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Politikerbeleidigungen - Teil 1

Inhaltsverzeichnis:

01 Einleitung
02 Rechtssprechung zu § 188 StGB
03 BVerfG zu § 188 im April 2024
04 Aktuelle Stunde zu § 188 im Deutschen Bundestag
05 Volksverhetzung in den sozialen Medien
06 Tatbestand der Volksverhetzung
07 Hassredegesetze und die Meinungsfreiheit
08 Alice hinter den Spiegeln
09 Wie Überzeugungen entstehen
10 Quellen

01 Einleitung

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Wenn mit Freiheit gemeint ist, im Rahmen geltenden Rechts „alles tun und lassen zu dürfen und zu können“, was das Gesetz nicht mit Strafe bedroht, wird im Rechtsstaat Deutschland auf eine breite Zustimmung stoßen, soweit die gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen der Alltagsvernunft zugänglich sind. Die aber scheinen im Zusammenhang mit den zurzeit stattfindenden staatlichen Erziehungsversuchen hinsichtlich des immer gefährlicher werdenden Gebrauchs der Meinungsfreiheit in den sozialen Medien, eine rote Linie überschritten zu haben.

Warum?

Der Gebrauch der Freiheit – wozu auch der Gebrauch der Meinungsfreiheit gehört – muss vereinbar sein mit den jeweiligen kulturellen Grundlagen einer Gemeinschaft, zu denen - daran zu zweifeln wäre wirklichkeitsfremd - auch das Internet und die sozialen Medien gehören. Zur kulturellen Wirklichkeit gehört auch, dass ein respektvoller Gebrauch der Sprache aus der Mode gekommen zu sein scheint und zunehmend zu einer „Verwilderung des Sprechens und auch des Schreibens“ geführt hat. Obwohl der Gebrauch der Freiheit auch durch das Sittengesetz beschränkt ist, siehe Artikel 2 Abs. 2 GG, scheint dies für den Gebrauch der Meinungsfreiheit nicht mehr zu gelten. Ein Bundespräsident der von Rattenfängern spricht und ein Bundeskanzler, der am Tag der Deutschen Einheit die Wählerinnen und Wähler, die nicht die Parteien der Mitte wählen, aus der Gemeinschaft der Demokraten ausgrenzt, indem er sozusagen die Spreu vom Weizen trennt.

Bundeskanzler Olaf Scholz: Das sind die Vernünftigen und Anständigen. Das sind die, die nicht nur motzen, sondern anpacken für unser Land.

Rede des Bundeskanzlers zum Tag der Deutschen Einheit:

Für mich bringt solch eine Sprachkultur Respektlosigkeit zum Ausdruck. Auch ein Blick in die Debattenkultur des Deutschen Bundestages macht deutlich, dass dort eine Sprache „gepflegt“ wird, deren Gemeinsamkeit darin besteht, politische Gegner auszugrenzen.

Anders ausgedrückt: Auch im Deutschen Bundestag wird das, was das Grundgesetz unter der Sprachfigur des „Sittengesetzes“ versteht, wirklich nicht mehr ernst genommen. Ernst genommen wird eine außer Kontrolle geratene Sprachkultur erst dann, wenn es darum geht, sich selbst – gemeint ist die politische Elite – vor Hass und Hetze schützen zu müssen.

Udo di Fabio, ehemaliger Richter beim Bundesverfassungsgericht, hat das, was dann geschieht, wenn der Bürger einfach zu frech wird, bereits 2005 in seinem Buch „Die Kultur der Freiheit“ wie folgt beschrieben hat:

Udo di Fabio: Wenn „gute Sitten“ schwinden, wächst die regulative Macht moralisierender Bürokratien. [...]. Denn der Verlust des bürgerlichen Konsenses ruft nach immer neuen rechtlichen Regelungen, ein wichtiger Grund für eine Fülle von Gesetzen, Verwaltungsmaßnahmen und noch mehr Gerichtsentscheidungen, die insgesamt nicht als Erweiterung autonomer Handlungsfreiheit der Bürger verstanden werden können.

An anderer Stelle:

Udo di Fabio: Es schnappt eine Falle zu, die derjenige stellt, der sittliche und ästhetische Regeln als altväterlich verlacht und an ihre Stelle bei jeder politisch bemerkten Unsittlichkeit ein Schutzgesetz erlassen will und so nach und nach die Freiheit auf der Suche nach dem politisch korrekten Idealbild zu Tode schützt [En01].

In solch einer Situation eines übergriffig werdenden Rechtsstaates, der den Gebrauch der Meinungsfreiheit seiner Bürgerinnen einschränkt, weil ihm der Ton und die Verletzlichkeit der eigenen Unantastbarkeit Unbehagen verursacht, gehört sozusagen zum Teil der deutschen Geschichte. Ohne auf die historischen Momente näher einzugehen, in denen es notwendig gewesen wäre, einen „Grenzen überschreitenden Rechtsstaat“ durch den Willen der Wähler in seine Grenzen zu verweisen, erscheint es auch heute wieder geboten zu sein, an die wohl bekannteste Rede von Thomas Mann zu erinnern, die Thomas Mann am 13. Oktober 1922 in Berlin aus Anlass des 60. Geburtstags von Gerhart Hauptmann unter der Überschrift „Der Deutschen Republik“ gehalten hat.

Thomas Mann 1922: Die Republik ist ein Schicksal, und zwar eines, zu dem »amor fati« [gemeint ist eine verhängnisvolle Liebe zur Republik] das einzig richtige Verhalten ist. Das ist kein zu feierliches Wort für die Sache, denn es handelt sich um keine Kleinigkeit von Schicksal: Die sogenannte Freiheit ist kein Spaß und Vergnügen, nicht das ist es, was ich behaupte. Ihr anderer Name lautet Verantwortlichkeit, – und damit wird deutlicher, dass sie vielmehr eine schwere Belastung ist: und zwar namentlich für das geistige Talent. Der Staat ist unser aller Angelegenheit geworden, wir sind der Staat [...]. Mein Vorsatz ist, ich sage es offen heraus, euch, sofern das nötig ist, für die Republik zu gewinnen und für das, was Demokratie genannt wird [En02].

Ein solcher Appell ist auch heute wieder geboten, denn ansonsten setzt sich dieser Rechtsstaat der Gefahr aus, die Alltagsvernunft zu zerstören, die darin besteht, dass in Deutschland lebende Menschen nachvollziehen können, was zu sagen, tatsächlich mit Strafe bedroht ist - im Gegensatz zu anderen Äußerungen, die nur deshalb strafbewehrt sind, weil scharfe, unsachliche und kritische Meinungen einfach ungewollt sind.

§ 188 StGB (Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung)

Fassung aufgrund des Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30.03.2021 (BGBl. I S. 441), in Kraft getreten am 03.04.2021

02 Rechtssprechung zu § 188 StGB

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Die beiden folgenden Entscheidungen, die den Ehrschutz von Politikern betreffen, lassen erkennen, wie unterschiedlich ehrverletzende Äußerungen von den Gerichten bewertet werden, die sich gegen Personen des politischen Lebens richten.

Beispiel 1:
Wieder ein Grüner weniger. Herrgott wir danken dir.

LG Verden 2022: Die Staatsanwaltschaft Verden hat am 26.07.2021 dem Amtsgericht Nienburg den Entwurf eines Strafbefehls übersandt. Mit diesem wird dem Beschuldigten zur Last gelegt, am 17.05.2021 in N. das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft zu haben, indem er auf dem – online-basierten – Trauerportal der Zeitung „...“ unter den Nachrufen der verstorbenen Sprecherin des Ortsverbandes R.-L. der Partei ..., B. N., einen Kommentar mit dem folgenden Inhalt verfasst haben soll:

WIEDER EIN GRÜNER WENIGER.HERRGOTT WIR DANKEN DIR.“.

Das Amtsgericht hat den Erlass des Strafbefehls mit Beschluss vom 18.08.2021 gemäß § 408 Abs. 2 StPO abgelehnt.

Die Richter des Landgerichts Verden haben den Vorgang jedoch zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Nienburg zurückverwiesen, da das Beschwerdegericht, also das LG Verden, aus Rechtsgründen daran gehindert war und ist, in der Sache selbst zu entscheiden.

In der Begründung heißt es:

LG Verden 2022: Bei der schriftlichen Erklärung „WIEDER EIN GRÜNER WENIGER.HERRGOTT WIR DANKEN DIR.“ handelt sich nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um ein Werturteil. Zwar lässt sich die Äußerung auch als Behauptung über die – dem Beweis zugänglichen – Tatsache begreifen, es gäbe nunmehr ein Mitglied der Partei ... weniger. Eine solche Würdigung griffe indes zu kurz. Der Schwerpunkt der Äußerung ist – gemessen am Auslegungsmaßstab eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums – indes in der Missachtung, Geringschätzung bzw. Nichtachtung der Verstorbenen zu sehen.

An anderer Stelle heißt es:

LG Verden 2022: Die Verschärfung der vorgenannten Normen zum 01.07.2021 hat der Gesetzgeber nicht mit der Notwendigkeit eines besseren Ehrschutzes, sondern mit der bestehenden Gefahr für den freien Meinungsaustausch begründet. Er führt dazu aus: „Die eigene Meinung frei, unbeeinflusst und offen sagen und sich darüber austauschen zu können, stellt einen wesentlichen Grundpfeiler der demokratischen pluralistischen Gesellschaft dar, die der Staat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen hat.“ (BT-Drs. 19/17741, S. 1). Schutzgut des § 185 StGB ist somit nicht mehr nur die individuelle Ehre im Spannungsverhältnis zur Meinungsfreiheit, sondern die Meinungsfreiheit selbst und der Schutz demokratischer Institutionen (...). Der wirksame Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern und Politikern liegt im öffentlichen Interesse und ist auch gewichtig (so zuletzt wieder: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 Rn. 62 m.w.N.). Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist [En03].

Auch der oben von mir fett markierte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts erging nach dem Inkrafttreten der Neufassung von § 188 StGB. In diesem Beschluss aus dem Jahre 2021 heißt es:

BVerfG 2021 = 1 BvR 1073/20: Bei der Gewichtung der durch eine Äußerung berührten grundrechtlichen Interessen ist zudem davon auszugehen, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet. Teil dieser Freiheit ist, dass Bürgerinnen und Bürger von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträgerinnen und Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden. In die Abwägung ist daher einzustellen, ob die Privatsphäre der Betroffenen oder ihr öffentliches Wirken mit seinen - unter Umständen weitreichenden - gesellschaftlichen Folgen Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität der Betroffenen von einer Äußerung ausgehen können (...).

Unter dem Aspekt der Machtkritik haben die Gerichte auch Auslegung und Anwendung des Art. 10 Abs. 2 EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu berücksichtigen. In ständiger Rechtsprechung betont der Gerichtshof, dass die Grenzen zulässiger Kritik an Politikerinnen und Politikern weiter zu ziehen sind als bei Privatpersonen (...). Insofern Politikerinnen und Politiker bewusst in die Öffentlichkeit treten, unterscheidet sich ihre Situation von derjenigen staatlicher Amtswalter, denen ohne ihr besonderes Zutun im Rahmen ihrer Berufsausübung eine Aufgabe mit Bürgerkontakt übertragen wurde (...).

Allerdings bleiben die Gesichtspunkte der Machtkritik und der Veranlassung durch vorherige eigene Wortmeldungen im Rahmen der öffentlichen Debatte in eine Abwägung eingebunden und erlauben nicht jede auch ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgerinnen und Amtsträgern oder Politikerinnen und Politikern. Gegenüber einer auf die Person abzielenden, insbesondere öffentlichen Verächtlichmachung oder Hetze setzt die Verfassung allen Personen gegenüber äußerungsrechtliche Grenzen und nimmt hiervon Personen des öffentlichen Lebens und Amtsträgerinnen und Amtsträger nicht aus. Auch hier sind Äußerungen desto weniger schutzwürdig, je mehr sie sich von einem Meinungskampf in die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen wegbewegen und die Herabwürdigung der betreffenden Personen in den Vordergrund tritt. Welche Äußerungen sich Personen des öffentlichen Lebens gefallen lassen müssen und welche nicht, liegt dabei nicht nur an Art und Umständen der Äußerung, sondern auch daran, welche Position sie innehaben und welche öffentliche Aufmerksamkeit sie für sich beanspruchen [En04].

Mit anderen Worten: Politiker, müssen sich einiges gefallen lassen können.

Und was die Erschwerung des öffentlichen Wirkens von Politikern anbelangt, dessen Anlass im Folgenden kurz aufgezeigt wird, heißt es in einem Beschluss des OLG Celle aus dem Jahr 2024, der eine in der Sache bereits erfolgte Verurteilung aufhob, wie folgt:

Anlass: Die Verurteilung wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Verleumdung einer Person des politischen Lebens betraf unter anderen auch eine Tat, bei der der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts in seinem öffentlich einsehbaren Telegram-Kanal ein Pressefoto, das den Bundesgesundheitsminister als Impfarzt bei einer Covid-19-Impfung zeigt, veröffentlichte und mit der Textzeile „Dr. J. M., 1943, nachkoloriert“ kommentierte.

Hinweis: Das Akronym „Dr. J. M., 1943“ steht für Dr. Josef Mengele (1911 bis 1979), der von 1943 bis 1945 als Lagerarzt im KZ Auschwitz-Birkenau tätig war.

Dass es sich bei einem Bundesgesundheitsminister um eine Person handelt, die durch § 188 StGB (Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung) geschützt ist, dürfte offenkundig sein.

OLG Celle 2024: Die Feststellungen des Landgerichts belegen [...] nicht, dass die Äußerung des Angeklagten geeignet war, das öffentliche Wirken des Bundesgesundheitsministers erheblich zu erschweren (§ 188 Abs. 1 StGB). Eine Erschwerung des öffentlichen Wirkens im Sinne des § 188 Abs. 1 StGB ist als Folge unterschiedlicher Reaktionen auf die Äußerung denkbar. Die Voraussetzung kann insbesondere erfüllt sein, wenn der Betroffene aufgrund einer Verleumdung als nicht mehr vertrauenswürdig erscheint (...). Der Tatbestand ist aber nicht auf diese eine Ausprägung denkbarer Erschwernisse beschränkt. Es ist deshalb nicht grundsätzlich zu beanstanden, dass das Landgericht darauf abgestellt hat, die Darstellung des Angeklagten könne „Aggressionen bei Gleichgesinnten“ hervorrufen.

Die Offenheit des gesetzlichen Tatbestandes macht indes konkrete Feststellungen zu den denkbaren Auswirkungen der Äußerung und deren Bewertung durch das Tatgericht nicht entbehrlich. Denn § 188 StGB sanktioniert gerade nicht jede nach §§ 185-187 StGB strafbare Tat gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person mit einer gegenüber dem Regelstrafrahmen höhen Strafe, sondern greift als Qualifikation nur unter der zusätzlichen Voraussetzung ein, dass sich die Tat zur erheblichen Erschwerung der Tätigkeit der öffentlichen Person eignet. Gerade in dem zusätzlichen Erfordernis der Erheblichkeit einer solchen Erschwerung wird deutlich, dass diesem Erfordernis eine tatbestandsbegrenzende Funktion zukommt und dass die Anwendung des § 188 StGB eine Bewertung der Schwere der möglichen Tatfolgen erfordert.

Das angefochtene Urteil wird diesen Anforderungen nicht gerecht, sondern beschränkt sich insoweit auf den knappen, allgemein gehaltenen Verweis auf eine mögliche Aggressivierung, deren Auswirkungen auf das Wirken des betroffenen Bundesministers nicht ausgeführt werden [En05].

Natürlich ist es aus der Sicht eines Bundesgesundheitsministers nur schwer zu ertragen, wenn sein Eintreten für die Impfpflicht anlässlich der Covid19-Pandemie von Impfgegnern mit dem Wirken eines KZ-Arztes verglichen wird. Andererseits muss von einem hochrangigen Politiker aber auch erwartet werden können, dass er mit starker, möglicherweise sogar verletzender Kritik angemessen umgehen kann.

In einem Interview mit dem Magazin CATO antwortete zum Beispiel Alice Weigel (AfD) auf die Frage des Reporters: Wie halten Sie das aus, immer nur die böse rechte oder sogar rechtsextreme Politikerin zu sein? ­Lars ­Klingbeil, einer der beiden Parteivorsitzenden der SPD, hat Sie sogar Nazi genannt. Wie gehen Sie damit um? Haben Sie ein spezielles Training dafür?

Alice Weigel (AfD): Ich werde vor allem durch meine Familie und mich selbst getragen. Denn natürlich muss man bei dem täglichen Gegenwind, den Sie gerade beschrieben haben, sehr gefestigt sein, sonst kann man diese politische Arbeit nicht machen [En06].

Dem ist nur hinzuzufügen, dass auch der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl und auch der ehemalige Kanzlerkandidat der CDU Armin Laschet (CDU) die gleiche Meinung vertreten haben. Wie dem auch immer sei: Die Zeiten ändern sich. Aus Politikern werden Mimosen.

03 BVerfG zu § 188 im April 2024

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Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die Richter des OLG Celle bei ihrem Urteil, vom 24.07.2024 sich an dem Beschluss der Richter des Bundesverfassungsgerichts vom 04.04.2024 orientiert haben, aus dem im Folgenden die Leitsätze 3, 4 und 6 zitiert werden:

BVerfG 2024: 3. Die Anwendung der Strafvorschriften der §§ 185 ff. StGB erfordert zunächst eine der Meinungsfreiheit gerecht werdende Ermittlung des Sinns der infrage stehenden Äußerung. Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der Deutung einer Äußerung gehört, dass sie unter Einbeziehung ihres Kontextes ausgelegt und ihr kein Sinn zugemessen wird, den sie objektiv nicht haben kann. Bei mehrdeutigen Äußerungen muss das Tatgericht andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen ausschließen, bevor es die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde legt.

4. Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen; dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. 6. Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, sind nicht die Äußerungsteile isoliert zu betrachten, sondern ist die Äußerung in ihrem Gesamtzusammenhang zu bewerten. Soweit eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung nicht ohne Verfälschung ihres Sinns möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden [En07].

Anders ausgedrückt: Wenn es der Allgemeinvernunft nicht mehr möglich ist, sozusagen auf Anhieb eine Ehrverletzung zu erkennen, oder eine Aussage nicht ohne Verfälschung ihres Sinnes als eine solche zu erkennen, dann sind an eine strafrechtliche Bewertung besonders hohe Anforderungen zu erbringen.

Warum?

Sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat eingefordert, dass Gesetze, die die Rede bzw. Meinungsfreiheit einschränken, mit „ausreichender Präzision formuliert“ sein müssen, um es dem Bürger zu ermöglichen, seine Verhaltensweise zu kontrollieren. „Er muss in der Lage sein – notfalls mit angemessener Beratung -, die Folgen, die eine Handlung nach sich ziehen kann, in einem den Umständen entsprechenden vernünftigen Maß vorherzusehen.“

EGMR 1979: Randnummer 49. Nach Ansicht des Gerichtshofs lassen sich zwei Erfordernisse aus den Worten „gesetzlich vorgesehen“ (prévues par la loi / prescribed by law) entnehmen. Das erste ist, dass das Recht ausreichend zugänglich sein muss: der Bürger muss in hinreichender Weise erkennen können, welche rechtlichen Vorschriften auf einen gegebenen Fall anwendbar sind. Zweitens kann eine Norm nicht als „Gesetz“ (loi / law) angesehen werden, wenn sie nicht so präzise formuliert ist, dass der Bürger sein Verhalten danach einrichten kann: Er muss – gegebenenfalls aufgrund entsprechender Beratung – in der Lage sein, die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umständen entsprechenden Grad an Bestimmtheit vorherzusehen. Diese Folgen müssen nicht mit absoluter Bestimmtheit vorhersehbar sein: Die Erfahrung zeigt, dass dies unerreichbar ist. Zudem ist Bestimmtheit zwar höchst erstrebenswert, doch kann sie übertriebene Strenge mit sich bringen, das Recht aber muss sich dem Wandel der Umstände anpassen können. Deshalb finden sich in vielen Gesetzen Begriffe, die mehr oder weniger vage und deren Auslegung und Anwendung Fragen der Praxis sind [En08].

Anders ausgedrückt: Das Bestimmtheitsgebot gehört zu den Grundpfeilern eines Rechtsstaates. In einem Rechtsstaat, in dem der Gesetzgeber Normen erlässt, die es sozusagen den Strafverfolgungsbehörden selbst überlassen, tatbestandliches Handeln zu begründen, sägt sozusagen der Rechtsstaat am eigenen Ast.

BVerfG 2012: Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit von Normen ergäben sich zum einen aus dem Parlamentsvorbehalt (Demokratieprinzip) und zum anderen aus dem Rechtsstaatsprinzip. Der Parlamentsvorbehalt verlange, dass im grundrechtsrelevanten Bereich, aber auch sonst, alle wesentlichen Fragen vom Parlament selbst entschieden würden. [...]. Der Parlamentsvorbehalt schreibe nicht nur vor, dass überhaupt eine gesetzliche Grundlage bestehen müsse, sondern auch, dass das Gesetz den Parlamentswillen ausreichend bestimmt verlautbare. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Bestimmtheitsgebot verlange vom Gesetzgeber, dass er den Grundsatz der Normenklarheit beachte. Gesetzliche Regelungen müssten so genau gefasst sein, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich sei. Der Betroffene müsse seine Normunterworfenheit und die Rechtslage so konkret erkennen können, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermöge. [...].

Bei Verweisungen müsse der Bürger als Normadressat ohne Zuhilfenahme spezieller Kenntnisse die in Bezug genommenen Regelungen und deren Inhalte mit hinreichender Sicherheit feststellen können. Sei es aufgrund der Verweisungstechnik allenfalls Experten möglich, sämtliche materiellen Voraussetzungen mit vertretbarem Aufwand zu erkennen, spreche dies gegen die Beachtung des Grundsatzes der Klarheit einer Norm, die sich auf die Rechte der Bürger auswirke [En09].

04 Aktuelle Stunde zu § 188 im Deutschen Bundestag

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Am 6. Dezember 2024 kam es, auf der Grundlage eines Antrages der AfD zur Abschaffung des § 188 StGB (Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung) im Deutschen Bundestag zu einer Aktuellen Stunde. Die folgenden Zitate wurden der Website des Deutschen Bundestages entnommen:

Aktuelle Stunde vom 6.12.2024: Die AfD-Fraktion spricht sich für die Abschaffung des Paragrafen 188 des Strafgesetzbuches (Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung) aus. Mit diesen Sonderrechten müsse Schluss sein, forderte Stephan Brandner (AfD) in einer von seiner Fraktion beantragten Aktuellen Stunde mit dem Titel „Paragraf 188 StGB abschaffen – Keine Einschränkung der Meinungsfreiheit durch den Straftatbestand der Politikerbeleidigung“ am Freitag, 6. Dezember 2024.

AfD
Stephan
Brandner (AfD):
Politiker sind nicht besonders schützenswert. Die Regierenden hätten 2021 für sich ein extra schützendes Sonderrecht geschaffen, „als Maßnahme gegen Hass und Hetze und Rechtsextremismus“, sagte
Brandner. Ihn persönlich erinnere dies an die staatsfeindliche Hetze im Strafgesetzbuch der DDR oder das Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei aus dem Jahr 1934.

SPD
Dunja Kreiser (SPD)
Der Schutz, den Paragraf 188 biete, sei kein Privileg Einzelner. Er sei vielmehr ein Schutz der demokratischen Strukturen. Sein Ziel sei es nicht, Kritik zu unterbinden, „sondern gezielt Hetze, Verleumdung und Desinformation zu bekämpfen“.

CDU/CSU
Carsten Müller (CDU/CSU)

„Idee des Paragrafen 188 ist nicht, dass man KI einsetzt, um Sachverhalte zu ermitteln“, sagte der Unionsabgeordnete. Das sei ein Zeichen mangelnder Souveränität. Zur Wahrheit gehöre auch: „Wer sich im politischen Bereich engagiert, muss auch mit deutlicher Kritik umgehen und leben können.“ Müller sagte weiter, die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel etwa habe keinen einzigen Fall verfolgen lassen.

Grüne
Renate Künast (Bündnis 90/
Die Grünen) sagte mit Blick auf Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, es könne nicht sein, dass Menschen, die sich an politische Umgangsformen halten, sich am Ende noch entschuldigen müssen, dass sie einen Strafantrag auf Beleidigung gestellt haben. Die AfD hetze, versetze das Land in Aufruhr und organisiere Hass, so Künast. Dann beklage sie sich, dass die Opfer ihrer Aktivitäten 800 Strafanträge stellen.
Dann hören Sie einfach auf damit, das Land zu zerstören“, sagte die Grünen-Abgeordnete: „Dann gibt es auch weniger Strafanträge.“ Beleidigung sei der Anfang von etwas, das später in Körperverletzung oder Mord ende. „Deshalb werden wir weiter anzeigen“, kündigte Künast an.

FDP
Katharina Willkomm (FDP)

Demokratie funktioniere nur, wenn man sich ohne Ängste vor Repressionen über die Verhältnisse im Land äußern könne. Es vergifte die Meinungsfreiheit und die Diskussionskultur, wenn man fürchten müsste, die Polizei werde demnächst bei einem klingeln. „Wir brauche kein Sonderstrafrecht zum Schutz von Politikern“, sagte Willkomm [En10]
.

Bekanntermaßen wurde dem Antrag der AfD, den § 188 StGB (Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung) wieder abzuschaffen, nicht entsprochen.

Im Übrigen enthält das Statement von Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) durchaus Elemente, die es rechtfertigen, von einer Hassrede ausgehen zu können.

05 Volksverhetzung in den sozialen Medien

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Volksverhetzung wegen nichts?

Wir sind nicht auf Faulenzer und Schmarotzer angewiesen und schon gar nicht auf Messerkünstler und Vergewaltiger. Dieser Satz überschreitet, aus Sicht der StA Düsseldorf die Grenze des Erlaubten. Die 74 Jahre alte Rentnerin, die diesen Satz in den sozialen Medien veröffentlicht hatte, wurde dafür wegen Volksverhetzung vom Amtsgericht Düsseldorf (Aktenzeichen 114 Ds 160/24) zu einer Geldstrafe in Höhe von 7.950 Euro verurteilt.

Aber:

Durch die Berichterstattungen über das Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf in den Medien wurde eine Solidaritätswelle ausgelöst, die es der Rentnerin nunmehr erlaubt, die eingegangenen Spendengelder zu nutzen, um gegen dieses Urteil Berufung vor dem Landgericht Düsseldorf einlegen zu können.

Anders ausgedrückt: Urteile, die von der Alltagsvernunft nicht mehr akzeptiert werden können, fordern die normale menschliche Vernunft sozusagen zum Widerstand heraus. In den Medien wird sogar, das Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf betreffend, von Rechtsbeugung gesprochen,

Auch gegen den noch amtierenden Vizepräsidenten im Deutschen Bundestag, Wolfgang Kubicki (FDP) wurde Strafanzeige auf der Grundlage von § 188 StGB (Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung) erstattet. Die Anzeigenerstattung erfolgte aufgrund eines Posts des zurzeit noch amtierenden Vizepräsidenten im Deutschen Bundestag auf der Plattform X. Der Post hatte folgenden Wortlaut:

Wolfgang Kubicki (FDP): Ich bekenne mich schuldig. Ich wollte das Ende dieser Koalition, deren Gewürge unserer Wirtschaft und unserem Ansehen massiv geschadet hat. Ich wollte einen Kanzler nicht mehr mittragen, der sich selbst für den Größten hält, aber nichts mehr auf die Kette kriegt. Polen lädt zu einer Konferenz ein, nur Deutschland nicht. Was ist aus den vollmundigen Ankündigungen von Wirtschaftswumms, Abschiebewumms und Friedenswumms geworden?

Ein gescheiterter Gernegroß. Ich wollte und konnte den unfähigsten Wirtschaftsminister aller Zeiten nicht mehr verteidigen, dem nach drei Jahren steuerfinanzierter Lehrzeit immer noch die Grundkenntnisse wirtschaftlicher Zusammenhänge fehlen. Ich war es leid, wie auch 80 Prozent der Bevölkerung. Und mir ist es völlig egal, wie es zu Ende ging. Ich bin froh, dass es zu Ende ist und wir endlich was Neues beginnen können. Wenn Ihr also einen Schuldigen sucht, Rote, Grüne oder Teile der Medien, nehmt mich. Je plaide coupable. Niemand wird mir den Stolz auf meine Partei nehmen können.“ WK

Der noch amtierende Vizepräsident im Deutschen Bundestag, Wolfgang Kubicki (FDP), musste auf die Anzeige dieser Politikerbeleidigung bei der Polizei nicht lange warten. Zur Zeit ist noch nicht bekannt, wie die Staatsanwaltschaft darauf reagieren wird.

Kommt es nicht zu einer Anklage, dann wird dadurch der verfassungsrechtlich verbürgte Grundsatz der „Gleichheit vor dem Gesetz“ verletzt, stellt ein Richter das Verfahren ein, oder spricht er Wolfgang Kubicki frei, dann stellen sich weitere, hier nicht näher zu erörternde Fragen im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit des bundesdeutschen Rechtsstaates.

Und auf Cicero.de heißt es, die bereits oben genannte Verurteilung einer 74 Jahre alten Rentnerin betreffend, wie folgt:

Cicero.de vom 6.12.2024: Habecks Anzeige führt zu Verurteilung - Von „falschen Vorbehalten“ und abstrakter Volksverhetzung: Eine Kritik an Habeck und der Migrationspolitik, in der die Wörter „Faulenzer“, „Schmarotzer“, „Messerkünstler“ und „Vergewaltiger“ vorkommen, macht laut Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf aus einer Rentnerin eine Volksverhetzerin [En11].

06 Tatbestand der Volksverhetzung

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Aufgrund des Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes und des Strafgesetzbuches wurde auch der § 130 StGB (Volksverhetzung) im Jahr 2022 neu gefasst. Diese Neuregelung zeichnet sich durch mangelnde Normenklarheit aus, obwohl der Gesetzgeber gehalten ist, dem Bestimmtheitsgebot vollumfänglich zu genügen, denn bei vorhandener Normenklarheit wäre es wohl kaum möglich, die Rechtsfindung bei den drei nachfolgend aufgeführten Urteilsfindungen überhaupt nachvollziehen zu können.

Beispiel 1:
Posten eines Judensterns mit der Aufschrift „Ungeimpft“.

Nach Ansicht der Richter des Kammergerichts Berlin, die über diesen Fall 2023 zu entscheiden hatten, handelte es sich nicht um einen Post, der dazu in der Lage ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

KG Berlin 2023: Leitsatz: Die für jedermann zugängliche Veröffentlichung eines sogenannten „Judensterns“ mit dem Zusatz „Ungeimpft“ auf der Plattform Facebook ist zur Störung des öffentlichen Friedens jedenfalls dann nicht geeignet, wenn sie auf ein kritisches persönliches Umfeld trifft und sich aus ihrem übrigen Inhalt - hier der Ankündigung, sich einen „Judenstern“ zu „basteln“ - ergibt, dass sie nicht auf die Provokation unfriedlicher Reaktionen oder die Herabsetzung von Hemmschwellen gegen rechtsgutgefährdende Handlungen angelegt ist.

An anderer Stelle heißt es:

Dem Begriff des öffentlichen Friedens ist ein im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG eingegrenztes Verständnis zugrunde zu legen, nach dem Eingriffe in die Meinungsfreiheit nicht darauf gerichtet sein dürfen, Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden Wirkungen von bestimmten Meinungsäußerungen zu treffen (...). Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat (...). Weder der Schutz vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas“ noch der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte sind Eingriffsgrund (...). Die Verfassung setzt vielmehr darauf, dass auch diesbezüglich Kritik und selbst Polemik gesellschaftlich ertragen, ihr mit bürgerschaftlichem Engagement begegnet und letztlich in Freiheit die Gefolgschaft verweigert wird [En12].

Wie dem auch immer sei: Tatbestandlich im Sinne von § 130 StGB (Volksverhetzung) liegt bereits dann vor, wenn die Handlung dazu geeignet ist, die den öffentlichen Frieden zu stören. Wann das der Fall ist, dazu schweigt sich § 130 StGB aus.

Beispiel 2:
Die Parole „From the River to the sea – Palestine will be free“ anlässlich einer Demonstration.

VG Düsseldorf: Die Richter des Verwaltungsgerichts Düsseldorf sahen sich, angesichts der aktuellen (rechts-) politischen Diskussion zu der ausdrücklichen Klarstellung veranlasst, dass das Verwenden der Parole „From the river to the sea [Palestine will be free]“ nicht per se strafbar ist [En13].

BayVGH: From the river to the sea – pauschales Verbot unzulässig. Der BayVGH hielt in einem Eil­ver­fah­ren ein pau­scha­les Ver­bot für vor­aus­sicht­lich rechts­wid­rig. Die Straf­bar­keit der Pa­ro­le hänge von den Ein­zel­fall­um­stän­den ab.

BayVGH 2024: Die Strafbarkeit der Parole „From the river to the sea“ und entsprechender, mit der angegriffenen Beschränkung untersagten Wortkombinationen folgt dabei nicht ohne Weiteres aus dem Umstand, dass die Parole „From the river to the sea“ in die Kennzeichenliste der Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 2. November 2023 (BAnz AT 02.11.2023 B10) aufgenommen wurde. Vielmehr kommt es für die Strafbarkeit der Formulierung „Vom Fluss bis zum Meer“ bzw. „From the river to the sea“ demnach auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere den Kontext der Äußerung und den Organisationsbezug an [En14].

Hier endet der kleine Einblick in das juristische Sprachgewirr von zwei Tatbeständen, gemeint ist der § 188 StGB (Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung) und der des § 130 StGB (Volksverhetzung), der alle, die sich mit diesen Strafvorschriften auseinandersetzen, vor Interpretationsprobleme stellt.

Die User sozialer Netzwerke sind zumindest gut beraten, sich sprachlich zu disziplinieren.

Warum?

  • Wenn du von irgendetwas, dass du siehst oder hörst, dich gekränkt fühlst, dann erstatte Anzeige bei der Polizei.

  • Wenn du aber derjenige bist, der die Kränkung äußert, läufst du sozusagen auf rohen Eiern, zumindest dann, wenn Politiker dich angezeigt haben.

Ein Beispiel aus Österreich: Im November 2010 wurde ein 63-jähriger Rentner aus Graz in Österreich, wegen „Verunglimpfung religiöser Symbole“ angeklagt, weil er beim Rasenmähen gejodelt hatte. Der Rentner wurde zu 800 Euro Geldstrafe verurteilt. Dazu kam es, weil seine muslimischen Nachbarn behauptet hatten, dass er mit seinem Jodeln den Gebetsruf des Muezzins nachgeahmt hatte [En15].

Auch die Anzeigen hochrangiger Politiker, deren Anzahl die 1500er-Marke bereits deutlich überschritten hat, lässt die Alltagsvernunft an der Politikervernunft zweifeln.

Zu dieser Einsicht scheint zwischenzeitlich auch ein Mitglied des Landtages Mecklenburg-Vorpommern gekommen zu sein. Auf der Website von Daniel Peters (SPD) heißt es:

SPD fordert schärfere Regeln für Politikerbeleidigung – Gleichheit vor dem Gesetz wiederherstellen und Verhältnismäßigkeit wahren [En16].

Bis dahin dürfte der Weg aber beschwerlich sein. Wie dem auch immer sei.

07 Hassredegesetze und die Meinungsfreiheit

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In dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966 heißt es:

Artikel 4
Die Vertragsstaaten verurteilen jede Propaganda und alle Organisationen, die auf Ideen oder Theorien hinsichtlich der Überlegenheit einer Rasse oder einer Personengruppe bestimmter Hautfarbe oder Volkszugehörigkeit beruhen oder die
irgendeine Form von Rassenhass und Rassendiskriminierung zu rechtfertigen oder zu fördern suchen; sie verpflichten sich, unmittelbare und positive Maßnahmen zu treffen, um jedes Aufreizen zur Rassendiskriminierung und alle rassisch diskriminierenden Handlungen auszumerzen; zu diesem Zweck übernehmen sie unter gebührender Berücksichtigung der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergelegten Grundsätze und der ausdrücklich in Artikel 5 des vorliegenden Übereinkommens genannten Rechte unter anderem folgende Verpflichtungen:
a) jede Verbreitung von Ideen, die sich auf die Überlegenheit einer Rasse oder den Rassenhass gründen, jedes Aufreizen zur Rassendiskriminierung und jede Gewalttätigkeit oder Aufreizung dazu gegen eine Rasse oder eine Personengruppe anderer Hautfarbe oder Volkszugehörigkeit sowie jede Unterstützung rassenkämpferischer Betätigung einschließlich ihrer Finanzierung zu einer nach dem Gesetz strafbaren Handlung zu erklären,
b) alle Organisationen und alle organisierten oder sonstigen Propagandatätigkeiten, welche die Rassendiskriminierung fördern und dazu aufreizen, als gesetzwidrig zu erklären und zu verbieten und die Beteiligung an derartigen Organisationen oder Tätigkeiten als eine nach dem Gesetz strafbare Handlung anzuerkennen,
c) nicht zuzulassen, dass staatliche oder örtliche Behörden oder öffentliche Einrichtungen die Rassendiskriminierung fördern oder dazu aufreizen.

Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966

Und in dem nur wenige Monate danach verabschiedeten Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 heißt es:

Artikel 2
(1) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen ohne Unterschied wie insbesondere der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status zu gewährleisten.
(2) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, im Einklang mit seinem verfassungsmäßigen Verfahren und mit den Bestimmungen dieses Paktes die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um die gesetzgeberischen oder sonstigen Vorkehrungen zu treffen, die notwendig sind, um den in diesem Pakt anerkannten Rechten Wirksamkeit zu verleihen, soweit solche Vorkehrungen nicht bereits getroffen worden sind.
(3) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich,
a) dafür Sorge zu tragen, dass jeder, der in seinen in diesem Pakt anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, das Recht hat, eine wirksame Beschwerde einzulegen, selbst wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben;
b) dafür Sorge zu tragen, dass jeder, der eine solche Beschwerde erhebt, sein Recht durch das zuständige Gerichts-, Verwaltungs- oder Gesetzgebungsorgan oder durch eine andere, nach den Rechtsvorschriften des Staates zuständige Stelle feststellen lassen kann, und den gerichtlichen Rechtsschutz auszubauen; c) dafür Sorge zu tragen, dass die zuständigen Stellen Beschwerden, denen stattgegeben wurde, Geltung verschaffen.

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
vom 19.Dezember 1966

Es würde zu weit führen, die Einwände der demokratischen Staaten hier auch nur aufzulisten, denen diese Formulierungen einfach zu weit gingen.

Dennoch: Die Mehrheit setzte sich durch und das, was noch vor 20 Jahren von den Vertreter der westlichen Demokratien bei den Beratungen über die Allgemeinen Menschenrechte für undemokratisch gehalten wurde, weil nur Kommunisten sich vor unliebsamen Meinungen schützen müssen, das war wohl in Vergessenheit geraten.

Seit nunmehr 55 Jahren haben Bürokraten daran geabreitet, eine "Hassgesetzgebung" zu formulieren, die kaum noch eine Lücke für scharfe, angreiende, verletzende, bösartige oder systemverneinende Kritik ermöglicht, die erst dann ihren Abschluss gefunden hat, wenn Staatsbürger nur noch das sagen dürfen, was ihnen die Obrigkeit erlaubt.

Wie dem auch immer sei: In einer Zukunft sich verschärfender Zensur wird die Schwelle der "Hassrede" bis auf ein Niveau gesenkt, dass selbt bei der Achtung geltender Gesetze sich Anhaltspunkte dafür geben werden, dass der Staat seine Bürger dafür bestrafen kann, wenn er das für erforderlich hält. Zurzeit drängt sich zumindest mir der Eindruck auf, dass die Sprachfigur "Delegitimierung des Staates" schon in absehbarer Zeit zu einer Erweiterung des Strafgesetzbuches führen wird - dem Ort der Hassgesetzgebung in Deutschland - und auch führen muss, denn dass die Demokratie vor der "Delegitimierung des Staates und unerwünschte Worte" einfach nicht hingenommen werden kann. Anders ausgedrückt: Wer nicht so denkt wie wir, dessen Hass muss bekämpft werden.

Das aber wäre die zu verhindernde Katastrophe.

Warum? 

Man wird die allgemeine Unzufriedenheit und den Zorn von heute nur durch bessere Politik in den Griff bekommen können und keineswegs dadurch, indem man jenen mit Strafen droht, die schlechte Politik als solche benennen.

Das gilt sowohl in Deutschland, als auch in allen anderen Staaten der EU.

08 Alice hinter den Spiegeln

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Lewis Caroll, hat in seinem Buch „Alice hinter den Spiegeln“ einen kurzen Dialog geschrieben, der das auf den Punkt bringt, worum es heute bei der Bekämpfung von Hass im Netz geht, einem Bemühen, das nur dazu führen wird, dass sich noch mehr Menschen von einer Demokratie abwenden werden, weil sich niemand gern durch den Staat erziehen lässt, geschweige denn gutes Benehmen mit den Mitteln des Strafrechts sozusagen erzwungen werden soll.

Wie dem auch immer sei:

Lewis Caroll: „Wenn ich ein Wort gebrauche“, sagte Humpty Dumpty in ziemlich verächtlichem Ton, „heißt es genau das, was ich als Bedeutung wähle – nicht mehr und nicht weniger.“

Die Frage ist“, sagte Alice, „ob Sie Wörter so viel anderes bedeuten lassen können.“

Die Frage ist“, sagte Humpty Dumpty, „wer der Herr ist – das ist alles.“

09 Wie Überzeugungen entstehen

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Mit zwei Sätzen aus dem Buch von Nils J. Nilsson zum Thema „Wie Überzeugungen entstehen“, möchte ich nicht nur diesen Aufsatz beenden, sondern diese beiden Sätze auch als Überleitung auf den Teil 2 des hier zu erörternden Themas verwenden, der sich dann aber mit Hausdurchsuchungen anlässlich von Politikerbeleidigungen auseinandersetzen wird, denn die beiden nachfolgend zitierten Sätze lassen erkennen, wie wandelbar unsere Vorstellungen und Überzeugungen von Recht und Ordnung sind.

Nils J. Nilsson: Zum Wichtigsten, was über Überzeugungen zu sagen ist, gehört, dass sie vorläufig und wandelbar sind (oder es zumindest sein sollten). Wir wissen auch, dass Erklärungen nur aus den vorhandenen Materialien konstruiert werden können, d. h. aus den Überzeugungen und Begriffen, die jeweils gerade zur Verfügung stehen [En17].

10 Quellen

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Endnote_01
Udo di Fabio: Die Kultur der Freiheit. C.H.Beck 2005,Seite 76 und 77
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Endnote_02
Thomas Mann: Von deutscher Republik. Rede anlässlich des 60. Geburtstages von Gerhart Hauptmann in Berlin.
https://ghdi.ghi-dc.org/pdf/deu/ghi_pol_MannRepublic_ger.pdf
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Endnote_03
LG Verden, Beschluss vom 07.02.2022 – 4 Qs 101/21
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Endnote_04
BVerfG, Beschluss vom 19.12.2021 - 1 BvR 1073/20
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Endnote_05
OLG Celle, Beschluss vom 24.07.2024 - 1 Ors 19/24
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Endnote_06
Cato-Magazin.de vom 29. November 2024: Die Bundessprecherin der AfD im exklusiven Cato-Gespräch über Brandmauern, Rechts und Links und die Selbstermächtigung der Exekutive.
https://cato-magazin.de/ich-bin-furchtlos/
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Endnote_07
BVerfG, Beschluss vom 4. April 2024 - 1 BvR 820/24
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Endnote_08
EGMR. Sunday Times gegen Vereinigtes Königreich, Urteil vom 26. April 1979, EGMR-E 1, 366 - Randnummer 49.
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Endnote_09
BVerfG, Beschluss vom 04. Juni 2012 - 2 BvL 9/08
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Endnote_10
Deutscher Bundestag: Aktuelle Stunde vom 6.Dezember 2024: Kontroverse um den Straftatbestand der Politikerbeleidigung.
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw49-de-
aktuelle-stunde-politikerbeleidigung-1033200
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Endnote_11
Cicero.de vom 6.12.2024: Von „falschen Vorbehalten“ und abstrakter Volksverhetzung.
https://www.cicero.de/comment/439891
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Endnote_12
KG Berlin, Urteil vom 11.05.2023 - (4) 121 Ss 124/22 (164/22)
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Endnote_13
VG Düsseldorf, vom 25.09.2024 - 18 K 8760/23
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Endnote_14
BayVGH: Beschluss vom 26.06.2024 – 10 CS 24.1062
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Endnote_15
Steiermark: Jodler zu 800 Euro Strafe verurteilt.
https://www.pi-news.net/2010/11/steiermark-jodler-zu-800-euro-strafe-verurteilt/
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Endnote_16
https://danielpeters-mv.de/spd-fordert-schaerfere-regeln-fuer-politikerbeleidigung-
gleichheit-vor-dem-gesetz-wiederherstellen-und-verhaeltnismaessigkeit-wahren/
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Endnote_17
Nils J. Nilsson: Wie Überzeugungen entstehen. Berlin University Press 2016, Seite 20 und 54
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