Rodorf.de
Polizeiliches Grundlagenwissen für Studium und Praxis 

Home Inhaltsverzeichnis : Umgang mit der Demokratie

Demokratie in unruhigen Zeiten

Inhaltsverzeichnis:

01 Demokratievorstellungen
02 Die verwirrte Demokratie von heute
03 Zur Wortbedeutung Demokratie
04 Demokratie ganz einfach?
05 Macht des Volkes
06 Macht des Volkes über das Volk
07 Die Grenzen des politischen Realismus
08 Regierte Demokratie und regierende Demokratie
09 Die Entstehung von Meinungen
10 Demokratie und freie Meinungsäußerung
11 Das Ende der Brandmauer?
12 Zeitenwende in München
13 Quellen

01 Demokratievorstellungen

TOP

Ich verstehe unter Demokratie weitgehend „Regierung durch Disskussion“, nicht aber eine Gesellschaft alternativloser Überzeugungstäter, die nur eine Wahrheit kennen: ihre.

Um aufzeigen zu können, was Demokratie bedeuten sollte, scheint es mir - wegen unterschiedlicher Vorstellungen darüber, was unter einer Demokratie zu verstehen ist – erforderlich zu sein, darüber nachzudenken, was zumindest in der Theorie diese Bezeichnung verdient. Das aber macht es erforderlich, anhand von Argumenten, die auf logisch richtigem Denken basieren, sich dem Thema Demokratie zu nähern, denn Demokratie ist keine Ideologie, sondern ein lebendiger Prozess, der als eine „Organisation des Zusammenlebens von Menschen“ bezeichnet werden kann.

Eine staatliche Organisation, die sich als Demokratie versteht, verdient diesen Namen nur, wenn sie sich von guten und überzeugenden Argumenten leiten lässt, die auf logisch richtigem Denken aufgebaut sind und nicht aus Ideologie bestehen, zumal Ideologie durchaus als eine Utopie verstanden werden kann, die auf einem Trugbild aufgebaut ist. Zumindest lässt ein Blick in die Vergangenheit mehr als deutlich erkennen, dass Ausflüge in die Utopie, also in eine auf ideologischem Denken beruhende Welt, die wirkliche Welt um nichts besser macht. Das Gegenteil ist der Fall: Auf ideologischen Pfaden werden Paradiese zur Hölle gemacht, weil Ideale versagen müssen und dann ins Gegenteil umschlagen.

Um beim Wort Demokratie zu bleiben. Dieses Wort hat im Laufe der Zeit eine vielfache Form der Veränderung erfahren, dessen Bedeutungsinhalt sich aus diesem Grunde auch von Generation zu Generation verändert hat. Das, was geblieben ist, ist die geronnene Erfahrung, die mit der Demokratie gemacht wurde.

Anders ausgedrückt: Wer sich auf die Demokratie einlässt, der muss dafür Sorge tragen, dass diese geronnene Erfahrung, soll sie eine Zukunft haben, dazu in der Lage ist, die wirklichen Probleme von heute zu lösen. Ist sie nicht dazu in der Lage, dann wird sie scheitern. Das setzt natürlich einen klaren Kopf voraus, der ernsthaft danach sucht, ein richtiges Verständnis darüber zu gewinnen, was Demokratie sein soll und auch sein kann. Darauf eine glaubwürdige Antwort zu finden bedeutet, in einer Demokratie zu leben.

02 Die verwirrte Demokratie von heute

TOP

Seit gut 15 Jahren lässt sich die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland als eine verworrene Demokratie beschreiben, denn es trifft nicht zu, dass wir im besten Deutschland aller Zeiten leben, und das unsere Demokratie – gemeint ist die Demokratie von heute mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen müssen, um sie vor den „Rattenfängern“ zu schützen, so Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD). Wörtlich sagte der Bundespräsident: „Wir lassen uns dieses Land nicht von extremistischen Rattenfängern kaputt machen“ [En01].

So einfach lässt sich die Krise der Demokratie im Deutschland von heute nicht erklären, zumal sich der Bundespräsident zu dem „Wir“, von dem er sprach, nicht näher äußerte. Aber auch für einen Bundespräsidenten gilt, dass falsche Vorstellungen über das, was eine Demokratie ausmacht, zwangsläufig auf die falsche Bahn führt, besser gesagt erkannten Fehlentwicklungen den Weg bereitet. Um das auf demokratische Weise verhindern zu können, ist es notwendig, dem Wort Demokratie zuerst einmal seinen Heiligenschein zu nehmen, was bedeutet, dass die Demokratie der Wirklichkeit angepasst werden muss.

Nur dann wird es möglich sein, sich von einer Ikone zu befreien, der es an konkreter Substanz fehlt. George Orwell (1903 bis 1950) hat diesen Mangel bereits 1946 in einem Aufsatz mit dem Titel „Politics and the English Language“, treffend formuliert:

George Orwell: Die Wörter Demokratie, Sozialismus, Freiheit, patriotisch, realistisch, Gerechtigkeit und andere, haben jeweils mehrere unterschiedliche Bedeutungen, die nicht miteinander in Einklang gebracht werden können. Im Falle eines Wortes wie Demokratie gibt es nicht nur keine einheitliche Definition, sondern nur Versuche, eine zu finden, die, wenn sie gefunden ist, auf allen Seiten auf Widerstand stößt. Man ist fast allgemein der Meinung, dass man ein Land lobt, wenn man es als demokratisch bezeichnet. Folglich behaupten die Verfechter jeder Art von Regime, eine Demokratie zu sein und fürchten, dass sie aufhören müssten, das Wort zu benutzen, wenn es auf eine bestimmte Bedeutung festgelegt würde. Wörter dieser Art werden deshalb oft bewusst unehrlich verwendet. Das heißt, derjenige, der das Wort Demokratie verwendet, hat seine eigene private Definition, lässt aber den Hörer glauben, er meine etwas ganz anderes [En02].

03 Zur Wortbedeutung Demokratie

TOP

Demokratie ist ein Wort, das leicht an seiner wörtlichen Urbedeutung festgemacht werden kann. Daher kann man es ganz leicht verbal definieren. Wörtlich bedeutet Demokratie „Macht des Volkes“. Anders ausgedrückt: Die Macht gehört dem Volk. Aber ist damit bereits alles gesagt? Wohl kaum.

Giovanni Sartori: Doch das (gemeint ist die Definition s.o.) ist lediglich eine Definition von Wörtern durch Worte, die in einer geläufigen Sprache die griechische Wortbedeutung wiedergibt. Doch der Ausdruck „Demokratie“ bezeichnet ja etwas. Es fragt sich nicht nur, was das Wort bedeutet, sondern auch, welcher Gegenstand damit bezeichnet wird. Bei dem Versuch, diese Frage zu beantworten, stellen wir fest, dass der Gegenstand nicht dem Wort entspricht oder ihm auch nur hinreichend ähnlich ist. Wir stellen somit fest, dass Tatsachen und Name schlecht zusammenpassen. „Demokratie“ hat zwar eine klare Wortbedeutung, aber damit weiß man noch nicht so recht, was eine wirkliche Demokratie ist [En03].

Daraus lässt sich ableiten, dass es zum Verstehen des Wortes Demokratie erforderlich ist, eine Demokratie zuerst einmal normativ zu beschreiben, was es erforderlich macht, sich mit der Rechtsordnung eines solchen Staates, der sich als Demokratie versteht, auseinanderzusetzen, um dann, darauf aufbauend, die gelebte Ordnung anzuwenden, sozusagen die erlebbare Wirklichkeit, wie in diesem Rechtsrahmen Demokratie tatsächlich erfahren werden kann. Zum Beispiel ist eine soziale Demokratie etwas völlig anderes, als eine sozialistische Demokratie. Während in einer sozialen Demokratie die Demokratie sozusagen von unten gelebt wird, kommen in einer sozialistischen Demokratie die Anweisungen für ein richtiges Leben von oben.

Giovanni Sartori: Wenn die Demokratie (von ihren Definierern) falsch definiert wird, so laufen wir alle auf die Dauer Gefahr, etwas abzulehnen, was wir gar nicht richtig identifiziert haben, und dafür etwas zu bekommen, was wir bestimmt nicht haben wollten [En04].

Hinzu kommt, und diesbezüglich verwendet Giovanni auch hier eine klare und unmissverständliche Sprache, wenn er feststellt:

Giovanni Sartori: Die Demokratie ist zwar komplizierter als jede andere politische Form, doch paradoxerweise kann sie nicht fortbestehen, wenn ihre Grundsätze und Mechanismen den geistigen Horizont des Durchschnittsbürgers übersteigen. Wenn aber die Demokratie als sehr einfach hingestellt wird, kann man sicher sein, dass es eine Übervereinfachung ist, die der Demokratie mehr schadet, statt ihr zu nützen [En05].

Wie dem auch immer sei: Das Kunstprodukt Demokratie muss nicht nur konzipiert und konstruiert werden. Demokratie muss als Wert auch erkannt, verinnerlicht und verstanden werden, um gelebt und erfahren zu werden, denn nur die erfahrbare Wirklichkeit ist das, was die Demokratie von heute ausmacht, nicht die Wirklichkeit von vor gut 75 Jahren, als das Grundgesetz verabschiedet wurde.

Dennoch: Demokratien gibt es in Deutschland seit gut 75 Jahren, weil wir sie erfunden haben, weil sie seitdem in unserem Bewusstsein vorhanden ist und wir dazu bereit sind, zu begreifen, wie sie gesund und lebendig erhalten werden kann.

04 Demokratie ganz einfach?

TOP

Demokratie ist die Regierung oder die Macht des Volkes. Diese Beschreibung gibt aber nur sehr wenig her, weil völlig unklar ist, was damit gemeint ist.

Wer soll denn das Volk sein?

  • Ein Jedermann?

  • Ein großer Teil des Volkes?

  • Das Volk als Unterschicht?

  • Das Volk als ein organisches Ganzes?

  • Das Volk aller Staatsangehörigen?

  • Das Volk in einer Massengesellschaft?
    Das Volk der Andersdenkenden?

  • Das Volk der Besserwisser?

  • Das Volk des woken Zeitgeistes?

  • Das Volk der Extremisten?

  • Das Volk der ewig Gestrigen?

Oder gar das Volk derjenigen, die anlässlich einer Großdemonstration in Berlin auf die Siegessäule projizierte: „Ganz Berlin hasst die CDU?“ [En06]

Eine Antwort darauf können nur Sie selber geben, denn Sie selbst sind es, die oder der in einer Demokratie Partei ergreifen darf. Wie dem auch immer sei: Wer sich auf den Volksbegriff einlässt, wird wohl kaum übersehen können, dass in einer Massengesellschaft es zu einem unvermeidbaren Verlust an Gemeinschaft kommen muss, der vor allem durch Entwicklungsbeschleunigung und Entwurzelung hervorgerufen ist und zunehmen wird, je bunter diese Gesellschaft wird.

05 Macht des Volkes

TOP

Macht setzt die Fähigkeit voraus, andere zu lenken, einschließlich der Verfügung über ihr Leben und der Möglichkeit, sie töten zu lassen. Das ist auch in den Demokratien von heute so und da bildet auch die bundesdeutsche Demokratie keine Ausnahme, denn eine Bundesregierung, die Waffen an Kriegsparteien liefert, weiß, dass diese Waffen tödlich sind. Und wenn in Kriegsregionen Waffen geliefert werden, die nur von Soldaten der Bundeswehr bedient werden können, dann wird die bundesdeutsche Demokratie dadurch tatsächlich zur Kriegspartei.

Die Formel: „omnis postestas a deo“ (Alle Macht kommt von Gott) wurde zwar durch die Formel: „omnis postestas a populo“ (Alle Macht kommt vom Volk) ersetzt, obwohl diese Macht im Deutschland von heute gar nicht gefragt ist, denn nicht einmal dann, wenn es um existenzielle Fragen des Seins oder Nichtseins geht, hat der Souverän ein Mitspracherecht.

Würde man aber das Volk darüber entscheiden lassen, ob ein Krieg zu führen ist, um nur das zu erhalten, was heute als die beste aller deutschen Demokratien bezeichnet wird, die Staatsmacht dürfte wohl kaum eine dazu erforderliche Mehrheit in der Bevölkerung finden. Gleiches gilt im Übrigen auch für einen weiteren, ungeregelten Zulauf der Migration.

Wie dem auch immer sei: Die Macht des Volkes, so muss man betonen, ist lediglich ein elliptischer (unvollkommener) Ausdruck der Machtverhältnisse in einer Demokratie. Diese Sprachfigur beschreibt lediglich den Beginn eines Vorgangs, lässt ihn dann aber in der Luft hängen, denn nach der Wahl entscheiden andere, dann hat das Volk zu schweigen.

06 Macht des Volkes über das Volk

TOP

Damit nimmt das Problem der Macht eine völlig andere Wendung; es geht jetzt nicht mehr bloß um den Weg der Macht aufwärts, sondern nur noch um den Weg der Macht abwärts. Büßt bei diesem Weg der Macht das Volk die ihm zustehende Kontrolle ein, besteht die Gefahr, dass die Herrschaft über das Volk nichts mehr mit der Herrschaft des Volkes zu tun hat, denn in einer repräsentativen Demokratie sind es nur die Gewählten, die Entscheidungen treffen.

Giovanni Sartori: Die entscheidende Frage ist somit, wie sich die Verbindung zwischen der nominellen Zuschreibung der Macht und ihrer tatsächlichen Ausübung aufrechterhalten und festigen lässt. Wahlen und Repräsentation sind notwendige Instrumente der Massendemokratie, aber auch ihre Achillesferse. Wer Macht delegiert, kann sie auch verlieren. Auch sind Wahlen nicht notwendig frei, und die Repräsentation ist nicht unbedingt eine echte.

Warum?

In Demokratien ist die Opposition ein ebenso lebenswichtiges Organ der Volkssouveränität wie die Regierung. Unterdrückung der Opposition bedeutet Unterdrückung der Volkssouveränität.

Warum?

Die tiefere Begründung von Freiheit bedeutet nichts, wenn aus ihr nicht das Recht folgt, sich auf eine Weise zu verhalten und Ansichten zu heben und zu vertreten, wie sie von der Mehrheit nicht gebilligt werden [En07].

Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, ist das, was in der verwirrten bundesdeutschen Demokratie von heute geschieht, alles andere als demokratisch, denn durch verbale und gezeigte Ausgrenzung wird ein Teil des Volkes (die Wählerinnen und Wähler der stärksten Oppositionspartei im Deutschen Bundestag) zum Nicht-Volk, zu einem ausgeschlossenen Teil, zu Aussätzigen erklärt, mit denen „die richtigen Demokraten“ nicht einmal sprechen dürfen. Das Argument lautet somit: Wenn die Demokratie verstanden wird als ein Volk der Richtigdenkenden, dann wird dadurch ein anderer Teil dieses Volkes, durch Kampfbegriffe wie Extremisten, Nazis, Faschisten oder wie auch immer man Andersdenkende bezeichnen will, der Gemeinschaft entzogen. Sie werden zu Feinden der Demokratie erklärt. Die Aufrechterhaltung der Demokratie als eines lebendigen gesellschaftlichen Prozesses verlangt aber, dass allen Bürgern (der Mehrheit und der Minderheit) die Rechte nicht nur zugestanden, sondern auch tatsächlich gewährt werden, die für das Funktionieren der demokratischen Methode notwendig sind.

07 Die Grenzen des politischen Realismus

TOP

Was eine Demokratie sein sollte, ist viel leichter zu verstehen, als das, was sie sein kann und auch viel leichter zu verstehen als das, was sie zurzeit ist.

Nach meiner Wahrnehmung befindet sich die Demokratie in Deutschland in einem Zustand der Verwirrung, der Realitätsverleugnung, der Desorientierung, der Aufregung und im bedauernswerten Zustand einer Zerfahrenheit, die nur mit Unkenntnis über das, was eine Demokratie sein soll, erklärt werden kann.

Es sind nicht mehr die Inhalte, über die diskutiert und gesprochen werden muss, sondern das, was diejenigen, die diese Demokratie für die beste aller Zeiten halten, von denen unterscheidet, die sie als Nazis bezeichnen, nur weil sie nicht so denken wie sie glauben, dass nur so gedacht werden kann und darf.

Zu hoffen bleibt, dass die Massendemonstrationen, die sich am 8.2.2025 in München und in anderen Großstädten ereigneten, die Demokratie – so wie sie eigentlich sein sollte – nicht noch weiter beschädigen.

Nur zur Erinnerung. Im 19. Jahrhundert entstand die Vorstellung, dass die politische Herrschaftsbefugnis bei den Institutionen zu liegen hat, die von der Verfassung dazu vorgesehen sind. Diese Vorstellung gilt schon längst nicht mehr, denn es sind nicht mehr die politischen Institutionen, sondern das abstrakte Subjekt des Staates, der Herrschaftsbefugnisse ausübt.

Daher auch der unübersetzbare Begriff der „Staatsgewalt“. Die staatlichen Organe nehmen nach dieser Vorstellung lediglich „Kompetenzen“ für den Staat wahr, die dann auch nur stellvertretend für den Staat wahrgenommen werden, der seine Herrschaftsmacht längst viel filigraner erweitert hat, als das auf den ersten Blick zu erkennen ist.

Vielleicht macht ein kurzer Blick in die Demonstrationen gegen rechts, die sich am 8.2.2025 in bundesdeutschen Großstädten ereignet und gut 500 000 Menschen dazu bewog haben, die Demokratie zu schützen, deutlich, was es heißt, organisierte Staatsgewalt in ihrer heutigen Form zu verstehen, denn diese organisierte Form „des Volkes Meinung“ ist einem Netzwerk zu verdanken, das sich über Jahre hinweg gebildet hat und nicht dulden will, dass andere politische Strömungen „ihre Kreise“ stören.

Ob dieses Ziel aber mit einem Wahlkampf verwirklicht werden kann, in dem das meistgebrauchte Wort „Nazi“ zu sein scheint, oder – wie im Bundestag geschehen – vom „Tor der Hölle“ gesprochen wird, dass verriegelt bleiben muss und deshalb alles getan werden muss, um einen Politikwandel durch noch höhere Brandmauern zu verhindern, das kann, nein das muss bezweifelt werden.

Warum?

Jede Politik ist ein Gemisch aus Idealismus und Realismus, und wenn das eine oder das andere überhandnimmt, wenn der Idealismus den Realismus überwuchert oder umgekehrt, dann wird eine Politik wahrscheinlich scheitern.

Und was bedeutet das für eine Demokratie?

Die Frage, auf welche Seite sich der politische Realismus schlagen wird, ist eigentlich bedeutungslos, denn der kognitive Realismus ergreift keine Partei, denn jede richtig beschriebene Aussage, jede empirisch verifizierte Behauptung ist eine realistische Aussage, die nur vom realen Realismus, gemeint ist der für richtig gehaltene alternativlose Realismus, vertreten werden kann.

Der politische, besser gesagt der kognitive und auf Vernunft basierende Realismus ist also nicht mehr und nicht weniger als die Tatsachenkomponente aller und jeder Politik, die einer logischen, nachvollziehbaren und glaubwürdigen Lösung zugeführt werden muss, ohne dabei die Werte zu zerstören, die für eine Demokratie überlebensnotwendig sind:

  • Freiheit

  • Gleichheit vor dem Gesetz und

  • Rechtsstaatlichkeit.

Giovanni Sartori: Denn die großen Ismen der Politik, Rassismus, Nationalismus, Liberalismus, Sozialismus, Kommunismus, Populismus usw. beruhen auf Wertentscheidungen, die nicht aus den Tatsachen abgeleitet, sondern ihnen aufgepflanzt werden. [...]. Denn Liberalismus, Demokratie und Sozialismus sind nicht Frucht einer Realpolitik, sondern, wie wir aus Symmetriegründen sagen wollen, einer Phantasiepolitik. Sie sind auf Tatsachen gebaut, aber von der Phantasie.

Gleiches gilt auch für den Fall des Idealisten. Seine Phantasiepolitik muss vom Tatsachenwissen ausgehen – sonst führt sie zu nichts, bloß nach „Wolkenkuckucksheim“. Ideale können Tatsachen nicht ersetzen, sie werden ihnen aufgepflanzt [En08].

Und dort, wo das nicht beachtet wird, dort setzt Verwirrtheit ein, denn dort, wo Ideale und Praxis immer mehr auseinanderfallen, ist es natürlich, dass sich der politische Realismus mit antidemokratischen Haltungen verbindet.

Warum?

Schon die alten Römer wussten, dass die Stimme des Volkes Gottes Stimme ist (Vox populi Vox Dei), sie kannten aber auch das Gegenteil dieser Formel, die Stimme des Teufels ist die Stimme des Volkes (Vox populi Vox Diaboli).

Und auch Folgendes gilt es zu bedenken:

Es ist richtig, dass Platon im Jahr 387 v. Chr. in der Hoffnung nach Syrakus ging, seine ideale Stadt dort zu verwirklichen. Doch sein erster Besuch in Sizilien endete damit, dass er auf dem Marktplatz von Ägina als Sklave verkauft wurde. Nur weil ein Freund ihn freikaufte, konnte er die lebenslange Sklaverei von sich abwenden [En09].

Sklaverei droht uns heute noch nicht, wohl aber der Verlust demokratischen Selbstverständnisses durch den bedingungslosen Glauben an die Alternativlosigkeit der eigenen Überzeugung.

Zu hoffen bleibt, dass es der Demonstrationsdemokratie von heute nicht gelingen wird, die Wahldemokratie zu beschädigen.

Übrigens:

Demonstranten, die Bürger dazu zwingen, in ihren Häusern Schutz zu suchen, haben absolut nichts mit Demokratie zu tun. Es ist daher auch nicht überflüssig zu betonen, dass Demonstrationsdemokratie nur wenig mit der öffentlichen Meinung zu tun hat, denn auch wenn Hunderttausende „die Demokratie retten wollen“ ist das immer noch eine kleine Minderheit in Bezug auf gut 60 Millionen wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger, die am 23. Februar 2025 dazu aufgerufen sind, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu wählen, denn nur die Ergebnisse dieser Wahl entscheiden über das Schicksal der bundesdeutschen Demokratie bis 2029, denn nur Wahlen sind dazu in der Lage, den Willen des Volkes zum Ausdruck zu bringen.

08 Regierte Demokratie und regierende Demokratie

TOP

Wahlen müssen nicht nur frei sein. Gleiches gilt auch für die Freiheit der Meinungsäußerung. Ein diesbezüglich leerer Souverän – der nichts zu sagen hat, außer Beifall zu klatschen, hat nichts zu sagen. Deshalb: Auch Millionen von Demonstranten sind nicht das Volk, solange Millionen Bürger stumm bleiben.

Übrigens:

Pluralismus ist vor allen Dingen der Glaube an den Wert der Vielfalt. Den politisch Andersdenkenden zum Nazi zu erklären, verkennt, dass Kampfbegriffe nicht nur bedingt wirken, sondern in ihr Gegenteil umschlagen, wenn erkennbar wird, dass diejenigen, die andere als Nazis, Faschisten, Rassisten, Extremisten oder anders klassifizieren wollen, nur Hass und Feindschaft sähen und letztlich nichts anderes tun, als das, was sie bei anderen beklagen: diese Demokratie zu beschädigen.

So lassen sich gesellschaftliche Probleme nicht lösen.

09 Die Entstehung von Meinungen

TOP

In Anlehnung an das Kaskadenmodell wird die Bildung von Meinungen von oben nach unten geformt. Unter einer Kaskade sind Becken zu verstehen, die übereinander angeordnet sind und von oben nach unten größer werden. Im hier zu erörternden Sinn fließt aus diesen Becken die Meinung, vergleichbar mit Wasser, in vielen Stufen abwärts. Das oberste Becken besteht aus den wirtschaftlichen Eliten, gefolgt von den politischen und den Regierungseliten, denen sich die Massenmedien und die universitären Eliten anschließen. Wenn diese Kaskadenschalen durchlaufen sind, kommt ein größerer Abstand zu den sich darunter befindlichen Schalen, gemeint sind die vielen Schalen des Massenpublikums, die ihrerseits ihre „Interessensschalen“ pflegen, so dass in diesen Schalen genau die Informationen ankommen und umgeformt werden, die notwendig sind, um im eigenen Saft gedeihen zu können. Anders ausgedrückt: In einer NGO wird anders gedacht als in einer Gewerkschaft, in einem Arbeitgeberverband oder in einer Umweltorganisation. Auch wenn dieses Modell seine Schwächen hat, wird dennoch deutlich, in welchem Maß die Meinungsbildung bei ihrem Herabsickern in die jeweils sich darunter befindlichen Schalen, auf jeder erreichten Ebene nicht nur horizontal unterbrochen, sondern auch neu geformt wird, durch Weglassen von Informationen, die von oben gekommen sind und durch das Hinzufügen von Informationen, die der eigenen Schale nutzen. Das heißt: Auf jeder dieser Ebenen gibt es ein neues Verständnis zu vertretender Meinungen, die der Einfachheit halber als Wahrheit bezeichnet werden.

Diese Sicht der Dinge wird durch Medien verbreitet. Sie sind es, die dem großen Publikum sozusagen das Funktionieren der Welt erklären. Dennoch sind die Medien in einer Demokratie heute nicht so einflussreich, wie das befürchtet wird. Grund dafür ist, dass es zwischenzeitlich soziale Medien (Alternativmedien) gibt, in denen Meinungen sozusagen von unten nach oben gespült werden und die den Leitmedien, das sind die Medien, die von oben nach unten informieren, sozusagen den Rang ablaufen. Außerdem wird die Meinungsbildung von oben nach unten durch Meinungsführer begrenzt. Gemeint sind die Populisten, denn die stören ja die Meinungsbildung von oben nach unten in zunehmendem Maße, was den Schalen ganz oben erkennbar missfällt, soweit es sich um die Propaganda politisch Andersdenkender handelt, denn bei der eigenen Propaganda handelt es sich um nichts anderes, als um politische Meinungsbildung. Wie dem auch immer sei: Dieses Hinaufspulen von „öffentlicher Meinung“ durch unliebsame Populisten will so gar nicht in das Kaskadenmodell passen, in dem eigentlich alles so laufen sollte, das von der Macht im Staat gewollt ist.

Die Elite, die für das Hochspülen der öffentlichen Meinung von unten nach oben sorgen, stören den Demokratiebetrieb somit nicht nur unwesentlich, nein, dieses Hochspülen hat bereits eine Bewegung ausgelöst, die, aus Sicht der etablierten Macht, demokratiegefährdend sein muss, weil die bestehende Ordnung dadurch in Gefahr kommt, an Einfluss und Bedeutung zu verlieren. Die Reaktion von oben heißt deshalb: Beschränkung, Bestrafung und Überwachung unliebsamer Meinungen.

Orwells „1984“ ist zwar immer noch ein Alptraum, aber im 21. Jahrhundert keineswegs etwas Unmögliches. Es ist deshalb nicht überflüssig, zu betonen, dass die von Orwell erdachte Welt heute bereits technisch durchaus möglich ist. Unser technisches Wissen hat nämlich bereits einen Punkt erreicht, an dem das Allerheiligste, das menschliche Bewusstsein, manipuliert und geformt werden kann. Und wenn es um die Meinungsbildung geht, um die Objektivität, die Fairness und insbesondere um die Richtigkeit verbreiteter Informationen, führt dies Macht der Beeinflussung unvermeidbar zu der Bereitschaft der Verachtung von Wahrheit. Auch wenn die Wahrheit unerreichbar ist, entspricht es dennoch einem menschlichen Grundbedürfnis, ihr im Rahmen des menschlich Möglichen zu folgen, einer Vorstellung, die sich aber immer mehr als eine Utopie erweist, denn wahr ist das, was ich für wahr erachte. Das aber ist eine Denkweise, die mehr als 2000 Jahre intellektueller Suche nach Wahrheit für gegenstandslos erklärt.

Giovanni Sartori: Letzten Endes hängt also alles an der „Überzeugung vom Wert der Wahrheit“. Doch heute leben wir in einer Welt ideologisierter Propagandisten, für die „die Sache“ vor der Wahrheit kommt. Wenn wir das nicht erkennen, dann entgeht uns das meiste. Doch warum sollte das so sein? Heute, genau wie früher, weiß der demokratische Bürger in den meisten Fällen nicht, worum es geht, welche Lösungen vorgeschlagen wurden und welche Folgen zu erwarten sind, ja nicht einmal, wofür die Kandidaten, die sich um ein Amt bewerben (geschweige denn die Parteien), eintreten [En10].

Bereits 1987, als Giovanni Sartoris „Demokratietheorie“ erstmalig in den USA publiziert wurde, stellt der italienische Staatsrechtler und Philosoph folgendes Beispiel zur Diskussion, zu aufzuzeigen, wie unpolitisch die Masse ist:

Giovanni Sartori: Stellen wir uns vor, ich stimmte dafür, dass man ohne Arbeit eine Bezahlung erhält. Ein solches Programm maximiert natürlich meinen augenblicklichen wahrgenommenen Nutzen; aber wäre es in irgendeinem vernünftigen Sinne rational, dieses Programm – wie es ja der Fall wäre – allgemein einzuführen? Die Sache ist die, dass Definitionen der Rationalität aufgrund des wahrgenommenen Nutzens nur auf individuelle und auf Individuen begrenzte Entscheidungen passen, die in Marktmechanismen eingehen – nicht aber auf kollektive Entscheidungen, die für alle wirksam werden, wie es politische Entscheidungen sind. Eine Stimme für Bezahlung ohne Arbeit an alle wäre in höchstem Maße irrational und schädlich nicht nur für das Kollektiv, sondern auch für mich als einzelnes Mitglied dieses Kollektivs [En11].

Allein die Forderung nach einer sachorientierten Auseinandersetzung, die die Zuwanderung betrifft, lässt heute erwarten, dass solch eine Forderung bereits von einem Nazi erhoben wurde.

10 Demokratie und freie Meinungsäußerung

TOP

Fragen, und das gilt auch für die Suche nach Lösungen für gesellschaftliche Probleme und Krisen setzt die Bereitschaft zum Meinungsaustausch voraus. Diese Bereitschaft ist für den Bestand einer Demokratie von existenzieller Bedeutung. Aus diesem Grunde wird im Folgenden aus Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zitiert, die im Übrigen von den Kommentatoren des Grundgesetzes ohne Einschränkung geteilt werden.

Brokdorf-Beschluss 1985: Die Meinungsfreiheit zählt zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens. Sie gilt als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, das für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend ist. Denn sie erst ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselement dieser Staatsform [En12].

33 Jahre später, heißt es in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, den Tatbestand der Volksverhetzung betreffend, wie folgt:

BVerfG 2018: Gegenstand des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sind Meinungen, d. h. durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen. Sie fallen stets in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden. Neben Meinungen sind vom Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG auch Tatsachenmitteilungen umfasst, da und soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind bzw. sein können. Nicht mehr in den Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG fallen hingegen bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen, da sie zu der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsbildung nichts beitragen können. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Art. 5 II GG unterliegt es insbesondere den Schranken, die sich aus den allgemeinen Gesetzen ergeben. Eingriffe in die Meinungsfreiheit müssen danach formell auf ein allgemeines, nicht gegen eine bestimmte Meinung gerichtetes Gesetz gestützt sein und materiell im Blick auf die Meinungsfreiheit als für die demokratische Ordnung grundlegendes Kommunikationsrecht den Verhältnismäßigkeitsanforderungen genügen.

An anderer Stelle:

Vielmehr gewährleistet Art. 5 I II GG die Meinungsfreiheit als Geistesfreiheit unabhängig von der inhaltlichen Bewertung ihrer Richtigkeit, rechtlichen Durchsetzbarkeit oder Gefährlichkeit. Art. 5 I II GG erlaubt nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern ermächtigt erst dann zum Eingriff, wenn die Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen [En13].

Nur im Streit der Meinungen kann sich ein Gemeinwesen weiter entwickeln, während die Tabuisierung kontroverser Ansichten als rassistisch, nationalistisch, rechtsradikal, linksextrem oder kapitalistisch die notwendige geistige Auseinandersetzung verhindert. An diesem Punkt ist die Bundesrepublik Deutschland angelangt. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes demokratiegefährdend, denn zwischen den verschiedenen Meinungslagern in der Deutschen Gesellschaft findet kein sachlicher Diskurs statt, sondern es herrschen Verachtung und Hass.

11 Das Ende der Brandmauer?

TOP

Die Brandmauer existiert nicht mehr! Der erste CDU-Ministerpräsident erklärte Anfang Februar 2025 die „Brandmauer“ für beendet. Mario Voigt hat als erster CDU-Ministerpräsident die „Brandmauer“ für beendet erklärt. „SPD und Grüne versuchen, mühsam etwas aufrechtzuerhalten, was so ohnehin nicht mehr existiert“, sagte der Thüringer Landeschef am Freitag, den 7.2.2025, im Spiegel. „Wir müssen versuchen, das Feuer auszutreten, das schon längst brennt.“ Das gehe nur, wenn man der AfD nicht die Themen überlasse. „Man muss reagieren, wenn eine breite Mehrheit der Bevölkerung etwas als Problem wahrnimmt, wie die irreguläre Migration“, verlangt Voigt.

Auf Spiegel.de vom 7.2.2025 heißt es: In der Ost-CDU flammt die Brandmauer-Debatte neu auf. Führende CDU-Politiker aus dem Osten wehren sich gegen Kritik an der Abstimmung mit der AfD im Bundestag. Grüne und SPD wollten etwas aufrechterhalten, »was so ohnehin nicht mehr existiert«, sagt Thüringens Regierungschef Mario Voigt [En14].

Einzelne Abgeordnete der CDU machen sich schon jetzt für ein Ende der „Brandmauer“ stark. Der Landtagsabgeordnete Alexander Räuscher aus Sachsen-Anhalt spricht von einer „überfälligen Normalisierung“. Wenn es breite parlamentarische Mehrheiten gebe, „sollten Koalitionszwänge oder ideologische Barrieren nicht den Willen des Volkes verhindern“, meint er. Sei es mit der AfD oder mit anderen Parteien [En15].

Und in der NZZ.ch vom 2.2.2025 wird der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban wie folgt zitiert:

NZZ.ch vom 2.2.2025: Wir waren das schwarze Schaf des Westens. Nun zeigt sich: Wir sind die Zukunft, sagt Viktor Orban. Wie soll ein politisches System mit einer solchen Partei [gemeint ist die AfD] umgehen? Wir kennen in Ungarn keine Brandmauer. Wenn eine Partei Wählerstimmen erhält, nehmen wir sie ernst. Das heißt nicht, dass wir mit ihr zusammenarbeiten. Aber wir setzen uns hin und diskutieren. Eine Brandmauer macht das politische Denken primitiv [En16].

Dem ist zuzustimmen, denn Hass und Hetze sind primitive Verhaltensmuster, die so schnell wie möglich eingedämmt werden müssen, soweit das überhaupt noch möglich ist. Damit aber ist wohl nicht zu rechnen, denn zurzeit werden Stimmen laut, die nicht nur die AfD, sondern auch die CDU verbieten wollen, verbunden mit dem Versuch, auf der Straße politische Entscheidungen zu erzwingen. Nicht mehr im Deutschen Bundestag, sondern vor Parteibüros wollen schwarz gekleidete Aktivisten – natürlich mit vermummten Gesichtern – ihre Ziele durchsetzen, während viele Bunte mit Pappschildern in der Hand, ihre Demokratie vor einem erneuten 1933 schützen wollen.

Sogar die Kirchen fühlen sich zum Widerstand gegen rechts aufzurufen, obwohl das wirklich nicht ihre Aufgabe ist und die Erfahrungen ab 1933 gezeigt haben, wie kläglich die Kirchen versagt haben. Nun denn: Ich denke, dass Jens Motschmann, ein Pfarrer im Ruhestand, mit seinem offenen Brief an den Landesbischof im Ruhestand Heinrich Bedford-Strohm das geschrieben hat, was auch auf andere sich im Besitz der Wahrheit befindliche Meinungsmacher gilt.

Sehr verehrter Herr Bischof Bedford-Strohm!

Ihre Teilnahme an einer Demonstration am 2. Februar gegen die Migrationspolitik CDU/CSU vor der Parteizentrale der CDU in Berlin hat mich sehr enttäuscht. Sie sagten am Sonntagmorgen im Interview mit dem NDR u.a.: „Zunächst geht es für mich dabei nicht um Parteipolitik…“ Dieser Satz klingt für mich nicht glaubwürdig, weil es Ihnen doch um Unterstützung einer Demonstration gegen den Beschluss einer Partei geht. Damit tragen Sie – natürlich ungewollt – zur gesellschaftlichen und kirchlichen Spaltung bei.

Unter den Parolen: „Wir sind die Brandmauer!“, „Laut gegen Nazis!“ Oder „Aufstand der Anständigen“ steht diese Demonstration. Sie beteiligen sich dabei an einer Aktion, die den Menschen, die anderer Meinung sind, sagt, dass sie unanständig sind.

Herr Bischof, genau das ist unanständig!

Jens Motschmann, Pfarrer i.R.

Offener Brief im Volltext

12 Zeitenwende in München

TOP

Bereits zum Auftakt der Münchner Sicherheitskonferenz hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den amerikanischen Vizepräsidenten  James David „JD“ Vance kritisiert und betont, dass die neue amerikanische Administration ein anderes Weltbild habe als das bei unserem Weltbild der Fall ist. Gemeint war ein US-amerikanisches Weltbild, das keine Rücksicht nimmt auf etablierte Regeln in Deutschland und in Europa.

Ob solch eine Reaktion des deutschen Staatsoberhaupts angemessen ist, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Wie dem auch immer sei, seit dem 14. Februar 2025 weiß Europa, das in Washington nicht länger die Regeln des links-grün-woken Mainstreams gelten. Welche Regeln im Rahmen der zu erwartenden Änderungen Bestand haben werden, das bleibt abzuwarten.

Zitate aus der Rede von J. D. Vance: Die Bedrohung, die mir in Bezug auf Europa am meisten Sorgen bereitet, ist nicht Russland, nicht China und auch kein anderer externer Akteur. Was mir Sorgen macht, ist die Bedrohung von innen: Der Rückzug Europas von einigen seiner grundlegendsten Werte – Werte, die es mit den Vereinigten Staaten von Amerika teilt.
Ich glaube zutiefst, dass es keine Sicherheit gibt, wenn Sie Angst vor den Stimmen, den Meinungen und dem Gewissen Ihres eigenen Volkes haben. Europa steht vor vielen Herausforderungen. Aber die Krise, der dieser Kontinent jetzt gegenübersteht, die Krise, von der ich glaube, dass wir alle gemeinsam gegenüberstehen, ist eine, die wir selbst verursacht haben. Wenn Sie vor Ihren eigenen Wählern davonlaufen, kann Amerika nichts für Sie tun. Ebenso wenig können Sie etwas für das amerikanische Volk tun, das mich und Präsident Trump gewählt hat. Sie brauchen demokratische Mandate, um in den kommenden Jahren etwas von Wert zu erreichen.
Kein Wähler auf diesem Kontinent hat an der Wahlurne für die Öffnung der Schleusen für Millionen unüberprüfter Einwanderer gestimmt. Aber wissen Sie, wofür sie tatsächlich gestimmt haben? In England haben sie für den Brexit gestimmt. Und ob man nun zustimmt oder nicht – sie haben dafür gestimmt. Und in ganz Europa wählen immer mehr Menschen politische Führer, die versprechen, die unkontrollierte Migration zu beenden.
Aber was keine Demokratie – weder die amerikanische, noch die deutsche oder eine andere europäische – überleben wird, ist, Millionen von Wählern zu sagen, dass ihre Gedanken und Sorgen, ihre Hoffnungen und ihre Bitten um Hilfe ungültig sind oder nicht einmal in Betracht gezogen werden müssen.
Hören Sie auf Ihr Volk – auch wenn es Sie überrascht, auch wenn Sie nicht zustimmen. Die Demokratie beruht auf dem heiligen Prinzip, dass die Stimme des Volkes zählt. Es gibt keinen Platz für Brandmauern.

Rede im Volltext

Einen Tag später versuchte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) darauf eine glaubwürdige Antwort zu finden. In der FAZ vom 15.2.2025 wies er die Vorwürfe des amerikanischen Vizepräsidenten entschieden zurück. Eine Einmischung zugunsten der AfD werde nicht akzeptiert.
FAZ.de vom 15.2.2025: Mit einer AfD, aus deren Reihe heraus der Nationalsozialismus als „Vogelschiss der Geschichte“ bezeichnet werde, sei das Bekenntnis „Nie wieder“ nicht in Einklang zu bringen. „Deshalb werden wir es nicht akzeptieren, wenn Außenstehende in unsere Demokratie, unsere Wahlen und unsere Meinungsbildung eingreifen“, sagte Scholz. „Das gehört sich nicht“, fügte er an. Erst Recht nicht unter Freunden und Verbündeten. „Das weisen wir entschieden zurück“, sagte Scholz. „Wie es mit unserer Demokratie weitergeht, entscheiden wir selbst [En17].“

Wie sich die Zukunft in der Demokratie in Deutschland tatsächlich entwickeln wird, das vermag heute wohl kaum jemand verlässlich vorherzusagen. Diesbezüglich wird vielleicht dem Wahlergebnis eine größere Bedeutung zukommen werden, als den Worten sowohl des Bundespräsidenten als auch denen des Bundeskanzlers.


13 Quellen

TOP

Endnote_01
Der Bundespräsident: Pressemitteilung vom 29. Januar 2024.
https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/
DE/2024/01/240129-Statement-Gespraech-Unternehmen.html
Zurück

Endnote_02
George Orwell: Politics and the English Language, Seite 5
http://www.public-library.uk/ebooks/72/30.pdf
Zurück

Endnote_03
Giovanni Sartori. Demokratietheorie, Primus Verlag 1997, Seite 16
Zurück

Endnote_04
Ebd. Giovanni Sartori, Seite 22
Zurück

Endnote_05
Ebd. Giovanni Sartori, Seite 23
Zurück

Endnote_06
Ganz Berlin hasst die CDU:
https://www.nius.de/politik/news/regierung-demos-
gegen-rechts-ngo-steuern-vorfeld-campact-demokrateam/
9ac02134-68e2-4030-a771-31d11afd06a5
Zurück

Endnote_07
Ebd. Giovanni Sartori, Seite 41
Zurück

Endnote_08
Ebd. Giovanni Sartori – Seite 51 und 54
Zurück

Endnote_09
Herculaneum-Schriftrolle verrät Platons Grab. Entzifferung antiker Papyrus-Fragmente liefert neue Details zu Leben und Tod Platons:
https://www.scinexx.de/news/archaeologie/
herculaneum-schriftrolle-verraet-platons-grab/
Zurück

Endnote_10
Ebd. Giovanni Sartori – Seite 113 bis 119
Zurück

Endnote_11
Ebd. Giovanni Sartori – Seite 121
Zurück

Endnote_12
Brokdorf-Beschluss: BVerfG, Beschluss vom 14. Masi 1985 - 1 BvR 233, 341/81
Zurück

Endnote_13
Meinungsfreiheit: BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2018 - 1 BvR 2083/15
Zurück

Endnote_14
Brandmauerdiskussion:
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/
afd-bundestags-abstimmung-laesst-brandmauer-
debatte-in-der-ost-cdu-neu-aufflammen-a-
5dec7e0e-fbf5-4ed2-8479-731d5bbd7a2c
Zurück

Endnote_15
Brandmauer:
https://www.nius.de/live-tickers/existiert-nicht-mehr-erster-
cdu-ministerpraesident-erklaert-brandmauer-
fuer-beendet/4b9d5ce8-7800-4fa4-a7dd-ac078530d54f
Zurück

Endnote_16
Viktor Orban zur Brandmauer:
https://www.nzz.ch/international/viktor-orban-
ueber-sein-vertrauen-in-putin-trumps-rolle-
im-krieg-und-ungarns-weg-ld.1869123
Zurück

Endnote_17
Antwort des Bundeskanzlers auf die Rede von D. J. Vance vorm Vortag: https://www.faz.net/aktuell/politik/sicherheitskonferenz/scholz-antwortet-vance-nie-wieder-verbietet-einbindung-der-afd-110298955.html
Zurück

Fehler, Verbesserungsvorschläge und Fragen richten Sie bitte an:

info@rodorf.de

--------------------------------------------------------------

Die Pflege und der Unterhalt dieser Webseite sind mit Kosten
verbunden. Aus diesem Grunde können die anderen Kurse, die das polizeiliche Grundlagenwissen betreffen, nicht unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden.

Polizeiliches Grundlagenwissen
Printausgaben und E-Books
www.polizeikurse.de