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Einführungstext zu den Grundrechten

Inhaltsverzeichnis

01 Polizei und Grundrechtsschutz
02 Grundrechte
03 Wertegebundene Ordnung
04 Verfassungsgemäße Ordnung
05 Grundrechtsschranken
06 Verfassungsunmittelbare Schranken
07 Gesetzesvorbehalte
08 Grundrechtsimmanente Schranken
09 Grundrechte unter Ausgestaltungsvorbehalt
10 Schranken - Schranken
11 Grundrechtseingriff
12 Vorbehalt der Gesetze und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
13 Verhältnismäßigkeit
14 Art 1 GG: Menschenwürde
15 Art 2 Abs. 1 GG: Allgemeine Handlungsfreiheit
16 Art 2 Abs. 1 GG: Allgemeines Persönlichkeitsrecht (APR)
17 Art 2 Abs. 1 GG: Auffangtatbestand
18 Art 2 GG: Leben
19 Art 2 GG: Körperliche Unversehrtheit
20 Art 2 GG: Freiheit der Person
21 Art 3 GG: Gleichheit vor dem Gesetz
22 Art 3 GG: Diskriminierungsverbot
23 Art 4 GG: Glaubens- und Gewissensfreiheit
24 Art 5 GG: Meinungsfreiheit
25 Art 6 GG: Familie und Erziehung der Kinder
26 Art 7 GG: Schulpflicht
27 Art 8 GG: Versammlungsfreiheit
28 Art 9 GG: Vereinigungsfreiheit
29 Art 10 GG: Post- und Fernmeldegeheimnis
30 Art 11 GG: Freizügigkeit
31 Art 12 GG: Freie Berufsausübung
32 Art 13 GG: Unverletzlichkeit der Wohnung
33 Art 14 GG: Recht auf Eigentum
34 Art 15 GG: Sozialisierung/Enteignung
35 Art 16 GG: Entzug der Staatsangehörigkeit
36 Art 16a GG: Asylrecht
37 Art 17 GG: Petitionsrecht
38 Art 18 GG: Verwirkung von Grundrechten
39 Art 19 GG: Zitiergebot – Rechtsweggarantie – Wesensgehalt

01 Polizei und Grundrechtsschutz

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Das „Wollen des Staates“ ist das „Sollen seiner Rechtsordnung“ sowie das gesetzmäßige und rechtmäßige Handeln seiner Amtswalter. Der Staatswille kann somit als ein System von Normen und menschlichem Verhalten verstanden werden, die in ihrer Gesamtheit die staatliche Ordnung bilden, an deren Spitze die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland steht: das Grundgesetz.

Das „Sollen des Grundgesetzes“ geht von der Vorstellung aus, dass es vorrangige Aufgabe des Staates und seiner Amtswalter ist, die Grundrechte der Menschen zu achten und zu schützen, die der staatlichen Regelungsgewalt unterworfenen sind. Diese Selbstverpflichtung geht so weit, dass Menschen einen Rechtsanspruch darauf haben, vor rechtswidrigen Eingriffen durch den Staat geschützt zu werden. Was das für den einzelnen Amtswalter, also für jede Polizeibeamtin und jeden Polizeibeamten bedeutet, das drückt der § 36 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtSG) wie folgt aus:

§ 36 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG (Verantwortung für die Rechtmäßigkeit)
(1) Beamtinnen und Beamte tragen für die Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung. [...].

Für die Polizei, bei der es sich um ein mit Zwangsbefugnissen ausgestattetes staatliches Exekutivorgan handelt, bedeutet dies, dass die für die Polizei tätig werden Amtswalter die Grundrechte nicht nur zu achten und zu schützen, sondern diese sozusagen zum Leitbild ihres polizeilichen Berufsverständnisses zu machen haben.

Art 1 Abs. 1 GG:
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Art 30 Abs. 3 GG:
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

Natürlich gehört es auch zu den polizeilichen Kernaufgaben, für Sicherheit und Ordnung im Rahmen der verfassungsgemäßen Ordnung im Staate zu sorgen. Der Wunsch nach hundertprozentiger Sicherheit hat jedoch , man mag das beklagen, dazu geführt, dass Risiken möglichst umfassend ausgeräumt werden sollen. Weil das Reservoir möglicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aber unendlich ist, mündet dieses Sicherheitsstreben zu immer neuen Maßnahmen der Prävention und der Vorsorge durch die Polizei, verbunden mit der von der Politik erhobenen Forderung, die ganze Härte des Gesetzes diejenigen spüren zu lassen, die bestehende Regeln nicht beachten bzw. nicht beachten wollen.

Nicht umsonst haben die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, die 1948/49 über den Wortlaut des zu verabschiedenden Grundgesetzes bereiten, das Wort Sicherheit wieder aus dem Wortlaut des Artikels 2 GG wieder entfernt, weil niemand so ganz genau wusste, was damit eigentlich gemeint ist. Daran scheint sich bis heute nur insoweit etwas geändert zu haben, als dass immer mehr Sicherheit nicht verkehrs sein kann. Bei dieser Sichtweise könnte es sich aber auch um eine demokratiegefährdende Fehleinschätzung handeln.

Wie dem auch immer sei. Diese Entwicklung fordert die Polizei zunehmend heraus, weil die damit verbundene neue Bedeutung von Prävention und Vorsorge die Erwartungshaltung beinhaltet, Gefahren und Kriminalität bereits im Vorfeld zu unterbinden zu müssen, zu sollen bzw. zu wollen.
Anders ausgedrückt: Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sollen Terroranschlage verhindern und Gefährder identifizieren, um erst gar nicht Wirklichkeit werden zu lassen, was die verfassungsgemäße Ordnung stören könnte. Die technischen Mittel, die zur Errichtung dieses Ziels vermehrt eingesetzt werden bezeichnen Kritiker - und das durchaus nachvollziehbaren Gründen, als einen Weg in den modernen Überwachungsstaat.

Andere halten den Einsatz solcher Mittel als einen unvermeidbaren Weg der Verteidigung der Demokratie. Dass diese Entwicklung dennoch als eine Gefahr für den "Schutz von Menschen vor staatlichen Eingriffen in ihre Grundrechte" verstanden werden kann, soll an dieser Stelle nur festgestellt werden, denn jegliche Form von Wachstum stößt an Grenzen.

02 Grundrechte

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Als Grundrechte im Sinne des Grundgesetzes gelten alle den Normadressaten durch die Verfassung gewährleisteten Rechtspositionen, die im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden können, wenn die Klage zulässig ist (materieller Grundrechtsbegriff).

Danach zählen unstreitig zu den Grundrechten die in den Art. 2 - 19 GG enthaltenen Gewährleistungen sowie die grundrechtsgleichen Rechte in den Artikeln 20, 33, 38, 101, 102, 103 und 104 GG.

03 Wertegebundene Ordnung

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Das Grundgesetz ist wertegebunden. Indem der Verfassungsgeber die Grundrechte an den Anfang stellt, wird deutlich, dass es sich bei diesen Rechten um eine Werteordnung handelt, in der sich - eine soziale Gemeinschaft vorausgesetzt - die menschliche Persönlichkeit frei entfalten kann. Um diesem Freiheitsgedanken Ausdruck, Schutz und Bestand zu verleihen, haben die Verfassungsgeber die Organisation und den Aufbau des Staates Bundesrepublik Deutschland (Staatsformmerkmale, Organe und Aufgaben des Staates) so konstituiert, dass ein Leben in Sicherheit und Freiheit dauerhaft gewährleistet werden kann. Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung sind der Werteordnung des Grundgesetzes in ihrer Gesamtheit im besonderen Maße verpflichtet, siehe Artikel 20 GG.

Art 20 GG
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

04 Verfassungsgemäße Ordnung

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Die verfassungsmäßige Ordnung, das ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der nicht nur im Art. 2 Abs. 1 GG, sondern auch an anderer Stelle im Grundgesetz verwendet wird, hat durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine besondere Bedeutung erlangt. Nach Ansicht des Gerichts ist unter der verfassungsmäßigen Ordnung die gesamte mit der Verfassung in Einklang stehende Rechtsordnung zu verstehen.

BVerfG 1957: Verfassungsmäßige Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG ist die verfassungsmäßige Rechtsordnung, d. h. die Gesamtheit der Normen, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind. [...]. Wird, wie [...] gezeigt, in Art. 2 Abs. 1 GG mit der freien Entfaltung der Persönlichkeit die allgemeine Handlungsfreiheit gewährleistet, die - soweit sie nicht Rechte anderer verletzt oder gegen das Sittengesetz verstößt - nur an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden ist, so kann unter diesem Begriff nur die allgemeine Rechtsordnung verstanden werden, die die materiellen und formellen Normen der Verfassung zu beachten hat, also eine verfassungsmäßige Rechtsordnung sein muss.

BVerfG, Urteil vom 16.01.1957 - 1 BVR 253/56

In diesem Sinne bezeichnet auch das OVG Münster die verfassungsmäßige Ordnung als eine verfassungsgemäße Ordnung, die gemäß der Verfassung aufgebaut ist und somit als die von der Verfassung geschaffene Rechtsordnung anzusehen ist.

  • Parlamentsgesetze (Bundes- und Landesgesetze)

  • Rechtsverordnungen (Bund, Land, andere Träger öffentlicher Verwaltung)

  • Satzungen

  • Richterrecht

  • Gewohnheitsrecht.

Hinweis: Richterrecht wird nicht von der Legislative (Parlamentsgesetz) oder Exekutive gesetzt, sondern entsteht in der Rechtsprechung.

05 Grundrechtsschranken

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Die Grundrechte gewährleisten keine absoluten Freiheiten. Damit ein friedliches Zusammenleben möglich ist, darf jeder seine Rechte nur in dem Umfang ausüben, dass dadurch weder die Rechte anderer noch wichtige Gemeinschaftsinteressen beeinträchtigt werden.

Zu unterscheiden sind folgende Grundrechtsschranken:

  • Verfassungsunmittelbare Schranken, die sich unmittelbar aus dem Verfassungstext ergeben

  • Gesetzesvorbehalte durch Gesetz (qualifizierter Gesetzesvorbehalt)
    Auf Grund eines Gesetzes (einfacher Gesetzesvorbehalt)

  • Grundrechtsimmanente Schranken, die jedem Grundrecht innewohnen, das sozusagen schrankenlos gewährt wird.

 06 Verfassungsunmittelbare Schranken

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Verfassungsunmittelbare Schranken ergeben sich unmittelbar aus der Grundrechtsnorm. So sind gem. Art. 9 Abs. 2 GG Vereine verboten, deren Zwecke den Strafgesetzen zuwiderlaufen. Gemäß Art. 8 Abs. 1 GG genießen nur solche Versammlungen den Schutz des Grundrechts, die friedlich und ohne Waffen durchgeführt werden.

07 Gesetzesvorbehalte

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Ein einfacher Gesetzesvorbehalt ist gegeben, wenn der Gesetzgeber ein Grundrecht sowohl durch Gesetz als auch auf Grund eines Gesetzes einschränken darf.
Qualifizierter Gesetzesvorbehalt: Ein qualifizierter Gesetzesvorbehalt ist gegeben, wenn ein Grundrecht nur durch förmliches Gesetz, also auf Grund eines Parlamentsgesetzes, eingeschränkt werden darf, siehe zum Beispiel Art 2 Abs. 2 GG.

Dort heißt es:

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Einfacher Gesetzesvorbehalt: Das bedeutet, dass auch Regelungen, die nicht vom Parlament, sondern von dazu gesetzlich legitimierten Verordnungsgebern erlassen werden können, ebenfalls unter die Sprachfigur des "Gesetzesvorbehaltes" zu subsumieren sind. Das ist zum Beispiel bei der Straßenverkehrsordnung der Fall, einem "materiellen Gesetz", bei dem es sich nicht um ein Parlamentsgesetz, sondern um eine Rechtsverordnung handelt.

08 Grundrechtsimmanente Schranken

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Die Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) und die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) sind vom Wortlaut des GG her nicht einschränkbar. Dennoch ist unbestritten, dass Grundrechte nicht grenzenlos gewährt werden, sondern so genannten „verfassungsimmanenten Schranken“ unterliegen.

Unter „verfassungsimmanenten Schranken“ versteht man ungeschriebene Grundrechtsbegrenzungen, die zur Anwendung kommen, wenn unterschiedliche Verfassungsgüter beim Gebrauch grundrechtlich garantierter Freiheiten miteinander kollidieren. Nach h.M. finden vorbehaltlose Grundrechte jedoch ihre Grenzen in den verfassungsimmanenten Schranken, also in den Grundrechten Dritter und in sonstigen Rechtsgütern von Verfassungsrang.

Die schwächere Norm, also das Grundrecht, das auf „Kosten anderer Grundrechtsträger übergebührlich in Anspruch genommen wird“, darf aber nur insoweit zurückgedrängt werden, wie das logisch und systematisch zwingend (verhältnismäßig) erscheint; ihr sachlicher Grundwertgehalt muss in jedem Fall respektiert werden.
Im Zusammenhang mit der Ausübung der Religionsfreiheit, einem Grundrecht, das keinen Schranken unterliegt, heißt es in einem Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2020 wie folgt:

BVerfG 2020: Einschränkungen von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG müssen sich aus der Verfassung selbst ergeben, weil dieses Grundrecht keinen Gesetzesvorbehalt enthält. Zu solchen verfassungsimmanenten Schranken zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang. Die Einschränkung bedarf überdies einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage.[...]. Als weitere verfassungsimmanente Schranke der Religionsfreiheit ist hier die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege insgesamt zu berücksichtigen, die zu den Grundbedingungen des Rechtsstaats zählt und im Wertesystem des Grundgesetzes fest verankert ist, da jede Rechtsprechung letztlich der Wahrung der Grundrechte dient.

BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 1333/17

Für Eingriffe in schrankenlos gewährte Grundrechte ist immer eine Ermächtigungsgrundlage nachzuweisen, die sich aus einem förmlich erlassenen Parlamentsgesetz ergibt.

09 Grundrechte unter Ausgestaltungsvorbehalt

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Einige Grundrechte stehen unter einem Ausgestaltungsvorbehalt durch den Gesetzgeber. So bestimmt z.B. Art. 12 GG, dass die Berufsausübung durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden kann. Gesetze, durch die die Ausgestaltung erfolgt, schränken dieses Grundrecht nicht ein, sondern konkretisieren lediglich den Schutzbereich des jeweiligen Grundrechtes. Weitere Grundrechte unter Ausgestaltungsvorbehalt sind Art. 4 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 7 Abs. 4 GG, Art. 14 GG und Art. 38 Abs. 1 GG.

10 Schranken - Schranken

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Schranken-Schranken sind keine Grundrechtsschranken. Es handelt sich dabei um Anforderungen an den Gesetzgeber, die dieser bei der Einschränkung von Grundrechten durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu beachten hat.

Folgende Schranken hat der Gesetzgeber bei der Einschränkung von Grundrechten zu beachten:

  • VVerbot von Einzelfallgesetzen (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG)

  • Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG)

  • Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG)

  • Verhältnismäßigkeit grundrechtseinschränkender Normen unter Beachtung der Ausstrahlungswirkung der dadurch beeinträchtigten Grundrechte.

 11 Grundrechtseingriff

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In Bezug auf Grundrechtseingriffe, die von der Polizei durchgeführt werden, kann die nachfolgend zitierte Stelle aus einem Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2002 durchaus als eine Legaldefinition der Sprachfigur „Grundrechtseingriff“ angesehen werden.

BVerfG 2002: Danach wird unter einem Grundrechtseingriff im Allgemeinen ein rechtsförmiger Vorgang verstanden, der unmittelbar und gezielt (final) durch ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ, zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt. [...]. Unter der Geltung des Grundgesetzes ist der Grundrechtsschutz nicht auf Eingriffe im herkömmlichen Sinne begrenzt, sondern auf faktische und mittelbare Beeinträchtigungen ausgedehnt worden.

BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91

12 Vorbehalt der Gesetze und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

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Eingriffe in Grundrechte stehen unter dem „Vorbehalt der Gesetze“. Dieser Grundsatz wird zwar im Grundgesetz nicht ausdrücklich erwähnt, seine Geltung ergibt sich jedoch in Anlehnung an die herrschende Meinung aus Art 20 Abs. 3 GG. Gleiches gilt auch für den Grundsatz der „Gesetzmäßigkeit der Verwaltung“.

Während sich der erste Grundsatz an den Gesetzgeber richtet, wendet sich der zweite Grundsatz an die öffentliche Verwaltung und somit auch an die Polizei. Er bedeutet nichts anderes, als dass von den Amtswaltern von Behörden geltende Gesetze richtig, also rechtsfehlerfrei, anzuwenden sind.

Beide Grundsätze gehören zu den tragenden Prinzipien der rechtsstaatlichen und demokratischen Ordnung im Geltungsbereich des Grundgesetzes. Amtswalter, die geltendes Recht anwenden, können darauf vertrauen, dass das Recht, das sie anwenden, verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Es gehört nicht zu den Aufgaben von Amtswaltern und somit auch nicht zu den Aufgaben von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, geltendes Recht auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

Die oben genannten Grundsätze ergeben sich aus dem Artikel 20 GG.

Art 20 GG
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

13 Verhältnismäßigkeit

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Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zwar nicht im Grundgesetz enthalten, wohl aber für die gesamte Rechtsordnung in der Bundesrepublik Deutschland bestimmend ist, gilt für alle staatlichen Maßnahmen.

Seine Wirkung entfaltet dieses Verfassungsprinzip auf drei Ebenen:

  • Geeignetheit

  • Erforderlichkeit und

  • Verhältnismäßigkeit

Dem Verhältnismäßigkeitsprinzip liegt der Gedanke zugrunde, das alle Staatsorgane und somit auch alle Behörden dafür Sorge tragen müssen, dass stets ein angemessenes Verhältnis zwischen dem angestrebten Zweck und der zur Zweckerreichung für erforderlich gehaltenen Maßnahmen herbeizuführen ist.

Mit anderen Worten: Belange des Allgemeinwohls müssen überwiegen, um Eingriffe in Grundrechte rechtfertigen zu können. Das bedeutet, dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung immer eine Abwägung zwischen dem "Interesse an der Erfüllung einer polizeilichen Aufgabe" und der "Schwere des Eingriffs, die ein Adressat einer polizeilichen Maßnahme zu dulden hat", vorzunehmen ist.
Diese Einzelfallprüfung muss zu dem nachvollziehbaren Ergebnis kommen, dass das polizeilich zu verfolgende Ziel höher zu bewerten ist, als der zu duldende Grundrechtseingriff. Ist die Verhältnismäßigkeit im Einzelfall nicht gegeben, führt das zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme.

BVerfG 1965: In der Bundesrepublik Deutschland hat der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlichen Rang. Er ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, im Grunde bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur so weit beschränkt werden dürfe.

BVerfG, Beschluss vom 15.12.1965 - 1 BvR 513/65

14 Art 1 GG: Menschenwürde

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Polizeibezug:
Es ist immer die Umwelt, die das Verhalten von Personen bestimmt, die in den jeweils vorgefundenen Lebenssituationen aufeinandertreffen. Von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten muss trotz aller Schwierigkeiten, die der polizeiliche Berufsalltag mit sich bringt, erwartet werden können, dass sie durch ihr Verhalten im Rahmen des menschlich Möglichen die Würde ihres jeweiligen polizeilichen Gegenübers achten und schützen. Was im Übrigen die Würde eines Amtsträgers im Rahmen seiner Berufsausübung ausmacht. Das bedeutet, dass Diskriminierungen jeglicher Art von Amtswaltern zu unterlassen sind, denn Diskriminierungen sind nichts anderes, als Verletzungen der Menschenwürde.

Anders ausgedrückt:
Die Würde des Menschen ist zwar unantastbar, aber tastbar.

Diese Wahrheit wird jede Leserin und jeder Leser dieser Zeilen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits mehrfach selbst erfahren haben. Aus verfassungsrechtlicher Sicht muss dennoch von Amtswaltern ein Verhalten erwartet und auch eingefordert werden können, das mit dem Menschenbild des Grundgesetzes vereinbar ist. Das bedeutet, kommunikatives Verhalten, das Aspekte von Missachtung, Verachtung, rassistischem Denken, Geringschätzung, Herabsetzung, Hohn oder Nichtachtung zum Ausdruck bringt, ist nichts anderes, als eine Verletzung der Würde des jeweiligen Menschen, der solch ein Verhalten erleben muss.

Mit anderen Worten:

Artikel 1 GG enthält eine Verpflichtung an jede Polizeibeamtin und an jeden Polizeibeamten, sich nicht nur einer ständigen Selbstbeobachtung und Selbstkorrektur zu unterziehen, die, so zumindest sollte es sein, auch durch die Organisation Polizei selbst und insbesondere auch durch Vorgesetzte, im Berufsalltag gefördert und auch vorgelebt werden muss, denn nur so kann sich daraus eine Gewohnheit entwickeln.
Das setzt natürlich voraus, dass die gesamte Organisation Polizei sich der Tatsache bewusst sein muss, dass nur Selbstkontrolle und Selbsterziehung einen Zustand zu schaffen vermögen, dass dem Menschenbild des Grundgesetzes tatsächlich entspricht. Das dürfte eine niemals endende Aufgabe sein. Sie sollte auch auf den Lehrplänen von Fachhochschulen an oberster Stelle stehen.

B.F. Skinner – Jenseits von Freiheit und Würde: Freiheit ist ein Problem, das durch die aversiven Konsequenzen (einander widerstrebenden Wirkungen) von Verhalten entsteht, während Würde mit positiver Verstärkung zu tun hat. Wenn sich jemand auf eine Weise verhält, die wir für verstärkend halten, ermutigen wir solches Verhalten, indem wir ihn loben oder rühmen. Wir applaudieren einem darstellenden Künstler, damit er seine Darstellung wiederholt.

Diese Verstärkung sollte, wie oben bereits angedeutet, nach der hier vertretenen Auffassung in der Ausbildung von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten einen wesentlichen Stellenwert einnehmen und im Anschluss daran, sozusagen als ein lebenslanger Lernprozess, auch in der polizeilichen Berufspraxis erlebt und kultiviert werden, auch wenn das zugegebenermaßen nicht einfach ist.

Dennoch: Demokratie setzt Amtswalter voraus, die das Menschenbild des Grundgesetzes leben. Es reicht nicht aus, es bloß zu kennen. Um mit den Worten von B. F. Skinner diesen Gedanken abzurunden, ist festzustellen, dass es wirklich eine Kunst ist, Demokratie unter Verzicht auf Diskriminierungen zu leben.
Davon war bereits Immanuel Kant überzeugt, als er in seinem Essay „Zum ewigen Frieden“, das 1796 in zweiter Auflage erschien, schrieb:

Diese Aufgabe ist daher die schwerste unter allen; ja ihre vollkommene Auflösung ist unmöglich; aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.

Schutzbereich:
Unter welchen Umständen die Menschenwürde verletzt ist, lässt sich nicht generell beantworten. In früheren Entscheidungen ging das Bundesverfassungsgericht von der so genannten Objektformel aus.

BVerfG 1977: Die Menschenwürde stellt den höchsten Rechtswert innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung dar. Sie kann keinem Menschen genommen werden. Achtung und Schutz der Menschenwürde gehören zu den Konstitutionsprinzipien des Grundgesetzes. Die freie menschliche Persönlichkeit und ihre Würde stellen den höchsten Rechtswert innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung dar. Der Staatsgewalt ist in allen ihren Erscheinungsformen die Verpflichtung auferlegt, die Würde des Menschen zu achten und sie zu schützen. [...]. Dem liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich zu entfalten. Diese Freiheit versteht das Grundgesetz nicht als diejenige eines isolierten und selbstherrlichen, sondern als die eines gemeinschaftsbezogenen und gemeinschaftsgebundenen Individuums. Sie kann im Hinblick auf diese Gemeinschaftsgebundenheit nicht „prinzipiell unbegrenzt“ sein. Der Einzelne muss sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht; doch muss die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleiben. Dies bedeutet, dass auch in der Gemeinschaft grundsätzlich jeder Einzelne als gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt werden muss. Es widerspricht daher der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staate zu machen. Der Satz, „der Mensch muß immer Zweck an sich selbst bleiben“, gilt uneingeschränkt für alle Rechtsgebiete; denn die unverlierbare Würde des Menschen als Person besteht gerade darin, dass er als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt.

BVerfG, Urteil vom 21. Juni 1977 – 1 BvL 14/76

Doch wann ist das der Fall?

Schließlich gibt es mannigfache Beispiele, in denen sich der Staat ohne Rücksicht auf den Willen von Betroffenen durchsetzt und ohne dass deswegen ernsthaft Verletzungen der Menschenwürde behauptet werden (Steuereintreibung, Verurteilung zu Strafen, Durchsuchung von Wohnungen, Festnahme von Personen, Anwendung von Zwang).

In Anlehnung an die Rechtsprechung der Richter des Bundesverfassungsgerichts ist davon auszugehen, dass sich die Menschenwürde nur zeit- und situationsabhängig beschreiben lässt, was in jedem Fall eine Bewertung des Einzelfalls erforderlich macht.

BVerfG 2020: Bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite des – nicht abschließend umschriebenen – Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist zu berücksichtigen, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und gegenüber aller staatlichen Gewalt Achtung und Schutz beansprucht. Von der Vorstellung ausgehend, dass der Mensch in Freiheit sich selbst bestimmt und entfaltet, umfasst die Garantie der Menschenwürde insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität. Damit ist ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch verbunden, der es verbietet, den Menschen zum „bloßen Objekt“ staatlichen Handelns zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Die unverlierbare Würde des Menschen als Person besteht hiernach darin, dass er stets als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt. Zwar ist das Leben die vitale Basis der Menschenwürde. Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass eine auf einen freien Willen zurückgehende Selbsttötung der in Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde widerspräche. Die Menschenwürde, die dem Einzelnen ein Leben in Autonomie gewährleistet, steht der Entscheidung des zur freien Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fähigen Menschen, sich zu töten, nicht entgegen.

BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15

15 Art 2 GG: Allgemeine Handlungsfreiheit

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Polizeibezug:
Durch eine Vielzahl polizeilicher Maßnahmen wird die allgemeine Handlungsfreiheit tangiert. Dafür immer den Rechtsbegriff „Grundrechtseingriff“ zu verwenden, fällt in vielen Fällen wegen der Geringfügigkeit der jeweils zu treffenden Maßnahmen schwer, zumal auch die Richter des BVerfG davon ausgehen, „dass der Einzelne Einschränkungen seiner Grundrechte hinzunehmen hat, wenn überwiegende Allgemeininteressen dies rechtfertigen“, siehe Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1999 - 1 BvR 2226/94.

Davon kann zB ausgegangen werden, wenn Fahrzeugführer anlässlich von Verkehrskontrollen aufgefordert werden, Führerschein und Fahrzeugschein zu Kontrollzwecken auszuhändigen, oder auf Fragen eine Antwort geben sollen, durch die sich eine befragte Personen selbst nicht belastet.

Aber auch bei formellen Befragungen, zu denen insbesondere Vernehmungen gehören, handelt es sich um Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit. Die Folge davon ist, dass einer Vernehmung immer eine Belehrung vorausgegangen sein muss, denn niemand ist dazu verpflichtet ist, sich selbst zu belasten.

Auch ein Verbot der Weiterfahrt, weil ein kontrolliertes Fahrzeug sich nicht in einem verkehrssicheren Zustand befindet, berührt das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit genauso, wie die Aufforderung an Personen, einen Ort zu verlassen oder diesen nicht zu betreten. Auch Weisungen, etwas zu tun oder zu unterlassen, zum Beispiel, die Musik leiser zu stellen, damit die Nachbarn schlafen können, berührt die allgemeine Handlungsfreiheit. Die Anlässe polizeilicher Maßnahmen, die durch so genannte mündliche Verfügungen sich an die allgemeine Handlungsfreiheit von Personen richten, sind so vielfältig, dass die bisherigen Ausführungen ausreichen sollten, zumindest ein Vorstellungsbild darüber zu bekommen, was für einen Stellenwert das Grundrecht der „allgemeinen Handlungsfreiheit“ im polizeilichen Berufsalltag einnimmt.

Hinweis: Werden Personen von der Polizei zu Kontrollzwecken angehalten, dann ist die dafür erforderliche Zeit nicht als ein Eingriff in die Bewegungsfreiheit, sondern lediglich als ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit zu bewerten, da es sich bei einem Anhalten zu Kontrollzwecken in den weitaus meisten Fällen um eine polizeiliche Maßnahme handelt, die kaum mehr als 10 Minuten in Anspruch nimmt.

Schutzbereich:
Art. 2 Abs. 1 GG schützt die allgemeine Handlungsfreiheit, soweit nicht die Rechte anderer verletzt werden und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen wird.

Umstritten ist, ob nur der Kernbereich der Persönlichkeit erfasst wird, damit sich der Einzelne als geistig sittliche Persönlichkeit entfalten kann (Kernbereichstheorie) oder ob der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG weiter reicht.
Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass Art. 2 Abs. 1 GG die Handlungsfreiheit umfassend schützt (allgemeine Handlungsfreiheit).

BVerfG 1957: Das Grundgesetz kann mit der „freien Entfaltung der Persönlichkeit“ nicht nur die Entfaltung innerhalb jenes Kernbereichs der Persönlichkeit gemeint haben, der das Wesen des Menschen als geistig-sittliche Person ausmacht; denn es wäre nicht verständlich, wie die Entfaltung innerhalb dieses Kernbereichs gegen das Sittengesetz, die Rechte anderer oder sogar gegen die verfassungsmäßige Ordnung einer freiheitlichen Demokratie sollte verstoßen können. Gerade diese, dem Individuum als Mitglied der Gemeinschaft auferlegten Beschränkungen zeigen vielmehr, dass das Grundgesetz in Art. 2 Abs. 1 GG die Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne meint.

BVerfG, Urteil vom 16.01.1957 - 1 BVR 253/56

Diese extensive Auslegung entspricht auch dem Wortlaut des Entwurfs des Parlamentarischen Rates zu Art. 2 Abs. 1 GG aus dem Jahr 1948/49, der aber verworfen wurde. In der Urfassung hieß es:

Jeder kann tun und lassen, was er will, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

16 Art 2 Abs. 1 GG: Allgemeines Persönlichkeitsrecht (APR)

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Polizeibezug:
Bei polizeilichen Maßnahmen, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht berühren, handelt es sich in den überwiegenden Fällen um bedeutsame Eingriffe in Persönlichkeitsrechte.

Beispiele:

  • Aktivieren einer Cockpit-Kamera zum Zwecke der Bildaufzeichnung einer

  • Verkehrskontrolle

  • Aktivieren einer Body-Cam zur Eigensicherung

  • Durchsuchung einer Person zur Eigensicherung

  • Durchführung eines Datenabgleichs

  • Durchführung von Observationen

  • Fotografieren und Videografieren von Personen

  • Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Bei allen oben genannten Eingriffen in das APR handelt es sich um polizeiliche Maßnahmen, die den Nachweis von Ermächtigungen voraussetzen, die sich aus förmlichen Parlamentsgesetzen, zum Beispiel aus dem Polizeigesetz oder aus der Strafprozessordnung ergeben.

Im Gegensatz dazu sind Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit auch auf der Grundlage von Rechtsverordnungen zulässig. Beispiel: Allgemeine Verkehrskontrollen dürfen auf der Grundlage von § 36 StVO (Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten) durchgeführt werden. Bei der StVO handelt es sich um eine Rechtsverordnung.

Schutzbereich:
Das Bundesverfassungsgericht hat zum besonderen Schutz der privaten Sphäre im inhaltlichen Zusammenhang zu Art 1 GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) fallspezifisch entwickelt. Zum Schutz der Privat-, Intim- und Sozialsphäre des Einzelnen wurden bedeutsame Rechtspositionen aus dem APR abgeleitet.

BVerfG 2019: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die freie Entfaltung der Persönlichkeit und bietet dabei insbesondere auch Schutz vor einer personenbezogenen Berichterstattung und Verbreitung von Informationen, die geeignet sind, die Persönlichkeitsentfaltung erheblich zu beeinträchtigen. Eine wesentliche Gewährleistung ist der Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken. Die Rechtsprechung hat aus dem Grundrecht insoweit verschiedene Schutzdimensionen abgeleitet wie den Schutz eines unantastbaren Bereichs privater Lebensgestaltung, die Garantie der Privatsphäre, das Recht am eigenen Bild oder gesprochenen Wort oder das Recht auf die Darstellung der eigenen Person, die soziale Anerkennung sowie die persönliche Ehre. Diese Schutzgehalte werden insoweit aber nicht als abschließend umschriebene und voneinander abzugrenzende Gewährleistungen verstanden, sondern als Ausprägungen, die in Blick auf den konkreten Schutzbedarf jeweils anhand des zu entscheidenden Falles herauszuarbeiten sind. [...]. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst nach ständiger Rechtsprechung als eigenständige Ausprägung auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Danach setzt die freie Entfaltung der Persönlichkeit unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Das Grundrecht gewährleistet damit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffenden Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden.

BVerfG, Beschluss vom 06. November 2019 - 1 BvR 16/13

Aus dem APR abgeleitete Rechtspositionen im Überblick:

  • Recht auf informationelle Selbstbestimmung (RiS)

  • Integrität informationstechnischer Systeme

  • Schutz der Ehre

  • Recht am eigenen Bild

  • Recht am eigenen Wort

  • Recht auf Gegendarstellung

  • Schutz der Intim-, Privat- und Sozialsphäre.

 17 Art 2 Abs. 1 GG: Auffangtatbestand

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Nach h. M. ist die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) als ein Auffangtatbestand ausgestaltet. Es ergänzt als „unbenanntes“ Freiheitsrecht die im GG speziell gewährten Freiheitsrechte. Der Rechtssprechung gibt dieser Auffangtatbestand die Möglichkeit, nicht im Grundgesetz enthaltenen „Freiheitsrechten“ Grundrechtsqualität zuzusprechen. Mehr dazu in der folgenden Randnummer.

BVerfG 1989: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ergänzt als „unbenanntes“ Freiheitsrecht die speziellen („benannten“) Freiheitsrechte, die, wie etwa die Gewissens- oder die Meinungsfreiheit, ebenfalls konstituierende Elemente der Persönlichkeit schützen. Seine Aufgabe ist es, im Sinne des obersten Konstitutionsprinzips der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten, die sich durch die traditionellen Freiheitsgarantien nicht vollständig erfassen lassen; diese Notwendigkeit besteht namentlich auch im Blick auf moderne Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen für den Schutz der menschlichen Persönlichkeit. Wegen der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Inhalt des geschützten Rechts nicht abschließend umschrieben, sondern seine Ausprägungen jeweils anhand des zu entscheidenden Falles herausgearbeitet. Als generellere Norm tritt Art. 2 Abs. 1 GG hinter spezieller ausgestalteten Freiheitsrechten zurück. Diese Konsequenz folgt aus dem Grundsatz der Spezialität, der als allgemeines Rechtsprinzip anerkannt ist.

BVerfG, Urteil vom 31.01.1989 - 1 BvL 17/87

Der Anwendungsbereich von Art. 2 Abs. 1 GG ist nur eröffnet, wenn andere Freiheitsrechte nicht greifen.

BVerfG 1957: Neben der allgemeinen Handlungsfreiheit, die Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet, hat das Grundgesetz die Freiheit menschlicher Betätigung für bestimmte Lebensbereiche, die nach den geschichtlichen Erfahrungen dem Zugriff der öffentlichen Gewalt besonders ausgesetzt sind, durch besondere Grundrechtsbestimmungen geschützt; bei ihnen hat die Verfassung durch abgestufte Gesetzesvorbehalte abgegrenzt, in welchem Umfang in den jeweiligen Grundrechtsbereich eingegriffen werden kann. Soweit nicht solche besonderen Lebensbereiche grundrechtlich geschützt sind, kann sich der Einzelne bei Eingriffen der öffentlichen Gewalt in seine Freiheit auf Art. 2 Abs. 1 GG berufen. Hier bedurfte es eines Gesetzesvorbehalts nicht, weil sich aus der Beschränkung der freien Entfaltung der Persönlichkeit durch die verfassungsmäßige Ordnung der Umfang staatlicher Eingriffsmöglichkeiten ohne weiteres ergibt.

BVerfG, Urteil vom 16. Januar 1957 - 1 BvR 253/5

18 Art 2 GG: Leben

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Polizeibezug:
Das Leben ist ein verfassungsrechtlich geschützter Höchstwert. Polizeibezug hat dieses Grundrecht durchaus, denn im polizeilichen Berufsalltag kann es zu Situationen kommen, in denen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte von der Schusswaffe Gebrauch machen. Welche allgemeinen Vorschriften diesbezüglich das PolG NRW enthält, wird im Folgenden zitiert:

§ 63 PolG NRW (Allgemeine Vorschriften für den Schusswaffengebrauch)
(1) Schusswaffen dürfen nur gebraucht werden, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges erfolglos angewendet sind oder offensichtlich keinen Erfolg versprechen. Gegen Personen ist ihr Gebrauch nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch Schusswaffengebrauch gegen Sachen erreicht werden kann.
(2) Schusswaffen dürfen gegen Personen nur gebraucht werden, um angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Ein Schuss, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird, ist nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist.
(3) Gegen Personen, die dem äußeren Eindruck nach noch nicht 14 Jahre alt sind, dürfen Schusswaffen nicht gebraucht werden. Das gilt nicht, wenn der Schusswaffengebrauch das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben ist.
(4) Der Schusswaffengebrauch ist unzulässig, wenn für den Polizeivollzugsbeamten erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden. Das gilt nicht, wenn der Schusswaffengebrauch das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr ist.

Der finale Rettungsschuss, also ein bewusst tödlich wirkender gezielter Schuss, zum Beispiel auf einen Geiselnehmer, ist im § 63 Abs. 2 Satz 2 PolG NRW geregelt. Losgelöst vom Gebrauch der Schusswaffe gegen Personen, sind Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte dazu verpflichtet, alles in ihren Möglichkeiten zu tun, um zum Beispiel einen Suizid zu verhindern oder Menschen, auch unter Einsatz der eigenen Gesundheit, zu retten.

Diesbezüglich wurde im August 2022, als ich diesen Text schrieb, ein polizeilicher Schusswaffengebrauch mit tödlichem Ausgang diskutiert, der sich in Dortmund ereignet hatte. Dort wurde ein 16jähriger Ausländer in Anwesenheit von mehrerer Polizeibeamten von einem Polizisten mit 5 Schüssen aus einer Maschinenpistole so schwer verletzt, der ein Messer in der Hand hielt und damit Polizeibeamte bedrohte bzw. angriff.

Es würde zu weit führen, an dieser Stelle diesen polizeilichen Schusswaffengebrauch näher zu erörtern, denn dazu gäbe es sehr viel zu schreiben und zu sagen.
Vielleicht macht ja der folgende Text deutlich, worum es beim polizeilichen Einschreiten im Ernstfall tatsächlich geht:

Anlass: 1921 wurde in Schwelm anlässlich einer allgemeinen Verkehrskontrolle auf die kontrollierenden Beamten geschossen. Zwei Polizistinnen, die sich ebenfalls am Kontrollort befanden, entfernten sich vom Einsatzort, ohne ihren Kollegen zu helfen, auf die geschossen wurde.

Die Richterin des AG Schwelm, die über dieses Verhalten der beiden Polizeibeamten zu urteilen hatte, bewertete dieses "Angstverhalten" sinngemäß wie folgt:
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die sich, ohne ihren Berufskollegen zu helfen, auf die geschossen wird, vom Einsatzort entfernen, um sich keinen „unnötigen“ Gefahren auszusetzen, müssen damit rechnen, aus dem Polizeivollzugsdienst wegen mangelnder Bereitschaft, Berufsgefahren hinzunehmen, entfernt zu werden.

Mit Urteil vom 16.11.2121 – 59 Ls 25/20 verurteilte die Richterin des AG Schwelm diese beiden Polizeibeamtinnen, die sich einer für sie lebensbedrohenden Gefahr entzogen hatten und sozusagen ihre Kollegen sich selbst überließen, auf die geschossen wurde, zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung.
Dieses Strafmaß bedeutet für die beiden Polizeibeamtinnen, falls die von ihnen eingelegten Beschwerden erfolglos bleiben sollten, dass sie aus dem Polizeidienst entlassen werden.

Schutzbereich:
Das Recht auf Leben ist nicht nur ein Abwehrrecht gegen den Staat, sondern ein verfassungsrechtlicher Höchstwert, der umfassende staatliche Schutzpflichten auslöst, die besonders ernst genommen werden müssen. Im Zusammenhang mit Fragen, die die Verschärfung des Waffenrechts betrafen, nahmen die Richter des BVerfG hinsichtlich der Schutzpflicht des Staates, menschliches Leben schützen zu müssen, 2013 wie folgt Stellung:

BVerfG 2013: Die Schutzpflicht gebietet dem Staat, sich schützend und fördernd vor gefährdetes menschliches Leben zu stellen, es insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen Dritter zu bewahren. Eine solche Schutzpflicht besteht auch hinsichtlich der Missbrauchsgefahren, die vom Umgang mit Schusswaffen ausgehen. Bei der Erfüllung dieser Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kommt dem Gesetzgeber wie der vollziehenden Gewalt jedoch ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Die Entscheidung, welche Maßnahmen geboten sind, kann nur begrenzt nachgeprüft werden. Das Bundesverfassungsgericht kann eine Verletzung der Schutzpflicht daher nur dann feststellen, wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen hat oder die ergriffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen. Nach diesem Maßstab können die Vorschriften des Waffengesetzes, die den Umgang mit Waffen und Munition unter Berücksichtigung der Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung regeln (§ 1 Abs. 1 WaffG), von Verfassungswegen nicht beanstandet werden.

Beschluss vom 23. Januar 2013 - 2 BvR 1645/10

19 Art 2 GG: Körperliche Unversehrtheit

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Polizeibezug:
Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit wird verletzt, wenn eine Person mehr als unbedeutend in ihrem körperlichen Wohlbefinden beeinträchtigt wird. In Anlehnung an die im Strafrecht übliche Begriffsdefinition handelt es sich bei einer körperlichen Misshandlung um eine üble, unangemessene (sozialwidrige) Behandlung, die entweder das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit eines anderen nicht nur ganz unerheblich beeinträchtigt.

Als körperliches Wohlbefinden gilt der Zustand, der vor der Einwirkung vorhanden war. Wenn das Opfer vor der Einwirkung bereits krank oder verletzt war oder sich unwohl gefühlt hat, kann dieses „Wohlbefinden“ zusätzlich negativ beeinträchtigt werden.
Von einer körperlichen Misshandlung kann in der Regel ausgegangen werden:
Wenn einem anderen z.B. durch Schlagen, Boxen, Treten, Kneifen, Stoßen oder Würgen Schmerzen zugefügt werden.

Wenn bei einem anderen Ekelgefühle hervorgerufen oder gesteigert werden.
Lediglich unerhebliche Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens sind in der Regel keine Körperverletzungen, zum Beispiel:

  • Leichte Druckstellen am Oberarm

  • Kleinere Rempler

  • Ein leichter Stoß vor die Brust etc.

  • Befindlichkeitsstörungen.

 Ausnahme: Bei der Entnahme einer Blutprobe durch einen approbierten Arzt, die von der Polizei angeordnet wird, handelt es sich um einen kaum spürbaren Eingriff in die körperliche Unversehrtheit einer Person. Dennoch handelt es sich bei der Maßnahme der Entnahme einer Blutprobe um einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Vergleichbares gilt auch, wenn das äußere Erscheinungsbild einer Person verändert wird.

Warum?

Bei der Polizei handelt es sich um eine Institution, die mit Hoheitsgewalt ausgerüstet ist, also Zwang anwenden darf, wenn das die Gesetze zulassen. Auch wenn die Entnahme einer Blutprobe durch einen approbierten Arzt in der Regel als ein unbedeutender Eingriff in die körperliche Unversehrtheit anzusehen ist, handelt es sich dabei dennoch um einen Eingriff in dieses Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, weil es sich bei der Eingriffsbefungnis die zur Anwendung kommt, siehe § 81a StPO (Körperliche Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher Eingriffe) um eine Zwangsbefugnis handelt .

Wie dem auch immer sei. Es würde zu weit führen, alle Möglichkeiten auch nur zu benennen, die es Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte erlauben, Zwang anzuwenden, was in den weitaus meisten Fällen mit Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit verbunden sein dürfte.

Im März 2022 schrieb der UN-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, die Bundesregierung an, weil es nach seinem Kenntnisstand anlässlich von Corona-Demonstrationen in Deutschland zu exzessiver polizeilicher Gewaltanwendung gekommen sei. In seinem Schreiben heißt es u.a.: „Dem vorliegenden Videomaterial nach zu urteilen scheint die deutsche Polizei einen übermäßig freizügigen und harten Ansatz zu verfolgen, wobei sie überwältigende körperliche Gewalt bereits sehr niedrigschwellig zum Einsatz bringt. Insbesondere die Standardpraxis der deutschen Polizei, ungehorsame, aber gewaltlose Demonstranten zu Boden zu zwingen oder zu werfen, verstößt gegen die Erfordernisse der abgestufter Gewaltanwendung und bringt unnötige und unverhältnismäßige Risiken von Körperverletzungen sowie unnötige Demütigungen mit sich.“

Diese Ausführungen machen deutlich, dass bei dem Thema „Polizeigewalt“ zwangsläufig Bereiche berührt werden, die Menschenrechte berühren. Im Artikel 2 Abs. 2 GG heißt es: (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
Schutzbereich.

Art 2 GG gewährleistet das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Auch bei diesem Grundrecht handelt es sich um ein Abwehrrecht, das den Einzelnen vor staatlichen Eingriffen schützt. Im Zusammenhang mit dem Genehmigungsverfahren für das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich, äußerten sich die Richter des BVerfG 1979 zum Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit wie folgt:

BVerfG 1979: Als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab kommt das in Art. 2 Abs. 2 GG gewährleistete Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Verbindung mit dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz in Betracht. Nach anerkannter Rechtsprechung schützt dieses Grundrecht nicht nur als subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe. Vielmehr folgt darüber hinaus aus seinem objektiv-rechtlichen Gehalt die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die darin genannten Rechtsgüter zu stellen und sie insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren.

BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 1979 – 1 BvR 385/77

20 Art 2 GG: Freiheit der Person

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Polizeibezug:
Wie bereits schon an anderer Stelle festgestellt, handelt es sich beim Anhalten einer Person zur Durchführung von Kontrollmaßnahmen nicht um Eingriffe in deren körperliche Bewegungsfreiheit, sondern – wegen der Geringfügigkeit einer durch Anhalten bedingten Ortsbindung – um Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit.
Eingriffe in die Bewegungsfreiheit einer Person, die Art 2 Abs. 2 GG schützt, beginnen in der Regel erst dort, wo eine Person festgehalten wird, es ihr also nicht mehr erlaubt wird, einen Ort zu verlassen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Person zur Abwehr einer Gefahr in Polizeigewahrsam genommen, zur Feststellung ihrer Identität zur Polizeistation verbracht wird oder oder zur Verfolgung einer Straftat vorläufig festgenommen wird.

Eingriffe in die Bewegungsfreiheit einer Person sind zum Beispiel gegeben, wenn von der Polizei Personen:

  • Festgehalten werden, um deren Identität festzustellen

  • Gegen ihren Willen mit einem Streifenwagen zur Polizeistation gebracht werden
    In eine Gewahrsamszelle eingeliefert werden

  • Von der Polizei anlässlich von Demonstrationen „eingekesselt“ werden
    Festgehalten werden, um eine Soforteinweisung in ein Landeskrankenhaus zu ermöglichen

  • In Abschiebehaft genommen werden.

Eingriffe in die Bewegungsfreiheit einer Person sind auch dann anzunehmen, wenn es einer Person verboten wird, Orte zu betreten, die diese Person „normalerweise“ betreten darf. Das ist der Fall, wenn Personen:

  • Von der Polizei aufgrund häuslicher Gewalt aus ihrer Wohnung für die Dauer von 10 Tage verwiesen werden

  • Aufenthaltsvorgaben und Kontaktverbote zu beachten haben
    Elektrische Fußfesseln tragen müssen, die immer dann aktiv werden, wenn „verbotenes Terrain“ betreten wird.

 Schutzbereich:
Vom Schutzbereich "Freiheit der Person" ist unstreitig die körperliche Bewegungsfreiheit und das damit verbundene Recht erfasst, sich von jedem beliebigen Ort ohne Behinderung entfernen zu können (enge Auslegung) und/oder Orte aufsuchen zu können, die allgemein oder rechtlich zugänglich sind, sofern Gesetze das nicht verbieten.

BVerfG 1996: Das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG schützt die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen. Sein Gewährleistungsinhalt umfasst von vornherein nicht eine Befugnis, sich unbegrenzt überall aufhalten und überall hinbewegen zu dürfen. Demgemäß liegt eine Freiheitsbeschränkung nur vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort oder Raum aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich ist. Der Tatbestand einer Freiheitsentziehung (Art. 104 Abs. 2 GG) kommt ohnehin nur in Betracht, wenn die - tatsächlich und rechtlich an sich gegebene - körperliche Bewegungsfreiheit durch staatliche Maßnahmen nach jeder Richtung hin aufgehoben wird.

BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93

Gemäß Art 2 Abs. 2 GG darf in die Freiheit der Person nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. Art 104 Abs. 1 Satz 1 GG stellt klar, dass dazu ein förmliches Parlamentsgesetz erforderlich ist.

Art 104 Abs. 1 Satz 1 GG
(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden.
Sowohl bei den Polizeigesetzen als auch bei der StPO, auf deren Grundlage Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit zulässig sind, handelt es sich um förmliche Gesetze (Parlamentsgesetze).

Freiheitsbeschränkung oder Freiheitsentziehung

Art. 104 GG unterscheidet zwischen Freiheitsbeschränkung und Freiheitsentziehung.
Nicht vom Schutzbereich erfasst sind demnach Einwirkungen, die die Merkmale einer Freiheitsbeschränkung (noch) nicht erfüllen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Personen zu Kontrollzwecken lediglich angehalten werden (Allgemeine Verkehrskontrollen, Befragungen etc.).

Für Freiheitsbeschränkungen und Freiheitsentziehungen ist ein förmliches Gesetz erforderlich. Freiheitsentziehungen stehen unter Richtervorbehalt. Einwirkungen, die die Merkmale einer Freiheitsbeschränkung (noch) nicht erfüllen, sind auch aufgrund materieller Gesetze (Rechtsverordnungen, Satzungen, ordnungsbehördliche Verordnungen) zulässig.

Das BVerfG stellt auf die Intensität des Eingriffs ab. Danach ist Freiheitsbeschränkung (Art 104 Abs. 1 GG) der Oberbegriff; Freiheitsentziehung ist die schwerste Form der Freiheitsbeschränkung.

BVerfG 2002: Der Tatbestand der Freiheitsentziehung kommt nur in Betracht, wenn die - tatsächlich und rechtlich an sich gegebene - körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird. [...]. Freiheitsbeschränkung (Art. 104 Abs. 1 GG) und Freiheitsentziehung (Art. 104 Abs. 2 GG) grenzt das Bundesverfassungsgericht nach der Intensität des Eingriffs ab. Freiheitsentziehung ist die schwerste Form der Freiheitsbeschränkung. Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich ist. Der Tatbestand der Freiheitsentziehung kommt nur in Betracht, wenn die - tatsächlich und rechtlich an sich gegebene - körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird. 3. Für den schwersten Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person, die Freiheitsentziehung, fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des (förmlichen) Gesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht. Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird.

BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 2002 - 2 BvR 2292/00

Dem entspricht auch die Legaldefinition „Freiheitsentziehung“ in § 415 Abs. 2 FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit).

§ 415 Abs. 2 FamFG (Freiheitsentziehungssachen)
(2) Eine Freiheitsentziehung liegt vor, wenn einer Person gegen ihren Willen oder im Zustand der Willenlosigkeit insbesondere in einer abgeschlossenen Einrichtung, wie einem Gewahrsamsraum oder einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses, die Freiheit entzogen wird.

21 Art 3 GG: Gleichheit vor dem Gesetz

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Polizeibezug:
Die Gleichheit vor dem Gesetz als einen Rechtsanspruch zu verstehen, der von genereller Bedeutung ist, lässt sich leicht nachvollziehen. Eine ganz andere Frage hingegen ist die Umsetzung dieses „Gleichheitsgebotes“ im polizeilichen Berufsalltag, zumal es dort eine Vielzahl von Situationen gibt, in denen es wirklich schwerfällt, den polizeilichen Gegenüber in der jeweils vorgefundenen Situation so respektvoll und somit „gleich“ zu behandeln, wie dies das Menschenbild des Grundgesetzes einfordert, denn Art 3 GG gewährleistet nicht nur die Gleichheit vor dem Gesetz, sondern verbietet zugleich auch Diskriminierungen jeglicher Art. Dazu gleich mehr. Zuerst gilt es zu klären, was unter dem „allgemeinen Gleichheitsgrundsatz“ zu verstehen ist.

Schutzbereich:

BVerfG 2013: Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln sowie wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird. [...]. Eine Norm verletzt danach den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn durch sie eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten verschieden behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können.

BVerfG, Beschluss vom 07. Mai 2013 - 2 BvR 909/06

22 Art 3 GG: Diskriminierungsverbot

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Polizeibezug:

Art 3 Abs. 3 GG:
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Diese Textstelle im Artikel 3 des Grundgesetzes hat deshalb einen engen Bezug zur Polizei, weil ihr nicht erst seit den vielen Black-Matters-Demonstrationen im Juni 2022 diskriminierendes Verhalten von farbigen Menschen vorgeworfen wurde.
Nur zu Ihrer Erinnerung: Die Ermordung des US-Amerikaners George Floyd durch einen US-Polizisten am 25. Mai 2020 in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota, der vor laufender Kamera den farbigen US-Amerikaner George Floyd am Boden fixiert, und ihm dabei das Atmen unmöglich gemacht hatte, löste auch in Deutschland nicht nur eine Debatte über Rassismus, sondern auch eine Vielzahl von Demonstrationen aus, auf denen auch der deutschen Polizei vorgeworfen wurde, sich gegenüber farbigen Menschen diskriminierend zu verhalten.

Diese Vorwürfe sind ernst zu nehmen und machen es erforderlich, innerhalb der Organisation Polizei eine „Demokratiekultur“ zu kultivieren, die solche Vorwürfe gegenstandslos werden lässt. Das setzt aber nicht nur ein anderes Miteinander, sondern auch eine andere Führungskultur im Personalkörper voraus, das Diskriminierungen jeglicher Art zu Regelverletzungen erklärt. Das aber wird nicht einfach sein, denn Respekt lässt sich nicht anordnen, wohl aber erfahren, was natürlich auch für erlebte Respektlosigkeiten gilt. Anders ausgedrückt: Wer selbst wertgeschätzt wird, kann auch andere wertschätzen. Wo diese Wertschätzung verweigert, oder nur unzureichend erlebt wird, entwickeln sich zwangsläufig auch Verhaltensweisen, die sich darin äußert, dass mangelnde erlebte Wertschätzung einfach an andere weitergegeben wird. So ist das Leben.

Schutzbereich:
Diesbezüglich ist Art 3 Abs. 3 GG einschlägig und unmissverständlich formuliert. Dennoch: Zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit besteht ein nicht zu leugnender großer Unterschied:

Im Koalitionsvertrag, den die SPD mit den GÜNEN und der FDP 2021 abgeschlossen hat, heißt es diesbezüglich wie folgt:

Koalitionsvertrag 2021: Bürgernähe und eine transparente Fehlerkultur werden wir stärken, indem wir die Aus- und Fortbildung bei der Polizei weiterentwickeln und noch intensiver die Grundsätze der freiheitlich demokratischen Grundordnung, insbesondere der Grund- und Menschenrechte, vermitteln. Damit beugen wir auch der Entstehung und der Verfestigung von Vorurteilen, Diskriminierungen und radikalen Einstellungen vor. Die in anderen Bereichen bewährte Sicherheitsüberprüfung von Bewerberinnen und Bewerbern weiten wir aus und stärken so die Resilienz der Sicherheitsbehörden gegen demokratiefeindliche Einflüsse. In diesem Zusammenhang sorgen wir auch für die Ausweitung von Supervisionsangeboten. Wir führen eine unabhängige Polizeibeauftragte bzw. einen unabhängigen Polizeibeauftragten für die Polizeien des Bundes als Anlaufstelle beim Deutschen Bundestag mit Akteneinsichts- und Zutrittsrechten ein. Wir führen die pseudonyme Kennzeichnung von Polizistinnen und Polizisten ein.

Racial Profiling ist rechtswidrig.

OVG Koblenz 2016: Die Richter des OVG entschieden, dass die Kontrolle einer dunkelhäutigen Familie in einem Zug durch Beamte der Bundespolizei rechtswidrig gewesen ist. Die Beamten hatten in einem Zug deutsche Staatsangehörige mit dunkler Hautfarbe kontrolliert und deren Daten abgeglichen. Im Anschluss daran hatten die Beamten das Abteil wieder verlassen.

OVG Koblenz, Urteil vom 21.04.2016 - Az. 7 A 11108/14.OVG

23 Art 4 GG: Glaubens und Gewissensfreiheit

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Polizeibezug
Beide Begriffe „Glauben“ und „Gewissen“ entziehen sich weitgehend einer Definition. In jedem Fall handelt es sich um ethische Grundüberzeugungen, die menschlichem Handeln zugrunde liegen. Diese Grundrechte sind aus Sicht der Polizei deshalb von Bedeutung, weil es bei Andersdenkenden die Bereitschaft voraussetzt, sich sozusagen in das Weltbild von Personen „hineinversetzen“ zu können/wollen, dessen Weltbild einem fremd ist oder, Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte ihnen dieses „Verstehen“ Probleme bereitet.

Schutzbereich:
Zwei Zitate aus höchstrichterlichen Entscheidungen fordern sozusagen dazu auf, über zwei Grundrechte nachzudenken, die für Menschen von essentieller Bedeutung sind.

BVerfG 1962: Das Grundgesetz sieht die freie menschliche Persönlichkeit und ihre Würde als höchsten Rechtswert an. So hat es folgerecht in Art. 4 Abs. 1 die Freiheit des Gewissens und seiner Entscheidungen, in denen sich die autonome sittliche Persönlichkeit unmittelbar ausspricht, als „unverletzlich“ anerkannt. Auf diesem Grundsatz beruht auch Art. 4 Abs. 3 GG. Er hat die Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG nicht nur zur allgemeinen (ideologischen) Voraussetzung. Er nimmt den Begriff des freien Gewissens wieder auf, erhebt ihn also zum eigenen normativen Bestandteil; er garantiert selbst die Freiheit einer Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe und verspricht, sie zu achten. In der Konfliktslage zwischen der Gemeinschaft, die hier mit einer besonders ernsten Forderung an ihre Bürger herantritt, und dem Einzelnen, der nur seinem Gewissen folgen will, räumt die Verfassungsnorm dem Schutz des freien Einzelgewissens in bemerkenswert weitgehender Weise den Vorrang ein. Das ist einem Staate angemessen, der eine Gemeinschaft freier Menschen sein will und gerade in der Möglichkeit freier Selbstbestimmung des Einzelnen einen gemeinschaftsbildenden Wert erkennt. „Gewissen“ wird in Art. 4 GG - das zeigt auch die Entstehungsgeschichte - im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs verstanden. Das Verfassungsrecht geht davon aus, dass die Grundlagen des politischen Zusammenlebens einheitlich für alle Staatsbürger zu bestimmen sind. Verfassungsbegriffe sind daher für alle Bekenntnisse und Weltanschauungen gleich zu interpretieren. Die Aufgabe der Verfassungsorgane ist es, die Einheitlichkeit der Rechtsordnung für alle Staatsbürger zu gewährleisten. „Gewissen“ im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs und somit auch im Sinne des Art. 4 Abs. 3 GG ist als ein (wie immer begründbares, jedenfalls aber) real erfahrbares seelisches Phänomen zu verstehen, dessen Forderungen, Mahnungen und Warnungen für den Menschen unmittelbar evidente Gebote unbedingten Sollens sind. [...]. Eine Gewissensentscheidung wird - das folgt aus ihrem Wesen - stets angesichts einer bestimmten Lage getroffen, in der es innerlich unabweisbar wird, sich zu entscheiden; der Ruf des Gewissens wird dem Einzelnen vernehmbar als eine sittliche und unbedingt verbindliche Entscheidung über das ihm gebotene Verhalten. In diesem Sinn ist die Gewissensentscheidung wesenhaft und immer „situationsbezogen“; dass sie zugleich „normbezogen“ sein kann, etwa wenn es sich um die Bewährung einer grundsätzlichen weltanschaulichen Überzeugung oder Glaubenshaltung handelt, wird damit nicht geleugnet, denn dabei geht es um die besondere Frage, welche Maßstäbe und Einflüsse auf das Zustandekommen der Entscheidung (bewusst oder unbewusst) einwirken. Als eine Gewissensentscheidung ist somit jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von „Gut“ und „Böse“ orientierte Entscheidung anzusehen, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte.

BVerfG, Beschluss vom 20.12.1960 - 1 BvL 21/60

In diesem Sachzusammenhang trägt es zum Verstehen unterschiedlicher und zu Teil sich sogar ausschließender Standpunkte bei, sich auch mit der Position der Richter des Bundesverfassungsgerichts auseinanderzusetzen, die den „zivilen Ungehorsams“ betreffen.

BVerfG 1986: Unter zivilem oder bürgerlichem Ungehorsam wird - im Unterschied zum Widerstandsrecht gegenüber einem Unrechtssystem - ein Widerstehen des Bürgers gegenüber einzelnen gewichtigen staatlichen Entscheidungen verstanden, um einer für verhängnisvoll und ethisch illegitim gehaltenen Entscheidung durch demonstrativen, zeichenhaften Protest bis zu aufsehenerregenden Regelverletzungen zu begegnen. In den Stellungnahmen der Friedens- und Konfliktforschungsinstitute sowie in der Literatur ist ausgeführt worden, dass Anlass zu solchen Aktionen nur eine Angelegenheit von wesentlicher allgemeiner Bedeutung, insbesondere die Abwendung schwerer Gefahren für das Gemeinwesen sein könne; dabei gehe es in Fällen der vorliegenden Art nicht um eine faktische Verhinderung des Protestanlasses, insbesondere nicht um eine effektive Lähmung staatlicher Funktionen, sondern um ein dramatisches Einwirken auf den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung; kennzeichnend sei stets, dass der Ungehorsam unbedingt gewaltfrei und damit unter Ausschluss jeden Risikos für andere auszuüben sei, ferner öffentlich und demgemäß prinzipiell kalkulierbar und im Übrigen zeitlich und örtlich verhältnismäßig im Sinne praktischer Konkordanz unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände. Die Respektierung derartiger Aktionen hat der Bundesgerichtshof in der Laepple-Entscheidung als unvereinbar mit den Grundprinzipien des demokratischen Rechtsstaats abgelehnt. Dem ist im Schrifttum zugestimmt worden mit der Begründung, ziviler Ungehorsam sei Rechtsbruch, verletze die innerstaatliche Friedenspflicht, verstoße gegen das Prinzip der Gleichheit aller vor dem Gesetz und setze sich über das Mehrheitsprinzip hinweg, das für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen konstituierend sei. Demgegenüber wird seitens der Friedensforschungsinstitute und Konfliktforschungsinstitute darauf verwiesen, das Konzept des zivilen Ungehorsams sei in den gereifteren angelsächsischen Demokratien im Bewusstsein der Unvollkommenheiten des demokratischen Willensbildungsprozesses als eines Prozesses von trial and error entwickelt worden. Die erwähnte Denkschrift der EKD, die in anderem Zusammenhang entschieden für eine Ethik der Rechtsbefolgung durch Bürger und Amtsinhaber eintritt, warnt davor, die Ernsthaftigkeit und Herausforderung, die in Aktionen des zivilen Ungehorsams liege, durch Hinweise auf die Legalität und Legitimität des parlamentarischen Regierungssystems und seiner Mehrheitsentscheidungen abzutun; auch wenn die Aktionen rechtswidrig seien und den dafür vorgesehenen Sanktionen unterlägen, seien sie als Anfrage an Inhalt und Form demokratischer Entscheidungen ernst zu nehmen.

BVerfG, Urteil vom 11.11.1986 - 1 BvR 713/83

Diese Ausführungen lassen es zu, sich in handlungsbestimmende Wirklichkeiten von Menschen hineinversetzen zu können. Auf jeden Fall lassen es die Zitate zu, darüber nachzudenken, was es heißt, in einer offenen Gesellschaft, die sich als ein freiheitlich demokratische Grundordnung versteht, sich zumindest demokratieverstehend zu verhalten. Mit der ganzen Härte des Gesetzes lassen sich weder der "zivile Ungehorsam" noch die Überzeugungen von Andersdenkenden "bekämpfen". Im Gegenteil, je mehr Härte, umso größer die Anzahl der Demokratieverweigerer.

Die Frage, die sich nunmehr stellt, lautet: Wie stellen Sie sich die zukünftige Polizei vor?

Im Rahmen dieses Kurses werde ich diese Frage hin und wieder aufwerfen, beantworten möchte ich sie aber an dieser Stelle nicht, denn dazu wäre wirklich sehr viel zu schreiben.

24 Art 5 GG: Meinungsfreiheit

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Polizeibezug:
Die Meinungsfreiheit gehört in einer offenen Gesellschaft zu den Grundbedingungen ihres Funktionierens. Dass es beim Gebrauch der Meinungsfreiheit auch zu Grenzüberschreitungen kommen kann, gehört aus Sicht der Polizei sozusagen zum polizeilichen Berufsalltag. Unbestreitbar ist, dass einschreitende Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte anlässlich von Demonstrationen, aber nicht nur dort, oftmals als Nazis, Faschisten, Rassisten oder mit anderen Worten ehrverletzend bezeichnet werden. Auch das Akronym A.C.A.B. (All Cops Are Bastards) kommt Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten zumindest irgendwie vertraut vor. Ob solch ein Akronym als eine Beleidigung von Einsatzkräften angesehen werden kann, darüber ist sich die Rechtsprechung bis heute noch nicht einig.

Die Meinungsfreiheit wird auch im Internet, in sozialen Medien, in Foren und auch in Chaträumen auf eine Art und Weise zum Ausdruck gebracht, die gegen geltendes Recht verstößt. Beleidigungen gehören im Netz fast schon zum guten Ton. Das gilt für volksverhetzende Inhalte gleichermaßen.

Die Meinungsfreiheit ist für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte aber auch deshalb bedeutsam, weil Beamte sowohl innerhalb als auch außerhalb ihres Dienstes sich bei politischer Betätigung mäßigen müssen und Zurückhaltung zu wahren haben, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Gesamtheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben.

Diesbezüglich heißt es im Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) wie folgt:

§ 33 Abs. 2 BeamtStG (Grundpflichten)
(2) Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt.

Schutzbereich:
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit ist sehr umfangreich. Die nachfolgenden Zitate machen deutlich, welchen Stellenwert die Meinungsfreiheit in einer offenen Gesellschaft hat und was zum Schutzbereich dieses Grundrechts gehört.

BVerfG 1958: Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt (un des droits les plus precieux de l’homme nach Artikel 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789). Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist. Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt, „the matrix, the indispensable condition of nearly every other form of freedom“ (Cardozo).

BVerfG, Beschluss vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51

BVerfG 1966: Das durch Art. 5 GG gewährleistete Recht der freien Meinungsäußerung, Presse-, Rundfunk-, Fernseh- und Filmfreiheit sind für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend. Art. 5 GG garantiert auch die freie Bildung der öffentlichen Meinung. Aus dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung ergibt sich ein grundsätzliches Recht der freien politischen Betätigung. Meinungsfreiheit, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Petitionsrecht sichern die Freiheit der Meinungs- und Willensbildung des Volkes. Art. 21, 38 und 28 GG schützen zusätzlich die freie Willensbildung des Volkes.

BVerfG, Urteil vom 19.07.1966 – 2 BvF 1/65

BVerfG 1985: Der Begriff der „Meinung“ in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist grundsätzlich weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, fällt sie in den Schutzbereich des Grundrechts (BVerfGE 61, 1 [9]).

BVerfG, Beschluss vom 19.11.1985 – 1 BvR 934/82

25 Art 6 GG: Familie und Erziehung der Kinder

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Polizeibezug:
Im polizeilichen Berufsalltag ist es nicht ungewöhnlich, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte mit Lebenssituationen konfrontiert werden, in denen sie sich fragen, ob Kinder dort leben sollten, wo sie von einschreitenden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten zum Beispiel anlässlich von Familienstreitigkeiten angetroffen werden. Es kommt auch vor, dass Minderjährige zur Polizei kommen und um Schutz ersuchen, weil sie es zu Hause einfach nicht mehr aushalten. Auch um Kinder und Jugendliche, die von zu Hause weggelaufen sind, hat sich die Polizei zu kümmern, wenn die als „vermisst“ gemeldeten Minderjährigen aufgegriffen werden. In solchen Fällen werden Minderjährige in Polizeigewahrsam genommen und in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt wird dann zuerst einmal nach einer kurzfristigen Lösungen gesucht, die den Verbleib von vermissten oder von zu Hause weggelaufenen Minderjährigen betreffen. Diesbezüglich heißt es zum Beispiel im § 42 SGB VIII wie folgt:

§ 42 Abs. 1 SGB VIII (Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen)
(1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn
1. das Kind oder der Jugendliche um Obhut bittet oder
2. eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert und
a) die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oder
b) eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann oder
3. ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten.

Längerfristig wirkende Maßnahmen fallen nicht in den Zuständigkeitsbereich der Polizei, dafür sind die Jugendämter zuständig. Polizeiliche Feststellungen machen es aber oftmals erforderlich, die Jugendämter von Zuständen in Kenntnis zu setzen, die deren Einschreiten erforderlich macht. Aus diesem Grund ist die Zusammenarbeit zwischen der Polizei und den Jugendämtern in NRW durch einen Erlass geregelt.

Dort heißt es u.a.:

3.3.2
Zusammenarbeit mit den Jugendämtern
Der Kontakt zu den Jugendämtern sollte besonders eng sein. Sie werden über jugendgefährdende Orte sowie über gefährdete Kinder und Jugendliche unterrichtet. Das Jugendamt ist unverzüglich zu verständigen, wenn erzieherische Maßnahmen schon während der polizeilichen Ermittlungen notwendig erscheinen. Die Bewährungshilfe sollte bereits informiert werden, wenn aufgrund polizeilicher Feststellungen zu befürchten ist, dass von ihr Betreute wieder in die Kriminalität abzugleiten drohen. [...]. Die Polizei unterstützt die Ordnungs- und Jugendbehörden bei der Überwachung der Bestimmungen des Jugendschutzgesetzes, um Gefährdungen zu verhindern, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl von Kindern und Jugendlichen bedrohen. Bei Gefährdungen für Kinder und Jugendliche trifft die Polizei die unaufschiebbar notwendigen Maßnahmen im Rahmen ihrer Zuständigkeit. Sie wirkt auf intervenierende Maßnahmen originär zuständiger Behörden hin.

Schutzbereich:
Die nachfolgenden Zitate aus Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts machen deutlich, dass sich das Vorstellungsbild einer Familie, so wie sie im Artikel 6 GG zumindest angedeutet ist, im Laufe von 70 Jahren Grundgesetz gravierend gewandelt hat. Aber schon damals, als 1948/49 der Parlamentarische Rat über das Grundgesetz beriet, kam es hinsichtlich des Inhalts dieses Grundrechts zu handfesten Streitigkeiten, weil die Vorstellungsbilder bereits damals einfach zu unterschiedlich waren. Fast wären die Beratungen im Parlamentarischen Rat an dem "Vorstellungsbild der Familie" gescheitert.

Die folgenden Zitate lassen erahnen, was heute zum Schutzbereich des Artikels 6 GG gehört.

BVerfG 1957: Art 6 Abs. 1 GG ist nicht nur ein „klassisches Grundrecht“ zum Schutze der spezifischen Privatsphäre von Ehe und Familie sowie Institutsgarantie, sondern darüber hinaus zugleich eine Grundsatznorm, das heißt eine verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts.

BVerfG, Beschluss vom 17.01.1957 – 1 BvL 4/54

BVerfG 2002: Der besondere Schutz der Ehe in Art 6 Abs. 1 GG hindert den Gesetzgeber nicht, für die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft Rechte und Pflichten vorzusehen, die denen der Ehe gleich oder nahe kommen.

BVerfG, Urteil vom 17.05.2002 - 1 BvF 1/01

BVerfG 2009: Es ist verfassungsrechtlich nicht begründbar, aus dem besonderen Schutz der Ehe abzuleiten, dass andere Lebensgemeinschaften im Abstand zur Ehe auszugestalten und mit geringeren Rechten zu versehen sind.

BVerfG, Beschluss vom 07.05.2009 - 1 BvR 1164/07

BVerfG 2013: Zwei Personen gleichen Geschlechts, die gesetzlich als Elternteile eines Kindes anerkannt sind, sind auch im verfassungsrechtlichen Sinne Eltern (Art 6 Abs. 2 Satz 1 GG). [...]. Leben eingetragene Lebenspartner mit dem leiblichen oder angenommenen Kind eines Lebenspartners in sozial-familiärer Gemeinschaft, bilden sie mit diesem eine durch Art 6 Abs. 1 GG geschützte Familie im Sinne des Grundgesetzes. Auch im Vergleich zur Situation leiblicher Kinder eingetragener Lebenspartner ist die Ungleichbehandlung adoptierter Kinder eingetragener Lebenspartner nicht zu rechtfertigen. Zwischen der Adoption eines leiblichen Kindes des eingetragenen Lebenspartners und der Adoption eines angenommenen Kindes des eingetragenen Lebenspartners bestehen keine Unterschiede solcher Art, die die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnten.

BVerfG, Urteil vom 19.02.2013 - 1 BvL 1/11

Hinweis: Im Familienreport des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2020 heißt es:

Die Familie ist 2019 für 77 Prozent der Bevölkerung nach wie vor der wichtigste Lebensbereich, noch vor dem Beruf und dem Freundeskreis. Bei Eltern mit minderjährigen Kindern sind es sogar 91 Prozent. In den zurückliegenden Jahren ist die Wertschätzung der Familie konstant hoch geblieben und seit 2006 nahezu unverändert.

Trotzdem: Die klassische Vater-Mutter-Kind-Familie kann in Deutschland nicht mehr als häufigste Form des Zusammenlebens verstanden werden.

26 Art 7 GG: Schulpflicht

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Polizeibezug:
Bei der Durchsetzung der Schulpflicht handelt es sich nicht um eine polizeiliche Aufgabe, dafür sind die Schulen selbst verantwortlich. Dennoch können auch Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten mit der Durchsetzung der Schulpflicht konfrontiert werden, dann nämlich, wenn der Dienstherr von seiner Polizei erwartet, in Kaufhäusern und anderen Lokalitäten nach Schulpflichtigen zu suchen, die eigentlich im Unterricht sein müssten.

Die Erwartungshaltung des Dienstherrn kann sogar so weit gehen, dass er von der Polizei erwartet, in Flughäfen Personen zu kontrollieren, um dort die Identität von Personen festzustellen, die in Begleitung von schulpflichtigen Kindern sozusagen kurz vor Ferienbeginn in den Urlaub fliegen wollen. Solche Polizeieinsätze hat es gegeben, die dann aber berechtigterweise die Frage aufgeworfen haben, ob das wirklich eine polizeiliche Aufgabe ist.

Unabhängig davon ist die Schule heute aber durchaus auch als ein Ort anzusehen, an dem Straftaten verübt bzw. vorbereitet werden. Das macht eine Zusammenarbeit zwischen Polizei und Schulen unvermeidbar. Diesbezüglich heißt es in dem Erlass „Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität“ in NRW wie folgt:

4.2
Schule
Themen der Kriminalprävention, insbesondere zur Vermeidung von Gewalt, Diskriminierung, politisch motivierter Straftaten sowie Drogenkonsum beziehungsweise Erläuterungen des Betäubungsmittelrechts und Cybercrime, sind in der Schule zu behandeln. Dazu können Angebote vor allem von Polizei, Jugendamt, Schulpsychologie sowie Einrichtungen der Sucht- und Drogenhilfe und allgemeine Beratungsstellen genutzt werden. Vertrauensbildend sind regelmäßige anlassunabhängige Besuche oder Sprechstunden der Polizei und des Jugendamts in den Schulen.

4.2.2
Straftaten an der Schule oder im schulischen Kontext
Besteht gegen Schülerinnen oder Schüler der Verdacht der Begehung eines Verbrechens, so hat die Schulleitung die Strafverfolgungsbehörden zu benachrichtigen. Für den Fall des Verdachts eines Vergehens prüft die Schulleitung, ob pädagogische/schulpsychologische Unterstützung, erzieherische Einwirkungen beziehungsweise Ordnungsmaßnahmen ausreichen oder ob wegen der Schwere der Tat oder anderer gewichtiger Umstände, zum Beispiel mehrfache Auffälligkeiten, eine Benachrichtigung der Polizei oder der Staatsanwaltschaft erforderlich ist. Eine Benachrichtigung ist in der Regel erforderlich bei:
a) gefährlichen Körperverletzungen,
b) Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
c) Einbruchsdiebstählen,
d) Verstößen gegen das Waffengesetz,
e) Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz,
f) gefährlichen Eingriffen in den Straßenverkehr,
g) erheblichen Fällen von Bedrohung oder Nötigung,
h) Sachbeschädigung,
i) Cybercrime sowie
j) politisch motivierten Straftaten.

Schutzbereich:
Zur inhaltlichen Gestaltung des Schutzbereiches können die nachfolgenden Zitate aus höchstrichterlichen Entscheidungen hilfreich sein.

BVerfG 1969: Art 7 GG behandelt Einzelfragen des Schulwesens. Eine in sich geschlossene Regelung enthält er nicht. Nach Art 7 Abs. 1 GG steht das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates. Zur Schulaufsicht im Sinne des Art 7 Abs. 1 GG gehört jedenfalls die Befugnis des Staates zur zentralen Ordnung und Organisation des Schulwesens mit dem Ziel, ein Schulsystem zu gewährleisten, das allen jungen Bürgern gem. ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet.

BVerfG, Beschluss vom 24.06.1969 – 2 BvR 446/64

BVerfG 1977: Der Staat kann daher in der Schule grundsätzlich unabhängig von den Eltern eigene Erziehungsziele verfolgen. Der allgemeine Auftrag der Schule zur Bildung und Erziehung der Kinder ist dem Elternrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet.

BVerfG, Beschluss vom 21.12.1977 – 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75

Hinweis: Dem Wortlaut von Art 7 Abs. 1 GG kann nicht entnommen werden, dass Kinder im schulfähigen Alter einer allgemeinen Schulpflicht unterliegen. Die Schulpflicht ist in den Schulgesetzen der Länder geregelt.

27 Art 8 GG: Versammlungsfreiheit

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Polizeibezug:
Aufgabe der Polizei ist es, Versammlungen nicht nur zu schützen, sondern sich insgesamt versammlungsfreundlich zu verhalten. Diese von der Polizei einzufordernde Grundhaltung ist bei der Wahrnehmung versammlungsrechtlicher Aufgaben, in Anlehnung an den so genannten Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1985, immer noch richtungsweisend.

BVerfG 1985: Steht kollektive Unfriedlichkeit nicht zu befürchten, ist also nicht damit zu rechnen, dass eine Demonstration im Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt, (...) oder dass der Veranstalter oder sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben, (...) oder zumindest billigen, dann muss für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne andere Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen (...). Würde unfriedliches Verhalten Einzelner für die gesamte Veranstaltung und nicht nur für die Täter zum Fortfall des Grundrechtsschutzes führen, hätten diese es in der Hand, Demonstrationen "umzufunktionieren" und entgegen dem Willen der anderen Teilnehmer rechtswidrig werden zu lassen (...); praktisch könnte dann jede Großdemonstration verboten werden, da sich nahezu immer "Erkenntnisse" über unfriedliche Absichten eines Teiles der Teilnehmer beibringen lassen.
 
BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81

Hinweis: Unfriedlich ist eine Versammlung in Anlehnung an die Vorgaben des Brokdorf-Beschlusses erst dann, wenn ihre Teilnehmer kollektiv unfriedlich handeln oder die Unfriedlichkeit einzelner Teilnehmer mittragen oder es zu Gewalttätigkeiten zwischen Versammlungsteilnehmern kommt. Allein vermummte Personen machen aus einer Versammlung noch keine unfriedliche Versammlung.

Auch die Vielzahl von Versammlungen haben, insbesondere anlässlich der Corona-Krise, dazu geführt, dass die Polizei sozusagen bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit in Anspruch genommen wurde. Das wissen alle Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die in so genannten Einsatzhundertschaften verwendet werden und bei Einsätzen anlässlich von Großdemonstrationen angefordert werden. Die ca. 2600 Beamten in den Einsatzhundertschaften der Polizei NRW verfügen über eine besondere Schutzausrüstung, um sie anlässlich von gewaltsamen

Auseinandersetzungen, zu denen es bei Demonstrationen durchaus kommen kann, zu schützen.

Großdemonstration im Hamburger Hafen:
Am 13. August 2022 haben sich im Hamburger Hafen 70.000 Menschen an einem Klimastreik. Veranstalter war Fridays for Future. Aktivisten legten den Verkehr lahm. Die Polizei war mit zwei Hundertschaften vor Ort. Der polizeiliche Gesamteinsatzleiter wird in der Onlineausgabe des Hamburger Abendblattes wie folgt zitiert:

„Auch wenn mit 70.000 Teilnehmern weit mehr als erwartet gekommen waren, konnten wir als Polizei dank des friedlichen Verlaufs mit der Situation problemlos umgehen.“

In einer Meldung in der Onlineausgabe der Berliner Zeitung zur gleichen Großdemonstration heißt es unter der Überschrift: Zusammenstöße bei Blockaden nach Klimademos in Hamburg wie folgt:

"Bei den Blockaden von Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten in Hamburg ist es am Samstag zu Zusammenstößen gekommen. Nach Angaben der Polizei hatten Teilnehmer einer Blockade an der Kattwykbrücke die Beamten mit Pfefferspray attackiert, worauf diese mit Pfefferspray, Schlagstöcken und Wasserwerfern reagierten, um die Blockade aufzulösen. Eine Sprecherin von „Ende Gelände“ bezeichnete den Vorfall als „einen neuen Höhepunkt an polizeilicher Gewalt und Willkür gegen unsere Klimaproteste“.

Presseorgane, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur das berichten sollen, was eine Gesellschaft spaltet, beschreiben nicht immer das, was die Polizei für angemessen hält.

Übrigens:

Auf NTV.de vom 15.08.2022 äußerte sich NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) zu dem, was da möglicherweise im Herbst 2022 Wirklichkeit werden könnte, wie folgt:
"Da etablieren sich neue Staatsfeinde!"
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), fürchtet, dass sich da Ungutes zusammenbraut. Das Protestpotenzial in Deutschland beschäftige sich nicht mehr mit Corona, sondern schüre mit neuen Themen Ängste in der Bevölkerung. [...]. Für die Polizei seien über 100 Satellitentelefone bestellt worden, um bei einem Stromausfall kommunizieren zu können.

Ein Innenminister, der es für richtig hält, von Staatsfeinden zu sprechen, der muss sich wirklich fragen lassen, wie er zu so genannter Hass-Speach steht. Und was den Kauf von 100 Satellitentelefonen betrifft. Bei 47 Kreispolizeibehörden bedeutet das, dass jede KPB 2 Satellitentelefone erhält.

Da hilft wirklich nur noch die ganze Härte des Gesetzes.

Schutzbereich:
Die nachfolgenden Zitate aus höchstrichterlichen Entscheidungen machen deutlich, was zum Schutzbereich der Versammlungsfreiheit gehört:

BVerfG 1985: Bei der Versammlungsfreiheit handelt sich um die Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe in physischer Präsenz, voller Offenheit und ohne Zwischenschaltung von Medien. Die Versammlungsfreiheit bietet die Möglichkeit zur Einflussnahme auf den politischen Willensbildungsprozess. Sie ist ein Regulativ zur Vermeidung von Staatsverdrossenheit und Ohnmacht. Das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens. [...]. Diese grundlegende Bedeutung des Freiheitsrechts ist vom Gesetzgeber beim Erlass grundrechtsbeschränkender Vorschriften sowie bei deren Auslegung und Anwendung durch Behörden und Gerichte zu beachten.

BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 – 1 BvR 233, 341/81

BVerfG 1991: Dabei beschränkt sich der Schutz dieses Grundrechts nicht allein auf die Teilnahme an einer bestehenden Versammlung, sondern umfasst auch den gesamten Vorgang des Sich-Versammelns. Dazu zählt namentlich der Zugang zu einer bevorstehenden oder sich bildenden Versammlung. Andernfalls liefe die Versammlungsfreiheit Gefahr, durch staatliche Maßnahmen im Vorfeld der Grundrechtsausübung ausgehöhlt zu werden. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt auch nicht nur solche Teilnehmer vor staatlichen Eingriffen, die die Ziele der Versammlung oder die dort vertretenen Meinungen billigen, sondern kommt ebenso denjenigen zugute, die ihnen kritisch oder ablehnend gegenüberstehen und dies in der Versammlung zum Ausdruck bringen.

BVerfG, Beschluss vom 11.06.1991 – 1 BvR 772/90

BVerfG 2001: Versammlung im Sinne des Artikels 8 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Versammlungen im Sinne des Art 8 GG sind demnach örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Art 8 GG schützt die Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonst wie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen.

BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90

28 Art 9 GG: Vereinigungsfreiheit

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Polizeibezug:
Die Vereinigungsfreiheit, die auch das Recht gewährt, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, fordert die Polizei nur dann heraus, wenn es zu Arbeitskämpfen, auch Streiks genannt, kommt. Damit ein Streik rechtmäßig ist, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Der Streik darf gesetzlich nicht verboten sein. Weiterhin müssen die vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Voraussetzungen vorliegen.

Beamte dürfen nicht streiken.

Im Falle eines rechtmäßigen Streiks sind außer kollektiver Arbeitsverweigerung alle Mittel erlaubt, die nicht verboten sind. Ein Streik ist aber kein Rechtfertigungsgrund für Straftaten.

Rechtswidrige Kampfmittel sind in der Regel zugleich als Nötigungen strafbar.
Typische rechtswidrige Tathandlungen von Streikenden gegen Arbeitswillige sind zum

 Beispiele:

  • Erzwingen des Durchganges durch Streikbrechertore

  • Spießrutenlaufen

  • Versperrung der Zugangswege

  • Androhung von Repressalien

  • Drohung mit Hausbesuchen

  • Androhung der Aufnahme in schwarze Listen

  • Gewaltanwendung zur Einstellung der Arbeit.

    Gegenüber dem bestreikten Betrieb sind unzulässig:

  • Blockaden des Abtransports von Waren

  • Behinderung des Zugangs von Notarbeiten

  • Drohung mit einer Werksbesetzung

  • Nötigende Mahnwachen.

Kommt es zur Anwendung rechtswidriger Kampfmittel im Zusammenhang mit Streiks, ist die Polizei gefordert. So lange erlaubte Kampfmittel eingesetzt werden, ist die Polizei zur strikten Neutralität verpflichtet. Ein Streik ist nur rechtmäßig, wenn er von einer Gewerkschaft zur Regelung tariflich vereinbarer Ziele ordnungsgemäß durchgeführt wird.

Schutzbereich:
Auch hier einige Textstellen aus Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts:

BVerfG 1960: Das Grundrecht des Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet den Bürgern die Freiheit, sich zu Vereinigungen des privaten Rechtes zusammenzuschließen. Gegen die gesetzlich angeordnete Zugehörigkeit zu einer Organisation des öffentlichen Rechts („negative Vereinigungsfreiheit“) schützt dieses Grundrecht nicht.

BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1960 - 1 BvR 239/52

BVerfG 1977: Den frei gebildeten Koalitionen ist durch Art 9 Abs. 3 die im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe zugewiesen und in einem Kernbereich garantiert, insbesondere Löhne und sonstige materielle Arbeitsbedingungen in einem von staatlicher Rechtsetzung frei gelassenen Raum in eigener Verantwortung und im wesentlichen ohne staatliche Einflussnahme durch unabdingbare Gesamtvereinbarungen sinnvoll zu ordnen.

BVerfG, Beschluss vom 24.05.1977 – 2 BvL 11/74

BVerfG 1989: Das Grundrecht des Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet die Freiheit, sich zu Vereinigungen des privaten Rechts zusammenzuschließen. Mit dem Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden, garantiert Art. 9 Abs. 1 GG das Prinzip freier sozialer Gruppenbildung. Der Schutz des Grundrechts umfasst sowohl für Mitglieder als auch für die Vereinigung die Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte sowie - unbeschadet der Frage der Rechtsfähigkeit - das Recht auf Entstehen und Bestehen. Art. 9 Abs. 1 GG schützt insbesondere vor einem Eingriff in den Kernbereich des Vereinsbestandes und der Vereinstätigkeit; die Vorschrift soll so einen effektiven Grundrechtsschutz gewährleisten. [...]. Art. 9 Abs. 1 GG schützt insbesondere vor einem Eingriff in den Kernbereich des Vereinsbestandes und der Vereinstätigkeit; die Vorschrift soll so einen effektiven Grundrechtsschutz gewährleisten.

BVerfG, Beschluss vom 15. Juni 1989 - 2 BvL 4/87

Hinweis: Politische Parteien sind zwar grundsätzlich ebenfalls Vereine, trotzdem ist Art. 9 GG auf sie nicht anwendbar. Diesbezüglich sind die Regelungen in Art. 21 GG spezieller.

29 Art 10 GG: Post- und Fernmeldegeheimnis

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Polizeibezug:
Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis kommen im polizeilichen Berufsalltag selten vor. Einschlägige Befugnis für die Postbeschlagnahme ist § 99 StPO (Postbeschlagnahme). Zur Anordnung einer Postbeschlagnahme ist nur der Richter, bei Gefahr im Verzug auch die Staatsanwaltschaft (StA) befugt. Hinsichtlich der Anordnung solcher Maßnahmen ist § 100 StPO (Verfahren bei Postbeschlagnahme) einschlägig. Auch auf Facebook-Konten und E-Mails findet § 99 StPO Anwendung. Für die Durchsicht solcher "Papiere" ist § 110 StPO (Durchsicht von Papieren und elektronischen Speichermedien) einschlägig. Die Überwachung der Telekommunikation ist im § 100a StPO (Telekommunikationsüberwachung) geregelt.

Dort heißt es:

§ 100 Abs. 1 StPO (Verfahren bei der Postbeschlagnahme und Auskunftsverlangen)
(1) Zur Anordnung der Maßnahmen nach § 99 ist nur das Gericht, bei Gefahr im Verzug auch die Staatsanwaltschaft befugt.

Für die Durchsicht solcher "Papiere" ist § 110 StPO (Durchsicht von Papieren und elektronischen Speichermedien) einschlägig.

Bei Eingriffen in das Post- und Fernmeldegeheimnis handelt es sich um heimlich durchgeführte polizeiliche Überwachungsmaßnahmen. Im Hinblick auf die Schwere heimlicher Überwachungsmaßnahmen hat sich das BVerfG mit Urteil vom 20.04.2016 - 1 BvR 966/09 umfassend zu der Sprachfigur "heimlicher Überwachungsmaßnahmen" geäußert.

BVerfG 2016: Heimliche Überwachungsmaßnahmen, sofern sie, wie die meisten der hier in Rede stehenden Maßnahmen, tief in die Privatsphäre eingreifen, sind mit der Verfassung nur vereinbar, wenn sie dem Schutz oder der Bewehrung von hinreichend gewichtigen Rechtsgütern dienen, für deren Gefährdung oder Verletzung im Einzelfall belastbare tatsächliche Anhaltspunkte bestehen. Sie setzen grundsätzlich voraus, dass der Adressat der Maßnahme in die mögliche Rechtsgutverletzung aus Sicht eines verständigen Dritten den objektiven Umständen nach verfangen ist. Eine vorwiegend auf den Intuitionen der Sicherheitsbehörden beruhende bloße Möglichkeit weiterführender Erkenntnisse genügt zur Durchführung solcher Maßnahmen nicht. [...]. Für Maßnahmen, die der Strafverfolgung dienen und damit repressiven Charakter haben, kommt es auf das Gewicht der verfolgten Straftaten an, die der Gesetzgeber insoweit in - jeweils näher bestimmte - erhebliche, schwere und besonders schwere Straftaten eingeteilt hat. [...]. Für Maßnahmen, die der Gefahrenabwehr dienen und damit präventiven Charakter haben, kommt es unmittelbar auf das Gewicht der zu schützenden Rechtsgüter an. Heimliche Überwachungsmaßnahmen, die tief in das Privatleben hineinreichen, sind nur zum Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter zulässig. Hierzu gehören Leib, Leben und Freiheit der Person sowie der Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes.

BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09

Werden solche heimlichen Maßnahmen zum Zweck der Gefahrenabwehr durchgeführt, müssen dafür die Voraussetzungen gegeben sein, die in den Länderpolizeigesetzen diesbezüglich enthalten sind.

Schutzbereich:

BVerfG 1972: Das Grundrecht des Briefgeheimnisses schützt den brieflichen Verkehr der Einzelnen untereinander gegen eine Kenntnisnahme der öffentlichen Gewalt von dem Inhalt des Briefes.

BVerfG, Beschluss v. 14.03.1972 - 2 BvR 41/71

Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses definierten die Richter des Bundesverfassungsgerichts 2002 wie folgt:

BVerfG 2002: Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 Abs. 1 GG) erstreckt sich [auch] auf die von Privaten betriebenen Telekommunikationsanlagen. [...]. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses dient der freien Entfaltung der Persönlichkeit durch einen Kommunikationsaustausch mit Hilfe des Fernmeldeverkehrs. Es ist unerheblich, um welche Inhalte es sich handelt und ob sie privater, geschäftlicher oder politischer Art sind. Der Schutz ist nicht auf die früher von der Deutschen Bundespost genutzten Technologien und angebotenen Fernmeldedienste (wie Telefon, Telefax oder Teletext) beschränkt, sondern umfasst sämtliche mit Hilfe der verfügbaren Telekommunikationstechniken erfolgenden Übermittlungen von Informationen. Auf die konkrete Übermittlungsart (etwa über Kabel oder Funk, durch analoge oder digitale Vermittlung) und Ausdrucksform (etwa Sprache, Bilder, Töne, Zeichen oder sonstige Daten) kommt es nicht an. Mit Rücksicht auf die zwischenzeitlich erfolgte technologische Entwicklung ist der, früher üblich gewesene Begriff des Fernmeldewesens, in anderen Bestimmungen des Grundgesetzes zwischenzeitlich durch den der Telekommunikation ersetzt worden.

BVerfG, Beschluss v. 09. 10.2002 - 1 BvR 1611/96

30 Art 11 GG: Freizügigkeit

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Polizeibezug:
Polizeiliche Eingriffe in das Recht auf Freizügigkeit sind zum Beispiel auf der Grundlage von § 34 PolG NRW (Platzverweisung), hier insbesondere im Zusammenhang mit längerfristigen Platzverweisungen möglich. Gleiches gilt für Wohnungsverweisungen und Rückkehrverbote zum Schutz vor häuslicher Gewalt gemäß § 34a PolG NRW (Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot zum Schutz vor häuslicher Gewalt). Auf die gesetzlichen Möglichkeiten im Sinne von § 34b PolG NRW (Aufenthaltsvorgabe und Kontaktverbot), soll hier nur hingewiesen werden.

Schutzbereich:
Bereits 1957 positionierten sich die Richter des BVerfG zur Freizügigkeit wie folgt:

BVerfG 1957: Artikel 11 Abs. 1 GG gewährleistet die Freizügigkeit „im ganzen Bundesgebiet.“ [...]. Das Grundrecht der Freizügigkeit darf nur unter bestimmten in Artikel 11 Abs. 2 GG einzeln aufgeführten Voraussetzungen gesetzlich eingeschränkt werden. Bei der Formulierung der Einschränkungstatbestände hat der Grundgesetzgeber offensichtlich an Beschränkungen der innerstaatlichen Freizügigkeit gedacht; die herkömmlichen und sachgerechten Beschränkungen der Ausreisefreiheit sind nicht erwähnt. Dennoch entbehrt die Ausreisefreiheit als Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit nicht eines angemessenen grundrechtlichen Schutzes (Artikel 2 Abs. 1 GG).

BVerfG, Urteil v. 16. 01.1957 - 1 BvR 253/56

Anders ausgedrückt: Der Schutzbereich des Grundrechts auf Freizügigkeit ist in Anlehnung an die herrschende Meinung weit auszulegen.

31 Art 12 GG: Freie Berufsausübung

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Polizeibezug:
Berufsverbote werden durch Polizeibeamte nicht verfügt. Das bedeutet jedoch nicht, dass Personen, die Polizeibeamtin oder Polizeibeamter werden möchten, nicht selbst an der freien Ausübung ihres Berufes gehindert werden können. Insbesondere im Zusammenhang mit Bemühungen, rechtsextrem eingestellte Polizeibewerberinnen und -bewerber den Zugang zum öffentlichen Dienst nicht zu gestatten. So genannte Verfassungstreue-Checks sollen verhindern, dass Reichsbürger, Neonazis oder anderweitig dem radikalen Spektrum angehörige Personen der Zugang in den Polizeivollzugsdienst nicht gewährt wird. Diese Idee ist nicht neu. In einer Meldung auf der Website des NDR vom 05.05.2022 heißt es:

NDR.de vom 05.05.2022: Eine solche allgemeine Regelanfrage beim Verfassungsschutz für Staatsdiener gab es schon einmal in Westdeutschland: Vor 50 Jahren mit dem „Radikalenerlass“. Dadurch sollte der „Marsch durch die Institutionen“ und eine kommunistische Unterwanderung des Staates verhindert werden. Bis zu 3,5 Millionen Westdeutsche wurden auf ihre politische Gesinnung durchleuchtet, was zu 11.000 offiziellen Verfahren geführt hatte, 265 Personen wurden aus dem öffentlichen Dienst entlassen.

Heute stellt sich erneut die Frage, die da lautet, wie kann verhindert werden, dass rechtsextreme Personen Polizeibeamte werden? Einige Bundesländer wollen alle Anwärter auf ihre Verfassungstreue hin überprüfen. In einer Pressemitteilung der GdP-Hamburg vom 28.08.2022 heißt es diesbezüglich:

GdP-Hamburg: Radikalen Tendenzen in der Polizei entgegenwirken - Belastungen des Polizeiberufs erforschen! Unabhängig von individueller Schuld und Verantwortung kann und muss die GdP zur Frage politischen Radikalismus in der Polizei Stellung nehmen. Hierzu stellt die GdP fest: Politischer Extremismus, also die Durchsetzung politisch radikaler Vorstellungen durch die aggressive Bekämpfung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, ist mit dem Polizeiberuf unvereinbar. Polizeibeschäftigte, die des politischen Extremismus im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens überführt sind, müssen die Polizei verlassen. Im Bereich des politischen Radikalismus erkennt die GdP allerdings Graubereiche, die ohne individuelle Sachverhaltsklärung nicht pauschal zu beantworten sind. Richtschnur bleibt die Einstellung des jeweiligen Beamten/in zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. In diesem Zusammenhang sind pauschale Werturteile und die vorschnelle Bezeichnung von Vorgängen als rassistisch oder populistisch als nicht hilfreich zu bewerten.

Wie dem auch immer sei. Gesinnungsprüfungen wird in einer offenen Gesellschaft wohl immer der Makel anhaften, den ideologischen Standpunkt von Bewerberinnen und Bewerbern hinsichtlich der Kompatibilität deren Weltsicht mit dem Werteverständnis des Staates abzugleichen. Die damit verbundenen Probleme berühren den Kern demokratischen Rechtsverständnisses.

In einer Meldung auf Golem.de vom 12. 03.2022 heißt es zum Beispiel:

Golem.de vom 12.03.2022: Rechte Chats in NRW: Sechs Polizisten entlassen, 251 verdächtig. Der Sonderbeauftragte im Kampf gegen Rechtsextremismus bei der Polizei stellte das Lagebild im Landtag vor. Im Skandal um rechtsextreme Polizisten-Chats in Nordrhein-Westfalen sind sechs Kommissaranwärter entlassen worden. Es würden noch eine Reihe weiterer Verfahren gegen Polizeibeamte geführt mit dem Ziel, sie aus dem Dienst zu entfernen. Demnach sind Männer sowie der Wach- und Wechseldienst von den Verdachtsfällen überproportional betroffen. 110 von 186 ausgewerteten Fällen konzentrieren sich auf die Polizeipräsidien in Essen (50), Köln (21), Aachen (25) und Dortmund (14). Die meisten Fälle seien als Rassismus (125), NS-Verherrlichung (95), Antisemitismus (66) und Gewaltverherrlichung (62) zu werten. Bei den arbeitsrechtlichen Verfahren gegen Nicht-Beamte seien drei Abmahnungen und zwei Kündigungen ausgesprochen worden.

Schutzbereich:
Hier der Versuch einer Standortbestimmung.

BVerfG 1958: Die Regelung nach Art 12 Abs. 1 GG erstreckt sich auf Berufsausübung und Berufswahl, aber nicht auf beide in gleicher Intensität. Das Grundrecht soll die Freiheit des Individuums schützen, der Regelungsvorbehalt ausreichend Schutz der Gemeinschaftsinteressen sicherstellen. Die Freiheit der Berufswahl darf nur eingeschränkt werden, soweit der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter es zwingend erfordert. Ist ein solcher Eingriff unumgänglich, so muss der Gesetzgeber stets diejenige Form des Eingriffs wählen, die das Grundrecht am wenigsten beschränkt.

BVerfG, Urteil vom 11.06.1958 – 1 BvR 596/56

Hinsichtlich des Zugangs zu öffentlichen Ämtern ist im Zusammenhang mit der freien Berufswahl jedoch das grundrechtsgleiche Recht des Art. 33 GG spezieller, so dass für Art 12 GG kein Raum bleibt.

Dort heißt es:

Art 33 GG
(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.
(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.
(3) Der Genuss bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.
(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.
(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

Hinsichtlich rechtsextremistischer Einstellungen innerhalb der Polizei heißt es in dem Buch der Autoren Benjamin Derin und Tobias Singelnstein mit dem Titel: „Die Polizei – Helfer, Gegner, Staatsfeind“, Econ-Verlag 2022, wie folgt:

Derin/Singelnstein 2022: Betrachtet man die vorliegenden Befunde in einer Gesamtschau, muss man davon ausgehen, dass es eine nicht unwesentliche Gruppe von Beamten in der Polizei gibt, die ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben (S. 200). An anderer Stelle heißt es sinngemäß, dass die Polizei sich damit schwertut, über politische Einstellungen zu reden. Politische Überzeugungen gelten als Privatsache. Im Kollegenkreis zählt Loyalität und Zusammenhalt.
Bisher war es so, dass es zumindest in NRW ausreichte, wenn Bewerberinnen und Bewerber sich durch Leistung ihrer Unterschrift zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannten/bekennen. In Zukunft wird diese Prüfung wohl intensiver sein, als das bisher der Fall gewesen ist. Wie die „Sicherheitsüberprüfungen“ im Freistaat Bayern aussehen, das in der "Bekanntmachung über die Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst (Verfassungstreue-Bekanntmachung – VerftöDBek), Bekanntmachung der Bayerischen Staatsregierung vom 3. Dezember 1991, Az. B III 3-180-6-403 geregelt.

Was unter dem unbestimmten Rechtsbegriff „freiheitliche demokratische Grundordnung“ zu verstehen ist, wird im Zusammenhang mit den Ausführungen zum Schutzbereich des Artikels 18 GG (Verwirkung von Grundrechten) erneut aufgegriffen, weil dort der unbestimmte Rechtsbegriff im Wortlaut des Grundrechtes verwendet wird.

32 Art 13 GG: Unverletzlichkeit der Wohnung

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Polizeibezug:
Das Durchsuchen und/oder Betreten von Wohnungen gehört zu den so genannten polizeilichen Standardmaßnahmen, die aus unterschiedlichsten Anlässen erforderlich werden können, zum Beispiel anlässlich von häuslicher Gewalt, zur Abwehr von Gefahren, zur Ergreifung von Personen, zum Auffinden von Beweismitteln oder zur Unterbindung von Immissionen, die von Wohnungen ausgehen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer zu einer erheblichen Belästigung der Nachbarschaft führen. Auch zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für Sachen von bedeutendem Wert können Wohnungen betreten bzw. durchsucht werden, wenn das erforderlich ist.

Die Auflistung ist nicht abschließend.
 
Festzustellen ist, dass Wohnungen zum Zweck der Gefahrenabwehr auf der Grundlage von Befugnissen, die in den Polizeigesetzen enthalten sind, Wohnungen sowohl durchsucht als auch betreten werden können. Zum Zweck der Strafverfolgung kommt als gesetzlich zugelassene Rechtsfolge nur eine Durchsuchung in Betracht. Während das Betreten einer Wohnung als eine Inaugenscheinnahme anzusehen ist, setzt eine Durchsuchung eine intensive Suche nach Personen oder sicherzustellenden Gegenständen voraus.

Schutzbereich:
Das Grundgesetz definiert nicht, was unter Wohnung iSv Artikel 13 GG zu verstehen ist. Das Bundesverfassungsgericht und die herrschende Meinung legen den Wohnungsbegriff weit aus. Demnach gelten als Wohnung alle Räume, die der Einzelne der Öffentlichkeit entzogen und zur Stätte seines Lebens und Wirkens bestimmt hat.

Im Einzelnen zählen dazu:

  • Räume, die der Wohnungsinhaber im engeren Sinne ständig zum Wohnen nutzt (Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Bad, Esszimmer, Flure)

  • Räume, die der Wohnungsinhaber zum Wohnen zur Zeit des Grundrechtseingriffs tatsächlich nutzt (Wohnmobile, Wohnwagen, Wohnboote, Zelte, Hotelzimmer)

  • Zur Wohnung gehörende Nebenräume (Keller, Boden, Garage, eingezäunter Garten)

  • Betriebs- und Geschäftsräume (Büros, Ladenlokale, Gaststätten, eingezäuntes Betriebsgelände)

  • Notunterkünfte, Asylantenwohnheime.

Artikel 13 Abs. 1 GG schütz den Bereich der Privatsphäre, den der Einzelne als Wohnung bestimmt hat und in dem er unbehelligt von anderen leben möchte und im Grundsatz dort tun und lassen kann, was ihm beliebt.

Nicht als Wohnung zählen Pkw, Hafträume, eingezäunte Äcker und Wiesen.

BVerfG 1983: Wohnung im Sinne des Art 13 GG ist allein die räumliche Privatsphäre. Das Grundrecht normiert für die öffentliche Gewalt ein grundsätzliches Verbot des Eindringens in die Wohnung oder des Verweilens darin gegen den Willen des Wohnungsinhabers. Dazu gehören etwa der Einbau von Abhörgeräten und ihre Benutzung in der Wohnung, nicht aber Erhebungen und die Einholung von Auskünften, die ohne Eindringen oder Verweilen in der Wohnung vorgenommen werden können. Sie werden von Art 13 GG nicht erfasst.

BVerfG, Urteil vom 15.12.1983 – 1 BvR 209/83

33 Art 14 GG: Recht auf Eigentum

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Polizeibezug:
Täglich werden von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten Gegenstände sowohl zum Zweck der Gefahrenabwehr als auch zum Zweck der Strafverfolgung sichergestellt bzw. beschlagnahmt. Das geschieht dadurch, indem Sachen sozusagen in amtliche Verwahrung genommen werden.

Ob es sich bei den oben nur angedeuteten Maßnahmen lediglich um Eingriffe in die „Verfügungsgewalt über Eigentum“, oder um Eingriffe in das Grundrecht auf „Eigentum“ handelt, ist eine Frage, die aus polizeirechtlicher Sicht bedeutungslos ist, weil in den weitaus meisten Fällen eine sichergestellte Sache wieder an berechtigte Personen zurückgegeben wird, wenn für eine amtliche Verwahrung kein Grund mehr besteht. Nach der hier vertretenen Rechtsauffassung ist ein Eingriff in das Recht auf Eigentum nur dann gegeben, wenn es sich bei dem Eingriff um eine Enteignung handelt, besser gesagt, die Person, der eine Sache gehört, wird dauerhaft die Verfügungsgewalt über sichergestellte/beschlagnahmte Gegenstände entzogen. Für diese Sichtweise spricht Art 14 Abs. 1 Satz 2 GG:

Art 14 Abs. 1 GG
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

Das bedeutet, dass im Rahmen polizeilichen Eingriffsrechtes die zur Verfügung stehenden Eingriffsbefugnisse bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Gegenstände in amtliche Verwahrung genommen werden dürfen (durch Sicherstellung, Beschlagnahme oder durch Einziehung) und wie mit solchen Gegenständen umzugehen ist. Ob es sich bei den oben genannten Maßnahmen um Eingriffe in die „Verfügungsgewalt über Eigentum“ oder aber um Eingriffe in das Grundrecht auf „Eigentum“ handelt, ist eine Detailfrage, die nach der hier vertretenen Rechtsauffassung Verfassungsrechtlern vorbehalten bleiben sollte, denn für beide Sichtweisen gibt es nachvollziehbare Gründe. Für die polizeiliche Berufspraxis ist diese Unterscheidung bedeutungslos.

Schutzbereich:
Für die oben skizzierte Sichtweise spricht auch das nachfolgend mitgeteilte Zitat aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1968:

BVerfG 1968: Eigentum ist eine Form der Sachherrschaft und damit der umfassende Begriff für die vielfältig denkbaren, sachenrechtlichen Beziehungen. Diese Sachherrschaft kann nach den verschiedensten Gesichtspunkten und Anschauungen ausgestaltet werden. Das Eigentum bürgerlichen Rechts ist durch seine Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsfähigkeit gekennzeichnet. Daneben kennt aber die geltende Rechtsordnung in mannigfacher Weise Sachherrschaften, die - obwohl als Eigentum bezeichnet - nicht auf Privatnützigkeit, sondern auf Fremdnützigkeit ausgerichtet sind. Werden Sachen dieser Art, wenn sie sich in der Hand des Staates befinden, grundsätzlich aus der Privatrechtsordnung herausgenommen und einer ausschließlich öffentlich-rechtlichen Sachherrschaft unterstellt, die man als „öffentliches Eigentum“ bezeichnet, so liegt darin jedenfalls dann keine Schmälerung des durch Art 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Rechtsinstituts, wenn diese Sachen einem besonderen öffentlichen Zweck gewidmet sind und im Hinblick auf diese Zweckbindung die private Verfügungsfähigkeit ganz oder weitgehend ausgeschlossen ist.

BVerfG, Urteil vom 18.12.1968 – 1 BvR 638, 673/64

34 Art 15 GG: Sozialisierung/Enteignung

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Polizeibezug:
Solche Maßnahmen werden von der Polizei nicht verfügt, wohl aber durchgesetzt, zum Beispiel, um den Abriss ganzer Dörfer zu ermöglichen, damit die im Boden vorhandene Braunkohle abgebaggert werden kann. Die Ortschaft Lützerath darf, so hat es das OVG Münster im März 2022 entschieden, für den Braunkohletagebau Garzweiler II abgebaggert werden, vgl. OVG Münster, Beschluss vom 28.03.2022, Az. 21 B 1675/21 und 21 B 1676/21.

Klimaschützer kündigten im Anschluss an diesen Beschluss umgehend Proteste an.
Schutzbereich:

BVerfG 1954: Die „wirtschaftliche Neutralität“ des Grundgesetzes besteht lediglich darin, dass sich der Verfassungsgeber nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat. Dies ermöglicht dem Gesetzgeber, die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz beachtet. Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein Mögliche. [...]. Sie beruht auf einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidung, die durch eine andere Entscheidung ersetzt oder durchbrochen werden kann.

BVerfG, Urteil vom 20. Juli 1954 – 1 BvR 459/52

Auch wenn das Eigentum zu den so genannten heiligen Rechten gehört, so zumindest wurde es schon in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die am 26. August 1789 von der französischen Nationalversammlung verabschiedet wurden, bezeichnet, und der Schutz des Eigentums auch ein erklärtes Ziel aller Beteiligten war, die an der Textfassung des Grundgesetzes mitgewirkt haben, wurde trotz aller Gegensätze eine sprachliche Regelung geschaffen, die durchaus eine Veränderung bestehender Eigentumsvorstellungen zumindest zulassen würde.

35 Art 16 GG: Entzug der Staatsangehörigkeit

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Polizeibezug:
Dieses Grundrecht hat keine Bedeutung für den polizeilichen Berufsalltag.
Schutzbereich:

Diesbezüglich ist der Wortlaut von Art 16 GG einschlägig.

Art 16 GG
(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.
(2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.

36 Art 16a GG: Asylrecht

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Polizeibezug:
Die Prüfung asylrechtlicher Fragen fallen nicht in den Zuständigkeitsbereich der Polizei. Dennoch ergeben sich im polizeilichen Berufsalltag eine Vielzahl von Berührungspunkten mit Flüchtlingen und Asylbewerbern. Die folgenden Zitate aus einer Broschüre des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das den Ablauf des deutschen Asylverfahrens beschreibt (Stand: 04/2021; 3. aktualisierte Fassung), macht das deutlich:

BAMF 2021: Für alle in Deutschland ankommenden Asylsuchenden gilt: Sie müssen sich unmittelbar bei oder nach ihrer Ankunft bei einer staatlichen Stelle melden. Dies kann schon an der Grenze oder später im Inland geschehen. Wer sich bereits bei der Einreise als asylsuchend meldet, wendet sich an die Grenzbehörde. Sie leitet Asylsuchende dann an die nächstgelegene Erstaufnahmeeinrichtung weiter. Wer sein Asylgesuch erst im Inland äußert, kann sich hierzu bei einer Sicherheitsbehörde (zum Beispiel der Polizei), einer Ausländerbehörde, bei einer Aufnahmeeinrichtung oder direkt bei einem Ankunftszentrum oder Anerkennungseinrichtung melden. Erst dann kann ein Asylverfahren beginnen. [...]. Die während der Registrierung erfassten Daten werden im Ausländerzentralregister (AZR) gespeichert. Das AZR ist eine bundesweite personenbezogene Datei, die zentral vom Bundesamt geführt wird. Sie enthält Informationen über Menschen aus dem Ausland, die sich in Deutschland aufhalten oder aufgehalten haben. Alle Ausländerbehörden arbeiten mit diesen Daten, wenn sie ihre Aufgaben wahrnehmen.[...]. Für Antragstellende, die nach einer negativen Entscheidung im Asylverfahren nicht freiwillig ausreisen, tritt ein gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot – die sogenannte Wiedereinreisesperre – in Kraft. [...]. Tritt ein Einreise- und Aufenthaltsverbot in Kraft, so wird dies für die betroffene Person im bundesweiten polizeilichen Informationssystem INPOL und im Ausländerzentralregister eingetragen. Bei einer Einreisekontrolle kann dann die Einreise verweigert werden, bei einem illegalen Aufenthalt im Bundesgebiet sogar eine Festnahme erfolgen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gilt grundsätzlich nicht nur für das Bundesgebiet, sondern für den gesamten Schengenraum.

Diese kurzen Zitate aus einer 53 Seiten umfassenden Broschüre zeigen zumindest ansatzweise auf, mit welchen asylrechtlichen Problemstellungen die Polizei in ihrem Berufsalltag konfrontiert wird, zum Beispiel anlässlich von Personenkontrollen oder im Anschluss an durchgeführte Datenabfragen wenn zum Beispiel im Anschluss daran die kontrollierte Person in Abschiebehaft genommen werden muss etc.

Schutzbereich:
Aus der Vielzahl von höchstrichterlichen Entscheidungen seinen an dieser Stelle nur zwei Entscheidungen genannt:

BVerfG 1989: Politische Verfolgung im Sinne von Art 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist grundsätzlich staatliche Verfolgung. Eine Verfolgung ist dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen.

BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 – 2 BvR 502, 100, 961/86

Wirtschaftsflüchtlingen wird kein Asyl gewährt.
Kein Asylrecht für Terroristen.

Asylsuchende, die auf dem Luftweg in die Bundesrepublik einreisen, werden im Transitbereich so lange festgehalten, bis über ihre Asylanträge entschieden wurde.

BVerfG 1996: Die Begrenzung des Aufenthalts von Asylsuchenden während des Verfahrens nach § 18a AsylVfG auf die für ihre Unterbringung vorgesehenen Räumlichkeiten im Transitbereich eines Flughafens stellt keine Freiheitsentziehung oder Freiheitsbeschränkung im Sinne von Art 2 Abs. 2 Satz 2 und Art 104 Abs. 1 und 2 GG dar. Effektiver Rechtsschutz (Art 19 Abs. 4 GG) verlangt im Flughafenverfahren Vorkehrungen des Bundesamtes und der Grenzschutzbehörden, dass die Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes nicht durch die obwaltenden Umstände unzumutbar erschwert oder gar vereitelt wird.

BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1516/93

Das Asylrecht von heute unterscheidet sich wesentlich von dem Grundrecht auf Asyl, wie es noch in der Urfassung des Grundgesetzes ausgestaltet war. Im Artikel 16 Abs. 2 Satz 2 heißt es in der Urfassung wie folgt:

Art 16 Abs. 2 GG
Politisch Verfolgte genießen Asyl.

Im Anschluss an heftige Debatten, die 1993 im Deutschen Bundestag anlässlich der Änderung des Asylrechts geführt wurden, wurde Art 16a GG neu in das Grundgesetz eingeführt.

37 Art 17 GG: Petitionsrecht

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Polizeibezug:
Personen, gegen die sich polizeiliche Maßnahmen gerichtet haben, steht das Recht zu, sich über erlebtes unangemessenes Verhalten bei vorgesetzten Stellen zu beschweren. Das gilt selbstverständlich auch für Maßnahmen, die vom Beschwerdeführer als rechtswidrig angesehen werden.

Schutzbereich:

BVerfG 1953: Das Grundrecht des Art 17 GG verleiht demjenigen, der eine zulässige Petition einreicht, ein Recht darauf, dass die angegangene Stelle die Eingabe nicht nur entgegennimmt, sondern auch sachgerecht überprüft und dem Petenten zum Mindesten die Art der Erledigung schriftlich mitteilt. Der Petent hat, wenn er die gleiche Petition nochmals bei der gleichen Stelle anbringt, grundsätzlich keinen Anspruch auf sachliche Prüfung und Entscheidung.

BVerfG, Beschluss vom 22.04.1953 – 1 BvR 162/51

38 Art 18 GG: Verwirkung von Grundrechten

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Polizeibezug:
Für die Polizei unbedeutend.
Bisher hat es noch keinen Fall in der Geschichte des Grundgesetzes gegeben.
Über die Verwirkung von Grundrechten entscheidet allein das Bundesverfassungsgericht. Antragsberechtigte im Sinne von § 36 Bundesverfassungsgerichtsgesetz sind:

  • Bundesregierung

  • Bundestag

  • Landesregierungen.

Schutzbereich:
Art 18 GG geht von der Vorstellung aus, dass es sich bei der Demokratie des Grundgesetzes um eine wehrhafte Demokratie handelt, die dazu in der Lage ist, sich gegen Kräfte wehren zu können, die die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpfen und missbrauchen. Diese Sprachfigur ist, wie an anderer Stelle in diesem Aufsatz bereits erwähnt, für das Berufsverständnis von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten bedeutsam, weil das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung sozusagen als eine Zulassungsvoraussetzung anzusehen ist, um überhaupt ein öffentliches Amt bekleiden zu können.

Aus diesem Grunde wird eine Stelle aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zitiert, das aus den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland stammt.

BVerfG 1952: Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art 21 II GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.

BVerfG, Urteil vom 23.10.1952 – 1 BvB 1/51

Diese freiheitlich demokratische Grundordnung vollumfänglich zu akzeptieren, ist eine Grundvoraussetzung, um in den Polizeivollzugsdienst eingestellt werden zu können.
Lange Zeit reichte es aus, wenn Bewerberinnen und Bewerber im Rahmen des Einstellungsverfahrens bei der Polizei, den Wortlaut des oben zitierten Textes, besser gesagt den Inhalt dieses Textes, durch Unterschriftsleistung anerkannten.
Bestrebungen, Bewerberinnen und Bewerber mit verfassungsfeindlichen Einstellungen den Zugang zu erschweren, werden aber wohl dazu führen, dass eine Unterschriftsleistung allein in Zukunft nicht mehr ausreichen wird.
Wie die Sicherheitsüberprüfungen von Polizeibewerberinnen und Bewerbern im Einzelnen aussehen werden, darüber haben die Länder zu entscheiden, denn Polizei ist Ländersache.

Auf die Regelungen im Freistaat Bayern wurde bereits an anderer Stelle hingewiesen.

39 Art 19 GG: Zitiergebot – Rechtsweggarantie – Wesensgehalt

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Polizeibezug:
Das Zitiergebot richtet sich an den Gesetzgeber. Polizeiliche Aufgabe ist es, Gesetzen Geltung zu verschaffen, die von der Polizei auszuführen sind. Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte müssen deshalb wissen, dass alle Maßnahmen, durch die Personen in ihren Grundrechten beeinträchtigt werden, auf Antrag der davon betroffenen Person einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen.
Eingriffe in den Wesensgehalt eines Grundrechts kommen nur dann in Betracht, wenn in den Kernbereich eines Grundrechtes eingegriffen wird, was zum Beispiel im Rahmen von Observationsmaßnahmen oder anlässlich so genannter Großer Lauschangriffe durchaus möglich ist.

Schutzbereich Wesensgehalt:
Zum Wesensgehalt eines Grundrechts zählt, in Anlehnung an ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2004, auch der so genannte Kernbereichsschutz. Was damit gemeint ist, hat der Landesgesetzgeber NRW wie folgt im Polizeigesetz des Landes NRW geregelt:

§ 16 PolG NRW (Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung bei der Datenerhebung mit besonderen Mitteln)
(1) Die Erhebung personenbezogener Daten, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, ist unzulässig.
(2) Eine Erhebung ist unverzüglich zu unterbrechen, wenn sich tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Daten, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden; dies gilt nicht, soweit die Erhebung aus zwingenden informations- oder ermittlungstechnischen Gründen nicht unterbleiben kann. Die Erhebung darf fortgesetzt werden, wenn zu erwarten ist, dass die Gründe, die zur Unterbrechung geführt haben, nicht mehr vorliegen. Die anordnende Stelle ist über den Verlauf der Maßnahme unverzüglich zu unterrichten. Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor, so hat sie den Abbruch der Maßnahme anzuordnen.
(3) Bestehen Zweifel hinsichtlich der Kernbereichsrelevanz der erhobenen Daten, sind diese unverzüglich dem oder der behördlichen Datenschutzbeauftragten und einer von dem Behördenleiter oder der Behördenleiterin besonders beauftragten Leitungsperson des höheren Polizeivollzugsdienstes zur Durchsicht vorzulegen. Im Falle des § 17 Absatz 2 Satz 3 erfolgt die Durchsicht durch das zuständige Amtsgericht. § 18 Absatz 4 bleibt unberührt.
(4) Wurden Daten erfasst, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, dürfen sie nicht verwendet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsache ihrer Erlangung und Löschung ist zu dokumentieren.
(5) Der Kernbereich umfasst auch das durch das Berufsgeheimnis geschützte Vertrauensverhältnis zu den in §§ 53 und 53a der Strafprozessordnung genannten Berufsgeheimnisträgern.

Schutzbereich Rechtsweggarantie:
Art 19 Abs. 4 GG gewährt nicht nur die Möglichkeit, einen Akt der öffentlichen Gewalt gerichtlich überprüfen zu lassen, sondern gewährt grundsätzlich auch einen Anspruch auf vollständige und wirksame Überprüfung.

BVerfG 1983: Art 19 Abs. 4 GG garantiert nicht nur das formelle Recht und die Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes; der Bürger hat einen substantiellen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle.

BVerfG, Urteil vom 15.12.1983 – 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83

Aus dem Anspruch aus Art 19 Abs. 4 GG auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle folgt grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig zu überprüfen. Dabei sind die Gerichte nicht an von der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen gebunden. Dies gilt insbesondere für die Ausfüllung von unbestimmten Rechtsbegriffen.

Gefahr im Verzug
Im Zusammenhang mit Wohnungsdurchsuchungen hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 20. Februar 2001 (BvR 1444/00) ein Grundsatzurteil zum Richtervorbehalt und zur Bedeutung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Gefahr im Verzug“ anlässlich von Wohnungsdurchsuchungen getroffen.

Danach gewährt Art 19 Abs. 4 GG den Betroffenen von Wohnungsdurchsuchungen, die von der Staatsanwaltschaft oder von der Polizei angeordnet wurden, einen lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen die Verletzung ihrer Rechtssphäre durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt.

Daraus ergibt sich für die Gerichte die Pflicht, angefochtene Akten der öffentlichen Gewalt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig zu überprüfen. Das gilt auch für den unbestimmten Rechtsbegriff „Gefahr im Verzug“. Dieser Rechtsbegriff gewährt nichtrichterlichen Organen keinen Spielraum bei der Auslegung und Anwendung.
Insoweit steht der Exekutive bei der Auslegung des Begriffs „Gefahr im Verzug“ kein Ermessen zu.

BVerfG 2001: Der Begriff „Gefahr im Verzug“ in Art 13 Abs. 2 GG ist eng auszulegen; die richterliche Anordnung einer Durchsuchung ist die Regel, die nichtrichterliche die Ausnahme. „Gefahr im Verzug“ muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sind. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrung gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen nicht aus. Gerichte und Strafverfolgungsbehörden haben im Rahmen des Möglichen tatsächliche und rechtliche Vorkehrungen zu treffen, damit die in der Verfassung vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters auch in der Masse der Alltagsfälle gewahrt bleibt. Auslegung und Anwendung des Begriffs „Gefahr im Verzug“ unterliegen einer unbeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die Gerichte sind allerdings gehalten, der besonderen Entscheidungssituation der nichtrichterlichen Organe mit ihren situationsbedingten Grenzen von Erkenntnismöglichkeiten Rechnung zu tragen.

BVerfG, Urteil vom 20.02.2001 – BVerfG, 2 BvR 1444/00

Für die Anordnung der Entnahme von Blutproben wurde durch die Änderung des § 81a StPO im Jahr 2017 eine Sonderregelung geschaffen.

§ 81a Abs. 2 Satz 2 StPO (Körperliche Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher Eingriffe)
(2) Die Entnahme einer Blutprobe bedarf abweichend von Satz 1 keiner richterlichen Anordnung, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Straftat nach § 315a Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 und 3, § 315c Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a, Absatz 2 und 3 oder § 316 des Strafgesetzbuchs begangen worden ist.

Mit anderen Worten: Stellen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte anlässlich festgestellter Verkehrsdelikte fest, dass zur Beweisführung eines Verkehrsdeliktes die Entnahme einer Blutprobe anzuordnen ist, können das Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte nunmehr aus eigener Machtbefugnis.

Richtervorbehalt:

BVerfG 2019: Zu den Anforderungen an einen dem Gebot der praktischen Wirksamkeit des Richtervorbehalts entsprechenden richterlichen Bereitschaftsdienst gehört die uneingeschränkte Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters bei Tage, auch außerhalb der üblichen Dienststunden. Die Tageszeit umfasst dabei ganzjährig die Zeit zwischen 6 Uhr und 21 Uhr. Während der Nachtzeit ist ein ermittlungsrichterlicher Bereitschaftsdienst jedenfalls bei einem Bedarf einzurichten, der über den Ausnahmefall hinausgeht.

BVerfG, Beschluss vom 12.03.2019 – 2 BvR 675/14

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