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Einführungstext zum PolG

01 Einführung
02 Gutachterliche Fallprüfung
03 Beispiel: Störung der Nachtruhe
04 Betreten des Hochhauses
05 Schellen an der Wohnungstür
06 Mündliche Verfügung
07 Beispielfortschreibung
08 Gefährdungsansprache
09 Betreten der Wohnung
10 Sicherstellung der Musikanlage
11 Gewahrsamnahme von Alpha
12 Zwangsweise Durchsetzung
13 Fesselung von Personen
14 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
15 Ermächtigungsbegrenzende Bestimmungen
16 Schlussbetrachtung
17 Verfolgung von Ordnungswidrigkeit

01 Einführung

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Zum Polizeirecht gehören alle gesetzlichen Regelungen, die es der Polizei erlauben, in die Grundrechte von Personen eingreifen zu können. Im Wesentlichen sind das die Befugnisse, die sich aus dem Polizeigesetz des Bundes und aus den Länderpolizeigesetzen und/oder aus der Strafprozessordnung ergeben.

In vielen Fällen machen es polizeiliche Einsatzlagen erforderlich, sowohl polizeiliche Befugnisse aus dem Polizeigesetz (PolG) als auch aus der Strafprozessordnung (StPO) zur Anwendung kommen zu lassen. Das führt dazu, Polizeirecht als das „Eingriffsrecht der Polizei“ zu verstehen.

Dem ist zuzustimmen. Es ist insoweit sinnvoll, Polizeirecht zuerst einmal nur als Gefahrenabwehrrecht kennenzulernen. Die zur Abwehr von Gefahren der Polizei zur Verfügung stehenden Befugnisse/Ermächtigungen sind überwiegend in den Polizeigesetzen enthalten, was aber nicht ausschließt, dass auch in anderen Gesetzen polizeiliche Befugnisse zur Abwehr von Gefahren enthalten sind, zum Beispiel in den Versammlungsgesetzen.

02 Gutachterliche Fallprüfung

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Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sind, von Ausnahmen einmal abgesehen, keine Juristen und auch keine Sachverständigen, die Gutachten erstellen. Die Sprachfigur „Gutachterliche Fallprüfung“ wird trotzdem an den Fachhochschulen verwendet, denn erklärtes Ziel der Fachhochschulen ist es, „gutachterliches Arbeiten“ zu lehren und einzufordern. Mir ist wichtiger, polizeiliche Lebenssachverhalte nicht aus der Sicht eines Gutachters, sondern aus der Sicht von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten einer rechtlichen Bewertung zu unterziehen. Um dieses Ziel erreichen zu können, ist es hilfreich, eine solche rechtliche Betrachtung polizeilichen Einschreitens in Anlehnung an Prüfschritte aufzuzeigen, die Sie jetzt kennenlernen werden. Solch eine rechtliche Betrachtung als ein „Gutachten“ zu bezeichnen, dürfte diese Sprachfigur wohl überfordern, weil ich unter einem Gutachten etwas anderes verstehe.

Grobstruktur: Um in die Grundrechte von Personen eingreifen zu können, müssen einschreitende Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte zuständig und ermächtigt sein und darüber hinausgehend die so genannten ermächtigungsbegrenzenden Bestimmungen beachten.

Diese Grobstruktur ist der Rahmen, in dem polizeiliches Handeln rechtlich zu bewerten ist. Was das bedeutet, das lässt sich am besten in Anlehnung an ein Beispiel aufzeigen.

Beispiel: Lars und Mia versehen zurzeit Nachtdienst im Zuständigkeitsbereich der Kreispolizeibehörde Münster. Während ihrer Streifenfahrt, die als „schlicht Hoheitliches Handeln“ anzusehen ist, erhalten die beiden Beamten um 00.45 h über Funk den Auftrag, sich um eine Störung der Nachtruhe zu kümmern. Auf dem Weg zum Einsatzort tauschen sich Lars und Mia darüber aus, wie sie mit dieser Störung umzugehen gedenken. Lars und Mia gehen davon aus, dass diese Sache kommunikativ gelöst werden kann. Als sie vor einem Hochhaus mit etwa 15 Stockwerken ihren Streifenwagen verlassen und das Haus betreten, hören sie schon im Erdgeschoss laute Musik, über die sich die Nachbarn beschwert haben. Gerade stehen Lars und Mia im 5. Stock vor der Wohnung von Alpha. Lars drückt auf den Klingelknopf des Wohnungsinhabers. Was dann geschehen könnte, darüber haben sich Lars und Mia auf dem Weg zum Einsatzort kurz ausgetauscht. Was die Beamten auf dem Weg zum Einsatzort abgesprochen haben, darauf gibt dieser Sachverhalt bis jetzt noch keine Antwort, denn die von Lars und Mia untereinander ausgetauschte Strategie ihres Vorgehens wird davon abhängig sein, was geschieht, wenn der Wohnungsinhaber die Wohnungstür öffnet.

Natürlich wissen Lars und Mia, dass durch laute Musik in einem Hochhaus die Nachtruhe der Bewohner erheblich gestört werden kann. Obwohl es sich bei der Störung der Nachtruhe um eine Ordnungswidrigkeit handelt, kommt es den Beamten zuerst einmal darauf an, diese andauernde Störung der Rechtsordnung zu beenden. Das ist Gefahrenabwehr, weil dadurch eine Gefahr beseitigt wird, die die Rechtsordnung bedroht.

Ob die Beamten auch die festgestellte Störung im Sinne von § 9 LImschG NRW (Schutz der Nachtruhe), bei der es sich um eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 17 Abs. 1 e) LImschG (Ordnungswidrigkeiten) handelt, verfolgen werden, wird davon abhängig sein, wie der „Störer“ sich verhält, der diesen Lärm verursacht hat. Dazu später mehr.

03 Falllösung in Anlehnung an die Grobstruktur

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Um in die Grundrechte von Personen eingreifen zu können, müssen Lars und Mia zuständig und ermächtigt sein. Zuständigsein bedeutet, Aufgaben wahrzunehmen, die der Polizei übertragen worden sind. Unbestreitbar ist, dass die Polizei die Aufgabe hat, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr), siehe § 1 Abs. 1 S. 1 PolG NRW (Aufgaben der Polizei).

§ 1 Abs. 1 S. 1 PolG NRW (Aufgaben der Polizei)
(1) Die Polizei hat die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr).

So auch die Regelung im § 11 Abs. 1 Nr. 1 des Polizeiorganisationsgesetzes (POG NRW)

§ 11 Abs. 1 S. 1 POG NRW (Sachliche Zuständigkeit der Kreispolizeibehörden)
(1) Die Kreispolizeibehörden sind zuständig 1. für die Gefahrenabwehr insbesondere nach dem Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen.

Bei einer andauernden Störung der Nachtruhe handelt es sich um eine gegenwärtige Gefahr, die so lange die Rechtsordnung bedroht, wie diese Störung andauert. Da Lars und Mia in der Kreispolizeibehörde polizeiliche Maßnahmen treffen, in der sie ihren täglichen Polizeidienst versehen, nehmen Lars und Mia an der Zuständigkeit ihrer Polizeibehörde teil.

Anders ausgedrückt: Lars und Mia sind zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr, die die Rechtsordnung  im Zuständigkeitsbereich des PP Münster bedroht, sowohl örtlich als auch sachlich zuständig.

Diese Ausführungen sollten zuerst einmal ausreichen, um nachvollziehen zu können, dass Lars und Mia einschreiten, um polizeiliche Aufgaben wahrzunehmen. Wie die Beamten einschreiten wollen, das kann dem Beispiel noch nicht entnommen werden. Dort steht ja nur, dass sich Lars und Mia darüber abgestimmt haben, dass diese Ruhestörung möglichst kommunikativ beseitigt werden soll. Bevor es so weit ist, schlage ich vor, das Beispiel zuerst einmal fortzuschreiben.

Nachdem Lars und Mia am Einsatzort angekommen sind, geschieht Folgendes:

  • Lars und Mia betreten das Hochhaus

  • Lars schellt an der Wohnungstür

  • Lars fordert Alpha auf, die Musik leiser zu stellen.

Da Alpha die Musik nicht leiser drehen will, ergreift Mia das Wort, indem sie den Wohnungsinhaber über die zu erwartenden Folgen in Kenntnis setzt, wenn er der Aufforderung von Lars nicht nachkommt.

Mia wird den Wohnungsinhaber in einer klaren und bestimmten Sprache darauf hinweisen, dass: 

  • Die Wohnung erforderlichenfalls auch gegen den Willen von Alpha betreten wird, um die Musikanlage sicherzustellen

  • Alpha in Gewahrsam genommen wird, wenn anders die Störung nicht zu beseitigen ist.

  • Mia setzt Alpha auch davon in Kenntnis, dass diese Maßnahmen erzwungen werden können und dass, wenn Alpha sich aktiv wehren sollte, er dadurch zum Straftäter wird

  • Tatvorwurf: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.

 So könnte der Handlungsplan von Lars und Mia aussehen. Aus Erfahrung wissen die beiden Beamten, dass sich mit solch einer klaren "Ansage" meist auch uneinsichtige Ruhestörer überzeugen lassen.

Zurück zum Eintreffen von Lars und Mia am Einsatzort. Bevor die Beamten den Streifenwagen verlassen, setzen sie ihre Einsatzleitstelle davon in Kenntnis, dass sie am Einsatzort angekommen sind.

04 Betreten des Hochhauses

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Bei dem Hochhaus handelt es sich um ein Gebäude, in dem viele Mietparteien wohnen. Fraglich ist dennoch, ob auch das Treppenhaus, das ja von allen Mietparteien einschließlich deren Besucher benutzt werden kann, ebenfalls als eine Wohnung im engeren Sinne anzusehen ist. Wäre das der Fall, dann würde es sich allein schon bei dem Betreten des Treppenhauses um einen Eingriff in das Grundrecht „Unverletzlichkeit der Wohnung“ handeln.

Was eine Wohnung ist, das haben die Richter des Bundesverfassungsgerichts in einem Urteil aus dem Jahr 1983 wie folgt definiert:

BVerfG 1983: Wohnung im Sinne des Art 13 GG ist allein die räumliche Privatsphäre. Das Grundrecht normiert für die öffentliche Gewalt ein grundsätzliches Verbot des Eindringens in die Wohnung oder des Verweilens darin gegen den Willen des Wohnungsinhabers.

BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 – 1 BvR 209/83

Offenkundig ist, dass es sich bei einem Treppenhaus in einem Hochhaus nicht um ein Raumgebilde handelt, das als einen Ort „räumlicher Privatsphäre“ angesehen werden kann. Vielmehr handelt es sich um Räumlichkeiten, die von einer Vielzahl von Menschen sozusagen täglich als „Verkehrsflächen“ und nicht als Wohnungen benutzt werden. Das hat zur Folge, dass Lars und Mia das Treppenhaus ohne den Nachweis einer Ermächtigung betreten dürfen. Dafür reicht sachliche Zuständigkeit aus.

05 Schellen an der Wohnungstür

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Auch bei dem Schellen an der Wohnungstür handelt es sich noch nicht um einen Grundrechtseingriff, sondern um eine sozialübliche Handlung, um mit dem Wohnungsinhaber in Kontakt treten zu können. Darin einen Grundrechtseingriff zu sehen ist abwegig, denn wer so denkt, für den ist bereits das Drücken des Klingelknopfs eine polizeiliche Zwangsanwendung, denn ganz ohne Berührungsdruck klappt das ja auch nicht.

Kurzum: Für diesen Teil polizeilichen Einschreitens reicht der Nachweis sachlicher Zuständigkeit aus, weil auch durch diese Handlungen Grundrechte noch nicht tangiert werden. Bei dem, was bisher geschehen ist, handelt es sich um schlicht hoheitliches Handeln im Rahen bestehender sachlicher Zuständigkeit.

06 Mündliche Verfügung

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Als der Wohnungsinhaber Alpha die Tür öffnet, sagt Lars zu dem Mann:

Lars: „Herr Alpha, wir sind hier, um die von Ihrer Wohnung ausgehende Störung der Nachtruhe zu beenden, die Ihren Nachbarn die Nachtruhe raubt. Ich fordere Sie hiermit auf, die Musik sofort auf Zimmerlautstärke zu stellen.“

Offenkundig ist, dass durch diese Weisung von Lars das Grundrecht der „Allgemeinen Handlungsfreiheit" im Sinne von Art 2 Abs. 1 GG tangiert wird, denn Alpha wird dazu aufgefordert, sein Verhalten sofort zu ändern, indem er die Musik leiser stellt. Insoweit handelt es sich bei dieser Weisung von Lars um eine polizeiliche Maßnahme, die den Nachweis einer Ermächtigung einfordert. Natürlich muss Lars im Hinblick auf die von ihm erlassene Weisung sowohl örtlich als auch sachlich zuständig sein. Die ist aber, wie das bereits mehrfach festgestellt wurde, der Fall.

Die Frage, die sich nunmehr vorrangig stellt, lautet:

Welche Befugnis im Polizeigesetz lässt solch eine Weisung zu?

Da es im Polizeigesetz des Landes NRW keine spezielle Regelung für solch eine „mündliche Verfügung“ gibt, kann diese Weisung von Lars nur auf der Grundlage der polizeilichen Generalklausel erlassen werden. Diesbezüglich heißt es im § 8 Abs. 1 PolG NRW (Allgemeine Befugnisse; Begriffsbestimmung) wie folgt:

§ 8 Abs. 1 PolG NRW (Allgemeine Befugnisse; Begriffsbestimmung)
(1) Die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende, konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren, soweit nicht die §§ 9 bis 46 die Befugnisse der Polizei besonders regeln.

Das, was Lars gesagt hat, ist offenkundig eine notwendige Maßnahme zur Gefahrenabwehr im Sinne von § 8 Abs. 1 PolG NRW (Allgemeine Befugnisse; Begriffsbestimmung), bei der es sich um die Generalklausel des PolG NRW handelt.

Darüber hinausgehend enthält der Absatz 1 weitere so genannte „unbestimmte Rechtsbegriffe“ die der Erklärung bedürfen, zum Beispiel das Schlüsselwort des polizeilichen Gefahrenabwehrrechts: Gefahr.

Zu dem Zeitpunkt, als Lars dem Wohnungsinhaber Alpha anweist, die Musik sofort leiser zu stellen, ist diese „mündlich erlassene Verfügung“, so wird dieser Kommunikationsakt bezeichnet, geeignet, erforderlich und auch verhältnismäßig, denn mit geringeren Mitteln lässt sich die Störung nicht beseitigen.

Lars hat somit alles richtig gemacht.

Die von ihm erlassene Weisung, bei der es sich um einen mündlichen Verwaltungsakt handelt, entsprach somit vollumfänglich geltendem Eingriffsrecht.

Wäre Alpha dieser Weisung sofort nachgekommen, dann wäre damit der Einsatz beendet gewesen, denn die Störung der Nachtruhe hätte sich dann sozusagen „in Luft aufgelöst“.

07 Beispielfortschreibung

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Alpha sagt: „Ich kann und darf in meiner Wohnung Musik hören, wann und in welcher Lautstärke ich das will.“

Daraufhin ergreift Mia das Wort:

Mia: „Es ist wirklich besser für Sie, wenn sie die Musik jetzt sofort auf Zimmerlautstärke stellen, denn wenn Sie das nicht tun, dann werden wir Ihre Wohnung betreten und erforderlichenfalls die gesamte Musikanlage sicherstellen. Und wenn Sie das gewaltsam verhindern wollen, dann werden wir Sie in Gewahrsam nehmen und für den Rest dieser Nacht in einer Zelle im Polizeigewahrsam unter Verschluss nehmen. Und für den Fall, dass Sie sich zur Wehr setzen sollten, werden wir Zwang anwenden, um die von mir gerade angedrohten Maßnahmen durchzusetzen. Wir werden Ihnen sogar Handfesseln anlegen, wenn das notwendig sein sollte. Übrigens: Wenn Sie sich gegen unsere Maßnahmen aktiv zur Wehr setzen, begehen Sie eine Straftat. Nur zu Ihrer Kenntnis, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ist eine Straftat, die ein Richter mit Freiheitsstrafe ahnden kann. Wollen Sie das wirklich alles in Kauf nehmen? Ich denke, nein. Also ... drehen Sie die Musik leiser.“
Alpha: „Wenn das so ist, dann werde ich mich ja wohl fügen müssen. Warten Sie bitte einen Moment, ich komme wieder, wenn ich die Musik ausgestellt habe.“

Als Alpha zurückkommt, sagt Lars zu dem Mann:

Lars: „Ich denke, dass jetzt diese Angelegenheit hier erledigt ist. Nur zu Ihrer Kenntnis, wenn wir noch einmal hier einschreiten müssen, dann werden wir genau das tun, was meine Kollegin Mia ihnen gerade eröffnet hat. Haben wir uns verstanden?“
Alpha: „Mein Bedarf an Polizei ist für heute gedeckt!“

Als Lars und Mia in ihrem Streifenwagen Platz genommen, und sich bei der Einsatzleitstelle wieder angemeldet haben, sagt Mia zu Lars:

Mia: "Hat mal wieder geklappt."

Lars: "Das war ja schließlich auch unser Plan. Du hast ihm ganz schön ins Gewissen geredet. Das war polizeiliches Eingriffsrecht vom Feinsten."

Der letzte Satz von Lars bedarf einer näheren Erörterung. Warum? Zum Verstehen des polizeilichen Eingriffsrechtes ist es trotz des positiven Endes des Einschreitens von Lars und Mia unverzichtbar, sich die Frage zu stellen, die da lautet:

  • Durfte Mia dem Alpha das sagen, was sie ihm gesagt hat?
    Oder, anders ausgedrückt:

  • Lässt es das Gesetz zu, Personen durch das Androhen von Übeln gefügig zu machen?

Die Antwort lautet eindeutig: Ja.

Voraussetzung aber ist, dass das, was Mia dem Alpha androht, das Gesetz erlaubt.

Anders ausgedrückt:
Polizeibeamte dürfen nur solche Maßnahmen androhen, die, bezogen auf den jeweils zu klärenden Einzelfall, gesetzlich zugelassen sind.

Das ist im Beispiel gegeben, denn alles, was Mia dem Alpha mit eindringlichen Worten gesagt hat, wäre rechtlich zulässig gewesen, wenn Alpha sich nicht in sein "Schicksal" gefügt hätte.

Das, was Mia dem Mann gesagt hat, ist eine Gefährdungsansprache, die auf der Grundlage der polizeilichen Generalklausel durchgeführt werden kann.

08 Gefährdungsansprache

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Nur zur Erinnernun: Mia hat Alpha davon in Kenntnis gesetzt, dass in dem Falle, dass er seine Verweigerungshaltung nicht aufgeben sollte, er mit folgenden polizeilichen Maßnahmen rechnen muss: 

  • Betreten der Wohnung
  • Sicherstellung der Musikanlage
  • Gewahrsamnahme von Alpha
  • Zwangsweise Durchsetzung
  • Fesselung von Alpha
  • Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.

 Dazu ist es zwar nicht gekommen, aus Rechtsgründen ist es aber dennoch zwingend notwendig, dass die von Mia angedrohten Maßnahmen auch tatsächlich hätten durchgeführt werden dürfen, denn Polizeibeamte sollten niemals etwas androhen, was ihnen das Gesetz nicht erlaubt. Im hier zu erörternden Sachzusammenhang reicht es aus, die rechtliche Frage der Zulässigkeit solcher "Belehrungen" anhand einschlägiger Gesetzeszitate aus dem PolG NRW zumindest nachvollziehbar zu beantworten.

09 Betreten der Wohnung

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Zweck des Betretens wäre es gewesen, eine von der Wohnung ausgehende Gefahr (Störung der Nachtruhe) abzuwenden. Das ist Gefahrenabwehr. Die Befugnis dafür, die Wohnung zu diesem Zweck betreten zu können, muss sich folglich aus dem Polizeigesetz ergeben.

§ 41 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW (Betreten und Durchsuchung von Wohnungen)
(1) Die Polizei kann eine Wohnung ohne Einwilligung des Inhabers betreten und durchsuchen, wenn 3. von der Wohnung Immissionen ausgehen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer zu einer erheblichen Belästigung der Nachbarschaft führen.

Da diese Voraussetzungen im Beispielfall gegeben sind, wenn der Wohnungsinhaber weiterhin uneinsichtig gewesen wäre, durfte Mia, gestützt auf die Generalklausel des PolG, im Rahmen ihrer Gefährdungsansprache dem Alpha diese mögliche Rechtsfolge „androhen.“

10 Sicherstellung der Musikanlage

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Diese Maßnahme wäre ebenfalls zur Beendigung einer gegenwärtigen Gefahr, durch die die Rechtsordnung bedroht ist, rechtlich zulässig gewesen, denn bei „Ruhestörendem Lärm“ handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit im Sinne von § 9 LImschG NRW (Schutz der Nachtruhe) iVm § 17 Abs. 1 e) LImschG (Ordnungswidrigkeiten).

Um die Nachtruhe wieder herzustellen, lässt es § 43 Nr. 1 PolG NRW (Sicherstellung) zu, Sachen sicherzustellen. Eine Musikanlage ist eine Sache.

§ 43 Nr. 1 PolG NRW (Sicherstellung)
Die Polizei kann eine Sache sicherstellen, 1. um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren.

Eine gegenwärtige Gefahr ist gegeben, denn die Störung der Nachtruhe dauert ja immer noch an. Gegenwärtiger kann eine Gefahr die Rechtsordnung gar nicht sein.

Die Sicherstellung der Musikanlage wäre folglich rechtlich zulässig gewesen. Mia hat folglich nur das angedroht, was das Gesetz ihr erlaubt.

11 Gewahrsamnahme von Alpha

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Auch diese Maßnahme würde dem Zweck der Gefahrenabwehr dienen, wenn die Störung der Nachtruhe anders tatsächlich nicht zu beseitigen gewesen wäre.

§ 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW (Gewahrsam)
(1) Die Polizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn 2. das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern.

Bei der Störung der Nachtruhe handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung im Sinne des Landesimmissionsschutzgesetzes NRW, denn in dem Hochhaus können viele Menschen aufgrund des unerträglichen Lärms im Haus keinen Schlaf finden.

Für den Fall, dass mit geringeren Mitteln die andauernde Störung nicht beseitigt werden kann, käme somit sogar eine Gewahrsamnahme von Alpha in Betracht.

12 Zwangsweise Durchsetzung

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Es würde diesen Aufsatz überfrachten, Fragen aufzuwerfen und zu beantworten, die sich im Zusammenhang mit der zwangsweisen Durchsetzung polizeilicher Maßnshmen stellen. In diesem Einführungstext in das polizeiliche Eingriffsrecht kann es deshalb nur darum gehen, nachvollziehen zu können, dass auch die zwangsweise Durchsetzung der oben genannten Maßnahmen rechtlich möglich gewesen wäre.

§ 50 Abs. 1 PolG NRW (Zulässigkeit des Verwaltungszwanges)
(1) Der Verwaltungsakt, der auf die Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist, kann mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wenn er unanfechtbar ist oder wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat.

Die von Mia dem Alpha in Aussicht gestellten polizeilichen Maßnahmen kennen Sie bereits. Bei diesen Weisungen handelt es sich um mündlich verfügte Verwaltungsakte. Sollten die in Aussicht gestellten Maßnahmen tatsächlich erzwungen werden müssen, dann käme als Zwangsmittel nur unmittelbarer Zwang in Betracht.

Zurück zum Fallbeispiel. Wenn Sie den Wortlaut von § 50 Abs. 1 PolG NRW genau gelesen haben, dann wissen Sie, dass nur solche Verwaltungsakte erzwungen werden dürfen, die unanfechtbar sind. Das ist bei unaufschiebbaren polizeilichen Maßnahmen immer der Fall, siehe § 80 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dort heißt es:

§ 80 Abs. 2 VwGO
(2) Die aufschiebende Wirkung [von Widerspruch und Anfechtungsklage] entfällt nur 2. bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten.

Grundsätzlich haben die Rechtsmittel, die im Gesetzestext von mir in [...] Klammern eingefügt wurden, eine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet, dass erlassene Verwaltungsakte dann nicht vollstreckt werden dürfen. Das gilt aber nicht für unaufschiebbare Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten.

13 Fesselung von Personen

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Es wäre nicht das erste Mal, dass anlässlich von polizeilichen Maßnahmen zur Beseitigung der „Störung der Nachtruhe“ eine Situation entgleist und unbelehrbare Störer tatsächlich gefesselt zur Polizeistation gebracht werden müssen. Das war im hier zu erörternden Sachverhalt nicht erforderlich, dennoch wäre eine Fesselung rechtlich möglich gewesen, siehe § 62 Nr. 1 PolG NRW (Fesselung von Personen), wenn Alpha sich durch aktives Tun dagegen gewehrt hätte.

§ 62 Nr. 1 PolG NRW (Fesselung von Personen)
Eine Person, die nach diesem Gesetz oder anderen Rechtsvorschriften festgehalten wird, kann gefesselt werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie 1. Polizeivollzugsbeamte oder Dritte angreifen, Widerstand leisten oder Sachen von nicht geringem Wert beschädigen wird.

14 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

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Die Belehrung von Mia, die darin besteht, Alpha davon in Kenntnis zu setzen, dass er durch geleisteten Widerstand sogar zum Straftäter wird, kann ebenfalls auf die Generalklausel des Polizeigesetzes gestützt werden. Denkbar wäre es aber auch, diese Belehrung unmittelbar aus der Norm abzuleiten, die diese Straftat regelt, siehe § 113 Abs. 1 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte).

§ 113 Abs. 1 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte)
(1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

15 Ermächtigungsbegrenzende Bestimmungen

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Die Maßnahmen, die Lars und Mia getroffen haben und auch die, die Mia im Rahmen ihrer Gefährdungsansprache an Alpha dem Wohnungsinhaber lediglich „angedroht“ hat, umfassen weitere Prüfschritte, die in diesem Text nicht weiter erörtert werden.

Offenkundig ist, dass die von Lars und Mia gewählte Strategie geeignet, erforderlich und auch angemessen (verhältnismäßig) gewesen ist, im Hochhaus wieder für Ruhe zu sorgen.

16 Schlussbetrachtung

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Das Beispiel lässt es zu, nachvollziehen zu können, welche polizeilichen Maßnahmen zur „Beendigung der Störung der Nachtruhe“, und somit zur Beendigung einer gegenwärtigen und andauernden Gefahr für die Rechtsordnung von Lars und Mia tatsächlich hätten verfügt und durchgesetzt werden können.

Das gilt auch für die Anwendung von Zwang, soweit dieser angemessen und notwendig gewesen wäre.

Insoweit kann abschließend festgestellt werden, dass Lars und Mia im Rahmen geltenden Rechts und auch unter Beachtung der „ermächtigungsbegrenzenden Regelungen“ korrekt und rechtmäßig eingeschritten sind.

Erfahrungsgemäß kann davon ausgegangen werden, dass nach einer „energisch vorgetragenen Gefährdungsansprache“, in der einem Ruhestörer mit aller Deutlichkeit zu verstehen gegeben wird, was er zu erwarten hat, die meisten Ruhestörer davon überzeugt werden können, dass es für sie besser ist, laute Musik auf Zimmerlautstärke zu reduzieren. Diese Einsicht hat letztendlich ja auch Alpha zur Verhaltensänderung bewogen.

17 Verfolgung von Ordnungswidrigkeit

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In dem Einführungstext habe ich nur kurz darauf hingewiesen, dass es sich bei der „Störung der Nachtruhe“ auch um eine Ordnungswidrigkeit handelt, die von Lars und Mia natürlich auch hätte verfolgt werden können.

Anlässlich von „Ruhestörendem Lärm“ werden von der Polizei aber wohl nur selten festgestellte Fehlverhalten zur Anzeige gebracht. Grund dafür ist, dass der damit verbundene Ermittlungsaufwand in dem Hochhaus, in dem Lars und Mia tätig werden, ziemlich umfangreich sein dürfte, denn diesbezüglich müssten zumindest die Personen befragt werden, die an der lauten Musik Anstoß genommen haben.

Außerdem ist lauter Lärm eine äußerst vage Größenordnung, denn Lärm misst sich nach Dezibel (dB). Im Zusammenhang mit Lärmbelästigungen ist weiterhin festzustellen, dass es Menschen gibt, die sich bereits bei 60 Dezibel in ihrer Ruhe gestört fühlen, wobei andere noch bei 75 Dezibel die Musik lauter aufdrehen.

Ab 80 dB wird es allerdings für das Gehör bereits gefährlich.

Hinsichtlich der gesetzlich geregelten Nachtruhe (22 Uhr bis 6 Uhr) gilt, dass in Räumen Zimmerlautstärke angesagt ist. Von Zimmerlautstärke ist dann die Rede, wenn die Geräusche zwischen 30 und 40 dB liegen. Dabei handelt es sich jedoch auch nur um Richtwerte, welche nicht gesetzlich festgelegt sind, denn die tatsächliche Lautstärke, die andere stört, ist immer auch von der Bauweise des Gebäudes abhängig.

 Anders ausgedrückt. Lars und Mia haben auch nur Ohren und sind, wie alle anderen Menschen auch, empfindlich für zu laute Musik. Dennoch: Kein Mensch ist dazu in der Lage, Geräusche in dB wahrzunehmen. Deshalb wird solch ein Fehlverhalten nur selten zur Anzeige gebracht, denn Polizeibeamte sind nicht mit Schallpegelmessgeräten ausgestattet.

Im Übrigen wäre auch die ganze, oben skizzierte Strategie von Lars und Mia überwiegend rechtswidrig gewesen, wenn sie ihre Maßnahmen auf die StPO gestützt hätten, denn deren Befugnisse sind anzuwenden, wenn es um die Erforschung und Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten geht.

Die von Mia angedrohten Maßnahmen, wie das:

  • Betreten der Wohnung

  • Beschlagnahme des Radios

  • Festnahme von Alpha

  • Fesselung von Alpha.

Hätten dann wohl kaum rechtlich zufriedenstellend begründet werden können, denn ein „Betreten von Wohnungen“ kennt die StPO nicht und was mit einem in amtliche Verwahrung genommenem Radio bewiesen werden soll, darauf weiß ich auch keine Antwort. Die zwangsweise Durchsetzung einer vorläufigen Festnahme ließe sich ebenfalls nicht begründen, denn die wäre sowieso rechtswidrig gewesen, siehe § 46 Abs. 3 OWiG (Anwendung der Vorschriften über das Strafverfahren).

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Die folgenden Paragrafen aus dem Ordnungswidrigkeitengesetz müssen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte kennen.

§ 53 OWiG (Aufgaben der Polizei)
(1) Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes haben nach pflichtgemäßem Ermessen Ordnungswidrigkeiten zu erforschen und dabei alle unaufschiebbaren Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten. Sie haben bei der Erforschung von Ordnungswidrigkeiten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, dieselben Rechte und Pflichten wie bei der Verfolgung von Straftaten. Ihre Akten übersenden sie unverzüglich der Verwaltungsbehörde, in den Fällen des Zusammenhangs (§ 42) der Staatsanwaltschaft.
(2) Die Beamten des Polizeidienstes, die zu Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft bestellt sind (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes), können nach den für sie geltenden Vorschriften der Strafprozessordnung Beschlagnahmen, Durchsuchungen, Untersuchungen und sonstige Maßnahmen anordnen.

§ 46 OWiG (Anwendung der Vorschriften über das Strafverfahren)
(1) Für das Bußgeldverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozessordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes.
(2) Die Verfolgungsbehörde hat, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, im Bußgeldverfahren dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten.
(3) Anstaltsunterbringung, Verhaftung und vorläufige Festnahme, Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen sowie Auskunftsersuchen über Umstände, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, sind unzulässig.

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