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Schwere Körperverletzung

§ 226 StGB (Schwere Körperverletzung)

Verlust/Gebrauchseinschränkung wichtiges Körperglied

Hinsichtlich des Verlustes sowie der Gebrauchseinschränkung wichtiger Körperglieder heißt es in einem Beschluss des BGH aus dem Jahr 2007 wie folgt:

BGH 2007: Bei Beurteilung der Frage, ob ein Körperglied im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB wichtig ist, sind auch individuelle Körpereigenschaften und dauerhafte körperliche (Vor-)Schädigungen des Verletzten zu berücksichtigen.

Dauerhafte körperliche Besonderheiten eines Tatopfers bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Wichtigkeit eines Körperglieds weiter gänzlich außer Acht zu lassen [wie das bis 2007 üblich war], widerspräche dem heutigen Verständnis eines gleichberechtigten Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher körperlicher Beschaffenheit.

Die dauernde Gebrauchsunfähigkeit setzt keinen völligen, in jeder Hinsicht gegebenen Funktionsverlust des betroffenen Körpergliedes voraus. Für die Beurteilung, ob ein wichtiges Körperglied dauernd nicht mehr gebraucht werden kann, ist im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung zu ermitteln, ob als Folge der vorsätzlichen Körperverletzung so viele Funktionen ausgefallen sind, dass das Körperglied weitgehend unbrauchbar geworden ist und von daher die wesentlichen faktischen Wirkungen denjenigen eines physischen Verlusts entsprechen.

Die Rechtsfrage, ob ein Körperglied im Sinne dieser Vorschrift „wichtig“ ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. [...]. Der Senat hält mit der Literatur die Auslegung, die das Tatbestandsmerkmal der „Wichtigkeit“ eines Körperglieds durch das Reichsgericht erfahren hat, für zu eng und nicht mehr zeitgemäß. Er ist der Auffassung, dass bei Beurteilung der Frage, ob ein Körperglied im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB wichtig ist, auch individuelle Körpereigenschaften und dauerhafte körperliche (Vor-)Schädigungen des Verletzten zu berücksichtigen sind. Einer solchen Auslegung des Tatbestandsmerkmals stehen weder der Wortlaut des Gesetzes noch tragende Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs entgegen. Soweit eigene Rechtsprechung des Senats (...) entgegensteht, wird diese aufgegeben.

§ 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist ein konkretes Verletzungsdelikt, dessen Erfolg auch von der jeweiligen körperlichen Beschaffenheit des Tatopfers abhängt. So hat ein Finger der linken Hand naturgemäß für einen Linkshänder eine größere Bedeutung als für einen Rechtshänder. Für einen Menschen ohne Hände, etwa infolge einer körperlichen Behinderung, der gelernt hat, seine Zehen als Fingerersatz einzusetzen, sind diese Zehen für das Hantieren ebenso wichtig wie die Finger für einen nicht behinderten Menschen (...). Solche dauerhaften körperlichen Besonderheiten eines Tatopfers bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Wichtigkeit eines Körperglieds entsprechend der vom Reichsgericht entwickelten Rechtsprechung gänzlich außer Acht zu lassen, widerspräche dem heutigen Verständnis eines gleichberechtigten Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher körperlicher Beschaffenheit.

BGH, Urteil vom 15. März 2007 - 4 StR 522/06

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