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Gefahrenverdacht – OVG Hamburg 2022

In einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2003 heißt es noch in Bezug auf die Sprachfigur des „Gefahrenverdachts“, dass „eine derart weit reichende Bewertungs- und Entscheidungskompetenz den Polizei- und Ordnungsbehörden aufgrund der Verordnungsermächtigungen nach Art des § 25 Abs. 1 OBG nicht zu steht.".

Gefahrenverdacht  - BVerwG

Dennoch hat die der unbestimmte Rechtsbegriff des "Gefahrenverdachts" sich im Sprachgebrauch des Gefahrenabwehrrechts sozusagen etabliert.

OVG Hamburg 2022: Die Anerkennung des Gefahrenverdachts als Unterfall der konkreten, klassischen polizeirechtlichen Gefahr ist mit Verfassungsrecht vereinbar. Die Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr umfasst auch den Gefahrenverdacht, da der Gesetzgeber von Verfassungswegen nicht von vornherein für jede Art der Aufgabenwahrnehmung auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt ist, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen. Vielmehr kann er die Grenzen unter besonderen Voraussetzungen auch weiter ziehen, indem er die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs reduziert. Allerdings muss stets gewährleistet bleiben, dass Annahmen und Schlussfolgerungen einen konkret umrissenen Ausgangspunkt im Tatsächlichen haben. Je gewichtiger das gefährdete Rechtsgut ist und je weiterreichender es durch die jeweiligen Handlungen beeinträchtigt würde, desto geringere Anforderungen dürfen an den Grad der Wahrscheinlichkeit gestellt werden, mit der auf eine drohende Verletzung geschlossen werden kann, und desto weniger fundiert dürfen gegebenenfalls die Tatsachen sein, die auf die Gefährdung des Rechtsguts schließen lassen. Umgekehrt steigen bei einem geringen Gewicht des gefährdeten Rechtsguts die Anforderungen an die Prognosesicherheit sowohl hinsichtlich des Grads der Gefährdung als auch hinsichtlich ihrer Intensität. Eingriffsgrundlagen müssen daher regelmäßig zumindest eine hinreichend konkretisierte Gefahr verlangen. Eine solche kann schon dann bestehen, wenn sich der zum Schaden führende Kausalverlauf noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen lässt, sofern bereits bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr hinweisen. Die Tatsachen müssen dafür zum einen den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen zulassen, zum anderen darauf, dass bestimmte Personen beteiligt sein werden, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Überwachungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt und weitgehend auf sie beschränkt werden kann.

Hamburgisches OVG, Urteil vom 31.01.2022 - 4 Bf 10/21

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