Demokratieerziehung durch die
Polizei?
Inhaltsverzeichnis:
01 Demokratieerziehung 02 Rechtswidrigkeit polizeilicher
Maßnahmen 03 Dafür ist die Polizei nicht zuständig 04
Verpflichtung jeglicher staatlichen Gewalt 05
Missbrauch
staatlicher Macht 06 Aufruf des Innenministers Thomas de
Maizière 2015 07 Schulischer Bildungsauftrag 08
Was die
Schülerin gelernt hat 09 Denunziantentum und Tugendterror
10 Die Schule und die Polizei 11
Aufgabe der Schulleitung
12 Eine Gefährdungsansprache setzt eine
"polizeiliche Gefahr"
voraus 13 Demokratieerziehung ist keine
polizeiliche Aufgabe 14 Der liberale Rechtsstaat 15
Politiker als Gefahr für die Demokratie 16
Demokratieerziehung in der Kita 17
Wer die Wahrheit sagt, ist
....? 18 Quellen
01
Demokratieerziehung
TOP
Demokratieerziehung
soll, zumindest stellt sich das die Bundesinnenministerin Nancy
Faeser (SPD) so vor, bereits in der KITA beginnen. Was für eine
Erziehung damit gemeint ist, diese Frage lässt die
Bundesinnenministerin unbeantwortet, denn was das sein soll, das
weiß niemand so ganz genau, denn auch der Beschreibungsversuch
was unter "Demokratieerziehung"
auf Wikipedia zur Verfügung steht, zeichnet sich nicht durch Klarheit, sondern durch
Tautologie aus.
Wikipedia:
Demokratiebildung, auch Demokratieerziehung oder
Demokratiepädagogik, bezeichnet Formen der Erziehung und der
Politischen
Bildung mit dem Anspruch, den Erziehungsprozess demokratisch zu
gestalten, oder mit dem Ziel, die Demokratie als anerkannte
staatliche Regierungsweise oder umfassender ein demokratisches
Zusammenleben, im Sinne einer Demokratie als Lebensform (John
Dewey), zu fördern. Dazu gehören Bildungs- und
Erziehungsansätze, die Inhalte über die Demokratie vermitteln
oder demokratische Verhaltensweisen einüben sollen, ebenso wie
Versuche, die Strukturen der Schule bzw. des ganzen
Bildungssystems demokratisch zu gestalten.
Genug der
schönen Worte: Es wäre schon viel erreicht, wenn bei der
„Erziehung angehender Demokraten“ von Beginn an die Erfahrung
vermittelt würde, dass es sich bei der Würde des Menschen nicht
um einen bloßen Programmsatz, sondern um eine konkret erlebbare
Erfahrung handeln würde, die darin besteht, der Vielfalt
möglicher menschlicher Entwicklungen den dafür erforderlichen
Platz zur Verfügung zu stellen, was gleichbedeutend ist, auf
ideologische Indoktrination sowohl in staatlichen als auch in
kirchlichen Institutionen zu verzichten.
Dazu gehört auch die
Ideologie eines „woken“ aufgeweckten Demokratieverständnisses,
das am liebsten alle Vorstellungen verbieten würde, die auch nur
auf irgendeine Art und Weise „rechts“ sein könnten.
Wie dem auch
immer sei: In einem Gymnasium in Mecklenburg-Vorpommern wurde im
März 2024 sogar die Polizei bemüht, zur Demokratieerziehung
beizutragen, denn der Schulleiter, der die Polizei
um Einschreiten ersuchte, war dazu wohl selbst nicht in der Lage.
Vorgeworfen wurde einer 16-jährigen Schülerin, auf
TikTok
Posts verbreitet zu haben, die mit dem Demokratieverständnis des
Schulleiters wohl nicht vereinbar waren.
Die hinzugezogene
Polizei nahm das „Ersuchen um Einschreiten“ zum Anlass, die
16-Jährige durch eine Art von Gefährdungsansprache davor zu
warnen, demokratiefeindliche Posts zu verbreiten, obwohl der
Schülerin nichts verbotswidriges vorgeworfen werden konnte,
außer dem ihr zustehenden Recht, von der Meinungsfreiheit
Gebrauch gemacht zu haben. Dazu gleich mehr. Vorab einige
grundsätzliche Anmerkungen zur Rechtswidrigkeit polizeilichen
Einschreitens.
02 Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen
TOP
Rechtswidrig ist eine polizeiliche Maßnahme immer dann, wenn
einschreitende Polizeibeamte weder zuständig, noch ermächtigt
sind und/oder die zuständigkeitsbegrenzenden Regelungen der
Ermessensausübung oder die der Verhältnismäßigkeit nicht
sachgerecht anwenden.
Bei der
hier zu erörternden Gefährdungsansprache – auch dazu gleich mehr –
fehlt es bereits an der sachlichen Zuständigkeit, so dass andere
Bereiche der Rechtmäßigkeitsprüfung von polizeilichen Maßnahmen
unbeachtet bleiben können, denn wenn bereits der erste
Prüfschritt einer polizeilichen Maßnahme zur Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit führt, dann
können die folgenden Schritte daran auch nichts mehr ändern.
Hinweis:
Zuerst einmal halte ich es für geboten, zu klären, was eine
polizeiliche
Gefährdungsansprache überhaupt ist. Dabei handelt es sich in der
Regel um sprachlich formulierte Ausführungen einschreitender
Polizeibeamter, die demjenigen, an den sie sich richten,
aufzeigen sollen, worum es dem einschreitenden Polizeibeamten
oder der einschreitenden Polizeibeamtin geht, um ein
polizeiliches Ziel sozusagen im beiderseitigen Einvernehmen
bereinigen zu können.
Eine Gefährdungsansprache ist jedoch keine
Befragung und auch keine Vernehmung, sondern bei einer
Gefährdungsansprache handelt es sich ausschließlich um ein
kommunikatives Einsatzmittel, um polizeiliche
Gefahrensituationen sozusagen durch Sprache und „Einsicht auf
Seiten des Betroffenen“ bereinigen zu können, weil das polizeiliche
Gegenüber erkennt, dass es besser für ihn ist, dem „Rat“ der
Polizei zu folgen.
Beispiel:
Anlässlich einer Ruhestörung zur Nachtzeit sagt eine
Polizeibeamtin zu dem Ruhestörer: „Stellen Sie bitte ihre
Stereoanlage auf Zimmerlautsprecher, damit Ihre Nachbarn
schlafen können. Sollten Sie dazu nicht bereit sein, werden wir
Ihre Wohnung betreten und die Lautsprecher sicherstellen und
wenn Sie Widerstand leisten sollten, werden wir Sie in Gewahrsam
nehmen. Wenn Sie das alles vermeiden wollen, dann stellen Sie
bitte jetzt die Musik auf Zimmerlautstärke. Der Ruhestörer kommt
der Aufforderung nach und verspricht, für den Rest der Nacht
Ruhe zu geben.
Das ist
eine typische Gefährdungsansprache der Polizei, die
offensichtlich rechtmäßig ist, denn sozialverträglicher lässt
sich eine Ruhestörung zur Nachtzeit, bei der es sich um eine
Ordnungswidrigkeit handelt, nicht beenden.
03 Dafür ist die Polizei nicht zuständig
TOP
Ich denke,
dass es keiner weiteren Begründung dafür bedarf, festzustellen, dass die
nachfolgenden Tätigkeiten
nicht
zum Zuständigkeitsbereich der Polizei gehören.
Es
gehört nicht zu den Aufgaben der Polizei,
-
Steuerbescheide zu erlassen,
-
Bauvorhaben zu genehmigen,
-
Lebensmittelbetriebe zu kontrollieren,
-
Asylanträge oder Sozialhilfeanträge zu bearbeiten, zu
bewilligen, oder gar ablehnen
-
Schülerinnen und Schüler in der Schule zu erziehen.
Anders ausgedrückt: Eine Polizei, die in Aufgabenbereichen tätig
wird, für die sie nicht zuständig ist, handelt rechtswidrig.
Warum?
04 Verpflichtung jeglicher staatlichen Gewalt
TOP
In einem
Rechtsstaat ist es Aufgabe des Staates und seiner Organe,
Freiheiten nicht nur zu gewähren, sondern diese auch zu
schützen, soweit kein legitimer Grund gegeben ist, in die Rechte
von Personen einzugreifen. Dazu gehören auch die Freiheitsrechte
von Schülerinnen und Schülern.
Auch an Schulen gelten
vollumfänglich die nachfolgend aufgeführten Rechte:
Art 1
Abs. 3 GG (3) Die
nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende
Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Dazu
gehört auch das Recht auf Meinungsfreiheit.
Art 5 Abs. 1 GG
(1)
Jeder
hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu
äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen
Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die
Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden
gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
Unabhängig von diesen Grundrechten, die jedem zustehen, der sich
im Geltungsbereich des Grundgesetzes aufhält, verpflichtet der
Artikel 20 Abs. 3 GG den Staat und seine Institutionen dazu,
nicht nur die Grundrechte zu achten und zu schützen, sondern
sich auch strikt an Gesetz und Recht zu halten, denn bei den
Grundrechten handelt es sich um Abwehrrechte, deren Zweck darin
besteht, dem staatlichen Regelungsbedürfnis Grenzen zu setzen.
Art
20 Abs. 3 GG (3) Die
Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die
vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und
Recht gebunden.
Hinweis:
Zur vollziehenden Gewalt gehört nicht nur die Polizei. Dazu
gehören auch die in Schulen tätigen Lehrerinnen und Lehrer und
natürlich auch der Schulleiter bzw. die Schulleiterin.
05 Missbrauch staatlicher Macht
TOP
Der
Missbrauch staatlicher Macht kann in einem Rechtsstaat nicht
hingenommen werden. Zu prüfen ist, ob das auch auf den
nachfolgend skizzierten Fall zutrifft, der sich im März 2024 in
einer Schule in Mecklenburg-Vorpommern ereignet hat.
Anlass:
Der Leiter eines Gymnasiums hatte die Polizei um Einschreiten
ersucht, weil eine 16-jährige Schülerin auf der Plattform
TikTok-Post
zwei Posts veröffentlicht hatte, die in etwa folgenden Inhalt
hatten:
Ein
Schlümpfe-Video mit folgendem Essenz:
Die Schlümpfe haben
mit Deutschland etwas gemein: Die Schlümpfe sind blau, und
Deutschland auch.
In einem
anderen Post heißt es:
Deutschland ist kein Ort, sondern
Heimat.
Gewertet
wurden diese beiden Posts vom Schulleiter wie
verfassungsfeindliche Äußerungen, was zur Folge hatte, dass er
die Polizei um Einschreiten ersuchte. Drei Beamte in Uniform
holten die Schülerin aus dem Klassenzimmer (es gibt auch andere
Schilderungen), um sie dann später
dahingehend zu belehren, dass es zu ihrem eigenen Schutz besser
sei, in Zukunft solche Posts zu unterlassen. Dieses Gespräch
wurde, so der österreichische Nachrichtensender
RTV
aktuell, von der Polizeiführung als Gefährderansprache bezeichnet.
Bei
diesem Sender handelt es sich um einen privaten
Rundfunkveranstalter mit Sitz in Garsten in Oberösterreich. Ich
habe dieses Video ausgewählt, um aufzuzeigen, dass sogar im
Ausland solch ein Vorgang als eine Maßlosigkeit gewertet wurde.
Video
auf RTV aktuell
Hier der
Link zu dem Schlümpfe-Video auf TikTok
Über den
Eintrag „Deutschland ist kein Ort, sondern Heimat“, habe ich die
Quelle nicht gefunden.
Wie dem auch immer sei:
Der Schulleiter hat es sicherlich „gut“ gemeint, und sich
eigentlich nur so verhalten hat, wie das bereits 2015 der damalige
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) eingefordert hat.
06 Aufruf des Innenministers Thomas de Maizière
2015
TOP
2015
hatte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière im
Zusammenhang mit der gemeinsamen Aufgabe, Terroristen ausfindig
zu machen und zu bekämpfen, auf der BKA-Tagung am 18.11.2015 in
Mainz deutlich gemacht, was er für erforderlich und für geboten
hält, um der Terrorgefahr angemessen begegnen zu können.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière
(CDU) sagte damals:
Wir dürfen
nicht die Augen verschließen, wir dürfen uns nicht schämen, zu
sagen, wenn sich jemand in unserem Umfeld verändert hat oder
sich radikalisiert. Es ist kein Verrat am eigenen Sohn, an der
eigenen Tochter, an der eigenen Familie, am eigenen Kollegen.
Kein Verrat am Mitschüler, sondern ein Ausdruck von Sorge und
ein Zeichen von Liebe und Gemeinschaft. Wenn man dafür sorgt,
dass solche Radikalisierungsprozesse abgebrochen werden,
unterbrochen werden, dass wir die Menschen zurückholen in unsere
Gesellschaft
[En01].
Mit anderen Worten:
Es gibt sicherlich Gründe und Anlässe, die es
rechtfertigen, die Polizei davon in Kenntnis zu setzen.
Beispiel:
Hätte die 16-jährige Schülerin in ihrem Facebook-Account zum
Beispiel damit gedroht, ihre Mitschülerinnen und Mitschüler zu
töten, oder eine Amoktat angekündigt, dann wäre zweifellos
ein nachvollziehbarer Grund gegeben, die Polizei davon in
Kenntnis zu setzen. Im Übrigen würde dann auch wohl kaum jemand
auf den Gedanken kommen, ein situationsangepasstes Einschreiten
der Polizei als rechtswidrig zu bezeichnen.
Solch
eine, oder eine dieser Gefahrenlage entsprechende Situation war
aber nicht gegeben, als die Polizei um Einschreiten ersucht
wurde. Das, was der Jugendlichen vorgeworfen wurde, war nichts
anderes als die rechtmäßige Ausübung ihres Grundrechts auf
Meinungsfreiheit. Insoweit stellt sich zwangsläufig die Frage,
wie es möglich ist, dass staatliche Organe die Ausübung solch
eines Freiheitsrechts zum Anlass nahmen, sogar polizeilich gegen
eine Jugendliche im Schulraum vorzugehen.
Die Antwort ist schnell gefunden:
Es bedarf
keiner großen Phantasie, sich vorzustellen, wie der bereits 2015
vom damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU)
eingeforderte „Geist der Aufmerksamkeit“, sollte er auf jede und
sogar auf nur eingebildete Auffälligkeiten angewendet werden, die gemeinsame Suche nach dem Bösen
eskalieren lassen kann.
Die Grenze
des noch Erträglichen wurde zwischenzeitlich sowohl von Bundesinnenministerin
Nancy
Faeser
und von dem Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutzes, Thomas
Haldenwang durch eine gemeinsam vertretene
Sprachfigur überschritten, die beide als eine
„verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“
bezeichnet haben, was, gelinde gesagt, durchaus als Herrschaft des
Verdachts bezeichnet werden kann, denn die Sprachfigur
„verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ kennt
das deutsche Recht noch nicht.
Wie dem auch immer sei:
In der DDR, und das war auch ein Grund ihres Zusammenbruchs,
nannte man solche Menschen, die dem Staat alles meldeten, was
auch nur irgendwie auffällig wurde, Blockwarte.
Dass solch
eine gesteigerte Aufmerksamkeit zum Schutz der Demokratie, sogar
einen Schulleiter dazu bewegen kann, die Polizei zu ersuchen,
eine seiner Schülerinnen zu ermahnen, weil ihre Posts auf der
Plattform
TikTok
durchaus als eine „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung“
anzusehen sind, wird hier der Einfachheit halber unterstellt,
denn niemand weiß, wie genau die Kommunikation zwischen dem
Schulleiter und der Polizei „ausgesehen“ hat. Festzustellen ist,
dass sie ausreichte, die Polizei dazu zu bewegen, mit der
Schülerin in dem Gymnasium zu sprechen.
07 Schulischer Bildungsauftrag
TOP
Der
schulische Bildungsauftrag geht von der Vorstellung aus, dass
Bildung sowohl Personen als auch Gesellschaften verändern
können, zumindest wird der Ruf nach „Bildung“ immer dann
eingefordert, wenn es darum geht, gesellschaftliche
Fehlentwicklungen zu beseitigen. Dieser Ruf nach Besserung wirft
jedoch die Frage auf, ob Veränderungen durch Bildung überhaupt
möglich sind.
Konrad Paul
Liessmann:
Dass sich Menschen und Gesellschaften durch Bildung verändern
lassen, gehört zu den zentralen Mythen moderner
Bildungsideologien. Vielen gilt Bildung als jenes
Instrumentarium, mit dem nicht nur die Menschen ihr
individuelles Glück finden, sondern auch die sozialen,
politischen und ökologischen Probleme unserer Zeit gelöst werden
können
[En02].
Von
dieser Vorstellung ausgehend liegt es also nahe,
Demokratieerziehung an Schulen sozusagen als ein
"Grundnahrungsmittel demokratischer Gesellschaften" zu
implementieren, soweit an Mythen geglaubt wird. Dagegen ist
nichts einzuwenden, wenn es sich bei der Bildung, die
Schülerinnen und Schüler in Schulen erleben, nicht bloß um
blasse Theorie handeln würde, sondern an Schulen Demokratie
tatsächlich erlebt werden kann, denn nur erlebte Bildung vermag
Menschen zu verändern.
Konrad Paul
Liessmann:
Bildung [gemeint sind Fakten] allein kann eine Gesellschaft
nicht verändern. Wohl aber kann sie dazu beitragen, jene
Diskurse kritisch zu befragen, die lautstark die realen
Veränderungsprozesse, etwa im Bereich [sozialer Medien,
politischer Veränderungen oder demokratiegefährdenden
Entwicklungen] begleiten
[En03].
Daran
hat es aber im hier zu erörternden Sachzusammenhang in
Mecklenburg-Vorpommern gefehlt, denn das, was die Schülerin
erlebt hat, kann nur als eine nachhaltig wirkende
Demokratieenttäuschung verstanden werden.
Ob solch ein
Lernerfolg im Sinne des Schulgesetzes des Landes
Mecklenburg-Vorpommern tatsächlich angestrebt wird, das kann,
nein das muss bezweifelt werden, denn ein übergriffig werdender
Staat - wozu auch Schulen gehöre können – hört auf, eine Demokratie zu
sein.
Kurzum:
Ein Denunziantentum und eine Fehlerkorrektur, der es bereits am Fehler
fehlt, sieht das Schulgesetz als einen durch Erziehung
abzustellenden Missstand nicht vor. Auch in Schulen gilt, dass
die Würde von Schülerinnen und Schülern unantastbar ist und auch
Lernende ein Recht auf freie Meinungsäußerung haben.
§ 2
(Schulgesetz -
SchulG
M-V) Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule
§ 55
(Schulgesetz -
SchulG
M-V) Informationsrechte der Erziehungsberechtigten und der
Schülerinnen und Schüler
§ 60
(Schulgesetz -
SchulG
M-V) Erziehungsmaßnahmen
§ 60a
(Schulgesetz -
SchulG
M-V)
Ordnungsmaßnahmen
Mit anderen Worten:
Die Vorstellungen, wie eine Demokratie vor ihrem Verfall
zu schützen ist, dürfte bereits heute einen Zustand erreicht haben, der
es dringend erforderlich macht, darüber nachzudenken, was ein
wehrhafter Staat zu tun hat, um die Demokratie, also sich
selbst, zu schützen. Denunzieren, Menschen auszugrenzen, die
anders denken, oder gar eine Behörde in die Lage zu versetzen,
schon unterhalb der Schwelle eines Tatverdachts über Personen
Informationen sammeln und auszuwerten, dürften da wohl eher den
Verfall beschleunigen, als zum Schutz der Demokratie
beizutragen, denn ein Staat, der nur noch solche Meinungen
akzeptiert, die dem Staat selbst genehm sind, hört zwangsläufig
auf, eine Demokratie zu sein.
Nur zur Erinnerung:
Es gibt keine westliche Demokratie, die, wie das in Deutschland
der Fall ist, über einen Inlandsgeheimdienst verfügt. Die Gründe
für die deutsche Ausnahme liegen, und das ist der alleinige
Grund für diese Ausnahmeposition im Kreis der anderen westlichen
Demokratien, in der jüngeren deutschen
Vergangenheit, denn nach Ende des Zweiten Weltkrieges hielten es
die „Väter und Mütter“ des Grundgesetzes für erforderlich, zu
verhindern, dass Nazis weiterhin ihr Unwesen trieben. Verhindern
konnten sie das aber nicht.
Anders ausgedrückt:
Verhindert werden sollte, dass sich „jene nicht auf die
Grundrechte berufen dürfen“, die von beim Kampf gegen die
Demokratie und die freiheitlich demokratische Grundordnung
deren Verfall beschleunigen konnten.
Der
SPD-Abgeordnete Carlo Schmid nannte dies im Jahr 1948 die
„immanente Schranke“ der Grundrechte, denn das Grundgesetz
sollte sich im Sinne einer „wehrhaften Demokratie“ stets gegen
ihre Feinde zur Wehr setzen können. Wehrhafte Demokratie, das
bedeutete damals nichts anderes als die Inanspruchnahme des
Rechts auf Selbstverteidigung des demokratischen Staates gegen
eine latent vorhandene immer noch sehr große Gegnerschaft
ehemaliger Nazis, deren Geisteshaltung sich nicht von heute auf
morgen verändert haben konnte, obwohl es auch damals viele
Wendehälse gab, die zwar die Blickrichtung ändern konnten, nicht
aber ihre Gesinnung.
Mit anderen Worten:
Dieser Sichtweise folgend vermag es auch heute nicht zu
überraschen, dass Meldestellen für Abweichungen von der
Political Correctness und Hasskriminalität sozusagen wie Pilze
aus dem Boden sprießen, um verbalen und mentalen
Grenzverschiebungen sofort entschieden entgegentreten zu können,
und das auch dann, wenn gar nichts Verwerfliches gesagt oder
geschrieben wurde.
Dieses Bemühen um Selbstschutz, verbunden
mit der Absicht, sogar Äußerungen unterhalb der
Strafbarkeitsgrenze zu verfolgen, dient heute bereits dazu, die
Sprachfigur der "wehrhaften Demokratie" mit Leben zu füllen.
Und exakt an dieser Stelle
befinden wir uns wieder in dem Mecklenburger Gymnasium, dessen
Schulleiter, einer Empfehlung seiner obersten Dienstbehörde, dem
Ministerium für Bildung und Kindertagesförderung folgend, sogar
die Polizei bemüht hat, eine von ihm festgestellte
„verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des
Staates“, begangen durch eine ihm anvertraute Schülerin,
polizeilich verfolgen zu lassen.
Was diesem Ersuchen folgte, das
wurde sogar vom Innenminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern
als eine Gefährdungsansprache bezeichnet, die verhältnismäßig
war, weil ja praktisch nichts geschehen ist, keine Festnahme,
kein Zwang, keine Anzeige ... also nichts außer eines
polizeilichen Ratschlags, in Zukunft Posts bei
TikTok
zu unterlassen.
08 Was die Schülerin gelernt hat
TOP
Es ist
schon eine besondere Erfahrung für eine jugendliche Schülerin,
von der Polizei aus dem Unterricht geholt und dann auch noch
dahingehend belehrt zu werden, dass es besser für sie ist, auf
TikTok
keine Posts mehr zu verbreiten. Was von den einschreitenden
Polizeibeamten genau gesagt worden ist, dass können wir nicht
wissen. Und auch, wenn sie gut gemeint waren, werden die
belehrenden Worte der Polizeibeamten einen bleibenden Eindruck
bei der 16-Jährigen hinterlassen haben – nicht nur bei ihr,
sondern auch bei ihren Mitschülerinnen und Mitschülern, die
Zeugen waren, was ihre Schule unter Demokratieerziehung
versteht.
Clara
Hannaford, eine anerkannte US-amerikanische Neurophysiologin,
Pädagogin und Kinesiologin, die als Wissenschaftlerin die
neurophysiologischen Grundlagen des Lernens erforscht, würde zu
dem Gespräch, dass die Polizei einer 16-jährigen Schülerin
sozusagen „aufzwang“, sich wie folgt äußern:
Carla Hannaford:
Worte können nur dann verstanden werden, wenn sie im Geist des
Lernenden ein Bild hervorrufen. Sagt der Lehrer ein bestimmtes
Wort (zum Beispiel Demokratie) und die Schüler verfügen nicht
über das zugehörige Bild, bleibt ihnen das Wort unverständlich
und sie werden verwirrt. Erfahrungen dagegen sind direkt und
real. Sie beziehen die Sinne, die Emotionen und Bewegungen mit
ein und beschäftigen den Lernenden umfassend. Es geschieht
wirklich etwas, wenn wir mit allen unseren Sinnen wahrnehmen,
und bei dieser Art der Erfahrung beobachten wir, stellen
Verbindungen zu vergangenen Erlebnissen her und erkennen Muster.
Worte sind in diesem Prozess nützlich, sie helfen uns, unsere
Gedanken angesichts unserer Empfindungen zu ordnen. Aber sie
sind kein Ersatz für die Kraft und Lebendigkeit wirklicher
Erfahrung
[En04].
So würde
das auch John
Hatti,
einem neuseeländischen Pädagogen, der an der John Allan Clinton
lehrt und der die wohl umfangreichste Metastudie über den
Vorgang des Lernens erstellt hat, diese Rückmeldung der Polizei
hinsichtlich unliebsamen Verhaltens, wie folgt bewerten:
John
Hatti:
Rückmeldungen sind sowohl für die Lernenden als auch für die
Lehrpersonen wichtig. Sie sind, genau betrachtet, auf beiden
Seiten sogar die wichtigsten Motoren des Lernens und des
Lehrens. Nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern auch
Lehrpersonen brauchen eine öffentliche und schulische
Lernkultur, in der die produktive Rolle von Fehlern genutzt
werden kann. Der Umgang mit Fehlern ist als Ausdruck
pädagogischer Professionalität zu bewerten - und nicht als
Makel. Fehler zu begehen ist kein Problem, sondern im Lernen und
Lehren ganz normal. Problematisch hingegen wird es, wenn Fehler
nicht reflektiert und insofern wiederholt werden. Am
eindrücklichsten hat einer der weltbesten und erfolgreichsten
Basketballspieler aller Zeiten, Michael Jordan, den Zusammenhang
zwischen Fehlern und Erfolg auf den Punkt gebracht: „Mehr als
neuntausend Würfe in meiner Karriere gingen daneben. Ich habe
fast dreihundert Spiele verloren. Sechsundzwanzig Mal lag es an
mir, den spielentscheidenden Wurf zu machen, und ich habe
versagt. Immer und immer und immer wieder bin ich in meinem
Leben gescheitert. Und deswegen habe ich Erfolg
[En05].
09 Denunziantentum und Tugendterror
TOP
Denunziantentum und Tugendterror darf nicht ohne Konsequenzen
bleiben, denn dies sind die bevorzugten Mittel eines sanften
Totalitarismus, der von Demokratie schwafelt, sich aber
jederzeit das Recht vorbehält, diejenigen, die ausscheren,
punktuell mit aller Härte zu verfolgen, und wenn es geht, auch
zu bestrafen.
Dass diese Vorgehensweise jeglicher Logik und
jeglichem gesunden Rechtsempfinden widerspricht, ist Teil der
beabsichtigten einschüchternden Wirkung.
Diesbezüglich heißt es auf
Tichyseinblick.de
vom 15. März 2024 unter der Überschrift: Gefährderansprache für
Heimatliebe: Einschüchterung: das Lieblingswerkzeug des sanften
Totalitarismus, wie folgt:
Tichyseinblick.de:
Die Kombination aus einem offensichtlich politisch motivierten
Schuldirektor, der einer Ausstellung aus dem „Demokratie leben!“
Projekt in seiner Schule Raum gab, einem offensichtlichen
Denunzianten, der die Schülerin anonym anschwärzte, einem
Polizeiapparat, der zwar an anderer Stelle ständig über
Unterbesetzung jammert, aber in diesem Fall – obwohl bekannt
war, dass kein Strafbestand vorlag – es für angebracht hielt mit
gleich drei Beamten anzurücken, einem SPD-Innenminister, der die
Aktion als „verhältnismäßig“ einstufte, da „keine Festnahme,
keine Handschellen“ zum Einsatz kamen, sowie einer Schülerin,
die nichts weiter getan hatte, als ein Video einer legalen und
demokratisch legitimierten Partei geteilt und Deutschland als
ihre Heimat bezeichnet zu haben – all diese Faktoren ergeben im
Zusammenspiel mit geringem Aufwand der Staatsmacht ein Signal an
eine ganze Generation Heranwachsender, dass jegliche öffentliche
Äußerung, die nicht zugunsten des etablierten Mainstreams
ausfällt, mit dem zeitgenössischen Äquivalent einer
Prangerstrafe geahndet werden kann
[En06].
Nun gut:
Strafrechtlich Relevantes konnte der Schülerin nicht vorgeworfen
werden. Dem neuen Zeitgeist entsprechend war ein Untätigbleiben
der Polizei aber allein deshalb nicht möglich, da ja auch
„unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ demokratieförderndes
staatliches Verhalten einzufordern geboten gewesen sei. Und so
wurde, wie ein Polizei-Pressesprecher sagt, mit der Schülerin
eine Art Gefährderansprache geführt.
Wohin solch
ein Demokratieverständnis führt, dazu hat sich bereits Alexis
de Tocqueville
(1805 bis 1859) im Anschluss an seine Amerikareise (1835 bis
1840) wie folgt positioniert:
Alexis
de Tocqueville:
Als die Amerikaner der politischen Gerichtsbarkeit die
richterlichen Strafen entzogen, sind sie [...]
den
furchtbaren Folgen der "Tyrannei der gesetzgebenden Gewalt"
zuvorgekommen als der Tyrannei schlechthin. Ich bin mir nicht
sicher, ob – im Ganzen betrachtet – die politische
Gerichtsbarkeit, wie man sie in den Vereinigten Staaten
auffasst, nicht doch die fürchterlichste Waffe ist, die jemals
den Händen der Mehrheit anvertraut worden ist. Wenn die
amerikanischen Republiken anfangen werden zu verfallen, so
glaube ich, wird man das leicht erkennen können: Man muss nur
schauen, ob die Tätigkeit der politischen Gerichtsbarkeit
zunimmt.
[En06a]
Diese
Ausführungen lassen sich durchaus auch auf die
Gegebenheiten in der besten deutschen Demokratie übertragen,
die, so ihre Kritiker, keine wirkliche Demokratie mehr ist. Dazu
ist es lediglich erforderlich, die Sprachfigur der „politischen
Gerichtsbarkeit“ durch die der „politischen Ausgrenzung“ zu
ersetzen, denn diese Ausgrenzung hat in der bundesdeutschen
Demokratie von heute bereits erschreckende Ausmaße angenommen.
Zum Beispiel:
Auf der
Website des
Hessischen
Fußballverbandes heißt es: Man könne jemandem die Mitgliedschaft
verweigern, „wenn bekannt ist, dass diese Person einer
rechtsextremen Gruppierung angehört“.
Und auch der FC Bundestag, so heißt es auf zdfheute.de vom
22.3.2024, schließt AfD-Spieler aus. Dass diese Entscheidung bei
der AfD auf Kritik stößt, ist naheliegend. Auch, dass sie
dagegen vorgehen will, denn das ist ihr Recht.
Wie dem auch immer sei:
Bedauerlicherweise gibt es aber bis heute keine gesetzliche
Legitimation darüber, was Radikalismus bzw. Extremismus
eigentlich ausmacht. Politiker, die danach gefragt werden,
ziehen es in der Regel vor, zu schweigen, denn nicht einmal im
Bundesverfassungsschutzgesetz
lässt sich dazu eine Definition finden.
Bei
allem, was zu diesen Sprachfiguren in der Öffentlichkeit bekannt
ist, handelt es sich um Wortschöpfungen von politischen Beamten
(Präsident des Bundesverfassungsschutzes) oder anderen
hochrangigen Beamten sowie der diesen Beamteb vorgesetzten
Bundes- und Landesminister,
die den Verfassungsschutzbehörden vorstehen, eingeschlossen.
Mit anderen Worten:
Der Gesetzgeber hat es bisher nicht geschafft, auch nur vage die
Voraussetzungen zu definieren, die gegeben sein müssen, um das
Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV)
dazu zu ermächtigen, Informationen über „staatsgefährdende
Personen“ sammeln zu können, die einen rechtsstaatlich
erforderlichen Mindestverdacht anhand erkennbarer Tatsachen
belegen.
§ 8
BVerfSch (Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz)
10 Die Schule und die Polizei
TOP
Schulen
sind nicht nur Lernorte, sondern bekanntermaßen auch Tatorte. Es
vermag insoweit nicht zu verwundern, dass auch an den Schulen in
Mecklenburg-Vorpommern die Anzahl dort begangener Straftaten
zugenommen hat.
NDR.de
vom 18.03.2024:
Die Zahl der Gewalt-Vorfälle an Schulen in
Mecklenburg-Vorpommern ist gestiegen. Zuletzt machten mehrere
Fälle von Reizgas-Attacken Schlagzeilen. Registrierte das
Bildungsministerium im Schuljahr 2021/2022 noch 511 Vorfälle,
waren es im Schuljahr darauf 769
[En07].
Solche
Straftaten zu erforschen und zu verfolgen ist Aufgabe der
Polizei. Das aber setzt voraus, dass sie davon in Kenntnis
gesetzt wird.
Erhält
die Polizei von einer Straftat Kenntnis, ist es als
Strafverfolgungsbehörde ihre Aufgabe, bekannt gewordene
Straftaten zu erforschen. Voraussetzung für eine Strafverfolgung
ist aber der so genannte hinreichende Tatverdacht. Für die
Begründung dieses Anfangsverdachts reichen Vermutungen aus, die
im zureichenden Maße die Annahme rechtfertigen, dass
tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat gegeben sind.
Die sind
gegeben, wenn die Möglichkeit einer strafbaren Handlung besteht.
Das war aber bei den hier zu erörternden Gegebenheiten nicht der
Fall. Insoweit stellt sich die Frage, wie es in einem
Rechtsstaat möglich ist, Polizeibeamte dazu zu bewegen, eine
Jugendliche „erziehen“ zu wollen, obwohl das gar nicht Aufgabe
der Polizei ist.
Der beschwichtigenden Erklärungen gibt es
viele. Hier zum Beispiel eine Leseprobe aus der Süddeutschen
Zeitung vom 15.03.2024:
Sueddeutsche.de
vom 15.3.2024:
Innenminister Pegel verteidigte im Landtag das Vorgehen der
Polizisten. „Ich glaube doch, dass die Verhältnismäßigkeit
gewahrt war“, sagte er. Bildungsministerin Oldenburg ließ in
einer Mitteilung ihres Hauses erklären, Schulleitungen in MV
seien gehalten, die Polizei einzuschalten, wenn bei Besitz,
Erstellung und/oder Verbreitung von Textnachrichten, Fotos oder
Videos ein strafrechtlicher Hintergrund nicht zweifelsfrei
ausgeschlossen werden könne. Der Schulleiter übergab den Fall
der Polizei zur Klärung des Sachverhalts. Alle weiteren
Maßnahmen und Entscheidungen wurden durch die Polizei getroffen
[En08].
Ich
überlasse es Ihnen, diese Aussagen zu bewerten, deren Ziel nur
darin besteht, ein staatliches Vorgehen auf der einen Seite
(Innenminister) schönzureden und auf der anderen Seite
(Bildungsministerin) die Verantwortung für inkompetentes
Verhalten auf die Polizei abzuwälzen.
Wie dem auch immer sei:
Die Hinzuziehung der Polizei anlässlich von Straftaten im
Schulbereich kommt zumindest in NRW nur dann in Betracht, wenn
die Voraussetzungen des Erlasses „Zusammenarbeit bei der
Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität“ greifen.
Das ist
der Fall, wenn es im Schulbereich: zu:
-
Gefährlichen Körperverletzungen
-
Einbruchsdiebstählen
-
Verstößen gegen das Waffengesetz
-
Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz oder zu
-
Erheblichen Fällen von Bedrohung, Sachbeschädigung oder Nötigung
sowie zu
-
Politisch
motivierten Straftaten
gekommen
ist [En09].
11 Aufgabe der Schulleitung
TOP
Besteht
gegen Schülerinnen oder Schüler der Verdacht der Begehung eines
Verbrechens oder eines schwerwiegenden Vergehens, so hat die
Schulleitung die Strafverfolgungsbehörden zu benachrichtigen.
Soweit
sich der Verdacht einer sonstigen strafbaren Handlung (Vergehen
und Bagatelldelikte) ergibt, hat die Schulleitung zu prüfen, ob
pädagogische oder schulpsychologische Unterstützung, erzieherische
Einwirkungen beziehungsweise Ordnungsmaßnahmen ausreichen, oder
ob wegen der Schwere der Tat eine Benachrichtigung der Polizei
oder der Staatsanwaltschaft erforderlich ist.
Anders ausgedrückt:
Die Polizei sollte nur dann hinzugezogen werden, wenn es sich um
Straftaten handelt, die nicht mehr als "Bagatelldelikte"
bezeichnet werden können. Ob schwere Fälle der Beleidigung oder
Mobbingfälle unter Nutzung der sozialen Medien, die den
Tatbestand des Nachstellens erfüllen können, siehe § 238 StGB
(Nachstellen), noch als Bagatelldelikte angesehen werden dürfen,
bedarf hier keiner Klärung, denn dazu ist es im hier zu erörternden
Fall nicht gekommen.
Es lag
ja nicht einmal der Anfangsverdacht einer Straftat vor.
Daraus ergibt
sich die Feststellung, dass die Polizei zu diesem Zweck gar
nicht hätte einschreiten dürfen, da nicht einmal ein Anlass
dafür gegeben war, die dafür erforderliche sachliche
Zuständigkeit überhaupt begründen zu können. Die aber ist
erforderlich, um überhaupt strafprozessuale Maßnahmen treffen zu
können, auf die aber mangels Zuständigkeit verzichtet werden
muss, wenn das nicht der Fall ist.
12 Eine Gefährdungsansprache setzt eine
"polizeiliche Gefahr"
voraus
TOP
Bei
einer polizeilichen Gefährdungsansprache handelt es sich um eine
polizeiliche Maßnahme, die auf der Grundlage der polizeilichen
Generalklausel verfügt werden kann, wenn die dafür
erforderlichen Voraussetzungen greifen. Das wiederum setzt
voraus, dass – genauso wie das bei der Zuständigkeit zur
Strafverfolgung erforderlich ist – eine Zuständigkeit zur
Gefahrenabwehr nachgewiesen werden kann. Wenn die nicht möglich
ist, dann können auch die Voraussetzungen der Generalklausel
nicht greifen.
Anders ausgedrückt:
Trifft die Polizei Maßnahmen zur Gefahrenabwehr, ohne die dazu
erforderliche Zuständigkeit nachweisen zu können, dann kann eine
Gefährdungsansprache, um die es hier geht, nur rechtswidrig
sein.
Fragen der Verhältnismäßigkeit stellen sich dann gar
nicht, denn die sind nur auf der Rechtsfolgenseite bedeutsam.
Wenn aber eine Rechtsfolge mangels sachlicher Zuständigkeit gar
nicht hätte gesetzt werden dürfen, dann wird diese Maßnahme auch
nicht dadurch rechtmäßig, indem behauptet wird, dass dieses
polizeiliche Vorgehen ja so unbedeutend gewesen ist, dass so ein
bisschen Rechtswidrigkeit doch wohl nicht so schlimm sein kann,
denn letzten Endes haben es die einschreitenden Beamten mit der
Schülerin ja nur gut gemeint.
In einem
Kommentar zu dieser Sichtweise, der am 15.3.2024 in der
Neuen
Züricher
Zeitung erschien, heißt es:
NZZ.ch
vom 16.03.2024:
Ein Staat, der eine Schülerin wegen eines Schlumpf-Videos mit
einer „Gefährderansprache“ einschüchtert, hat jedes Maß
verloren. Deutschland führt einen Kampf „gegen rechts“, und laut
dem Verfassungsschutzpräsidenten Thomas
Haldenwang
soll dieser bereits «unterhalb der Strafbarkeitsgrenze»
beginnen.
[En09a]
Nicht
nur das. Ein Staat, der seine Legitimität dem Souverän verdankt,
steht nur dann das Recht zu, in die Grundrechte von Personen
einzugreifen, wenn die handelnden Staatsorgane dazu nachweislich
gesetzlich legitimiert sind.
Anders ausgedrückt:
Staatliches
Eingreifen in Grundrechte kann nur auf der Basis objektiver
Tatsachen legitimiert werden. Dort, wo dies nicht möglich ist,
entfällt auch die Rechtfertigung für einen Grundrechtseingriff
zum Zweck der Gefahrenabwehr, denn diese Zuständigkeit setzt
eine Gefahr voraus. Das wiederum ist eine Sprachfigur, die einer
sorgfältigen Erörterung bedarf:
Polizeiliche Gefahr: Der zentrale Begriff des
Polizeirechts ist der unbestimmte Rechtsbegriff der "Gefahr".
Damit ist traditionell die "konkrete" Gefahr gemeint.
Hans J. Wolff: Nach
allgemeiner Auffassung liegt eine "Gefahr" vor, wenn eine
Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des
objektiv zu erwartenden Geschehens mit Wahrscheinlichkeit ein
polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird.
Hans J.
Wolff, Verwaltungsrecht III
Eine Gefahr setzt
folglich einen drohenden Schaden voraus.
Anders ausgedrückt: Eine Gefahr ist gegeben, wenn mit dem Eintritt eines Schadens zu
rechnen ist. Eine Gefahr ist somit ein Zustand, der dadurch
gekennzeichnet ist, dass aufgrund konkreter Anhaltspunkte der
Eintritt eines Schadens zu erwarten ist.
Hinweis:
Die Gefahrenabwehr ist das Herzstück des Polizeirechts. Ihr
Stellenwert ist so bedeutsam, dass in begründeten Einzelfällen
sogar die Strafverfolgungspflicht gegenüber der Gefahrenabwehr
zumindest vorübergehend zurücktreten muss.
Grundsatz: Gefahrenabwehr vor Strafverfolgung
Die abstrakte Gefahr: Abstrakte Gefahren werden
typischerweise vom Gesetz- bzw. Verordnungsgeber durch Normen
geregelt. So dient zum Beispiel die Straßenverkehrsordnung der
Abwehr von Gefahren, die durch die Teilnahme am öffentlichen
Straßenverkehr entstehen können, indem sie alle
Verkehrsteilnehmer dazu verpflichtet, sich an die Verkehrsregeln
zu halten.
BVerfG
2006: In dem Spannungsverhältnis zwischen der Pflicht
des Staates zum Rechtsgüterschutz und dem Interesse des
Einzelnen an der Wahrung seiner von der Verfassung verbürgten
Rechte ist es [...] zunächst Aufgabe des Gesetzgebers, in
abstrakter Weise einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen
zu erreichen (...). Dies kann dazu führen, dass bestimmte
intensive Grundrechtseingriffe erst von bestimmten Verdachts-
oder Gefahrenstufen an vorgesehen werden dürfen. Entsprechende
Eingriffsschwellen sind durch eine gesetzliche Regelung zu
gewährleisten (...).
BVerfG,
Beschluss vom 04.04.2006 - i BvR 518/02
Mit anderen Worten: Die Abwehr abstrakter Gefahren ist
vorrangig Aufgabe des Gesetzes- und Verordnungsgebers.
BVerwG 2003:
Maßgebliches Kriterium zur Feststellung einer Gefahr ist die
hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (...). Das
trifft nicht nur für die "konkrete" Gefahr zu, die zu
Abwehrmaßnahmen im Einzelfall berechtigt, sondern auch für die
den sicherheitsrechtlichen Verordnungen zugrunde liegende
"abstrakte" Gefahr.
BVerwG,
Urteil vom 20.08.2003 - BVerwG 6 CN 2.02
Abgrenzung einer abstrakten Gefahr von der einer konkreten
Gefahr:
BVerwG 1970:
Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn in dem zu
beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit
dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden
kann; eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine
generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von
Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall
einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit
generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz zu bekämpfen;
das hat zur Folge, dass auf den Nachweis der Gefahr eines
Schadenseintritts im Einzelfall verzichtet werden kann.
Auch die
Feststellung einer abstrakten Gefahr verlangt mithin eine in
tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherte Prognose: Es müssen
- bei abstrakt-genereller Betrachtung - hinreichende
Anhaltspunkte vorhanden sein, die den Schluss auf den drohenden
Eintritt von Schäden rechtfertigen. Dabei liegt es im Wesen von
Prognosen, dass die vorhergesagten Ereignisse wegen anderer als
der erwarteten Geschehensabläufe ausbleiben können. Von dieser
mit jeder Prognose verbundenen Unsicherheit ist die Ungewissheit
zu unterscheiden, die bereits die tatsächlichen Grundlagen der
Gefahrenprognose betrifft. Ist die Behörde mangels genügender
Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte
und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu der
erforderlichen Gefahrenprognose nicht im Stande, so liegt keine
Gefahr, sondern - allenfalls - eine mögliche Gefahr oder ein
Gefahrenverdacht vor.
BVerwG,
Urteil vom 26.06.1970 - BVerwG 4 C 99.67
Der Gefahrenverdacht: Diese Gefahrenart gibt es zwar nicht,
sie wird aber seit geraumer Zeit sogar verwaltungsgerichtlich
als gegeben anerkannt. Dennoch: In der Rechtslehre ist strittig,
ob bereits aufgrund eines bloßen Gefahrenverdachts
gefahrenabwehrende Maßnahmen getroffen werden können. Besser ist
es, in solchen Fällen von einer so genannten Anscheinsgefahr
auszugehen, soweit eine solche zu begründen ist.
BVerwG 2003:
Schadensmöglichkeiten, die sich deshalb nicht ausschließen
lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte
Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können,
begründen keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht
oder ein »Besorgnispotenzial«. Das allgemeine
Gefahrenabwehrrecht bietet keine Handhabe, derartigen
Schadensmöglichkeiten im Wege der Vorsorge zu begegnen.
An anderer Stelle heißt es:
Ist die Behörde mangels genügender
Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte
und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu der
erforderlichen Gefahrenprognose nicht im Stande, so liegt keine
Gefahr, sondern - allenfalls - eine mögliche Gefahr oder ein
Gefahrenverdacht vor. Zwar kann auch in derartigen Situationen
ein Bedürfnis bestehen, zum Schutz der etwa gefährdeten
Rechtsgüter, namentlich höchstrangiger Rechtsgüter wie Leben und
körperlicher Unversehrtheit von Menschen,
Freiheitseinschränkungen anzuordnen. Doch beruht ein solches
Einschreiten nicht auf der Feststellung einer Gefahr; vielmehr
werden dann Risiken bekämpft, die jenseits des Bereichs
feststellbarer Gefahren verbleiben. Das setzt eine
Risikobewertung voraus, die - im Gegensatz zur Feststellung
einer Gefahr - über einen Rechtsanwendungsvorgang weit
hinausgeht und mehr oder weniger zwangsläufig neben der
Beurteilung der Intensität der bestehenden Verdachtsmomente eine
Abschätzung der Hinnehmbarkeit der Risiken sowie der Akzeptanz
oder Nichtakzeptanz der in Betracht kommenden
Freiheitseinschränkungen in der Öffentlichkeit einschließt,
mithin - in diesem Sinne - »politisch« geprägt oder mitgeprägt
ist (...). Eine derart weit reichende Bewertungs- und
Entscheidungskompetenz steht den Polizei- und Ordnungsbehörden
aufgrund der Verordnungsermächtigungen nach Art des § 25 Abs. 1
OBG nicht zu..
BVerwG,
Urteil vom 20.08.2003 - 6 CN 2.02
Wie dem auch immer sei: Festzustellen ist, dass
es Formulierungen sowohl in den Polizeigesetzen als auch in den
dazu erlassenen Verwaltungsvorschriftes es nur noch
Wortkünstlern ermöglichen, eine "abstrakte" Gefahr von einer
"konkreten" Gefahr begrifflich zu unterscheiden. In der
Verwaltungsvorschrift zum Polizeigesetz des Landes
Nordrhein-Westfalen (VVPolG NRW) heißt es zum Beispiel, zu der
Sprachfigur der abstrakten Gefahr in der Nr. 1.12 zum § 1 PolG
NRW (Aufgaben der Polizei) wie folgt:
Nr. 1.12
§ 1 Abs. 1 stellt auf die
abstrakte Gefahr ab und umfasst damit auch alle Fälle, in denen
bereits eine konkrete Gefahr vorliegt.
Diese Sprachfigur wird im Zusammenhang mit der Generalklausel
des Polizeigesetzes NRW durch den Begriff der "Anscheinsgefahr"
ersetzt. In der Nr. 8.11 zum § 8 PolG NRW (Allgemeine
Befugnisse, Begriffsbestimmung) heißt es:
Nr. 8.11
Zur konkreten Gefahr gehört auch die
Anscheinsgefahr, also eine Sachlage, die bei verständiger
Würdigung eines objektiven Betrachters den Anschein einer
konkreten Gefahr erweckt.
Wie dem auch immer sei: Im hier zu erörternden
Sachverhalt handelt es sich weder um eine abstrakte Gefahr noch
um eine Anscheinsgefahr, die es aus polizeilicher Sicht
abzuwehren gilt. Im Übrigen sind die Anforderungen sowohl an
eine abstrakte Gefahr als auch an eine Anscheinsgefahr nicht dem
Argumentationsgeschick einschreitender Polizeibeamtinnen und
Polizeibeamten überlassen, sondern, in Anlehnung an die ständige
Rechtssprechung aller Verwaltungsgerichte an konkretisierbare
Tatsachen gebunden, die über den Grad von Vermutungen
hinausgehen müssen.
Anders ausgedrückt: Auch unter einer
Anscheinsgefahr ist eine Sachlage zu verstehen, die bei
verständiger Würdigung eines objektiven Betrachters den Anschein
einer konkreten Gefahr erweckt. Daraus lässt sich schließen,
dass die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen
(Lebensweisheit).
Wie diese Ausführungen auf den hier beschriebenen Sachverhalt
anzuwenden sind, das möchtge ich Ihnen überlassen.
Meine Position wird durch die folgende Überschrift hinreichend
deutlich:
13 Demokratieerziehung ist keine polizeiliche
Aufgabe
TOP
Alles,
was sich nach dem Vorgang an einem Mecklenburger Gymnasium an
Unmut über die Schule, den Schulleiter, das Innenministerium,
als auch über die beteiligten Polizisten ergießt – die, ohne ihr
Einschreiten aus rechtlicher Sicht zu hinterfragen, bloß Befehle befolgten – muss leider
festgestellt werden, dass dies zurecht so ist, denn
Demokratieerziehung als ein Bildungsauftrag ist keine
polizeiliche Aufgabe. Aus polizeilicher Sicht kommt ein
"polizeilicher Erziehungsauftrag" wohl nur im Zusammenhang mit
polizeilichen Ermittlungen in Betracht, die sich gegen
Jugendliche richten, bei denen es sich um so genannte
Diversionsverfahren handelt, deren Ziel es ist, bei
geringfügigen Straftaten, soweit es sich dabei um Erstdelikte
handelt, eine
Hauptverhandlung zu vermeiden, also zu verhindern, dass ein
jugendlicher Straftäter von einem Richter verurteilt wird.
Diesem Verfahren liegt die
Vorstellung zugrunde, dass man die durch eine Verurteilung
verbundene Stigmatisierung eines Jugendlichen vermeiden will und
somit verhindert, dass ein jugendlicher Straftäter das volle
Strafverfahren durchläuft. Ziel des Diversionsverfahrens ist es,
einen Jugendlichen möglichst früh, zum Beispiel durch so
genannte "ambulante" Maßnahmen, sozusagen erzieherisch auf die
rechte Bahn zurück zu bringen.
Diese "Großzügigkeit"
entspricht durchaus dem geltenden Strafrecht, wozu auch das
Jugendstrafrecht gehört, denn grundsätzlich darf ein
jugendlicher Straftäter nur dann angeklagt werden, wenn ein
informelles Vorgehen gegen einen Jugendlichen aus erzieherischen
Gründen als nicht ausreichend angesehen wird
(Subsidiaritätsprinzip).
Es würde zu weit führen,
an dieser Stelle alle rechtlichen Details des
Diversionsverfahrens darzustellen.
14 Der liberale Rechtsstaat
TOP
Der hier
beschriebene Vorgang lässt zumindest erkennen, dass der liberale
Rechtsstaat zumindest gefährlich nahe an eine Grenze geraten
ist, die zu überschreiten dem noch bestehenden liberalen
Rechtsstaat nicht anzuraten ist, weil davon eine zerstörende
Wirkung ausgeht.
Warum?
Die
Freiheit, Meinungen zu haben und diese auch zu äußern, egal wie
brüskierend oder unerträglich sie für andere sein mögen, ist
seit John Locke die conditio sine qua non einer freien
Gesellschaft, denn das ursprüngliche Ziel des Liberalismus, in
Bezug auf die von ihm proklamierten Naturrechte, bestand ja
bekanntermaßen darin, das Individuum vor der Willkür der Macht
des Staates zu schützen.
Anders ausgedrückt:
Das Individuum besaß Rechte, die andere dazu zwingen, dieses
Individuum dennoch als ein freies Wesen zu behandeln, das
souverän über sein Leben verfügt, und das den gleichen Anspruch
auf Respekt hat, wie andere auch. Das gilt auch für Schülerinnen
und Schüler im ganz normalen Schulbetrieb.
Mir anderen Worten:
Die Theorie der Menschenrechte ist dazu da, staatlichen
Institutionen Grenzen zu setzen, und nicht dazu da, die Macht
der Bürokraten zu vergrößern, sofern sie nicht dem Zweck dienen,
ihre grundlegende Aufgabe zu erfüllen, nämlich die individuelle
Freiheit zu verteidigen und zu schützen und, im Hinblick auf
Schulen, ein Lernen in Freiheit zu ermöglichen. Ob damit ein
„Lernen in Freiheit“ gemeint ist, wie es Carl Rogers gemeint
hat, darf getrost bezweifelt werden, denn so viel Freiheit lässt
der Schulalltag nicht zu.
Dennoch:
Bei dem liberalen Rechtsstaat handelt es sich nicht um eine
Kultur der Zurückweisung unliebsamer Meinungen, sondern um eine
Kultur der Bejahung auch solcher Meinungen, die mit der
Political
Correctnes nicht übereinstimmen.
Was im
Schulbereich aber nicht ausschließt, dass darüber miteinander
gesprochen werden muss.
An den
Schulen in Mecklenburg-Vorpommern scheint das heute anders zu
sein.
Mit anderen Worten:
Auch wenn Schulleiter sich darauf berufen, dass die oberste
Schulbehörde des Landes Mecklenburg-Vorpommern, das Ministerium
für Bildung und Kindertagesförderung, ihre nachgeordneten
Behörden (auch Schulen sind Behörden) angewiesen hat, beim
Schutz der Demokratie vor unerwünschtem Denken und unerwünschtem
Verhalten genau hinzuschauen und die Polizei hinzuzuziehen, wenn
„unerwünschtes Denken“ nicht gänzlich ausgeschlossen werden
kann, dann wurde damit eine Tür zumindest einen Spalt weit in
Richtung auf einen „sanften staatlichen Totalitarismus“
geöffnet, einer Sprachfigur, die, wie oben schon bereits einmal
festgestellt, namhafte Demokratieforscher seit geraumer Zeit
verwenden, um die bereits heute real existierenden
„Postdemokratien“ und deren Verfallserscheinungen zu
beschreiben.
15 Politiker als Gefahr für die Demokratie
TOP
Diese
Überschrift hat Wolfgang Kubicki (FDP), der Vizepräsident des
Deutschen Bundestages verwendet, um darauf aufmerksam zu machen,
aus welcher Richtung der Demokratie heute der wohl größte Schaden
droht.
NZZ.ch vom 19.03.2024:
Wolfgang Kubicki nennt Innenministerin Nancy Faeser eine „Gefahr
für die Demokratie“. Wörtlich sagte der FDP-Politiker in dem
Format „Schüler – Fragen, was ist“ des Onlineportals
Nius:
„Ich halte Frau Faeser für eine größere Gefahr für die
Demokratie als diejenigen, die sie damit meint“. Damit nahm
Kubicki Bezug auf
Faesers
Aussage, wer den Staat verhöhne, werde es mit einem starken
Staat zu tun bekommen. Der Liberale entgegnete: „Es ist das
Recht eines jeden Menschen, den Staat zu verhöhnen.“ Auch
Familienministerin Lisa Paus von den Grünen und den Chef des
Inlandgeheimdienstes kritisierte Kubicki scharf. Paus hält
Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze für
ahndenswert,
sofern sie Hass oder Hetze verbreiten. Damit, so Kubicki, zeige
Paus ein „völlig falsches Bild, was unser demokratischer
Rechtsstaat gewährleisten muss“. Alles, was nicht strafbar ist,
könne gesagt werden.
Das von
Paus vorangetriebene «Demokratiefördergesetz» lehnt Kubicki ab.
Damit sollten lediglich politische Vorfeldorganisationen mit
staatlichen Mitteln ausgestattet werden. Ein Staat, der die
Demokratie fördern wolle, mache sich zum Gespött. Dem
Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas
Haldenwang,
riet Kubicki, sich mit öffentlichen politischen Äußerungen
zurückzuhalten. Er sei Amtschef, nicht Zensor
[En10].
16 Demokratieerziehung in der Kita
TOP
Ich muss
gestehen, dass ich mit dieser Sprachfigur wirklich nichts
anzufangen weiß, wenn sie in der Kita zur Anwendung kommen soll.
Grund dafür ist, dass es schwierig sein dürfte, Kindern in diesem
Alter überhaupt ihre Grundrechte zu erklären, denn die
Grundrechtsmündigkeit, also die Fähigkeit, von Grundrechten
überhaupt Gebrauch machen zu können, setzt die dafür notwendige
Einsicht voraus, die ja nicht einmal bei Grundschülern
angenommen werden kann.
Dennoch:
Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ist davon
überzeugt, dass Demokratieerziehung bereits in
Kindertagesstätten einzusetzen hat.
Das, was
Sie jetzt lesen, dass können Sie sich, wenn Sie das möchten,
auch in einer etwas ausführlicheren Fassung als Video anschauen:
Nancy Faeser:
Man muss früher anfangen. Ich würde immer schon in
Kindertagesstätten anfangen. Demokratieerziehung. [...]. Man
muss früh ansetzen. In der Kindertagesstätte muss man schon
dafür sorgen, weil man merkt doch, das, was [...]
von
Eltern vermittelt wird, das kommt doch bei den Kindern an. Das
Kind alleine ist nicht rassistisch. Das Kind alleine würde
niemals ein anderes Kind ausschließen, weil es völlig normal
findet, dass mal ein Kind vielleicht keine rote Brille aufhat,
sondern eine grüne. Aber die ausgrenzende Meinung kommt durch
die Eltern und deswegen finde ich es wichtig, dass in unseren
Institutionen das frühzeitig schon abgestellt wird. Frühzeitig
und in Schulen, wie gesagt, flächendeckende Schulsozialarbeit
ist aus meiner Sicht das
Wichtigste,
sehr früh Präventionsarbeit machen zu können.
Videoaufzeichnung des Gesprächs
Nandy Fraeser / Michel Friedmann
Solch
einer Kita würde ich meine Kinder nicht
anvertrauen, wenn sie noch im Kitaalter wären, was
erfreulicherweise nicht mehr der Fall ist.
Warum?
Ein Staat, der Kinder mit
ideologischen Einstellungen von ihren
Eltern entfremden will, kann keine Demokratie mehr sein.
Getarnt
wird diese Ungeheuerlichkeit heute durch einen
„Extremismus“-Begriff, der völlig aufgeweicht und pervertiert
wurde. Denn für einen „Extremismus“-Verdacht reichen ja heute,
wie oben bereits festgestellt, im Zweifelsfall schon harmlose Posts in
den sozialen Medien aus. Und wenn diese Oberverdachtsbrille
bereits in Kitas eingesetzt wird, dann ist es nicht mehr weit
bis zu dem Punkt, an dem Kinder wieder ihre Eltern denunzieren,
die ihnen andere Werte vermitteln. Das wiederum ist eine Praxis, die nicht nur in der Hitlerdiktatur perfektioniert
wurde. Insbesondere in Ostdeutschland können sich noch viele
Menschen gut daran erinnern, was das bedeutet.
Dort erinnert man sich sicherlich auch an die sozialistischen
Erziehungsmethoden, die nur einen Feind kannten, den
Klassenfeind im Westen.
Wie bei denen, die unter diesen Erziehungsmethoden gelitten
haben, die Aufforderung der Lehrergewerkschaft GEW ankommen
wird, bleibt abzuwarten.
Welt.de vom 29.03.2024: Die Gewerkschaft
Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat die Lehrkräfte in
Deutschland aufgerufen, sich im Unterricht kritisch mit der AfD
auseinanderzusetzen. „Die AfD ist eine Partei mit
erfassungsfeindlichen Tendenzen. Das dürfen und sollen
Lehrerinnen und Lehrer auch im Klassenraum so sagen“, sagte
GEW-Chefin Maike Finnern der „Stuttgarter Zeitung“ und den
„Stuttgarter Nachrichten“. „Am besten tun sie das, indem sie
konkrete Aussagen und Vorgänge analysieren und mit den
Schülerinnen und Schülern besprechen. Ich ermuntere Lehrkräfte
nicht nur dazu, die Auseinandersetzung mit der AfD auch im
Klassenraum zu suchen. Ich rufe sie auch ausdrücklich dazu auf“,
betonte Finnern [En11].
Wie das mit der Neutralitätspflicht der Lehrer zu vereinbaren
sein soll, ist eine Frage, der hier nicht weiter nachgegangen
wird. Nur ein Hinweis muss erlaubt sein.
Warum?
Die Neutralitätspflicht von Beamten ist ein wesentlicher
Grundsatz im öffentlichen Dienst Deutschlands, der im
Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) und im Bundesbeamtengesetz (BBG)
rechtlich verankert ist.
§ 33 BeamtStG (Grundpflichten)
(1) Beamtinnen und Beamte dienen dem
ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben
unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der
Allgemeinheit zu führen. Beamtinnen und Beamte müssen sich durch
ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren
Erhaltung eintreten.
(2) Beamtinnen und Beamte haben bei
politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu
wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit
und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt.
Eine Lehrerschaft, die sich dazu verpflichtet fühlt, vor einer
Partei zu warnen, die von vielen Wählerinnen und Wählern gewählt
wurde, sollte wissen, dass durch eine - wenn auch vielleicht gut
gemeinte Erziehung zum Guten - meist doch nur das Gegenteil
davon erreicht wird, was den damit beabsichtigten Vorstellungen
entspricht.
Anders ausgedrückt: Es kann davon ausgegangen,
dass solch eine Vorgehensweise der AfD eher nutzt als schadet,
zumal ein Großteil der politischen Bildung von Schülerinnen und
Schülern heute nicht mehr in der Schule, sondern in den sozialen
Medien erfolgt.
Hier nur ein Beispiel von vielen anderen.
Maximilian Krah (AfD)
Euere Zukunft ist rechts
Übrigens: Keine andere Partei in Deutschland ist in den
sozialen Medien so präsent, wie die AfD. Dieser Medienkompetenz
zumindest etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen wäre sicherlich
erfolgversprechender, als eine gutgemeinte, aber den Werten des
Grundgesetzes dennoch widersprechende Parteinahme, die darin
besteht, vor einer Partei zu warnen, weil sie verfassungswidrig
sein soll. Das aber ist eine pädagogische Anmaßung.
Warum?
Im Artikel 21 Abs. 2 und Abs. 4 heißt es:
(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten
ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische
Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den
Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind
verfassungswidrig.
(4) Über die Frage der
Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss
von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das
Bundesverfassungsgericht.
17 Wer die Wahrheit sagt, ist ....?
TOP
Auf diese
Satzergänzungsfrage hat der
Psychoanalytiker und Therapeut Hans-Joachim
Maaz, wie ich finde,
eine überzeugende Antwort gefunden.
In einem Vortrag auf der Leipziger Buchmesse sagte er am 26.
März 2024:
Hans-Joachim
Maaz:
Wenn einer sagt, ich kann die Realität gar nicht glauben, dann
ist er naiv, erklärte er, wenn er sagt, ich will die Wahrheit
nicht wissen, dann ist er dumm und wenn er sagt, die Wahrheit
ist verboten, dann ist er böse. Und wenn er sagt, ich oder wir
bestimmen, was die Wahrheit ist, dann ist er krank.
Insbesondere über den letzten Satz lohnt es sich, nachzudenken,
denn dieser Satz enthält zurzeit das wohl noch sagbare (unwoke) Höchstmaß
menschlich möglicher Realitätsbeschreibung.
Vervollständigt werden lässt sich dieser Wahrheitsbegriff
dennoch, denn wer heute eine Meinung äußert, die dem
woken
Zeitgeist nicht gefällt, der ist rechts, rechtsradikal,
rechtsextremistisch, ein Faschist oder sogar ein Nazi, auf jeden
Fall aber AfD-affin, kurzum: ein Fall für den Verfassungsschutz
oder für den Schulleiter eines
Gymnasiums, der in seiner Hilflosigkeit sogar die Polizei
bemühte, um Schaden von der Demokratie abzuwehren. Schöne neue Welt.
18 Quellen
TOP
Endnote_01
(Wortprotokoll eines Redebeitrages von BMI Thomas de Maizière
auf der BKA-Tagung am 18.11.2015 in Mainz). Quelle: Video von
DPA Reuters. Frankfurter Allgemeine Politik.
http://www.faz.net/aktuell/politik/bka-tagung-in-mainz-de-maiziere-eltern-
sollten-radikalisierung-ihrer-kinder-melden-13920565.html
Zurück
Endnote_02
Konrad Paul Liessmann. Bildung als Provokation. Pieper-Verlag
2019, Seite 67 Zurück
Endnote_03 Ebd. Konrad Paul Liesmann, Seite 78
Zurück
Endnote_04
Clara Hannaford. Bewegung, das Tor zum Lernen. VAK Verlag, 7.
Auflage 2008, Seite 58 Zurück
Endnote_05 John Hatti/Klaus Zierer.
Visible Learning auf den Punkt gebracht. Schneider Verlag 2020,
Seite 91 Zurück
Endnote_06 Tichyseinblick.de. Gefährderansprache
für Heimatliebe: Einschüchterung: Das Lieblingswerkzeug des
sanften Totalitarismus.
https://www.tichyseinblick.de/meinungen/einschuechterung-
gefaehrderansprache-schuelerin/ Zurück
Endnote_06a Alexis
de Tocqueville: Die Demokratie in Amerika. Die politische
Gerichtsbarkeit. Reclam 2021. Seite 115
Zurück
Endnote_07 NDR.de
vom 18.03.2024. Neue Zahlen des Bildungsministeriums: Mehr
Gewalt an Schulen in MV.
https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Neue-Zahlen-
des-Bildungsministeriums-Mehr-Gewalt-an-Schulen-in-MV,gewaltanschulen100.html
Zurück
Endnote_08
Sueddeutsche.de vom 15.03.2024. Schulen -
Ribnitz-Damgarten:Polizeieinsatz in Schule wegen Internet-Post
hat Nachspiel.
https://www.sueddeutsche.de/bildung/schulen-ribnitz-damgarten-
polizeieinsatz-in-schule-wegen-internet-post-hat-
nachspiel-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-240315-99-351038
Zurück
Endnote_09
Erlass NRW: Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der
Jugendkriminalität. https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_vbl_
detail_text?anw_nr=7&vd_id=14531 Zurück
Endnote_09a NZZ.ch
vom 16.3.2024. in Staat, der eine Schülerin wegen eines
Schlumpf-Videos mit einer «Gefährderansprache» einschüchtert,
hat jedes Mass verloren.
https://www.nzz.ch/meinung/gefaehrderansprache-gegen-schuelerin-der-deutsche-staat-verliert-die-nerven-ld.1822399
Zurück
Endnote_10
NZZ.ch vom 19.03.2024. Deutschland: Wolfgang Kubicki nennt
Innenministerin Nancy Faeser eine „Gefahr für die Demokratie“.
https://www.nzz.ch/international/deutschland/deutschland-fraport-erzielt-
2023-rekordgewinn-im-tagesgeschaeft-entscheidung-zu-tesla-
protestcamp-fruehestens-am-dienstag-ld.1822003
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Endnote_11 Welt.de
vom 29.03.2024. GEW-Chefin plädiert für kritischen Umgang mit
AfD im Unterricht.
https://www.welt.de/politik/deutschland/article250799546/Schule-GEW-Chefin-plaediert-fuer-kritischen-Umgang-mit-AfD-im-Unterricht.html
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