Der freie Mensch und seine
Zukunft
Inhaltsverzeichnis:
1.0 Die Idee des freien
Menschen
2.0 Was heißt Zukunft? 3.0
Voraussetzungen
einer demokratischen Zukunft
3.1 Ungleichheiten
reduzieren
3.2 Der Imperativ Anerkennung
3.3 Ressentiments als Verletzung der
Menschenwürde erkennen 3.4
Die
neue soziale Frage beantworten 3.5 Lösung der Migrationsfrage
3.6 Ängste reduzieren, denn Populismus setzt Angst
voraus 4.0
Demokratie in Gefahr 5.0 Zukunftsmodell – deliberative
Demokratie 6.0 Quellen
1.0 Die Idee des
freien Menschen
TOP
Die Idee, dass es sich bei dem
Menschen um ein freies Wesen handelt, das selbst dazu in der
Lage ist, aufgrund seines freien Willens Entscheidungen treffen
zu können, ist kaum mehr als 240 Jahre
alt, denn 1784 wurde der Aufsatz von Immanuel Kant (1724 bis
1804) „Was ist Aufklärung“ in der
Berlinischen
Monatsschrift erstmalig veröffentlicht.
In dieser Zeit, der Zeit der
Aufklärung,
wurde das
Eingebundensein des Menschen in die von Gott bzw. die von der
Obrigkeit vorgegebene Ordnung aufgebrochen, was zur Folge hatte,
dass sich die Idee der Freiheit in dem Kulturkreis, in dem
christliches Gedankengut gelebt wurde, sich weiter entwickeln
konnte.
Heute hat diese Freiheit auch in
Deutschland einen
beklagenswerten Punkt erreicht, denn die Idee der Freiheit wird
durch Prkatiken der Ausgrenzung anderer
Meinungen wieder in eine Richtung gedrängt, in der die
Tendenz der Unfreiheit erneut sichtbar wird. Grund dafür ist,
dass neben der Bevormundung durch die
sozialen Netzwerke der gesellschaftliche und soziale Druck
zugenommen und dazu geführt hat, dass freie und unbefangene
Meinungsäusserungen oftmals mit schwerwiegenden Konsequenzen
geahndet werden. Besonders der deutsche Staat geht noch
autoritärer gegen Kritiker vor als früher, als das bereits
fürher zu RAF-Zeiten der Fall war.
Anders ausgedrückt:
Freiheiten, die der Mensch für sich in Anspruch nimmt, sind
immer mit Risiken behaftet, soweit sie Veränderungen betreffen,
die nicht in die so genannte political correctness passen, womit
Meinungsäußerungen gemeint sind, die mit der "herrschenden
Meinung" nicht konform gehen und deshalb als ausgrenzend,
marginalisierend, beleidigend oder schlichtweg für sozial
unterträglich gehalten werden.
Mit anderen Worten: Alles, was als Hass und
Hetze angesehen werden kann, bringt sozusagen den Staat und die
für ihn handelnden Organe auf den Plan. Das, was Hass und Hetze
ist, das definiert nicht das Gesetz, sondern das beurteilt dann
die Spitze der Exekutive (Bundesministerinnen oder
Bundesminister). Natürlich gibt es "Hass und Hetze", die
strafbar sind. Dann sollte man solche Meinungen aber auch als
solche benennen, denn die Aussage: "Bei dieser Äußerung handelt
es sich um eine Straftat" können keine Missverständnisse
entstehen, im Gegensatz zu der Floskel: "Wir müssen gegen Hass
und Hetze konsequent vorgehen", denn diese Sprachfigur ist viel
zu unbestimmt. Sie in einem Rechtsstaat zum Maßstab aller Dinge
zu machen, kann nur als eine Abkehr vom Rechtsstaat verstanden
werden, denn in einem Rechtsstaat bestimmt das Gesetz, was
erlaubt und was verboten ist.
Das gilt auch für Meinungsäußerungen in den sozialen Netzwerken,
denn die Risiken, die damit
verbunden sind, haben längst eine andere Qualität erhalten,
nämlich die der Bedrohung. Das gilt aber nicht nur für die
Technik, die um Günther
Anders
zu zitieren, den Menschen in die Lage versetzt, mehr zu können,
als er zu verantworten vermag. Herunterbrechen lässt sich das
sogar auf die Freiheit der Kommunikation von heute.
Auch hier ist zumindest im Bereich der öffentlichen
Meinungsäußerung, das mit der Freiheit verbundene Risiko schon
längst in eine für jedermann erkennbare Bedrohung umgeschlagen,
denn Respektlosigkeit, Ausgrenzung, Ächtung von Meinungen und
das Beharren darauf, sozusagen im Besitz der Wahrheit zu sein,
haben ein Klima geschaffen, in dem Freiheit gezielt als Waffe
gegen den andersdenkenden Feind missbraucht wird.
Dieser Zustand
ist für jede Demokratie eine Bedrohung. Politiker, die diese
Bedrohung durch härtere Strafen beseitigen wollen, wie das
zurzeit in Erwägung gezogen wird, um Politiker und auch
Wahlhelfer zu schützen, verkennen dabei, dass Ungleichheit vor
dem Gesetz genau das ist, was ein Rechtsstaat instabil werden
lässt.
Wie dem auch immer sei:
Freiheit ist eine Idee, die in zwei Richtungen gleichermaßen
wirkt.
-
Freiheit ist
unverzichtbar, um die Zukunft menschenwürdig gestalten zu können
-
Freiheit zu gebrauchen,
um sowohl einen inneren als auch einen äußeren Feind mit Mitteln
bekämpfen zu wollen, die das Gesetz nicht vorsieht, führt bekanntermaßen in die Katastrophe.
Im Folgenden wird der
Versuch unternommen, ein komplexes Thema "Der freie Mensch und
seine Zukunft", zuerst einmal zu strukturieren. Ziel dieser
Strukturierung ist es, aufzuzeigen, welche gesellschaftlichen
Ursachen die Kräfte freisetzen, die dazu führen, die Folgen von Freiheit
wie wir sie uns eigentlichn nicht wünschen, dennoch
Wirklichkeit geworden sind.
2.0 Was heißt
Zukunft?
TOP
Unsere Zukunft, das ist
zuerst einmal die nächste Stunde, der nächste Tag, übermorgen,
die darauf folgende Woche, der nächste Monat und vielleicht noch
das folgende Jahr.
Florence Gaub:
Der Mensch verbringt zwar die Hälfte seiner wachen Stunden
damit, über die Zukunft nachzudenken, aber den größten Teil
verwendet er für eher banale Zukünfte, was wir essen, wann wir
zur Arbeit gehen und wann die Prüfungen der Kinder anstehen.
Erst an weit abgeschlagener zweiter Stelle folgt mit 14 Prozent
die Zukunft des kommenden Jahres: Ferien, Projekte, Arztbesuche.
Lediglich sechs Prozent unserer Zukunft betreffen die nächsten
zehn bis 15 Jahre, wie Heiraten, ein Hausbau oder Karriereziele.
An
anderer Stelle, die Zukunft der Demokratie meinend, heißt es:
Florence Gaub:
Doch diese Zukunft ist in der Krise. Nach dem Siegeszug bis in
die frühen 2000er hörte die Demokratie auf, sich als Modell in
der Welt auszubreiten. Und nicht nur das, Menschen, die in
Demokratien leben, sind höchst unzufrieden damit: 57,5 Prozent
weltweit, 50 Prozent in Deutschland und 46 Prozent in
Österreich. (Die Ausnahme ist die Schweiz, hier sind über 80
Prozent der Bevölkerung zufrieden mit der Demokratie)
[En01].
Wie ist
das möglich?
Welche Ursachen können dafür verantwortlich gemacht
werden, dass die Demokratie, die mehrheitlich für die beste
aller denkbaren Regierungsformen gehalten wird, sich sozusagen
auf dem Rückzug befindet, obwohl wir Menschen doch – so die
Erkenntnisse der Hirnforschung – die Zukunft in unseren Köpfen
tatsächlich annähernd so real erleben können, wie die
Vergangenheit und die Gegenwart?
Florence Gaub:
Ein durchschnittlicher Mensch denkt 59-mal am Tag, oder alle 16
Minuten, über die Zukunft nach; insgesamt verbringt er dreimal
so viel Zeit damit, über die Zukunft nachzudenken, wie über die
Vergangenheit; und wenn er über die Vergangenheit nachdenkt,
dann die Hälfte der Zeit, um über ihre Auswirkungen auf die
Zukunft nachzudenken
[En02].
Wie dem
auch immer sei: Wir wissen, dass es mehrere Zukünfte gibt und
welche Wirklichkeit werden wird, das längt letztendlich auch von
der Art und der Einflussnahme ab, mit der wir uns selbst an
dieser Zukunft beteiligen können.
Florence Gaub:
Diese Zukunft ist eine gemeinsame Zukunft, da sie von vielen
beeinflusst wird, und sie bildet den Kontext für alle unsere
persönlichen Zukünfte
[En03].
Mit anderen Worten:
Diese
gemeinsame Zukunft wird nachhaltig auch auf unsere persönliche
Zukunft Einfluss nehmen, entweder im Sinne von Freiheit oder
auch als Freiheitsverluste. Ich denke, dass es die Zeit der
Aufklärung war, die dazu beigetragen hat, dass sich Menschen,
die erkannten, über einen freien Willen zu verfügen, die Zukunft
sich nicht mehr als Gottes oder Allahs Wille vorstellen konnten
und auch der Glaube an die Willkür der Götter sich überlebt
hatte, denn der Verstand stellt sich die Zukunft als eine
Zukunft von Wahlmöglichkeiten vor.
Anders ausgedrückt:
Diese Wahlmöglichkeiten bestehen darin, Entscheidungen zu treffen. Und was den
Nutzwert der Vergangenheit anbelangt? Dieser Nutzwert hat seine
Grenzen, denn der kann nur darin bestehen, bereits Erprobtes und
Bewährtes bewerten zu können. Für wirklich Neues und Unbekanntes
können in der Vergangenheit keine überzeugenden Lösungen
gefunden werden, denn die dafür erforderlichen Erkenntnisse und
Erfahrungen gilt es ja erst noch zu machen.
Florence Gaub:
Die Vergangenheit als Datenbasis ist leider nutzlos für alles,
was neu ist oder noch nie dagewesen (ist). Sich nur auf sie zu
stützen, wäre ein schwerer Fehler, denn die Zukunft ist eben
nicht nur eine Wiederholung oder Modifikation dessen, was schon
war
[En04].
Wie dem auch immer sei: Der Mensch von heute,
befindet sich in einer Situation, in der die Problemlösungsstrategien der Vergangenheit
wohl kaum ausreichen werden, die Zukunft von morgen – womit auch
die der Enkel und die der diesen nachfolgenden Generationen gemeint
sind – verantwortungsvoll gestalten zu können. Das, was heute im
Hinblick auf die Gestaltung der Zukunft einzufordern ist, lässt
sich mit wenigen Worten zusammenfassen: Klugheit, Mut und
Kreativität.
So aber, wie
heute Politik gemacht wird, wird das, was wir uns alle wünschen,
wohl kaum zu verwirklichen sein, nämlich ein dauerhaftes Leben in Würde,
Selbstbestimmung und Wohlstand.
3.0
Voraussetzungen einer demokratischen Zukunft
TOP
Die
deutsche Demokratie, soll deren Kraft länger als 75 Jahre
erhalten bleiben, um freien Menschen eine sichere Heimat bieten
zu können, wird das nur dann bleiben können, wenn deren politische
Eliten, mehr als das bisher der Fall war, dafür sorgen, dass die
zurzeit zu beklagenden Ursachen für den Demokratieverfall
beseitigt werden.
Die diesbezüglich wichtigsten Ursachen
sollen
zuerst einmal nur aufgelistet werden:
-
Ungleichheiten reduzieren
-
Der
Imperativ der Anerkennung
-
Ressentiments
als Verletzungen der Würde erkennen
-
Die
neue soziale Frage beantworten
-
Die Migrationsfrage
lösen
-
Ängste reduzieren, denn
Populismus setzt Angst voraus
Diese
Auflistung ist nicht vollständig, sie lässt aber
erkennen, vor welchen Herausforderungen die bundesdeutsche
Demokratie steht, um dauerhaft als Demokratie erhalten bleiben
zu können. Dass diese Zukunftsdemokratie dann erwartungsgemäß
nicht nur anders aussehen wird, sondern auch anders aussehen muss,
als die von heute, liegt in der Natur der Sache, denn Demokratie
lässt sich nicht einbetonieren. Im Übrigen geht es auch darum,
die Scheindemokratie von heute zu einer Regierungsform
umzubauen, die den Namen Demokratie auch wirklich wieder verdient.
3.1
Ungleichheiten reduzieren
TOP
Gemeint
sind die Ungleichheiten hinsichtlich der Einkommens- und
Vermögensverhältnisse. Unbestreitbar ist nämlich, dass Reichtum
auf Armut basiert.
Anders ausgedrückt:
Armut gehört sozusagen notwendigerweise zu einem
Wirtschaftssystem, in welchem sich alles um das Geld dreht.
Deutschland macht da keine Ausnahme, denn offensichtlich ist,
dass es auch in Deutschland wenige sind, die nicht nur
materiellen Reichtum besitzen, sondern diesen aus kontinuierlich ausbauen
können.
Das Armut
in Deutschland ein komplexes und vielschichtiges Thema und
sowohl eine große Herausforderung für den Einzelnen aks auch
für die Gesellschaft darstellt, dürfte unbestreitbar sein. Die
Bekämpfung von Armut ist daher als ein Zukunftsziel anzusehen,
das einer Lösung bedarf, um eine Demokratie sozusagen vor dem
Zerfall zu bewahren, der dann beginnt, wenn das untere Drittel
der Menschen mit geringem Einkommen, davon nicht mehr angemessen
leben kann und die vielen anderen, die das heute noch können,
angstvoll in die Zukunft schauen, weil sie mit dem Verlust ihres
Arbeitsplatzes oder ihrer Besitzstände rechnen.
Hans
Böckler
Stiftung 2017:
Die Privatvermögen sind in Deutschland sehr ungleich verteilt.
Insgesamt besitzen die wohlhabendsten zehn Prozent der Haushalte
zusammen etwa 60 Prozent des Gesamtvermögens, netto, also
abzüglich Schulden. Die unteren 20 Prozent besitzen gar kein
Vermögen. Etwa neun Prozent aller Haushalte haben negative
Vermögen, sie sind verschuldet. [...]. Die genannten Zahlen
beruhen auf konservativen Schätzungen, das wahre Ausmaß der
Ungleichheit könnte sogar noch größer sein
[En05].
Grund
für diese geschönten Zahlen ist die Tatsache, dass die ganz großen Vermögen statistisch
gar nicht
erfasst werden.
Wie dem auch immer sei:
Thomas
Piketty
hat in seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ überzeugend
nachgewiesen, dass, wenn die Einkommens- und
Vermögensunterschiede zu groß werden, eine Gesellschaft sich
dadurch sozusagen sehenden Auges selbst zerstört.
3.2 Der Imperativ
der
Anerkennung
TOP
Bei
Pierre Rosanvallon heißt es in seinem Buch „Die Prüfungen des
Lebens“ dazu wie folgt:
Pierre Rosanvallon:
Eine Politik der Anerkennung ist die notwendige Ergänzung einer
Politik der Würde. Sie kommt in erster Linie durch Respekt für
das Gegenüber zum Ausdruck, wobei die Formalitäten des Umgangs
beachtet werden, die zu zivilisierten Beziehungen gehören
[En06].
In
diesem Sachzusammenhang sei nur an das Nazigeschimpfe und an
andere Diskriminierungen erinnert, mit denen sich sogar
Politiker über andere Politiker äußern.
Was damit
gemeint ist, dazu möchte ich an dieser Stelle aus einem Artikel
zitieren, der am 14. Mai 2024 auf
Tichyseinblick.de
erschienen ist und in dem die Äußerungen von Politikern
beschrieben werden, die in der Sendung "Hart aber fair" vom
13.5.2024 mit dem Titel: „Die verrohte Republik: Wie gefährdet
ist die Demokratie?“, auch den Nazivorwurf benutzten.
Vorgeworfen wurde zum Beispiel der AfD-Abgeordneten im Deutschen
Bundestag Beatrix von Storch, dass Abgeordnete der AfD andere
als Nazis bezeichnen würden. Der Moderator der Sendung hatte
deshalb Beatrix von Storch die Möglichkeit gegeben, sich dafür
zu entschuldigen.
Tichyseinblick.de
vom 14.5.2024:
Beatrix von Storch antwortet darauf, man müsse Verständnis für
die Situation der AfD-Abgeordneten haben, da sie ja selbst den
ganzen Tag als Nazis beschimpft würden. Darauf ruft ihr
Sebastian Fiedler wiederholt: „Das ist Unsinn!“
dazwischen.
Gütig wie er ist, gibt
Klamroth
(das ist der Moderator der Sendung) von Storch „noch eine
Chance“, sich bei den beiden zu entschuldigen, immerhin will sie
doch auch nicht als Nazi bezeichnet werden. Von Storch zitiert
stattdessen Äußerungen anderer öffentlicher Figuren über die AfD
– Strack-Zimmermann, die die AfD als „Haufen Scheiße, auf dem
die Fliegen sitzen“ bezeichnete etwa oder der Präsidenten von
Eintracht Frankfurt, der davon gesprochen hat, man müsste „ihnen
ins Gesicht“ kotzen.
Vor allem
aber steht die Sendung vor einem Problem: Alle drehen sich im
Kreis. Irgendwann hat eine Seite, man ist sich nicht einig wer,
mal angefangen, in einem raueren Ton mit der anderen Seite zu
sprechen. Jedenfalls seit die Protestwelle 2015 so populär
geworden ist, hat keiner mehr Skrupel, die AfD aufs Äußerste zu
beleidigen, zu bedrohen, Gewaltfantasien zu äußern. Gegen die
Bösen ist alles gerechtfertigt. Als Reaktion darauf hat dann die
AfD angefangen, die Beleidigung als Nazi zurückzugeben. Weil sie
das aber gemacht hat, ist es jetzt noch gerechtfertigter, sie
als Nazi zu bezeichnen. So wird keine Seite jemals aufhören, die
andere als Nazi zu bezeichnen. Aber warum auch? Sonst müsste man
tatsächliche, in sich stimmige Argumente vorbringen und
sachliche Diskussionen führen. Und die sind fast noch schlimmer
als Nazi
[En07].
Mit anderen Worten:
Wer die Existenz politisch andersdenkender Parteien nicht
anerkennt, hier zu verstehen im Sinne von respektvollem Umgang
mit ihr, bereitet einen Boden vor, der sich wie folgt beschreiben
lässt: Wer Wind sät, wird Sturm ernten.
Pierre Rosanvallon:
Aber
es geht noch viel weiter, denn Anerkennung besitzt auch eine
materielle Dimension. [...]. Die Anerkennung betrifft die
Menschen in ihrem konkreten Leben und in der Gesamtheit dessen,
was sie sind und was sie tun
[En08].
Das
betrifft auch ihre politischen Ansichten, die durch respektloses
Agieren nur dazu beitragen kann, die vorhandene Wut zu steigern.
Kluges Agieren sähe anders aus.
3.3
Ressentiments als Verletzung der Menschenwürde erkennen
TOP
Das
Ressentiment ist in erster Linie Ausdruck einer anklagenden
Reaktion und nicht
Träger
politischer Forderungen. Allein die Bedeutung des Wortes
Ressentiment macht deutlich, dass es sich dabei um eine
Abneigung, eine Antipathie, eine Feindschaft oder um eine
Feindseligkeit, um Unmut, Voreingenommenheit, um Widerwillen
bzw. um Vorurteile oder Vorbehalte handelt.
Wenn ich mich recht
erinnere, dann war es Nietsche, der die Formulierung „Mensch des
Ressentiments“ schuf und damit vorrangig den Akzent dieser
Sprachfigur auf die anthropologische Dimension lenkte.
Anders ausgedrückt:
Die Sprachfigur "Ressentiment" deutet an, dass es doch wohl Menschen gibt, die
anders sind als die normalen, ganz einfach deshalb, weil es sich
um Menschen des Ressentiments handelt. Bedauerlicherweise
scheint diese Sichtweise wieder zuzunehmen.
Wie dem auch immer sei:
Heute scheint es bereits so zu sein, dass es
sich bei Menschen, die nicht so denken, wie sich das andere
vorstellen, fast schon um eine minderwertige Rasse handelt. Wozu
solch eine Geisteshaltung führt, das hat Pierre Rosanvallon
nachvollziehbar beschrieben.
Pierre Rosanvallon:
Das Ressentiment ist [...] zu einer wichtigen Achse einer
bestimmten politischen Kultur geworden: der des Populismus. Mit
Blick auf die Parteien, die den Populismus verkörpern, hat man
von „Unternehmer*innen
des Ressentiments“ gesprochen. In die öffentliche Sphäre
projiziert, findet das Ressentiment einen politischen Ausdruck,
der es verstärkt und in gewisser Weise adelt. Durch diese
Verschiebung erhält das Objekt des Ressentiments ein Gesicht,
das berechtigterweise hassenswert erscheint: das Gesicht einer
verachtungsvollen Elite oder bedrohlicher Eindringlinge
[En09].
Mit anderen Worten:
Eine Politik der Anerkennung, auch die des politischen Gegners,
ist eine notwendige Ergänzung der Politik der Würde. Die
politische Sprache sollte dabei mit gutem Beispiel vorangehen,
was aber noch ganz und gar nicht der Fall ist. Sich darüber, aber
auch über andere Missstände der Politik zu empören, das hat
Stéphane
Hessel
in seiner Streitschrift „Empört euch“ mit eindringlichen Worten
beschrieben, indem er zum Widerstand, auch gegen jegliche Form
der Diskriminierung aufrief.
Seine Streitschrift lässt sich wie
folgt zusammenfassen: Neues schaffen heißt, Widerstand leisten.
Im hier
zu erörternden Sachzusammenhang heißt das zum Einen, aus
Andersdenkenden keine Feinde zu machen und zum Anderen aus der
politischen Auseinandersetzung wieder ein Kulturgut werden zu
lassen, das den Namen Demokratie auch wirklich verdient, denn
Demokratie kann nichts anderes sein, als eine zivilisierte
Streitkultur.
3.4
Die neue soziale Frage beantworten
TOP
Hier nur
ein unvollständiger Versuch, die neue soziale Frage
kurz zu skizzieren.
Verfall der familiären Strukturen:
Heute spricht man bereits von einem Prozess der „Auflösung der
Institution Familie“. Was früher noch ein Bündnis fürs Leben
war, gemeint ist die Ehe, ist heute eher ein Vertrag zwischen
den beteiligten Individuen, der – ganz nach Bedarf – eingehalten
oder aufgelöst werden kann. Die Sprachfigur Ehe ist außerdem zu
einem Begriff mutiert, der auch Lebensgemeinschaften von Männern
und natürlich auch die von Frauen, so genannten traditionellen
Ehen gleichstellt.
Tagesschau.de
vom 15.05.2024:
Knapp jeder Zweite in Deutschland hat im vergangenen Jahr nicht
in einer Eltern-Kind-Gemeinschaft gelebt. Das waren rund 41,3
Millionen Menschen, wie das Statistische Bundesamt mitteilte.
Der Anteil von 49 Prozent lag damit unter dem des Jahres 2005
von gut 53 Prozent.
Welche Langzeitwirkungen damit, insbesondere im Hinblick auf
Kinder, die in solchen Verbindungen geboren, adoptiert oder auf
anderem Wege (Leihmutterschaft) dort aufwachsen, das kann man
nicht nur erahnen, denn Kinderärzte wissen darauf eine
ernüchternde Antwort. Gleiches gilt auch für die Betreuung von
Kindern in KITAS, die dort mit Vollendung des 1. Lebensjahres,
denn diesen Kleinkindern, besser gesagt deren Eltern, steht
bereits von Gesetzes wegen ein staatlicher Betreuungsplatz zu.
Ob das mit der Würde von Kleinkindern zu vereinbaren ist, auf
diese Frage muss jeder für sich selbst eine Antwort finden.
Wirtschaftliche Unsicherheiten:
Die Deindustrialisierung in bestimmten Regionen hat schwere
Wirtschaftskrisen ausgelöst:
-
Die erste
große Krise der 1990er Jahre war die Pfund-Krise von 1992 und
der Zusammenbruch des
Europäischen
Währungssystems (EWS) von 1993.
-
1990
gerieten die ersten Banken in Probleme und mussten Konkurs
anmelden. Die schwedischen und finnischen Banken wurden damals als
„bad banks“ betrachtet. Das war die Zeit der „Bankenkrise“.
-
Im
November 1995 hat Theo Waigel, damaliger deutscher
Bundesfinanzminister, den Stabilitäts- und Wachstumspakt
vorgeschlagen, um die Wirtschaft in der EU wieder zu
stabilisieren.
-
Die
Weltfinanzkrise – auch als globale Finanzkrise – bezeichnet,
machte es erforderlich, durch immense staatliche Subventionen
die Weltwirtschaft vor dem Zusammenbruch zu retten.
-
Auch die
Folgen der Pandemie wurden dadurch relativiert, indem durch
Schulden ein wirtschaftlicher Zusammenbruch vermieden wurde.
-
Heute
werden Schulden als Sondervermögen bezeichnet.
Demografischer Wandel:
Eine immer älter werdende Gesellschaft wirft Fragen auf, die auch
heute noch nicht als gelöst angesehen werden können. Im
Gegenteil: Immer dringlicher wird die Suche nach Lösungen in
einem versicherungsmäßig organisierten Wohlfahrtsstaat, wie in
Zukunft die Renten bezahlt werden sollen. Damit verbundene
Unsicherheiten verändern das politische Klima im Lande.
Verlust
sozialer Bindungen: Gemeint ist hier nicht das „Verschwinden der
Familien“, sondern andere Formen von Instabilität und
Unsicherheiten:
-
Ausgrenzung
-
Ausschließung
-
Exklusion
-
Vulnerabilität
-
Prekaritat
Pierre Rosanvallon:
Der Begriff
Prekarität vermischt vieles: den Bezug auf eine neue soziale
Lage (die Prekären), die Bezeichnung einer Entwicklung, bei der
sich der Schutz der Arbeit verschlechtert; und existenzieller:
den Eintritt in eine Welt, in der sich die Unsicherheiten
vervielfacht haben
[En10].
Anders
ausgedrückt: Abstiegsängste scheint die wohl neue Form der
sozialen Frage zu sein, auf die es eine Antwort zu finden gilt
und die dazu geführt hat, dass die Zukunft eher
als bedrohlich empfunden wird und somit nicht nur die Suche nach
Sündenböcken, sondern auch Populisten die sich dadurch
ergebenden Möglichkeiten nutzen,
auf diesem Gefühl des Ausgestoßenseins die Aussage stützen zu
können, das die da oben an allem schuld seien und nur ein
Systemwechsel schnelle Änderung herbeiführen könnte.
Die
Bedrohung der Menschheit: Die zehn größten Bedrohungen werden an
dieser Stelle nur aufgelistet:
-
Die
Folgen des Klimawandels
-
Pandemien und Infektionskrankheiten
-
Geopolitische Spannungen
-
Soziale
Konflikte
-
Neue
Sicherheitsbedrohungen (Cyberattacken etc).
-
Wirtschaftskrisen
-
Verlust
der Biodiversität
-
Erschöpfung der natürlichen Ressourcen
-
Finanzkrisen
-
Umweltverschmutzung.
Wie dem
auch immer sei: Die Ursache der Angst, bei dem es sich ja um ein
menschliches Gefühl handelt, besteht in der Möglichkeit des
Eintritts der oben aufgelisteten Gefahren, soweit sie sowieso
nicht schon latent eingetreten sind.
Anders ausgedrückt: Die
Angst besteht in der Vorstellung der Möglichkeit
unkalkulierbarer Gefahren, die irreversible Folgen haben oder
nicht mehr handhabbare Schäden auslösen können, die das
menschliche Leben bedrohen.
Dazu gehört auch die Furcht vor
einer Überfremdung, die als „Migrationsfrage“ bezeichnet wird,
die dringend – so wohl die Auffassung der Mehrheit in
Deutschland – einer Lösung bedarf.
3.5
Lösung der Migrationsfrage
TOP
Die
weltweit größte jährliche Studie darüber, wie die Menschen
Demokratie wahrnehmen, enthält Ergebnisse, die Politiker - die
Politik als Pragmatismus verstehen - mehr als nachdenklich
stimmen sollte.
Warum?
Zwar
zeigen die Ergebnisse der Studie, dass die Menschen weltweit die
Demokratie als wichtig erachten, jedoch nur die Hälfte der
Befragten glaubt, dass ihr Land demokratisch ist. Beachtliche
Erkenntnisse brachte die Umfrage vor allem zu Deutschland
zutage. So verliert nicht nur die Mehrheit der in Deutschland
lebenden Menschen das Vertrauen in die Regierung, sie will auch
weniger Migration.
Latana
Studie 2024:
In den
letzten zwei Jahren ist in vielen europäischen Ländern der
Anteil derjenigen, die der Meinung sind, dass die „Verringerung
der Einwanderung“ eine der obersten Prioritäten der Regierung
sein sollte, stark gestiegen. Gleichzeitig hat in diesen Ländern
der Wunsch abgenommen, der „Bekämpfung des Klimawandels“
Priorität einzuräumen. Nirgendwo ist diese Umkehrung auffälliger
als in Deutschland, das nun weltweit den höchsten Anteil an
Menschen aufweist, die wollen, dass sich ihre Regierung auf die
Verringerung der Einwanderung konzentriert (44 %) - und damit
alle anderen Prioritäten übertrifft und nun fast doppelt so hoch
wie die Bekämpfung des Klimawandels (24 %)
[En11].
Hinzu
kommt, dass das Lagebild Islamismus in NRW, Stand 2024, sogar
den Innenminister des Landes, Herbert
Reul
(CDU) dazu veranlasst hat, davor zu warnen, dass der Islamismus
weiter auf dem Vormarsch sei. Der Innenminister sagt unter
anderem:
NRW-Innenminister Herbert (CDU): ReulIslamistische Prediger ködern junge Menschen mit
Alltags-Tipps, die sie mit Hassbotschaften verknüpfen.
Insoweit
vermag es auch nicht zu verwundern, dass der Islamismus im
Bereich des politischen Extremismus die wohl größte Gefahr darstellt.
Zurzeit sind 2600 extremistische Salafisten in NRW
nachrichtendienstlich bekannt. Davon gehören 2000 dem
politischen und 600 dem gewaltorientierten Spektrum an.
Lagebild Islamismus NRW: Stand: Januar 2024
Es
bleibt zu hoffen, dass in Deutschland irgendwie doch
Verhältnisse verhindert werden können, die in Frankreich
sozusagen zum Alltag gehören, denn dort hat der Staat in
mehreren Regionen die Kontrolle bereits verloren. Dort ist die
muslimische Kultur in weiten Bereichen de facto die Leitkultur.
Und was
sich bereits schon seit geraumer Zeit an französischen Schulen
ereignet, das kann einem Artikel in der Onlineausgabe der neuen
Züricher Zeitung vom 10.4.2024 entnommen werden, der über den
folgenden Link aufgerufen werden kann.
Islamisten an französischen Schulen
Dass
solche Zustände auch an vielen Brennpunktschulen in Deutschland
sich bereits festigen, gehört bedauerlicherweise auch zur
Wirklichkeit in Deutschland.
Ein kurzer Blick in das Nachbarland Niederlande:
Wie die Niederländer in Zukunft mit
der "Migrationsfrage" umgehen möchten, das hat Geert Wilders
(PVV) am 16. Mai 2024 im Anschluss an eine zuvor erzielte
Vereinbarung über die Grundzüge der neuen niederländischen
Koalitionsregierung aus den vier Parteien PVV, NSC, VVD und BBB
wie folgt beschrieben.
Geert Wilders (PVV) am 16.
Mai 2024:
-
Meine Damen und Herren, wir
schreiben heute Geschichte.
-
Die strengste Asylpolitik, die es
jemals gab, ist in unserer Vereinbarung verfasst. Es kommt
ein Asylkrisengesetz.
-
Es kommt ein Verbot auf die
Bevorzugung von Asylsuchern mit Aufenthaltsrecht bei der
Zuteilung von Sozialwohnungen.
-
Wir werden uns dafür einsetzen,
uns nicht mehr den Asylregeln der Europäischen Union
unterwerfen zu müssen.
-
Wir schaffen die Asylduldung auf
unbestimmte Zeit ab. Ich sage es wieder: es ist die
strengste Asylpolitik, die es je gab.
-
Es wird aber auch Einsparungen
geben, Einsparungen, die wehtun, da müssen wir ehrlich sein.
Auch Einsparungen bei der Entwicklungshilfe.
-
Wenn ich jetzt zum Abschluss
kommen kann, will ich sagen: ein neuer Wind wird durch das
Land wehen.
-
Und ich verspreche Euch: Die
Niederlande werden wieder uns gehören.
Volltext seiner Rede
Eine solche Rede würde im Deutschland von heute nicht nur einen
Sturm der Entrüstung, sondern auch den reflexartigen Ruf nach
einem Verbot dieser Regierung durch das Bundesverfassungsgericht
nach sich ziehen, was aber das Grundgesetz nicht vorsieht.
Die Frage, die sich stellt, lautet: Wie lässt sich solch eine
Entwicklung hin zur Nation erklären?
3.6
Ängste reduzieren, denn
Populismus setzt Angst voraus
TOP
Angst
darf nicht mit Furcht verwechselt werden, denn Furcht resultiert
aus der Konfrontation mit dem Unbekannten, zum Beispiel mit
unmittelbar bevorstehender Arbeitslosigkeit, erlebter
Ausgrenzung, oder der Furcht, die eigene Würde verlieren zu können.
Anders ausgedrückt: Furcht bezieht sich auf ein bestimmtes
Objekt, dem man sich stellen oder mit dem man im Rahmen der
eigenen Möglichkeiten umgehen kann.
Der
Angst hingegen fehlt solch ein konkreter Grund, denn Angst ist
mit der Wahrnehmung einer ebenso diffusen wie beunruhigenden
Bedrohung verbunden.
Pierre Rosanvallon:
Angst ist die bitterste Frucht der Unsicherheit. Darum ist es
sehr viel schwieriger, mit ihr umzugehen und sie rational zu
fassen, als es bei der Furcht ist, die immer in gewisser Weise
umgrenzt bleibt
[En12].
Mit anderen Worten: Angst gibt den gesellschaftlich Unzufriedenen, und
deren Zahl wächst kontinuierlich, das Gefühl, nicht mehr
gebraucht zu werden bzw. sich damit abfinden zu müssen, dass sie
es selbst schuld sind, dort zu sein, wo sie gerade sind. Dieses
Gefühl erzeugt auf Seiten der davon betroffenen Personen nicht nur
Ressentiments gegenüber denen da oben, die sowieso machen, was
sie wollen, sondern erzeugt gleichermaßen auch Empörung,
Verbitterung und Misstrauen.
Anders ausgedrückt:
Diese
Gefühlslage ist nach der hier vertretenen Auffassung ursächlich
dafür, dass ein „solchermaßen bereiteter Boden Populisten auf
den Plan ruft“, die schnelle Besserung versprechen, ohne aber zu
sagen, wie sie sich das vorstellen.
Pierre Rosanvallon:
Auf diese Weise geben sich die populistischen Parteien und
Bewegungen gewissermaßen mit einer Demokratie der Ablehnung und
Beschwörung zufrieden. Sie erweisen sich als die Meisterinnen
einer negativen Politik, die Wahlen gewinnen können, [siehe
USA], ohne dass sie der Aufgabe gewachsen sind, ein Land zu
reformieren. Mit Blick auf die
Populist*innen
können wir somit von einer pervertierten und ohnmächtigen
Intelligenz der Emotionen sprechen, die droht, die Demokratie an
den Punkt zu bringen, wo sie in einen Autoritarismus umkippt,
der aus der Feststellung herrührt, dass es unmöglich ist, eine
gemeinsame Welt aufzubauen
[En13].
Es würde
zu weit führen, bereits an dieser Stelle Wege aufzuzeigen, wie
dem Populismus begegnet werden kann. Festzustellen ist, dass
die Wege, die zurzeit beschritten werden, kaum
erfolgversprechend sein dürften, denn demokratische Parteien,
die nicht dazu in der Lage sind, den Populisten mit Argumenten
den Wind aus den Segeln zu nehmen, sondern meinen, Populisten
dadurch unwählbar machen zu können, in dem mit
kampagnenähnlichen Methoden alle sich bietenden Möglichkeiten
der Ausgrenzung zur Anwendung kommen, um solche eine Partei
unwählbar zu machen, solch eine Politik verkennt, dass eine
dadurch ausgelöste Märtyrerstimmung wahrscheinlich den
Populisten mehr hilft, als sich das die „guten“ Demokraten
vorstellen.
4.0
Demokratie in Gefahr
TOP
Die
Demokratie ist in Gefahr, der ehemalige Bundesinnenminister
Gerhart Baum bezeichnet die Größe dieser Gefahr „wie nie zuvor
nach dem Krieg“.
Auch die
ARD ging der Frage nach, inwieweit die Demokratie in Deutschland
derzeit durch extreme politische Kräfte bedroht ist. 53
Prozent der Befragten gaben beunruhigte Antworten zur
Bedrohungslage der Demokratie: „sehr stark“ oder „stark“. Über
die drei folgenden Links lassen sich Artikel öffnen, die
aufzeigen, dass dringend eine Politik benötigt wird, die den
oben bereits beschriebenen Gefahren zumindest gewachsen ist.
Knappe Mehrheit gegen AfD-Verbotsverfahren
Ein wesentlicher Grund sind Ohnmachtsgefühle
Wie Demokratien untergehen – und was man dagegen tun kann
Dass
solche Gefahren nicht nur Ängste schüren, sondern auch
Populisten die Möglichkeit bieten, durch das Anbieten einfacher
Lösungen das System Demokratie wieder lebensfähig zu machen,
vermag nicht zu verwundern. Es sind aber nicht die Populisten,
die solch ein Denken ausgelöst haben, sondern Ursache für das
Wirken von Populisten ist eine im Volk vorhandene Gefühlsage,
ohne die Populismus sozusagen wirkungslos wäre.
Ein
Zurück in autoritäre Machtstrukturen, die heute - andere Worte
gebrauchend - geschaffen werden sollen, dürften aber wohl kaum dazu
geeignet sein, eine Demokratie vor ihrem Verfall zu bewahren.
Das gilt natürlich auch für die softe Gewalt, die von den bisher
herrschenden Eliten angewendet wird, um das zu bewahren, was sie
"ihre" Demokratie nennen und damit, um den Buchtitel von
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier noch einmal zu
verwenden, ein „Wir“ meinen, das ihren Vorstellungen entspricht:
ein Volk williger Konsumenten.
5.0
Zukunftsmodell – deliberative Demokratie
TOP
Bei dem
Zukunftsmodell der Demokratie dürfte es sich aber wohl ehr
weniger um einen in seinen Strukturen autoritären
Überwachungsstaat, sondern doch eher um einen Staat handeln, der
seine Bürgerinnen und Bürger sozusagen zur Beteiligung am Ganzen
auffordert.
Deliberation als Rechtsbegriff: Das lateinische
Deliberatio
bedeutet:
-
Beratschlagung
-
Betrachtung
-
Bedenken
Eine
deliberative Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass
Probleme öffentlich beratschlagt, diskutiert und abgewogen
werden, um erst dann, wenn dieser Meinungsbildungsprozess
abgeschlossen ist, dem Willen der Mehrheit entsprechend einer
Lösung zugeführt zu werden, so auch die Sichtweise von Jürgen
Habermas, für den eine deliberative Politik ebenfalls eine
Politik der argumentativen Abwägung, der gemeinsamen
Beratschlagung sowie eine Verständigung über öffentliche
Angelegenheiten ist.
Sinngemäß heißt es bei Jürgen Habermas:
Je heterogener die sozialen Lebenslagen, die kulturellen
Lebensformen und die individuellen Lebensstile einer
Gesellschaft sind, umso mehr muss das Fehlen eines vorab
bestehenden Konsenses durch die Gemeinsamkeit und Zugänglichkeit
der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung kompensiert
werden. Den öffentlichen Medien kommt dabei eine entscheidende
Funktion zu
[En14].
Eine
solche Demokratie in die Tat umzusetzen, setzt jedoch eine
Kreativität und eine Innovationsbereitschaft voraus, die
zurzeit - zumindest auf Seiten der Politik - noch nicht einmal
ansatzweise zu erkennen ist. Ein Parteienstaat aber – und das
gilt auch für die Bundesrepublik – wird sich dennoch etwas
einfallen lassen müssen, um aus der Vielfalt unterschiedlichster
Interessen zumindest so etwas wie eine Gemeinschaft
Gleichgesinnter entstehen zu lassen. Das ist die zu leistende
Zukunftsaufgabe.
Ob die Parteien von heute dazu in der Lage sein werden?
Um dieser Zukunftsaufgabe gerecht werden zu können, bedarf es
einer Regierung, die dazu in der Lage ist, dem Willen des Volkes
im Rahmen des menschlich Möglichen auch tatsächlich zu
entsprechen.
Diesbezügliche Zweifel sind zurzeit angebracht.
Deshalb: Bevor aus der Anzahl der zu
bewältigenden Krisen auch nur eine thematisiert wird, um die
Größe des zu lösenden Missstandes in der bundesrepublikanischen
Demokratie von heute - die im August 2024 sozusagen den 75.
Geburtstag ihres Grundgesetzes "gefeiert" hat, auch nur annähernd beschreiben
zu können, ist es unvermeidbar, zuvor zu klären, ob die
Regierung von heute, und das gilt auch für die Regierung, die
nach der Bundestagswahl 2025 sich bilden wird, überhaupt dazu in
der Lage, dem Willen des Volkes zu entsprechen.
In der
Demokratie von heute dürfte das eher unwahrscheinlich sein.
Fortsetzung des Themas:
1. Juni 2024 Der freie Mensch und seine Regierung.
6.0
Quellen
TOP
Endnote_01
Florence Gaub: Zukunft. dtv-Verlagsgesellschaft 6. Auflage 2024,
Seite 8 und 17 Zurück
Endnote_02 Ebd. Florence
Gaub, Seite 35 Zurück
Endnote_03 Ebd. Florence
Gaub, Seite 44 Zurück
Endnote_04 Ebd. Florence
Gaub, Seite 85 Zurück
Endnote_05 Hans Böckler
Stiftung. Ausgabe 04/2017.
https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-wie-sind-
die-vermoegen-in-deutschland-verteilt-3579.htm
Zurück
Endnote_06 Pierre Rosanvallon: Die Prüfungen des Lebens.
Hamburger Edition, Seite 63 Zurück
Endnote_07
Tichyseinblick.de vom 14.5.2024: Sind AfDler an den Angriffen
auf sie selbst schuld?
https://www.tichyseinblick.de/feuilleton/
medien/hart-aber-fair-afd/ Zurück
Endnote_08 Ebd.
Pierre Rosanvallon: Seite 63 Zurück
Endnote_09 Ebd.
Pierre Rosanvallon: Seite 60 Zurück
Endnote_10 Ebd.
Pierre Rosanvallon, Seite 149 Zurück
Endnote_11
Latana-Studie 2024: Over the past two years, many European
countries have seen a sharp rise in the share of people who say
that “reducing immigration” should be a top government priority.
At the same time, the desire to prioritize “fighting climate
change” has decreased in these same countries. Nowhere is this
reversal more striking than in Germany, which now leads the
world with the highest share of people who want their government
to focus on reducing immigration (44%) – topping all other
priorities – and now nearly twice as high as fighting climate
change (24%). Latana: Democracy Perception Index 2024. The
World´s largest annual study on how people perceive democracy.
https://www.allianceofdemocracies.org/
wp-content/uploads/2024/05/DPI-2024.pdf
Zurück
Endnote_12 Ebd. Pierre Rosanvallon, Seite 161
Zurück
Endnote_13 Ebd. Pierre Rosanvallon, Seite 178
Zurück
Endnote_14 Sinngemäß: Jürgen Habermas: Ein neuer
Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik.
Berlin: Suhrkamp Verlag Zurück
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