Der freie Mensch und seine
Regierung
Inhaltsverzeichnis:
01.0 Der freie Mensch
und seine Regierung 02.0 Was unter Regierung zu verstehen
ist? 02.1 Die Herrschaft des Gesetzes 02.2
Situation zur
Zeit der Französischen Revolution 02.3 Englands „Checks and
Balances“ 02.4 Das Zeitalter der Massen 02.5
Die Zeit nach
dem Ersten Weltkrieg
02.6 Die
Präsidialisierung
der Demokratien 02.7
Das Führerprinzip des
Nationalsozialismus 02.8 Das Parlament und die Regierung des
Grundgesetzes 03.0 Ansehensverlust der Regierung von heute
04.0 Das Demokratieförderungsgesetz der Bundesregierung 05.0
Die Bundesregierung und „deren“ Demokratieverständnis 06.0
Moral als Politikersatz 07.0
Hassrede in den sozialen Medien
08.0 Der freie Mensch muss Fragen stellen ....
09.0 Wer nicht fragt, muss
glauben
10.0 Die Demokratie ist
missbrauchsanfällig
11.0 75 Jahre Grundgesetz 11.1
Packen Sie jetzt das
Grundgesetz weg
11.2 Feierlicher geht es
nicht 11.3 Standpunkt von Andreas Voßkuhle
11.4 Wer ist ein Verfassungspatriot? 11.5
Wer ist ein
Verfassungsfeind? 11.6 Armin Laschet zum Sylter
Skandalvideo 11.7
Schlusssätze
01.0 Der freie Mensch
und seine Regierung
TOP
Kaum eine Sprachfigur
ist vieldeutiger als die des freien Menschen. Dass es sich dabei
sogar bedauerlicherweise um eine Illusion handelt, deren Zweck
darin besteht, dem Freiheitsbegriff einen der jeweiligen Zeit
entsprechenden Bedeutungsinhalt zu geben, liegt in der Natur der
Sache, denn Veränderung ist sozusagen der Normalzustand dieser
Welt. Dazu gehören auch die Vorstellungen von Freiheit.
Dennoch: Menschsein
bedeutet, frei zu sein, frei denken und auch frei sprechen und
auch frei handeln zu können, soweit dadurch die Rechte anderer
nicht verletzt werden.
Wie dem auch immer sei:
Thomas Hobbes (1588 bis 1679) äußert sich zum Freiheitsbegriff
in seinem Buch „Leviathan“ wie folgt:
Thomas Hobbes:
Was
bedeutet es, frei zu sein? Nach dieser eigentlichen und
allgemein anerkannten Bedeutung des Wortes [gemeint ist eine
Freiheit, die keinen Widerständen ausgesetzt ist] ist ein freier
Mensch, wer nicht daran gehindert wird, Dinge nach seinem Willen
zu tun, zu denen er aufgrund seiner Kraft und seines Verstandes
fähig ist [En01].
An
anderer Stelle heißt es, „dass von Natur aus ein jeder das Recht
auf alles hat“, was aber bedeuten würde, dass der Mensch des
Menschen größter Feind wäre. Um das zu verhindern, heißt es bei
Hobbes:
Thomas Hobbes:
Es entspricht den Regeln der Vernunft, dass jedermann nach
Frieden streben sollte, soweit er Hoffnung hat, ihn zu erlangen,
und dass er, wenn er ihn nicht erlangen kann, alle Hilfen und
Vorteile des Krieges suchen und von ihnen Gebrauch machen darf.
Der erste Teil dieser Regel enthält das erste und grundlegende
Naturgesetz, nämlich Frieden zu suchen und zu halten. [...]. Von
diesem grundlegenden Naturgesetz, das dem Menschen befiehlt,
nach Frieden zu streben, wird das zweite Gesetz abgeleitet, das
ein Mensch bereit sein soll, wenn andere es auch sind, soweit er
es im Interesse des Friedens und seiner Verteidigung für
notwendig hält, diesem Recht auf alle Dinge zu entsagen und mit
so viel Freiheit gegen andere zufrieden zu sein, wie er anderen
gegen sich selbst zustehen würde
[En02].
Dafür
bedarf es, so kann es bei Thomas Hobbes nachgelesen werden,
eines Souveräns, dessen Aufgabe es ist, geltendes Recht erhalten
und auch durchsetzen zu können.
Thomas Hobbes:
Der Souverän entscheidet über alles, was für Frieden und
Verteidigung seiner Untertanen nötig ist, und entscheidet
darüber, welche Lehren sich für ihre Unterweisung eignen. [...].
Ihm steht auch das Recht auf richterliche Gewalt und auf die
Entscheidung von Streitfragen zu. [...]. Und das Recht, Krieg zu
führen und Frieden zu schließen, wie es ihm am besten dünkt.
[...]. Und das Recht, alle Räte und Minister für Krieg sowie
Frieden auszuwählen. [...]. Und das Recht der Verleihung von
Ehre und Rang. [...]. Diese Rechte sind unteilbar und können
durch keine Übertragung ohne ausdrücklichen Verzicht auf die
Souveränität aufgegeben werden [En03].
Gut 300
Jahre nach der Veröffentlichung des Leviathans heißt es in dem
Buch von Hans Kelsen (1881 bis 1973), einem der bedeutendsten
Rechtswissenschaftler des 20. Jahrhunderts, in der „Reine
Rechtslehre“ unter der Überschrift „Das Freiheitsminimum“ wie
folgt:
Hans Kelsen:
Die Freiheit, die dem Menschen von der Rechtsordnung einfach
dadurch negativ gelassen wird, dass die Rechtsordnung dem
Menschen nicht ein bestimmtes Verhalten verbietet, muss von der
Freiheit unterschieden werden, die die Rechtsordnung dem
Menschen positiv garantiert. Die Freiheit eines Menschen, die
darin gesteht, dass ihm ein bestimmtes Verhalten erlaubt, weil
nicht verboten ist, ist nur insoweit durch die Rechtsordnung
garantiert, als diese den anderen Menschen gebietet, diese
Freiheit zu respektieren, ihnen verbietet in diese
Freiheitssphäre einzugreifen, das heißt, ein Verhalten
verbietet, durch das jemand an dem ihm nicht verbotenen, und in
diesem Sinne erlaubten, Verhalten verhindert wird [En04].
Dass es
zur Wahrung und Durchsetzung dieser und auch anderer Rechte
eines Staates, einer Verfassung, einer Rechtsordnung, einer
Regierung, einer Verwaltung und natürlich auch einer
Rechtsprechung bedarf, wird von Hans Kelsen explizit erörtert.
Hans Kelsen:
Neben
Gesetzgebung und Rechtsprechung wird Verwaltung als eine der
drei Funktionen bezeichnet, die in der traditionellen Theorie
als die wesentlichen Staatsfunktionen angesehen werden.
Gesetzgebung und Rechtsprechung sind Rechtsfunktionen im engeren
Sinne, das
heißt
Funktionen, durch die die Normen der staatlichen Rechtsordnung
erzeugt und angewendet werden. [...]. Die diese Funktionen
leistenden Individuen sind Rechtsorgane. Dass sie als solche
Staatsorgane sind, das
heißt
also, dass ihre Funktion dem „Staate“, das ist der durch die
staatliche Rechtsordnung konstituierten Rechtsgemeinschaft
zugeschrieben werden, bedeutet, dass sie auf die Einheit der
dieser Gemeinschaft konstituierenden Zwangsordnung bezogen
werden. Diese Zwangsordnung ist eine „staatliche“ Rechtsordnung.
[...]. Die als Staatsverwaltung bezeichnete Tätigkeit ist zu
einem großen Teil von der gleichen Art wie Gesetzgebung und
Rechtsprechung, nämlich Rechtsfunktion im engeren Sinne von
Erzeugung und Anwendung von Rechtsnormen. Die Funktion des
obersten Verwaltungsorgans, der Regierung, besteht in der ihr
von Verfassung übertragenen Beteiligung an der Gesetzgebung, in
der Ausübung der ihr von Verfassung erteilten Ermächtigung,
Staatsverträge abzuschließen, in der verfassungsmäßigen
Erlassung von Verordnungen und von Verwaltungsbefehlen an die
ihr unterstellten Verwaltungsorgane und Untertanen- das heißt:
in der Erzeugung und Anwendung genereller und individueller
Normen [En05].
02.0
Was unter Regierung zu verstehen ist?
TOP
Die
Regierung, auch Gubernative genannt, ist die Spitze der
Exekutive. Anders ausgedrückt: Die Exekutive setzt sich in
Deutschland aus der Regierung (der sogenannten Gubernative) und
der öffentlichen Verwaltung (der
sogenannten Administrative)
zusammen.
Auf
Bundesebene gehören zur Exekutive die Bundesregierung sowie
sämtliche Verwaltungsbehörden des Bundes (Bundesbehörden),
einschließlich der Ministerien, denn bei diesen
Verwaltungseinheiten handelt es sich um oberste Bundesbehörden.
Da die
Mitglieder der Bundesregierung in Deutschland in der Regel auch
Abgeordnete des Bundestages sind, besteht eine
Gewaltenverschränkung zwischen Exekutive und Legislative.
Außerdem wird der Bundeskanzler durch den Bundestag gewählt und
kann, wenn dafür eine Mehrheit vorhanden ist, im Wege des
konstruktiven Misstrauensvotums vom Bundestag abberufen werden.
Auf
Landesebene setzt sich die Exekutive aus der jeweiligen
Landesregierung und der Landesverwaltung zusammen. Auch hier
besteht eine Gewaltenverschränkung zwischen Exekutive und
Legislative, denn auch die Regierungsmitglieder in den Ländern
sind zugleich auch Abgeordnete in den jeweiligen
Landesparlamenten.
Diese
kurze Übersicht über den Aufbau der Gubernative im Bund und in
den Ländern dürfte aber wohl kaum ausreichen, die Sprachfigur
„Regierung“ hinreichend mit Leben zu füllen, denn die
Vorstellungen, was unter einer „Regierung“ in einer Demokratie
zu verstehen ist, haben sich im Laufe der Zeit mehrfach
verändert. Aus diesem Grunde ist es erforderlich, zumindest grob
aufzuzeigen, wie sich diese Sprachfigur von ihren Anfängen bis
heute entwickelt hat.
02.1
Die Herrschaft des Gesetzes
TOP
Das
demokratische Ideal besteht in der Vorstellung der „Herrschaft
des Gesetzes“. Die Folge davon war, dass im 18. Jahrhundert die
Vorstellung „Es lebe das Gesetz“ sozusagen den Markenkern einer
Demokratie gehörte.
Das
bedeutete, dass die eigentliche Macht in einer Demokratie sich
in den Händen des Parlaments, der Legislative, der
gesetzgebenden Gewalt befindet.
02.2
Situation zur Zeit der Französischen Revolution
Die
Parole „Es lebe das Gesetz“ bestimmte das Demokratieverständnis
zur Zeit der Französischen Revolution.
Pierre Rosanvallon:
Dieses Gesetzesverständnis hatte eine totalisierende Dimension.
Es war nicht zu trennen von der Utopie der Macht, die in der
Lage wäre, die Gesellschaft vollständig zu erfassen und im
Einzelnen zu bewegen [En06].
Um
dieses Ziel verwirklichen zu können, war es erforderlich, die
Exekutive abzuqualifizieren und zu marginalisieren, indem sich
deren Aufgabe ausschließlich darauf beschränken sollte, die
Gesetze auszuführen.
Pierre Rosanvallon:
Sollte die Herrschaft des Gesetzes gleichbedeutend mit der
Souveränität des Volkes sein, musste die Exekutive also in
starkem Maße kanalisiert und eingedämmt, im Idealfall auf ein
Minimum beschränkt werden [En07].
Anders ausgedrückt:
Die Demokratievorstellungen zur Zeit der Französischen
Revolution gingen von der Annahme einer führerlosen –
unpersönlichen Exekutive - aus, deren Aufgabe darin bestand, den
Gesetzen Geltung zu verschaffen.
02.3 Englands „Checks
and
Balances“
TOP
Andere
Vorstellungen über die Verteilung der Macht im Staat entstanden
in England. Dort wurde nicht nur der Parlamentarismus auf
europäischem Boden erfunden. Dort entstand auch die liberale
Auffassung einer Exekutivgewalt, die sich zur Legislative in
einem Verhältnis der „Checks and Balances“, also der
gegenseitigen Kontrolle befinden sollte. Diese Sichtweise führte
dazu, dass eine damit verbundene Stärkung der Exekutive keinen
absolutistischen oder herrschaftlichen Charakter einnehmen
konnte. In der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika
wurde dieses Prinzip umgesetzt.
02.4
Das Zeitalter der Massen
TOP
Die oben
skizzierte ursprüngliche Vorstellung der Verteilung von Macht
änderte sich mit dem Aufkommen der „Angst vor den Massen“, deren
Macht sich durch die Einführung des Wahlrechts damals nicht mehr
leugnen ließ, weil die Eliten davon ausgingen, dass es sich bei
den vielen Wählern um ungebildete Menschen handelte, die unfähig
dazu waren, rationale Entscheidungen treffen zu können und somit
nicht dazu in der Lage waren, sich an einer sachkundigen Debatte
über die Definition des Gemeinwohls beteiligen zu können
[En08].
Für den
damals sehr einflussreichen französischen Soziologen,
Anthropologen und Psychologen Gustave
Le
Bon (1841 - 1931) stand fest, dass der Parlamentarismus
sozusagen der Vergangenheit angehörte.
Gustave
Le
Bon:
Die großen Fragen, die in den Parlamenten zu lösen sind, können
nur mit einer Mehrheit gelöst werden, die sich eng um einen
Staatsmann schart, der in der Lage ist, sie zu führen, nicht mit
Zufallsmehrheiten, die sich in derselben Woche auflösen, in der
sie sich gebildet haben [En09].
02.5
Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg
TOP
Mit dem
Ersten Weltkrieg endete das demokratische Ideal, Demokratie
ausschließlich als eine Perfektionierung der Legislative zu
betrachten.
Pierre Rosanvallon:
Die Zeit war gekommen, den Abstand zwischen den beiden Begriffen
zu verringern, die man gern als Gegensätze behandelte: Autorität
auf der einen, Demokratie auf der anderen Seite. Der
Kommandogedanke, der sich in der Kriegsführung aufgedrängt
hatte, wurde nicht mehr als von vornherein unvereinbar mit der
Anerkennung der Volkssouveränität betrachtet; er wurde nicht
mehr mit der strukturell entwürdigenden Sicht der Unterwerfung
unter einen fremden Befehl gleichgesetzt [...]. Zugleich begann
sich zu dieser Zeit in der Vorstellung vieler Leute die Figur
des Führers als positive und für die moderne Welt notwendige
Entscheidung durchzusetzen. [...]. In Deutschland sprach man vom
Führerprinzip [En10].
Wie dem auch immer sei:
Das modern gewordene Wort „Technisierung“ trug ebenfalls dazu
bei, ein Regierungssystem zu kreieren, das von Experten
organisiert und kontrolliert werden musste, denn dazu waren die
gewählten Abgeordneten wohl kaum in der Lage, denn ihnen fehlte
das dafür erforderliche Expertenwissen.
02.6 Die
Präsidialisierung
der Demokratien
TOP
Zurzeit
gibt es weltweit über 60 präsidiale Regierungssysteme und über
110 semipräsidentielle und gut 90 parlamentarische
Regierungssysteme. Während in präsidialen Regierungssystemen dem
Präsidenten die höchste Entscheidungsmacht zukommt, handelt es
sich bei den semipräsidentiellen Regierungssystemen um eine
Mischung aus dem präsidentiellen und dem parlamentarischen
System, auch als duale Exekutive bezeichnet.
Bei den
parlamentarischen Demokratien handelt es sich um
Regierungsformen, bei der nicht die Bürger über die Politik
entscheiden, sondern das von ihnen gewählte Parlament. Das
Parlament ist dafür verantwortlich, im Namen des Volkes Gesetze
zu erstellen, politische Entscheidungen zu treffen und die
Regierung zu überwachen.
In
präsidialen Regierungssystemen wird der Präsident in der Regel
vom Volk, oder, wie das in den USA der Fall ist, von Wahlmännern
in sein Amt gewählt.
Anders ausgedrückt:
Die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger der USA wählen ihren
Präsidenten nicht direkt. Gewählt werden vom Volk vielmehr die
Wahlmänner, die wiederum über das Staatsoberhaupt und seinen
Vize entscheiden.
Wie dem auch immer sei:
Bei der ersten deutschen Demokratie, der
Weimarer
Republik,
handelte es sich um eine Präsidialdemokratie, denn der
Reichspräsident wurde direkt vom Volk gewählt. Max Weber, der
einen maßgeblichen Einfluss auf den Text der Weimarer
Reichsverfassung hatte, verwies in diesem Sachzusammenhang auf
die von ihm entwickelte Theorie der
plebiszitären Demokratie,
wofür er im Deutschen den Begriff
plebiszitäre Führerdemokratie
geprägt hatte.
Max Weber:
Die
Bedeutung der aktiven Massendemokratisierung ist: dass der
politische Führer nicht mehr auf Grund der Anerkennung seiner
Bewährung im Kreise einer Honoratiorenschicht zum Kandidaten
proklamiert, sondern dass er das Vertrauen und den Glauben der
Massen an sich und also seine Macht mit massendemagogischen
Mitteln gewinnt. Dem Wesen der Sache nach bedeutet dies eine
cäsaristische
Wendung der Führerauslese. Und in der Tat neigt jede Demokratie
dazu. Das spezifisch
cäsaristische
Mittel ist ja: das Plebiszit [En11].
Dass die
Weimarer Republik aus verfassungsrechtlicher Sicht betrachtet,
an dem Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten scheiterte,
dürfte hinreichend bekannt sein, siehe Artikel 48 der Weimarer
Reichsverfassung vom 11. August 1919 (WRV).
Artikel 48 WRV
Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung oder den
Reichsgesetzen obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann der
Reichspräsident es dazu mit Hilfe der bewaffneten Macht
anhalten.
Der
Reichspräsident kann wenn im Deutschen Reiche die öffentliche
Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird,
die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe
der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er
vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124
und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft
setzen.
Von
allen gemäß Abs. 1 oder Abs. dieses Artikels getroffenen
Maßnahmen hat der Reichspräsident unverzüglich dem Reichstag
Kenntnis zu geben. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des
Reichstags außer Kraft zu setzen.
Bei
Gefahr im Verzuge kann die Landesregierung für ihr Gebiet
einstweilige Maßnahmen der in Abs. 2 bezeichneten Art treffen.
Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichspräsidenten oder des
Reichstags außer Kraft zu setzen.
Das
Nähere bestimmt ein Reichsgesetz.
02.7
Das Führerprinzip des Nationalsozialismus
TOP
Die
Machtfülle des Reichspräsidenten wurde in der Nazizeit durch das
Führerprinzip ersetzt.
Führerprinzip:
Das „Führerprinzip“ galt als das Grundgesetz der
nationalsozialistischen Weltanschauung. Es verpflichtete nach
dem Motto „Führer befiehl, wir folgen“ zu blindem Gehorsam und
bedingungsloser Treue gegenüber Hitler als dem obersten „Führer“
und die jeweilige Gefolgschaft zu Gehorsam gegenüber den
Befehlen der Führer auf mittlerer und unterer Ebene [En12].
Carl
Schmitt (1888 bis 1985), der führende Chefjurist im Dritten
Reich, verherrlichte die Exekutive geradezu und erweiterte deren
Vorstellungsbild auf eine Art und Weise, die er als „Theorie der
souveränen Diktatur“ bezeichnete. In seinem Essay „Politische
Theologie“ beschrieb er die Notwendigkeit, den Zweck der
Diktatur darin zu sehen, eine neue Ordnung zu schaffen. Die von
ihm eingeforderte Diktatur unterschied sich wesentlich von der
im römischen Cäsarenreich, die dem Cäsaren nur in Ausnahmefällen
und auch nur zeitlich begrenzt das Recht einräumte, allein
Entscheidungen zu treffen. Bei der von Carl Schmitt gewollten
Diktatur handelte es sich um einen Dauerzustand und nicht um
eine vorübergehende Machtübertragung.
Pierre Rosanvallon:
Im Zusammenspiel und Einvernehmen mit der (diktatorischen)
Exekutive erfuhr das Volk seine wirkliche Souveränität und die
Erfüllung seines Willens als Abkehr von einem
Repräsentativsystem, das die parlamentarische Gesetzesproduktion
als Ausdruck des Allgemeinwillens begriff. Die Glorifizierung
der Exekutive machte die kompromisslose Ablehnung der liberalen
Demokratie somit unumgänglich [En13].
Anders ausgedrückt:
Führer
befehle, wir folgen.
Konsequenterweise wurde, dieser Sichtweise folgend, durch den
Beschluss des
Großdeutschen
Reichstags vom 26. April 1942 der Reichstag aufgelöst.
Wikipedia:
Der Beschluss des
Großdeutschen
Reichstags vom 26. April 1942 war der letzte vom Reichstag
während der Zeit des Nationalsozialismus getroffene Beschluss.
Im Kern ging es um die Vollendung der Gleichschaltung des
Verwaltungsapparats. Darüber hinaus bedeutete er die endgültige
und uneingeschränkte Durchsetzung des Führerprinzips.
02.8
Das Parlament und die Regierung des Grundgesetzes
TOP
Der
Deutsche Bundestag ist das höchste Verfassungsorgan der
Bundesrepublik Deutschland und das einzige Staatsorgan, das
direkt vom Volk gewählt wird.
Daraus
leitet sich sowohl das Recht als auch die Pflicht ab, die
Herrschaft zu bestellen und nach eigenem Entschluss sie auch
jederzeit abberufen zu können.
Gemeint
ist die Wahl des Bundeskanzlers, der gemäß Artikel 63 Abs. 1 GG
vom Bundestag auf Vorschlag des Bundespräsidenten ohne
Aussprache gewählt wird.
Die
Bundesminister, die zusammen mit dem Bundeskanzler die
Bundesregierung bilden, werden auf Vorschlag des Bundeskanzlers
vom Bundespräsidenten sowohl ernannt als auch entlassen, siehe
Art. 64 GG.
Der
Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt
dafür auch die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien
leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig
und unter eigener Verantwortung, siehe Art. 65 GG.
Soweit,
so gut. Aufgabe des Bundestages ist es natürlich auch, die
Bundesregierung und die von ihr geleitete Exekutive zu
kontrollieren. Dabei muss sich das Kontrollrecht auf alle
politischen Gebiete und auf alle der Weisung der Regierung
unterliegenden Verwaltungsgebiete erstrecken.
Da der
Bundestag als einziges Staatsorgan aus unmittelbaren Wahlen
hervorgeht und insoweit den Souverän, das Volk, vertritt, sollte
davon ausgegangen werden können, dass hier – auch unter
Beachtung seiner Unabhängigkeit und seines Vorranges als
politisches Führungsgremium – die wichtigsten Entscheidungen im
Deutschen Bundestag getroffen werden. Diesbezüglich sind jedoch
Zweifel angebracht.
Zumindest wurde die Entscheidung, die 2015 von der damaligen
Bundeskanzlerin Angela Merkel getroffen wurde und die darin
bestand, die Grenzen für Hunderttausende von Flüchtlingen zu
öffnen, vom Parlament nicht getroffen. Aus diesem Grunde
zweifelt auch der ehemalige Bundesverfassungsrichters Udo di
Fabio, der ein entsprechendes Rechtsgutachten erstellt hat, an
der Rechtmäßigkeit der Grenzöffnung.
Sogar die
Hausjuristen des Deutschen Bundestages kamen zu dem Ergebnis,
dass es nach wie vor „unklar“ ist, ob die Ausnahmetatbestände
des Asylgesetzes § 18 Absatz 4 Nr. 2
AsylG
„als Grundlage für die Einreisegestattungen ab Ende
August/Anfang September 2015 herangezogen werden konnten“. Die
Juristen kommen vielmehr zu der bemerkenswerten Ansicht, dass
die Rechtsgrundlage, nach der die Bundesregierung weitreichende
Entscheidungen getroffen hat, nicht erkennbar ist.
Einreiseverweigerung und Einreisegestattung nach § 18 Asylgesetz
Dieser
kurze Hinweis auf politische Entscheidungen von großer Tragweite
sollten nach der hier vertretenen Auffassung immer einem
Parlamentsvorbehalt unterliegen. Die politische Realität zeigt
aber, wo die Macht im Staat liegt, wenn es darum geht, in
Ausnahmesituationen sofort Entscheidungen treffen zu
wollen/müssen. In solchen Situationen ist, um mit den Worten von
Carl Schmitt fortzufahren:
Souverän
ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet [En14].
Mit
diesem Satz eröffnet Carl Schmitt seine politische Theologie,
die erstmalig 1922 publiziert wurde.
An
anderer Stelle heißt es, den Ausnahmezustand betreffend:
Carl Schmitt:
Alles Recht ist Situationsrecht. Der Souverän schafft und
garantiert die Situation als Ganzes in ihrer Totalität. Er hat
das Monopol dieser letzten Entscheidung. Darin liegt das Wesen
der staatlichen Souveränität, die also richtigerweise nicht als
Zwangs- oder Herrschaftsmonopol, sondern als
Entscheidungsmonopol juristisch zu definieren ist, wobei das
Wort Entscheidung in dem noch weiter zu entwickelnden
allgemeinen Sinne gebraucht wird. Der Ausnahmefall offenbart das
Wesen der staatlichen Autorität am klarsten. Hier
sondert
sich die Entscheidung von der Rechtsnorm, und (um es paradox zu
formulieren) die Autorität beweist, dass sie, um Recht zu
schaffen, nicht Recht haben braucht [En15].
Daran
hat sich bis heute nichts geändert, siehe zum Beispiel die
bereits oben kurz angesprochene Grenzöffnung für Hunderttausende
von Flüchtlingen durch die damalige Bundeskanzlerin Angela
Merkel im Jahr 2015.
Wie dem auch immer sei:
Die Rolle der Regierung, insbesondere die des Bundeskanzlers und
der von ihm geleiteten Bundesregierung verstand sich schon in
den Gründungsjahren der Republik, genauer gesagt zur
Adenauerzeit, als eine Demokratie, die von Konrad Adenauer
einmal, wenn auch nur im Scherz, wie folgt beschrieben wurde:
„Ich bin diktatorisch, nur mit stark demokratischem Einschlag.“
Was
einst Konrad Adenauer aussprach, das trifft auch auf andere
Bundesregierungen zu, denn nicht umsonst hat das
Bundesverfassungsgericht von der Bundesregierung mehrfach eine
stärkere Beteiligung des Parlaments, des Deutschen Bundestages,
eingefordert.
03.0
Ansehensverlust der Regierung von heute
TOP
Was das
Ansehen und insbesondere was das Vertrauen in die
Bundesregierung anbelangt, ist es zurzeit nicht gut bestellt.
Statista.de
vom 5.1.2024:
Den Ergebnissen einer Umfrage in Deutschland zum allgemeinen
Vertrauen in die Regierung zufolge, gaben im Herbst 2023 rund 52
Prozent der Befragten in Deutschland an, der Regierung eher
nicht zu vertrauen [En16].
Der
Ansehens- und Vertrauensverlust in Bezug auf den Bundestag, auf
die Bundesregierung und auch im Hinblick auf den Bundeskanzler,
können einer Forsa-Statistik entnommen werden, die über den
folgenden Link aufgerufen werden kann. Das Ergebnis ist mehr als
besorgniserregend.
Forsa: Bundestag, Regierung, Kanzler
Wie mit
solch einem Ansehen in der Bevölkerung die Demokratie dauerhaft
vor ihrem Verfall bewahrt werden soll, daran zu glauben fällt
schwer, obwohl Politiker nicht müde werden, sozusagen
gebetsmühlenhaft dazu aufzufordern, das „wir“ unsere Demokratie
verteidigen und schützen müssen. Dazu gleich mehr.
Zuerst
einmal einige Ausführungen zum Selbstverständnis von
Regierungen, denen es von Natur aus ein Anliegen ist, möglichst
frei entscheiden zu können.
Anders ausgedrückt:
Es entsteht zumindest der Eindruck, dass die jeweils amtierende
Bundesregierung das Parlament eher als eine Bremse im Hinblick
auf die von ihr geplanten Veränderungen wahrnimmt und somit die
Abgeordneten im Deutschen Bundestag nur dann in Entscheidungen
eingebunden werden, wenn das die Verfassung einfordert.
Ansonsten weiß die Bundesregierung, dass ein Zuviel an
Transparent der Demokratie eher schadet als nutzt, denn der 20.
Deutschen Bundestag besteht, Stand 2024, aus 734 Abgeordneten,
die nicht nur gern in Fernsehkameras sprechen, sondern auch
simultan über das Internet ihre Nachrichten verbreiten, und
somit nichts geheim halten, was die Bundesregierung gern unter
sich aushandeln möchte.
Wie dem auch immer sei:
1956 noch
konnte sich Bundeskanzler Konrad Adenauer vor dem
Bundesparteitag der CDU am 20.09.1956 über den Perfektionismus
des Deutschen Bundestages beklagen.
Konrad Adenauer:
Der Perfektionismus unserer Parlamente ist allmählich untragbar
geworden. Wenn zum Beispiel ein Gesetz vom Bundesrat an den
Bundestag geht, und das Gesetz - ich weiß nicht, wie es heißt -
hatte schon 250 Paragraphen - für meinen Geschmack waren hundert
Paragraphen zu viel -, und es kommt dann aus dem Bundestag
heraus mit 500 Paragraphen, dann kommt allmählich ein
Perfektionismus in die Gesetzgebung, der die ganzen Dinge so
schwierig und kompliziert macht, dass es einfach nicht mehr zu
ertragen ist. Das Gleiche gilt auch von den Steuergesetzen
[En17].
Heute
hat sich das Blatt dahingehend geändert, dass die meisten
Gesetzesvorlagen aus dem Kreis der Bundesregierung kommen und
der Perfektionierungsanspruch an den Wortlaut der Gesetze
zwischenzeitlich eine Wortgewaltigkeit angenommen hat, die nur
noch als monströs bezeichnet werden kann und von der anzunehmen
ist, dass die Abgeordneten im Deutschen Bundestag, die über
solche Gesetze zu entscheiden haben, selbst nicht mehr wissen,
was sie da wirklich verabschieden.
Als
Beispiel für nur eine von vielen anderen Monsterregelungen sei
nur der § 174
TKG
(Manuelles Auskunftsverfahren) genannt, der regelt, unter
welchen Voraussetzungen die Polizei beim jeweiligen
Telekommunikationsanbieter Bestandsdaten von Kunden anfordern
kann und darf.
Diese
Befugnis umfasst immerhin 3.150 Wörter, die zu lesen nicht nur
äußerste Sorgfalt, sondern auch Selbstüberwindung erfordert, um
dem Gedankengang des Gesetzgebers überhaupt folgen zu (können)
wollen.
Aber
entscheiden Sie selbst:
§ 174
TKG
(Manuelles Auskunftsverfahren)
Und nun zu den Zahlen:
In der 20. Wahlperiode verabschiedete der Deutsche Bundestag
insgesamt 255 Gesetzesinitiativen. Die Mehrzahl der
verabschiedeten Gesetze beruhte auf Regierungsvorlagen.
Beim Bundestag eingebracht
418
Regierungsvorlagen 225 Initiativen des Bundesrates 35 Initiativen des Bundestages 158
Vom Bundestag verabschiedet
255
Regierungsvorlagen 188 Initiativen des Bundesrates 2 Initiativen
des Bundestages 62 [En18]
In
diesem Sachzusammenhang gesehen noch einmal ein Statement von
Altbundeskanzler Konrad Adenauer, dieses Mal aus dem Jahr 1962:
Konrad Adenauer:
Ich darf hier nochmals sehr nachdrücklich feststellen, dass
keine Regierung etwas leisten kann, wenn nicht das Parlament das
Siegel auf die Arbeit der Regierung drückt. Die Regierung ist
vom Parlament abhängig. Ihre Erfolge sind abhängig vom
Parlament, und da wir doch alle für das deutsche Volk in seiner
Gesamtheit arbeiten wollen, richte ich an das gesamte Parlament
die dringende Bitte, die Arbeit der Regierung, sei es
kritisierend, sei es fördernd, zu unterstützen, aber auf alle
Fälle zügig zu unterstützen [En19].
04.0
Das Demokratieförderungsgesetz der Bundesregierung
TOP
Eine
Demokratie, die von Regierungspolitikern gebetsmühlenhaft
öffentlich kundgetan, vor sich selbst geschützt werden muss,
also vor den Bürgerinnen und Bürgern, befindet sich auf dem
besten Weg, den Pfad der Demokratie zu verlassen, um zu einer
Demokratur
zu werden. Damit ist ein Zwischending zwischen der Demokratie
und der Diktatur gemeint.
Die
ersten Schritte dazu sind bereits getan, denn der Entwurf des
Gesetzes zur Stärkung von Maßnahmen zur Demokratieförderung,
Vielfaltgestaltung, Extremismusprävention und politischen
Bildung (Demokratiefördergesetz – DFördG) befindet sich bereits
im parlamentarischen Weg.
Demokratiefördergesetz – DFördG:
Deutschland braucht ein breites Engagement für die Demokratie
sowie überzeugte Demokratinnen und Demokraten. In den
vergangenen Jahren ist das Modell einer offenen, pluralistischen
und vielfältigen Gesellschaft in einem gewaltengeteilten,
demokratischen Rechtsstaat zunehmend unter Druck geraten. Die
Bundesregierung ist daher entschlossen, die Demokratie in
Deutschland als Gesellschaftsform und Grundlage des
Zusammenlebens zu schützen, weiter zu gestalten und für aktuelle
und zukünftige Herausforderungen zu stärken.
An
anderer Stelle:
Die
Demokratie lebt von engagierten Menschen, die in ganz
Deutschland ihre Interessen in den verschiedenen demokratischen
Institutionen, Parteien und Wählervereinigungen vertreten oder
sich in zahlreichen Initiativen, Vereinen und Organisationen für
ein vielfältiges, pluralistisches und gewalt- und
diskriminierungsfreies Miteinander einsetzen im Bereich der
Demokratieförderung und -stärkung, der politischen Bildung sowie
bei der Auseinandersetzung mit und der Prävention jeder Form des
politischen oder religiös begründeten Extremismus und
gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie der
Demokratiefeindlichkeit.
An
anderer Stelle:
In den
vergangenen Jahren haben insbesondere die rechtsextremistischen
Straf- und Gewalttaten immer weiter zugenommen. Daneben zeigen
unter anderem Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Islam-
und Muslimfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit,
Frauenfeindlichkeit, Sexismus, Behindertenfeindlichkeit und
Extremismen wie Rechtsextremismus, islamistischer Extremismus,
Linksextremismus
sowie Hass im Netz, Desinformation und Wissenschaftsleugnung und
die gegen das Grundgesetz gerichtete Delegitimierung des Staates
die Vielzahl demokratie- und menschenfeindlicher Phänomene auf.
Durch sie wird das friedliche und respektvolle Zusammenleben in
unserem Land in besorgniserregender Art und Weise beschädigt.
An
anderer Stelle:
Dabei
nehmen die Verbreitung von Verschwörungsideologien,
Desinformation und Wissenschaftsleugnung, eine sich zunehmend
radikalisierende Szene (etwa vor dem Hintergrund der
öffentlichen Coronamaßnahmen), die neue Bündnisse zwischen
verschiedenen radikalisierten Milieus schafft, aber auch Hass
und Hetze im Internet sowie multiple Diskriminierungen und
Bedrohungen immer weiter zu.
An
anderer Stelle:
Die
Bekämpfung jeder Form des politisch oder religiös begründeten
extremismus- und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie
der
Demokratiefeindlichkeit
ist daher ebenso wie der Schutz der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und
die Vermittlung demokratischer, freiheitlicher Werte sowie die
Vermittlung von Recht und Rechtsstaatlichkeit eine
gesamtgesellschaftliche und dauerhafte Aufgabe von zentraler
politischer Bedeutung.
An
anderer Stelle:
Dazu
gehören unter anderem auch Maßnahmen der zivilgesellschaftlichen
Beratungs-, Präventions- und Ausstiegsarbeit, des „Empowerments“
von Selbstorganisationen und Betroffenengruppen im Sinne der
Selbstbefähigung, Selbstermächtigung und Selbstbestimmung sowie
Maßnahmen zum Schutz vor Angriffen auf Engagierte.
Zur
Lösung des oben skizzierten Problems enthält der Gesetzesentwurf
folgende Ausführungen:
Zur
Stärkung der Demokratie, zur politischen Bildung, zur Prävention
jeglicher
Form von
Extremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie zur
Gestaltung von gesellschaftlicher Vielfalt und Teilhabe wird der
Bund zukünftig auf Grundlage eines ausdrücklichen gesetzlichen
Auftrags bundeseigene Maßnahmen durchführen sowie Maßnahmen
Dritter fördern, sofern sie von überregionaler Bedeutung sind
und in erheblichem Bundesinteresse liegen. Die gesetzliche
Verankerung gewährleistet die notwendige Verbesserung der
rechtlichen Rahmenbedingungen und die damit verbundene
nachhaltige Absicherung der Maßnahmen im Bereich der
Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung, Extremismusprävention
und politischen Bildung. Damit geht ein Zuwachs an
Planungssicherheit für den Bund und die Zivilgesellschaft
einher. [...]. Des Weiteren wird durch eine längerfristige
Förderung von Maßnahmen gewährleistet, dass
zivilgesellschaftliche Akteure bereits bewährte Strukturen nicht
nur aufrechterhalten, sondern vor allem auch weiterentwickeln
können, um den sich teils wandelnden gesellschaftlichen
Herausforderungen Rechnung tragen zu können.
Die
Bundesregierung geht hinsichtlich der Notwendigkeit eines
Demokratieförderungsgesetzes davon aus, dass es zu diesem Gesetz
keine Alternative gibt. Das bedeutet, dass ein Verzicht auf
solch ein Gesetz nicht in Betracht kommen kann. Deshalb hält es
die Bundesregierung, die dieses Gesetz in den Bundestag
eingebracht hat, für unverzichtbar, die Kompetenzen des Bundes
diesbezüglich zu erweitern.
Zitat:
Das
Demokratiefördergesetz als materielles Gesetz bekräftigt die
Rolle des Bundes in der Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung,
Extremismusprävention und politischen Bildung, regelt die
Eckpfeiler der Förderbedingungen und stärkt die
Zivilgesellschaft nachhaltig, da der Gesetzgeber diese
Tätigkeiten als dauerhafte Aufgaben auch des Bundes bestätigt.
Gesetzesentwurf
05.0
Die Bundesregierung und „deren“ Demokratieverständnis
TOP
Wer den
Gesetzesentwurf des Demokratieförderungsgesetzes
unvoreingenommen liest, wird wohl kaum die Feststellung in
Abrede stellen können, die da lautet, dass es einen Unterschied
gibt zwischen der Demokratie, die für alle gilt, und einer
anderen Demokratie, nämlich die, die im Gesetzesentwurf
enthalten ist. Es vermag auch nicht zu überraschen, dass
hinsichtlich der Zuständigkeiten deutlich wird, dass es die
Exekutive ist, der die Aufgabe obliegen soll, die Demokratie zu
schützen, siehe § 7 des Demokratiefördergesetzes (DFördG).
§ 7
DFördG Zuständigkeit und Zuwendungsbescheid
(1) Die
Ausführung dieses Gesetzes obliegt den obersten Bundesbehörden
im Rahmen der jeweiligen Ressortzuständigkeit. Diese können
Aufgaben auf nachgeordnete Bundesoberbehörden übertragen.
(2) Im
Zuwendungsbescheid ist die Rückforderung nicht zweckentsprechend
verwendeter Fördermittel sicherzustellen.
Diese
Aufgabenzuweisung lässt zumindest die Vermutung zu, dass durch
dieses Gesetz die Macht derjenigen, die politische Macht in
diesem Staate ausüben, und das ist vorrangig die Exekutive,
nicht viel von der Herrschaft des Volkes halten.
Deshalb
verzichtet auch kaum ein Politiker in seinen Reden auf die
Floskel „unsere Demokratie“, denn es gibt kaum eine
Bundestagsdebatte, in der auf die Sprachfigur „unsere
Demokratie“ verzichtet wird.
Was
damit gemeint sein könnte, das kann zum Beispiel einer Rede der
ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel entnommen werden, die
sie am 3. März 2010 zur Vorstellung des Allensbacher Jahrbuchs
der Demoskopie hielt:
Angela Merkel:
Wir können im Rückblick auf die Geschichte der Bundesrepublik
sagen, dass all die großen Entscheidungen keine demoskopische
Mehrheit hatten, als sie gefällt wurden. Die Einführung der
sozialen Marktwirtschaft, die Wiederbewaffnung, die Ostverträge,
der NATO-Doppelbeschluss, das Festhalten an der Einheit, die
Einführung des Euro und auch die zunehmende Übernahme von
Verantwortung durch die Bundeswehr in der Welt – fast alle diese
Entscheidungen sind gegen die Mehrheit der Deutschen erfolgt.
Erst im Nachhinein hat sich in vielen Fällen die Haltung der
Deutschen verändert. Ich finde es auch vernünftig, dass sich die
Bevölkerung das Ergebnis einer Maßnahme erst einmal anschaut und
dann ein Urteil darüber bildet. Ich glaube, das ist Ausdruck des
Primats der Politik. Und an dem sollte auch festgehalten werden.
Im Klartext:
Erst „im Nachhinein“ also, wenn alles schon entschieden ist,
darf sich die Bevölkerung „das Ergebnis einer Maßnahme“
anschauen und sich dann damit abfinden, was die Mächtigen für
sie entschieden haben.
Hinsichtlich der Ausübung von
Regierungsmacht bedeutet das:
Wir tun das, was wir für richtig erachten. Und damit das so
bleibt, dafür bedarf es eines Demokratieförderungsgesetzes,
dessen Ziel es ist, die Demokratie vor solchen Bürgerinnen und
Bürgern zu schützen, die unter Demokratie vielleicht doch etwas
anderes verstehen, als die Politiker, die ihre Macht, also „ihre
Demokratie“ geschützt wissen wollen.
Worum
geht es im Demokratieförderungsgesetz tatsächlich?
Es
geht:
-
Um
Einschränkungen der durch das Grundgesetz garantierten
Meinungsfreiheit durch die Bundesregierung, insbesondere durch
das Bundesinnenministerium und dem diesem Ministerium
nachgeordneten weisungsabhängigen Bundesamt für
Verfassungsschutz
-
Schon
heute gilt: Aufgestellte Behauptungen bedürfen heute oftmals
keiner Beweise mehr
-
Political Correctness und Angstmache fördert das DFördG noch
mehr als das bisher schon der Fall ist
-
Kampfbegriffe wie: Hass und Hetze, Delegitimierung des Staates,
Coronaleugner, Klimaleugner, Impfgegner,
Putin-Versteher,
Querdenker oder auch
Schwurbler:
der politische Gegner wird zum Feind gemacht
-
Meldestellen, Zensur und das Errichten von „Brandmauern“ tragen
zur weiteren Spaltung der Gesellschaft bei. Sie sollen angeblich
die Demokratie schützen
-
Verfolgung unliebsamen Verhaltens auch unter der
Strafbarkeitsgrenze wird den Handlungsspielraum von
Sicherheitsbehörden erweitern
-
Aufruf
der Regierung zu Demonstrationen, deren Ziel es ist, die
Opposition zu beschädigen bzw. ihr Rechte zu verweigern, die
allen anderen Parteien zustehen, können als Schutzmaßnahmen für
die Demokratie erklärt werden.
Kurzum:
Kontenkündigungen, überfallartige Hausdurchsuchungen,
Entlassungen, Entfernung aus dem Staatsdienst und sogar
monatelange Untersuchungshaft sind die bereits eingetretenen
„Kollateralschäden“ eines Demokratieverständnisses, das der
Staat für sich selbst in Anspruch nimmt, um sich sozusagen vor
seinen Bürgern zu schützen.
Das, was
sich die amtierende Bundesregierung erkennbar wünscht, ist ein
„neuer Mensch“, der alle Bereiche des gesellschaftlichen
Zusammenlebens betrifft.
06.0
Moral als Politikersatz
TOP
Politische Gutmenschen, und dazu gehören auch in der
Ampelregierung amtierende Ministerinnen und Minister, machen
zurzeit von der moralischen Keule regen Gebrauch. Michael
Andrick bezeichnet diese Art von alternativlos denkenden
Menschen als Fundamentalisten.
Michael Andrick:
Fundamentalisten meinen, und oft sogar völlig aufrichtig,
Andersdenkende bekehren und ihnen notfalls direkt den Mund
verbieten zu müssen, damit die von ihnen exklusiv und
allgemeingültig erkannte Wahrheit in Ruhe umgesetzt werden kann.
Sie betreiben dann ihrer Selbstvorstellung danach, was sie als
„Schutz der Demokratie“ und überhaupt aller hehren und schönen
Dinge (wie Toleranz, Pluralität, Freiheit und Recht) verstehen
und richten die Demokratie, die friedliche Selbstregierung eines
Volkes durch geordneten Streit, dabei zugrunde [En20].
Zu einem
offenen Streit über die Probleme von heute kommt es aber nicht,
weil den politisch Verantwortlichen dazu nicht nur der Mut,
sondern auch die Einsicht in die Notwendigkeit eines solchen
Diskurses fehlt.
Anders ausgedrückt:
Regieren
heißt, das umzusetzen, was die Regierenden für richtig halten.
Wer das nicht will, der muss entweder ignoriert werden – wenn er
politisch unbedeutend ist – oder neutralisiert bzw. ausgegrenzt
werden, wenn es sich bei Andersdenkenden um politische Gegner
handelt, mit denen man nicht einmal Koalitionen eingehen will.
Wie dem auch immer sei:
Im Regime des Moralismus, so heißt es bei Michael Andrick,
wünschen sich die Regierenden eine breitgefächerte
gesellschaftliche Koalition moralisch richtig denkender
Menschen. Was damit gemeint ist, das kann – zumindest
ansatzweise – dem Internetportal
No-hate-speech.de
entnommen werden. Dieses Portal ist so umfangreich, dass im hier
zu erörternden Sachzusammenhang die Sichtung der folgenden Seite
ausreicht, um sich einen Eindruck darüber verschaffen zu können,
worum es geht.
Portalseite „No-hate-speech“
Dass
dieses Portal, wie viele andere auch, mit öffentlichen Mitteln
finanziert wird, das soll hier nur festgestellt werden.
Michael Andrick:
Betreiber (des o.g. Internetportals) ist ein Verband von „Neuen
Deutschen Medienmachern“, der 2017 mit mehr als 500 000 Euro aus
dem Kanzleramt mitfinanziert wurde und dessen frühere Chefin,
Ferda
Ataman, später Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung wurde.
Immerhin versteht man so gleich, was der Unterschied zwischen
einem Journalisten und einem „Medienmacher“ ist: Journalisten
kontrollieren die Mächtigen, „Medienmacher“ erstellen mit ihrer
Finanzierung eben ... nun ja, Medien, die etwas anderes als
Machtkontrolle betreiben, weil die Mächtigen sie Finanzieren
[En21].
Drucksache 19/5134
Noch
deutlicher im Hinblick auf den Umgang mit Diskriminierungen
dürfte das Berliner Register anzusehen sein, einer Meldestelle
für eine Vielzahl von Diskriminierungen und extrem rechte
Aktivitäten.
Berliner Register
Auf der Startseite des Berliner Registers
heißt es:
Wir, die Berliner Register, wollen gegen Diskriminierung und
Ausgrenzung vorgehen. Wir dokumentieren deshalb Vorfälle, die im
Alltag in Berlin passieren.
Die
Vorfälle müssen einen rassistischen, antisemitischen,
LGBTIQ*-feindlichen,
NS-verharmlosenden Hintergrund haben oder sie richten sich gegen
Obdachlose, Menschen mit Behinderungen oder gegen demokratisch
engagierte Personen. Wir machen sie sichtbar und gewinnen
Verbündete, um dagegen vorzugehen.
Auf
dieser Seite kannst du Vorfälle melden und dir in der Chronik
alle anderen dokumentierten Vorfälle ansehen. Und du findest
Anlaufstellen, Kontakte der bezirklichen Register und Hinweise
zu Beratungsstellen.
Ob
dadurch die Ursachen für Meinungsäußerungen unterhalb der
Strafbarkeitsgrenze reduziert werden können, dürfte mehr als
fraglich sein. Den Machern solcher Meldestellen kommt es wohl
vorrangig darauf an, Menschen daran zu gewöhnen, erlebte
Diskriminierungen zu melden. Was das bedeutet, das drückt
Michael Andrick wie folgt aus:
Michael Andrick:
Die juristischen Grundlagen und die Melde-Infrastruktur dafür zu
schaffen, „Hassrede“ im Netz und anderswo zu „bekämpfen“
bedeutet, Gesinnungsprüfung zur Staatsaufgabe zu erklären und
Denunziationsgeist in die Bevölkerung zu tragen. Die
Aufforderung „Gesinnungsverstöße“ zu melden und dafür sogar
staatliche Stellen einzurichten – wie erst jüngst auch wieder
mit der „Meldestelle Antifeminismus“ geschehen -, ist das
Kennzeichen intoleranter, ideologischer totalitärer Gesinnung.
Bei der Antisemitismusstelle handelt es sich um ein Projekt der
Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus
[En22].
Diesbezüglich heißt es auf der Website der Antisemitismusstelle
wie folgt:
Meldestelle Antifeminismus.:
Als Fachstelle beraten und schulen wir bundesweit
Zivilgesellschaft, Politik, Jugendarbeit, Bildungseinrichtungen
und Medien im Umgang mit Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und
gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Mit dem
Vorhaben einer bundesweiten online Meldestelle zu
Antifeminismus, soll nicht nur das Erheben von Daten, sondern
vor allem auch die Unterstützung von Betroffenen und
Zivilgesellschaft ermöglicht werden. Wir bieten weitergehende
Unterstützung und die Vermittlung von psychosozialer,
juristischer und Betroffenenberatung an und bringen und setzen
uns auf politischer Ebenen gegen Antifeminismus ein.
Unsere
Arbeit als
Meldestelle
Antifeminismus
verstehen wir ebenso als Teil eines gemeinsamen
zivilgesellschaftlichen Prozesses, der zum Teil neue Wege
beschreitet und dabei kontinuierlich weiterentwickelt werden
soll. Wir freuen uns über Austausch und Rückmeldungen.
Förderung
Dank geht
an das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend für die Förderung des Projekts im Rahmen des
Bundesprogramms Demokratie leben
[En23].
07.0
Hassrede in den sozialen Medien
TOP
Um diese
Sprachfigur der Hassrede in diesem Sachzusammenhang klären zu
können, ist es erst einmal erforderlich, festzustellen, dass es
sich beim Hass um eine Emotion handelt. Daraus folgt, dass Hass
grundsätzlich als eine individuelle Gefühlsregung anzusehen ist.
Erst dann, wenn Menschenansammlungen emotional so aufgewühlt
sind, dass durch die Art und Weise ihres Verhaltens mit großer
Wahrscheinlichkeit darauf geschlossen werden kann, dass sie ihre
Wut und ihren Hass zum Ausdruck bringen, kann das Wort Hass von
seiner
Wortbestimmung
her überhaupt richtig verwendet werden. Ob diese Qualität auch
geschriebenen Worten unterstellt werden kann, dürfte mehr als
fraglich sein, zumindest in den wohl meisten Fällen als
Hassposts bezeichneten Geschmacklosigkeiten im Internet und
anderswo.
Wie dem auch immer sei:
Die Philosophen der Aufklärung wären mit der Beschreibung von
Hass wohl eher zurückhaltender gewesen, als das heute der Fall
ist, denn diese Denker gingen noch davon aus, dass Sprache dazu
geeignet ist, objektive Wahrheiten zu formulieren.
Im
Gegensatz zu diesen Denkern vertritt zum Beispiel der
französische Philosoph Jacques Derrida (1930 bis 2004), einem
der Hauptvertreter der Dekonstruktion die Position, dass
„‚Dekonstruktion“ die konstitutive und notwendige Möglichkeit
eindeutigen und endgültigen Verstehens mittels Sprache
ausschließt. Derrida zufolge ist Sprache nämlich nie eindeutig,
weil sich kein Wort eindeutig einer Bedeutung zuordnen lässt.
Anders ausgedrückt:
In Anlehnung an die Lehre des Konstruktivismus entsteht die
Wirklichkeit immer im Kopf des Betrachters. Das heißt: Wenn der
Leser eines Posts meint, dass es sich bei dem Gelesenen um Hate
Speech handelt, dann ist das auch so, auch wenn das gar nicht
der Gefühlslage des Senders dieser Botschaft entspricht.
Daraus
lässt sich schließen, dass es sich bei „Hate Speech“ (Hassrede)
um einen politischen Kampfbegriff handelt. Diejenigen, die diese
Sprachfigur verwenden, benutzen das Wort Hate Speech
offensichtlich und für jedermann erkennbar als ein Machtmittel
in einem Diskurs, dessen Ziel darin besteht, das Böse zu
erkennen um es beim Namen zu benennen, um dadurch das Gute in
der eigenen Position hervorheben zu können.
Michael Andrick:
„Hassrede“ kann deshalb immer nur ein politischer Kampfbegriff
sein, weil er – außer in seltenen oder konstruierten
Einzelfällen – nicht mit Sicherheit auf die konkreten Aussagen
eines Menschen angewandt werden kann. „Hass“ ist eine
psychologische und moralische Kategorie, die eine nicht direkt
beobachtbare Gesinnung hinter dem beobachtbaren Verhalten
bezeichnet. Wegen des spekulativen Charakters seiner Anwendung
sollte „Hass“ in Rechtsstaaten nicht ohne Not als juristische
Kategorie genutzt werden. Im Rechtsstaat werden gesetzlich
verbotene Taten geahndet, bei Freiheit der Rede und der
Gesinnung. Eine Gesinnungspolizei einzuführen oder die
Bevölkerung zur Gesinnungsschnüffelei anzuhalten, ist mit dem
Geist des Rechtsstaates unvereinbar. Das erkennt das
Bundesministerium für Justiz (BMJ)
in seiner Kommunikation zum Gesetzespaket gegen „Hass und Hetze“
von 2022 auch subtil an: Beleidigung, üble Nachrede und
Verleumdung sind nicht von der Meldepflicht [des Gesetzespakets
gegen Hass und Hetze, M.A.] Umfasst, da die Abgrenzungen zu von
der Meinungsfreiheit umfassten Aussagen hier im Einzelfall
schwierig sein kann [En24].
Hinsichtlich des Ziels, das mit dem Gesetz zur Bekämpfung des
Rechtsextremismus und der Massenkriminalität (NetzDG) verfolgt
werden soll, heißt es auf der Website des
Bundesjustizministeriums wie folgt:
BMJ
2022:
Zur Stärkung der Strafverfolgung in sozialen Netzwerken wird das
NetzDG mit dem am 3. April 2021 in Kraft getretenen Gesetz zur
Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität um
eine Meldepflicht erweitert. Mit dieser werden die Anbieterinnen
und Anbieter sozialer Netzwerke verpflichtet,
bestimmte, besonders schwere Straftaten
an eine Zentralstelle beim Bundeskriminalamt (BKA) zu melden.
Die Anbieterinnen und Anbieter müssen den Inhalt und die zur
Verfügung stehenden Daten des
Inhalteverfassers
bzw. der
Inhalteverfasserin
(inkl. der letzten
Log-In
IP) an das BKA übermitteln. Dieses identifiziert anschließend
die Täterinnen und Täter und leitet die Daten an die zuständigen
Strafverfolgungsbehörden weiter. Wegen Entscheidungen des
Verwaltungsgerichts Köln vom 1. März 2022 wird die Meldepflicht
derzeit nicht durchgesetzt [En25].
Hinweis:
Hass ist keine Straftat, soweit diese Emotion nicht zugleich
auch Tatbestandsmerkmal eines Straftatbestandes ist. Insoweit
ist es naheliegend, dass die Sprachfigur „Hate Speech“
(Hassrede) dem Zweck dient, eine Gesinnungsdemokratie
vorzubereiten.
Wie
lässt sich das verhindern?
08.0
Der freie Mensch muss Fragen stellen ....
TOP
Den
folgenden Text habe ich dem Nachwort eines Buches entnommen, das
Ulrike Lausen und Tom Lausen im Dialog mit der Künstlichen
Intelligenz
ChatGTP
geschrieben haben.
Die Fragen,
die die Autoren der Künstlichen Intelligenz stellen machen
deutlich, dass in einer perfekten Datenumgebung Antworten
generiert werden, die zu überzeugen vermögen, wenn Fragen
beantwortet werden, die ChatGTP aus einer schier
unüberschaubaren Datenfülle generieren kann. Aber auch die KI
gerät ins Grübeln, wenn ihr die richtigen Fragen gestellt
werden. Bevor Sie den kurzen Dialog der Autoren mit der KI
lesen, zum Verständnis von
GPT
ein kurzer Hinweis über das, was diese KI kann:
Hinweis:
GPT
ist die Abkürzung für „Generative Pre-trained Transformer“.
ChatGPT
nutzt künstliche Intelligenz, um menschliche Sprache zu
verstehen und so eine der menschlichen Sprache ähnelnde Antwort
zu erzeugen.
ChatGPT
ist der Prototyp eines dialogbasierten Chatbots. Dieser wurde
von
OpenAI
entwickelt. Im November 2022 wurde er als Beta-Version
veröffentlicht [En26].
Auf die
Frage der Autoren, ob ChatGTP eher autonom lernt, oder nur
ausgewählte Daten verwendet, antwortet die KI wie folgt:
ChatGTP:
ChatGTP
lernt nicht von allein im Sinne eines autonomen Zugriffs auf
oder einer eigenständigen Beschaffung von Informationen nach
seinem initialen Training. Stattdessen wird
ChatGPT
mit ausgewählten Daten trainiert, die von Entwicklern und
Datenwissenschaftlern zusammengestellt werden [En27].
Anders ausgedrückt.
Die KI kann nur solche Daten verarbeiten, über die sie verfügt.
Zum selbständigen Denken ist die KI nicht in der Lage. Dennoch:
Bei dem „Gespräch“ das die Autoren über die Auswirkungen der
Pandemie führten, wird deutlich, wozu bereits heute Künstliche
Intelligenz in der Lage ist. Trotzdem gelingt es den Autoren,
durch das Stellen richtiger Fragen auch Chat GPT an ihre Grenzen
zu bringen.
Und nun
zu den Zitaten aus dem Nachwort des Buches von Ulrike und Tom
Lausen:
Lausen:
Was geschieht, wenn Menschen aufhören, Fragen zu stellen und
alles vertrauensvoll hinnehmen, was ihnen Regierung und Medien
präsentieren?
ChatGTP:
Wenn Menschen aufhören zu hinterfragen, können mehrere
Konsequenzen entstehen, die sowohl individuelle als auch
gesellschaftliche Auswirkungen haben. Fragen zu stellen, ist ein
grundlegender Aspekt menschlicher Neugierde, Intelligenz und des
Lernprozesses. Sie ermöglichen es uns, Informationen zu sammeln,
Verständnis zu vertiefen, kritisch zu denken und die Welt um uns
herum zu erforschen.
Hier
einige Auswirkungen, die entstehen könnten, wenn Menschen
aufhören zu hinterfragen:
Verlust des kritischen Denkens:
Fragen stellen, fördert das kritische Denken, indem es uns dazu
bringt, Informationen zu analysieren. Ohne diese Praxis könnten
Individuen leichter manipulierbar und anfälliger für
Fehlinformationen werden. Fragen zu stellen, ist ein zentraler
Bestandteil des kritischen Denkens. Ohne Fragen würden Menschen
dazu neigen, Informationen und Situationen nicht mehr kritisch
zu bewerten, was zu einer weniger informierten und reflektierten
Gesellschaft führen könnte.
Eingeschränkte Innovation und Kreativität:
Viele wissenschaftliche, technische und künstlerische
Durchbrüche beginnen mit einer Frage. Ohne die Fähigkeit und den
Willen, Fragen zu stellen, könnten Fortschritte in vielen
Bereichen verlangsamt werden oder gar zum Stillstand kommen.
Machtungleichgewichte verstärken, erhöhtes
Risiko für Macht und Kontrolle:
Das Stellen von Fragen ist ein Weg, Macht zu hinterfragen und
zur Rechenschaft zu ziehen. Wenn Menschen aufhören, Autoritäten
oder, den Status quo zu hinterfragen, könnte dies zu einer
unkontrollierten Machtkonzentration und zum Missbrauch dieser
Macht führen [En28].
Die
Antwort von ChatGTP im Hinblick auf die von den Autoren
gestellte Frage, führt noch weitere Aspekte auf, die hier nicht
zitiert werden. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn sie
Antworten lesen, die von einer nicht denkenden Maschine
generiert wurden. Wer sich über die Leistungsfähigkeit der
Künstlichen Intelligenz ein vollständigeres Bild machen möchte,
dem kann ich nur empfehlen, das Buch von Ulrike und Tom Lausen
zu lesen.
Link zum Buch
09.0
Wer nicht fragt, muss glauben
TOP
Wer fest
an etwas glaubt, der oder die hält es nicht für erforderlich,
Fragen zu stellen. Nach meiner Wahrnehmung ist diese
Glaubensfähigkeit bereits fester Bestandteil der Ideologien
geworden, die heute von sich behaupten, alternativlos zu sein.
Das
postfaktische Glaubensbekenntnis
Ich
glaube an die Demokratie, der besten Regierungsform aller
Zeiten, die uns in Frieden, Wohlstand und Freiheit leben und
gedeihen lässt, und natürlich glaube ich auch an ihre Diener und
ihre Prediger, die im Wissen der demokratischen Wahrheit uns den
richtigen Weg zu gehen vorgeben, um uns davor zu bewahren, auch
nur geringfügig vom demokratischen Weg abzuweichen, denn die
Ungläubigen, die das tun, sind keine Demokraten, sondern
entweder unbelehrbare Extremisten, Querdenker oder
Verschwörungstheoretiker, Nazis, Faschisten, Islamisten oder
Rechtsextremisten. Nur wer vom Unglauben ablässt, und
sich aus voller Überzeugung zu den unhinterfragbaren und
alternativlosen Werten „unserer“ Demokratie bekennt, dem können
seine Irrtümer vergeben werden. Wer dazu nicht bereit ist, der
ist ein Demokratiefeind, den es zu bekämpfen und auszugrenzen
gilt, denn es gibt nur eine Wahrheit: unsere. Deshalb stelle ich
auch keine Fragen, denn Glaube beruht auf der Überzeugung, dass
unser Glaube unhinterfragbar ist.
Alfred
Rodorf
Schlusssatz:
Dies ist
das Glaubensbekenntnis einer Gesinnungsdiktatur, für die es
bereits in der Bundesrepublik Deutschland unübersehbare
Anhaltspunkte gibt und die Soziologen und Philosophen sogar
schon dazu bewogen hat, die Demokratie des Grundgesetzes als
eine
Demokratur
zu bezeichnen.
10.0
Die Demokratie ist missbrauchsanfällig
TOP
Das ist
eine unbestreitbare Tatsache.
Diese
Überschrift stelle die Redaktion der
Neuen
Züricher Zeitung (NZZ.de
vom 23.05.2024) einem Interview voran, in dem, wie ich finde,
gut der Kern eines Interviews, das die Redaktion mit dem
ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen
Papier führte, zusammengefasst wird.
Ausgehend von der Vorstellung, dass es früher einmal anders war,
antwortet Hans-Jürgen Papier auf die Frage: Hat sich das
Stabilisierungspotenzial der Verfassung nach einem
Dreivierteljahrhundert verbraucht?, wie folgt:
Hans-Jürgen Papier:
Nein, das sehe ich überhaupt nicht. Ich warne auch vor diesen
Untergangsszenarien. Das Grundgesetz, das ja bekanntlich 1949
als Provisorium für das von den Westalliierten besetzte
Westdeutschland erlassen worden ist, genießt in der Bevölkerung
als Verfassung des vereinigten Deutschland hohe Zustimmung. Die
rechtsstaatliche Demokratie ist stark – wenigstens auf der
normativen Ebene.
Und auf der
praktischen?
Nun, wir
haben in Deutschland inzwischen schon eine gewisse
Politikverdrossenheit, bei einigen vielleicht sogar eine
Demokratieverdrossenheit.
Woher
rührt die?
Jedenfalls nicht daher, dass die Deutschen mehrheitlich an der
rechtsstaatlichen Demokratie zweifelten. Sie haben eher Probleme
mit der praktischen Gestaltung der Demokratie durch die
politischen Parteien.
An anderer
Stelle kritisiert Hans-Jürgen Papier die Bundesinnenministerin
Nancy
Faeser
wie folgt:
Hans-Jürgen Papier:
Und Innenministerin
Faeser
will gegen Meinungsäußerungen von Rechtsextremisten auch
unterhalb der Strafbarkeitsgrenze vorgehen. Aus dem Verfassungs-
wird so der Verfassungsschutzstaat. [...]. Aber ich gebe zu,
dass die wehrhafte Demokratie missbrauchsanfällig ist. In bester
Absicht kann die Freiheitsidee beschädigt werden. Gerade die
Meinungsfreiheit aber ist konstitutiv für die Demokratie. Das
hat das Bundesverfassungsgericht immer wieder bestätigt. Deshalb
sind auch Parteiverbot und Verwirkungsregelung an ganz strenge
Voraussetzungen gebunden.
An
anderer Stelle äußert sich der ehemalige Präsident des
Bundesverfassungsgerichts zur direkten Demokratie, die das
Grundgesetz bedauerlicherweise nicht vorsieht, wie folgt:
Hans-Jürgen Papier:
Die Schweiz
fährt mit der direkten Demokratie auch in komplexen Zeiten gut.
In der Schweiz gibt es eine andere demokratische Kultur. Die
Schweizer verfügen über ein anderes staatsbürgerliches
Selbstverständnis als die Deutschen. Insofern halte ich das
nicht einfach für auf Deutschland mit seiner Tradition der
Repräsentation und seinen Erfahrungen mit einer direkten
Demokratie übertragbar. Aber ich habe schon vor Jahren
vorgeschlagen, auf Bundesebene ein Initiativrecht des Volkes bei
der Gesetzgebung einzuführen. Das Volk würde damit nicht zum
Gesetzgeber, würde vom Parlament aber verlangen können, sich mit
bestimmten Dingen zu befassen. Beispielsweise im Bereich von
Migrations- und Ausländerpolitik, aber etwa auch Sozialpolitik.
Wichtige Themen werden von der Politik seit Jahren nicht
aufgegriffen oder nicht richtig angegangen. Damit könnte die
Repräsentationslücke geschlossen werden, über die wir eingangs
sprachen [En29].
Kurzum:
Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts beklagt
sich sozusagen um die wachsende Dominanz der Exekutive, die
durch das zurzeit im Bundestag zu verabschiedende
Demokratieförderungsgesetz, über das erstmals am Donnerstag, den
16. März 2023 im Bundestag beraten wurde, den Einflussbereich
der Exekutive auf die Gesinnung des Volkes erweitern möchte.
Dabei handelte es sich um den Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur „Stärkung von Maßnahmen zur Demokratieförderung,
Vielfaltgestaltung, Extremismusprävention und politischen
Bildung“ (Bt-Drucks.
20/5823) beraten.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
11.0
75 Jahre Grundgesetz
TOP
Aus der
Vielfalt von Statements, die hochrangige Politiker anlässlich
der „75-Jahres-Feier des Grundgesetzes“ kundgetan haben, kann
über den folgenden Link ein kurzes Statement von Bundeskanzler
Scholz aufgerufen werden.
Bundeskanzler Olaf Scholz zu: 75 Jahre Grundgesetz.
Ein Grund zum Feiern
Gefeiert
haben diesen Geburtstag die führenden Politiker in geschützten
Räumen bzw. in einem abgesperrten Areal um den Reichstag, das
von einer Armee von Polizisten gesichert wurde.
Bereits
im Vorfeld der anstehenden 75 Jahre Grundgesetz, hatte
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein Buch mit dem Titel
„Wir“ veröffentlicht, in dem er verkündete, dass die
Bundesrepublik 2024 – trotz all ihrer Erfolge – nicht mit
ruhiger Selbstzufriedenheit sowohl die „75 Jahre Grundgesetz“
als auch den Fall der Berliner Mauer vor 35 Jahren feiern kann.
Den Extrakt des Buches fasst Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier in den Schlusssätzen seines Buches wie folgt
zusammen:
Frank-Walter Steinmeier:
Uns gemeinsam ist vieles geglückt. Geglückt, weil sich Millionen
von Menschen für unser Land, für ihre Mitmenschen eingesetzt
haben. Jede Generation stand vor Herausforderungen. Die Menschen
haben sie gemeistert, weil sie nicht gegen, sondern für unsere
Demokratie gearbeitet haben. Sie haben „wir“ gesagt und das
gemeinsame Ganze bewahrt. Ich vertraue auf die demokratische
Mehrheit, die Deutschland trägt. Unsere freiheitliche Demokratie
wird die Jahre der Bewährung bestehen [En30].
Dieses
„Wir“ hat zumindest bisher bei den Lesern kaum
Begeisterungsstürme ausgelöst, denn dieses Buch stand bei Amazon
Anfang Mai 2024 auf Bestellrang 26.545.
11.1
Packen Sie jetzt das Grundgesetz weg
TOP
Alternativ zu den wohlgesetzten Worten namhafter Politiker zum
75. Geburtstag des Grundgesetzes, hier der Zugriff auf ein
kurzes Video, das für die betroffene junge Frau wirklich keinen
Anlass geboten haben wird, das Grundgesetz zu feiern.
„Bitte
packen Sie jetzt das Grundgesetz weg!“, so die Überschrift eines
Videos.
Was ich mir bisher nicht habe vorstellen
können:
Mit diesen Worten forderte ein uniformierter Polizeibeamter
anlässlich einer Grundgesetz-Demo am Berliner
Rosa-Luxemburg-Platz im Mai 2020, eine junge Frau dazu auf, ihr
Grundgesetz wieder einzupacken, welches sie demonstrativ vor der
Brust hielt. Dies sei eine nicht zulässige politische
Meinungsäußerung. Die Frau wolle, so der Polizist, eine
„Message“ austragen und das dürfe sie hier an diesem Ort nicht.
Heute,
da 75 Jahre Grundgesetz gefeiert werden, macht ein zwei Minuten
dauerndes Video deutlich, dass die Wichtigkeit und
Unantastbarkeit des Grundgesetzes sich von gutgesetzten Worten
durch erlebte Wirklichkeit sich durchaus von wohlgesetzten
Worten unterscheiden kann. Aber entscheiden Sie selbst:
Video
Packen Sie jetzt das Grundgesetz
weg
11.2
Feierlicher geht es nicht
TOP
Wie eine
festliche Videobotschaft zur 75-Jahresfeier des Grundgesetzes
auch aussehen kann, das macht ein Video deutlich, das über den
folgenden Link aufgerufen werden kann. Die dort sprechenden
Politikerinnen der Partei „Die Grünen/Bündnis90“ zelebrieren ihr
Auftreten mit erkennbar sichtbarer Andacht, begleitet von
festlicher Klaviermusik im Hintergrund, sozusagen ehrerbietend,
auf jeden Fall aber hoheits- und salbungsvoll, der Würde des
Anlasses sozusagen einen kirchlichen Anstrich geben zu wollen.
Ob es den Politikerinnen so gelingt, ein Wirgefühl für diese
Demokratie entstehen zu lassen, können nur Sie selbst
entscheiden.
Video
Das Grundgesetz ist die Grundlage unseres
Zusammenlebens
11.3
Standpunkt von Andreas Voßkuhle
TOP
Am 23. Mai
2024 wurde in den Tagesthemen der ehemalige Präsident des
Bundesverfassungsgerichts Andreas
Voßkuhle
zum Grundgesetz befragt:
Andreas Voßkuhle:
Unsere
Demokratie befindet sich zurzeit in einer Phase der
Herausforderung, aber wir haben ein leistungsstarkes Grundgesetz
im Hintergrund, deshalb bin ich guter Zuversicht, dass wir die
Herausforderungen, die wir zu stemmen haben, auch gemeinsam
stemmen werden.
Als ein
ernstzunehmendes Problem bezeichnete Voßkuhle Kräfte in
Deutschland, die einen Systemwechsel fordern und sich dadurch
nicht mehr auf dem Boden der freiheitlich demokratischen
Grundordnung befinden.
Andreas Voßkuhle:
Das
Grundgesetz hat das Prinzip der wehrhaften Demokratie, das in
den 30er Jahren entwickelt worden ist, aufgenommen und
verwirklicht. [...]. Mit den Instrumenten [Parteienverbot,
Vereinsverbot, Verwirkung von Grundrechten] muss man umsichtig
umgehen, aber wir haben sie.
Hinweis:
Die Idee
einer „streitbaren“ oder auch „wehrhaften“ Demokratie ist keine
„Erfindung“ der Mütter und Väter des Grundgesetzes. Solche
Vorstellungen wurden in der Politikwissenschaft bereits in den
1930-iger Jahren diskutiert.
Wie dem auch immer sei:
Ein Parteienverbot hält Andreas Voßkuhle nicht für zielführend,
wohl aber die Diskussion darüber, die zurzeit stattfindet und
die deutlich macht, dass wir sowohl ein Parteien- als auch ein
Vereinsverbot kennen und auch Grundrechte verwirkt werden
können, wozu es aber in den zurückliegenden 75 Jahren nicht
gekommen ist.
Andreas Voßkuhle:
Das Grundgesetz ist eine sehr leistungsstarke Verfassung. Wir
sind mit ihr sehr gut gefahren. Es ist eine Vorbildverfassung
auch für viele andere Staaten geworden und sie ist im Kern eine
sehr funktionsfähige und eine wirklich herausragende Verfassung.
Aber das
sagt nichts darüber aus, dass man Dinge immer wieder verändern
kann. Im Augenblick sprechen wir über die stärkere
verfassungsrechtliche Absicherung des Bundesverfassungsgerichts.
Man kann darüber nachdenken, dass man vielleicht noch etwas
stärker plebiszitäre Elemente in die Verfassung einschreibt. Das
wird häufig als Mangel wahrgenommen. In einer Zeit, in der die
Bürger sich von der Demokratie abwenden, könnte das eine
Möglichkeit sein, sie wieder etwas zu aktivieren, ihnen zu
zeigen, das sie mitentscheiden können, mitbestimmen können und
dass sich diese Mitbestimmung, diese Selbstbestimmung, die die
Demokratie ja ausmacht, sich nicht nur auf den Wahlvorgang
beschränkt, sondern dass sie in vielen Bereichen möglich ist und
ein Bereich davon deshalb auch plebiszitäre Elemente sein
sollten, wie wir sie auch auf Länderebene und Kommunalebene
bereits haben und dort sind die Erfahrungen auch durchaus
positiv [En31].
Insbesondere die Ergänzung des Grundgesetzes durch plebiszitäre
Elemente könnte tatsächlich ein Weg aus der Vertrauenskrise
sein. Die Umsetzung solcher Vorstellungen würde aber
voraussetzen, den Gedanken der repräsentativen Demokratie, der
im Kern darin besteht, dass politische Mehrheiten entscheiden,
zu Lasten der Mächtigen (Bundestag, Bundesregierung und
Bundesrat) aufgeweicht werden müssten.
Damit
ist nicht zu rechnen.
Warum?
Nichts
ist schwerer, als auf Macht zu verzichten oder abzugeben. Das
gilt auch für eine Beschneidung der Macht. Das, was die Macht
will, das ist immer mehr Macht. Sie ist insoweit vergleichbar
mit dem Kapitalismus, der ohne Wachstum ebenfalls nicht
auskommen kann. Das ist das Problem der Exekutive von heute.
11.4
Wer ist ein Verfassungspatriot?
TOP
Auf
diese Frage eine passende Antwort zu finden ist dann schwer,
wenn vom bestehenden Sprachgebrauch führender Politiker
ausgegangen wird, die das Grundgesetz gern als einen Aufruf
verstanden haben wollen, die Demokratie, so wie sie jetzt ist,
zu erhalten und gegen ihre Feinde zu verteidigen.
Anders ausgedrückt:
Die politische Elite erwartet von allen Bürgerinnen und Bürgern,
sich als Verfassungspatrioten zu verstehen.
Wer oder was aber soll das sein?
Das
Wort Patriot setzt voraus, sein Vaterland zu lieben. Für den
Verfassungspatrioten bedeutet das, das Grundgesetz zu lieben.
Das aber ist unmöglich, denn wer kann schon ein kleines Buch
lieben, das aus 146 Artikeln besteht, von denen die meisten ja
nicht einmal die 19 Grundrechte in ihrer Gesamtheit kennen?
Im
Deutschen
Wörterbuch der Gebrüder Grimm (DWB),
das in der Zeit von 1838 bis 1852 entstand, heißt es unter dem
Stichwort „Patriot“ sinngemäß wie folgt:
Das aus dem
Französischen
Stammende Wort Patriotismus (Patriotisme)
bedeutet Vaterlandsliebe.
Beispiele:
-
So groß
ist sein Patriotismus
-
Der
ächteste
[das kommt von achten und wertschätzen] Patriotismus belebet
mich
-
Selbstgefälliger Patriotismus (Goethe 28, 187).
Das
Adjektiv „patriotisch“, dass ebenfalls aus dem Französischen
kommt (patriotique)
definieren die Gebrüder Grimm wie folgt:
-
vaterlandsliebend
-
aus
Vaterlandsliebe hervorgegangen
-
dem
Vaterland dienend
-
In
Zukunft patriotischer werden
-
Der
patriotisch eifernde Mann.
Solche
Vorstellungen, den Patriotismus betreffend, dürfte aber schon
seit einigen Jahren der Makel eines „rechten Gedankenguta“
anhaften, wenn nicht gar völkische Vorstellungen zum Ausdruck zu
bringen.
Wie dem auch immer sei:
Im
Gegensatz dazu heißt es auf der Website der Bundesakademie für
Sicherheitspolitik, unter der Überschrift: Patriotismus heute
wie folgt:
Bundesakademie für Sicherheitspolitik:
Patriot zu sein heißt damit, fest in den Wurzeln zu stehen, die
uns die Verfassung ausweist. Sie ist ja für sich selbst erst
seit 1949 geltendes Recht. Sie ist aber aus zahlreichen
Erfahrungen unserer Geschichte gespeist und in Grundsätze
umgesetzt, die sich vielfach, zuletzt auch bei der Vereinigung
1990 in bester Weise bewährt haben. Patriot zu sein heißt
andererseits auch, bewusst in unserer Geschichte zu stehen, in
allem, was sie uns an Gutem und an Schlimmem im Gelingen und im
Scheitern gebracht hat. In dieser Geschichte zu stehen heißt
auch, anzuerkennen, dass es im geteilten Deutschland
unterschiedliche Biographien gegeben hat, die aber für die
Zukunft den gleichen Wert haben [En32].
Aus der
Sicht von heute betrachtet, scheint das Grundgesetz – so
zumindest die Lesart der Bundesregierung – tatsächlich nur die
Bürgerinnen und Bürger zu lieben, die sich klar, eindeutig und
unmissverständlich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung
bekennen.
Das aber
ist nicht der Fall, denn 2017 haben die Richter des
Bundesverfassungsgerichts im Rahmen eines Rechtsstreits, der die
Parteienfinanzierung betraf, entschieden, unter welchen
Voraussetzungen eine Partei als „unpatriotisch“, also als
verfassungsfeindlich bezeichnet werden darf. In den Leitsätzen
dieses sehr umfangreichen Urteils heißt es unter anderem:
BVerfG 2017:
Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im
Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG umfasst nur jene zentralen
Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat
schlechthin unentbehrlich sind.
Ihren
Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische
Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die
Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung
personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die
elementare Rechtsgleichheit.
Ferner
ist das Demokratieprinzip konstitutiver Bestandteil der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Unverzichtbar für
ein demokratisches System sind die Möglichkeit
gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am
Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der
Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG).
Für den
Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind
schließlich die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Rechtsbindung
der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle
dieser Bindung durch unabhängige Gerichte bestimmend. Zugleich
erfordert die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit des
Einzelnen, dass die Anwendung physischer Gewalt den gebundenen
und gerichtlicher Kontrolle unterliegenden staatlichen Organen
vorbehalten ist.
Der
Begriff des Beseitigens der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung bezeichnet die Abschaffung zumindest eines ihrer
Wesenselemente oder deren Ersetzung durch eine andere
Verfassungsordnung oder ein anderes Regierungssystem. Von einem
Beeinträchtigen ist auszugehen, wenn eine Partei nach ihrem
politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare
Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung
bewirkt.
Dass
eine Partei die Beseitigung oder Beeinträchtigung der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt, muss sich
aus ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger ergeben.
Rn:
546:
Das Grundgesetz hat sich für das Modell der
parlamentarisch-repräsentativen Demokratie entschieden, weshalb
der Wahl des Parlaments bei der Herstellung des notwendigen
Zurechnungszusammenhangs zwischen Volk und staatlicher
Herrschaft besondere Bedeutung zukommt (...). Den Rahmen der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlässt demgemäß,
wer den Parlamentarismus verächtlich macht, ohne aufzuzeigen,
auf welchem anderen Weg dem Grundsatz der Volkssouveränität
Rechnung getragen und die Offenheit des politischen
Willensbildungsprozesses gewährleistet werden kann.
Rn:
547:
Schließlich ist der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit
unverzichtbarer Teil der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG. Er zielt auf
die Bindung und Begrenzung öffentlicher Gewalt zum Schutz
individueller Freiheit (...)
und
ist durch eine Vielzahl einzelner Elemente geprägt, die in Art.
20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG nur teilweise normativ verankert
sind (...). Für den Begriff der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung sind dabei die Rechtsbindung der öffentlichen
Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle dieser Bindung
durch unabhängige Gerichte bestimmend. Zugleich erfordert der
Schutz der Freiheit des Einzelnen, dass die Anwendung physischer
Gewalt den gebundenen und gerichtlicher Kontrolle unterliegenden
staatlichen Organen vorbehalten ist. Das Gewaltmonopol des
Staates (...)
ist
deshalb ebenfalls als Teil der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung im Sinne des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG anzusehen.
Rn:
548:
2. Zweite Voraussetzung für die Feststellung der
Verfassungswidrigkeit einer Partei gemäß Art. 21 Abs. 2 Satz 1
GG ist, dass diese eine „Beseitigung“ oder „Beeinträchtigung“
der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im oben
beschriebenen Sinne anstrebt.
BVerfG,
Urteil vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13
Anders ausgedrückt:
Jeder, der sich im Rahmen der oben genannten Ausführungen des
Bundesverfassungsgerichts bewegt, kann als ein
Verfassungspatriot angesehen werden, auch wenn es vielen
schwerfällt, die Andersdenkenden gern diese Eigenschaft
verweigern würden.
Für die
Partyteilnehmer, die im Mai 2024 auf Sylt sich unmöglich
benommen haben, überhaupt noch als Patrioten bezeichnet oder
bereits als Verfassungsfeinde anzusehen sind, dieser Frage hat
im Mai 2024 sich sozusagen zu einem Hype entwickelt.
Video
Sylter Skandalvideo
Und wenn
dann noch, in Anschluss an das „Gegröle dummer Leute auf Sylt“,
die SPD mit Bezug auf die dort gerufenen Parolen auf Instagram
unter dem schwarz-rot-goldenen Banner ursprünglich geschrieben
hatte:
„Deutschland
den Deutschen, die unsere Demokratie verteidigen“, spätestens
dann wird deutlich, dass beim Gebrauch der deutschen Sprache
heute höchste Zurückhaltung geboten ist.
Warum?
Nach
einer Vielzahl negativer Reaktionen wurde der Post sofort
gelöscht. Eine Parteisprecherin bestätigte am Freitagabend auf
Anfrage den Inhalt der nicht mehr abrufbaren Nachricht.
Rheinische Post:
Stattdessen
schrieb die Partei (Rechtschreibung wie im Original): „Wir haben
gerade einen Post veröffentlicht mit dem wir auf’s Schärfste
verurteilen, was wir alle in einem Video aus Sylt gesehen haben.
Dabei haben wir es nicht geschafft, einen Ton zu treffen, der
alle mitnimmt. Dafür möchten wir uns aufrichtig entschuldigen.
Uns geht es darum, klar zu machen, dass wir dieses Land nicht
den Rechtsextremen und Hasspredigern überlassen wollen [En33].“
Ob
Betrunkenen so viel Aufmerksamkeit gebührt, auf diese Frage weiß
ich keine Antwort. Was ich mir aber nicht vorstellen kann, ist,
dass es den Vorstellungen des Parlamentarischen Rates entsprach,
ein Grundgesetz zu schaffen, das wie eine Koranschule (Madrasa)
funktionieren soll, in der junge Muslime den Koran auswendig zu
lernen haben und dabei, wenn sie etwas Falsches rezitieren, mit
einem lernfördernden Schlag auf den Kopf rechnen müssen.
Naheliegender dürfte es sein, dass die Partygäste vom
Verfassungsschutz nachrichtendienstlich überwacht werden.
Weitaus schlimmer aber dürfte für einige der Teilnehmer bereits
die Tatsache geworden sein, dass ihre Identitäten öffentlich
verbreitet wurden und einige Arbeitgeber sogar „solchermaßen
fehlgeleitete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ fristlos
entlassen haben.
Anders ausgedrückt:
Wenn das die Zukunft des „Rechtsstaats des Grundgesetzes“ sein
soll, dann dürfte der Verfall der Demokratie wohl kaum noch zu
bremsen sein.
Warum?
11.5
Wer ist ein Verfassungsfeind?
TOP
Man kommt
aus dem Staunen nicht mehr heraus in diesen Tagen. Ein Land in
Hysterie. Auf einer
Sylter
Party wurde ein Anschlag auf die Demokratie versucht. Dummes
Gegröle reicht dazu bereits aus.
Bundestagspräsidentin Bärbel
Bas
(SPD) hat für diese unsägliche Tat bereits die Höchststrafe
eingefordert.
Es ist
zum Heulen:
Überall
Nazis, wohin das Auge auch reicht.
Wer
heute so mutig ist, und in Feierlaune „Schwarzbraun ist die
Haselnuss“ singt, befindet sich bereits auf sehr dünnem Eis.
Zumindest besteht schon dann der Anfangsverdacht, zum
rechtsextremen Meinungsspektrum zu gehören.
Es ist
wirklich beeindruckend, besser gesagt verrückt, wie das mediale
und politische Deutschland mit Besoffenen umgeht, die wirklich
dummes Zeug grölen. Dafür sogar die Höchststrafe einfordern.
Dann
müsste aber der Gesang den Tatbestand der Volksverhetzung
verwirken, was eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren nach sich
ziehen könnte, siehe § 130 StGB (Volksverhetzung).
Es
dürfte an der Zeit sein, sich wieder des gesunden
Menschenverstandes zu bedienen. Was darunter zu verstehen ist,
das kann einem Video entnommen werden, das über den folgenden
Link aufgerufen werden kann. Die Vernunft dieses Mannes, der der
sich selbst als einen Migranten bezeichnet, verfügt über ein
Demokratieverständnis, das vollumfänglich den Werten des
Grundgesetzes entspricht. Diese Vernunft zeigt, dass Demokratie
doch noch eine Chance haben kann, wenn sich die Vernunft wieder
durchsetzen sollte. Was darunter zu verstehen ist, davon kann
sich jeder überzeugen, der den folgenden Link aktiviert:
Video
Wer nicht gesündigt hat, der sollte den ersten Stein werfen.
11.6
Armin Laschet zum Sylter Skandalvideo
TOP
Wenn Sie
das Video des Mannes, der sich selbst als Migrant bezeichnet,
gesehen und seine Worte gehört und für zutreffend befunden
haben, dann kann und will ich es Ihnen nicht ersparen, das von
mir erstellte Wortprotokoll zur Kenntnis zu nehmen, das nur
wenige Sätze enthält, die im „Bericht aus Berlin vom 26.5.2024“
zwischen Tina Hasselt und dem ehemaligen Ministerpräsidenten
Armin Laschet (CDU) ausgetauscht wurden:
Tina
Hasselt:
Das so genannte Sylt-Video empört ja jetzt seit einigen Tagen
die Republik ... junge Leute die völlig ungeniert „Ausländer
raus“ und „Deutschland den Deutschen“ grölen .... jetzt tauchen
immer mehr solcher Videos auf an unterschiedlichen Stellen. Was
passiert da gerade, und vor allem, was muss man dagegen tun?
Armin Laschet:
Also diese Sylt-Szenerie die ist ja in jeder Hinsicht daneben
und abscheulich. Weil das ist die Elite des Landes, das sind die
reichen jungen Kinder, die scheinbar in ihrer Erziehung nicht
gelernt haben, das man nicht gegen andere Menschen, die unter
ihnen stehen, hetzt.
Ich glaube aber, die haben ihren Preis
bezahlt. In kürzester Zeit waren alle Namen veröffentlicht, sie
haben alle ihren Job verloren, und ich glaube als Gesellschaft
müssen wir darauf achten, dass das bei allen diesen Vorfällen
gilt [En34].
Solch ein
Statement vom ehemaligen Ministerpräsidenten des Landes NRW zu
hören, der sein
Erstes
juristisches Staatsexamen vor dem OLG Köln in Rechts- und
Staatswissenschaften abgelegt hat, macht zumindest mich
betroffen.
Nicht
nur, dass es befremdend ist, es für normal zu halten, dass
Personen nicht nur öffentlich mit ihren vollständigen Namen an
den Pranger gestellt werden, sondern sogar fristlose Kündigungen
für alle zur Norm werden sollte, macht betroffen, denn in einem
Rechtsstaat ist es zumindest nach meinem Rechtsverständnis
üblich, personenbezogene Daten auch dann noch zu anonymisieren,
wenn ein Gericht über die Strafbarkeit des festgestellten
Fehlverhaltens bereits entschieden hat, so zumindest die
Rechtslage bei Normalbürgern.
Und wer es
als Politiker für geboten und verhältnismäßig hält, dass für
solch eine „Geschmacklosigkeit“ fristlose Kündigungen und
darüber hinausgehend sogar mediale
Autodafés
angemessen sind, eine Bestrafung, die zur Zeit der
portugiesischen Inquisition dazu führte, eine Person auf dem
Scheiterhaufen zu verbrennen, was heute, ohne Brennholz zu
verwenden, für die Leitmedien als auch für alle sozialen Medien
eine wirklich leichte Übung ist ... Also: Wer das für eine
gerechte Strafe hält, dem kann nur geraten werden, sich mit dem
Geist des Grundgesetzes zu beschäftigen, dessen erster Satz
lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Solche eine
Äußerung anlässlich der 75-Jahres-Feier einem Millionenpublikum
zuzumuten? Mir fehlen die Worte.
Bevor
ich es vergesse:
Bei der
Veröffentlichung der personenbezogenen Daten der
Partyteilnehmerinnen in den Medien könnte es sich durchaus um
eine Straftat handeln.
Der §
126a StGB (Gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten)
sieht nämlich vor, dass eine Verbreitung personenbezogener
Daten, die dazu führt, dass die betroffene Person der Gefahr
ausgesetzt ist, Opfer einer Straftat zu werden, mit bis zu zwei
Jahren Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe geahndet werden
kann. Sind die veröffentlichten Daten nicht allgemein
zugänglich, kann die Strafe sogar drei Jahre Haft betragen.
§
126a StGB (Gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten)
Warum?
Es kann
davon ausgegangen werden, dass den Teilnehmern der Party eine
Vielzahl von Hassmails, möglicherweise sogar in Verbindung mit
Bedrohungen sozusagen unaufgefordert zugesandt wurden.
11.7
Schlusssätze
TOP
Das, was
an dem Grundgesetz „liebenswert“ ist, hier zu verstehen im Sinne
von ansprechend, überzeugend, positiv, wohltuend, attraktiv,
anziehend und schutzwürdig, das ist die Freiheit der
Andersdenkenden, soweit diese nicht gegen Strafgesetze verstößt,
denn ohne diese Freiheit kann eine Demokratie dauerhaft nicht
existieren. Zu hoffen bleibt, dass diese „Liebe zur Freiheit“,
die den Kern des Grundgesetzes ausmacht, nicht in den nächsten
25 Jahren verloren geht. Es wäre wirklich eine Schande, bei der
100-Jahresfeier sogar den Verlust der Freiheit bedauern zu
müssen. Mit der Menschenwürde nehmen wir es heute sowieso nicht
mehr allzu ernst, zumindest nicht mit der Würde von
Andersdenkenden.
Anders ausgedrückt:
Der freie Mensch in einer Demokratie benötigt eine Regierung,
die diese Freiheit gewährt, nicht eine Regierung, die diese
Freiheit beschneidet, denn das ist nicht ihre Aufgabe.
Mit anderen Worten: Es war wohl Pfingsten im
Jahr 1827, als der evangelische Theologe Philipp Spitta (1801
bis 1859), das Kirchenlied „O komm, du Geist der Wahrheit“
schrieb, um die bedauernswerte Lage der Christenheit seiner Zeit
zu beschreiben. Heute ist es erneut an der Zeit,
zumindest die ersten Zeilen dieses Liedes als eine
ernstzunehmende Aufforderung und auch als eine unverzichtbare
Verpflichtung anzusehen, sich dafür einzusetzen, die eigenen
Vernunft vor dem destruktiven Einfluss der „Rechtsgläubigen“ zu
schützen, indem diese Vernunft, auf die wir doch alle so stolz
sind, wieder die Bedeutung zu geben, die ihr gebührt.
O komm, du Geist der Wahrheit,
und kehre bei uns ein,
verbreite Licht und Klarheit,
verbanne Trug und Schein.
12.0 Quellen
TOP
Endnote_01 Thomas Hobbes. Leviathan.
Meiner Verlag 1996, Seite 177 Zurück
Endnote_02 Ebd.
Thomas Hobbes, Seite 108 Zurück
Endnote_03 Ebd. Thomas Hobbes, Seite 150
bis 153 Zurück
Endnote_04
Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, Mohr Siebeck 2017, Seite 91/92
Zurück
Endnote_05
Ebd. Hans Kelsen, Seite 464 bis 466 Zurück
Endnote_06 Pierre
Rosanvallon: Die gute Regierung, Suhrkamp-Verlag 2018, Seite39
Zurück
Endnote_07
Ebd. Pierre Rosanvallon, Seite 42 Zurück
Endnote_08 Ebd.
Pierre Rosanvallon, sinngemäß Seite 64
Zurück
Endnote_09 Ebd.
Pierre Rosanvallon, Fußnote 84 auf Seite 66
Zurück
Endnote_10 Ebd.
Pierre Rosanvallon, Seite 72 Zurück
Endnote_11 Max
Weber. Politik und Gesellschaft, zitiert nach Pierre
Rosanvallon. Die gute Regierung, Seite 111
Zurück
Endnote_12
Bundeszentrale für politische Bildung.
https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/504210/fuehrerprinzip/
Zurück
Endnote_13
Ebd. Pierre Rosanvallon, Seite 95 Zurück
Endnote_14 Carl
Schmitt. Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der
Souveränität. 10. Auflage Duncker & Humblot 2015
Zurück
Endnote_15 Ebd.
Carl Schmitt, Seite 19 Zurück
Endnote_16 Umfrage in Deutschland zum
Vertrauen in die Regierung 2023:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/153823/umfrage/
allgemeines-vertrauen-in-die-deutsche-regierung/
Zurück
Endnote_17
Konrad Adenauer: Vor dem Bundesparteivorstand der CDU am
20.9.1956 https://www.konrad-adenauer.de/zitate/demokratie/
Zurück
Endnote_18
Statistik der Gesetzgebung – 20. Wahlperiode. Stand der
Datenbank: 30.04.2024.
https://www.bundestag.de/resource/blob/870008/9ce71a44792
aeca0c2f4154a3b485f55/gesetzgebung_wp20.pdf
Zurück
Endnote_19 Konrad
Adenauer: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 4.
Wahlperiode, 53. Sitzung am 14.12.1962, S. 2333.
https://www.konrad-adenauer.de/zitate/demokratie/
Zurück
Endnote_20
Michael Andrick: Im Moralgefängnis - Spaltung verstehen und
überwinden. Westend-Verlag 2024, Seite 56
Zurück
Endnote_21 Ebd.
Michael Andrick, Seite 112 Zurück
Endnote_22 Ebd.
Michael Andrick, Seite 117 Zurück
Endnote_23 Amadeu
Antonio Stiftung: Antifeminismusstelle.
https://antifeminismus-melden.de/ Zurück
Endnote_24 Ebd.
Andreas Andrick. Seite 113/114 Zurück
Endnote_25 Regeln
gegen Hass im Netz – das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)
https://www.bmj.de/DE/themen/digitales/digitale_
kommunikation/netz_dg/netz_dg_node.html
Zurück
Endnote_26 Hat
OpenAI: Was ist ChatGPT? https://chatopenai.de/
Zurück
Endnote_27
Ulrike Lausen/Tom Lausen und die KI. Die Untersuchung. Drei
Jahre Ausnahmezustand: Ein wegweisendes Gespräch mit künstlicher
Intelligenz. Achgut Edition 2024, Seite 28
Zurück
Endnote_28 Ebd.
Ulrike Lausen und Tom Lausen, Seite 238
Zurück
Endnote_29 NZZ.ch
vom 23.5.2024: Die wehrhafte Demokratie ist missbrauchsanfällig:
Der Ex-Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier lobt das
Grundgesetz, sieht aber auch Lücken.
https://www.nzz.ch/international/75-grundgesetz-und-demokratie-
papier-diskutiert-stabilitaet-und-kritik-ld.1830984
Zurück
Endnote_30
Frank-Walter Steinmeier: Wir. Suhrkamp-Verlag 2024, Seite 142
Zurück
Endnote_31
Tagesthemen vom 23.5.2024:
https://www.ardmediathek.de/video/tagesthemen/tagesthemen-22-15-uhr-23-05-2024/
das-erste/Y3JpZDovL3RhZ2Vzc2NoYXUuZGUvNzliZDY0ODYtODUz
OC00NGU0LWE0ODctZTFhN2Q4ZWJmOGE3X2dhbnplU2VuZHVuZw
Zurück
Endnote_32
Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Patriotismus
heute:Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Patriotismus heute:
Definition eines zu Unrecht diskreditierten Begriffs.
https://www.baks.bund.de/de/arbeitspapiere/2016/patriotismus-
heute-definition-eines-zu-unrecht-diskreditierten-begriffs
Zurück
Endnote_33
RP-online.de vom 25.5.2024: „Ausländer raus“-Rufe im Video.
https://rp-online.de/panorama/deutschland/rassismus-auf-sylt-dj-gigi-d-
agostino-und-robert-habeck-aeussern-sich_aid-113351157
Zurück
Endnote_34
Bericht aus Berlin vom 26.5.2024: Tina Hasselt im Gespräch mit
Armin Laschet: ab 20:33 Min.
https://www.ardmediathek.de/video/bericht-aus-berlin/
bericht-aus-berlin/das-erste/
Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2JlcmljaHQgYXVzIGJl
cmxpbi8yMDI0LTA1LTI2XzE4LTAwLU1FU1o Zurück
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