§ 192 StGB (Beleidigung
trotz Wahrheitsbeweises)
Grundsätzlich erfüllt die Behauptung wahrer ehrenrühriger Tatsachen
nicht den Tatbestand eines Beleidigungsdeliktes. Im Falle einer
Formalbeleidigung ist das jedoch anders. Was damit gemeint ist, lässt
sich am besten an einem Beispiel aufzeigen:
Ladendieb angeprangert:
Alpha kommt zur Polizeiwache und erklärt: „Ich bin Mitglied im
Tennisclub „Elite“. Vorgestern wurde ich im Kaufhaus beim Diebstahl
eines Tennisschlägers erwischt. Ich brauchte einen neuen Schläger und
hatte kein Geld, mir einen zu kaufen. Natürlich war das nicht in Ordnung
und ich bereue die Tat. Als ich eben in den Club kam, ist mir allerdings
eine Behandlung widerfahren, die ich auch nicht richtig finde. Ich stand
noch in der Tür, da erhob sich Beta demonstrativ vom Stuhl, zeigte mit
dem Finger auf mich und erklärte wörtlich: „Schaut alle her! Da kommt
der Klaumann Alpha! Mit einem solchen wollen wir doch wohl nichts zu tun
haben!“ Das lasse ich mir nicht gefallen und erstatte hiermit Anzeige.“
Beta hat gegenüber Dritten wahre Tatsachen über Alpha geäußert. Das
ist auf der Grundlage von § 186 StGB nicht strafbar, wenn die
behaupteten Tatsachen beweisbar sind. Letzteres ist der Fall. Beta kann
jedoch gemäß § 192 StGB (Beleidigung trotz Wahrheitsbeweises) bestraft
werden, weil aus der Form der Behauptung und Verbreitung eine
Beleidigung hervorgeht. Unter solchen Voraussetzungen ist eine
Beleidigung auch dann strafbar, wenn die behauptete oder verbreitete
ehrenrührige Tatsache der Wahrheit entspricht.
OLG München 2019:
Personenbezogene Schimpfwörter, die ohne erkennbaren Bezug zu einer
Sachdebatte geäußert werden und bei denen - insbesondere in der
Gesamtschau - der diffamierende Charakter eindeutig überwiegt, sind als
Formalbeleidigungen grundsätzlich nicht hinzunehmen und damit als
unzulässig anzusehen.
OLG München, Hinweisbeschluss v. 22.08.2019 –
18 U 1310/19 Pre
In den Leitsätzen
eines Beschlusses der Richter des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr
2020 heißt es:
BVerfG 2020:
Eine Verurteilung wegen Beleidigung kann ausnahmsweise auch
ohne Abwägung gerechtfertigt sein, wenn sich die Äußerung als Angriff
auf die Menschenwürde, als Formalbeleidigung oder als Schmähung
darstellt. An diese Fallkonstellationen sind jedoch jeweils strenge
Kriterien anzulegen. Die Strafgerichte haben eine entsprechende
Einordnung klar kenntlich zu machen und sie in einer auf die konkreten
Umstände des Einzelfalles bezogenen, gehaltvollen und
verfassungsrechtlich tragfähigen Weise zu begründen. In Grenzfällen kann
sich eine hilfsweise Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und
Persönlichkeitsschutz anbieten.
Den Charakter einer
Schmähung nimmt eine Äußerung erst dann an, wenn sie keinen irgendwie
nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat
und es bei ihr letztlich nur um das grundlose Verächtlichmachen der
betroffenen Person als solcher geht. Es sind dies Fälle, in denen eine
vorherige Auseinandersetzung erkennbar nur äußerlich zum Anlass genommen
wird, um über andere Personen herzuziehen oder sie niederzumachen, etwa
in Fällen der Privatfehde oder der grundlosen Verunglimpfung und
Verächtlichmachung im Schutze der Anonymität des Internets. Davon
abzugrenzen sind Fälle, in denen die Äußerung, auch wenn sie gravierend
ehrverletzend und damit unsachlich ist, als (überschießendes) Mittel zum
Zweck der Kritik eines Sachverhaltes dient.
Um eine
Formalbeleidigung im verfassungsrechtlichen Sinne, die terminologisch
nicht mit der Formalbeleidigung im Sinne des § 192 StGB gleichzusetzen
ist, handelt es sich bei mit Vorbedacht und nicht nur in der Hitze einer
Auseinandersetzung verwendeten, nach allgemeiner Auffassung besonders
krassen, aus sich heraus herabwürdigenden Schimpfwörtern etwa aus der
Fäkalsprache. Kriterium ist nicht der fehlende Sachbezug der
Herabsetzung, sondern die kontextunabhängig gesellschaftlich absolut
missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit und damit die spezifische
Form der Äußerung.
Die Meinungsfreiheit
muss auch dann stets zurücktreten, wenn eine Äußerung die Menschenwürde
eines anderen verletzt; denn diese ist als Wurzel aller Grundrechte mit
keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig.
BVerfG, Beschluss
vom 19. Mai 2020 - 1 BvR 362/18
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