Politikerbeleidigungen - Teil 1
Inhaltsverzeichnis:
01
Einleitung 02 Rechtssprechung zu § 188 StGB
03 BVerfG zu § 188 im April 2024 04
Aktuelle Stunde zu § 188 im Deutschen Bundestag
05 Volksverhetzung in den sozialen Medien
06 Tatbestand der Volksverhetzung 07
Hassredegesetze und die Meinungsfreiheit 08
Alice hinter den Spiegeln 09
Wie Überzeugungen entstehen 10 Quellen
01
Einleitung
TOP
Wenn mit Freiheit
gemeint ist, im Rahmen geltenden Rechts „alles tun und lassen zu
dürfen und zu können“, was das Gesetz nicht mit Strafe bedroht,
wird im Rechtsstaat Deutschland auf eine breite Zustimmung
stoßen, soweit die gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen der
Alltagsvernunft zugänglich sind. Die aber scheinen im
Zusammenhang mit den zurzeit stattfindenden staatlichen
Erziehungsversuchen hinsichtlich des immer gefährlicher
werdenden Gebrauchs der Meinungsfreiheit in den sozialen Medien,
eine rote Linie überschritten zu haben.
Warum?
Der Gebrauch der
Freiheit – wozu auch der Gebrauch der Meinungsfreiheit gehört –
muss vereinbar sein mit den jeweiligen kulturellen Grundlagen
einer Gemeinschaft, zu denen - daran zu zweifeln wäre
wirklichkeitsfremd - auch das Internet und die sozialen Medien
gehören. Zur kulturellen Wirklichkeit gehört auch, dass ein
respektvoller Gebrauch der Sprache aus der Mode gekommen zu sein
scheint und zunehmend zu einer
„Verwilderung des Sprechens und auch des Schreibens“ geführt
hat. Obwohl der Gebrauch der Freiheit auch durch das
Sittengesetz beschränkt ist, siehe Artikel 2 Abs. 2 GG, scheint
dies für den Gebrauch der Meinungsfreiheit nicht mehr zu gelten.
Ein Bundespräsident der von Rattenfängern spricht und ein
Bundeskanzler, der am Tag der Deutschen Einheit die Wählerinnen
und Wähler, die nicht die Parteien der Mitte wählen, aus der
Gemeinschaft der Demokraten ausgrenzt, indem er sozusagen die
Spreu vom Weizen trennt.
Bundeskanzler Olaf Scholz:
Das sind die Vernünftigen und Anständigen. Das sind die, die
nicht nur motzen, sondern anpacken für unser Land.
Rede des Bundeskanzlers zum Tag der Deutschen Einheit:
Für mich bringt solch
eine
Sprachkultur Respektlosigkeit zum Ausdruck. Auch ein
Blick in die Debattenkultur des Deutschen Bundestages macht
deutlich, dass dort eine Sprache „gepflegt“ wird, deren
Gemeinsamkeit darin besteht, politische Gegner auszugrenzen.
Anders ausgedrückt: Auch im Deutschen Bundestag wird das, was
das Grundgesetz unter der Sprachfigur des „Sittengesetzes“
versteht, wirklich nicht mehr ernst genommen. Ernst genommen
wird eine außer Kontrolle geratene Sprachkultur erst dann, wenn
es darum geht, sich selbst – gemeint ist die politische Elite –
vor Hass und Hetze schützen zu müssen.
Udo di Fabio,
ehemaliger Richter beim Bundesverfassungsgericht, hat das, was
dann geschieht, wenn der Bürger einfach zu frech wird, bereits
2005 in seinem Buch „Die Kultur der Freiheit“ wie folgt
beschrieben hat:
Udo di Fabio:
Wenn „gute Sitten“ schwinden, wächst die regulative Macht
moralisierender Bürokratien. [...]. Denn der Verlust des
bürgerlichen Konsenses ruft nach immer neuen rechtlichen
Regelungen, ein wichtiger Grund für eine Fülle von Gesetzen,
Verwaltungsmaßnahmen und noch mehr Gerichtsentscheidungen, die
insgesamt nicht als Erweiterung autonomer Handlungsfreiheit der
Bürger verstanden werden können.
An
anderer Stelle:
Udo di Fabio:
Es schnappt eine Falle zu, die derjenige stellt, der sittliche
und ästhetische Regeln als altväterlich verlacht und an ihre
Stelle bei jeder politisch bemerkten Unsittlichkeit ein
Schutzgesetz erlassen will und so nach und nach die Freiheit auf
der Suche nach dem politisch korrekten Idealbild zu Tode schützt
[En01].
In solch
einer Situation eines übergriffig werdenden Rechtsstaates, der
den Gebrauch der Meinungsfreiheit seiner Bürgerinnen
einschränkt, weil ihm der Ton und die Verletzlichkeit der
eigenen Unantastbarkeit Unbehagen verursacht, gehört sozusagen
zum Teil der deutschen Geschichte. Ohne auf die historischen Momente näher
einzugehen, in denen es notwendig gewesen wäre, einen „Grenzen
überschreitenden Rechtsstaat“ durch den Willen der Wähler in
seine Grenzen zu verweisen, erscheint es auch heute wieder
geboten zu sein, an die wohl bekannteste Rede von Thomas Mann zu
erinnern, die Thomas Mann am 13. Oktober 1922 in Berlin aus Anlass des 60.
Geburtstags von Gerhart Hauptmann unter der Überschrift „Der
Deutschen Republik“ gehalten hat.
Thomas Mann 1922:
Die Republik ist ein Schicksal, und zwar eines, zu dem »amor
fati« [gemeint ist eine verhängnisvolle Liebe zur Republik] das
einzig richtige Verhalten ist. Das ist kein zu feierliches Wort
für die Sache, denn es handelt sich um keine Kleinigkeit von
Schicksal: Die sogenannte Freiheit ist kein Spaß und Vergnügen,
nicht das ist es, was ich behaupte. Ihr anderer Name lautet
Verantwortlichkeit, – und damit wird deutlicher, dass sie
vielmehr eine schwere Belastung ist: und zwar namentlich für das
geistige Talent. Der Staat ist unser aller Angelegenheit
geworden, wir sind der Staat [...]. Mein Vorsatz ist, ich sage
es offen heraus, euch, sofern das nötig ist, für die Republik zu
gewinnen und für das, was Demokratie genannt wird [En02].
Ein
solcher Appell ist auch heute wieder geboten, denn ansonsten
setzt sich dieser Rechtsstaat der Gefahr aus, die
Alltagsvernunft zu zerstören, die darin besteht, dass in
Deutschland lebende Menschen nachvollziehen können, was zu
sagen, tatsächlich mit Strafe bedroht ist - im Gegensatz zu
anderen Äußerungen, die nur deshalb strafbewehrt sind, weil
scharfe, unsachliche und kritische Meinungen einfach ungewollt
sind.
§ 188
StGB (Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete
Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung)
Fassung
aufgrund des Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und
der Hasskriminalität vom 30.03.2021 (BGBl. I S. 441), in Kraft
getreten am 03.04.2021
02 Rechtssprechung zu § 188 StGB
TOP
Die
beiden folgenden Entscheidungen, die den Ehrschutz von
Politikern betreffen, lassen erkennen, wie unterschiedlich
ehrverletzende Äußerungen von den Gerichten bewertet werden, die
sich gegen Personen des politischen Lebens richten.
Beispiel 1: Wieder ein Grüner weniger. Herrgott wir
danken dir.
LG Verden 2022:
Die Staatsanwaltschaft Verden hat am 26.07.2021 dem Amtsgericht
Nienburg
den Entwurf eines Strafbefehls übersandt. Mit diesem wird dem
Beschuldigten zur Last gelegt, am 17.05.2021 in N. das Andenken
eines Verstorbenen verunglimpft zu haben, indem er auf dem –
online-basierten – Trauerportal der
Zeitung
„...“
unter
den Nachrufen der verstorbenen Sprecherin des Ortsverbandes
R.-L. der Partei ..., B. N., einen Kommentar mit dem folgenden
Inhalt verfasst haben soll:
„WIEDER
EIN GRÜNER WENIGER.HERRGOTT WIR DANKEN DIR.“.
Das
Amtsgericht hat den Erlass des Strafbefehls mit Beschluss vom
18.08.2021 gemäß § 408 Abs. 2 StPO abgelehnt.
Die Richter
des Landgerichts Verden haben den Vorgang jedoch zur erneuten
Entscheidung an das Amtsgericht
Nienburg
zurückverwiesen, da das Beschwerdegericht, also das LG Verden,
aus Rechtsgründen daran gehindert war und ist, in der Sache
selbst zu entscheiden.
In der
Begründung heißt es:
LG Verden 2022:
Bei der
schriftlichen Erklärung „WIEDER EIN GRÜNER WENIGER.HERRGOTT WIR
DANKEN DIR.“
handelt
sich nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um ein
Werturteil. Zwar lässt sich die Äußerung auch als Behauptung
über die – dem Beweis zugänglichen – Tatsache begreifen, es gäbe
nunmehr ein Mitglied der Partei ... weniger. Eine solche
Würdigung griffe indes zu kurz. Der Schwerpunkt der Äußerung ist
– gemessen am Auslegungsmaßstab eines unvoreingenommenen und
verständigen Publikums – indes in der Missachtung,
Geringschätzung bzw. Nichtachtung der Verstorbenen zu sehen.
An
anderer Stelle heißt es:
LG Verden 2022:
Die
Verschärfung der vorgenannten Normen zum 01.07.2021 hat der
Gesetzgeber nicht mit der Notwendigkeit eines besseren
Ehrschutzes, sondern mit der bestehenden Gefahr für den freien
Meinungsaustausch begründet. Er führt dazu aus: „Die eigene
Meinung frei, unbeeinflusst und offen sagen und sich darüber
austauschen zu können, stellt einen wesentlichen Grundpfeiler
der demokratischen pluralistischen Gesellschaft dar, die der
Staat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen
hat.“ (BT-Drs.
19/17741, S. 1). Schutzgut des § 185 StGB ist somit nicht mehr
nur die individuelle Ehre im Spannungsverhältnis zur
Meinungsfreiheit, sondern die Meinungsfreiheit selbst und der
Schutz demokratischer Institutionen (...). Der wirksame Schutz
der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern und Politikern liegt
im öffentlichen Interesse und ist auch gewichtig (so zuletzt
wieder: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des
Ersten
Senats vom 19.12.2021 –
1 BvR 1073/20 Rn. 62
m.w.N.).
Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft
kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich
engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz
ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist
[En03].
Auch der
oben von mir fett markierte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
erging nach dem Inkrafttreten der Neufassung von § 188 StGB. In
diesem Beschluss aus dem Jahre 2021 heißt es:
BVerfG 2021 = 1 BvR 1073/20:
Bei der Gewichtung der durch eine Äußerung berührten
grundrechtlichen Interessen ist zudem davon auszugehen, dass der
Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen
Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin
unverändert seine Bedeutung findet. Teil dieser Freiheit ist,
dass Bürgerinnen und Bürger von ihnen als verantwortlich
angesehene Amtsträgerinnen und Amtsträger in anklagender und
personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung
angreifen können, ohne befürchten zu müssen, dass die
personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext
herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende
gerichtliche Sanktionen bilden. In die Abwägung ist daher
einzustellen, ob die Privatsphäre der Betroffenen oder ihr
öffentliches Wirken mit seinen - unter Umständen weitreichenden
- gesellschaftlichen Folgen Gegenstand der Äußerung ist und
welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität der
Betroffenen von einer Äußerung ausgehen können (...).
Unter dem
Aspekt der Machtkritik haben die Gerichte auch Auslegung und
Anwendung des Art. 10 Abs. 2
EMRK
durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu
berücksichtigen. In ständiger Rechtsprechung betont der
Gerichtshof, dass die Grenzen zulässiger Kritik an
Politikerinnen und Politikern weiter zu ziehen sind als bei
Privatpersonen
(...). Insofern Politikerinnen und Politiker bewusst in die
Öffentlichkeit treten, unterscheidet sich ihre Situation von
derjenigen staatlicher
Amtswalter,
denen ohne ihr besonderes Zutun im Rahmen ihrer Berufsausübung
eine Aufgabe mit Bürgerkontakt übertragen wurde (...).
Allerdings
bleiben die Gesichtspunkte der Machtkritik und der Veranlassung
durch vorherige eigene Wortmeldungen im Rahmen der öffentlichen
Debatte in eine Abwägung eingebunden und erlauben nicht jede
auch ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgerinnen
und Amtsträgern oder Politikerinnen und Politikern. Gegenüber
einer auf die Person abzielenden, insbesondere öffentlichen
Verächtlichmachung oder Hetze setzt die Verfassung allen
Personen gegenüber äußerungsrechtliche Grenzen und nimmt hiervon
Personen des öffentlichen Lebens und Amtsträgerinnen und
Amtsträger nicht aus. Auch hier sind Äußerungen desto weniger
schutzwürdig, je mehr sie sich von einem Meinungskampf in die
Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen wegbewegen und die
Herabwürdigung der betreffenden Personen in den Vordergrund
tritt. Welche Äußerungen sich Personen des öffentlichen Lebens
gefallen lassen müssen und welche nicht, liegt dabei nicht nur
an Art und Umständen der Äußerung, sondern auch daran, welche
Position sie innehaben und welche öffentliche Aufmerksamkeit sie
für sich beanspruchen [En04].
Mit anderen Worten:
Politiker, müssen sich einiges gefallen lassen können.
Und was
die Erschwerung des öffentlichen Wirkens von Politikern
anbelangt, dessen Anlass im Folgenden kurz aufgezeigt wird,
heißt es in einem Beschluss des OLG Celle aus dem Jahr 2024, der
eine in der Sache bereits erfolgte Verurteilung aufhob, wie
folgt:
Anlass:
Die
Verurteilung wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Verleumdung
einer Person des politischen Lebens betraf unter anderen auch
eine Tat, bei der der Angeklagte nach den Feststellungen des
Landgerichts in seinem öffentlich einsehbaren Telegram-Kanal ein
Pressefoto, das den Bundesgesundheitsminister als Impfarzt bei
einer Covid-19-Impfung zeigt, veröffentlichte und mit der
Textzeile „Dr. J. M., 1943, nachkoloriert“ kommentierte.
Hinweis:
Das Akronym
„Dr. J. M., 1943“ steht für Dr. Josef Mengele (1911 bis 1979),
der von 1943 bis 1945 als Lagerarzt im KZ Auschwitz-Birkenau
tätig war.
Dass es
sich bei einem Bundesgesundheitsminister um eine Person handelt,
die durch § 188 StGB (Gegen Personen des politischen Lebens
gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung) geschützt
ist, dürfte offenkundig sein.
OLG Celle 2024:
Die Feststellungen des Landgerichts belegen [...]
nicht,
dass die Äußerung des Angeklagten geeignet war, das öffentliche
Wirken des Bundesgesundheitsministers erheblich zu
erschweren
(§ 188 Abs. 1 StGB). Eine Erschwerung des öffentlichen Wirkens
im Sinne des § 188 Abs. 1 StGB ist als Folge unterschiedlicher
Reaktionen auf die Äußerung denkbar. Die Voraussetzung kann
insbesondere erfüllt sein, wenn der Betroffene aufgrund einer
Verleumdung als nicht mehr vertrauenswürdig erscheint (...). Der
Tatbestand ist aber nicht auf diese eine Ausprägung denkbarer
Erschwernisse beschränkt. Es ist deshalb nicht grundsätzlich zu
beanstanden, dass das Landgericht darauf abgestellt hat, die
Darstellung des Angeklagten könne „Aggressionen bei
Gleichgesinnten“ hervorrufen.
Die
Offenheit des gesetzlichen Tatbestandes macht indes konkrete
Feststellungen zu den denkbaren Auswirkungen der Äußerung und
deren Bewertung durch das Tatgericht nicht entbehrlich. Denn §
188 StGB sanktioniert gerade nicht jede nach §§ 185-187 StGB
strafbare Tat gegen eine im politischen Leben des Volkes
stehende Person mit einer gegenüber dem Regelstrafrahmen höhen
Strafe, sondern greift als Qualifikation nur unter der
zusätzlichen Voraussetzung ein, dass sich die Tat zur
erheblichen Erschwerung der Tätigkeit der öffentlichen Person
eignet. Gerade in dem zusätzlichen Erfordernis der Erheblichkeit
einer solchen Erschwerung wird deutlich, dass diesem Erfordernis
eine tatbestandsbegrenzende Funktion zukommt und dass die
Anwendung des § 188 StGB eine Bewertung der Schwere der
möglichen Tatfolgen erfordert.
Das
angefochtene Urteil wird diesen Anforderungen nicht gerecht,
sondern beschränkt sich insoweit auf den knappen, allgemein
gehaltenen Verweis auf eine mögliche
Aggressivierung,
deren Auswirkungen auf das Wirken des betroffenen
Bundesministers nicht ausgeführt werden [En05].
Natürlich
ist es aus der Sicht eines Bundesgesundheitsministers nur schwer
zu ertragen, wenn sein Eintreten für die Impfpflicht anlässlich
der
Covid19-Pandemie
von Impfgegnern mit dem Wirken eines KZ-Arztes verglichen wird.
Andererseits muss von einem hochrangigen Politiker aber auch
erwartet werden können, dass er mit starker, möglicherweise
sogar verletzender Kritik angemessen umgehen kann.
In einem
Interview mit dem Magazin CATO antwortete zum Beispiel Alice
Weigel (AfD) auf die Frage des Reporters: Wie halten Sie das
aus, immer nur die böse rechte oder sogar rechtsextreme
Politikerin zu sein? Lars Klingbeil, einer der beiden
Parteivorsitzenden der SPD, hat Sie sogar Nazi genannt. Wie
gehen Sie damit um? Haben Sie ein spezielles Training dafür?
Alice Weigel (AfD):
Ich werde
vor allem durch meine Familie und mich selbst getragen. Denn
natürlich muss man bei dem täglichen Gegenwind, den Sie gerade
beschrieben haben, sehr gefestigt sein, sonst kann man diese
politische Arbeit nicht machen [En06].
Dem ist
nur hinzuzufügen, dass auch der ehemalige Bundeskanzler Helmut
Kohl und auch der ehemalige Kanzlerkandidat der CDU Armin
Laschet (CDU) die gleiche Meinung vertreten haben. Wie dem auch
immer sei: Die Zeiten ändern sich. Aus Politikern werden
Mimosen.
03 BVerfG zu § 188 im April 2024
TOP
Es kann
davon ausgegangen werden, dass sich die Richter des OLG Celle
bei ihrem Urteil, vom 24.07.2024 sich an dem Beschluss der Richter
des Bundesverfassungsgerichts vom 04.04.2024 orientiert haben,
aus dem im Folgenden die Leitsätze 3, 4 und 6 zitiert werden:
BVerfG 2024:
3. Die Anwendung der Strafvorschriften der §§ 185 ff. StGB
erfordert zunächst eine der Meinungsfreiheit gerecht werdende
Ermittlung des Sinns der infrage stehenden Äußerung. Zu den
verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der Deutung einer
Äußerung gehört, dass sie unter Einbeziehung ihres Kontextes
ausgelegt und ihr kein Sinn zugemessen wird, den sie objektiv
nicht haben kann. Bei mehrdeutigen Äußerungen muss das
Tatgericht andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen
ausschließen, bevor es die zur Verurteilung führende Bedeutung
zugrunde legt.
4.
Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die
subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive
Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn,
den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und
verständigen Durchschnittspublikums hat. Dabei ist stets vom
Wortlaut der Äußerung auszugehen; dieser legt ihren Sinn aber
nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem
sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und
den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit
diese für die Rezipienten erkennbar waren. 6. Bei der Frage, ob
eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder
als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, sind nicht die
Äußerungsteile isoliert zu betrachten, sondern ist die Äußerung
in ihrem Gesamtzusammenhang zu bewerten. Soweit eine Trennung
der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung
nicht ohne Verfälschung ihres Sinns möglich ist, muss die
Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes
insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden [En07].
Anders
ausgedrückt: Wenn es der Allgemeinvernunft nicht mehr möglich
ist, sozusagen auf Anhieb eine Ehrverletzung zu erkennen, oder
eine Aussage nicht ohne Verfälschung ihres Sinnes als eine
solche zu erkennen, dann sind an eine strafrechtliche Bewertung
besonders hohe Anforderungen zu erbringen.
Warum?
Sogar
der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat
eingefordert, dass Gesetze, die die Rede bzw. Meinungsfreiheit
einschränken, mit „ausreichender Präzision formuliert“ sein
müssen, um es dem Bürger zu ermöglichen, seine Verhaltensweise
zu kontrollieren. „Er muss in der Lage sein – notfalls mit
angemessener Beratung -, die Folgen, die eine Handlung nach sich
ziehen kann, in einem den Umständen entsprechenden vernünftigen
Maß vorherzusehen.“
EGMR 1979:
Randnummer 49. Nach Ansicht des Gerichtshofs lassen sich zwei
Erfordernisse aus den Worten „gesetzlich vorgesehen“
(prévues par la
loi / prescribed by law)
entnehmen. Das erste ist, dass das Recht ausreichend zugänglich
sein muss: der Bürger muss in hinreichender Weise erkennen
können, welche rechtlichen Vorschriften auf einen gegebenen Fall
anwendbar sind. Zweitens kann eine Norm nicht als „Gesetz“
(loi / law)
angesehen werden, wenn sie nicht so präzise formuliert ist, dass
der Bürger sein Verhalten danach einrichten kann: Er muss –
gegebenenfalls aufgrund entsprechender Beratung – in der Lage
sein, die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den
Umständen entsprechenden Grad an Bestimmtheit vorherzusehen.
Diese Folgen müssen nicht mit absoluter Bestimmtheit
vorhersehbar sein: Die Erfahrung zeigt, dass dies unerreichbar
ist. Zudem ist Bestimmtheit zwar höchst erstrebenswert, doch
kann sie übertriebene Strenge mit sich bringen, das Recht aber
muss sich dem Wandel der Umstände anpassen können. Deshalb
finden sich in vielen Gesetzen Begriffe, die mehr oder weniger
vage und deren Auslegung und Anwendung Fragen der Praxis sind
[En08].
Anders
ausgedrückt: Das Bestimmtheitsgebot gehört zu den Grundpfeilern
eines Rechtsstaates. In einem Rechtsstaat, in dem der
Gesetzgeber Normen erlässt, die es sozusagen den
Strafverfolgungsbehörden selbst überlassen, tatbestandliches
Handeln zu begründen, sägt sozusagen der Rechtsstaat am eigenen
Ast.
BVerfG 2012:
Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit von
Normen ergäben sich zum einen aus dem Parlamentsvorbehalt
(Demokratieprinzip) und zum anderen aus dem Rechtsstaatsprinzip.
Der Parlamentsvorbehalt verlange, dass im grundrechtsrelevanten
Bereich, aber auch sonst, alle wesentlichen Fragen vom Parlament
selbst entschieden würden. [...]. Der Parlamentsvorbehalt
schreibe nicht nur vor, dass überhaupt eine gesetzliche
Grundlage bestehen müsse, sondern auch, dass das Gesetz den
Parlamentswillen ausreichend bestimmt verlautbare. Das aus dem
Rechtsstaatsprinzip folgende Bestimmtheitsgebot verlange vom
Gesetzgeber, dass er den Grundsatz der Normenklarheit beachte.
Gesetzliche Regelungen müssten so genau gefasst sein, wie dies
nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit
Rücksicht auf den Normzweck möglich sei. Der Betroffene müsse
seine
Normunterworfenheit
und die Rechtslage so konkret erkennen können, dass er sein
Verhalten danach auszurichten vermöge. [...].
Bei
Verweisungen müsse der Bürger als Normadressat ohne Zuhilfenahme
spezieller Kenntnisse die in Bezug genommenen Regelungen und
deren Inhalte mit hinreichender Sicherheit feststellen können.
Sei es aufgrund der Verweisungstechnik allenfalls Experten
möglich, sämtliche materiellen Voraussetzungen mit vertretbarem
Aufwand zu erkennen, spreche dies gegen die Beachtung des
Grundsatzes der Klarheit einer Norm, die sich auf die Rechte der
Bürger auswirke [En09].
04 Aktuelle Stunde zu § 188 im Deutschen
Bundestag
TOP
Am 6.
Dezember 2024 kam es, auf der Grundlage eines Antrages der AfD
zur Abschaffung des § 188 StGB (Gegen Personen des politischen
Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung) im
Deutschen Bundestag zu einer Aktuellen Stunde. Die folgenden
Zitate wurden der Website des Deutschen Bundestages entnommen:
Aktuelle Stunde vom 6.12.2024:
Die
AfD-Fraktion spricht sich für die Abschaffung des Paragrafen 188
des Strafgesetzbuches (Gegen Personen des politischen Lebens
gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung) aus. Mit
diesen Sonderrechten müsse Schluss sein, forderte Stephan
Brandner
(AfD) in einer von seiner Fraktion beantragten Aktuellen Stunde
mit dem Titel „Paragraf 188 StGB abschaffen – Keine
Einschränkung der Meinungsfreiheit durch den Straftatbestand der
Politikerbeleidigung“ am Freitag, 6. Dezember 2024.
AfD Stephan
Brandner
(AfD): Politiker
sind nicht besonders schützenswert. Die Regierenden hätten 2021
für sich ein extra schützendes Sonderrecht geschaffen, „als
Maßnahme gegen Hass und Hetze und Rechtsextremismus“, sagte
Brandner.
Ihn persönlich erinnere dies an die staatsfeindliche Hetze im
Strafgesetzbuch der DDR oder das Gesetz gegen heimtückische
Angriffe auf Staat und Partei aus dem Jahr 1934.
SPD Dunja
Kreiser (SPD) Der
Schutz, den Paragraf 188 biete, sei kein Privileg Einzelner. Er
sei vielmehr ein Schutz der demokratischen Strukturen. Sein Ziel
sei es nicht, Kritik zu unterbinden, „sondern gezielt Hetze,
Verleumdung und Desinformation zu bekämpfen“.
CDU/CSU Carsten Müller (CDU/CSU)
„Idee des Paragrafen 188 ist nicht, dass man KI einsetzt, um
Sachverhalte zu ermitteln“, sagte der Unionsabgeordnete. Das sei
ein Zeichen mangelnder Souveränität. Zur Wahrheit gehöre auch:
„Wer sich im politischen Bereich engagiert, muss auch mit
deutlicher Kritik umgehen und leben können.“ Müller sagte
weiter, die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel etwa habe
keinen einzigen Fall verfolgen lassen.
Grüne Renate
Künast (Bündnis 90/Die
Grünen) sagte mit Blick auf Bundeswirtschaftsminister Robert
Habeck,
es könne nicht sein, dass Menschen, die sich an politische
Umgangsformen halten, sich am Ende noch entschuldigen müssen,
dass sie einen Strafantrag auf Beleidigung gestellt haben. Die
AfD hetze, versetze das Land in Aufruhr und organisiere Hass, so
Künast. Dann beklage sie sich, dass die Opfer ihrer Aktivitäten
800 Strafanträge stellen.
„Dann
hören Sie einfach auf damit, das Land zu zerstören“, sagte die
Grünen-Abgeordnete: „Dann gibt es auch weniger Strafanträge.“
Beleidigung sei der Anfang von etwas, das später in
Körperverletzung oder Mord ende. „Deshalb werden wir weiter
anzeigen“, kündigte Künast an.
FDP Katharina Willkomm (FDP) Demokratie
funktioniere nur, wenn man sich ohne Ängste vor Repressionen
über die Verhältnisse im Land äußern könne. Es vergifte die
Meinungsfreiheit und die Diskussionskultur, wenn man fürchten
müsste, die Polizei werde demnächst bei einem klingeln. „Wir
brauche kein Sonderstrafrecht zum Schutz von Politikern“, sagte
Willkomm [En10].
Bekanntermaßen wurde dem Antrag der AfD, den § 188 StGB (Gegen
Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble
Nachrede und Verleumdung) wieder abzuschaffen, nicht
entsprochen.
Im Übrigen enthält das Statement von Renate Künast
(Bündnis 90/Die
Grünen) durchaus Elemente, die es rechtfertigen, von einer
Hassrede ausgehen zu können.
05 Volksverhetzung in den sozialen Medien
TOP
Volksverhetzung wegen nichts?
Wir sind
nicht auf Faulenzer und Schmarotzer angewiesen und schon gar
nicht auf Messerkünstler und Vergewaltiger. Dieser Satz
überschreitet, aus Sicht der
StA
Düsseldorf die Grenze des Erlaubten. Die 74 Jahre alte
Rentnerin, die diesen Satz in den sozialen Medien veröffentlicht
hatte, wurde dafür wegen Volksverhetzung vom Amtsgericht
Düsseldorf (Aktenzeichen 114
Ds
160/24) zu einer Geldstrafe in Höhe von 7.950 Euro verurteilt.
Aber:
Durch
die Berichterstattungen über das Urteil des Amtsgerichts
Düsseldorf in den Medien wurde eine Solidaritätswelle ausgelöst,
die es der Rentnerin nunmehr erlaubt, die eingegangenen
Spendengelder zu nutzen, um gegen dieses Urteil Berufung vor dem
Landgericht Düsseldorf einlegen zu können.
Anders ausgedrückt:
Urteile, die von der Alltagsvernunft nicht mehr akzeptiert
werden können, fordern die normale menschliche Vernunft
sozusagen zum Widerstand heraus. In den Medien wird sogar, das
Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf betreffend, von Rechtsbeugung
gesprochen,
Auch
gegen den noch amtierenden Vizepräsidenten im Deutschen
Bundestag, Wolfgang Kubicki (FDP) wurde Strafanzeige auf der
Grundlage von § 188 StGB (Gegen Personen des politischen Lebens
gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung)
erstattet. Die Anzeigenerstattung erfolgte aufgrund eines Posts
des zurzeit noch amtierenden Vizepräsidenten im Deutschen
Bundestag auf der Plattform X. Der Post hatte folgenden
Wortlaut:
Wolfgang Kubicki (FDP):
Ich bekenne mich schuldig. Ich wollte das Ende dieser Koalition,
deren Gewürge unserer Wirtschaft und unserem Ansehen massiv
geschadet hat. Ich wollte einen Kanzler nicht mehr mittragen,
der sich selbst für den Größten hält, aber nichts mehr auf die
Kette kriegt. Polen lädt zu einer Konferenz ein, nur Deutschland
nicht. Was ist aus den vollmundigen Ankündigungen von
Wirtschaftswumms, Abschiebewumms
und
Friedenswumms
geworden?
Ein
gescheiterter Gernegroß. Ich wollte und konnte den unfähigsten
Wirtschaftsminister aller Zeiten nicht mehr verteidigen, dem
nach drei Jahren steuerfinanzierter Lehrzeit immer noch die
Grundkenntnisse wirtschaftlicher Zusammenhänge fehlen. Ich war
es leid, wie auch 80 Prozent der Bevölkerung. Und mir ist es
völlig egal, wie es zu Ende ging. Ich bin froh, dass es zu Ende
ist und wir endlich was Neues beginnen können. Wenn Ihr also
einen Schuldigen sucht, Rote, Grüne oder Teile der Medien, nehmt
mich.
Je plaide
coupable.
Niemand
wird mir den Stolz auf meine Partei nehmen können.“ WK
Der noch
amtierende Vizepräsident im Deutschen Bundestag, Wolfgang
Kubicki (FDP), musste auf die Anzeige dieser Politikerbeleidigung
bei der Polizei nicht lange warten. Zur Zeit ist noch nicht
bekannt, wie die Staatsanwaltschaft darauf reagieren wird.
Kommt es
nicht zu einer Anklage, dann wird dadurch der
verfassungsrechtlich verbürgte Grundsatz der „Gleichheit vor dem
Gesetz“ verletzt, stellt ein Richter das Verfahren ein, oder
spricht er Wolfgang Kubicki frei, dann stellen sich weitere,
hier nicht näher zu erörternde Fragen im Hinblick auf die
Glaubwürdigkeit des bundesdeutschen Rechtsstaates.
Und auf
Cicero.de
heißt es, die bereits oben genannte Verurteilung einer 74 Jahre
alten Rentnerin betreffend, wie folgt:
Cicero.de
vom 6.12.2024:
Habecks Anzeige führt zu Verurteilung -
Von
„falschen Vorbehalten“ und abstrakter Volksverhetzung:
Eine
Kritik an Habeck und der Migrationspolitik, in der die Wörter
„Faulenzer“, „Schmarotzer“, „Messerkünstler“ und „Vergewaltiger“
vorkommen, macht laut Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf aus
einer Rentnerin eine Volksverhetzerin [En11].
06 Tatbestand der Volksverhetzung
TOP
Aufgrund
des Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes und
des Strafgesetzbuches wurde auch der § 130 StGB
(Volksverhetzung) im Jahr 2022 neu gefasst. Diese Neuregelung zeichnet sich
durch mangelnde Normenklarheit aus, obwohl der Gesetzgeber
gehalten ist, dem Bestimmtheitsgebot vollumfänglich zu genügen,
denn bei vorhandener Normenklarheit wäre es wohl kaum möglich,
die Rechtsfindung bei den drei nachfolgend aufgeführten
Urteilsfindungen überhaupt nachvollziehen zu können.
Beispiel 1: Posten eines Judensterns mit der Aufschrift
„Ungeimpft“.
Nach
Ansicht der Richter des Kammergerichts Berlin, die über diesen
Fall 2023 zu entscheiden hatten, handelte es sich nicht um einen
Post, der dazu in der Lage ist, den öffentlichen Frieden zu
stören.
KG Berlin 2023: Leitsatz:
Die für jedermann zugängliche Veröffentlichung eines sogenannten
„Judensterns“ mit dem Zusatz „Ungeimpft“ auf der Plattform
Facebook ist zur Störung des öffentlichen Friedens jedenfalls
dann nicht geeignet, wenn sie auf ein kritisches persönliches
Umfeld trifft und sich aus ihrem übrigen Inhalt - hier der
Ankündigung, sich einen „Judenstern“ zu „basteln“ - ergibt, dass
sie nicht auf die Provokation unfriedlicher Reaktionen oder die
Herabsetzung von Hemmschwellen gegen rechtsgutgefährdende
Handlungen angelegt ist.
An
anderer Stelle heißt es:
Dem Begriff
des öffentlichen Friedens ist ein im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG
eingegrenztes Verständnis zugrunde zu legen, nach dem Eingriffe
in die Meinungsfreiheit nicht darauf gerichtet sein dürfen,
Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden Wirkungen von
bestimmten Meinungsäußerungen zu treffen (...). Die mögliche
Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in
ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf
eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet
sind, gehört zum freiheitlichen Staat (...). Weder der Schutz
vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas“ noch der Schutz der
Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch
totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche
Interpretation der Geschichte sind
Eingriffsgrund
(...). Die Verfassung setzt vielmehr darauf, dass auch
diesbezüglich Kritik und selbst Polemik gesellschaftlich
ertragen, ihr mit bürgerschaftlichem Engagement begegnet und
letztlich in Freiheit die Gefolgschaft verweigert wird [En12].
Wie dem auch immer sei:
Tatbestandlich im Sinne von § 130 StGB (Volksverhetzung) liegt
bereits dann vor, wenn die Handlung dazu geeignet ist, die den
öffentlichen Frieden zu stören. Wann das der Fall ist, dazu
schweigt sich § 130 StGB aus.
Beispiel 2: Die Parole „From the River to the sea –
Palestine will be free“ anlässlich einer Demonstration.
VG
Düsseldorf:
Die Richter
des Verwaltungsgerichts Düsseldorf sahen sich, angesichts der
aktuellen (rechts-) politischen Diskussion zu der ausdrücklichen
Klarstellung veranlasst, dass das Verwenden der Parole „From the
river to the sea [Palestine will be free]“ nicht per se strafbar
ist
[En13].
BayVGH: From the
river to the sea – pauschales Verbot unzulässig.
Der
BayVGH
hielt in einem Eilverfahren ein pauschales Verbot für
voraussichtlich rechtswidrig. Die Strafbarkeit der
Parole hänge von den Einzelfallumständen ab.
BayVGH
2024:
Die
Strafbarkeit der Parole „From the river to the sea“ und
entsprechender, mit der angegriffenen Beschränkung untersagten
Wortkombinationen folgt dabei nicht ohne Weiteres aus dem
Umstand, dass die Parole „From the river to the sea“ in die
Kennzeichenliste der Verbotsverfügung des Bundesministeriums des
Innern und für Heimat vom 2. November 2023 (BAnz AT 02.11.2023
B10) aufgenommen wurde. Vielmehr kommt es für die Strafbarkeit
der Formulierung „Vom Fluss bis zum Meer“ bzw. „From the river
to the sea“ demnach auf die Umstände des Einzelfalls,
insbesondere den Kontext der Äußerung und den Organisationsbezug
an [En14].
Hier
endet der kleine Einblick in das juristische Sprachgewirr von
zwei Tatbeständen, gemeint ist der § 188 StGB (Gegen Personen
des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und
Verleumdung) und der des § 130 StGB (Volksverhetzung), der alle, die
sich mit diesen Strafvorschriften auseinandersetzen, vor
Interpretationsprobleme stellt.
Die User sozialer Netzwerke sind zumindest gut beraten, sich
sprachlich zu disziplinieren.
Warum?
-
Wenn du
von irgendetwas, dass du siehst oder hörst, dich gekränkt fühlst,
dann erstatte Anzeige bei der Polizei.
-
Wenn du
aber derjenige bist, der die Kränkung äußert, läufst du
sozusagen auf rohen Eiern, zumindest dann, wenn Politiker dich
angezeigt haben.
Ein
Beispiel aus Österreich: Im November
2010 wurde ein 63-jähriger Rentner aus Graz in Österreich, wegen
„Verunglimpfung religiöser Symbole“ angeklagt, weil er beim
Rasenmähen gejodelt hatte. Der Rentner wurde zu 800
Euro Geldstrafe verurteilt. Dazu kam es, weil seine muslimischen
Nachbarn behauptet hatten, dass er mit seinem Jodeln den
Gebetsruf des Muezzins nachgeahmt hatte
[En15].
Auch die
Anzeigen hochrangiger Politiker, deren Anzahl die 1500er-Marke
bereits deutlich überschritten hat, lässt die Alltagsvernunft an der
Politikervernunft zweifeln.
Zu
dieser Einsicht scheint zwischenzeitlich auch ein Mitglied des
Landtages Mecklenburg-Vorpommern gekommen zu sein. Auf der
Website von Daniel Peters (SPD) heißt es:
SPD fordert
schärfere Regeln für Politikerbeleidigung – Gleichheit vor dem
Gesetz wiederherstellen und Verhältnismäßigkeit wahren [En16].
Bis
dahin dürfte der Weg aber beschwerlich sein. Wie dem auch immer
sei.
07 Hassredegesetze und die Meinungsfreiheit
TOP
In dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form
von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966 heißt es:
Artikel 4
Die Vertragsstaaten verurteilen jede
Propaganda und alle Organisationen, die auf Ideen oder Theorien
hinsichtlich der Überlegenheit einer Rasse oder einer
Personengruppe bestimmter Hautfarbe oder Volkszugehörigkeit
beruhen oder die
irgendeine Form von Rassenhass und
Rassendiskriminierung zu rechtfertigen oder zu fördern suchen;
sie verpflichten sich, unmittelbare und positive Maßnahmen zu
treffen, um jedes Aufreizen zur Rassendiskriminierung und alle
rassisch diskriminierenden Handlungen auszumerzen; zu diesem
Zweck übernehmen sie unter gebührender Berücksichtigung der in
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergelegten
Grundsätze und der ausdrücklich in Artikel 5 des vorliegenden
Übereinkommens genannten Rechte unter anderem folgende
Verpflichtungen:
a) jede Verbreitung von Ideen, die
sich auf die Überlegenheit einer Rasse oder den Rassenhass
gründen, jedes Aufreizen zur Rassendiskriminierung und jede
Gewalttätigkeit oder Aufreizung dazu gegen eine Rasse oder eine
Personengruppe anderer Hautfarbe oder Volkszugehörigkeit sowie
jede Unterstützung rassenkämpferischer Betätigung einschließlich
ihrer Finanzierung zu einer nach dem Gesetz strafbaren Handlung
zu erklären,
b) alle Organisationen und alle
organisierten oder sonstigen Propagandatätigkeiten, welche die
Rassendiskriminierung fördern und dazu aufreizen, als
gesetzwidrig zu erklären und zu verbieten und die Beteiligung an
derartigen Organisationen oder Tätigkeiten als eine nach dem
Gesetz strafbare Handlung anzuerkennen,
c) nicht zuzulassen, dass staatliche
oder örtliche Behörden oder öffentliche Einrichtungen die
Rassendiskriminierung fördern oder dazu aufreizen.
Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von
Rassendiskriminierung vom 7. März 1966
Und in dem nur wenige Monate danach verabschiedeten
Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom
19. Dezember 1966 heißt es:
Artikel 2
(1) Jeder Vertragsstaat verpflichtet
sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie
allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt
unterstehenden Personen ohne Unterschied wie insbesondere der
Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der
Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der
nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt
oder des sonstigen Status zu gewährleisten.
(2) Jeder Vertragsstaat verpflichtet
sich, im Einklang mit seinem verfassungsmäßigen Verfahren und
mit den Bestimmungen dieses Paktes die erforderlichen Schritte
zu unternehmen, um die gesetzgeberischen oder sonstigen
Vorkehrungen zu treffen, die notwendig sind, um den in diesem
Pakt anerkannten Rechten Wirksamkeit zu verleihen, soweit solche
Vorkehrungen nicht bereits getroffen worden sind.
(3) Jeder Vertragsstaat verpflichtet
sich,
a) dafür Sorge zu tragen, dass jeder, der in seinen in diesem
Pakt anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist,
das Recht hat, eine wirksame Beschwerde einzulegen, selbst wenn
die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in
amtlicher Eigenschaft gehandelt haben;
b) dafür Sorge zu tragen, dass jeder,
der eine solche Beschwerde erhebt, sein Recht durch das
zuständige Gerichts-, Verwaltungs- oder Gesetzgebungsorgan oder
durch eine andere, nach den Rechtsvorschriften des Staates
zuständige Stelle feststellen lassen kann, und den gerichtlichen
Rechtsschutz auszubauen; c) dafür Sorge zu tragen, dass die
zuständigen Stellen Beschwerden, denen stattgegeben wurde,
Geltung verschaffen.
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
vom 19.Dezember 1966
Es würde zu weit führen, die Einwände der demokratischen Staaten
hier auch nur aufzulisten, denen diese Formulierungen einfach zu
weit gingen.
Dennoch: Die Mehrheit setzte sich durch und
das, was noch vor 20 Jahren von den Vertreter der westlichen
Demokratien bei den Beratungen über die Allgemeinen
Menschenrechte für undemokratisch gehalten wurde, weil nur
Kommunisten sich vor unliebsamen Meinungen schützen müssen, das
war wohl in Vergessenheit geraten.
Seit nunmehr 55 Jahren haben Bürokraten daran geabreitet, eine
"Hassgesetzgebung" zu formulieren, die kaum noch eine Lücke für
scharfe, angreiende, verletzende, bösartige oder
systemverneinende Kritik ermöglicht, die erst dann ihren
Abschluss gefunden hat, wenn Staatsbürger nur noch das sagen
dürfen, was ihnen die Obrigkeit erlaubt.
Wie dem auch immer sei: In einer Zukunft sich
verschärfender Zensur wird die Schwelle der "Hassrede" bis auf
ein Niveau gesenkt, dass selbt bei der Achtung geltender Gesetze
sich Anhaltspunkte dafür geben werden, dass der Staat seine
Bürger dafür bestrafen kann, wenn er das für erforderlich hält.
Zurzeit drängt sich zumindest mir der Eindruck auf, dass die
Sprachfigur "Delegitimierung des Staates" schon in absehbarer
Zeit zu einer Erweiterung des Strafgesetzbuches führen wird -
dem Ort der Hassgesetzgebung in Deutschland - und auch führen
muss, denn dass die Demokratie vor der "Delegitimierung des
Staates und unerwünschte Worte" einfach nicht hingenommen werden
kann. Anders ausgedrückt: Wer nicht so denkt wie wir, dessen
Hass muss bekämpft werden.
Das aber wäre die zu verhindernde Katastrophe.
Warum?
Man wird die allgemeine Unzufriedenheit und den Zorn von heute
nur durch bessere Politik in den Griff bekommen können und
keineswegs dadurch, indem man jenen mit Strafen droht, die
schlechte Politik als solche benennen.
Das gilt sowohl in Deutschland, als auch in allen anderen
Staaten der EU.
08 Alice hinter den Spiegeln
TOP
Lewis
Caroll, hat in seinem Buch „Alice hinter den Spiegeln“ einen
kurzen Dialog geschrieben, der das auf den Punkt bringt, worum
es heute bei der Bekämpfung von Hass im Netz geht, einem
Bemühen, das nur dazu führen wird, dass sich noch mehr Menschen
von einer Demokratie abwenden werden, weil sich niemand gern
durch den Staat erziehen lässt, geschweige denn gutes Benehmen
mit den Mitteln des Strafrechts sozusagen erzwungen werden soll.
Wie dem
auch immer sei:
Lewis Caroll:
„Wenn ich ein Wort gebrauche“, sagte
Humpty Dumpty
in ziemlich verächtlichem Ton, „heißt es genau das, was ich als
Bedeutung wähle – nicht mehr und nicht weniger.“
„Die
Frage ist“, sagte Alice, „ob Sie Wörter so viel anderes bedeuten
lassen können.“
„Die
Frage ist“, sagte
Humpty Dumpty,
„wer der Herr ist – das ist alles.“
09 Wie Überzeugungen entstehen
TOP
Mit zwei
Sätzen aus dem Buch von Nils J.
Nilsson
zum Thema „Wie Überzeugungen entstehen“, möchte ich nicht nur
diesen Aufsatz beenden, sondern diese beiden Sätze auch als Überleitung auf den
Teil 2 des hier zu erörternden Themas verwenden, der sich
dann aber mit
Hausdurchsuchungen anlässlich von Politikerbeleidigungen
auseinandersetzen wird, denn die beiden nachfolgend zitierten Sätze
lassen erkennen, wie wandelbar unsere Vorstellungen und
Überzeugungen von Recht und Ordnung sind.
Nils J.
Nilsson:
Zum Wichtigsten, was über Überzeugungen zu sagen ist, gehört,
dass sie vorläufig und wandelbar sind (oder es zumindest sein
sollten). Wir wissen auch,
dass Erklärungen nur aus den vorhandenen Materialien konstruiert
werden können, d. h. aus den Überzeugungen und Begriffen, die
jeweils gerade zur Verfügung stehen [En17].
10 Quellen
TOP
Endnote_01 Udo di
Fabio: Die Kultur der Freiheit. C.H.Beck 2005,Seite 76 und 77
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Endnote_02 Thomas
Mann: Von deutscher Republik. Rede anlässlich des 60.
Geburtstages von Gerhart Hauptmann in Berlin.
https://ghdi.ghi-dc.org/pdf/deu/ghi_pol_MannRepublic_ger.pdf
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Endnote_03 LG
Verden, Beschluss vom 07.02.2022 – 4 Qs 101/21
Zurück
Endnote_04 BVerfG,
Beschluss vom 19.12.2021 - 1 BvR 1073/20
Zurück
Endnote_05 OLG Celle, Beschluss vom 24.07.2024 -
1 Ors 19/24 Zurück
Endnote_06
Cato-Magazin.de vom 29. November 2024: Die Bundessprecherin der
AfD im exklusiven Cato-Gespräch über Brandmauern, Rechts und
Links und die Selbstermächtigung der Exekutive.
https://cato-magazin.de/ich-bin-furchtlos/
Zurück
Endnote_07 BVerfG, Beschluss vom 4. April 2024 -
1 BvR 820/24 Zurück
Endnote_08
EGMR. Sunday Times gegen Vereinigtes Königreich, Urteil vom 26.
April 1979, EGMR-E 1, 366 - Randnummer 49.
Zurück
Endnote_09 BVerfG, Beschluss vom 04. Juni 2012 -
2 BvL 9/08 Zurück
Endnote_10
Deutscher Bundestag: Aktuelle Stunde vom 6.Dezember 2024:
Kontroverse um den Straftatbestand der Politikerbeleidigung.
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw49-de-
aktuelle-stunde-politikerbeleidigung-1033200
Zurück
Endnote_11 Cicero.de vom 6.12.2024: Von
„falschen Vorbehalten“ und abstrakter Volksverhetzung.
https://www.cicero.de/comment/439891
Zurück
Endnote_12 KG Berlin, Urteil vom 11.05.2023 -
(4) 121 Ss 124/22 (164/22) Zurück
Endnote_13 VG
Düsseldorf, vom 25.09.2024 - 18 K 8760/23
Zurück
Endnote_14 BayVGH: Beschluss vom 26.06.2024 – 10
CS 24.1062 Zurück
Endnote_15
Steiermark: Jodler zu 800 Euro Strafe verurteilt.
https://www.pi-news.net/2010/11/steiermark-jodler-zu-800-euro-strafe-verurteilt/
Zurück
Endnote_16
https://danielpeters-mv.de/spd-fordert-schaerfere-regeln-fuer-politikerbeleidigung-
gleichheit-vor-dem-gesetz-wiederherstellen-und-verhaeltnismaessigkeit-wahren/
Zurück
Endnote_17 Nils J.
Nilsson: Wie Überzeugungen entstehen. Berlin University Press
2016, Seite 20 und 54 Zurück
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