Bundespräsidenten Theodor Heuss, musste verhindert werden.
Ganz
anders die Sichtweise in der Schweiz.
In einem
Artikel in der
Neuen
Züricher Zeitung vom 23.11.2023 zieht der Ökonom Christoph
Schaltegger im Hinblick auf die Schweizer
Schuldenbremse eine positive Bilanz, denn im Gegensatz zur
bundesdeutschen Verfassungswirklichkeit mache die Schweizer
Schuldenbremse der Politik nicht nur striktere Vorgaben, was die Höhe
der Neuverschuldung angehe, sie motiviere die Regierung auch zur
Sparsamkeit.
Und im
Hinblick auf die Situation in Deutschland heißt es in dem
Artikel: Obwohl die deutsche Schuldenbremse nicht ganz so strikt
ausgelegt sei wie ihr Schweizer Vorbild, habe auch der deutsche
Bundeshaushalt von den Fiskalregeln profitiert, denn gemessen an
seinen europäischen Nachbarn, ist die Verschuldungsquote des
deutschen Staates vergleichsweise gering. Der Staat könne
deshalb gut auf Notsituationen reagieren.
Abzuwarten bleibt dennoch, wie lange es dauern wird, bis sich
die Politik wieder an den Kernsatz der „Modern Monetary Theoriy
(MMT)“ zu erinnern, der da lautet:
Ein
Staat muss im Hinblick auf seine eigene Währung keine Insolvenz
fürchten.
10 Zukunft der Schuldenbremse
TOP
Bevor
diesbezüglich nach einer Antwort gesucht wird, dürfte es
sinnvoll sein, zuerst einmal deren Anfänge zu beschreiben,
die nunmehr gut 25 Jahre zurückliegen.
Am
Anfang stand die globale Finanz- und Wirtschaftskrise von 2009,
die in den Jahren danach sozusagen nahtlos in die
Euro-Schuldenkrise überging. Damals senkte die Europäische
Zentralbank einerseits die Zinsen auf sehr niedrige Werte und in
letzter Instanz auf null Prozent. Gleichzeitig wurde jedoch auch
mit der „unkonventionellen Geldpolitik“ begonnen. Darunter
verstand man den Kauf von Staatsanleihen der
Euro-Mitgliedsländer durch das Eurosystem.
Anders ausgedrückt:
Durch die jeweiligen nationalen Notenbanken wurde Geld
in den Umlauf gegeben, das sozusagen direkt aus der Druckerpresse
kam. Mit anderen Worten: Die Notenbanken
vergrößerten bewusst und gewollt die Geldmenge im gesamten Euroraum – von einst
800
Milliarden Euro auf den Höchststand von zeitweise beinahe
9
Billionen Euro.
Daran
hat sich Gravierendes geändert.
Ende Juli
des Jahres 2023 belief sich die Geldmenge in der Eurozone auf
eine Summe von rund 15,96 Billionen Euro. Dies entspricht einem
minimalen Rückgang um rund 0,8 Prozent im Vergleich zum Ende des
Vorjahres, siehe
Statista.com.
Im
Vergleich zur Geldmenge, die im Jahr 2009 in der EU im Umlauf
war, hat sich die Geldmenge 2023 in der EU jedoch fast
verdoppelt.
Diesen
„Höhenflug hat Deutschland bereits erreicht“, denn die Geldmenge
in Deutschland entwickelte sich im gleichen Zeitraum wie folgt:
Betrug die Geldmenge in Deutschland 2009 noch 1,9 Billionen
Euro, verdoppelte sie sich – Stand 2022 – auf 3,8 Billionen
Euro.
Was das
für die Entwicklung der Inflationsrate bedeutet, das vermag man
nur zu erahnen, zumal durch die neuerdings wieder steigenden
Zinsen zwangsläufig auch die Ausgaben für Geld ansteigen werden,
das in den Umlauf gebracht wurde. Auch wenn zurzeit die
Inflationsrate wieder rückläufig ist, ist das noch längst keine
Garantie dafür, dass dies auch so bleibt.
Wie dem auch immer sei:
Sogar der ifo-Chef Clemens Fuest plädiert für weitere
Sondervermögen. In einem Artikel, der am 24. November 2023 auf
der Website der Finanzmarktwelt veröffentlicht wurde, heißt es:
Finanzmarktwelt.de:
Die Bundesregierung kann laut
ifo-Chef
Clemens
Fuest
ihre Investitions- und Klimaziele nicht ohne die Aufnahme neuer
Schulden erreichen, und sollte zu diesem Zweck ein weiteres
Sondervermögen im Grundgesetz verankern. “Wir brauchen eine
Defizitfinanzierung, um den Investitionsbedarf und die
Infrastruktur der Energiewende zu finanzieren. Die Frage ist,
wie das erreicht werden kann. Eine Möglichkeit ist die
Verschuldung öffentlicher Unternehmen“, so Clemens
Fuest.
Der bessere Ansatz bestehe aber darin, “einen neuen Fonds
(Sondervermögen) einzurichten und ihn im Grundgesetz zu
verankern.” Dazu müsste sich die Ampelkoalition von
Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag die Unterstützung der
CDU/CSU-Opposition sichern, wie bereits bei der Einrichtung für
das „Sondervermögen Bundeswehr“ nach dem Einmarsch Russlands in
der Ukraine. Clemens Fuest zufolge sei dies kurzfristig nicht
möglich, “aber vielleicht nach Verhandlungen”.
Link zu dem Artikel
11 Sondervermögen sind Schulden
TOP
Ein
Sondervermögen (volkswirtschaftlich Extrahaushalt) ist im
deutschen Haushaltsrecht ein wirtschaftlich verselbständigter
Nebenhaushalt (Schattenhaushalt), der ausschließlich zur
Erfüllung einzelner begrenzter Aufgaben des Bundes in einer
besonderen Situation bestimmt ist und deshalb von dem sonstigen
Bundesvermögen getrennt verwaltet werden muss.
Im Unterschied
zum Bundeshaushalt, der sämtliche Einnahmen und Ausgaben des
Bundes darstellt (allgemeine Haushaltsfinanzierung aller
Ressorts), sind die Ausgaben des Sondervermögens streng
zweckgebunden. Zur Deckung der Ausgaben eines Sondervermögens
kann der Bund ermächtigt werden, Kredite aufzunehmen
(Wikipedia).
Auf der Website des Bundesrechnungshofes
heißt es:
Bundesrechnungshof Stand 25.11.2023:
Auf Bundesebene gibt es zurzeit 29 Sondervermögen. Die ältesten
stammen noch aus den 1950er Jahren, die jüngsten wurden im
vergangenen Jahr eingerichtet. Hierzu
zählen
beispielsweise das Sondervermögen
von 100 Mrd. Euro für die Bundeswehr und der
Wirtschaftsstabilisierungsfonds in der Energiekrise von 200 Mrd.
Euro.
Sondervermögen haben in der Haushaltswirtschaft des Bundes eine
erhebliche Bedeutung. Ihr finanzieller Umfang beträgt insgesamt
rund 869 Mrd. Euro – alleine für die aktuell bestehenden
größeren Sondervermögen.
Das
Verschuldungspotenzial der Sondervermögen lag Ende 2022 bei
insgesamt rund 522 Mrd. Euro. Das ist das rund Fünffache der im
Finanzplanungszeitraum 2023 bis 2027 ausgewiesenen
Kreditaufnahme.
Sondervermögen sind also größtenteils entweder ausgelagerte
Schuldentöpfe oder sie hängen finanziell am „Tropf“ des
kreditfinanzierten Bundeshaushaltes. In der Gesamtschau ist es
deshalb zutreffender, von „Sonderschulden“ als von
Sondervermögen zu sprechen. Die tatsächliche Nettokreditaufnahme
ist unter Einbeziehung der Sondervermögen demnach auch deutlich
höher als die im Bundeshaushalt ausgewiesene
Nettokreditaufnahme.
Unter
Einbeziehung der Sondervermögen würde die Nettokreditaufnahme im
Jahr 2023 von 45,6 Milliarden Euro auf insgesamt 192,8
Milliarden Euro ansteigen.
Link zur Quelle
Die
Frage, die sich zumindest mir abschließend stellt, lautet:
Wer soll
das alles bezahlen?
Diese
Frage ist nicht neu, denn die hat bereits 1949 Jupp Schmitz in
seinem Karnevalslied „Wer soll das bezahlen?“, gestellt,
sozusagen als eine Anspielung auf die durch die Währungsreform
vom Juni 1948 ausgelösten Preissteigerungen.
In
seinem Lied heißt es:
Wer soll
das bezahlen? Wer hat
das bestellt? Wer hat
so viel Pinkepinke? Wer hat
so viel Geld?
Diese
Frage stellt sich heute erneut, obwohl die Gründe für die Frage
heute andere als 1949 sind. Denn heute hat auf diese Frage eine
Gesellschaft eine Antwort zu finden, für die nichts mehr normal
ist, und in der ein Zurück zur Normalität eine Behandlung
voraussetzen würde, die heute noch nicht einmal ansatzweise
diskutiert wird.
Stephan
Lessenichs
lesenswertes Buch „Nicht mehr normal“, kann insoweit durchaus
als eine zutreffende Gesellschaftsanalyse angesehen werden, weil
sich die bundesdeutsche Gesellschaft bereits am Rande des
Nervenzusammenbruchs befindet.
Warum?
Ein
Zurück zur vermeintlichen Normalität ist nicht nur äußerst
unwahrscheinlich, sondern geradezu irrsinnig, und zu dem auch
gefährlich.
Übrigens:
Für die
45 Milliarden 2023 getätigten Ausgaben wurde bereits
eine Lösung gefunden, indem die Schuldenbremse auf 2023
ausgeweitet wurde, denn niemand kann einen solchen Betrag in den
wenigen Wochen bis Ende des Jahres 2023 einsparen.
Was aus
der Schuldenbremse 2024 wird, das lässt sich heute jedoch nur erahnen. Dem
Gesetz der gewohnten Wiederholung folgend, wird man sie wohl so weit
aufweichen, dass am Ende dieser Entwicklung von ihr wohl kaum
noch etwas übrig bleiben wird.
12 Regierungserklärung des Bundeskanzlers
TOP
Zur
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtswidrigkeit
des Nachtragshaushalts 2022 sagte Bundeskanzler Olaf Scholz
(SPD) in seiner Regierungserklärung am 28.11.2023 im Deutschen
Bundestag unter anderem:
„Klar
ist: Dieses Urteil schafft eine neue Realität – für die
Bundesregierung und für alle gegenwärtigen und zukünftigen
Regierungen, im Bund und in den Ländern. Diese Realität mache es
schwieriger, wichtige und weithin geteilte Ziele für unser Land
zu erreichen. In Kombination mit unvorhergesehenen äußeren
Krisen, also der Pandemie, der Flut im rheinland-pfälzischen
Ahrtal, dem Angriff Russlands auf die Ukraine und der
darauffolgenden Energiekrise, stehe Deutschland vor
Herausforderungen, wie unsere Republik sie in dieser
Konzentration und Härte wohl noch nicht erlebt hat.“
Konkrete
Aussagen zu den damit verbundenen Veränderungen und Einsparungen
vermied der Kanzler, was der Parteivorsitzende Friedrich Merz (CDU) zum Anlass nahm,
dem Bundeskanzler vorzuwerfen:
„Sie können
es nicht.“ „Zu
lange haben wir weggeschaut, uns die Lage schöngeredet und
gehofft, es wird für uns schon alles gutgehen.“
In einem
Artikel in der Onlineausgabe der
Neuen
Züricher Zeitung vom 29.11.2023 heißt es sinngemäß, dass unter
einer von Friedrich Merz geführten Regierung alles anders
aussehen würde. Der ernüchternde Rückblick von Friedrich Merz zeige, dass
Deutschland nicht wirklich strategiefähig sei. Das Land sei
nicht ausreichend in der Lage, „die Puzzlestücke, die vor uns
liegen, zusammenzusetzen“, das Lagebild zu erkennen und dann die
richtigen Ableitungen und Konsequenzen zu ziehen. Daher müsse
mit Nachdruck eine strategische Kultur in Deutschland ausgebaut
werden.
Kurzum:
Das Versprechen von Friedrich Merz, sollte es der CDU 2025
gelingen, den Kanzler zu stellen, würde darin bestehen, die CDU
wieder zur Partei der Bundeswehr zu machen, denn die
Rüstungsindustrie sei eine strategische Industrie.
Seine Botschaft lautete:
Bundeswehr, Rüstungsbeschaffung sowie die gesamte Verteidigung
habe für die Union wieder oberste Priorität.
Solche
Aussagen lassen für die Zukunft nichts Gutes erahnen, denn in
Zeiten, in denen die Rüstungsindustrie zum Wachstumsmotor
gemacht wird – soweit das nicht schon längst der Fall ist –
macht deutlich, dass die Fortsetzung einer gescheiterten Politik
wohl keine andere Wahl zulässt, als sich auf den nächsten Krieg
vorzubereiten.
Ob durch
solch markige Versprechen aber die Führungsschwäche verdeckt
werden kann, die heute durchaus parteiübergreifend Standard
geworden ist, das kam in dieser Debatte nicht zur Sprache.
Auch
kein Wort zu der Machtfrage in der so genannten postmodernen
Demokratie, in der jeder alles besser weiß als der andere.
Was zur
Macht im Staate zu sagen ist, das hat Niklas Luhmann in seinem
Buch „Macht im System“ in wenigen Sätzen auf den Punkt gebracht.
Niklas Luhmann:
Alle
komplexen Systeme müssen mithin so organisiert sein, dass Macht
auf Macht angewendet werden kann. Die Systemmacht -
und nicht etwa die jeweils an der Spitze
verfügbare Macht
- mus reflexiv werden. An der Macht des Systems sind alle
Mitglieder durch ihre Mitgliedschaft in originärer Form dadurch
beteiligt, dass sie im System eine Rolle spielen, die
Kommunikationsweisen des Systems benutzen, die permanente
Abhängigkeitsverhältnisse ausnutzen und die gemeinsame
Orientierung an vergangenen oder künftig möglichen bindenden
Entscheidungen aktivieren können. Nur weil dies so ist, kann die
einem Mitglied zufallende Macht auf die anderen angewandt und
dadurch in ihrer Selektivität verstärkt werden.
Niklas
Luhmann, Macht im System, Suhrkamp 2012,Seite 94/95
Reflexive Politik im Sinne von Luhmann bedeutet, dass Ursachen,
die in der Vergangenheit gesetzt und gepflegt wurden und auch
weiterhin gepflegt werden, nicht allein dadurch verschwinden, indem man
sie hinterfragt. Das aber allein reicht schon aus, die
eigentliche Macht im Staat sozusagen reflexartig aktiv werden zu
lassen, denn wer etwas hinterfragt und etwas verändern will, der
kann sicher sein, durch lauten Protest daran gehindert zu
werden. Reflexiv bedeutet natürlich auch: Meinungen und
Standpunkte drehen, wenden, umkehren, beugen, wiedergeben oder
widerspiegeln können, verbunden mit der Fähigkeit etwas zu
bedenken, über etwas nachzusinnen, zu prüfen, zu vergleichen und
vor allen Dingen, Rücksicht zu nehmen, damit die eigentliche
Macht im Staate, gemeint sind die Wirtschaft, das Geld, die Wählerinnen und
Wähler, nicht böse werden. Wer also meint, dass ein
Bundeskanzler oder ein Parteivorsitzender tatsächlich über die
Macht verfügt, wie das Thomas Hobbes (1588 bis 1679) in seinem
Leviathan beschrieben hat, der irrt. Dort heißt es in Bezug auf
Macht:
Thomas Hobbes:
Die größte menschliche Macht ist jene, die, aus der Macht der
meisten Menschen zusammengesetzt, durch Übereinstimmung in einer
natürlichen oder staatlichen Person vereint ist, der deren
gesamte von ihrem Willen abhängige Macht zur Verfügung steht,
wie die Macht eines Gemeinwesens; oder die vom Willen jedes
Einzelnen abhängige Macht, wie die Macht einer Partei oder
verschiedener verbündeter Parteien. Deshalb ist es Macht, Diener
zu haben, ist es Macht, Freunde zu haben: Denn sie sind vereinte
Kräfte.
Reichtum, mit Freigebigkeit verbunden, ist auch Macht, weil er
einem Freunde oder Diener verschafft. Ohne Freigebigkeit ist das
nicht so, denn in diesem Fall beschützt er die Menschen nicht,
sondern macht sie zur Zielscheibe des Neides.
Der Ruf
nach Macht ist Macht, denn er bringt Ergebenheit jener mit sich,
die des Schutzes bedürfen. [...]. Erfolg ist (auch) Macht, weil
er den Ruf von Weisheit oder Glück begründet, was die Menschen
veranlasst, den Betreffenden entweder zu fürchten oder sich auf
ihn zu verlassen.
Thomas
Hobbes, Leviathan, Meiner-Verlag, 1996, Seite 69/72
Gut 300
Jahre später beschreibt Max Weber (1864 bis 1920) die Macht als
ein „Vermögen“, jede Chance innerhalb einer sozialen Beziehung
zu nutzen, den eigenen Willen auch gegen Widerstreben anderer
durchzusetzen.
Oder, In
Anlehnung an Karl Mannheim (1893 bis 1947), einem
österreichisch-ungarischen Jude mit deutscher und britischer
Staatsbürgerschaft das vorschlägt, bei der Machtfrage immer
davon
auszugehen, dass auf den Einzelnen sozialer Druck ausgeübt wird,
um das gewünschte Verhalten herbeizuführen.
Dass solch ein Druck
im System auch auf die Mächtigen (Regierung) selbst ausgeübt
werden kann, das kennzeichnet die Wirklichkeit von heute. Macht
ist somit als eine Fähigkeit zu verstehen, auf das Verhalten von
Menschen nicht nur Einfluss nehmen zu können, sondern, darüber
hinausgehend, beim Nichtbefolgen das gewünschte Verhalten dieses
auch erzwingen zu können.
Anders ausgedrückt: Wenn die Regierung
etwas anderes will als wir wollen, dann streiken wir, dann
entlassen Unternehmer
Arbeitsplätze, verlagern ihre Produktionsstätten ins Ausland
oder entziehen den Parteien einfach ihre materiellen
Zuwendungen (Spenden).
Diese
Möglichkeiten führen zu einem Machtbegriff, der sich wie folgt
in einen Satz zusammenfassen lässt: Von einer Person kann man sagen,
dass sie in dem Maße Macht hat, indem sie das Verhalten anderer
im Einklang mit ihren eigenen Absichten bringen kann.
Und wenn am Tag nach der
Regierungserklärung des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) der
Partgeivorsitzende der CDU Friedrich Merz den Bundeskanzler als
einen "Klempner der Macht" bezeichnet, und der Kanzler damit
kontert, stolz auf dieses Lob zu sein, dann kann man sich nur
noch die Haare raufen.
Ich
denke, das reicht.
Wie
harmlos und unverbindlich sich Macht heute darstellt, das kann der Debatte im zu den Folgen des Urteils der Richter des
Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 entnommen werden, die
im Deutschen Bundestag am 28.11.2023
stattfand und in der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine
Regierungserklärung abgab.
Diese
Debatte kann über den folgenden Link
aufgerufen werden.
Regierungserklärung des Bundeskanzlers
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
04.00 -
25.14
Parteivorsitzender Friedrich Merz (CDU)
25.15 -
43.27
Diese 40
Minuten reichen aus, um eine Rhetorik verinnerlichen zu können,
die heute für Politik gehalten wird. Wer noch mehr wissen
möchte: Auch die anderen Parteien im Deutschen Bundestag kommen in
der gut zweieinhalb Stunden dauernden Debatte zu Wort.
13 Und dann auch das
noch
TOP
Am 30.11.2023 heißt es in einer
Pressemitteilung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg,
im Hinblick auf die gesetzlich vorgegebene Verpflichtung,
die Klimaziele im Sinne des Klimaschutzgesetzes (KSG)
einzuhalten, dass nach § 8 KSG zunächst das zuständige
Bundesministerium der Bundesregierung ein Sofortprogramm
vorzulegen habe, das die Einhaltung der Jahresemissionsmengen
des jeweiligen Sektors für die folgenden Jahre sicherstellt. Die
Bundesregierung hat dann über die zu ergreifenden Maßnahmen im
betroffenen Sektor oder in anderen Sektoren oder über
sektorübergreifende Maßnahmen zu beraten und diese
„schnellstmöglich“ zu beschließen.
§ 8 Klimaschutzgesetz (KSG) Sofortprogramm bei
Überschreitung der Jahresemissionsmengen
Diesbezüglich kommen die
Verwaltungsrichter zu dem Ergebnis, dass das nunmehr
beschlossene Klimaschutzprogramm nicht den Anforderungen des § 8
Klimaschutzgesetz erfüllt.
Das Gericht hat eine Revision zum
Bundesverwaltungsgericht zugelassen, wodurch die
Eilbedürftigkeit zumindest erst einmal vertagt ist.
OVG
Berlin Brandenburg, Pressemitteilung vom 30.11.2023
Bei der
Revision gegen dieses Urteil des OVG Berlin-Brandenburg, die
Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) noch am gleichen Tag
angekündigt hat, dürfte es sich aber wohl eher um eine
"Luftnummer" handeln, denn das Problem der "Sofortmaßnahmen"
wird wohl dadurch gelöst werden, so heißt es in der Tagesschau
vom 30.11.2023, dass im neuen KIimaschutzgesetz, das in Kürze zu
erwarten sein wird, § 8 KSG wohl gestrichen und durch eine
moderatere Textfassung ersetzt werden wird.
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