Beschädigung des Rechtsstaates
im Bundesdisziplinarrecht
Dort, wo ein Rechtsstaat seine Grundsätze selbst beschädigt, wächst der
Missbrauch gegenüber staatlicher Macht von ganz allein.
Inhaltsverzeichnis:
01 Reform des
Disziplinarrechts
des Bundes 02
Wer den Staat ablehnt, kann ihm nicht
dienen
03 Die freiheitlich-demokratische Grundordnung
04 Auftakt zur "Polizei-Säuberung" beim Bund 05
Die Größe der
"Polizei-Säuberung" in Zahlen
06 Bekenntnis zur fdGO ist
Einstellungsvoraussetzung
07 Verfassungsfeindliches Verhalten 08
Verfassungsfeindliche Denkmuster 09
Beamte und Angestellte im
öffentlichen Dienst 10 Politische Treuepflicht der Beamten
11 Mögliche Folgen der Verletzung der Treuepflicht durch Beamte
12 Verfassungsfeindliche Aktivitäten von Beamten 13
Unschuldsvermutung 14 Selbstreinigungsverfahren 15
Disziplinarverfahren und StPO 16
Anscheinsbeweis 17
Bekennende AfD-Mitglieder im Polizeidienst 18
Umgang mit Nestbeschmutzern 19
Zu guter Letzt 20 Quellen
01 Reform des
Disziplinarrechts des Bundes
TOP
Beamtinnen und Beamte, die nicht dazu bereit sind, sich aus
voller Überzeugung für die Grundwerte des Staates einzusetzen,
der ihnen Hoheitsaufgaben übertragen hat, haben im Staatsdienst
nichts zu suchen. Ein Staat aber, der diesen Beamten justiziable
Grundrechte entzieht, wozu auch die Unschuldsvermutung gehört,
greift zu Mitteln, die diesen Rechtsstaat in seinen Grundwerten
erschüttert.
Diesbezüglich heißt es
auf der Website des Bundesministeriums für Inneres und für
Heimat (BMI) am 30.3.2024 wie folgt:
BMI:
Am 1. April 2024 tritt die Reform des Disziplinarrechts des
Bundes in Kraft. Damit können Verfassungsfeinde schneller als
bisher aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden. Künftig
werden alle Disziplinarmaßnahmen, einschließlich der Entfernung
aus dem Dienst, durch Disziplinarverfügung der zuständigen
Behörde ausgesprochen. Das langwierige verwaltungsgerichtliche
Disziplinarklageverfahren entfällt. Dabei bleibt der
Rechtsschutz für Betroffene gewährleistet. Außerdem gilt
künftig, dass eine rechtskräftige Verurteilung wegen
Volksverhetzung bereits bei einer Freiheitsstrafe ab sechs
Monaten zum Verlust der Beamtenrechte führt.
Bundesinnenministerin Nancy
Faeser:
„Wir sind eine starke Demokratie, die sich gegen ihre Feinde zu
wehren weiß. Das zeigt unsere Reform des Disziplinarrechts, die
ab dem 1. April gilt. Künftig können Verfassungsfeinde deutlich
schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst entfernt
werden. Das gilt es nun konsequent durchzusetzen. Denn wer den
Staat ablehnt, kann ihm nicht dienen. Wir lassen nicht zu, dass
unser demokratischer Rechtsstaat von innen heraus von
Extremisten angegriffen wird. Jeder Extremismusfall im
öffentlichen Dienst muss deutliche Konsequenzen haben – gerade
auch zum Schutz des Ansehens der ganz überwältigenden Mehrheit
der Beschäftigten, die tagtäglich für unsere Demokratie
eintreten.“ [En01]
02
Wer den Staat ablehnt, kann ihm nicht dienen
TOP
Unter
diesem Leitspruch lässt sich der Tenor des neuen
Disziplinarrechts des Bundes durchaus einordnen. Inwieweit die
Disziplinargesetze der Länder den Neuerungen des
Disziplinargesetzes des Bundes angeglichen werden, bleibt
abzuwarten. In NRW wird ein eingeleitetes Disziplinarverfahren
von Gesetzes wegen immer eingestellt, wenn es dem Dienstherrn
nicht gelingt, einer Beamtin oder einem Beamten ein
Dienstvergehen nachzuweisen, siehe § 33 Disziplinargesetz für
das Land Nordrhein-Westfalen (Landesdisziplinargesetz - LDG
NRW).
§ 33 LDG
NRW (Einstellungsverfügung)
Anders ausgedrückt:
In NRW muss der Vorwurf, der sich gegen eine Polizeibeamtin oder
gegen einen Polizeibeamten richtet, vom Dienstherrn
erforderlichenfalls auch vor Gericht bewiesen werden. Kann er
das nicht, dann findet die Regelung des § 33 LDG NRW Anwendung.
Das heißt:
Nicht der Beamte muss beweisen, dass er ein Dienstvergehen
begangen hat, sondern dieser Nachweis obliegt dem Dienstherrn.
Diese Beweislast haben nunmehr die Beamtinnen und Beamten des
Bundes zu erbringen, wenn ihnen vorgehalten wird, sozusagen
nicht mit „beiden Füßen auf dem Fundament des Grundgesetzes zu
stehen“, der so genannten freiheitlich demokratischen
Grundordnung. Dazu gleich mehr.
03
Die freiheitlich-demokratische Grundordnung
TOP
Nur für
diejenigen, die nicht mehr oder noch nicht so ganz genau wissen,
was unter der Sprachfigur der „freiheitliche demokratischen
Grundordnung“ (fdGO)
zu verstehen ist, hier die Definition des
Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1952 zu diesem
unbestimmten Rechtsbegriff, zu dem sich die Richter anlässlich
des
SRP-Verbots
wie folgt positionierten:
BVerfG 1952:
Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21
Abs. 2 GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher
Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche
Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des
Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit
und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser
Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im
Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem
Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die
Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit
der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die
Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die
Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht
auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.
BVerfG,
Urteil vom 23. Oktober 1952 -- 1
BvB
1/51
Hinweis:
Ziel der Richter des Bundesverfassungsgerichts war es nicht, in
ihrem
SRP-Urteil
aus dem Jahr 1952 die „freiheitlich demokratische Grundordnung“
sozusagen für alle Zeiten abschließend zu definieren.
In
Anlehnung an den Verfassungsrechtler Gunther
Warg
wurde diese Sprachfigur von den Richtern des
Bundesverfassungsgerichts auch im Zusammenhang mit
NPD-Verbotsverfahrens im Jahr 2017 diesem unbestimmten
Rechtsbegriff wohl eher der Kern der freiheitlich demokratischen
Grundordnung, nämlich die Menschenwürde, in den Vordergrund
gerückt wurde, siehe BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BVB
1/13, aus dem im Folgenden die Leitsätze zitiert werden, die die
fdGO betreffen:
BVerfG 2017:
3. Der
Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne
von Art. 21 Abs. 2 GG umfasst nur jene zentralen
Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat
schlechthin unentbehrlich sind.
a) Ihren
Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische
Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die
Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung
personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die
elementare Rechtsgleichheit.
b)
Ferner ist das Demokratieprinzip konstitutiver Bestandteil der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Unverzichtbar für
ein demokratisches System sind die Möglichkeit
gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am
Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der
Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG).
c) Für
den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind
schließlich die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Rechtsbindung
der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle
dieser Bindung durch unabhängige Gerichte bestimmend. Zugleich
erfordert die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit des
Einzelnen, dass die Anwendung physischer Gewalt den gebundenen
und gerichtlicher Kontrolle unterliegenden staatlichen Organen
vorbehalten ist.
4. Der
Begriff des Beseitigens der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung bezeichnet die Abschaffung zumindest eines ihrer
Wesenselemente oder deren Ersetzung durch eine andere
Verfassungsordnung oder ein anderes Regierungssystem. Von einem
Beeinträchtigen ist auszugehen, wenn eine Partei nach ihrem
politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare
Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung
bewirkt.
BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BVB 1/13
Den Kern
der
fdGO
bilden somit die nachfolgend aufgelisteten Schutzgüter:
-
Menschwürde
-
Volkssouveränität
-
Gewaltenteilung
-
Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt
-
Gewaltmonopol des Staates sowie die
-
Unabhängigkeit der Gerichte.
Diese
Schutzgüter müssen, wenn Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamten
vorgeworfen wird, „nicht mehr auf dem Boden der freiheitlich
demokratischen Grundordnung zu stehen“ durch eine erkennbare
Feindlichkeit ihres Verhaltens in Frage gestellt werden.
Wie dem auch immer sei:
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die nicht mehr auf dem
Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen,
bilden – so zumindest auch die Position von NRW-Innenminister
Herbert
Reul
(CDU) eine große Gefahr für die Demokratie.
TAZ.de
vom 4.4.204:
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert
Reul
sagte dem Stern: „Polizistinnen und Polizisten, die nicht auf
dem Boden der Verfassung stehen, sondern extremistische
Ansichten verfolgen, sind eine große Gefahr für die Demokratie
und die Rechtsstaatlichkeit.“ Diese Menschen wolle er in der
Polizei nicht haben, sagte der CDU-Politiker [En02].
Aber:
Wie „verfassungsfeindlich“ und „rechtsextremistisch“ zu
definieren sind, diese Frage ist bisher bedauerlicherweise
unbeantwortet geblieben. Wer sich in diesem Bereich des
Ungeklärtseins und „Nicht-Definiertseins“ vor Augen hält, und
davon ausgeht, dass bereits derjenigen als Verfassungsfeind
angesehen werden können, die an zwei Geschlechtern festhalten,
sich als Impfverweigerer geoutet haben oder gar bekennende
Mitglieder der AfD sind, denen braucht wohl nicht erklärt zu
werden, dass alles, was den „richtigen Demokraten“ nicht
gefällt, verfassungswidrig sein könnte.
Womit
sich wieder die Tür zu dem Thema öffnet, das hier erörtert
werden soll und das da lautet: Wie kann eine Polizei effektiv
von Verfassungsfeinden geschützt werden?
Offensichtlich scheint die Gefahr ja so groß zu sein, dass sogar
namhafte Politiker um den Bestand der Demokratie fürchten, wenn
dementsprechend nicht mit hartem Besen die Polizei von
„verfassungsfeindlichen Elementen“ gesäubert wird.
04
Auftakt zur "Polizei-Säuberung" beim Bund
TOP
Das neue
Disziplinarrecht des Bundes, das lässt es seit dem 1. April 2024
zu, unliebsame Beamte ohne Gerichtsbeschluss aus dem Dienst zu
entfernen – und das ist kein Aprilscherz. Wenn also die von der
„Säuberung“ betroffenen Beamtinnen und Beamten ihre
Verfassungstreue nicht beweisen können, so lässt es nunmehr das
Bundesdisziplinargesetz des Bundes zu, unliebsame Beamte
sozusagen ohne Gerichtsbeschluss vor die Tür gesetzt.
05
Die Größe der "Polizei-Säuberung" in Zahlen
TOP
Von
190.000 Bundesbeamten sind im Jahr 2021 weniger als 0,2 Prozent
„disziplinarisch auffällig“ geworden. In den Medien hieß es
auch: „Hunderte Polizisten unter Extremismusverdacht“.
Tagesschau.de
vom 4.4.2024:
Etwa 400 Polizistinnen und Polizisten der Länder stehen unter
Rechtsextremismus-Verdacht. (…) Der zuständige
Bundesbeauftragte, Grötsch, nennt die Gefahr groß wie nie
[En03].
Die
Frage, die sich zuerst einmal stellt, lautet aber:
Reichen
400 Verdachtsfälle angesichts von rund 330.000 Polizisten in
Bund und Ländern aus, einen bedauernswerten Zustand zu einer
ernsthaften Gefahr für die Demokratie in Deutschland
aufzubauschen?
Natürlich:
Von jeder Beamtin und jedem Beamten kann, nein muss erwartet
werden, dass sie oder er sich zu den Grundwerten seines
Arbeitgebers bekennt und darüber hinausgehend natürlich auch
dazu bereit ist, sich für den Erhalt der Grundwerte dieses
Staates aktiv einzusetzen. Aber bedeutet das zwangsläufig auch,
dass jedes Denken rechts der Mitte bereits als
verfassungsfeindlich angesehen werden kann. Wohl kaum, denn
bereits im Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes heißt es:
(3) Niemand
darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse,
seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens,
seiner religiösen oder
politischen Anschauungen
benachteiligt oder bevorzugt werden.
Hinsichtlich ihrer politischen Anschauungen haben Beamtinnen und
Beamte sich jedoch in Zurückhaltung zu über. Dazu gleich mehr.
06
Bekenntnis zur fdGO ist Einstellungsvoraussetzung
TOP
Im hier
zu erörternden Sachzusammenhang muss es ausreichen, darauf
hinzuweisen, dass Bewerberinnen und Bewerber, die das
Auswahlverfahren für den Einstieg in den Polizeivollzugsdienst
bestanden haben, vor ihrer Einstellung sich zur freiheitlich
demokratischen Grundordnung bekennen müssen.
In der
Regel reicht es aus, den Text aus dem oben bereits mitgeteilten
SRP-Urteil
zur fdGO aus dem Jahr 1952 zu lesen und durch Leistung der
Unterschrift anzuerkennen.
Darüber
hinausgehend prüft die
Einstellungsbehörde
natürlich auch, ob die Person, die in den Polizeivollzugsdienst
eingestellt werden will, bereits durch strafbares Verhalten
auffällig geworden ist. In Hessen wird sogar der
Verfassungsschutz bemüht, die bzw. den Bewerber zu überprüfen.
Mehr als eine Sichtung vorhandener Daten dürfte damit aber wohl
nicht gemeint sein.
Wie dem auch immer sei:
Natürlich wird auch im Rahmen eines Einstellungsgespräches, das
mit zum Auswahlverfahren gehört, versucht, in Erfahrung zu
bringen, wie Bewerber über Werte denkt, die zur fdGO gehören.
Kurzum:
In einem maximal 30 Minuten dauernden Gesprächs wäre es aber
nicht einmal professionellen Psychotherapeuten möglich, das in
Erfahrung zu bringen, was als verfassungsfeindliche
Einstellungen sich in der Person der Bewerber tatsächlich
versteckt halten.
Anders ausgedrückt:
Nur unter Nutzung der KI wäre es zumindest vorstellbar,
diesbezüglich mehr „Klarheit“ zu gewinnen. Das aber würde
voraussetzen, Bewerber vor eine Videokamera zu setzen und die
von dieser Videokamera erzeugten Bilder durch eine spezielle
Software auswerten zu lassen, deren Aufgabe dann darin besteht,
die für das menschliche Auge nicht sichtbaren „Informationen“ zu
erfassen, die Auskunft darüber geben, ob das, was die Person
sagt, auch tatsächlich mit dem übereinstimmt, was die Person
denkt. Nur zur Erinnerung. In einer Meldung des Südwestrundfunks
(SWR) vom 5.9.2017 hieß es:
SWR.de
2017:
Kann man Kriminelle per Software erkennen? Eine israelische
Firma hat eine neue Software zur automatischen Gesichtserkennung
entwickelt. „Faception“ liefert die Charaktereigenschaften einer
Person gleich mit. Denn unsere Persönlichkeit, so die These, die
stehe uns ins Gesicht geschrieben. Lassen sich damit auch
Kriminelle erkennen?
Die
Software „Faception“ analysiert die Struktur eines Gesichts und
leitet daraus Vorhersagen über die Persönlichkeit eines Menschen
und sein Verhalten ab. So kann die Software sagen, ob jemand
eher extrovertiert oder introvertiert ist. Oder ob von jemandem
eine Gefahr ausgeht, weil er beispielsweise pädophile Züge hat,
oder ob er unschuldig ist – dies behaupten die Macher der
Faception-Software.
Einen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass man aus den
Gesichtszügen eines Menschen auf seine Persönlichkeit schließen
kann, gibt es allerdings nicht [En04].
Anders ausgedrückt:
So lange
wie Polizeibeamte, die Einstellungsgespräche durchführen, nur
auf ihre fünf Sinne angewiesen sind, wird es ihnen wohl nicht
möglich sein, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit
Personen zu identifizieren, aus denen sich in Zukunft sozusagen
„beamtete Verfassungsfeinde“ entwickeln könnten. Vielleicht
abschließend zum Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen
Grundordnung noch eine Anmerkung. Diesem Bekenntnis liegt die
gleiche – wenn auch nicht so umfangreiche – durch
Unterschriftsleistung abzugebende Erklärung zugrunde, die auch
von jeder Einbürgerungsbewerberin und jedem
Einbürgerungsbewerber unterschrieben werden muss, wie das dem
nachfolgenden Informationsblatt der Stadt Dortmund entnommen
werden kann.
Information für Einbürgerungsbewerberinnen und
-bewerber:
Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung
07
Verfassungsfeindliches Verhalten
TOP
Der
Artikel 21 GG (Parteien) wurde im Jahr 2017 geändert. Die neu in
den Artikel aufgenommene Formulierung des Absatzes 3 lässt den
Schluss zu, dass „auch das Verhalten ihrer Anhänger“,
verfassungsfeindlich sein kann. Gemeint ist das Verhalten von
Personen, die sich zu verfassungswidrigen Parteien bekennen und
dadurch in Konflikt mit der „freiheitlich demokratischen
Grundordnung“ geraten können.
Art.
21 Abs. 3 GG (3)
Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer
Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche
demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen
oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden,
sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. [...].
In
Anlehnung an diese Formulierung halte ich es zumindest für
nachvollziehbar, dass dieses verfassungsfeindliche Verhalten von
Einzelpersonen (Anhänger verfassungswidriger Parteien) auch
losgelöst von Parteien auch auf das Verhalten von Personen
angewendet werden kann, die gleiche Ziele verfolgen, aber nicht
Mitglied einer verbotenen Partei sind.
Wie oben
bereits festgestellt, können sich auch Einzelpersonen
verfassungsfeindlich verhalten. Die folgende Auflistung von
Einstellungen und Verhalten, die mit der freiheitlich
demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbaren sind, habe ich
dem Urteil des BVerfG vom 23. Januar 2024 entnommen, in dem der
Partei „Die Heimat“ (vormals NPD) für die Dauer von sechs Jahren
von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen wurde,
siehe BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 - 2
BvB
1/19.
Hinweis:
Dort getätigte Ausführungen habe ich sprachlich so verändert,
dass sie nunmehr zum hier zu erörternden Thema passen.
Anders ausgedrückt:
Aufgelistet werden im Folgenden nur Positionen, die auch aus
höchstrichterlicher Sicht als mit der fdGO nicht vereinbar
angesehen werden können. In ihrem Urteil stellten die Richter
2017 fest, welche verfassungsfeindlichen Grundtendenzen von
einer Partei ausgehen, die auf ihr typische Art und Weise ihren
politischen Standpunkt vertritt. Das dürfte auch für die
Mitglieder einer solchen Partei und auch auf andere Personen
zutreffen, die gleichermaßen sozusagen einer rechtsgerichteten
Ideologie nachgehen.
08
Verfassungsfeindliche Denkmuster
TOP
Die
folgenden Denkmuster sollen aufzeigen, wo
„Verfassungsfeindlichkeit“ beginnt.
Der
Begriff des „Anhängers einer verfassungsfeindlichen Ideologie“
setzt nicht voraus, dass die Zurechnung verfassungsfeindlichen
Verhaltens zu einer politischen Partei durch ein
Mitgliedschaftsverhältnis vermittelt sein muss.
Personen
verfolgten auch dann verfassungsfeindliche Ziele, wenn sie sich
nicht eindeutig dazu bekennen, physische Gewalt als Mittel der
politischen Auseinandersetzung auszuschließen.
Die fdGO
verbietet in einer multikulturellen Gesellschaft den Rückgriff
auf eine fremdenfeindliche Rhetorik und eine vehemente
Polemisierung.
Die fdGO
verbietet natürlich auch die Verherrlichung des
Nationalsozialismus und seiner Verbrechen sowie
Fremdenfeindlichkeiten jeglicher Art.
Die fdGO
lässt es nicht zu, kommunikativ gegen den Zuzug von
Asylbewerbern in einer Weise zu mobilisieren, die die
Herabwürdigung der Asylbewerber mit verfassungsfeindlichen
Äußerungen verbindet.
Die fdGO
verbietet die Verharmlosung beziehungsweise Verherrlichung des
Nationalsozialismus und seiner Verbrechen sowie
Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rassismus etc.
Eine
verfassungsfeindliche Ideologie und aggressiv-kämpferisches
Verhalten zulasten gesellschaftlicher Minderheiten, politisch
Andersdenkender sowie demokratischer Prozesse lässt die fdGO
ebenfalls nicht zu.
Dazu
gehört auch eine gesteigerte Akzeptanz rechtsextremistischer,
demokratiefeindlicher Ansichten in der Gesellschaft.
Auch
Überzeugungen die bewirken, dass die gesellschaftliche Präsenz
verfassungsfeindlicher rechtsextremistischer Ansichten in
einigen Gegenden Ostdeutschlands zur Normalität gehören,
entspricht nicht dem Verständnis der fdGO.
Rassistisch motivierte Fremdenfeindlichkeit zeige sich, wenn in
Bezug auf Asylbewerber Begriffe wie „entartete Menschen“,
„Negerbande“, „lautstarke und alkoholisierte Asyl-Neger“,
„Scheinasylanten“, „Asyl-Betrüger“, „Moslem-Extremisten“ oder
„kriminelle Ausländer“ verwendet würden. Das entspricht nicht
dem Vorstellungsbild der fdGO.
Diffamierende und hetzerische Rhetorik im Hinblick auf den
ausufernden Missbrauch des Asylrechts sind keine Kritik am
ausufernden Asylmissbrauch, sondern solche Äußerungen sind nicht
vom Vorstellungsbild der fdGO umfasst.
Soweit mein
Versuch, Ausführungen aus dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 - 2
BvB
1/13 dem hier zu erörternden Thema sozusagen analog zugänglich
zu machen.
09
Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst
TOP
Wer eine
Verwendung im öffentlichen Dienst anstrebt, muss im Rahmen
seiner Eignungsprüfung gewährleisten, jederzeit für die
freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten. Diese
Bereitschaft wird von allen Bediensteten erwartet, nicht nur,
aber insbesondere auch, von den Beamtinnen und Beamten.
Beamtinnen
und Beamte müssen darüber hinausgehend der so genannten
politischen Treuepflicht
genügen,
und zwar unabhängig von ihrer jeweils eingenommenen Funktion.
10
Politische Treuepflicht der Beamten
TOP
Im
Grundgesetz wird der Zugang nicht nur zum Berufsbeamtentum,
sondern insgesamt zum öffentlichen Dienst als ein
grundrechtsgleiches Recht gewährleistet, siehe Art. 33 GG.
Art. 33
GG (Staatsbürgerliche Rechte)
Zur
Eignung von Bediensteten, die im öffentlichen Dienst verwendet
werden wollen gehört die Bereitschaft, wie oben bereits
festgestellt, sich jederzeit für die freiheitliche demokratische
Grundordnung einzutreten.
Die
politische Treuepflicht hingegen gilt nur für
Beamtenverhältnisse, unabhängig von der jeweils wahrgenommenen
Funktion. Hinsichtlich der politischen Treuepflicht der Beamten
heißt es in einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus
dem Jahr 1975 wie folgt:
BVerfG 1975:
Die politische Treuepflicht - Staats- und Verfassungstreue -
fordert mehr als nur eine formale korrekte, im übrigen
uninteressierte, kühle, innerlich distanzierte Haltung gegenüber
Staat und Verfassung; sie fordert vom Beamten insbesondere, dass
er sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die
diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende
Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Vom
Beamten wird erwartet, dass er diesen Staat und seine Verfassung
als einen hohen positiven Wert erkennt und anerkennt, für den
einzutreten sich lohnt. Politische Treuepflicht bewährt sich in
Krisenzeiten und in ernsthaften Konfliktsituationen, in denen
der Staat darauf angewiesen ist, dass der Beamte Partei für ihn
ergreift. Der Staat - und das heißt, hier konkreter, jede
verfassungsmäßige Regierung und die Bürger - muss sich darauf
verlassen können, dass der Beamte in seiner Amtsführung
Verantwortung für diesen Staat, für „seinen“ Staat zu tragen
bereit ist, dass er sich in dem Staat, dem er dienen soll, zu
Hause fühlt - jetzt und jederzeit und nicht erst, wenn die von
ihm erstrebten Veränderungen durch entsprechende
Verfassungsänderungen verwirklicht worden sind.
Die
hergebrachte Treuepflicht des Beamten erhält unter der Geltung
des Grundgesetzes ein besonderes Gewicht dadurch, dass diese
Verfassung nicht wertneutral ist, sondern sich für zentrale
Grundwerte entscheidet, sie in ihren Schutz nimmt und dem Staat
aufgibt, sie zu sichern und sie zu gewährleisten (Art. 1 GG).
Sie trifft Vorkehrungen gegen ihre Bedrohung, sie
institutionalisiert besondere Verfahren zur Abwehr von Angriffen
auf die verfassungsmäßige Ordnung, sie konstituiert eine
wehrhafte Demokratie.
BVerfG,
Beschluss vom 22.05.1975 - 2
BvL
13/73
Welchen
Anforderungen zukünftige Beamte bzw. Angestellte im öffentlichen
Dienst hinsichtlich ihres öffentlich-rechtlichen Dienst- und
Treueverhältnisses entsprechen müssen, das kann einem Beschluss
des BVerfG vom 19. September 2007 - 2
BvF
3/02 entnommen werden, aus dem im Folgenden zitiert wird.
BVerfG 2007:
Gegenstand der Einrichtungsgarantie [des Berufsbeamtentums = AR]
ist der Kernbestand von Strukturprinzipien, die sich in der
Tradition entwickelt und bewährt haben (...). Die Entwicklung
des Berufsbeamtentums ist historisch eng mit derjenigen des
Rechtsstaats verknüpft: War der Beamte ursprünglich allein dem
Regenten verpflichtet, wandelte er sich mit dem veränderten
Staatsverständnis vom Fürsten- zum Staatsdiener. Seine Aufgabe
war und ist es, Verfassung und Gesetz im Interesse des Bürgers
auch und gerade gegen die Staatsspitze zu behaupten. Die
Übernahme der funktionswesentlichen tradierten Grundstrukturen
des Berufsbeamtentums in das Grundgesetz beruht auf einer
Funktionsbestimmung des Berufsbeamtentums als Institution, die,
gegründet auf Sachwissen, fachliche Leistung und loyale
Pflichterfüllung, eine stabile Verwaltung sichern und damit
einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatswesen
gestaltenden politischen Kräften bilden soll (...).
Sie trägt
gleichzeitig auch der Tatsache Rechnung, dass im demokratischen
Staatswesen Herrschaft stets nur auf Zeit vergeben wird und die
Verwaltung schon im Hinblick auf die wechselnde politische
Ausrichtung der jeweiligen Staatsführung neutral sein
muss
(...). Insoweit kann die strikte Bindung an Recht und
Gemeinwohl, auf die die historische Ausformung des deutschen
Berufsbeamtentums ausgerichtet ist, auch als Funktionsbedingung
der Demokratie begriffen werden.
Gerade im
Interesse des Bürgers sind im Bereich des Funktionsvorbehalts
besondere Anforderungen an die Art und Qualität der
beamtlichen
Aufgabenerfüllung zu stellen. Zum Gewährleistungsbereich des
Art. 33 Abs. 4 GG gehören jene Aufgaben, deren Wahrnehmung die
besonderen Verlässlichkeits-, Stetigkeits- und
Rechtsstaatlichkeitsgarantien des Beamtentums erfordert (...).
Seine
Aufgabe kann das Berufsbeamtentum nur erfüllen, wenn es
rechtlich und wirtschaftlich gesichert ist (...). Nur wenn die
innere und äußere Unabhängigkeit gewährleistet ist und
Widerspruch nicht das Risiko einer Bedrohung der
Lebensgrundlagen des Amtsträgers und seiner Familie in sich
birgt, kann realistischerweise erwartet werden, dass ein Beamter
auch dann auf rechtsstaatlicher Amtsführung beharrt, wenn sie
(partei-)politisch unerwünscht sein sollte.
Die
hergebrachten Grundsätze und mithin die Institution des
deutschen Berufsbeamtentums werden durch Art. 33 Abs. 5 GG
demnach nicht um ihrer selbst willen geschützt. Die
Verfassungsbestimmung konserviert nicht »das Gestrige«, sondern
übernimmt nur die tradierten und funktionswesentlichen
Grundstrukturen des Berufsbeamtentums. Die Mütter und Väter des
Grundgesetzes verstanden das Berufsbeamtentum insoweit als ein
Instrument zur Sicherung von Rechtsstaat und Gesetzmäßigkeit der
Verwaltung. Hierfür erschien ihnen ein auf Sachwissen
gegründeter, unabhängiger Beamtenapparat unerlässlich.
Die
für den Kerngehalt der hergebrachten Grundsätze des
Berufsbeamtentums geltende
Beachtenspflicht
versperrt den Weg zu tiefgreifenden strukturellen Veränderungen
durch den einfachen
Gesetzgeber
(...). Solange eine strukturelle Veränderung an den für
Erscheinungsbild und Funktion des Berufsbeamtentums wesentlichen
Regelungen nicht vorgenommen wird, steht Art. 33 Abs. 5 GG einer
Weiterentwicklung des Beamtenrechts nicht entgegen (...). In der
Pflicht zur »Berücksichtigung« ist vielmehr eine
Entwicklungsoffenheit angelegt, die den Gesetzgeber in die Lage
versetzt, die Ausgestaltung des Dienstrechts den jeweiligen
Entwicklungen der Staatlichkeit anzupassen und das Beamtenrecht
damit »in die Zeit« zu stellen. Die Strukturentscheidung des
Art. 33 Abs. 5 GG belässt ausreichend Raum, die geschichtlich
gewachsene Institution in den Rahmen unseres heutigen
Staatslebens einzufügen (...) und den Funktionen anzupassen, die
das Grundgesetz dem öffentlichen Dienst in der freiheitlichen,
rechts- und sozialstaatlichen Demokratie zuschreibt (...).
Veränderungen, mit denen die Funktionsfähigkeit des
Berufsbeamtentums aufrechterhalten und seine Leistungsfähigkeit
gesteigert werden sollen, verstoßen daher nur dann gegen Art. 33
Abs. 5 GG, wenn sie in den Kernbestand von Strukturprinzipien
eingreifen
(...). Das Grundgesetz erlaubt damit eine stete Fortentwicklung,
die das Beamtenrecht in seinen einzelnen Ausprägungen den
veränderten Umständen anpasst.
BVerfG,
Beschluss vom 19. September 2007 - 2
BvF
3/02
Mit anderen Worten:
Das Berufsbeamtentum und auch eine Verwendung als Angestellte
oder als Angestellter im öffentlichen Dienst lässt sich im
Staatssystem der Bundesrepublik Deutschland als eine Institution
verstehen, die Demokratie erst ermöglicht, weil die strikte
Bindung an das Recht und an die Förderung des Gemeinwohls
parteiliche Interessen zurücktreten lässt.
Im
Folgenden werden die einschlägigen Bestimmungen des
Bundesbeamtengesetzes (BBG), die Treuepflicht des Beamten im
Hinblick auf sein Eintreten für die freiheitlich demokratische
Grundordnung betreffend, auszugsweise zitiert.
Hinweis:
Alle Länderbeamtengesetze enthalten vergleichbare Regelungen.
§ 7
BBG (Voraussetzungen des Beamtenverhältnisses) (1) In
das Beamtenverhältnis darf berufen werden, wer 2. die Gewähr
dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische
Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten,
§ 60
BBG (Grundpflichten) (1)
Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer
Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu
erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen.
Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten
zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des
Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.
(2)
Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige
Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer
Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf
die Pflichten ihres Amtes ergeben.
§ 67
BBG (Verschwiegenheitspflicht) (1)
Beamtinnen und Beamte haben über die ihnen bei oder bei
Gelegenheit ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen
dienstlichen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren.
[...].
Abs. 2
Nr. 4
Im
Übrigen bleiben die gesetzlich begründeten Pflichten, geplante
Straftaten anzuzeigen und für die Erhaltung der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung einzutreten, von Absatz 1 unberührt.
§ 77
BBG (Nichterfüllung von Pflichten) (2) Bei
Ruhestandsbeamtinnen und Ruhestandsbeamten sowie früheren
Beamtinnen mit Versorgungsbezügen und früheren Beamten mit
Versorgungsbezügen gilt es als Dienstvergehen, wenn sie
1. sich
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des
Grundgesetzes betätigen.
11
Mögliche Folgen der Verletzung der Treuepflicht durch Beamte
TOP
Diesbezüglich heißt es in einem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2021 wie folgt:
BVerwG
2021:
Leitsatz: Ein Beamter, der die rechtliche Existenz der
Bundesrepublik Deutschland dadurch leugnet, dass er in einem
Antrag auf Erteilung eines Staatsangehörigkeitsausweises als
Geburts- und Wohnsitzstaat auch für die Zeit nach Gründung der
Bundesrepublik Deutschland durchgehend „Königreich Bayern“
angibt und sich mehrfach auf das Reichs- und
Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG)
„Stand 1913“ bezieht, verletzt in schwerwiegender Weise seine
Verfassungstreuepflicht (§ 60 Abs. 1 Satz 3 BBG) und kann
deshalb im Disziplinarwege aus dem Beamtenverhältnis entfernt
werden.
Das in
der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geforderte „Mehr“
als das bloße Haben und Mitteilen einer bestimmten Überzeugung
ist nicht erst bei einem offensiven Werben des Beamten für eine
mit der Verfassungstreuepflicht unvereinbaren politischen
Überzeugung erreicht. So kann ein disziplinarisch zu ahndendes
Dienstvergehen auch etwa darin liegen, dass ein Beamter seine
der verfassungsmäßigen Ordnung zuwiderlaufende Einstellung durch
das Tragen einer Tätowierung mit verfassungsfeindlichem Inhalt
kundtut, und zwar selbst dann, wenn er seine Überzeugung nur
unter Gleichgesinnten offenbart, etwa um sich als von den
„Anderen“ abgrenzbare Gruppe zu identifizieren und zu
solidarisieren.
Die
Verletzung der Pflicht zur Treue zur Verfassung (§ 60 Abs. 1
Satz 3 BBG) ist so schwerwiegend, dass bei der Maßnahmebemessung
nach § 13
BDG
von der höchsten Maßnahme, der Entfernung aus dem
Beamtenverhältnis (§ 10
BDG),
auszugehen ist. Dies folgt aus der Unverzichtbarkeit der
Verfassungstreue im Beamtenverhältnis. Die Verfassungstreue ist
ein Eignungsmerkmal für Beamte. Personen, die sich nicht zu der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des
Grundgesetzes bekennen und nicht für deren Erhaltung eintreten,
kann von den Bürgern nicht das für die Wahrnehmung des
öffentlichen Amtes berufserforderliche Vertrauen
entgegengebracht werden.
Es ist
unmöglich, die rechtliche Existenz der Bundesrepublik zu leugnen
und sich zugleich zu deren Grundordnung zu bekennen und sich für
diese einzusetzen, wie es gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 BBG von
Beamten und Beamtinnen verlangt wird. Wer die rechtliche
Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnet, verletzt in
schwerwiegender Weise seine Verfassungstreuepflicht und kann
deshalb im Disziplinarwege aus dem Beamtenverhältnis entfernt
werden.
Urteil des
BVerwG
vom 2.12.2021, Az. 2 A 7.21
Hinweis:
Es dürfte deutlich geworden sein, dass von Polizeibeamtinnen und
Polizeibeamten erwartet werden kann, dass sie sich im Rahmen
ihrer Möglichkeiten für den Erhalt der freiheitlich
demokratischen Grundordnung einsetzen müssen und alles zu
unterlassen haben, was nachweisbar Zweifel an ihrer
Verfassungstreue aufkommen lassen kann.
12
Verfassungsfeindliche Aktivitäten von Beamten
TOP
Auch
wenn es sich bei den nachfolgenden Zitaten aus einem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2023 um
Dienstverfehlungen eines Soldaten im Ruhestand handelte, dessen
verfassungsfeindliche Aktivitäten so schwerwiegend waren, dass
ihm die Ruhestandsbezüge aberkannt werden sollten, lassen sich
die Ausführungen dennoch vollumfänglich auf alle schwerwiegenden
Verletzungen der Treuepflicht von Beamten im Hinblick auf ihr
Bekenntnis und ihr Verhalten zur freiheitlich demokratischen
Grundordnung analog anwenden.
BVerwG 2023:
Leitsätze: 1. Eine verfassungsfeindliche Betätigung früherer
Soldaten im Sinne des § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG setzt
Aktivitäten feindseliger Art voraus. Darunter fällt auch die
Diffamierung und Delegitimierung demokratisch gewählter
Staatsorgane.
2. Bei
objektiv verfassungsfeindlichen Betätigungen, die nicht von
einer verfassungsfeindlichen Gesinnung getragen sind, bildet die
Kürzung des Ruhegehaltes den Ausgangspunkt der
Zumessungserwägungen, sofern nicht der Eindruck einer besonders
hohen Identifikation mit einer verfassungswidrigen
Weltanschauung entsteht.
Bei der
disziplinarrechtlichen Würdigung von Äußerungen ist von ihrem
objektiven Erklärungsgehalt auszugehen, wie ihn ein unbefangener
Dritter verstehen muss. Dabei sind alle Begleitumstände
einschließlich des Kontextes und der sprachlichen und
gesellschaftlichen Ebene, auf der sich die Bekundung bewegt, zu
berücksichtigen. Maßgeblich für die Deutung ist nicht die
subjektive Absicht des Soldaten, sondern der Sinn, den die
Bekundung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und
verständigen Dritten hat. Bei mehrdeutigen Bekundungen müssen
andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen
werden, bevor ihnen eine zu einer Sanktionierung führende
Bedeutung zugrunde gelegt wird.
Bei der
solchermaßen gebotenen Gesamtschau ergibt die objektive
Auslegung der streitgegenständlichen Äußerungen, dass die
staatlichen Eingriffsmaßnahmen, die seinerzeit in der Amtszeit
von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesgesundheitsminister
Jens Spahn zur Bekämpfung des COVID-19-Virus ergriffen wurden,
nach Auffassung des früheren Soldaten gegen Menschenrechte
verstoßen (Anschuldigungspunkt 3) und aus dessen Sicht auf eine
staatliche Diktatur (Anschuldigungspunkte 1, 2, 8, 10) oder
einen (gesellschaftlichen) Kollaps (Anschuldigungspunkt 6)
hinauslaufen bzw. bereits zu einer Diktatur geführt haben
(Anschuldigungspunkt 11).
Als
Hintergrund nimmt er an, durch die Maßnahmen solle eine „Neue
Weltordnung“ (...), nämlich eine weltweit geplante Diktatur
(Anschuldigungspunkt 8), begründet werden (Anschuldigungspunkt
1), für die etwa Bill Gates stehe (Anschuldigungspunkt 3), und
der nur mit Hilfe der (früheren) Alliierten begegnet werden
könne (Anschuldigungspunkt 10). Dabei werde dieser Vorgang durch
die (nationalen) Medien gezielt flankiert (Anschuldigungspunkt
4). Der frühere Soldat verbindet damit Appelle an die Nutzer von
Facebook, „Freunde- und Nachbar-Schlafschafe“ aufzuklären, damit
sie nicht ihre letzten Rechte an eine weltweit geplante Diktatur
abgeben (Anschuldigungspunkt 8), und an die Bevölkerung (sich
„von dieser Diktatur nicht unterkriegen“ zu lassen, sondern
dagegen einen „Krieg“ zu führen (Anschuldigungspunkt 1). Vor
allem richtet er wiederholt unter ausdrücklichem Hinweis auf den
von ihnen geschworenen Eid (Anschuldigungspunkt 5, 6, 7) einen
Appell an alle ehemaligen und aktiven (deutschen) Soldaten, das
Recht und die Freiheit des
Deutschen
Volkes tapfer zu verteidigen (Anschuldigungspunkt 5) und für die
Bevölkerung einzutreten (Anschuldigungspunkt 7).
Für die
Ernsthaftigkeit des Vorwurfs sprechen schließlich die
zahlreichen Appelle, die der frühere Soldat an die
Internetnutzer und an seine Kameraden richtet, die
Freiheitsrechte zu verteidigen, sich von dieser Diktatur nicht
unterkriegen zu lassen, sich an den Soldateneid zu erinnern und
einen Krieg zu führen, den man mit Mut gewinne
(Anschuldigungspunkte 2, 5, 6, 7 und 11).
Aber:
Hinsichtlich der Verhängung disziplinarischer Maßnahmen in
Verbindung mit der dazu notwendigen Beweisführung des
Dienstherren, der vor Gericht beweisen muss, dass ein Beamter
tatsächlich Dienstverfehlungen begangen hat, heißt es in dem
Urteil an anderer Stelle wie folgt:
BVerwG 2023:
Die
vorliegenden Äußerungen [die dem Soldaten im Ruhestand als
Dienstverfehlungen vorgehalten wurden] fallen in den
Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit nach Art. 5
Abs. 1 Satz 1 GG. Denn es schützt jedwede durch das Element der
Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnete Äußerung
unabhängig davon, ob sie sich als wahr oder unwahr erweist,
begründet oder grundlos, emotional oder rational, wertvoll oder
wertlos, gefährlich oder harmlos ist. Dass eine Aussage
polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht dem
Schutzbereich des Grundrechts, sofern sie noch nicht den Grad
einer Formalbeleidigung oder Schmähkritik erreichen.
Es ist
Aufgabe des Tatrichters, ohne Bindung an feste gesetzliche
Beweisregeln und nur nach seinem Gewissen verantwortlich zu
entscheiden, ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und
sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder
nicht. Dabei haben Zweifel außer Betracht zu bleiben, die realer
Anknüpfungspunkte entbehren und auf einer lediglich
denktheoretischen Möglichkeit gründen. Die für den Nachweis
eines Umstandes erforderliche Überzeugungsgewissheit erfordert
ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit,
demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen, wobei der
Beweis mit lückenlosen, nachvollziehbaren logischen Argumenten
geführt sein muss. Allein damit wird die Unschuldsvermutung
widerlegt.
Bei
Soldaten, die in einem aktiven Dienstverhältnis stehen, ist die
Höchstmaßnahme regelmäßig dann zu verhängen, wenn deren
Verhalten Ausdruck einer tatsächlich verfassungsfeindlichen
Gesinnung - sei sie nationalsozialistischer oder
„reichsbürgerischer“ Art - ist.
Bei
niedrigschwelligeren Verhaltensweisen bildet grundsätzlich ein
Beförderungsverbot den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen;
insbesondere bei einmaligen, unüberlegten oder
aus jugendlicher
Unreife verübten Verstößen
dieser Art können gerichtliche Disziplinarmaßnahmen aber auch
unangemessen und einfache Disziplinarmaßnahmen oder
erzieherische Maßnahmen angezeigt sein.
BVerwG,
Urteil vom 14.06.2023 - 2 WD 11.22
Den
bisher vorgetragenen höchstrichterlichen Ausführungen sowohl zur
Verfassungstreue als auch zur politischen Treuepflicht von
Beamtinnen und Beamten kann entnommen werden, dass es im Rahmen
von Disziplinarverfahren eine Verpflichtung des Dienstherren
ist, eine von ihm festgestellte beamtenrechtliche Verfehlung
nachzuweisen. Das gilt insbesondere für verhängte
Disziplinarmaßnahmen, mit denen die davon betroffenen Beamten
nicht einverstanden sind und als Folge davon die jeweils
verhängte Disziplinarmaßnahme verwaltungsgerichtlich überprüfen
lassen.
Auch vor
Gericht gilt, dass eine getroffene Disziplinarmaßnahme nur dann
gerichtlich bestätigt werden kann, wenn es dem Dienstherrn
gelingt, die streitgegenständliche Dienstverfehlung
nachzuweisen.
Solange,
wie das dem Dienstherrn nicht gelingt, gilt die so genannte
Unschuldsvermutung.
13
Unschuldsvermutung
TOP
Die
Unschuldsvermutung gehört zu den Grundprinzipien eines
rechtsstaatlichen Strafverfahrens, welches besagt, dass jede
Person, der eine Straftat vorgeworfen wird, (im
Analogieverfahren gilt das auch die Dienstvergehen) solange als
unschuldig gilt, bis ihre Schuld rechtskräftig nachgewiesen ist.
Das Gegenstück dazu ist die Schuldvermutung.
In seinem Buch "Verachtung nach unten - Wie eine Moralelite die
Bürgergesellschaft bedroht und wie wir sie verteidigen können",
schreibt Alexander Wendt Folgendes:
Alexander Wendt: Zu den vor Willkür schützenden
Grundsätzen im Recht [...] gehört beispielsweise [auch] die
Unschuldsvermutung. Die Regel "ei incumbit probatio qui dicit,
non qui negat" (wer eine Behauptung aufstell, trägt die Last des
Beweises, nicht der, der bestreitet), findet sich schon in der
Gesetzessammlung, die der byzantinische Kaiser Justiani im 6.
Jahrhundert anlegen ließ. Der Kirchenrechtler und Kardinal Jean
Lemoine (1250 - 1313) prägte die Formel, die bis heute
unverändert gilt: "item quilbet presumitur innocens nisi
probetur nocens", eine Person ist als unschuldig anzusehen, bis
ihre Schuld bewiesen ist. Es dauerte sehr lange, bis sich dieser
Gedanke auch in der europäischen Rechtspraxis vollständig
durchsetzte (Seite 318).
Wie einfach es ist, diesen Rechtsgrundsatz heute aufzugeben,
gibt Anlass, sich um die Zukunft des Rechtsstaates Deutschland
ernsthaft zu sorgen und zwar auch dann, wenn "lediglich" in
einem Teilbereich des öffentlichen Rechts, gemeint ist das
Disziplinarrecht des Bundes, die Unschuldsvermutung aufgegeben
wird, ohne dass dies kaum jemanden ernsthaft zu interessieren
scheint.
Demonstriert hat bisher niemand dagegen.
Nun ist
ein Disziplinarverfahren zwar kein Strafverfahren, wohl aber
diesem ähnlich, denn auch im Disziplinarverfahren finden die
Regelungen der StPO Anwendung (Belehrung, Vernehmung etc.).
Unabhängig von dem Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt sowohl
im Strafverfahren als auch im Disziplinarverfahren der
Grundsatz: In dubio pro reo (Im Zweifel für den Angeklagten).
Wie dem auch immer sei:
Hinsichtlich der hier zu erörternden Unschuldsvermutung heißt es
in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die
Unschuldsvermutung betreffend, wie folgt:
Artikel 48
EU-Grundrechtecharta
Unschuldsvermutung und Verteidigungsrechte (1)
Jeder Angeklagte gilt bis zum rechtsförmlich erbrachten Beweis
seiner Schuld als unschuldig. (2) Jedem Angeklagten wird die
Achtung der Verteidigungsrechte gewährleistet.
Dieses
rechtsstaatliche Prinzip wurde, das Disziplinarrecht der
Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten betreffend, durch die
Neuregelung im Bundesdisziplinargesetz (BDG)
nicht nur geändert, sondern durch das Prinzip der
Beweislastumkehr ersetzt.
Das heißt:
Wird einem Bundesbeamten oder einer Bundesbeamtin ein
Dienstvergehen vorgeworfen, dann hat er oder sie zu beweisen,
dass das nicht der Fall ist.
Das ist
ein Rückschritt, der nicht anders als eine Verletzung eines
justiziablen Grundrechts bezeichnet werden kann.
Mit anderen Worten:
Vieles spricht dafür, dass die Einführung der Beweislastumkehr
verfassungswidrig ist, denn bei dieser Neuregelung des
Disziplinarrechts für Bundesbeamte wurde offensichtlich
übersehen, wie sich das Bundesverfassungsgericht zur
Unschuldsvermutung bereits 1987 wie folgt positioniert hat.
BVerfG 1987:
Die
Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des
Rechtsstaatsprinzips und hat damit Verfassungsrang.
An
anderer Stelle:
Aus dem
Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf,
folgt die Aufgabe des Strafprozesses, den Strafanspruch des
Staates in einem justizförmig geordneten Verfahren
durchzusetzen, das eine wirksame Sicherung der Grundrechte des
Beschuldigten gewährleistet (...). Die Unschuldsvermutung steht
in engem Zusammenhang mit dem Recht des Beschuldigten, den
staatlichen Strafanspruch in einem rechtsstaatlichen, fairen
Verfahren abzuwehren und sich zu verteidigen. Sie ist die
selbstverständliche Folge eines nach Inhalt und Grenzen durch
das Gebot der Achtung der Menschenwürde bestimmten, auf dem
Schuldgrundsatz aufbauenden materiellen Strafrechts (...l). Die
Unschuldsvermutung erzwingt so ein prozessordnungsgemäßes
Verfahren zum Beweis des Gegenteils, bevor wegen eines
Tatvorwurfes Entscheidungen getroffen werden, die die
Feststellung von Schuld erfordern. Sie schützt den Beschuldigten
auch vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen,
denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes
Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung
vorausgegangen ist (vgl. Vogler, a.a.O., S. 436 f.). Nach allem
verbietet die Unschuldsvermutung zum einen, im konkreten
Strafverfahren ohne gesetzlichen, prozessordnungsgemäßen (...)
Schuldnachweis
Maßnahmen gegen den Beschuldigten zu verhängen, die in ihrer
Wirkung einer Strafe gleichkommen und ihn verfahrensbezogen als
schuldig zu behandeln; zum anderen verlangt sie den
rechtskräftigen Nachweis der Schuld, bevor dem Verurteilten
diese im Rechtsverkehr allgemein vorgehalten werden darf (...).
Der
Gesetzgeber hat der Unschuldsvermutung im System des
Strafverfahrens, wie die Strafprozessordnung es vorsieht,
grundsätzlich Rechnung getragen. Die Ausgestaltung von
Ermittlungsverfahren, Eröffnungsverfahren und Hauptverfahren --
hier vornehmlich der Hauptverhandlung, die darauf angelegt ist,
mit einem Erkenntnis zur Schuldfrage abzuschließen -- lässt die
Unschuldsvermutung, um deren Widerlegung oder Fortgeltung es im
Strafprozess geht, hinreichend wirksam werden.
Die
Unschuldsvermutung verwehrt es den Strafverfolgungsorganen
allerdings nicht, verfahrensbezogen den Grad des Verdachts einer
strafbaren Handlung eines Beschuldigten zu beurteilen und -- im
Urteil -- Festlegungen zur Schuld des Angeklagten zu treffen,
Schuld auszusprechen und Strafe zuzumessen (...).
BVerfG.
Beschluss vom 26. März 1987 - 2
BvR
589/79
14
Selbstreinigungsverfahren
TOP
Beamtinnen und Beamtinnen steht sogar das Recht zu, durch
Anrufung des zuständigen Verwaltungsgerichtes gegen sich selbst
ein so genanntes Reinigungsverfahren einzuleiten, wenn der
Dienstherr, besser gesagt die für ihn tätig werdenden
Vorgesetzten, Behauptungen in die Welt setzen, die schutzwürdige
Interessen der davon betroffenen Beamten betreffen.
Anders ausgedrückt:
Ein disziplinarrechtlicher Selbstentlastungsantrag setzt ein
Rechtsschutzbedürfnis voraus. Voraussetzung für das Verfahren
ist, ein Rechtsschutzbedürfnis des Beamten auf Reinigung von
Vorwürfen. Der Beamte muss somit einem Verdacht ausgesetzt sein,
von dem er sich entlasten möchte, weil die angestrebte
„Reinigung von unzutreffenden Vorwürfen“ von rechtlicher
Relevanz ist.
Davon
kann ausgegangen werden, wenn einer Beamtin oder einem Beamten -
losgelöst von einem Gespräch unter vier Augen – zum Beispiel in
Gegenwart anderer Berufskollegen anlässlich einer
Dienstversammlung, vorgeworfen wird, sich mit seinen Äußerungen
zu mäßigen, weil die mit der politischen Treuepflicht eines
Beamten nicht vereinbar sind oder das Verhalten des Beamten
durchaus als ein feindlicher Akt gewertet werden könnte, der
sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richtet.
15
Disziplinarverfahren und StPO
TOP
Wie
bereits festgestellt, hat, wenn gegen eine Polizeibeamtin oder
einem Polizeibeamten bereits auf der Grundlage des
Anfangsverdachts einer Straftat ermittelt wird, ein
Disziplinarverfahren so lange zu ruhen, bis in der Strafsache
abschließend entschieden wurde. Gegen Bundespolizisten kann aber
bereits heute, ein Disziplinarverfahren unterhalb der Schwelle
einer Straftat eingeleitet werden, denn, wie bereits schon
eingangs festgestellt, trat am 1. April 2024 die Reform des
Disziplinarrechts des Bundes in Kraft.
Damit
können Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem
öffentlichen Dienst entfernt werden, denn künftig werden alle
Disziplinarmaßnahmen, einschließlich der Entfernung aus dem
Dienst, durch Disziplinarverfügung der zuständigen Behörde
ausgesprochen.
Ob diese
Sichtweise des Gesetzgebers vor dem Bundesverfassungsgericht
Bestand haben wird, dürfte nach der hier vertretenen
Rechtsauffassung fragwürdig sein, denn die Tatbestandsstruktur
eines Dienstvergehens ist prinzipiell die gleiche wie die einer
Straftat.
Warum?
Beide
Handlungen setzen objektiv die Verletzung einer Pflicht und
subjektiv das Verschulden des Beamten voraus.
Wie dem auch immer sei:
Ein
Dienstvergehen liegt vor, wenn eine Beamtin oder ein Beamter
schuldhaft seine Pflichten verletzt, die im Beamtenstatusgesetz
und in den Beamtengesetzen näher bezeichnet sind.
47
BeamtStG
(Nichterfüllung von Pflichten)
§ 77 BBG
(Nichterfüllung von Pflichten)
Ein
Unterschied zum Strafrecht besteht dennoch, denn im
Disziplinarrecht gibt es keinen abschließenden Katalog von
Einzeltatbeständen oder eine abschließende Aufzählung der
möglichen Pflichtverletzungen. Die Rechtsprechung hat aber die
möglichen Dienstvergehen in Komplexe gegliedert, zu denen im
hier zu erörternden Sachzusammenhang die beiden nachfolgenden
Verstöße gegen Beamtenpflichten gehören:
Verstöße
gegen die Treuepflicht des Beamten
Verstöße
gegen die Pflicht zur politischen Mäßigung.
Beweiserhebung:
Die Beweiserhebung im Disziplinarverfahren ist im § 24
BDG
geregelt.
§ 24
BDG
(Beweiserhebung)
Danach
kommen als Beweismittel schriftliche dienstliche Auskünfte in
Betracht, Anhörungen von Zeugen und Sachverständigen und deren
schriftliche Äußerungen, beigezogene Urkunden und Akten und
Augenscheineinnahmen. Im Vergleich zum Strafprozess ist die
Verwertung schriftlicher Aussagen und von Protokollen von
Beweiserhebungen im Disziplinarverfahren erleichtert.
16
Anscheinsbeweis
TOP
Die
Neuregelung der Beweisumkehr im Disziplinarrecht des Bundes
wirkt zumindest auf mich wie die Sprachfigur des
Anscheinsbeweises,
der im Straßenverkehrsrecht schon seit langem angewendet wird.
Damit sind aber ganz andere Sachverhalte gemeint als die, um die
es hier geht.
Dazu nur
ein Beispiel von vielen anderen. Bei Verkehrsunfällen, deren
Ursache eine Vorfahrtsverletzung ist, kann vom so genannten
Anscheinsbeweis dessen ausgegangen werden, dem eine
Vorfahrtsverletzung vorgeworfen werden kann. Bereits in den
Leitsätzen in einem Beschluss des OLG Dresden aus dem Jahr 2021
heißt es:
OLG Dresden 2021:
1. Die Missachtung des Vorfahrtsrechts begründet einen
Anscheinsbeweis für die Unfallursächlichkeit zulasten des
Vorfahrtspflichtigen.
2. Wird dieser nicht durch einen atypischen Geschehensablauf
erschüttert, kommt regelmäßig nur die Alleinhaftung des
Vorfahrtsverletzers in Betracht.
An
anderer Stelle heißt es:
Ein Beweis
des ersten Anscheins ist immer dann anzunehmen, wenn sich in
einem Unfallgeschehen ein hinreichend typisierter
Geschehensablauf realisiert hat, der einen Rückschluss auf ein
unfallursächliches Fehlverhalten einer Partei regelmäßig
zulässt. Beim
Abbiegevorgang
des nicht Vorfahrtsberechtigten gilt die Vorfahrtsberechtigung
des anderen Teiles solange, bis der Einfahrende sich vollständig
auf der vorfahrtsberechtigten Straße eingeordnet und eine den
dort fahrenden Fahrzeugen entsprechende Geschwindigkeit erreicht
hat.
OLG
Dresden, Beschluss vom 09.06.2021 - 4 U 396/21
Gegen
die vorwerfbare Verletzung der Vorfahrt durch einen
Wartepflichtigen spricht jedoch, wenn es sich um Fälle so
genannter „Halber Vorfahrt“ handelt.
Halbe Vorfahrt:
Diesem
„Rechtsbegriff“ liegt die Vorstellung zugrunde, dass auch ein
Vorfahrtsberechtigter Verkehrssicherungspflichten zu beachten
hat und dann, wenn sie oder er diese gröblich verletzt, er sich
nicht mehr auf sein Vorfahrtsrecht berufen kann.
Diesbezüglich heißt es in einem Urteil des OLG Hamm aus dem Jahr
2020 bereits in den Leitsätzen wie folgt:
OLG Hamm 2020:
1. Die sog.
„halbe Vorfahrt“ verpflichtet den
Vorfahrtberechtigten
zu angepasster Fahrweise, die ihm die Beachtung der eigenen
Wartepflicht in Bezug auf vorfahrtsberechtigten Verkehr
ermöglicht. Hierbei muss er nach dem Vertrauensgrundsatz nur mit
einer angepassten Geschwindigkeit des ihm gegenüber
Vorfahrtsberechtigten rechnen.
2. Ein
Vorfahrtsberechtigter kann sich nach dem Vertrauensgrundsatz
darauf verlassen, dass ein für ihn nicht sichtbarer
Verkehrsteilnehmer sein Vorfahrtsrecht beachten werde, wenn er
selbst bei nur „halber Vorfahrt“ mit angepasster Geschwindigkeit
fährt.
An
anderer Stelle heißt es:
Ist die
Vorfahrt an einer Kreuzung nicht besonders geregelt, so stellt
sich für jeden Verkehrsteilnehmer, der sich dieser Kreuzung
nähert, die Verkehrslage so dar, dass er zwar gegenüber dem von
links Kommenden vorfahrtsberechtigt, gegenüber
Verkehrsteilnehmern von rechts aber wartepflichtig ist. Diese
sog. „halbe Vorfahrt“ verpflichtet den Vorfahrtsberechtigten zu
angepasster Fahrweise, die ihm die Beachtung der eigenen
Wartepflicht in Bezug auf vorfahrtsberechtigten Verkehr von
rechts ermöglicht. Um dessen Vorfahrt beachten zu können, muss
er, wie § 8 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Satz 3 StVO vorschreibt, mit
mäßiger Geschwindigkeit an die Kreuzung heranfahren und sich
darauf einstellen, dass er notfalls rechtzeitig anhalten kann,
um die ihm gegenüber Vorfahrtsberechtigten durchfahren zu
lassen. Dies gilt besonders im Fall einer unübersichtlichen
Kreuzung .
OLG
Hamm, Urteil vom 09.06.2020 - 7 U 19/19
Auch nur
annähernd vergleichbare Fälle kann es aber im Zusammenhang mit
Dienstpflichtverletzungen nicht geben. Das bedeutet, dass
ausgehend von bekanntgewordenen „dienstrechtlich relevanten
Äußerungen oder Verhalten“ die Sprachfigur des Anscheinsbeweises
(hier: eines begangenen Dienstvergehens) nicht greifen kann.
Beispiel 1:
Ein Vorgesetzter, dessen Hobby es ist, sich mit dem dunkelsten
Kapitel der deutschen Zeitgeschichte auseinanderzusetzen, erhält
Kenntnis davon, dass einer seiner Mitarbeiter eine Mail mit
folgendem Inhalt geschrieben hat:
Liebe
Kolleginnen und Kollegen,
gestern
war ein erfolgreicher Tag. Wir haben es den randalierenden
Arabern mal so richtig besorgt. Wo kommen wir denn auch hin, wenn
jeder Araber antisemitische Parolen auf deutschen Straßen
unbestraft grölen darf. Schön, dass in Deutschland wenigstens
noch die Wasserwerfer funktionieren. War schön, die Chaoten
rennen zu sehen.
Jedem
das seine.
Gruß
Ein Kollege
Dem
historisch interessierten Vorgesetzten entgleisen beim Lesen
dieser Mail sozusagen die Gesichtszüge, denn er weiß, wie das
Eingangstor des KZ Buchenwald aussieht. Dort steht, in eisernen
Buchstaben und für jeden Besucher deutlich zu erkennen:
JEDEM
DAS SEINE
Tor KZ Buchenwald
Außerdem
erinnert sich der Vorgesetzte an eine Werbebroschüre der Telekom
aus dem Jahr 2000, mit der Kunden zum Kauf von Aktien gewonnen
werden sollten. Dieses Werbeprospekt versprach ebenfalls:
Jedem
das Seine.
Gemeint
waren die in Aussicht gestellten guten Gewinnaussichten, von
denen sich auch der Vorgesetzte zum Kauf von Telekom-Aktien
hatte verleiten lassen, aber nicht den versprochenen Gewinn,
sondern ersatzweise nur Verluste hinzunehmen hatte.
Aufgrund
der Tatsache, dass es sich bei dem Spruch „Jedem das Seine“ um
eine nationalsozialistische Parole gehandelt hatte, die mittels
der Telekom-Werbebroschüre sozusagen millionenfach in
Deutschland verteilt worden war, wurden die Gerichte bemüht, zu
klären, ob durch solch ein „Rechtsbruch“ verursachte
Vermögensschäden Schadenersatzansprüche auslösen.
Sie
lesen richtig:
14 Jahre
später heißt es in einer Meldung der Süddeutschen Zeitung wie
folgt:
Sueddeutsche.de
vom 11. Dezember 2014:
Im Ringen um Schadensersatz haben die Anleger, die mit der
T-Aktie herbe Verluste gemacht haben, vor dem Bundesgerichtshof
(BGH) einen unerwarteten Erfolg erzielt: In einem
Musterverfahren, hinter dem 17 000 Kläger stehen, erklärte der
BGH den Verkaufsprospekt für die im Jahr 2000 in einer dritten
Tranche ausgegebenen Aktien der Deutschen Telekom für
fehlerhaft [En05].
7 Jahre
später heißt es in einem Artikel auf
Legal
Tribune
Online
wie folgt:
LTO
26.02.2021:
Prozess um Telekom-Börsengang wird erneut verhandelt. 2012
entschied das OLG Frankfurt in dem Musterprozess noch gegen die
Anleger. 2014 korrigierte der BGH die Entscheidung und verwies
die Sache zum ersten Mal an das OLG zurück [En06].
Dennoch:
Der Vorgesetzte ist verwirrt, zumal nach seiner Lesart in der
Mail auch ein für ihn erkennbarer Rassismus zum Ausdruck kommt.
Wie dem auch immer sei:
Sollte es sich bei dem Vorgesetzten um einen Bundesbeamten
handeln, dann wäre es wohl nunmehr seine Aufgabe, alles
erforderliche in die Wege zu leiten, um dafür Sorge tragen zu
können, dass der Schreiber oder die Schreiberin dieser Mail aus
dem Polizeidienst entfernt werden kann, obwohl der Verdacht
einer Straftat kaum, wohl aber um eine
„verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ und
somit auch eine Verletzung der politischen Treuepflicht
zumindest nahe liegt.
Beispiel 2:
Beamte des 3. Zuges der 2. Hundertschaft haben einen
ereignisreichen Monat erlebt. An allen Wochenenden des
zurückliegenden Monats hatten sie es mit aufgebrachten
Demonstranten zu tun, die keine Gelegenheit ausließen, sie als
Faschisten, Nazis, Rassisten und natürlich auch als
Rechtsradikale zu beschimpfen. Im fortgeschrittenen Stadium der
Alkoholisierung stimmt einer der Beamten das Deutschlandlied an,
beginnend mit der 1. Strophe an, dem sich seine Kollegen
anschließen.
1.
Strophe
Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt,
Wenn
es stets zu Schutz und Trutze brüderlich
zusammenhält
Von der
Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt. |:
Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt!:|
2.
Strophe
Deutsche
Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang Sollen
in der Welt behalten ihren alten schönen Klang,
Uns
zu edler Tat begeistern unser ganzes Leben lang.
|:
Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher
Sang!:|
3.
Strophe (Deutsche Nationalhymne)
Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland! Danach
lasst uns alle streben brüderlich mit Herz und Hand! Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand; |: Blüh‘
im Glanze dieses Glückes, blühe, deutsches Vaterland!:|
Der
Zugführer, der sich in der Nähe der Feier, nicht aber unter den
Singenden befindet, fragt sich, ob er gegen alle Sängerinnen und
Sänger disziplinare Ermittlungen einleiten muss.
Hinweis zur Geschichte des
Deutschlandliedes:
Das „Lied der Deutschen“ dichtet Hoffmann von Fallersleben
während eines Sommerurlaubs im August 1841 auf der damals zu
England gehörenden Insel Helgoland. Die Melodie stammt im
Wesentlichen von Josef Haydns: „Gott erhalte Franz den Kaiser,
Unsern guten Kaiser Franz!“
Wer sich
für die Geschichte des Deutschlandliedes interessiert, dem
stehen dazu ausführliche Inhalte zur Verfügung, die aus Quellen
der Bundesregierung stammen.
Das Lied der Deutschen
Und nun
zur rechtlichen Bewertung der 1. und 2. Strophe: Bereits 1990
hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das ganze
Lied – also auch Strophe eins und zwei – unter dem Schutz der
Kunstfreiheit interpretiert werden darf. Strafrechtlich von
Änderungen und Spott geschützt ist allerdings nur die dritte
Strophe. Wird zu offiziellen Anlässen die erste oder zweite
Strophe gesungen, ist das keineswegs verboten. Es ist nur
schlichtweg falsch, denn man singt dann nicht die Nationalhymne.
BVerfG 1990:
Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG schließt eine Bestrafung nach § 90 a
Abs. 1 Nr. 2 StGB wegen Verunglimpfung der Hymne der
Bundesrepublik Deutschland nicht generell aus.
Als
staatliches Symbol geschützt ist nur die dritte Strophe des
Deutschlandliedes.
Durch
die Kunstfreiheit geschützt ist auch die Verbreitung des Liedes,
also d. Wirkbereich des Kunstwerks.
BVerfG,
Beschluss vom 07.03.1990 - 1
BvR
1215/87
Auch
wenn die Richter des Bundesverfassungsgerichts aus einem anderen
Anlass als dem, der im Beispiel beschrieben ist, über die 1. und
2. Strophe des Deutschlandliedes entschieden haben, wäre, in
Anlehnung an den weitgefassten Kunstbegriff, den das
Bundesverfassungsgericht konsequent vertritt, zuerst einmal zu
klären, ob es sich bei dem „Gesang“ um Kunst handeln könnte,
denn das, was Kunst ist, das bestimmt der Künstler selbst.
Wie dem auch immer sei:
Berücksichtigen sollte der Vorgesetzte auch, dass es sich bei
dem Singen des kompletten Deutschlandliedes nicht um eine
Straftat handelt.
Und wenn
dann der Vorgesetzte auch noch auf den Gedanken käme, die
Meinung des Bundespräsidenten zum Deutschlandlied einzuholen,
dann dürfte er diesbezüglich bei seiner Suche im Internet auf
das Bulletin 89-91 vom 27. August 1991 stoßen, aus dem im
folgenden Teile so zitiert werden, wie sie in dem Bulletin
enthalten sind:
Bulletin 89-91:
seit
dem 3. oktober 1990 gilt auch die nationalhymne der bisherigen
bundesrepublik fuer das vereinte deutsche volk. das
„lied der deutschen“, von hoffmann von fallersleben vor
hundertfuenfzig jahren in lauteren gedanken verfasst, ist seither
selbst der deutschen geschichte ausgesetzt gewesen. es wurde
geachtet und bekaempft, als zeichen der zusammengehoerigkeit und gemeinsamen verantwortung verstanden, aber auch in nationalistischer uebersteigerung
missbraucht. Als
ein dokument deutscher geschichte bildet es in allen seinen strophen eine einheit.
Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker
Link zum Bulletin
Persönliche Anmerkung:
Es kommen schwere Zeiten auf vorgesetzte Stellen zu, wenn
sozusagen zur „Säuberung der Polizei von rechtsextremen Kräften“
bereits Anlässe eine Entfernung aus dem Polizeivollzugsdienst
zumindest denkbar erscheinen lassen, die bei mehr Gelassenheit
sicherlich einer vernünftigeren Lösung zugänglich gewesen wären.
Natürlich müssen Anlässe, wie sie in den beiden Beispielen
geschildert werden, thematisiert und erörtert werden.
Dennoch:
Augenmaß ist auch hier das Gebot der Stunde.
17
Bekennende AfD-Mitglieder im Polizeidienst
TOP
Folgt man
der Sichtweise des
Deutschen
Instituts für Menschenrechte (DIMR),
dann ist die Sichtweise eindeutig, klar und unmissverständlich,
denn jedes Eintreten für die AfD wäre mit der
verfassungsrechtlichen Treuepflicht unvereinbar.
Weiter noch:
Solch eine Haltung ist als so schwerwiegend anzusehen, um eine
Entfernung aus dem Dienst rechtfertigen zu können.
Anders ausgedrückt:
Jede Polizeibeamtin und jeder Polizeibeamte wäre aus dem Dienst
zu entfernen. Dafür reicht bereits eine einfache Mitgliedschaft
in der AfD aus.
Wer
diese Auffassung vertritt, der muss übersehen haben, dass es
sich bei der AfD um eine im Deutschen Bundestag und übrigens
auch um eine in allen Länderparlamenten vertretene Partei
handelt, deren „Verfassungsmäßigkeit“ so lange als gegeben
anzuerkennen ist, bis das die Richter des
Bundesverfassungsgerichts diese Partei verboten hat.
Allein
daraus lässt sich ableiten, dass die bloße Mitgliedschaft in
einer Partei, die nicht verboten ist, eine Entfernung aus dem
Dienst nicht zu rechtfertigen vermag. Vertretbar wäre es jedoch,
zumindest von der Annahme auszugehen, dass es einem
Polizeibeamten oder einer Polizeibeamtin, die Mitglied in der
AfD ist, hinsichtlich seiner individuellen Verfassungstreue
durchaus Vorhalte gemacht werden können.
Außerdem
macht es einen Unterschied aus, ob ein Beamter oder eine Beamtin
in herausgehobenen Funktionen verwendet wird. Klar ist auch,
dass Dienstvorgesetzte nicht erst einschreiten müssen, wenn es
sich um die Mitgliedschaft in einer verbotenen Partei handelt.
Noch einmal:
Für die
verfassungsrechtliche Treuepflicht gilt ein eigener Maßstab, so
dass Dienstvorgesetzte tätig werden müssen, wenn sie Zweifel an
der Verfassungstreue von Beamtinnen und Beamten oder
Richterinnen und Richtern haben.
Trotzdem:
Augenmaß ist auch hier angebracht. Das entspricht im Übrigen
auch der Sichtweise der Richter des Bundesverfassungsgerichts,
die 1975 in ihrem Beschluss zum Radikalenerlass Folgendes
feststellten:
BVerfG 1975:
Die hergebrachte Treuepflicht des Beamten erhält unter der
Geltung des Grundgesetzes ein besonderes Gewicht dadurch, dass
diese Verfassung nicht wertneutral ist, sondern sich für
zentrale Grundwerte entscheidet, sie in ihren Schutz nimmt und
dem Staat aufgibt, sie zu sichern und sie zu gewährleisten (Art.
1 GG). Sie trifft Vorkehrungen gegen ihre Bedrohung, sie
institutionalisiert besondere Verfahren zur Abwehr von Angriffen
auf die verfassungsmäßige Ordnung, sie konstituiert eine
wehrhafte Demokratie. Diese Grundentscheidung der Verfassung
schließt es aus, dass der Staat, dessen verfassungsmäßiges
Funktionieren von der freien inneren Bindung seiner Beamten an
die geltende Verfassung abhängt, zum Staatsdienst Bewerber
zulässt und im Staatsdienst Bürger belässt, die die
freiheitliche demokratische, rechts- und sozialstaatliche
Ordnung ablehnen und bekämpfen. Der Beamte kann nicht zugleich
in der organisierten Staatlichkeit wirken und die damit
verbundenen persönlichen Sicherungen und Vorteile in Anspruch
nehmen und aus dieser Stellung heraus die Grundlage seines
Handels zerstören wollen. Der freiheitliche demokratische
Rechtsstaat kann und darf sich nicht in die Hand seiner
Zerstörer geben.
Aus der
dargelegten verfassungsrechtlichen Lage folgt zwingend: Ein
Beamter, der gegen die von ihm in Art. 33 Abs. 5 GG geforderte
Treuepflicht verstößt, verletzt seine Dienstpflicht. Die
Beamtengesetze konkretisieren dies; § 52 Abs. 2 BBG bestimmt für
den Bundesbeamten: „Der Beamte muß sich durch sein gesamtes
Verhalten zu der freiheitlich-demokratischen Grundordnung im
Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung
eintreten“. Und nach § 77 Abs. 2 BBG gilt als Dienstvergehen,
wenn der Ruhestandsbeamte oder der Beamte mit Versorgungsbezügen
„sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne
des Grundgesetzes betätigt“ oder „an Bestrebungen teilnimmt, die
darauf abzielen, den Bestand oder die Sicherheit der
Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen“. [...]. Bei
Beamten auf Probe und bei Beamten auf Widerruf rechtfertigt ein
solches Dienstvergehen regelmäßig die Entlassung aus dem Amt.
Bei Beamten auf Lebenszeit (oder Zeit) kann wegen dieser
Dienstpflichtverletzung im förmlichen (gerichtlichen)
Disziplinarverfahren auf Entfernung aus dem Dienst erkannt
werden.
BVerfG,
Beschluss vom 22.05.1975 - 2
BvL
13/73
Dass es
im Hinblick auf die Entfernung von Polizeibeamtinnen und
Polizeibeamten aus dem Polizeidienst auch dann auf ein gesundes
Augenmaß ankommt, und nicht jedes Verhalten, als eine
„verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“
angesehen werden kann, diese erforderliche Zurückhaltung ist im
Übrigen auch ein Gebot der Verhältnismäßigkeit.
18 Umgang mit
Nestbeschmutzern
TOP
Die Polizei tut sich schwer,
Polizisten für rechtswidrige Maßnahmen, und dazu gehört
insbesondere auch die rechtswidrige Anwendung unmittelbaren
Zwangs, zur Verantwortung zu ziehen, obwohl rechtswidriger
körperlicher Zwang nicht nur den Körper davon betroffener
Personen, sondern auch deren Würde verletzt und somit
rechtswidriger unmittelbarer polizeilicher Zwang, egal ob durch
Faustschlag, Schlagstockeinsatz oder Reizstoffsprühgerät,
zugleich auch als ein staatlicher Eingriff in den Kernbestand
der freiheitlich demokratischen Grundordnung anzusehen ist, denn
zum Wesenskern der freiheitlich demokratischen Grundordnung - so
zumindest die Sichtweise der Richter beim
Bundesverfassungsgericht - gehört die Menschenwürde.
Wie dem auch immer sei: Ob die Polizeigewalt
folgenlos bleiben wird, die Sie sich ansehen können, wenn Sie
den folgenden Link öffnen, das weiß ich nicht.
Was ich aber weiß, ist, dass es viele
solcher Videos gibt und somit die Frage erlaubt sein muss, was
tut die Polizei, Bürgerinnen und Bürger vor Polizisten zu
schützen, die erkennbar gewaltaffin sind?
Die Vermutung
liegt nahe, dass dies nicht die Fälle sind, die von der
Beweislastumkehr betroffen sein werden, zumal jeder
Tatverdächtige so lange
unschuldig ist, bis ihre Schuld nachgewiesen wurde. Das gilt
auch für die Szene, die im folgenden Video festgehalten worden
ist.
Polizeigewalt
Hinweis: Vor einigen
Jahren schlug mir ein Hundertschaftsführer vor, zusammen mit ihm
ein Buch über eine zeitgemäße Führungslehre zu schreiben. Als
ich den Anfragenden einen Link mit einem Video schickte, auf dem
offensichtlich von einem Polizeibeamten ein Reizstoffsprühgerät
rechtswidrig eingesetzt wurde und dies mit der Frage verband,
wie er auf dieses Video kommunikativ reagieren würden, wenn es
sich bei dem Polizisten um einen Beamten seiner Hundertschaft
gehandelt hätte, hörte ich von dem Hundertschaftsführer nichts mehr.
19 Zu guter Letzt
TOP
Ich gehe davon
aus, dass die "Beweislastumkehr", so wie sie im Disziplinarrecht
des Bundes nunmehr vorgesehen ist, nur dann greifen kann, wenn
einer Beamtin oder einem Beamten keine Straftat
vorgeworfen wird, denn wenn das der Fall ist, dann hat ein
Disziplinarverfahren so lange zu ruhen, bis ein Schuldspruch
erfolgte.
Wie dem auch immer sei: Das
über den folgenden Link aufrufbare Rechtsgutachten des
Wissenschaftlichen Dienstes im Deutschen Bundestag lässt den
Schluss zu, dass eine Zurodnung von strafbarer
und nicht strafbarer Verunglimpfung des Staates
und seiner Symbole nicht einfach sein wird.
Das, was unter einer "verfassungsschutzrelevanten
Delegitimierung des Staates" zu verstehen ist, das wird
wohl nur die Bundesinnenministerin und der Präsident des
Bundesamtes für Verfassungsschutz wissen.
WD Deutscher Bundestag: Verunglimpfung des Staates – zur
Grenzziehung zwischen strafbarem und straflosem Verhalten im
geltenden Strafrecht
20
Quellen
TOP
Endnote_01 BMI:
Reform des Disziplinarrechts tritt in Kraft: Extremisten
schneller aus dem öffentlichen Dienst entfernen.
Disziplinarmaßnahmen können nun durch die zuständigen Behörden
verhängt werden / Kein langwieriges Klageverfahren ehr.
https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/
DE/2024/03/inkrafttreten-disziplinarrecht.html
Zurück
Endnote_02 TAZ.de
vom 4.4.2024: Hunderte Polizisten unter Nazi-Verdacht: Gegen 400
Beamte wird ermittelt.
https://taz.de/Hunderte-Polizisten-unter-Nazi-Verdacht/!6002429/
Zurück
Endnote_03
Tagesschau.de vom 4.4.2024: Hunderte Polizisten unter
Extremismusverdacht.
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/polizisten-
extremismusverdacht-medienbericht-100.html
Zurück
Endnote_04 SWR.de
vom 5.9.2017. Kann man Kriminelle per Software erkennen?
https://www.swr.de/swrkultur/wissen/article-swr-12452.html
Zurück
Endnote_05
Ein Fehler, der Millionen kosten kann. 11. Dezember 2014.
https://www.sueddeutsche.de/geld/telekom-aktie-ein-
fehler-der-millionen-kosten-kann-1.2262843
Zurück
Endnote_06
26.02.21Prozess um Telekom-Börsengang wird erneut
verhandelt.
https://www.lto.de/recht/kanzleien-unternehmen/k/bgh-xizb2416-kapmug-
verfahren-boersengang-telekom-schadensersatz-anleger-
prospekthaftung-neue-verhandlung/ Zurück
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