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Home Inhaltsverzeichnis : Umgang mit der Demokratie

Freiheit paradox

Inhaltsverzeichnis:

01 Freiheit paradox
02 Was ist Freiheit?
03 Die Angst der Eliten vor dem Volk
04 Wahlen versus Abstimmungen
05 Volksentscheide in der Weimarer Republik
06 Die vom Volk gewählten Abgeordneten
07 Die Demokratie von morgen muss verzichten lernen
08 Angriff auf die Gedankenfreiheit
09 Schlusssätze

01 Freiheit paradox

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Der Missbrauch von Freiheit führt zur Unfreiheit.

Diese Wahrheit entspricht menschlicher Logik, denn das Gegenteil von Freiheit ist Unfreiheit, das Gegenteil eines „guten Menschen“ ist ein „böser Mensch“ und das Gegenteil von Wahrheit ist die Lüge.

Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Dennoch: Was wir heute dringender benötigen, als das bisher jemals in der Menschheitsgeschichte der Fall gewesen ist, das hat Antonio Gramsci wie folgt in Worte gefasst:

Was wir brauchen, ist Nüchternheit: einen Pessimismus des Verstandes, einen Optimismus des Willens.

Antonio Gramsci

Hinweis: Antonio Gramsci (1892–1937) zählt zu den großen politisch-philosophischen Denkern Europas. Seine 29 Gefängnishefte, die in der Zeit von 1919 bis 1936 in der Haft entstanden sind, verdeutlichen, wie schwer es ist, sein Selbst unter den Bedingungen einer faschistischen und stalinistischen Zensur zu erhalten. Sein Widerstand gegen diese Bestrebungen seiner Zeit konnte aber auch im Gefängnis nicht gebrochen werden. Den Menschen, so wie Antonio Gramsci ihn beschreibt, den wünscht er sich als einen nüchtern denkenden geduldigen Menschen, der an der Wirklichkeit nicht verzweifelt und der sich nicht von jeder Dummheit begeistern lässt.

Solche Menschen gehören heute bedauerlicherweise noch nicht zur Mehrheit im so genannten politischen Mainstream, zumindest erhalten diese Menschen in den Leitmedien unserer Zeit kein ausreichendes Gehör.

Wie dem auch immer sei: Hier noch einmal die letzten Zeilen im 29. Gefängnisbrief:

Antonio Gramsci: Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern.

Der Eintrag im letzten Gefängnisheft endet mit der viel zitierten Losung: «Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.»

Womit sich wieder der Bogen schließt, zu dem zentralen Wort unseres Denkens, das wir Freiheit nennen.

02 Was ist Freiheit?

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Definiert man dieses Wort in Bezug auf Lebewesen, die keine Menschen sind, so lässt sich deren Freiheit mit einem Satz abschließend beantworten. Freiheit in der Tierwelt bedeutet: artgerecht leben zu können.

Nun ist, das zumindest meint die Wissenschaft nachgewiesen zu haben, der Mensch nichts anderes, als ein intelligentes Tier. Wer diesem Gedanken folgt, wird unweigerlich mit der Frage konfrontiert, was es für einen Menschen bedeutet, artgerecht zu leben. Die sich daraus ergebenden Fragen verlangen nach langen Antworten, auf die hier aber verzichtet werden soll, weil jede Leserin und jeder Leser die nachfolgenden Fragen intuitiv und augenblicklich sofort mit einem Ja oder einem Nein beantworten kann.

Hier einige Fragen, die so beantwortet werden können.

  • Ist es artgerecht, ein Kind im Alter von 1 Jahr in die Obhut einer Kita zu geben?

  • Ist es artgerecht, wenn Menschen ihr gesamtes Berufsleben in einem Büro verbringen, um dort einen PC zu bedienen?

  • Ist es artgerecht, sich überwiegend von Fastfood zu ernähren?

  • Ist es artgerecht, alle 15 Minuten das Smartphone zu checken, ob dort neue Nachrichten eingegangen sind?

  • Ist es artgerecht, einer Arbeit nachzugehen, von der niemand weiß, was dabei herauskommt?

  • Ist es artgerecht, drogensüchtig zu werden?

  • Ist es artgerecht, Alkoholiker zu werden?

  • Ist es artgerecht, sich als ein Workaholic zu definieren?

Genug der Fragen. Ich denke, dass all diese Fragen spontan mit einem Nein beantwortet werden können. Trotzdem gehen wir davon aus, dass auch solch ein Gebrauch von Freiheit die Freiheit ist, die wir meinen. Die Frage, ob solch ein Freiheitsgebrauch aber auch artgerecht ist, diese Frage stellen wir uns erst gar nicht, weder als Individuen, noch als Gemeinschaftswesen, oder halten Sie es für artgerecht, wenn die von Menschen geschaffenen Systeme dazu dienen, den Lebensraum von Menschen zu zerstören, oder gar Waffensysteme zu kreieren, die dazu in der Lage sind, höher entwickeltes Leben auf dem Planeten Erde ein Ende bereiten zu können?

Wie dem auch immer sei: Was den Zustand des Gebrauchs der menschlichen Freiheit und den damit verbundenen Gefahren anbelangt besteht zumindest schon heute Einigkeit darüber, dass in einer begrenzten Welt es keine grenzenlose Freiheit und somit auch kein grenzenloses Wachstum geben kann, denn die Folgen eines „immer weiter so“ sind inakzeptabel.

Einig ist man sich heute auch weitgehend darüber, dass es auch biophysikalische Grenzen [En01] des Wachstums gibt und diese entweder schon erreicht oder gar bereits überschritten worden sind.

Ulrich Gausmann: Die Überschreitung dieser Grenzen in dem Drang, Menschen und Natur als Vorratskammer und Abfallgrube zugleich immer mehr zu einer Ware zu machen, führt auch zu absoluten Grenzen bis hin zur Vernichtung der eigenen Lebensgrundlage. Und drittens ist man sich einig darin, was die Möglichkeit oder besser die Unmöglichkeit eines „grünen“ Kapitalismus betrifft [En02].

Anmerkung zu biophysikalischen Grenzen: Die Wissenschaftler haben biophysikalische Grenzen identifiziert, innerhalb derer sich die menschliche Zivilisation entwickelt hat und beim Überschreiten dieser Grenzen Prozesse im Erdsystem ausgelöst werden, die dieses System destabilisieren würden. Planetarische Grenzen wurden sogar in neun Bereichen identifiziert und sieben davon wurden konkret beziffert. Mehr dazu kann einem Bericht des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung aus dem Jahr 2009 entnommen werden, der über den folgenden Link aufgerufen werden kann.

Planetarische Grenzen:
Ein sicherer Handlungsraum für die Menschheit

Zurück zur menschlichen Freiheit. Dazu ist anzumerken, dass es Freiheit, ohne die damit zwangsläufig verbundene Verantwortung hinsichtlich zu erwartender Folgen nicht geben kann. In dem Roman „Der Idiot“ von Fjodor Dostojewski heißt es:

Das Gesetz der Selbstzerstörung und das Gesetz der Selbsterhaltung sind in der Menschheit gleich stark.

Fjodor Dostojewski (1821 bis 1881)

Zurzeit scheint es so zu sein, dass dem Hang zur Selbstzerstörung sozusagen mit wachsender Begeisterung gehuldigt wird.

Mit anderen Worten: Menschen, die es gelernt haben, dem Hang zur Selbstzerstörung Grenzen zu setzen, leben artgerechter. Gleiches gilt, im übertragenen Sinne, auch für Gesellschaften. Dort, wo das artgerechte menschliche Maß überschritten wird, sind, was Einzelpersonen anbelangt, Krankheiten bis hin zum Krebs und bis hin zur Demenz unvermeidbar und im Hinblick auf gesellschaftliche Systeme hat das Überschreiten von Grenzen zur Folge, dass Krisen bis hin zur Bereitschaft zur Kriegsführung zu erwarten sind. Wie heißt es doch so schön bei Theodor W. Adorno in dessen Minima Moralia:

Es gibt kein richtiges Leben im falschen.

Der richtige Gebrauch von Freiheit setzt die Fähigkeit zum Träumen voraus, woraus sich Ideen entwickeln und Veränderungen hin zum Guten ergeben können, wenn so gedacht wird. Freiheit, so wie ich sie verstehe, setzt den Willen zum Guten voraus. In der christlichen Sozialethik wird das als Klugheit bezeichnet, denn Klugheit bedeutet, dem Guten Geltung zu verschaffen, was aber nur auf der Basis bestmöglichen Wissens über die gesellschaftliche Wirklichkeit realisierbar ist. Dafür reichen weder »gute Absichten« noch »gute Meinungen« aus.

Josef Pieper: Klugheit fordert deshalb die »rechte Verfassung der praktischen Vernunft« ein, weil sie sowohl erkennend als auch beschließend ist. Klugheit ist somit nichts anderes, als das Erkennen dessen, was wahr und gut ist [En03].

Kluges Handeln, das ist somit nichts anderes als die Fähigkeit, richtige Urteile fällen zu können, und zwar im Hier und im Jetzt, um diese dann auch zeitnah umzusetzen und nicht erst im Jahre 2030 oder später.

Klugheit setzt insoweit die Bereitschaft voraus, sich der Wahrheit zu stellen, um aus ihr im Rahmen des menschlich Möglichen das Bestmögliche machen zu wollen. Insoweit kann festgestellt werden, dass es nicht der Zweck der Klugheit ist, über die letzten Ziele des eigenen Lebens oder gar über die Zukunft der gesamten Menschheit Bescheid wissen zu wollen. Diese Ziele sind nach christlich-abendländischem Denken vorgegeben.

Wie dem auch immer sei: Heute überwiegt die Macht der Dummheit.

Was ich damit meine, möchte ich an einem Beispiel aufzeigen. Am 31.5.2024 fand in Berlin eine Demonstration unter dem Motto: „Demo gegen Hass“ statt. Eine der verkündeten Botschaften hatte folgenden Wortlaut: „Hass ist keine Meinung“. Das aber hinderte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht daran, laut zu skandieren:

Ganz Berlin hasst die AfD“.

Link zum Video:

Ganz Berlin hasst die AfD

Wie lässt sich solch eine Schizophrenie erklären? Ganz einfach: Der Verfall der westlichen Kultur, ohne deren christliche Wurzeln die Aufklärung gar nicht möglich gewesen wäre, hat heute dazu geführt, dass Worte umgedeutet werden, bzw. ihren Bedeutungsinhalt verlieren, bzw. ganz nach Belieben gebraucht werden.

Hass ist, wie das im Motto auf der einen Seite heißt, keine Meinung, was Hass auch niemals sein kann, denn Hass ist eine Emotion, ein Gefühl. Aber wenn schon so kommuniziert wird, indem der gleiche Hass skandiert wird, der bei anderen beklagt wird, dann dürfte das Ende der Aufklärung erreicht sein.

Anders ausgedrückt: Um die Freiheit wiederbeleben zu können, wird es erforderlich sein, die Sprachverwirrung von heute zu beenden, um sich wieder in Deutschland der Sprache zu bedienen, mit der fast alles im Rahmen des menschlich Möglichen wirklichkeitsnah beschrieben werden kann.

Und wer sich der Wahrheit stellt, dem muss auffallen, dass so, wie wir heute leben, ein Überleben kaum möglich sein wird und folglich weltweit Veränderungen vorgenommen werden müssen, um den Menschen vor sich selbst zu schützen.

Wie heißt es doch so schön bei Thomas Hobbes (1588 bis 1679): Der Mensch ist des Menschen Wolf. Um das zu ändern, bedurfte es in Anlehnung an das Staatsverständnis dieses großen Denkers eines Leviathans, einer allmächtigen Staatsmacht, die über dem Gesetz steht und die dazu in der Lage ist, ihre Macht – die keiner Rechtfertigung durch andere bedurfte – durchzusetzen. Aufgabe der Untertan war es, sich dieser Macht zu fügen. Sein Leviathan erschien erstmals im Jahr 1651. Hinzuzufügen ist noch, dass die Untertanen sich freiwillig den Schutz des Staates wollten.

Nur gut 40 Jahre später beschrieb John Locke (1632 bis 1704) eine Staatsgewalt, die sich an Gesetz und an Recht zu halten hatte. 1690 erschien sein Buch „Two Treatises of Government“ (Zwei Abhandlungen über die Regierung). Seine Staatstheorie gilt als die erste, die eine Gewaltenteilung vorsah. Exekutive und Legislative sollten auf jeden Fall voneinander unabhängig sein.

Danach lebte John Locke zurückgezogen, um sein Werk „An Essay Concerning Humane Understanding“ (Versuch über den menschlichen Verstand) zu schreiben, durch welches er in ganz Europa bekannt wurde.

Die Macht der Dummheit konnte er dadurch aber auch nicht aufhalten. Sie lebt heute immer noch und verfügt, man mag das bedauern, um ein enormes Wachstumspotenzial.

03 Die Angst der Eliten vor dem Volk

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Die Freiheit des Volkes gilt es zu begrenzen, denn ein Volk, das an politischen Entscheidungen zu beteiligen ist, ist für diejenigen, deren Kreise dadurch gestört würden, unerträglich. Aus diesem Grunde wurde bei der Konzipierung des Grundgesetzes auch großen Wert darauf gelegt, dass die Einflussnahme des Volkes, von Wahlen einmal abgesehen, sozusagen auf die Einflussmöglichkeiten begrenzt, die im Grundrechtskatalog aufgelistet sind:

Art. 5 GG: Meinungsfreiheit

Art. 8 GG: Versammlungsfreiheit

Art. 9 GG: Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit

Art. 17 GG: Petitionsrecht

Widerstandsrecht: Für den Fall, dass der Staat wirklich einmal handlungsunfähig werden sollte, wurde 1968 – im Zusammenhang mit der Notstandsverfassung – das Widerstandsrecht in das Grundgesetz aufgenommen. Im Parlamentarischen Rat war 1949 solch eine Forderung verworfen worden.

Art. 20 Abs. 4 GG: Widerstandsrecht

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Geschützt werden soll durch das Widerstandsrecht des Einzelnen der Verfassungsstaat, aber nur dann, wenn es sich um einen absoluten Ausnahmefall handelt, in dem „alle Mittel der Normallage“ versagen, die einem Staat zur Selbsterhaltung zur Verfügung stehen. Das heißt: Solange Konflikte noch in zivilen Formen ausgetragen werden können, bzw. friedlicher Protest noch Gehör finden kann, steht niemandem das Recht auf Widerstand zu.

Anders ausgedrückt: Die letzten sechs Wörter drücken genau das aus, was gemeint ist. Widerstand im Sinne von Artikel 20 Abs. 4 setzt eine Ausnahmesituation voraus, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist, um den Verfassungsstaat zu schützen.

Artikel 20 rechtfertigt keinen zivilen Ungehorsam.

Das Demokratieverständnis der Mitglieder im Parlamentarischen Rat lässt sich wie folgt zusammenfassen: Das Volk hat außen vor zu bleiben, denn die Entscheidungen, die zu treffen sind, sind ausschließlich denen vorbehalten, die im Namen des Volkes deren Souveränität ausüben. Die Einbeziehung des Volkes in wichtige Entscheidungen bzw. ein Volksbegehren, wie das die Weimarer Reichsverfassung noch vorsah, wurde mit der Begründung abgelehnt, dass es ja das Volk war, das Adolf Hitler an die Macht kommen ließ, eine Aussage, die sich aus Sicht der politischen Eliten gut und überzeugend anhörte, um die eigene Verantwortung dahinter zu verstecken. Mehr dazu an anderer Stelle in diesem Aufsatz.

Das, was die Machtausübung in der Bundesrepublik Deutschland anbelangte, das sollte ausschließlich den gewählten politischen Eliten überlassen werden.

So auch die Sichtweise von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dessen Position zur direkten Einflussnahme des Volkes auf politische Entscheidungen den nachfolgenden Zitaten entnommen werden kann.

Beim 27. Wissenschaftlichen Kongress der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft am 26. September 2018 in Frankfurt am Main sagte der Bundespräsident:

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: Ich persönlich bleibe skeptisch, ob die Parlamente und die repräsentative Demokratie in ihrer Autorität gestärkt werden, wenn ihnen – wie von den Verfechtern der direkten Demokratie häufig vorgeschlagen – gerade die sensiblen Entscheidungen entzogen werden.

Hinsichtlich der Rolle, die die Politikwissenschaft zu übernehmen hat, um die repräsentative Demokratie zu erhalten, heißt es:

Für eine solche Debatte brauchen wir die Politikwissenschaft, heute mehr denn je. Nicht als Neuauflage der Demokratiewissenschaft der Vergangenheit, sondern als professionelle und vielfältige Disziplin, die detailgenau untersucht, aber auch die großen Fragen unserer Zeit im Blick hat – und der es im besten Fall gelingt, empirische Analysen und normative Argumente miteinander zu verknüpfen.

Was wir brauchen, ist eine kreative und mutige Politikwissenschaft, die aktuelle Diskurse über die Demokratie informiert, inspiriert, die mit Leidenschaft und Urteilskraft zur Aufklärung der Gesellschaft über sich selbst beitragen kann [En04].

Mit anderen Worten: Das, was die deutsche Demokratie braucht, das sind Experten und Menschen, wie wissen, was sie tun.

Anders ausgedrückt: Alle Macht den Experten. Die Stimme des Volkes könnte deren Demokratieverständnis nur stören.

Ganz anders die Sichtweise des Bundespräsidenten anlässlich eines Besuchs in der Schweiz im April 2018. Dort sprach sich Frank-Walter Steinmeier, seiner Position treu bleibend, in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland gegen Volksabstimmungen auf Bundesebene aus.

FAZ.de vom 26.4.2018: In der Schweiz lobt Bundespräsident Steinmeier das dortige Modell direktdemokratischer Beteiligung. Für Deutschland sieht er Volksabstimmungen kritisch. Hier gebe es eine andere „politische DNA“.

Auf kommunaler Ebene sei dagegen mehr Beteiligung sinnvoll und notwendig. Deutschland habe mit dem Grundgesetz die Lehren aus dem Scheitern der ersten Demokratie von 1918 bis 1933 gezogen, sagte Steinmeier weiter [En05].

Wie dem auch immer sei: Das, was die Machtinhaber innerhalb der bundesdeutschen repräsentativen Demokratie erhalten wollen, das sind Menschen, die der Obrigkeit vertrauen, selbst in Ruhe gelassen werden wollen, ihre Selbsterfüllung im Konsum finden und im Übrigen von Nutzen sind.

Was damit gemeint ist, darüber hat Larken Rose ein Buch mit dem Titel „Der Nutzmensch“ geschrieben, dessen Untertitel lautet: „Handbuch für den modernen Tyrannen“. Bei dem Autor handelt es sich um einen amerikanischen Philosophen und um einen Freiheitsaktivisten, der die gefährlichste aller Religionen beschreibt, die den Geist in Ketten legt. Gemeint sind Gesellschaftssysteme, denen es gelingt, den Menschen vollständig zu kontrollieren und zu beherrschen. In westlichen Systemen geschieht dies in Anlehnung an Larken Rose durch Techniken, die so ausgefeilt sind, dass davon betroffene Personen es gar nicht mehr merken, wie aktiv sie sich an der Zerstörung der eigenen Freiheit beteiligen.

Eliten, die die repräsentative Demokratie für alternativlos halten, und das ist immer noch die Meinung der Mehrheit der politischen Elite, sollten sich daran erinnern, was Alternativlosigkeit bedeutet:

William Pitt: Alternativlosigkeit ist das effektivste Argument für die Zerstörung der Freiheit [En06].

In einem Kapitel, das die Überschrift „Aus Lüge wird Freiheit“ trägt, heißt es bei Larken Rose wie folgt:

Larken Rose: Die Wertvorstellungen einer ganzen Gesellschaft zu verändern, ist nicht annähernd so kompliziert, wie du denkst. Du benötigst dazu nur etwas Planung und Geduld. Die meisten Menschen haben ein Wertesystem, das aus Emotionen, Überzeugungen und Manipulationen besteht. Beweise, Logik oder eigenständiges Denken spielen für sie nur eine untergeordnete Rolle. Sie glauben, dass alles, was sich für sie gut und „passend“ anfühlt, ihnen dabei hilft, unbequeme Gedanken und Unsicherheit zu vermeiden. Die meisten Nutzmenschen glauben das, was sie nach Vorstellung ihrer Eltern oder „Lehrer“ glauben sollen. Das ist für sie wesentlich bequemer, als sich selbst mit der Realität auseinandersetzen zu müssen. Zudem sind sie intellektuell nicht standfest genug, um an einer Überzeugung festzuhalten, und richten ihre Fahne sofort nach dem Wind, wenn eine „Autorität“ etwas sagt, was davon abweicht.

Diesem Absatz beendet der Autor mit einem Zitat von Adolf Hitler, das folgenden Wortlaut hat:

Was für ein Glück für die Regierenden, dass die Menschen nicht denken [En07].

Dass dieser Gefahr der Manipulation denen Menschen auch in westlichen Demokratien ausgesetzt sind, eine ernstzunehmende Gefahr darstellen, das in Frage zu stellen, würde bedeuten, 200 Jahre Wissenschaftsgeschichte zu leugnen, deren Ziel es war und ist, herauszufinden, wie der Mensch funktioniert und wie sein Denken, sein Verhalten und seine Bereitschaft, anderen zu vertrauen, im Sinne derjenigen beeinflusst werden kann, die tatsächlich über die dafür erforderlichen Mittel verfügen, solch eine Kontrolle durchzusetzen. Es würde zu weit führen, bereits an dieser Stelle die Gefahr des so genannten Nudgings zu thematisieren. Insoweit muss es zuerst einmal ausreichen, festzustellen, dass die Wissenschaft heute tatsächlich weiß, wie Gesellschaften so beeinflusst werden können, dass sie sich so verhalten, wie das den Eliten gefällt.

Auch das nenne ich Freiheit paradox.

04 Wahlen versus Abstimmungen

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Wahlen: Der freie Mensch in der besten Regierungsform, die Deutschland jemals hatte, darf, soweit er wahlberechtigt ist, seine Volksvertretung wählen. Ist das geschehen, dann hat dieser freie Wähler sozusagen den direkt gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestags sozusagen alle Freiheiten übertragen, die Politik in der sich daran anschließenden Legislaturperiode von vier Jahren zu gestalten, denn zur Aufgabe des Bundestages gehört es auch, die Bundesregierung zu wählen, denn im Artikel 63 Abs. 1 GG heißt es:

(1) Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestage ohne Aussprache gewählt.

Das, was den Bürgern noch als Einflussnahme verbleibt, das ist sein Recht, im Rahmen der Meinungsfreiheit die Regierung zu kritisieren, oder demonstrierend auf die Straße zu gehen, um politische Entscheidungen vielleicht doch noch rückgängig machen zu können.

Abstimmungen: Weitere Einflussnahmen auf politische Entscheidungen werden den Bürgern vorenthalten, obwohl es im Artikel 20 Abs. 2 GG heißt:

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

Fraglich ist jedoch, ob dem Begriff der „Abstimmungen“ ein normativer Charakter innewohnt und somit Art. 20 Abs. 2 GG als ein Verfassungsauftrag anzusehen ist. Von den Vertretern, die sich die Staatsform des Grundgesetzes nur als eine repräsentative Demokratie vorstellen können, wird der Auftrag, der sich aus Artikel 20 Abs. 2 GG ergibt, deshalb ausschließlich im Zusammenhang mit Artikel 28 GG verstanden, der einen Volksentscheid nur zur Neuregelung von Bundesländern vorsieht.

Artikel 29 Abs. 2 GG

2) Maßnahmen zur Neugliederung des Bundesgebietes ergehen durch Bundesgesetz, das der Bestätigung durch Volksentscheid bedarf. Die betroffenen Länder sind zu hören.

Im Übrigen wird darauf verwiesen, dass die „Mütter und Väter“ des Grundgesetzes, also die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, sich bewusst für die repräsentative Demokratie entschieden haben, weil die Erfahrungen mit Volksentscheidungen aus der Weimarer Republik die Ursache dafür waren, dass Hitler an die Macht kommen konnte.

Dem ist aber nicht so, denn nicht die Wähler, sondern die Abgeordneten des Deutschen Reichstages, unter ihnen auch der erste Bundespräsident Theodor Heuss, stimmten dem Ermächtigungsgesetz zu und übertrugen damit dem Reichskanzler Adolf Hitler sozusagen diktatorische Gewalt.

Die Volksbegehren, die es in der Weimarer Republik schafften, zur Abstimmung zu gelangen, hatten wirklich keinen Einfluss auf diese unsägliche Entscheidung der Abgeordneten im Deutschen Reichstag. Dennoch war Theodor Heuss einer der eloquentesten Gegner einer repräsentativen Demokratie, soweit in ihr Elemente der direkten Demokratie enthalten sein sollten. Volksentscheide wie in Weimar, so Theodor Heuss, müssen deshalb ausgeschlossen werden, weil „der Hund an die Kette gelegt werden muss.“ Gemeint waren die Wählerinnen und Wähler.

Das, was die Weimarer Reichsverfassung ihren Wählerinnen im Hinblick auf die Einflussnahme auf politische Entscheidungen erlaubte, dazu heißt es in der Weimarer Reichsverfassung wie folgt:

Artikel 73 WRV
Ein vom Reichstag beschlossenes Gesetz ist vor seiner Verkündung zum Volksentscheid zu bringen, wenn der Reichspräsident binnen eines Monats es bestimmt. [...]. Das Verfahren beim Volksentscheid und beim Volksbegehren regelt ein Reichsgesetz.

Artikel 76 WRV

Soll auf Volksbegehren durch Volksentscheid eine Verfassungsänderung beschlossen werden, so ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich.

Es würde zu weit führen, nähere Ausführungen zu dem Reichsgesetz zu machen, in dem während der Weimarer Republik das Rechtsinstitut des Volksbegehrens geregelt war.

Wer sich dafür interessiert, der kann das „Gesetz über den Volksentscheid vom 27. Juni 1921“ über den folgenden Link aufrufen.

Gesetz über den Volksentscheid

Ein solches oder auch nur ein annähernd vergleichbares Gesetz gibt es in der Bundesrepublik von Deutschland von heute jedoch nicht. Wohl aber ein Bundeswahlgesetz.

Warum?

05 Volksentscheide in der Weimarer Republik

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Was die Weimarer Reichsverfassung vorsah, wurde vom Parlamentarischen Rat mit der Begründung abgelehnt, dass mit Volksentscheiden in der Weimarer Republik schlechte Erfahrungen gemacht wurden und solche Entscheide sogar den Aufstieg von Adolf Hitler ermöglicht hätten. Dafür aber fehlen wissenschaftliche Beweise bis heute. Deshalb kann durchaus davon ausgegangen werden, dass dieses Argument nur als ein vorgeschobenes Argument angesehen werden kann, um diejenigen Abgeordneten zu entlasten, zu denen auch der erste Bundespräsident Theodor Heuss gehörte, die im Reichstag dem Ermächtigungsgesetz zustimmten, durch das Adolf Hitler diktatorische Macht übertragen wurde.

Wie dem auch immer sei: Zu fragen ist dennoch, wie Otmar Jung das in seinem Buch „Direkte Demokratie in der Weimarer Republik“ getan hat, „warum sich die Bundesrepublik von fast allen Ländern des westlich-demokratischen Typus, die neben dem parlamentarischen Regelbetrieb selbstverständlich Formen direkter Demokratie praktizieren?“

Bei den vier großen Volksbefragungen, die in der Weimarer Republik zur Abstimmung gelangten, und die Otmar Jung analysiert hat, wird nämlich deutlich, dass dem Volk durchaus bewusst war, worüber sie zu entscheiden hatten.

1926 Enteignung der Fürstenvermögen

1926 Volksbegehren in Aufwertungsfragen

1928 Volksbegehren Panzerkeuzerverbot

1929 Volksbegehren Youngplan

Der wohl wichtigste und auch tatsächlich durchgeführte Volksentscheid betraf die so genannte Fürstenenteignung.

Paul Schreyer: Nach der Revolution von 1918 waren die deutschen Fürsten entmachtet worden, ihr Besitz, vor allem große Liegenschaften, wurden beschlagnahmt. [...]. Daraufhin folgten verbissene juristische Kämpfe der um Entschädigung streitenden Fürsten. [...]. Der Unmut in der Öffentlichkeit über Urteile zugunsten der Fürsten, in denen die Revolution gewissermaßen juristisch wieder rückgängig gemacht wurde, wuchs schließlich so weit, dass ein von KPD und SPD gemeinsam betriebener Volksentscheid im Jahr 1926 breiten Rückhalt erfuhr [En08].

Der Gesetzesentwurf, der zur Abstimmung gestellt wurde, hatte folgenden Wortlaut:

Otmar Jung: Das gesamte Vermögen der Fürsten, die bis zur Staatsumwälzung im Jahre 1918 in einem der deutschen Länder regiert haben, sowie das gesamte Vermögen der Fürstenhäuser, ihrer Familien und Familienangehörigen werden zum Wohle der Allgemeinheit ohne Entschädigung enteignet. Das enteignete Vermögen wird Eigentum des Landes, in dem das betreffende Fürstenhaus bis zu seiner Absetzung oder Abdankung regiert hat. Das enteignete Vermögen wird verwendet zugunsten der Erwerbslosen, der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, der Sozial- und Kleinrentner, der bedürftigen Opfer der Inflation, der Landarbeiter, Kleinpächter und Kleinbauern durch Schaffung von Siedlungsland auf dem enteigneten Landbesitz [En09].

Das Volksbegehren scheiterte. Warum?

Paul Schreyer: Am Ende nahmen von 40 Millionen Wahlberechtigten gut 15 Millionen an der Abstimmung teil. Von diesen wiederum stimmten 96 Prozent für eine entschädigungslose Enteignung der Fürsten. Klarer hätte das demokratische Votum kaum ausfallen können. Jedoch: Laut Weimarer Rechtsverfassung war ein Volksentscheid nur dann gültig, wenn mindestens 50 Prozent der Bevölkerung teilnahmen. Die Abstimmung scheiterte somit trotz eindeutigem Ergebnis „mangels Beteiligung“ [En10].

Vielleicht war es die Angst der Mitglieder im Parlamentarischen Rat, die darin bestand, dass das Volk auf den Gedanken kommen könnte, noch einmal darüber entscheiden zu wollen, der Macht des Geldes, wie das der Artikel 14 Abs. 2 des Grundgesetzes durchaus vorsieht, dem Allgemeinwohl entsprechend zu beschneiden.

Dort heißt es:

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

06 Die vom Volk gewählten Abgeordneten

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Sobald das Wahlvolk gewählt hat, befindet es sich in der Rolle des Zuschauers, denn nur in seltenen Fällen gelingt es Protestierenden, die Regierenden davon zu überzeugen, dass es besser für sie ist, aufgebrachten Teilen der Wählerschaft zumindest vorübergehend ein Stück entgegenzukommen.

Als Beispiel für einen solchen Teilerfolg seien die Proteste der Landwirte genannt, die Anfang 2024 wegen Kürzungen von Agrarsubventionen ihren Protest mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auf den Straßen in Deutschland „auslebten“.

Deutscher Bauernverband: Vom 8. bis 12. Januar 2024 wird in ganz Deutschland eine Aktionswoche durchgeführt, bei der Landwirtschaft und Transportgewerbe gemeinsam demonstrieren.

Landwirtinnen, Landwirte, das Transportgewerbe, Spediteure und Lkw-Fahrer werden ab dem 8. Januar deutschlandweit mit Demonstrationen, Sternfahrten oder Kundgebungen ihre Unzufriedenheit mit den Haushaltspänen der Bundesregierung zum Ausdruck bringen. Bundesweit werden in allen Bundesländern über 100 Aktionen stattfinden, um Bevölkerung und Politik davor zu warnen, die Wettbewerbsfähigkeit und die Existenz der Landwirte und mittelständischen Transportunternehmen aufs Spiel zu setzen [En11].

Die Folge dieser Proteste war, dass die Bundesregierung geplante Kürzungen für Landwirte teilweise zurücknahm.

Solche „Erfolge durch Proteste“ sind aber wohl eher die Ausnahme, nicht die Regel, denn der politische Wille des Volkes soll ja durch die vom Volk gewählten Abgeordneten im Deutschen Bundestag ausgeübt werden, siehe Artikel 38 Abs. 1 GG.

Art 38 Abs. 1 GG
(1)
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Das, was der Satz 2 des Artikels 38 Abs. 1 GG nahelegt, dass die gewählten Abgeordneten an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, und nur ihrem Gewissen unterworfen sind, entspricht aber nicht der Verfassungswirklichkeit von heute.

Marco Bülow, der von 1992 bis 2018 Mitglied der SPD und für diese Partei von 2002 bis 2018 als Abgeordneter im Deutschen Bundestag war, dann aber 2018 die SPD verließ, um den Rest seiner Abgeordnetenzeit bis 2021 als partei- und fraktionsloser Politiker im Deutschen Bundestag zu verbringen, schildert die Abstimmungsfreiheit der im Deutschen Bundestag vertretenen Abgeordneten wie folgt:

Video:

Marco Bülow über den Fraktionszwang

07 Die Demokratie von morgen muss verzichten lernen

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Die Demokratie von morgen wird nur dann eine Chance haben, wenn es demokratischen Gesellschaften gelingt, verzichten zu lernen.

Während jeder Erwachsene aus eigener Erfahrung wissen muss, dass es im Leben, sei es bei der Arbeit, beim Sport, im Studium, in der Liebe oder in der Kunst und natürlich auch beim Erhalt der eigenen Gesundheit nichts, aber auch gar nichts gibt, das ganz ohne die Bereitschaft zum Verzicht gelingen könnte, lässt den Schluss zu, dass dies auch für Gesellschaften gilt.

Dennoch gibt es Politiker, die meinen, dass dies für Gesellschaften nicht gilt, denn sogar die umweltbewussten Politiker von heute halten es für möglich, die Menschheit ganz ohne Abstriche vom Gewöhnten und Bequemen zu retten bzw. die ökologische Krise auf eine Art und Weise zu beseitigen, die sogar Wirtschaftswachstum und Wohlstandsvermehrung zugleich verspricht.

Das zu glauben fällt schwer.

Warum?

Die Antwort auf dieses Fragewort lässt sich in wenigen Worten ausdrücken: Die Industrialisierung und der Kapitalismus kennen nur eine Richtung, die Richtung der Zerstörung. Nach meinem Kenntnisstand war es die Frankfurter Schule, die diese Sicht der Dinge intellektuell wohl am überzeugendsten formuliert hat, denn für Max Horkheimer (1895 bis 1973) und Theodor W. Adorno (1903 bis 1969) gehört nun einmal zum Fortschritt kapitalistischer Systeme die „Tendenz zur Selbstzerstörung“ [En12].

08 Angriff auf die Gedankenfreiheit

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Das Gedicht „Die Gedanken sind frei“ stammt aus der Feder von Hoffmann von Fallersleben (1798 bis 1874). Der Text, von dem im Folgenden nur die erste Strophe zitiert wird, wurde 1780 zum ersten Mal auf Flugblättern veröffentlicht. Im Zeitraum zwischen 1810 und 1820 entstand die Melodie dazu.

Die Gedanken sind frei,
wer kann sie erraten?
Sie fliegen vorbei
wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
kein Jäger sie schießen,
mit Pulver und Blei.
Die Gedanken sind frei.

Diese Euphorie im Hinblick auf menschliches Denken, das sich jeglicher Form der Beeinflussung von außen zu entziehen vermag, vermochte schon damals nicht zu überzeugen, was eine Vielzahl von Inquisitionsprozessen belegen, in denen Menschen durch Folter dazu gezwungen wurden, das zu sagen, was andere hören wollten. Heute, gut 300 Jahre später, findet ein anderer Angriff auf die Meinungsfreiheit statt, denn Wissenschaftlern ist es in den zurückliegenden gut 200 Jahren gelungen, herauszufinden, wie das Denken der Menschen nicht nur beeinflusst und manipuliert, sondern auch gesteuert werden kann. Das betrifft sowohl das „langsame Denken“ als auch das „schnelle Denken“.

Während das langsame Denken, das im Neokortex sozusagen als der Raum für die menschliche Vernunft anzusehen ist, durch Sprache und durch dauerhaft wiederholte Botschaften beeinflusst werden kann, befindet sich die „Heimat“ des schnellen Denkens im menschlichen Stammhirn, auch Reptiliengehirn genannt. Dieses Gehirn steuert unsere Emotionen, zu denen auch unsere Empathiefähigkeit gehört, Eigenschaften, über die auch Tiere verfügen.

Wie dem auch immer sei: Tausende von Wissenschaftlern haben in den letzten Jahrzehnten daran gearbeitet, herauszufinden, wie das menschliche Gehirn funktioniert und wie es manipuliert und für Ziele gewonnen werden kann, die von Menschen mit klarem Verstand niemals angestrebt werden würden. Was damit gemeint sein kann, das möchte ich nur an einem Beispiel aufzeigen, nämlich am Beispiel der kognitiven Kriegsführung. Es würde zu weit führen, diesen Prozess der Kriegsvorbereitung im Detail zu erklären. Die beiden folgenden Zitate aus Statements des Bundesverteidigungsministers Boris Pistorius (SPD) lassen aber zumindest erkennen, wie kognitive Kriegsführung (zu der auch die Kriegsvorbereitung und die Einstimmung auf die Notwendigkeit eines Krieges gehört), funktioniert:

FAZ.de vom 30.10.2023: Pistorius: „Wir müssen kriegstüchtig werden“. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius warnt vor der Gefahr eines Krieges in Europa. Angesichts dessen müsse die Bundeswehr im Eiltempo modernisiert werden. Die Zivilgesellschaft müsse umdenken [En13].

Ich erspare es mir, den Prozess der Kriegsvorbereitung in den folgenden sieben Monaten zu beschreiben.

FocusOnline.de vom 6.6.2024: Bundestag im Tickerprotokoll: Pistorius’ klare Ansage: „Wir müssen bis 2029 kriegsfähig sein“. Am Mittwoch, dem 5. Juni 2024 sagte der Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) anlässlich der Regierungsbefragung im Bundestag ganz klar und unmissverständlich, dass man keine Kriegspartei werde und die Ukraine weiterhin bedingungslos unterstützt.

Das Video, das auf der Website von FocusOnline zur Verfügung steht und über den folgenden Link aufgerufen werden kann, habe ich wortgetreu in Schrift umgewandelt.

Boris Pistorius: Jeder Euro zählt, meine Damen und Herren. Uns muss klar sein: Ein russischer Sieg käme uns alle teuerer am Ende, als unsere Unterstützung für die Ukraine heute (spärlicher Applaus).

Videostatement

Genug der einleitenden Worte: Mir geht es darum, aufzuzeigen, dass kognitive Kriegsführung tatsächlich funktioniert, denn bei dieser „Soft-Power-Waffe“ handelt es sich wohl um die modernste und fortschrittlichste Form der Kriegsführung. Der Fachterminus dafür lautet „Cognitive Warfare“.

Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass die Militärs und Regierungen verschiedener Länder heute intensiv an dieser neuen Art der Kriegsführung forschen und neben den USA vor allem China und Russland die treibenden Kräfte sind.

Wie dem auch immer sei: Dass auch die NATO die Kognitive Kriegsführung spätestens seit 2020 aktiv vorantreibt und damit die Kriegspropaganda und die damit verbundene Manipulation der Bevölkerung auf ein ganz neues Niveau anzuheben versucht, das lässt sich gut belegen.

Das zu verwirklichende Ziel der Kognitiven Kriegsführung lässt sich wie folgt beschreiben. Moderne und fortschrittlichste Manipulationstechniken kommen zum Einsatz, deren Ziel es ist, jeden einzelnen Menschen von der Notwendigkeit der Kriegsvorbereitung zu überzeugen. Dabei handelt es sich nicht nur um Propaganda, sondern um weitaus verfeinerte Methoden der Einflussnahme, die nicht nur auf die Gehirne von Individuen, sondern weit darüber hinausgehend, auch die öffentliche Meinung sozusagen auf Linie bringen sollen.

Die dafür neu geschaffenen Worte lauten:

Nudging und Framing

Anders ausgedrückt: Jahrzehntelange Forschung haben ihren Beitrag dazu geleistet, herauszufinden, wie Menschen manipuliert und gesteuert werden können und wie sowohl ihr „langsames Denken“, das sich im so genannten Neokortex ereignet, als auch ihr „schnelles Denken“ zu beeinflussen, das im ältesten Teil des menschlichen Gehirns, im so genannten Reptiliengehirn beheimatet ist.

Und warum das Ganze?

Ganz einfach: Es ist nicht immer leicht, die seit vielen Jahren immer weiter ansteigenden Rüstungsausgaben zu begründen. Das funktioniert nur, wenn in einer Gesellschaft so viel Angst vor einem bösen Feind vorhanden ist, der solch einen Aufwand zu rechtfertigen vermag.

Um das zu erreichen, kommt zuerst einmal Soft-Power zum Einsatz, um dann, wenn der Boden vorbereitet ist, viel Geld in Hard-Power investieren zu können, denn wenn die Gesellschaft erst einmal von der Notwendigkeit rapide wachsender Rüstungsausgaben überzeugt ist, weil nur so einer drohenden Gefahr erfolgversprechend begegnet werden kann, dann kann in Hard-Power investiert werden: in Panzer, Hubschrauber, Drohnen etc.

Wie dem auch immer sei.

Walter Lippmann: Wir müssen uns erinnern, dass das, was in Kriegszeiten von Seiten des Feindes von der Front berichtet wird, immer Propaganda ist, und was von uns von der Front berichtet wird, Wahrheit und Aufrichtigkeit ist, die Sache der Menschlichkeit und ein Kreuzzug für den Frieden.

Walter Lippmann

Zurzeit wird die Gesellschaft Schritt für Schritt daran gewöhnt, dass auch in Deutschland hergestellte Waffen dazu benutzt werden dürfen, Ziele hinter der Front, also in von Russen besetzten Bereichen der Ukraine, angreifen zu können [En14].

Und all das geschieht in einer Zeit, in der weltweit die mentale Leistungsfähigkeit, insbesondere die von jungen Menschen abnimmt, während die Depressionsraten dramatisch ansteigen. Jeder Vierzigste leidet mittlerweile an Alzheimer, und das bei rapide sinkendem Erkrankungsalter. Außerdem mehren sich die Hinweise, dass sich hinter den zahlreichen negativen Einflüssen, denen Menschen heute ausgesetzt sind, die Gleichgültigkeit zu, und die Denkfähigkeit abnimmt.

Unter diesen Voraussetzungen dürfte es keine Unmöglichkeit mehr sein, den Menschen ihre Fähigkeit zum selbstständigen Denken vollständig zu nehmen.

Das aber wäre das Ende von Freiheit, verursacht durch den Missbrauch von Freiheit. Das ist das aber Paradoxe an der Freiheit. Lässt man dieser „Freiheit“ weiterhin ihren Lauf, dann kann davon ausgegangen werden, dass die menschliche Vernunft dabei auf der Strecke bleiben wird.

Und wenn die Freiheit doch verloren gehen würde? Dann hilft nur noch der Glaube daran, dass ihr Tod kein Ender, sondern ein Wender ist.

Aber noch ist es nicht so weit, obwohl die Vorbereitungen schon längst im Gange sind.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am 5. Juni 2024 im Deutschen Bundestag: Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein. Wir müssen Abschreckung leisten, um zu verhindern, dass es zum Äußersten kommt. Drei Themen sind dabei zentral: Personal, Material und Finanzen. Im Ernstfall brauchen wir wehrhafte junge Frauen und Männer, die dieses Land verteidigen können. Wir müssen durchhaltefähig und aufwuchsfähig sein. Ich bin überzeugt: Wir brauchen eine neue Form des Wehrdienstes. Hierzu werde ich zeitnah einen Vorschlag machen, den ich mit Ihnen und den Menschen im Land diskutieren will. Ich kann aber bereits sagen, dass ein solcher Wehrdienst nicht völlig frei von Pflichten welcher Art sein kann. Darüber hinaus ist es unsere Verantwortung, der Truppe die bestmögliche Ausrüstung für ihre Aufgabe zur Verfügung zu stellen. Das Material das wir bislang aus unserem Einzelplan und dem Sondervermögen beschaffen, war der erste wichtige Schritt, um die Bundeswehr in den Stand zu bringen, den wir brauchen. Wir müssen in den Fähigkeitsaufbau und die Einsatzfähigkeit weiter investieren. 30 Jahre lang ist das nicht passiert. Wir brauchen Hauptwaffensysteme, Luftverteidigungssysteme, Munition und Einsatzunterstützung vom Kampfpanzer bis zur mobilen Feldküche. Wir müssen daher in den nächsten Jahren weiter erheblich in unsere Bundeswehr investieren. Nachhaltig, verlässlich und substanziell. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Video

Redebeitrag des Bundesverteidigungsministers

Die SPD von heute scheint ihren Altbundeskanzler Helmut Schmidt völlig vergessen zu haben, der folgende Position vertrat:

Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln als eine Minute schießen.“

Diesen Satz verwendete die SPD Oberhausen-Rheinhausen noch im Mai 2014 unter dem Motto: Gemeinsam. Zukunft. Gestalten. SPD - Soziale Politik für Dich.

An anderer Stelle heißt es: Die SPD hat eine lange Tradition als Friedenspartei. Unsere Friedenspolitik hat immer auf Frieden durch Verständigung und Zusammenarbeit gesetzt. Wir wollen keine neue Spaltung Europas. Wir wollen keine neue Konfrontation. Wir wollen den Frieden sichern.

Zurück zu Helmut Schmidt. Seine Botschaft hat, auch nach der hier vertretenen Überzeugung, der Maßstab eines Politikers zu sein, der sein Land vor dem Grauen des Krieges bewahren will. Zum Verhandeln braucht es keine Munition, sondern dazu braucht es Verstand!

Übrigens: Durch Bomben lässt sich kein Frieden schaffen. Wer glaubt, dass gut 80 Jahre Nachkriegsfrieden auf der Grundlage eines Friedensvertrages hat wachsen können, der irrt. Einen Friedensvertrag hat es nach der bedingungslosen Kapitulation, die am 5. Mai 1945 in Reims von den Oberbefehlshabern der Wehrmacht im Auftrag der Staatsregierung in Reims unterschrieben wurden, nicht gegeben.

Kapitulationsurkunde im Original:

Dass es zu keinem Friedensvertrag kam, lag auch nicht nur daran, dass es in der Nachkriegszeit zunächst keine deutsche Regierung mehr gab, die einen solchen Vertrag hätte unterschreiben können, sondern auch an den Folgen eines Friedensvertrages, der ohne die Höhe der in einem solchen Vertrag festzulegenden Reparationsleistungen gar nicht denkbar gewesen wäre. Die zu leistenden Reparationsleistungen wären aber so gigantisch gewesen, dass sich Deutschland davon bis heute wohl kaum erholt haben dürfte.

09 Schlusssätze

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Freiheit ohne Verantwortung, das ist nichts anderes als Selbstbetrug. Das gilt auch für die Aufgabe von Freiheit, um noch mehr Sicherheit gewinnen zu können.

Schon Benjamin Franklin (1706 bis 1790), einer der Gründungsväter der Vereinigten Staaten von Amerika, warnte davor, die Freiheit aufzugeben, um Sicherheit gewinnen zu können, da man am Ende beides verlieren werde.

Dem ist genauso zuzustimmen, wie einem Zitat von Edmund Burke (1729 bis 1797), dem wohl einflussreichsten britischen Staatsphilosophen zur Zeit der Aufklärung, das folgenden Wortlaut hat:

Edmund Burke: Ein Volk gibt niemals seine Freiheit auf, außer in irgendeiner Verblendung.

Edmund Burke

10 Quellen

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Endnote_01
Die Biophysik ist eine interdisziplinäre Wissenschaft, die darum bemüht ist, die Gesetze und Methoden der Physik in biologischen Systemen und Prozessen zu untersuchen und zu beschreiben.
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Endnote_02
Ulrich Gausmann. The great Weset. Wirtschaft und Finanzen neu gedacht. Assel-Verlag München 2023, Seite 41
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Endnote_03
Josef Pieper. Schriften zur philosophischen Anthropologie und Ethik. Das Menschenbild der Tugendlehre. Traktat über die Klugheit. Meiner Verlag 2. Auflage 2006
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Endnote_04
Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier beim 27. Wissenschaftlichen Kongress der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft am 26. September 2018 in Frankfurt am Main. https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/
Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2018/09/
180926-DPVW-Kongress-Frankfurt.html
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Endnote_05
FAZ.de vom 26.4.2024: Steinmeier spricht sich gegen Volksabstimmungen auf Bundesebene aus.
https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/steinmeier-
gegen-volksabstimmungen-auf-bundesebene-15561953.html
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Endnote_06
Zitiert nach: Larken Rose. Der Nutzmensch. Selbstverlag 2021, Seite 19
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Endnote_07
Ebd. Larken Rose, Seite 90
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Endnote_08
Paul Schreyer. Die Angst der Eliten. Wer fürchtet die Demokratie? Westend-Verlag 5. Auflage 2021, Seite 65
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Endnote_09
Otmar Jung. Direkte Demokratie in der Weimarer Republik. Campus Verlag 1989, Seite 61 – Quelle: Zulassungsverordnung zum Volksentscheid
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Endnote_10
Ebd. Paul Schreier, Seite 66
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Endnote_11
Deutscher Bauernverband. Pressemitteilung. Aktionswoche in ganz Deutschland.
https://www.bauernverband.de/presse-medien/pressemitteilungen/
pressemitteilung/landwirtschaft-und-transportgewerbe-
demonstrieren-gemeinsam-ab-8-januar
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Endnote_12
Horkheimer/Adorno. Dialektik der Aufklärung
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Endnote_13
FAZ.de vom 30. 10.2023: Pistorius: „Wir müssen kriegstüchtig werden“.
https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/zivilgesellschaft-
muss-laut-pistorius-umdenken-wir-muessen-
kriegstuechtig-werden-19277739.html
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Endnote_14
Vgl. Jonas Tögel: Kognitive Kriegsführung: Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO, Westend-Verlag 2023, Einleitung
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