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§ 6 StVO - Vorbeifahren

Inhaltsverzeichnis:

01 Ziel der Norm
02 Verbotstatbestände gemäß Bußgeldkatalog
03 Vorbeifahren/Überholen
04 Kurzes Stehenbleiben
05 Vorrang des Gegenverkehrs bei Fahrbahnverengungen
06 Rückschaupflicht beim Vorbeifahren an Hindernissen
07 Sorgfaltspflichten beim Vorbeifahren
08 Seitenabstand/Radfahrunfälle
09 Betriebsgefahr und Mitverschulden

10 Vorrang durch Ge- und Verbotszeichen
11 Ordnungswidriges Verhalten iSv § 6 StVO
10 Schlüsselwörter

01 Ziel der Norm

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Die Vorschrift enthält hinsichtlich der Frage, welcher Verkehrsrichtung der Vorrang gebührt, die dafür erforderliche Lösung. Die besteht darin, dass demjenigen Vorrang zu gewähren ist, der einen Fahrstreifen benutzt, der frei ist. Anders ausgedrückt: Dort wo ein Hindernis oder ein haltendes Fahrzeug ein Vorbeifahren nicht zulässt, hat der, diesen Fahrstreifen benutzende Fahrzeugführer dem Gegenverkehr Vorrang zu gewähren.

§ 6 StVO (Vorbeifahren)

Fehlverhalten im Sinne von § 6 StVO gehört zwar nicht zu den Hauptunfallursachen, dennoch kommt es täglich zu Fehlern beim Vorbeifahren an Hindernissen (Baustellen, parkenden Autos, usw.)

02 Verbotstatbestände gemäß Bußgeldkatalog

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Die in Betracht kommenden Fehlverhaltensweisen beim Vorbeifahren, das sind insgesamt 5 bußgeldbewehrte Verstöße, sind auf der Seite 7 des Bußgeldkataloges 2023 aufgelistet und werden im Folgenden zitiert:

106100
Sie fuhren an einer Fahrbahnverengung/einem Hindernis auf der Fahrbahn/einem haltenden Fahrzeug auf der Fahrbahn links vorbei,
ohne das entgegenkommende Fahrzeug durchfahren zu lassen. § 6, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 30 BKat.
20,00 Euro

106101
Sie fuhren an einer Fahrbahnverengung/einem Hindernis auf der Fahrbahn/einem haltenden Fahrzeug auf der Fahrbahn links vorbei,
ohne das entgegenkommende Fahrzeug durchfahren zu lassen, und gefährdeten dadurch Andere. § 6, § 1 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 30.1 BKat; § 19 OWiG
30,00 Euro

106102
Sie fuhren an einer Fahrbahnverengung/einem Hindernis auf der Fahrbahn/einem haltenden Fahrzeug auf der Fahrbahn links vorbei,
ohne das entgegenkommende Fahrzeug durchfahren zu lassen. Es kam zum Unfall. § 6, § 1 Abs. 2, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 30.2 BKat; § 19 OWiG
35,00 Euro

106106
Sie scherten vor einer Fahrbahnverengung/einem Hindernis auf der
Fahrbahn/einem haltenden Fahrzeug auf der Fahrbahn aus, ohne es rechtzeitig und deutlich anzukündigen. § 6, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 29 BKat
10,00 Euro

106112
Sie kündigten nach dem Vorbeifahren an einer Fahrbahnverengung/einem Hindernis auf der Fahrbahn/einem haltenden Fahrzeug auf der Fahrbahn das Wiedereinordnen nicht rechtzeitig und deutlich an.
§ 6, § 49 StVO; § 24 Abs. 1, 3 Nr. 5 StVG; 29 BKat
10,00 Euro

03 Vorbeifahren/Überholen

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Vorbeifahren und Überholen sind zwei Rechtsbegriffe, die voneinander abzugrenzen sind:

Vorbeifahren: Darunter ist ein Passieren, also ein im hier zu erörternden Sinne zu definierendes „Vorbeikommen ohne anzuhalten“ an einen haltenden, parkenden, liegen gebliebenen oder an einem fahrplanmäßig haltenden öffentlichen Verkehrsmittel zu verstehen, soweit es sich nicht um Überholvorgänge handelt, denn verkehrsbedingt haltende Fahrzeuge, die links abbiegen, werden zum Beispiel überholt.

OLG Hamm 2021: Gemäß § 6 Satz 1 StVO muss, wer an einer Fahrbahnverengung, einem Hindernis auf der Fahrbahn oder einem haltenden Fahrzeug links vorbeifahren will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Muss ausgeschert werden, ist nach § 6 Satz 3 StVO auf den nachfolgenden Verkehr zu achten und das Ausscheren sowie das Wiedereinordnen - wie beim Überholen - anzukündigen. Damit regelt § 6 StVO den Vorrang des Gegenverkehrs bei Fahrbahnverengungen durch ein Hindernis und die gebotene Vorsicht gegenüber dem nachfolgenden Verkehr.

OLG Hamm, Urteil vom 28.09.2021 - 7 U 49/20

Überholen: Diesbezüglich haben sich die Richter des Bundesgerichtshofs 2016 wie folgt positioniert:

BGH 2016: Leitsatz: 1. Das Tatbestandsmerkmal des Überholens wird auch durch ein Vorbeifahren von hinten an sich in derselben Richtung bewegenden oder verkehrsbedingt haltenden Fahrzeugen verwirklicht, das unter Benutzung von Flächen erfolgt, die nach den örtlichen Gegebenheiten zusammen mit der Fahrbahn einen einheitlichen Straßenraum bilden.

An anderer Stelle:

Überholen im Sinne der Straßenverkehrsordnung meint den tatsächlichen Vorgang des Vorbeifahrens von hinten an Fahrzeugen anderer Verkehrsteilnehmer, die sich auf derselben Fahrbahn in dieselbe Richtung bewegen oder verkehrsbedingt halten.

An anderer Stelle:

Ausgehend von der Wortbedeutung und unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Sichbewegen auf derselben Fahrbahn kein taugliches Kriterium für eine abschließende Erfassung besonders gefährlicher Fälle des Vorbeifahrens liefert, wird das Tatbestandsmerkmal des Überholens auch durch ein Vorbeifahren von hinten an sich in derselben Richtung bewegenden oder verkehrsbedingt haltenden Fahrzeugen verwirklicht, das unter Benutzung von Flächen erfolgt, die nach den örtlichen Gegebenheiten zusammen mit der Fahrbahn einen einheitlichen Straßenraum bilden. Danach ist ein Überholen beispielsweise gegeben bei einem Vorbeifahren über Seiten- oder Grünstreifen, über Ein- oder Ausfädelspuren oder über lediglich durch Bordsteine oder einen befahrbaren Grünstreifen von der Fahrbahn abgesetzte Rad- oder Gehwege. Dagegen fehlt es an einem Überholvorgang etwa bei einem Vorbeifahren unter Benutzung einer von der Fahrbahn baulich getrennten Anliegerstraße oder mittels Durchfahren einer Parkplatz- oder Tank- und Rastanlage auf der Bundesautobahn.

BGH, Beschluss vom 15. September 2016 - 4 StR 90/16

Eine der Abgrenzung zwischen einem Überholen und einem Vorbeifahren lässt sich auch wie folgt ausdrücken:

OLG Köln 1998: Ein Überholen iSv StVO § 5 und kein Vorbeifahren iSv StVO § 6 liegt vor, wenn ein Kfz an einem anderen sich in derselben Richtung bewegenden oder verkehrsbedingt wartenden Fahrzeug vorbeifährt. Verkehrsbedingt ist auch das Anhalten eines Kfz, um einen Fußgänger die Fahrbahn überqueren zu lassen.

OLG Köln, Urteil vom 4. Dezember 1998 - 19 U 83/98

04 Kurzfristiges Stehenbleiben

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Kurzfristiges Stehenbleiben ist als Teilnahme am Straßenverkehr zu verstehen.

LG Nürnberg-Fürth 2009: Ein Fahrzeug, das kurzfristig auf der Fahrbahn stehen bleibt, um sich hinsichtlich der weiteren Fahrtrichtung zu orientieren, nimmt weiterhin am fließenden Verkehr teil, ein bloßes Vorbeifahren nach § 6 StVO an einem haltenden Fahrzeug ist bei einer solchen Verkehrslage nicht gegeben.

LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 08.01.2009 - 2 S 8130/08

05 Vorrang des Gegenverkehrs bei Fahrbahnverengung

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Diesbezüglich kommt es nicht darauf an, ob es sich um eine kurzfristige oder um eine dauerhafte Fahrbahnverengung handelt. Insbesondere bei beschilderten Fahrbahnverengungen kann es zu „Rechtekollusionen“ kommen, die den Vorrang betreffen. Diesbezüglich ist festzustellen, dass in solchen Fällen die im § 1 StVO (Grundregeln) zum Ausdruck gebrachte Verpflichtung zur defensiven Fahrweise von besonderer Bedeutung ist, wie das der nachfolgende Sachverhalt zum Ausdruck bringt:

Beispiel: Lars und Mia nehmen zurzeit im Bereich einer „Fahrbahnverengung von zwei auf eine Fahrspur“, die durch das Gefahrenzeichen 120 (Verengte Fahrbahn) beschildert ist, einen Verkehrsunfall auf. Vor Ort begründet einer der Unfallbeteiligten sein Vorrecht damit, dass er sich auf der rechten Fahrspur befand und ihm deshalb Vorrang zu gewähren ist. Diesen Standpunkt vertritt auch der andere Unfallbeteiligte. Rechtslage?

Auch in diesem Beispiel kann auf höchstrichterliche Rechtssprechung zurückgegriffen werden:

BGH 2022: Im Falle der Verengung von zuvor zwei auf nunmehr nur noch einen Fahrstreifen gibt es - anders als beim Zeichen 121 („Einseitig verengte Fahrbahn“) - nicht einen durchgehenden und einen endenden Fahrstreifen, sondern beide Fahrstreifen werden in einen Fahrstreifen überführt. Das Durchfahren der Engstelle ist daher für sich genommen nicht mit einem Fahrstreifenwechsel im Sinne des § 7 Abs. 5 StVO verbunden; auch greift das Reißverschlussverfahren des § 7 Abs. 4 StVO nicht unmittelbar.

Die in der Verengung liegende und durch das Zeichen 120 signalisierte Gefahr führt jedoch zu einer erhöhten Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflicht der auf beiden Fahrstreifen auf die Engstelle zufahrenden Verkehrsteilnehmer im Sinne des § 1, § 3 Abs. 1 StVO.

Nichts anderes gilt auch dann, wenn beide Fahrzeuge gleichauf und mit gleicher Geschwindigkeit an die Engstelle gelangen. Auch in diesem Fall gebührt dem rechts fahrenden Fahrzeug nicht regelhaft der Vortritt.

Das Gefahrenzeichen 120 enthält eine derartige Vorrangregelung nicht. [...]. Bei Fahrbahnen mit mehreren Fahrstreifen in eine Richtung ist dieses Rechtsfahrgebot [...] unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 und 3 StVO aufgehoben, so dass sich auch der auf dem linken Fahrstreifen der Engstelle nähernde Verkehrsteilnehmer grundsätzlich verkehrsgerecht verhält. Die Situation einer Kreuzung oder Einmündung, in der die Vorfahrt hat, wer von rechts kommt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StVO), ist nicht vergleichbar.

Im Ergebnis hat daher keines der beiden Fahrzeuge den Vorrang und sind die Fahrzeugführer gehalten, sich unter gegenseitiger Rücksichtnahme (§ 1 StVO) darüber zu verständigen, wer als erster in die Engstelle einfahren darf. Gelingt die Verständigung nicht, sind sie dazu verpflichtet, im Zweifel jeweils dem anderen den Vortritt zu lassen.

BGH, Urteil vom 08.03.2022 - VI ZR 47/21

Auch wenn es sich bei der oben beschriebenen beschilderten Fahrbahnverengung nicht um eine Verkehrssituation handelt, die vom § 6 StVO (Vorbeifahren) erfasst ist, lässt sich dennoch aus der sichtbar gewordenen Verkehrslage ableiten, wie sich Verkehrsteilnehmer zu verhalten haben, die sich zeitgleich einem Hindernis nähern, das nur einem der beiden ein Vorbeifahren erlaubt, zum Beispiel die Lücke zu nutzen, die ein links und ein rechts abgestellter Pkw dem fließenden Verkehr die Durchfahrt erlauben.

Hinsichtlich des Vorbeifahrens an einer Unfallstelle bei Glatteis haben die Richter des OLG Karlsruhe wie folgt entschieden:

OLG Karlsruhe 1997: Solange Gegenverkehr nicht erkennbar war, durfte der [Busfahrer] zum Passieren der Erstunfallstelle auf die Gegenfahrbahn wechseln; er musste dort [glatteisbedingt] Schrittgeschwindigkeit einhalten und beim Auftauchen von Gegenverkehr - sofern ihm ein rechtzeitiges Räumen der Engstelle nicht möglich war - sofort anhalten, um den entgegenkommenden Fahrzeugen die volle Sichtstrecke als Anhalteweg zu überlassen.

OLG Karlsruhe, Urteil vom 28. November 1997 - 10 U 167/97

06 Rückschaupflicht beim Vorbeifahren an Hindernissen

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Diesbezüglich heißt es in einem Urteil des AG Krefeld aus dem Jahr 2010 wie folgt:

AG Krefeld 2010: § 6 S. 2 StVO schreibt demjenigen, der an einem Hindernis vorbeifahren will und zu diesem Zwecke ausschert, vor, dass er auf den nachfolgenden Verkehr zu achten und das Ausscheren anzukündigen hat.

AG Krefeld, Urteil vom 28.01.2010 - 3 C 490/08

Die Fahrtrichtungszeichen sind durch das Betätigen des Blinkers rechtzeitig anzuzeigen, sowohl vor dem Erreichen des Hindernisses als auch im Anschluss an das Vorbeifahren.

07 Sorgfaltspflichten beim Vorbeifahren

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Diesbezüglich heißt es in einem Urteil des saarländischen Oberlandesgerichts aus dem Jahr 2017 bereits in den Leitsätzen wie folgt:

OLG Saarbrücken 2017: 1. Beim Vorbeifahren an einem Hindernis (§ 6 StVO) treffen den Ausscherenden gegenüber dem nachfolgenden Verkehr dieselben Sorgfaltspflichten wie einen Überholenden. Der Sorgfaltsmaßstab des Überholenden ist aber höher als der des Vorbeifahrenden, weil dieser auf den nachfolgenden Verkehr zu „achten“ hat, während der Überholende sich so zu verhalten hat, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs „ausgeschlossen“ ist.

2. Eine unklare Verkehrslage liegt nicht vor, wenn für den Überholenden nicht konkret erkennbar war, dass das vor ihm fahrende Fahrzeug - hier: Traktorgespann - wegen eines am Fahrbahnrand abgestellten Pkw zu einem Ausweichmanöver ansetzen würde.

Saarländisches OLG, Urteil vom 16.11.2017 - 4 U 100/16

08 Seitenabstand und Radfahrunfälle

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Selbstverständlich sich auch beim Vorbeifahren Seitenabstände zu beachten, die aber, je nach Verkehrssituation, sich in Zentimeter nicht bestimmen lassen. Soweit ein Vorbeifahren möglich ist, ohne jemanden zu behindern oder zu gefährden, kann von verkehrsgerechtem Fahren ausgegangen werden.

Das nachfolgende Beispiel ereignet sich sozusagen täglich in bundesdeutschen Großstädten. Welche Unfälle damit gemeint sind, dass mache der Beschluss des Kammergerichts Berlin aus dem Jahr 2010 deutlich:

KG Berlin 2010: Will ein Radfahrer durch eine ca. 1,5 m breite Lücke zwischen einem auf der Fahrbahn stehenden Pkw und schräg zur Fahrbahn rechts parkenden Fahrzeugen fahren und kommt er infolge des Öffnens der Beifahrertür des stehenden Pkws zu Fall, so kommt ein Mitverschulden des Radfahrers nach einer Quote von ¼ in Betracht.

Der Radfahrer, dessen Fahrzeugbreite mit ca. 0,6 m anzusetzen ist, hält nämlich in einem solchen Fall keinen ausreichenden Sicherheitsabstand nach links und rechts ein, da dieser jeweils nur ca. 0,45 m beträgt.

KG, Beschluss vom 20.09.2010 - 12 U 216/09

09 Betriebsgefahr und Mitverschulden

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Unfälle, die durch das Fehlverhalten beim Vorbeifahren entstehen können, lassen sich hinsichtlich der Schuldzuweisung – die eine richterliche Entscheidung voraussetzt, ohne die Betriebsgefahr, die sich zwangsläufig aus der Teilnahme am Straßenverkehr mit zulassungspflichtigen Fahrzeugen ergeben, nicht „gerecht“ lösen, denn oftmals ist ein Mitverschulden eines Geschädigten gegeben. Diesbezüglich heißt es in einem Urteil des OLG Koblenz aus dem Jahr 2005 wie folgt:

OLG Koblenz 2005: Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Klägerin war zum Unfallzeitpunkt erhöht. Eine Erhöhung der Betriebsgefahr liegt vor, wenn durch das Hinzutreten besonderer Umstände die notwendigerweise mit dem Betrieb eines Fahrzeugs verbundene Gefahr vergrößert wird. Hierzu zählt nicht nur eine fehlerhafte oder verkehrswidrige Fahrweise. Vielmehr kommen auch unabhängig von einer vorwerfbaren Handlung der mit dem Betrieb des Fahrzeugs befassten Personen objektive Umstände in Betracht, die das Gefahrenpotenzial erhöhen. Insoweit ist zu beachten, dass die Klägerin in einer nicht einsehbaren Kurve die Gegenfahrbahn in Anspruch genommen hat; sie bewegte sich dort langsam an dem liegengebliebenen Fahrzeug vorbei und versperrte, wenngleich für kurze Zeit, zusammen mit diesem stehenden Fahrzeug die Fahrbahn in großer Breite. Bereits dieser objektive Befund ist bei der Abwägung nach § 17 StGB beachtlich. Ein Mitverschulden kommt hinzu.

§ 17 StGB (Verbotsirrtum)

Die Klägerin hat den Unfall mitverschuldet. Ein Kraftfahrer darf allerdings auch in einer unübersichtlichen Kurve an einem dort haltenden Fahrzeug unter Benützung der Gegenfahrbahn vorbeifahren, jedoch nur dann, wenn er dabei die nach den gegebenen Umständen gebotene besondere Vorsicht beachtet.

OLG Koblenz, Urteil vom 07.11.2005 - 12 U 1240/04

10 Vorrang durch Ge- und Verbotszeichen

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Im § 6 StVO (Vorbeifahren) heißt es unter anderem:

Wer an einer Fahrbahnverengung, einem Hindernis auf der Fahrbahn oder einem haltenden Fahrzeug links vorbeifahren will, muss entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Satz 1 gilt nicht, wenn der Vorrang durch Verkehrszeichen (Zeichen 208, 308) anders geregelt ist.

Bei den im Text genannten Zeichen handelt es sich um die nachfolgend aufgeführten Verkehrszeichen der Anlage 3 zur StVO.

Zeichen 208
Ge- oder Verbot
Wer ein Fahrzeug führt, hat dem Gegenverkehr Vorrang zu gewähren.
Link zum Verkehrszeichen

Zeichen 308
Ge- oder Verbot
Wer ein Fahrzeug führt, hat Vorrang vor dem Gegenverkehr.
Link zum Verkehrszeichen

Aber auch in Bereichen, in denen der Vorrang des Vorbeifahrens durch Ge- oder Verbotszeichen geregelt ist, kann es zu Missverständnissen kommen, die sich durch unter Anwendung der Grundregel des § 1 StVO Abs. 1 regeln lassen.

§ 1 StVO (Grundregeln)

Zu Missverständnissen kann es zum Beispiel kommen, wenn derjenige Fahrzeugführer, der Vorrang zu gewähren hat, aber eine Fahrbahnverengung schon erreicht hat, wenn sein Gegenüber noch relativ weit davon entfernt ist, und deshalb in die Verengung im Vertrauen darauf, dass der andere einsichtig ist und die Fahrt verlangsamt, in die Verengung einfährt, sich dann aber sein Gegenüber auf seinen Vorrang sich beruft, obwohl der andere die Fahrbahnverengung schon fast durchfahren hat und es dabei zu einem Zusammenstoß beider Fahrzeuge kommt, dann sind Polizeibeamte, die solch einen Unfall aufnehmen, nicht nur die in NRW gut beraten, sich streng an den Erlass ihrer obersten Dienstbehörde zu halten, in der die Aufnahme von Unfällen durch die Polizei geregelt ist. In NRW ist das der Erlass „Aufgaben der Polizei bei Verkehrsunfällen RdErl. Des Innenministeriums - 41 - 61.05.01 - 3 - vom 25.8.2008“

2.1.3
Verkehrsunfallbefund
Ein Verkehrsunfallort ist ein Tatort. [...]. Im Rahmen der Verkehrsunfallaufnahme sind objektive und subjektive Befunde zu erheben. Für den objektiven Befund werden Sachbeweise erhoben. Der subjektive Befund umfasst die Aussagen von Beteiligten und Zeugen sowie eigene Schlussfolgerungen. Beschuldigte, Betroffene und Zeugen sind zu belehren; dies ist aktenkundig zu machen.

Die Ergebnisse des objektiven und subjektiven Befundes sind zusammenzuführen und abzugleichen. [...]. Im Anschluss werden die Unfallursache, das Verkehrsdelikt und der Verursacher vorläufig bestimmt.

Erlass Unfallaufnahme Polizei NRW

Es ist nicht Aufgabe der Polizei, die Schuldfrage zu klären.

11 Ordnungswidriges Verhalten iSv § 6 StVO

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Ordnungswidrig verhält sich, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift über das Vorbeifahren nach § 6 StVO (Vorbeifahren) verstößt. Wer ein Hindernis auf der linken Fahrbahn, also der Fahrbahn des Gegenverkehrs umfährt, unterliegt dabei aber nicht der gesteigerten Sorgfalt wie beim Überholen.

Vorsätzlich handelt: Vorsätzlich iSv § 6 StVO handelt, wer mit Wissen und Wollen die Ordnungswidrigkeit begeht, also in Kenntnis des verbotenen Tatbestandsmerkmals, die Verwirkung dieses Tatbestandsmerkmals will.

Fahrlässiges Handeln: Fahrlässig begeht eine Ordnungswidrigkeit iSv § 6 StVO, wer unbewusst oder ungewollt aber dennoch pflichtwidrig einen verbotenen Tatbestand dieser Norm verwirkt, der vermeidbar gewesen wäre, wenn der Täter mit der Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Fähigkeiten verpflichtet und imstande war, außer acht lässt, also pflichtwidrig handelt, und deshalb die rechtswidrige Handlung nicht als eine solche erkennt oder voraussieht.

Bewusste Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn der Handelnde die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung erkennt, aber (pflichtwidrig) darauf vertraut, dass sie nicht eintreten werde.

12 Schlüsselwörter

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Vorbeifahren - Begriffsdefinition
Vorbeifahren - Kurzfristiges Stehenbleiben von Fz
Vorbeifahren - Vorrang des Gegenverkehrs
Vorbeifahren - Rückschaupflicht
Vorbeifahren - Sorgfaltspflichten
Vorbeifahren - Vorsatz
Vorbeifahren - Fahrlässigkeit
Vorbeifahren - Bewusste Fahrlässigkeit
Vorbeifahren - TBNRn im Bußgeldkatalog

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