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Home Inhaltsverzeichnis : Umgang mit der Demokratie

Demokratieerziehung durch die Polizei?

Inhaltsverzeichnis:

01 Demokratieerziehung
02 Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen
03 Dafür ist die Polizei nicht zuständig
04 Verpflichtung jeglicher staatlichen Gewalt
05 Missbrauch staatlicher Macht
06 Aufruf des Innenministers Thomas de Maizière 2015
07 Schulischer Bildungsauftrag
08 Was die Schülerin gelernt hat
09 Denunziantentum und Tugendterror
10 Die Schule und die Polizei
11 Aufgabe der Schulleitung
12 Eine Gefährdungsansprache setzt eine "polizeiliche Gefahr" voraus
13 Demokratieerziehung ist keine polizeiliche Aufgabe
14 Der liberale Rechtsstaat
15 Politiker als Gefahr für die Demokratie
16 Demokratieerziehung in der Kita
17 Wer die Wahrheit sagt, ist ....?
18 Quellen

01 Demokratieerziehung

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Demokratieerziehung soll, zumindest stellt sich das die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) so vor, bereits in der KITA beginnen. Was für eine Erziehung damit gemeint ist, diese Frage lässt die Bundesinnenministerin unbeantwortet, denn was das sein soll, das weiß niemand so ganz genau, denn auch der Beschreibungsversuch was unter "Demokratieerziehung" auf Wikipedia zur Verfügung steht, zeichnet sich nicht durch Klarheit, sondern durch Tautologie aus.

Wikipedia: Demokratiebildung, auch Demokratieerziehung oder Demokratiepädagogik, bezeichnet Formen der Erziehung und der Politischen Bildung mit dem Anspruch, den Erziehungsprozess demokratisch zu gestalten, oder mit dem Ziel, die Demokratie als anerkannte staatliche Regierungsweise oder umfassender ein demokratisches Zusammenleben, im Sinne einer Demokratie als Lebensform (John Dewey), zu fördern. Dazu gehören Bildungs- und Erziehungsansätze, die Inhalte über die Demokratie vermitteln oder demokratische Verhaltensweisen einüben sollen, ebenso wie Versuche, die Strukturen der Schule bzw. des ganzen Bildungssystems demokratisch zu gestalten.

Genug der schönen Worte: Es wäre schon viel erreicht, wenn bei der „Erziehung angehender Demokraten“ von Beginn an die Erfahrung vermittelt würde, dass es sich bei der Würde des Menschen nicht um einen bloßen Programmsatz, sondern um eine konkret erlebbare Erfahrung handeln würde, die darin besteht, der Vielfalt möglicher menschlicher Entwicklungen den dafür erforderlichen Platz zur Verfügung zu stellen, was gleichbedeutend ist, auf ideologische Indoktrination sowohl in staatlichen als auch in kirchlichen Institutionen zu verzichten.

Dazu gehört auch die Ideologie eines „woken“ aufgeweckten Demokratieverständnisses, das am liebsten alle Vorstellungen verbieten würde, die auch nur auf irgendeine Art und Weise „rechts“ sein könnten.

Wie dem auch immer sei: In einem Gymnasium in Mecklenburg-Vorpommern wurde im März 2024 sogar die Polizei bemüht, zur Demokratieerziehung beizutragen, denn der Schulleiter, der die Polizei um Einschreiten ersuchte, war dazu wohl selbst nicht in der Lage. Vorgeworfen wurde einer 16-jährigen Schülerin, auf TikTok Posts verbreitet zu haben, die mit dem Demokratieverständnis des Schulleiters wohl nicht vereinbar waren.

Die hinzugezogene Polizei nahm das „Ersuchen um Einschreiten“ zum Anlass, die 16-Jährige durch eine Art von Gefährdungsansprache davor zu warnen, demokratiefeindliche Posts zu verbreiten, obwohl der Schülerin nichts verbotswidriges vorgeworfen werden konnte, außer dem ihr zustehenden Recht, von der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht zu haben. Dazu gleich mehr. Vorab einige grundsätzliche Anmerkungen zur Rechtswidrigkeit polizeilichen Einschreitens.

02 Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen

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Rechtswidrig ist eine polizeiliche Maßnahme immer dann, wenn einschreitende Polizeibeamte weder zuständig, noch ermächtigt sind und/oder die zuständigkeitsbegrenzenden Regelungen der Ermessensausübung oder die der Verhältnismäßigkeit nicht sachgerecht anwenden.

Bei der hier zu erörternden Gefährdungsansprache – auch dazu gleich mehr – fehlt es bereits an der sachlichen Zuständigkeit, so dass andere Bereiche der Rechtmäßigkeitsprüfung von polizeilichen Maßnahmen unbeachtet bleiben können, denn wenn bereits der erste Prüfschritt einer polizeilichen Maßnahme zur Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit führt, dann können die folgenden Schritte daran auch nichts mehr ändern.

Hinweis: Zuerst einmal halte ich es für geboten, zu klären, was eine polizeiliche Gefährdungsansprache überhaupt ist. Dabei handelt es sich in der Regel um sprachlich formulierte Ausführungen einschreitender Polizeibeamter, die demjenigen, an den sie sich richten, aufzeigen sollen, worum es dem einschreitenden Polizeibeamten oder der einschreitenden Polizeibeamtin geht, um ein polizeiliches Ziel sozusagen im beiderseitigen Einvernehmen bereinigen zu können.

Eine Gefährdungsansprache ist jedoch keine Befragung und auch keine Vernehmung, sondern bei einer Gefährdungsansprache handelt es sich ausschließlich um ein kommunikatives Einsatzmittel, um polizeiliche Gefahrensituationen sozusagen durch Sprache und „Einsicht auf Seiten des Betroffenen“ bereinigen zu können, weil das polizeiliche Gegenüber erkennt, dass es besser für ihn ist, dem „Rat“ der Polizei zu folgen.

Beispiel: Anlässlich einer Ruhestörung zur Nachtzeit sagt eine Polizeibeamtin zu dem Ruhestörer: „Stellen Sie bitte ihre Stereoanlage auf Zimmerlautsprecher, damit Ihre Nachbarn schlafen können. Sollten Sie dazu nicht bereit sein, werden wir Ihre Wohnung betreten und die Lautsprecher sicherstellen und wenn Sie Widerstand leisten sollten, werden wir Sie in Gewahrsam nehmen. Wenn Sie das alles vermeiden wollen, dann stellen Sie bitte jetzt die Musik auf Zimmerlautstärke. Der Ruhestörer kommt der Aufforderung nach und verspricht, für den Rest der Nacht Ruhe zu geben.

Das ist eine typische Gefährdungsansprache der Polizei, die offensichtlich rechtmäßig ist, denn sozialverträglicher lässt sich eine Ruhestörung zur Nachtzeit, bei der es sich um eine Ordnungswidrigkeit handelt, nicht beenden.

03 Dafür ist die Polizei nicht zuständig

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Ich denke, dass es keiner weiteren Begründung dafür bedarf, festzustellen, dass die nachfolgenden Tätigkeiten nicht zum Zuständigkeitsbereich der Polizei gehören.

Es gehört nicht zu den Aufgaben der Polizei,

  • Steuerbescheide zu erlassen,

  • Bauvorhaben zu genehmigen,

  • Lebensmittelbetriebe zu kontrollieren,

  • Asylanträge oder Sozialhilfeanträge zu bearbeiten, zu bewilligen, oder gar ablehnen

  • Schülerinnen und Schüler in der Schule zu erziehen.

Anders ausgedrückt: Eine Polizei, die in Aufgabenbereichen tätig wird, für die sie nicht zuständig ist, handelt rechtswidrig.

Warum?

04 Verpflichtung jeglicher staatlichen Gewalt

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In einem Rechtsstaat ist es Aufgabe des Staates und seiner Organe, Freiheiten nicht nur zu gewähren, sondern diese auch zu schützen, soweit kein legitimer Grund gegeben ist, in die Rechte von Personen einzugreifen. Dazu gehören auch die Freiheitsrechte von Schülerinnen und Schülern.

Auch an Schulen gelten vollumfänglich die nachfolgend aufgeführten Rechte:

Art 1 Abs. 3 GG
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Dazu gehört auch das Recht auf Meinungsfreiheit.

Art 5 Abs. 1 GG
(1)
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Unabhängig von diesen Grundrechten, die jedem zustehen, der sich im Geltungsbereich des Grundgesetzes aufhält, verpflichtet der Artikel 20 Abs. 3 GG den Staat und seine Institutionen dazu, nicht nur die Grundrechte zu achten und zu schützen, sondern sich auch strikt an Gesetz und Recht zu halten, denn bei den Grundrechten handelt es sich um Abwehrrechte, deren Zweck darin besteht, dem staatlichen Regelungsbedürfnis Grenzen zu setzen.

Art 20 Abs. 3 GG
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

Hinweis: Zur vollziehenden Gewalt gehört nicht nur die Polizei. Dazu gehören auch die in Schulen tätigen Lehrerinnen und Lehrer und natürlich auch der Schulleiter bzw. die Schulleiterin.

05 Missbrauch staatlicher Macht

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Der Missbrauch staatlicher Macht kann in einem Rechtsstaat nicht hingenommen werden. Zu prüfen ist, ob das auch auf den nachfolgend skizzierten Fall zutrifft, der sich im März 2024 in einer Schule in Mecklenburg-Vorpommern ereignet hat.

Anlass: Der Leiter eines Gymnasiums hatte die Polizei um Einschreiten ersucht, weil eine 16-jährige Schülerin auf der Plattform TikTok-Post zwei Posts veröffentlicht hatte, die in etwa folgenden Inhalt hatten:

Ein Schlümpfe-Video mit folgendem Essenz:

Die Schlümpfe haben mit Deutschland etwas gemein:
Die Schlümpfe sind blau, und Deutschland auch.

In einem anderen Post heißt es:

Deutschland ist kein Ort, sondern Heimat.

Gewertet wurden diese beiden Posts vom Schulleiter wie verfassungsfeindliche Äußerungen, was zur Folge hatte, dass er die Polizei um Einschreiten ersuchte. Drei Beamte in Uniform holten die Schülerin aus dem Klassenzimmer (es gibt auch andere Schilderungen), um sie dann später dahingehend zu belehren, dass es zu ihrem eigenen Schutz besser sei, in Zukunft solche Posts zu unterlassen. Dieses Gespräch wurde, so der österreichische Nachrichtensender RTV aktuell, von der Polizeiführung als Gefährderansprache bezeichnet.

Bei diesem Sender handelt es sich um einen privaten Rundfunkveranstalter mit Sitz in Garsten in Oberösterreich. Ich habe dieses Video ausgewählt, um aufzuzeigen, dass sogar im Ausland solch ein Vorgang als eine Maßlosigkeit gewertet wurde.

Video auf RTV aktuell

Hier der Link zu dem Schlümpfe-Video auf TikTok

Über den Eintrag „Deutschland ist kein Ort, sondern Heimat“, habe ich die Quelle nicht gefunden.

Wie dem auch immer sei: Der Schulleiter hat es sicherlich „gut“ gemeint, und sich eigentlich nur so verhalten hat, wie das bereits 2015 der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) eingefordert hat.

06 Aufruf des Innenministers Thomas de Maizière 2015

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2015 hatte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière im Zusammenhang mit der gemeinsamen Aufgabe, Terroristen ausfindig zu machen und zu bekämpfen, auf der BKA-Tagung am 18.11.2015 in Mainz deutlich gemacht, was er für erforderlich und für geboten hält, um der Terrorgefahr angemessen begegnen zu können.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte damals: Wir dürfen nicht die Augen verschließen, wir dürfen uns nicht schämen, zu sagen, wenn sich jemand in unserem Umfeld verändert hat oder sich radikalisiert. Es ist kein Verrat am eigenen Sohn, an der eigenen Tochter, an der eigenen Familie, am eigenen Kollegen. Kein Verrat am Mitschüler, sondern ein Ausdruck von Sorge und ein Zeichen von Liebe und Gemeinschaft. Wenn man dafür sorgt, dass solche Radikalisierungsprozesse abgebrochen werden, unterbrochen werden, dass wir die Menschen zurückholen in unsere Gesellschaft [En01].

Mit anderen Worten: Es gibt sicherlich Gründe und Anlässe, die es rechtfertigen, die Polizei davon in Kenntnis zu setzen.

Beispiel: Hätte die 16-jährige Schülerin in ihrem Facebook-Account zum Beispiel damit gedroht, ihre Mitschülerinnen und Mitschüler zu töten, oder eine Amoktat angekündigt, dann wäre zweifellos ein nachvollziehbarer Grund gegeben, die Polizei davon in Kenntnis zu setzen. Im Übrigen würde dann auch wohl kaum jemand auf den Gedanken kommen, ein situationsangepasstes Einschreiten der Polizei als rechtswidrig zu bezeichnen.

Solch eine, oder eine dieser Gefahrenlage entsprechende Situation war aber nicht gegeben, als die Polizei um Einschreiten ersucht wurde. Das, was der Jugendlichen vorgeworfen wurde, war nichts anderes als die rechtmäßige Ausübung ihres Grundrechts auf Meinungsfreiheit. Insoweit stellt sich zwangsläufig die Frage, wie es möglich ist, dass staatliche Organe die Ausübung solch eines Freiheitsrechts zum Anlass nahmen, sogar polizeilich gegen eine Jugendliche im Schulraum vorzugehen.

Die Antwort ist schnell gefunden: Es bedarf keiner großen Phantasie, sich vorzustellen, wie der bereits 2015 vom damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) eingeforderte „Geist der Aufmerksamkeit“, sollte er auf jede und sogar auf nur eingebildete Auffälligkeiten angewendet werden, die gemeinsame Suche nach dem Bösen eskalieren lassen kann.

Die Grenze des noch Erträglichen wurde zwischenzeitlich sowohl von Bundesinnenministerin Nancy Faeser und von dem Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang durch eine gemeinsam vertretene Sprachfigur überschritten, die beide als eine „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ bezeichnet haben, was, gelinde gesagt, durchaus als Herrschaft des Verdachts bezeichnet werden kann, denn die Sprachfigur „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ kennt das deutsche Recht noch nicht.

Wie dem auch immer sei: In der DDR, und das war auch ein Grund ihres Zusammenbruchs, nannte man solche Menschen, die dem Staat alles meldeten, was auch nur irgendwie auffällig wurde, Blockwarte.

Dass solch eine gesteigerte Aufmerksamkeit zum Schutz der Demokratie, sogar einen Schulleiter dazu bewegen kann, die Polizei zu ersuchen, eine seiner Schülerinnen zu ermahnen, weil ihre Posts auf der Plattform TikTok durchaus als eine „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung“ anzusehen sind, wird hier der Einfachheit halber unterstellt, denn niemand weiß, wie genau die Kommunikation zwischen dem Schulleiter und der Polizei „ausgesehen“ hat. Festzustellen ist, dass sie ausreichte, die Polizei dazu zu bewegen, mit der Schülerin in dem Gymnasium zu sprechen.

07 Schulischer Bildungsauftrag

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Der schulische Bildungsauftrag geht von der Vorstellung aus, dass Bildung sowohl Personen als auch Gesellschaften verändern können, zumindest wird der Ruf nach „Bildung“ immer dann eingefordert, wenn es darum geht, gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu beseitigen. Dieser Ruf nach Besserung wirft jedoch die Frage auf, ob Veränderungen durch Bildung überhaupt möglich sind.

Konrad Paul Liessmann: Dass sich Menschen und Gesellschaften durch Bildung verändern lassen, gehört zu den zentralen Mythen moderner Bildungsideologien. Vielen gilt Bildung als jenes Instrumentarium, mit dem nicht nur die Menschen ihr individuelles Glück finden, sondern auch die sozialen, politischen und ökologischen Probleme unserer Zeit gelöst werden können [En02].

Von dieser Vorstellung ausgehend liegt es also nahe, Demokratieerziehung an Schulen sozusagen als ein "Grundnahrungsmittel demokratischer Gesellschaften" zu implementieren, soweit an Mythen geglaubt wird. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn es sich bei der Bildung, die Schülerinnen und Schüler in Schulen erleben, nicht bloß um blasse Theorie handeln würde, sondern an Schulen Demokratie tatsächlich erlebt werden kann, denn nur erlebte Bildung vermag Menschen zu verändern.

Konrad Paul Liessmann: Bildung [gemeint sind Fakten] allein kann eine Gesellschaft nicht verändern. Wohl aber kann sie dazu beitragen, jene Diskurse kritisch zu befragen, die lautstark die realen Veränderungsprozesse, etwa im Bereich [sozialer Medien, politischer Veränderungen oder demokratiegefährdenden Entwicklungen] begleiten [En03].

Daran hat es aber im hier zu erörternden Sachzusammenhang in Mecklenburg-Vorpommern gefehlt, denn das, was die Schülerin erlebt hat, kann nur als eine nachhaltig wirkende Demokratieenttäuschung verstanden werden.

Ob solch ein Lernerfolg im Sinne des Schulgesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern tatsächlich angestrebt wird, das kann, nein das muss bezweifelt werden, denn ein übergriffig werdender Staat - wozu auch Schulen gehöre können – hört auf, eine Demokratie zu sein.

Kurzum: Ein Denunziantentum und eine Fehlerkorrektur, der es bereits am Fehler fehlt, sieht das Schulgesetz als einen durch Erziehung abzustellenden Missstand nicht vor. Auch in Schulen gilt, dass die Würde von Schülerinnen und Schülern unantastbar ist und auch Lernende ein Recht auf freie Meinungsäußerung haben.

§ 2 (Schulgesetz - SchulG M-V)
Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule

§ 55 (Schulgesetz - SchulG M-V)
Informationsrechte der Erziehungsberechtigten und der Schülerinnen und Schüler

§ 60 (Schulgesetz - SchulG M-V)
Erziehungsmaßnahmen

§ 60a (Schulgesetz - SchulG M-V)
Ordnungsmaßnahmen

Mit anderen Worten: Die Vorstellungen, wie eine Demokratie vor ihrem Verfall zu schützen ist, dürfte bereits heute einen Zustand erreicht haben, der es dringend erforderlich macht, darüber nachzudenken, was ein wehrhafter Staat zu tun hat, um die Demokratie, also sich selbst, zu schützen. Denunzieren, Menschen auszugrenzen, die anders denken, oder gar eine Behörde in die Lage zu versetzen, schon unterhalb der Schwelle eines Tatverdachts über Personen Informationen sammeln und auszuwerten, dürften da wohl eher den Verfall beschleunigen, als zum Schutz der Demokratie beizutragen, denn ein Staat, der nur noch solche Meinungen akzeptiert, die dem Staat selbst genehm sind, hört zwangsläufig auf, eine Demokratie zu sein.

Nur zur Erinnerung: Es gibt keine westliche Demokratie, die, wie das in Deutschland der Fall ist, über einen Inlandsgeheimdienst verfügt. Die Gründe für die deutsche Ausnahme liegen, und das ist der alleinige Grund für diese Ausnahmeposition im Kreis der anderen westlichen Demokratien, in der jüngeren deutschen Vergangenheit, denn nach Ende des Zweiten Weltkrieges hielten es die „Väter und Mütter“ des Grundgesetzes für erforderlich, zu verhindern, dass Nazis weiterhin ihr Unwesen trieben. Verhindern konnten sie das aber nicht.

Anders ausgedrückt: Verhindert werden sollte, dass sich „jene nicht auf die Grundrechte berufen dürfen“, die von beim Kampf gegen die Demokratie und die freiheitlich demokratische Grundordnung deren Verfall beschleunigen konnten.

Der SPD-Abgeordnete Carlo Schmid nannte dies im Jahr 1948 die „immanente Schranke“ der Grundrechte, denn das Grundgesetz sollte sich im Sinne einer „wehrhaften Demokratie“ stets gegen ihre Feinde zur Wehr setzen können. Wehrhafte Demokratie, das bedeutete damals nichts anderes als die Inanspruchnahme des Rechts auf Selbstverteidigung des demokratischen Staates gegen eine latent vorhandene immer noch sehr große Gegnerschaft ehemaliger Nazis, deren Geisteshaltung sich nicht von heute auf morgen verändert haben konnte, obwohl es auch damals viele Wendehälse gab, die zwar die Blickrichtung ändern konnten, nicht aber ihre Gesinnung.

Mit anderen Worten: Dieser Sichtweise folgend vermag es auch heute nicht zu überraschen, dass Meldestellen für Abweichungen von der Political Correctness und Hasskriminalität sozusagen wie Pilze aus dem Boden sprießen, um verbalen und mentalen Grenzverschiebungen sofort entschieden entgegentreten zu können, und das auch dann, wenn gar nichts Verwerfliches gesagt oder geschrieben wurde.

Dieses Bemühen um Selbstschutz, verbunden mit der Absicht, sogar Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze zu verfolgen, dient heute bereits dazu, die Sprachfigur der "wehrhaften Demokratie" mit Leben zu füllen.

Und exakt an dieser Stelle befinden wir uns wieder in dem Mecklenburger Gymnasium, dessen Schulleiter, einer Empfehlung seiner obersten Dienstbehörde, dem Ministerium für Bildung und Kindertagesförderung folgend, sogar die Polizei bemüht hat, eine von ihm festgestellte „verfassungsschutz­relevante Delegitimierung des Staates“, begangen durch eine ihm anvertraute Schülerin, polizeilich verfolgen zu lassen.

Was diesem Ersuchen folgte, das wurde sogar vom Innenminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern als eine Gefährdungsansprache bezeichnet, die verhältnismäßig war, weil ja praktisch nichts geschehen ist, keine Festnahme, kein Zwang, keine Anzeige ... also nichts außer eines polizeilichen Ratschlags, in Zukunft Posts bei TikTok zu unterlassen.

08 Was die Schülerin gelernt hat

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Es ist schon eine besondere Erfahrung für eine jugendliche Schülerin, von der Polizei aus dem Unterricht geholt und dann auch noch dahingehend belehrt zu werden, dass es besser für sie ist, auf TikTok keine Posts mehr zu verbreiten. Was von den einschreitenden Polizeibeamten genau gesagt worden ist, dass können wir nicht wissen. Und auch, wenn sie gut gemeint waren, werden die belehrenden Worte der Polizeibeamten einen bleibenden Eindruck bei der 16-Jährigen hinterlassen haben – nicht nur bei ihr, sondern auch bei ihren Mitschülerinnen und Mitschülern, die Zeugen waren, was ihre Schule unter Demokratieerziehung versteht.

Clara Hannaford, eine anerkannte US-amerikanische Neurophysiologin, Pädagogin und Kinesiologin, die als Wissenschaftlerin die neurophysiologischen Grundlagen des Lernens erforscht, würde zu dem Gespräch, dass die Polizei einer 16-jährigen Schülerin sozusagen „aufzwang“, sich wie folgt äußern:

Carla Hannaford: Worte können nur dann verstanden werden, wenn sie im Geist des Lernenden ein Bild hervorrufen. Sagt der Lehrer ein bestimmtes Wort (zum Beispiel Demokratie) und die Schüler verfügen nicht über das zugehörige Bild, bleibt ihnen das Wort unverständlich und sie werden verwirrt. Erfahrungen dagegen sind direkt und real. Sie beziehen die Sinne, die Emotionen und Bewegungen mit ein und beschäftigen den Lernenden umfassend. Es geschieht wirklich etwas, wenn wir mit allen unseren Sinnen wahrnehmen, und bei dieser Art der Erfahrung beobachten wir, stellen Verbindungen zu vergangenen Erlebnissen her und erkennen Muster. Worte sind in diesem Prozess nützlich, sie helfen uns, unsere Gedanken angesichts unserer Empfindungen zu ordnen. Aber sie sind kein Ersatz für die Kraft und Lebendigkeit wirklicher Erfahrung [En04].

So würde das auch John Hatti, einem neuseeländischen Pädagogen, der an der John Allan Clinton lehrt und der die wohl umfangreichste Metastudie über den Vorgang des Lernens erstellt hat, diese Rückmeldung der Polizei hinsichtlich unliebsamen Verhaltens, wie folgt bewerten:

John Hatti: Rückmeldungen sind sowohl für die Lernenden als auch für die Lehrpersonen wichtig. Sie sind, genau betrachtet, auf beiden Seiten sogar die wichtigsten Motoren des Lernens und des Lehrens. Nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern auch Lehrpersonen brauchen eine öffentliche und schulische Lernkultur, in der die produktive Rolle von Fehlern genutzt werden kann. Der Umgang mit Fehlern ist als Ausdruck pädagogischer Professionalität zu bewerten - und nicht als Makel. Fehler zu begehen ist kein Problem, sondern im Lernen und Lehren ganz normal. Problematisch hingegen wird es, wenn Fehler nicht reflektiert und insofern wiederholt werden. Am eindrücklichsten hat einer der weltbesten und erfolgreichsten Basketballspieler aller Zeiten, Michael Jordan, den Zusammenhang zwischen Fehlern und Erfolg auf den Punkt gebracht: „Mehr als neuntausend Würfe in meiner Karriere gingen daneben. Ich habe fast dreihundert Spiele verloren. Sechsundzwanzig Mal lag es an mir, den spielentscheidenden Wurf zu machen, und ich habe versagt. Immer und immer und immer wieder bin ich in meinem Leben gescheitert. Und deswegen habe ich Erfolg [En05].

09 Denunziantentum und Tugendterror

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Denunziantentum und Tugendterror darf nicht ohne Konsequenzen bleiben, denn dies sind die bevorzugten Mittel eines sanften Totalitarismus, der von Demokratie schwafelt, sich aber jederzeit das Recht vorbehält, diejenigen, die ausscheren, punktuell mit aller Härte zu verfolgen, und wenn es geht, auch zu bestrafen.

Dass diese Vorgehensweise jeglicher Logik und jeglichem gesunden Rechtsempfinden widerspricht, ist Teil der beabsichtigten einschüchternden Wirkung.

Diesbezüglich heißt es auf Tichyseinblick.de vom 15. März 2024 unter der Überschrift: Gefährderansprache für Heimatliebe: Einschüchterung: das Lieblingswerkzeug des sanften Totalitarismus, wie folgt:

Tichyseinblick.de: Die Kombination aus einem offensichtlich politisch motivierten Schuldirektor, der einer Ausstellung aus dem „Demokratie leben!“ Projekt in seiner Schule Raum gab, einem offensichtlichen Denunzianten, der die Schülerin anonym anschwärzte, einem Polizeiapparat, der zwar an anderer Stelle ständig über Unterbesetzung jammert, aber in diesem Fall – obwohl bekannt war, dass kein Strafbestand vorlag – es für angebracht hielt mit gleich drei Beamten anzurücken, einem SPD-Innenminister, der die Aktion als „verhältnismäßig“ einstufte, da „keine Festnahme, keine Handschellen“ zum Einsatz kamen, sowie einer Schülerin, die nichts weiter getan hatte, als ein Video einer legalen und demokratisch legitimierten Partei geteilt und Deutschland als ihre Heimat bezeichnet zu haben – all diese Faktoren ergeben im Zusammenspiel mit geringem Aufwand der Staatsmacht ein Signal an eine ganze Generation Heranwachsender, dass jegliche öffentliche Äußerung, die nicht zugunsten des etablierten Mainstreams ausfällt, mit dem zeitgenössischen Äquivalent einer Prangerstrafe geahndet werden kann [En06].

Nun gut: Strafrechtlich Relevantes konnte der Schülerin nicht vorgeworfen werden. Dem neuen Zeitgeist entsprechend war ein Untätigbleiben der Polizei aber allein deshalb nicht möglich, da ja auch „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ demokratieförderndes staatliches Verhalten einzufordern geboten gewesen sei. Und so wurde, wie ein Polizei-Pressesprecher sagt, mit der Schülerin eine Art Gefährderansprache geführt.

Wohin solch ein Demokratieverständnis führt, dazu hat sich bereits Alexis de Tocqueville (1805 bis 1859) im Anschluss an seine Amerikareise (1835 bis 1840) wie folgt positioniert:

Alexis de Tocqueville: Als die Amerikaner der politischen Gerichtsbarkeit die richterlichen Strafen entzogen, sind sie [...] den furchtbaren Folgen der "Tyrannei der gesetzgebenden Gewalt" zuvorgekommen als der Tyrannei schlechthin. Ich bin mir nicht sicher, ob – im Ganzen betrachtet – die politische Gerichtsbarkeit, wie man sie in den Vereinigten Staaten auffasst, nicht doch die fürchterlichste Waffe ist, die jemals den Händen der Mehrheit anvertraut worden ist. Wenn die amerikanischen Republiken anfangen werden zu verfallen, so glaube ich, wird man das leicht erkennen können: Man muss nur schauen, ob die Tätigkeit der politischen Gerichtsbarkeit zunimmt.  [En06a]

Diese Ausführungen lassen sich durchaus auch auf die Gegebenheiten in der besten deutschen Demokratie übertragen, die, so ihre Kritiker, keine wirkliche Demokratie mehr ist. Dazu ist es lediglich erforderlich, die Sprachfigur der „politischen Gerichtsbarkeit“ durch die der „politischen Ausgrenzung“ zu ersetzen, denn diese Ausgrenzung hat in der bundesdeutschen Demokratie von heute bereits erschreckende Ausmaße angenommen.

Zum Beispiel: Auf der Website des Hessischen Fußballverbandes heißt es: Man könne jemandem die Mitgliedschaft verweigern, „wenn bekannt ist, dass diese Person einer rechtsextremen Gruppierung angehört“.

Und auch der FC Bundestag, so heißt es auf zdfheute.de vom 22.3.2024, schließt AfD-Spieler aus. Dass diese Entscheidung bei der AfD auf Kritik stößt, ist naheliegend. Auch, dass sie dagegen vorgehen will, denn das ist ihr Recht.

Wie dem auch immer sei: Bedauerlicherweise gibt es aber bis heute keine gesetzliche Legitimation darüber, was Radikalismus bzw. Extremismus eigentlich ausmacht. Politiker, die danach gefragt werden, ziehen es in der Regel vor, zu schweigen, denn nicht einmal im Bundesverfassungsschutzgesetz lässt sich dazu eine Definition finden.

Bei allem, was zu diesen Sprachfiguren in der Öffentlichkeit bekannt ist, handelt es sich um Wortschöpfungen von politischen Beamten (Präsident des Bundesverfassungsschutzes) oder anderen hochrangigen Beamten sowie der diesen Beamteb  vorgesetzten Bundes- und Landesminister, die den Verfassungsschutzbehörden vorstehen, eingeschlossen.

Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber hat es bisher nicht geschafft, auch nur vage die Voraussetzungen zu definieren, die gegeben sein müssen, um das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) dazu zu ermächtigen, Informationen über „staatsgefährdende Personen“ sammeln zu können, die einen rechtsstaatlich erforderlichen Mindestverdacht anhand erkennbarer Tatsachen belegen.

§ 8 BVerfSch (Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz)

10 Die Schule und die Polizei

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Schulen sind nicht nur Lernorte, sondern bekanntermaßen auch Tatorte. Es vermag insoweit nicht zu verwundern, dass auch an den Schulen in Mecklenburg-Vorpommern die Anzahl dort begangener Straftaten zugenommen hat.

NDR.de vom 18.03.2024: Die Zahl der Gewalt-Vorfälle an Schulen in Mecklenburg-Vorpommern ist gestiegen. Zuletzt machten mehrere Fälle von Reizgas-Attacken Schlagzeilen. Registrierte das Bildungsministerium im Schuljahr 2021/2022 noch 511 Vorfälle, waren es im Schuljahr darauf 769 [En07].

Solche Straftaten zu erforschen und zu verfolgen ist Aufgabe der Polizei. Das aber setzt voraus, dass sie davon in Kenntnis gesetzt wird.

Erhält die Polizei von einer Straftat Kenntnis, ist es als Strafverfolgungsbehörde ihre Aufgabe, bekannt gewordene Straftaten zu erforschen. Voraussetzung für eine Strafverfolgung ist aber der so genannte hinreichende Tatverdacht. Für die Begründung dieses Anfangsverdachts reichen Vermutungen aus, die im zureichenden Maße die Annahme rechtfertigen, dass tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat gegeben sind.

Die sind gegeben, wenn die Möglichkeit einer strafbaren Handlung besteht. Das war aber bei den hier zu erörternden Gegebenheiten nicht der Fall. Insoweit stellt sich die Frage, wie es in einem Rechtsstaat möglich ist, Polizeibeamte dazu zu bewegen, eine Jugendliche „erziehen“ zu wollen, obwohl das gar nicht Aufgabe der Polizei ist.

Der beschwichtigenden Erklärungen gibt es viele. Hier zum Beispiel eine Leseprobe aus der Süddeutschen Zeitung vom 15.03.2024:

Sueddeutsche.de vom 15.3.2024: Innenminister Pegel verteidigte im Landtag das Vorgehen der Polizisten. „Ich glaube doch, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt war“, sagte er. Bildungsministerin Oldenburg ließ in einer Mitteilung ihres Hauses erklären, Schulleitungen in MV seien gehalten, die Polizei einzuschalten, wenn bei Besitz, Erstellung und/oder Verbreitung von Textnachrichten, Fotos oder Videos ein strafrechtlicher Hintergrund nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden könne. Der Schulleiter übergab den Fall der Polizei zur Klärung des Sachverhalts. Alle weiteren Maßnahmen und Entscheidungen wurden durch die Polizei getroffen [En08].

Ich überlasse es Ihnen, diese Aussagen zu bewerten, deren Ziel nur darin besteht, ein staatliches Vorgehen auf der einen Seite (Innenminister) schönzureden und auf der anderen Seite (Bildungsministerin) die Verantwortung für inkompetentes Verhalten auf die Polizei abzuwälzen.

Wie dem auch immer sei: Die Hinzuziehung der Polizei anlässlich von Straftaten im Schulbereich kommt zumindest in NRW nur dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen des Erlasses „Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität“ greifen.

Das ist der Fall, wenn es im Schulbereich: zu:

  • Gefährlichen Körperverletzungen

  • Einbruchsdiebstählen

  • Verstößen gegen das Waffengesetz

  • Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz oder zu

  • Erheblichen Fällen von Bedrohung, Sachbeschädigung oder Nötigung sowie zu

  • Politisch motivierten Straftaten gekommen ist [En09].

11 Aufgabe der Schulleitung

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Besteht gegen Schülerinnen oder Schüler der Verdacht der Begehung eines Verbrechens oder eines schwerwiegenden Vergehens, so hat die Schulleitung die Strafverfolgungsbehörden zu benachrichtigen.

Soweit sich der Verdacht einer sonstigen strafbaren Handlung (Vergehen und Bagatelldelikte) ergibt, hat die Schulleitung zu prüfen, ob pädagogische oder schulpsychologische Unterstützung, erzieherische Einwirkungen beziehungsweise Ordnungsmaßnahmen ausreichen, oder ob wegen der Schwere der Tat eine Benachrichtigung der Polizei oder der Staatsanwaltschaft erforderlich ist.

Anders ausgedrückt: Die Polizei sollte nur dann hinzugezogen werden, wenn es sich um Straftaten handelt, die nicht mehr als "Bagatelldelikte" bezeichnet werden können. Ob schwere Fälle der Beleidigung oder Mobbingfälle unter Nutzung der sozialen Medien, die den Tatbestand des Nachstellens erfüllen können, siehe § 238 StGB (Nachstellen), noch als Bagatelldelikte angesehen werden dürfen, bedarf hier keiner Klärung, denn dazu ist es im hier zu erörternden Fall nicht gekommen.

Es lag ja nicht einmal der Anfangsverdacht einer Straftat vor.

Daraus ergibt sich die Feststellung, dass die Polizei zu diesem Zweck gar nicht hätte einschreiten dürfen, da nicht einmal ein Anlass dafür gegeben war, die dafür erforderliche sachliche Zuständigkeit überhaupt begründen zu können. Die aber ist erforderlich, um überhaupt strafprozessuale Maßnahmen treffen zu können, auf die aber mangels Zuständigkeit verzichtet werden muss, wenn das nicht der Fall ist.

12 Eine Gefährdungsansprache setzt eine "polizeiliche Gefahr" voraus

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Bei einer polizeilichen Gefährdungsansprache handelt es sich um eine polizeiliche Maßnahme, die auf der Grundlage der polizeilichen Generalklausel verfügt werden kann, wenn die dafür erforderlichen Voraussetzungen greifen. Das wiederum setzt voraus, dass – genauso wie das bei der Zuständigkeit zur Strafverfolgung erforderlich ist – eine Zuständigkeit zur Gefahrenabwehr nachgewiesen werden kann. Wenn die nicht möglich ist, dann können auch die Voraussetzungen der Generalklausel nicht greifen.

Anders ausgedrückt: Trifft die Polizei Maßnahmen zur Gefahrenabwehr, ohne die dazu erforderliche Zuständigkeit nachweisen zu können, dann kann eine Gefährdungsansprache, um die es hier geht, nur rechtswidrig sein.

Fragen der Verhältnismäßigkeit stellen sich dann gar nicht, denn die sind nur auf der Rechtsfolgenseite bedeutsam. Wenn aber eine Rechtsfolge mangels sachlicher Zuständigkeit gar nicht hätte gesetzt werden dürfen, dann wird diese Maßnahme auch nicht dadurch rechtmäßig, indem behauptet wird, dass dieses polizeiliche Vorgehen ja so unbedeutend gewesen ist, dass so ein bisschen Rechtswidrigkeit doch wohl nicht so schlimm sein kann, denn letzten Endes haben es die einschreitenden Beamten mit der Schülerin ja nur gut gemeint.

In einem Kommentar zu dieser Sichtweise, der am 15.3.2024 in der Neuen Züricher Zeitung erschien, heißt es:

NZZ.ch vom 16.03.2024: Ein Staat, der eine Schülerin wegen eines Schlumpf-Videos mit einer „Gefährderansprache“ einschüchtert, hat jedes Maß verloren. Deutschland führt einen Kampf „gegen rechts“, und laut dem Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldenwang soll dieser bereits «unterhalb der Strafbarkeitsgrenze» beginnen. [En09a]

Nicht nur das. Ein Staat, der seine Legitimität dem Souverän verdankt, steht nur dann das Recht zu, in die Grundrechte von Personen einzugreifen, wenn die handelnden Staatsorgane dazu nachweislich gesetzlich legitimiert sind.

Anders ausgedrückt: Staatliches Eingreifen in Grundrechte kann nur auf der Basis objektiver Tatsachen legitimiert werden. Dort, wo dies nicht möglich ist, entfällt auch die Rechtfertigung für einen Grundrechtseingriff zum Zweck der Gefahrenabwehr, denn diese Zuständigkeit setzt eine Gefahr voraus. Das wiederum ist eine Sprachfigur, die einer sorgfältigen Erörterung bedarf:

Polizeiliche Gefahr: Der zentrale Begriff des Polizeirechts ist der unbestimmte Rechtsbegriff der "Gefahr". Damit ist traditionell die "konkrete" Gefahr gemeint.

Hans J. Wolff: Nach allgemeiner Auffassung liegt eine "Gefahr" vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird.

Hans J. Wolff, Verwaltungsrecht III

Eine Gefahr setzt folglich einen drohenden Schaden voraus.

Anders ausgedrückt: Eine Gefahr ist gegeben, wenn mit dem Eintritt eines Schadens zu rechnen ist. Eine Gefahr ist somit ein Zustand, der dadurch gekennzeichnet ist, dass aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Eintritt eines Schadens zu erwarten ist.

Hinweis: Die Gefahrenabwehr ist das Herzstück des Polizeirechts. Ihr Stellenwert ist so bedeutsam, dass in begründeten Einzelfällen sogar die Strafverfolgungspflicht gegenüber der Gefahrenabwehr zumindest vorübergehend zurücktreten muss.

Grundsatz: Gefahrenabwehr vor Strafverfolgung

Die abstrakte Gefahr: Abstrakte Gefahren werden typischerweise vom Gesetz- bzw. Verordnungsgeber durch Normen geregelt. So dient zum Beispiel die Straßenverkehrsordnung der Abwehr von Gefahren, die durch die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr entstehen können, indem sie alle Verkehrsteilnehmer dazu verpflichtet, sich an die Verkehrsregeln zu halten.

BVerfG 2006: In dem Spannungsverhältnis zwischen der Pflicht des Staates zum Rechtsgüterschutz und dem Interesse des Einzelnen an der Wahrung seiner von der Verfassung verbürgten Rechte ist es [...] zunächst Aufgabe des Gesetzgebers, in abstrakter Weise einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu erreichen (...). Dies kann dazu führen, dass bestimmte intensive Grundrechtseingriffe erst von bestimmten Verdachts- oder Gefahrenstufen an vorgesehen werden dürfen. Entsprechende Eingriffsschwellen sind durch eine gesetzliche Regelung zu gewährleisten (...).

BVerfG, Beschluss vom 04.04.2006 - i BvR 518/02

Mit anderen Worten: Die Abwehr abstrakter Gefahren ist vorrangig Aufgabe des Gesetzes- und Verordnungsgebers.

BVerwG 2003: Maßgebliches Kriterium zur Feststellung einer Gefahr ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (...). Das trifft nicht nur für die "konkrete" Gefahr zu, die zu Abwehrmaßnahmen im Einzelfall berechtigt, sondern auch für die den sicherheitsrechtlichen Verordnungen zugrunde liegende "abstrakte" Gefahr.

BVerwG, Urteil vom 20.08.2003 - BVerwG 6 CN 2.02

Abgrenzung einer abstrakten Gefahr von der einer konkreten Gefahr:

BVerwG 1970: Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann; eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz zu bekämpfen; das hat zur Folge, dass auf den Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im Einzelfall verzichtet werden kann.

Auch die Feststellung einer abstrakten Gefahr verlangt mithin eine in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherte Prognose: Es müssen - bei abstrakt-genereller Betrachtung - hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die den Schluss auf den drohenden Eintritt von Schäden rechtfertigen. Dabei liegt es im Wesen von Prognosen, dass die vorhergesagten Ereignisse wegen anderer als der erwarteten Geschehensabläufe ausbleiben können. Von dieser mit jeder Prognose verbundenen Unsicherheit ist die Ungewissheit zu unterscheiden, die bereits die tatsächlichen Grundlagen der Gefahrenprognose betrifft. Ist die Behörde mangels genügender Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu der erforderlichen Gefahrenprognose nicht im Stande, so liegt keine Gefahr, sondern - allenfalls - eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor.

BVerwG, Urteil vom 26.06.1970 - BVerwG 4 C 99.67

Der Gefahrenverdacht: Diese Gefahrenart gibt es zwar nicht, sie wird aber seit geraumer Zeit sogar verwaltungsgerichtlich als gegeben anerkannt. Dennoch: In der Rechtslehre ist strittig, ob bereits aufgrund eines bloßen Gefahrenverdachts gefahrenabwehrende Maßnahmen getroffen werden können. Besser ist es, in solchen Fällen von einer so genannten Anscheinsgefahr auszugehen, soweit eine solche zu begründen ist.

BVerwG 2003: Schadensmöglichkeiten, die sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, begründen keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht oder ein »Besorgnispotenzial«. Das allgemeine Gefahrenabwehrrecht bietet keine Handhabe, derartigen Schadensmöglichkeiten im Wege der Vorsorge zu begegnen.

An anderer Stelle heißt es:

Ist die Behörde mangels genügender Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu der erforderlichen Gefahrenprognose nicht im Stande, so liegt keine Gefahr, sondern - allenfalls - eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor. Zwar kann auch in derartigen Situationen ein Bedürfnis bestehen, zum Schutz der etwa gefährdeten Rechtsgüter, namentlich höchstrangiger Rechtsgüter wie Leben und körperlicher Unversehrtheit von Menschen, Freiheitseinschränkungen anzuordnen. Doch beruht ein solches Einschreiten nicht auf der Feststellung einer Gefahr; vielmehr werden dann Risiken bekämpft, die jenseits des Bereichs feststellbarer Gefahren verbleiben. Das setzt eine Risikobewertung voraus, die - im Gegensatz zur Feststellung einer Gefahr - über einen Rechtsanwendungsvorgang weit hinausgeht und mehr oder weniger zwangsläufig neben der Beurteilung der Intensität der bestehenden Verdachtsmomente eine Abschätzung der Hinnehmbarkeit der Risiken sowie der Akzeptanz oder Nichtakzeptanz der in Betracht kommenden Freiheitseinschränkungen in der Öffentlichkeit einschließt, mithin - in diesem Sinne - »politisch« geprägt oder mitgeprägt ist (...). Eine derart weit reichende Bewertungs- und Entscheidungskompetenz steht den Polizei- und Ordnungsbehörden aufgrund der Verordnungsermächtigungen nach Art des § 25 Abs. 1 OBG nicht zu..

BVerwG, Urteil vom 20.08.2003 - 6 CN 2.02

Wie dem auch immer sei: Festzustellen ist, dass es Formulierungen sowohl in den Polizeigesetzen als auch in den dazu erlassenen Verwaltungsvorschriftes es nur noch Wortkünstlern ermöglichen, eine "abstrakte" Gefahr von einer "konkreten" Gefahr begrifflich zu unterscheiden. In der Verwaltungsvorschrift zum Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (VVPolG NRW) heißt es zum Beispiel, zu der Sprachfigur der abstrakten Gefahr in der Nr. 1.12 zum § 1 PolG NRW (Aufgaben der Polizei) wie folgt:

Nr. 1.12
§ 1 Abs. 1 stellt auf  die abstrakte Gefahr ab und umfasst damit auch alle Fälle, in denen bereits eine konkrete Gefahr vorliegt.

Diese Sprachfigur wird im Zusammenhang mit der Generalklausel des Polizeigesetzes NRW durch den Begriff der "Anscheinsgefahr" ersetzt.
In der Nr. 8.11 zum § 8 PolG NRW (Allgemeine Befugnisse, Begriffsbestimmung) heißt es:
Nr. 8.11
Zur konkreten Gefahr gehört auch die Anscheinsgefahr, also eine Sachlage, die bei verständiger Würdigung eines objektiven Betrachters den Anschein einer konkreten Gefahr erweckt.

Wie dem auch immer sei: Im hier zu erörternden Sachverhalt handelt es sich weder um eine abstrakte Gefahr noch um eine Anscheinsgefahr, die es aus polizeilicher Sicht abzuwehren gilt. Im Übrigen sind die Anforderungen sowohl an eine abstrakte Gefahr als auch an eine Anscheinsgefahr nicht dem Argumentationsgeschick einschreitender Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten überlassen, sondern, in Anlehnung an die ständige Rechtssprechung aller Verwaltungsgerichte an konkretisierbare Tatsachen gebunden, die über den Grad von Vermutungen hinausgehen müssen.

Anders ausgedrückt: Auch unter einer Anscheinsgefahr ist eine Sachlage zu verstehen, die bei verständiger Würdigung eines objektiven Betrachters den Anschein einer konkreten Gefahr erweckt. Daraus lässt sich schließen, dass die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen (Lebensweisheit). 

Wie diese Ausführungen auf den hier beschriebenen Sachverhalt anzuwenden sind, das möchtge ich Ihnen überlassen.

Meine Position wird durch die folgende Überschrift hinreichend deutlich:

13 Demokratieerziehung ist keine polizeiliche Aufgabe

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Alles, was sich nach dem Vorgang an einem Mecklenburger Gymnasium an Unmut über die Schule, den Schulleiter, das Innenministerium, als auch über die beteiligten Polizisten ergießt – die, ohne ihr Einschreiten aus rechtlicher Sicht zu hinterfragen, bloß Befehle befolgten – muss leider festgestellt werden, dass dies zurecht so ist, denn Demokratieerziehung als ein Bildungsauftrag ist keine polizeiliche Aufgabe. Aus polizeilicher Sicht kommt ein "polizeilicher Erziehungsauftrag" wohl nur im Zusammenhang mit polizeilichen Ermittlungen in Betracht, die sich gegen Jugendliche richten, bei denen es sich um so genannte Diversionsverfahren handelt, deren Ziel es ist, bei geringfügigen Straftaten, soweit es sich dabei um Erstdelikte handelt, eine Hauptverhandlung zu vermeiden, also zu verhindern, dass ein jugendlicher Straftäter von einem Richter verurteilt wird.

Diesem Verfahren liegt die Vorstellung zugrunde, dass man die durch eine Verurteilung verbundene Stigmatisierung eines Jugendlichen vermeiden will und somit verhindert, dass ein jugendlicher Straftäter das volle Strafverfahren durchläuft. Ziel des Diversionsverfahrens ist es, einen Jugendlichen möglichst früh, zum Beispiel durch so genannte "ambulante" Maßnahmen, sozusagen erzieherisch auf die rechte Bahn zurück zu bringen.

Diese "Großzügigkeit" entspricht durchaus dem geltenden Strafrecht, wozu auch das Jugendstrafrecht gehört, denn grundsätzlich darf ein jugendlicher Straftäter nur dann angeklagt werden, wenn ein informelles Vorgehen gegen einen Jugendlichen aus erzieherischen Gründen als nicht ausreichend angesehen wird (Subsidiaritätsprinzip).

Es würde zu weit führen, an dieser Stelle alle rechtlichen Details des Diversionsverfahrens darzustellen.

14 Der liberale Rechtsstaat

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Der hier beschriebene Vorgang lässt zumindest erkennen, dass der liberale Rechtsstaat zumindest gefährlich nahe an eine Grenze geraten ist, die zu überschreiten dem noch bestehenden liberalen Rechtsstaat nicht anzuraten ist, weil davon eine zerstörende Wirkung ausgeht.

Warum?

Die Freiheit, Meinungen zu haben und diese auch zu äußern, egal wie brüskierend oder unerträglich sie für andere sein mögen, ist seit John Locke die conditio sine qua non einer freien Gesellschaft, denn das ursprüngliche Ziel des Liberalismus, in Bezug auf die von ihm proklamierten Naturrechte, bestand ja bekanntermaßen darin, das Individuum vor der Willkür der Macht des Staates zu schützen.

Anders ausgedrückt: Das Individuum besaß Rechte, die andere dazu zwingen, dieses Individuum dennoch als ein freies Wesen zu behandeln, das souverän über sein Leben verfügt, und das den gleichen Anspruch auf Respekt hat, wie andere auch. Das gilt auch für Schülerinnen und Schüler im ganz normalen Schulbetrieb.

Mir anderen Worten: Die Theorie der Menschenrechte ist dazu da, staatlichen Institutionen Grenzen zu setzen, und nicht dazu da, die Macht der Bürokraten zu vergrößern, sofern sie nicht dem Zweck dienen, ihre grundlegende Aufgabe zu erfüllen, nämlich die individuelle Freiheit zu verteidigen und zu schützen und, im Hinblick auf Schulen, ein Lernen in Freiheit zu ermöglichen. Ob damit ein „Lernen in Freiheit“ gemeint ist, wie es Carl Rogers gemeint hat, darf getrost bezweifelt werden, denn so viel Freiheit lässt der Schulalltag nicht zu.

Dennoch: Bei dem liberalen Rechtsstaat handelt es sich nicht um eine Kultur der Zurückweisung unliebsamer Meinungen, sondern um eine Kultur der Bejahung auch solcher Meinungen, die mit der Political Correctnes nicht übereinstimmen. Was im Schulbereich aber nicht ausschließt, dass darüber miteinander gesprochen werden muss.

An den Schulen in Mecklenburg-Vorpommern scheint das heute anders zu sein.

Mit anderen Worten: Auch wenn Schulleiter sich darauf berufen, dass die oberste Schulbehörde des Landes Mecklenburg-Vorpommern, das Ministerium für Bildung und Kindertagesförderung, ihre nachgeordneten Behörden (auch Schulen sind Behörden) angewiesen hat, beim Schutz der Demokratie vor unerwünschtem Denken und unerwünschtem Verhalten genau hinzuschauen und die Polizei hinzuzuziehen, wenn „unerwünschtes Denken“ nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, dann wurde damit eine Tür zumindest einen Spalt weit in Richtung auf einen „sanften staatlichen Totalitarismus“ geöffnet, einer Sprachfigur, die, wie oben schon bereits einmal festgestellt, namhafte Demokratieforscher seit geraumer Zeit verwenden, um die bereits heute real existierenden „Postdemokratien“ und deren Verfallserscheinungen zu beschreiben.

15 Politiker als Gefahr für die Demokratie

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Diese Überschrift hat Wolfgang Kubicki (FDP), der Vizepräsident des Deutschen Bundestages verwendet, um darauf aufmerksam zu machen, aus welcher Richtung der Demokratie heute der wohl größte Schaden droht.

NZZ.ch vom 19.03.2024: Wolfgang Kubicki nennt Innenministerin Nancy Faeser eine „Gefahr für die Demokratie“. Wörtlich sagte der FDP-Politiker in dem Format „Schüler – Fragen, was ist“ des Onlineportals Nius: „Ich halte Frau Faeser für eine größere Gefahr für die Demokratie als diejenigen, die sie damit meint“. Damit nahm Kubicki Bezug auf Faesers Aussage, wer den Staat verhöhne, werde es mit einem starken Staat zu tun bekommen. Der Liberale entgegnete: „Es ist das Recht eines jeden Menschen, den Staat zu verhöhnen.“ Auch Familienministerin Lisa Paus von den Grünen und den Chef des Inlandgeheimdienstes kritisierte Kubicki scharf. Paus hält Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze für ahndenswert, sofern sie Hass oder Hetze verbreiten. Damit, so Kubicki, zeige Paus ein „völlig falsches Bild, was unser demokratischer Rechtsstaat gewährleisten muss“. Alles, was nicht strafbar ist, könne gesagt werden.

Das von Paus vorangetriebene «Demokratiefördergesetz» lehnt Kubicki ab. Damit sollten lediglich politische Vorfeldorganisationen mit staatlichen Mitteln ausgestattet werden. Ein Staat, der die Demokratie fördern wolle, mache sich zum Gespött. Dem Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, riet Kubicki, sich mit öffentlichen politischen Äußerungen zurückzuhalten. Er sei Amtschef, nicht Zensor [En10].

16 Demokratieerziehung in der Kita

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Ich muss gestehen, dass ich mit dieser Sprachfigur wirklich nichts anzufangen weiß, wenn sie in der Kita zur Anwendung kommen soll. Grund dafür ist, dass es schwierig sein dürfte, Kindern in diesem Alter überhaupt ihre Grundrechte zu erklären, denn die Grundrechtsmündigkeit, also die Fähigkeit, von Grundrechten überhaupt Gebrauch machen zu können, setzt die dafür notwendige Einsicht voraus, die ja nicht einmal bei Grundschülern angenommen werden kann.

Dennoch: Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ist davon überzeugt, dass Demokratieerziehung bereits in Kindertagesstätten einzusetzen hat.

Das, was Sie jetzt lesen, dass können Sie sich, wenn Sie das möchten, auch in einer etwas ausführlicheren Fassung als Video anschauen:

Nancy Faeser: Man muss früher anfangen. Ich würde immer schon in Kindertagesstätten anfangen. Demokratieerziehung. [...]. Man muss früh ansetzen. In der Kindertagesstätte muss man schon dafür sorgen, weil man merkt doch, das, was [...] von Eltern vermittelt wird, das kommt doch bei den Kindern an. Das Kind alleine ist nicht rassistisch. Das Kind alleine würde niemals ein anderes Kind ausschließen, weil es völlig normal findet, dass mal ein Kind vielleicht keine rote Brille aufhat, sondern eine grüne. Aber die ausgrenzende Meinung kommt durch die Eltern und deswegen finde ich es wichtig, dass in unseren Institutionen das frühzeitig schon abgestellt wird. Frühzeitig und in Schulen, wie gesagt, flächendeckende Schulsozialarbeit ist aus meiner Sicht das Wichtigste, sehr früh Präventionsarbeit machen zu können.

Videoaufzeichnung des Gesprächs Nandy Fraeser / Michel Friedmann

Solch einer Kita würde ich meine Kinder nicht anvertrauen, wenn sie noch im Kitaalter wären, was erfreulicherweise nicht mehr der Fall ist.

Warum?

Ein Staat, der Kinder mit ideologischen Einstellungen von ihren Eltern entfremden will, kann keine Demokratie mehr sein.

Getarnt wird diese Ungeheuerlichkeit heute durch einen „Extremismus“-Begriff, der völlig aufgeweicht und pervertiert wurde. Denn für einen „Extremismus“-Verdacht reichen ja heute, wie oben bereits festgestellt, im Zweifelsfall schon harmlose Posts in den sozialen Medien aus. Und wenn diese Oberverdachtsbrille bereits in Kitas eingesetzt wird, dann ist es nicht mehr weit bis zu dem Punkt, an dem Kinder wieder ihre Eltern denunzieren, die ihnen andere Werte vermitteln. Das wiederum ist eine Praxis, die nicht nur in der Hitlerdiktatur perfektioniert wurde. Insbesondere in Ostdeutschland können sich noch viele Menschen gut daran erinnern, was das bedeutet.

Dort erinnert man sich sicherlich auch an die sozialistischen Erziehungsmethoden, die nur einen Feind kannten, den Klassenfeind im Westen.

Wie bei denen, die unter diesen Erziehungsmethoden gelitten haben, die Aufforderung der Lehrergewerkschaft GEW ankommen wird, bleibt abzuwarten.

Welt.de vom 29.03.2024: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat die Lehrkräfte in Deutschland aufgerufen, sich im Unterricht kritisch mit der AfD auseinanderzusetzen. „Die AfD ist eine Partei mit erfassungsfeindlichen Tendenzen. Das dürfen und sollen Lehrerinnen und Lehrer auch im Klassenraum so sagen“, sagte GEW-Chefin Maike Finnern der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“. „Am besten tun sie das, indem sie konkrete Aussagen und Vorgänge analysieren und mit den Schülerinnen und Schülern besprechen. Ich ermuntere Lehrkräfte nicht nur dazu, die Auseinandersetzung mit der AfD auch im Klassenraum zu suchen. Ich rufe sie auch ausdrücklich dazu auf“, betonte Finnern [En11].

Wie das mit der Neutralitätspflicht der Lehrer zu vereinbaren sein soll, ist eine Frage, der hier nicht weiter nachgegangen wird. Nur ein Hinweis muss erlaubt sein.

Warum?

Die Neutralitätspflicht von Beamten ist ein wesentlicher Grundsatz im öffentlichen Dienst Deutschlands, der im Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) und im Bundesbeamtengesetz (BBG) rechtlich verankert ist.

§ 33 BeamtStG (Grundpflichten)
(1) Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen. Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.
(2) Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt.

Eine Lehrerschaft, die sich dazu verpflichtet fühlt, vor einer Partei zu warnen, die von vielen Wählerinnen und Wählern gewählt wurde, sollte wissen, dass durch eine - wenn auch vielleicht gut gemeinte Erziehung zum Guten - meist doch nur das Gegenteil davon erreicht wird, was den damit beabsichtigten Vorstellungen entspricht.

Anders ausgedrückt: Es kann davon ausgegangen, dass solch eine Vorgehensweise der AfD eher nutzt als schadet, zumal ein Großteil der politischen Bildung von Schülerinnen und Schülern heute nicht mehr in der Schule, sondern in den sozialen Medien erfolgt.

Hier nur ein Beispiel von vielen anderen.

Maximilian Krah (AfD)
Euere Zukunft ist rechts

Übrigens: Keine andere Partei in Deutschland ist in den sozialen Medien so präsent, wie die AfD. Dieser Medienkompetenz zumindest etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen wäre sicherlich erfolgversprechender, als eine gutgemeinte, aber den Werten des Grundgesetzes dennoch widersprechende Parteinahme, die darin besteht, vor einer Partei zu warnen, weil sie verfassungswidrig sein soll. Das aber ist eine pädagogische Anmaßung.

Warum?

Im Artikel 21 Abs. 2 und Abs. 4 heißt es:

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

17 Wer die Wahrheit sagt, ist ....?

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Auf diese Satzergänzungsfrage hat der Psychoanalytiker und Therapeut Hans-Joachim Maaz, wie ich finde, eine überzeugende Antwort gefunden. In einem Vortrag auf der Leipziger Buchmesse sagte er am 26. März 2024:

Hans-Joachim Maaz: Wenn einer sagt, ich kann die Realität gar nicht glauben, dann ist er naiv, erklärte er, wenn er sagt, ich will die Wahrheit nicht wissen, dann ist er dumm und wenn er sagt, die Wahrheit ist verboten, dann ist er böse. Und wenn er sagt, ich oder wir bestimmen, was die Wahrheit ist, dann ist er krank.

Insbesondere über den letzten Satz lohnt es sich, nachzudenken, denn dieser Satz enthält zurzeit das wohl noch sagbare (unwoke) Höchstmaß menschlich möglicher Realitätsbeschreibung.

Vervollständigt werden lässt sich dieser Wahrheitsbegriff dennoch, denn wer heute eine Meinung äußert, die dem woken Zeitgeist nicht gefällt, der ist rechts, rechtsradikal, rechtsextremistisch, ein Faschist oder sogar ein Nazi, auf jeden Fall aber AfD-affin, kurzum: ein Fall für den Verfassungsschutz oder für den Schulleiter eines Gymnasiums, der in seiner Hilflosigkeit sogar die Polizei bemühte, um Schaden von der Demokratie abzuwehren. Schöne neue Welt.

18 Quellen

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Endnote_01
(Wortprotokoll eines Redebeitrages von BMI Thomas de Maizière auf der BKA-Tagung am 18.11.2015 in Mainz). Quelle: Video von DPA Reuters. Frankfurter Allgemeine Politik.
http://www.faz.net/aktuell/politik/bka-tagung-in-mainz-de-maiziere-eltern-
sollten-radikalisierung-ihrer-kinder-melden-13920565.html
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Endnote_02
Konrad Paul Liessmann. Bildung als Provokation. Pieper-Verlag 2019, Seite 67
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Endnote_03
Ebd. Konrad Paul Liesmann, Seite 78
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Endnote_04
Clara Hannaford. Bewegung, das Tor zum Lernen. VAK Verlag, 7. Auflage 2008, Seite 58
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Endnote_05
John Hatti/Klaus Zierer. Visible Learning auf den Punkt gebracht. Schneider Verlag 2020, Seite 91
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Endnote_06
Tichyseinblick.de. Gefährderansprache für Heimatliebe: Einschüchterung: Das Lieblingswerkzeug des sanften Totalitarismus.
https://www.tichyseinblick.de/meinungen/einschuechterung-
gefaehrderansprache-schuelerin/
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Endnote_06a
Alexis de Tocqueville: Die Demokratie in Amerika. Die politische Gerichtsbarkeit. Reclam 2021. Seite 115
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Endnote_07
NDR.de vom 18.03.2024. Neue Zahlen des Bildungsministeriums: Mehr Gewalt an Schulen in MV.
https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Neue-Zahlen-
des-Bildungsministeriums-Mehr-Gewalt-an-Schulen-in-MV,gewaltanschulen100.html
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Endnote_08
Sueddeutsche.de vom 15.03.2024. Schulen - Ribnitz-Damgarten:Polizeieinsatz in Schule wegen Internet-Post hat Nachspiel.
https://www.sueddeutsche.de/bildung/schulen-ribnitz-damgarten-
polizeieinsatz-in-schule-wegen-internet-post-hat-
nachspiel-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-240315-99-351038
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Endnote_09
Erlass NRW: Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität.
https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_vbl_
detail_text?anw_nr=7&vd_id=14531
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Endnote_09a
NZZ.ch vom 16.3.2024. in Staat, der eine Schülerin wegen eines Schlumpf-Videos mit einer «Gefährderansprache» einschüchtert, hat jedes Mass verloren. https://www.nzz.ch/meinung/gefaehrderansprache-gegen-schuelerin-der-deutsche-staat-verliert-die-nerven-ld.1822399
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Endnote_10
NZZ.ch vom 19.03.2024. Deutschland: Wolfgang Kubicki nennt Innenministerin Nancy Faeser eine „Gefahr für die Demokratie“.
https://www.nzz.ch/international/deutschland/deutschland-fraport-erzielt-
2023-rekordgewinn-im-tagesgeschaeft-entscheidung-zu-tesla-
protestcamp-fruehestens-am-dienstag-ld.1822003
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Endnote_11
Welt.de vom 29.03.2024. GEW-Chefin plädiert für kritischen Umgang mit AfD im Unterricht. https://www.welt.de/politik/deutschland/article250799546/Schule-GEW-Chefin-plaediert-fuer-kritischen-Umgang-mit-AfD-im-Unterricht.html
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