Das Grundrecht auf Sicherheit -
Teil II
Inhaltsverzeichnis:
01 Wir sind
Glückskinder 02
Sicherheit als Staatszweck 03 Der
Liberalismus von gestern – ab 1871 04 Die
Antrittsrede Roosevelts – 1933 05 Der
Marshall-Plan – 1947 06 Das Regime der
Manager – 1948 07 Das Wirtschaftswunder –
1950 bis 1960 08 Beginn der Privatisierung
– 1970 09 Sicherheit im Liberalismus von
heute 10 Sicherheit im Hyper-Liberalismus
11 Umkehrung des Wortsinns – Liberalismus gleich
Freiheit 12 Sicherheit und
Masseneinwanderung – 2015 bis heute 13 Sicherheit
von Minderheiten in der Welt von heute 14
Nie wieder Sicherheit? 15 Schlusssätze
16 Quellen
01
Wir sind Glückskinder
TOP
Am 30. Jahrestag der
Deutschen Einheit sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier:
Warum
sollten gerade wir Glückskinder in der Mitte Europas mutlos
sein?
An
anderer Stelle:
Wir
leben im besten Deutschland, das es jemals gegeben hat.
Gut 260
Jahre zuvor heißt es bei Voltaire:
Wenn das
die beste aller Welten ist, wie mögen dann erst die anderen
aussehen.
Voltaire
1759
Candide
oder die beste aller Welten
Aber
vielleicht orientierte sich Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier ja auch an Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), dem
wohl letzten Universalgelehrten der Geschichte, der schrieb:
Es gibt
Gott und wir leben in der besten aller möglichen Welten.
Wie dem auch immer sei:
Die liberale Demokratie, deren Ziel es war und ist, den Menschen
Sicherheit und Perspektiven im Hinblick auf ein menschenwürdiges
Leben zu ermöglichen, hat, man muss das bedauern, ohne dabei den
Mut zu verlieren, den Höhepunkt ihrer Erfolgsgeschichte
überschritten, weigert sich aber, zur Kenntnis zu nehmen, dass
sich an die Erfolgsgeschichte bereits die Verfallsgeschichte
angeschlossen hat, wenn alles so bleiben soll, wie es ist.
Vertrauen in die Politik:
Laut einer Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung vertraut nur
noch eine Minderheit der Befragten (48,7 Prozent) der
Demokratie.
Was
noch?
Die
Verelendung unserer Großstädte und der ehemals prosperierenden
Industrieregionen. Die Massenmigration aus Ländern, in denen
Säkularismus und Liberalismus als Sünde betrachtet werden, in
denen man den Stärkeren bewundert und Selbstkritik als Schwäche
verachtet, in einem Sozialstaat, der ebenso beständig wächst wie
der Mangel an Wohnraum, Kitas, Schulen und Krankenbetten, um
dessen Sicherheit ist es schlecht bestellt, zumal Worte wie
Assimilation oder Leitkultur schon seit Jahren auf der "Roten
Liste" stehen und selbst das Wort Integration als bevormundend
bis rassistisch interpretiert wird, sogar die Bezeichnung
"Migrationshintergrund" könnte schon bald zu den verbotenen
Wörtern gehören. Dazu gleich mehr.
Kolja Zydatisss und Mark Feldon:
Ergänzt wird diese Wirklichkeit durch ein weiterhin wachsendes
Geflecht von Nichtregierungsorganisationen, die durch
Gefälligkeitsstudien und Kampagnen eine Kreislaufwirtschaft mit
dem Staat bilden, der machtpolitische, steuerfinanzierte „Kampf
gegen rechts“, der immer mehr zu einer Mobilmachung gegen alles
Nicht-Linke mutiert, die Einrichtung von so genannten
„Meldeportalen“ zur Denunziation von Abweichlern, und die an
einen Polizeistaat gemahnende Ächtung von Kritik als
„Delegitimierung des Staates [En01].
Neues aus dem Bundesfamilienministerium:
Ein neuer
Bericht des Bundesfamilienministeriums, das von der
Grünen-Politikerin Lisa Paus geleitet wird, sorgt für weitere
Diskussionen. In dem Jugendbericht empfehlen die Verfasser, den
Begriff „Migrationshintergrund“ künftig nicht mehr zu verwenden.
Die
Jugendberichts-Professoren
schreiben dazu: „Die Kommission hat sich im Zuge ihrer
Beratungen entschieden, vom Begriff ‚Migrationshintergrund‘
weitestgehend Abstand zu nehmen, da dieser bestimmte junge
Menschen zu Merkmalsträger:innen eines gesamtgesellschaftlichen
Phänomens macht und damit zugleich der Vielfalt und Diversität
junger Menschen samt ihren Bedürfnissen und Lebenswelten nicht
gerecht wird.“
Das
Bundeskabinett bezeichnete den Vorschlag [...]
als
„wertvollen Beitrag für die weitere Diskussion“, wie „Bild“
berichtet. Laut Kinder- und Jugendbericht des
Familienministeriums wird mittlerweile 41 Prozent der Kinder
unter sechs Jahren in Deutschland „eine andere
natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit zugeschrieben“. Demnach
hatten im Jahr 2022 etwa 28,7 Prozent der in Deutschland
lebenden Menschen einen „sogenannten Migrationshintergrund“.
Diese Zahlen verdeutlichen die wachsende Vielfalt innerhalb der
deutschen Bevölkerung
[En02]..
Drei
Monate zuvor, unmittelbar nach der Europawahl, hieß es ebenfalls
aus dem Bundesfamilienministerium unter der Überschrift: „Die
Jugend entzieht uns das Vertrauen“ in der Onlineausgabe der FAZ
wie folgt:
FAZ.de
vom 16.06.2024:
Immer mehr
junge Menschen trauen den größeren demokratischen Parteien nicht
mehr zu, dass sie die Belange der jungen Generation kennen. Sie
glauben uns nicht, dass wir ihre Interessen und Bedürfnisse
ernst nehmen. Aktuelle Jugendstudien bestätigen das. Und wer
daran zweifelt, möge die letzten Wahlergebnisse betrachten
[En03]..
Wie dem auch immer sei:
Die Krise der liberalen Demokratie in Deutschland ist eine Krise
des Westens. Kein Land bleibt verschont, nirgends ist eine
Renaissance von Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Wohlstand und
Sicherheit in Sicht. Und wenn sich dann auch noch die Jugend der
AfD zuwenden, wie das die Wahlergebnisse im Monat September 2024
in Thüringen, Sachsen und Brandenburg gezeigt haben, dann dürfte
auch jedem bisherigen Zweifler deutlich geworden sein, dass die
Zukunft anders werden wird, als man sich das vielleicht heute
noch wünscht. Unsicherer.
Übrigens:
Auch nach dem Ersten Weltkrieg
waren es nicht die Frontsoldaten, sondern deren Kinder, die sich
für den Nationalsozialismus entschieden. Und sogar der erste
Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, Theodor Heuss
(1884 bis 1963) hat sogar noch im Alter von 48 Jahren, also kurz
vor der Machtergreifung im Jahr 1932 über Adolf Hitler ein Buch
mit dem Titel „Hitlers Weg“ geschrieben. Auf der Schlussseite
dieses Buches heiß es:
Theodor Heuss:
Im Nationalsozialismus als Bewegung offenbart sich eine
Auflehnung gegen die Institution, gegen das Programm, gegen das
Papier, gegen die „neue Sachlichkeit“. [...]. Programm,
Entgleisung, Kontroverse - all das tritt hinter diesem Vorgang
zurück, der einem starken natürlichen Bedürfnis den Weg weist.
Man folgt nicht der Sache, sondern dem Mann, man glaubt nicht an
Lehrsätze, aber an den Führer. Das ist sinnhafter. Das ist das
Bild, wie wir es sehen
[En04]..
Das in
diesem Buch der erste Bundespräsident die Jugendarbeit des
Führers an verschiedenen Stellen besonders würdigt, das sei an
dieser Stelle nur angemerkt.
Übrigens:
Theodor
Heuss stimmte auch am 23. März 1933 dem so genannten
Ermächtigungsgesetz zu. Er gab, genauso wie seine vier Kollegen
aus der Fraktion der
Deutschen
Staatspartei, der ehemaligen Deutschen
Demokratischen
Partei, seine JA-Stimme ab. Damit stimmte der Liberale Heuss dem
faktischen Grundgesetz der NS-Diktatur zu: Der als
„Ermächtigungsgesetz“ bekannt und berüchtigt gewordene Entwurf
schaltete das Parlament aus und etablierte die rechtliche
Grundlage für den „Führerstaat“ [En05].
Wie dem auch immer sei:
Protest ist in einer Gesellschaft, wie sie im Deutschland von
heute gelebt wird, etwas völlig Normales, dazu bedarf es keiner
Begründung mehr. Allein die Bereitschaft zum Protest reicht aus,
um ihn damit rechtfertigen zu können. Sich darüber
aufzuregen und solch ein Verhalten als demokratiefeindliches
Verhalten möglichst noch zu kriminalisieren, verkennt, dass die
Provokationsbereitschaft weiterhin zunehmen wird, je mehr sie
von „Demokraten“ als Provokation
empfunden wird, denn zunehmend spüren Menschen - nicht nur in
Deutschland - die Gefahr,
die von denen ausgeht, die „unsere
Demokratie“ als Schlagwort im Mund führen, gemeint sind die
Politiker, die davon überzeugt sind, das Böse zu bekämpfen, weil
sie sich selbst für die Guten halten. Dennoch: Die
Andersdenkenden holen sich ihre Demokratie zurück. Indem sie
wählen gehen. Indem sie sich für Parteien entscheiden, die das
versäumt haben zu realisieren, was sie sich wünschen: Sicherheit
und Freiheit.
Bereits bei Nicolo Machiavelli (1469 bis 1527) kann nachgelesen
werden, dass das Volk klüger und beständiger ist, als der Fürst,
was auf die Situation von heute übertragen hieße: Das Volk ist
klüger als die Volksparteien, die dem Volk gar nicht mehr
zuhören wollen.
Nicolo Machiavelli: Was die Klugheit und
Beständigkeit anbelangt, so sage ich, dass ein Volk klüger und
beständiger ist und ein richtigeres Urteil hat als ein Fürst.
Nicht ohne Grund vergleicht man die Stimme des Volkes mit der
Stimme Gottes. Die öffentliche Meinung prophezeit so wunderbar
richtig, was geschehen wird, dass es den Anschein hat, als sehe
sie durch eine verborgene Eigenschaft ihr Wohl und Wehe voraus.
Was die richtige Beurteilung der Dinge betrifft, so sieht man
äußerst selten, dass das Volk, wenn es zwei Redner von gleicher
Kraft, die verschiedenen Parteien angehören, sprechen hört, nich
dem besseren Vorschlag folgt und die wahrheit vom Scheine zu
unterscheiden weiß. [...]. Ferner sieht man, dass das Volk bei
Besetzung der Ämter eine viel bessere Wahl trifft als ein Fürst.
[...]. Ferner zeigt die Erfahrung, dass Städte, wo die Völker
Fürsten sind, in kürzeswter Zeit ausnehmende Fortschritte
machen, viel mehr als solche Staaten, die immer unter einem
Fürsten gelebt haben.
Es kann
davon ausgegangen werden, dass diese Weisheit des Volkes, so wie
das bereits Nicolo Machiavelli vor gut 500 Jahren beschrieb,
auch heute noch in den Seelen der Menschen existiert. Große
Teile des Volkes für dumm zu erklären, ihnen schlichtweg die
Fähigkeit zum richtigen Denken abszusprechen, lässt nichts Gutes
für die Zukunft erahnen, denn, um noch einmal Nicolò Machiavelli
zu zitieren:
Nicolò Machiavelli:
Schmähungen und schimpfliche Vorwürfe
erzeugen Hass gegen ihren Urheber, ohne ihm irgend zu nützen
[En5a].
Schon
heute lässt sich für denjenigen der sehen will, feststellen,
dass der Anspruch so genannter Parteien
der Mitte, diese Mitte tatsächlich noch vage in Gänze auszufüllen,
denn diese Mitte ist ins Wanken geraten. Daran werden auch Appelle wie, sich am
„Aufstand der Anständigen“ anzuschließen, wohl kaum etwas
ändern, wenn es der politischen Elite nicht gelingen sollte, die
Voraussetzungen für ein Leben in Sicherheit und Freiheit zu
schaffen.
02 Sicherheit als Staatszweck
TOP
Sowohl Thomas Hobbes (1588 bis 1679)
als auch John Locke (1632 bis 1704) gingen von der Annahme aus,
Sicherheit und Freiheit als einen Staatszweck zu bezeichnen.
-
Für den frühen
Gesellschaftsvertragstheoretiker Thomas Hobbes lag der
einzige Zweck des Staats in der Sicherheit.
-
Im Gegensatz zu dieser Sicherheit
durch den Staat ging es dem Staatsdenker John Locke
vorrangig um die Sicherheit vor dem Staat und der
Verteidigung der Freiheitsrechte des Bürgers.
-
Noch deutlicher konzentriert
Immanuel Kant (1724 – 1804) den Staat auf den Zweck der
Freiheitssicherung. Für ihn war Sicherheit lediglich ein
Mittel zur Erreichung des Zwecks Freiheit. Der Staat sollte
lediglich die bereits vorstaatlichen, weil angeborenen
grundlegenden Freiheitsrechte sichern.
-
Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts sollen die Grundrechte in erster
Linie die Freiheitssphäre des Einzelnen gegen Eingriffe der
staatlichen Gewalt schützen und ihm insoweit die
Voraussetzungen für eine freie aktive Mitwirkung und
Mitgestaltung im Gemeinwesen sichern.
In
seinem Buch „Die Welt von Gestern“, das 1942 kurz nachdem er
zusammen mit seiner Frau in Brasilien ihr Leben beendet
hatten, gab Stefan Zweig (1881 bis 1942) dem ersten
Kapitel dieses Buches die Überschrift: „Die Welt der
Sicherheit“.
Stefan Zweig:
Dieses
Gefühl der Sicherheit war der erstrebenswerteste Besitz von
Millionen, das gemeinsame Lebensideal. Nur mit dieser Sicherheit
galt das Leben als lebenswert, und immer weitere Kreise
begehrten ihren Teil an diesem kostbaren Gut. Erst waren es nur
die Besitzenden, die sich dieses Vorzugs erfreuten, allmählich
aber drängten die breiten Massen heran; das Jahrhundert der
Sicherheit wurde das goldene Zeitalter des Versicherungswesens.
Man assekurierte sein Haus gegen Feuer und Einbruch, sein Feld
gegen Hagel und Wetterschaden, seinen Körper gegen Unfall und
Krankheit, man kaufte sich Leibrenten für das Alter und legte
den Mädchen eine Police in die Wiege für die künftige Mitgift.
Schließlich organisierten sich sogar die Arbeiter, eroberten
sich einen normalisierten Lohn und Krankenkassen, Dienstboten
sparten sich eine Altersversicherung und zahlten im Voraus ein
in die Sterbekasse für ihr eigenes Begräbnis. Nur wer sorglos in
die Zukunft blicken konnte, genoss mit gutem Gefühl die
Gegenwart
[En06]..
Liegt
dieses ungute Gefühl, dass bereits Stefan Zweig dazu bewog haben
könnte,
zusammen mit seiner Frau den Freitod der erlebten Wirklichkeit
vorzuziehen daran, dass sich Sicherheit schon damals zunehmend
zu einem Trugbild entwickelt hatte?
Der Meinungen darüber gibt es viele.
Auch der
woke
Liberalismus
von heute versteht sich eher als ein Sicherheitsgarant für
diejenigen, die so denken wie das der
woke Zeitgeist
von ihnen verlangt. Anders ausgedrückt: Der
woke Anspruch im
Besitz der Wahrheit zu sein,
enthält durchaus erkennbare Verhaltensweisen, die angeblich nur
aus dem Munde ewiggestriger Faschisten stammen können.
Mit anderen Worten:
Ein Staat, der seinen Bürgern vorschreiben will, was und wie sie
zu denken haben, in einem solchen Staat kann es um die
Sicherheit von Andersdenkenden nur schlecht bestellt sein, auch
wenn es sich dabei um die Mehrheit handeln sollte.
Anders ausgedrückt:
Das, was
vor uns liegen könnte, ist ein
woker
Liberalismus, dessen Vorstellungen sich von der „Freiheit in
Sicherheit des Liberalismus“ von gestern so weit entfernt hat,
dass nicht einmal mehr die Meinungsfreiheit von Andersdenkenden
toleriert werden kann.
Mit anderen Worten:
Wer nicht
so denkt, wie wir, der denkt falsch.
Eine
kurze Rückschau in die Geschichte des deutschen Liberalismus:
03
Der
Liberalismus von gestern – ab 1871
TOP
1871:
Die ersten
Jahre des Kaiserreichs, die gleichzeitig die Jahre des
Bismarck´schen
Kampfes gegen „Reichsfeinde“ waren, sind heute unter dem Namen
„liberale Ära“ bekannt, denn 1871 ging der Nationaltraum der
Liberalen in Erfüllung, die
Nationalliberale
Partei war zur wichtigsten politischen Stütze des Reiches
aufgestiegen.
19. und 20. Jahrhundert:
Die im 19.
Jahrhundert vollzogene Spaltung des Liberalismus in eine
klassische und eine moderne Spielart wurde im 20. Jahrhundert
weiter vertieft. Die liberale Welt des 19. Jahrhunderts ging
jedoch,
wie so viele andere Aspekte der europäischen Zivilisation auch, in
den Schützengräben Flanderns zugrunde.
1919 –
Der
14-Punkte Plan von Präsident Woodrow Wilson:
Nach dem
Ende des Ersten Weltkrieges kann die Gründung des Völkerbundes
als erster Versuch angesehen werden, eine internationale
liberale Ordnung und ein System des „Wandels durch Handel“, also
durch wirtschaftliche Zusammenarbeit, bezeichnet werden, denn
Wilsons 14-Punkte-Plan sah Freihandel, Vertragsfreiheit,
Demilitarisierung, Demokratie und nationale Selbstbestimmung
vor.
Reaktion der Franzosen und der Briten:
Der
französische Premierminister Georges
Clemenceau
kommentierte das weitreichende liberale Programm wie folgt: Gott
gab uns die Zehn Gebote und wir brachen sie.
Welt.de:
Wilson’s 14-Punkte Plan für den Friedensvertrag mit Deutschland
wurde von Anfang an von den Franzosen und Briten abgelehnt.
Clemenceau’s
berühmtes Zitat auf Wilson’s Plan, das Gott den Menschen nur 10
Gebote gegeben habe, die sie nicht einhalten, zeigt, das Wilson
von Anfang an mit Opposition zu kämpfen hatte
[En07].
Der
Liberalismus nach Wilson setzte auf Zentralisierung und
Steuererhöhungen, griff regulierend in die Wirtschaft ein und
legte dabei den Grundstein für den heutigen Wohlfahrtsstaat. Der
Bürger muss seine Interessen, so Wilson, mit denjenigen des
Staates vermählen.
04 Die Antrittsrede Roosevelts – 1933
TOP
Als der
neue US-Präsident Franklin D. Roosevelt am 4. März 1933 vor dem
Kapitol in Washington seine Antrittsrede hält, wendet er sich an
eine verzweifelte Nation. Seit Jahren leiden die USA unter der
Großen
Depression, doch nie war es schlimmer als jetzt: Fast jeder
Vierte ist arbeitslos, Millionen Amerikaner können ihre Miete
nicht mehr zahlen, etliche leben in Slums, den „Hoovervilles“,
benannt nach Roosevelts unfähigem Vorgänger im Weißen Haus,
Herbert Hoover (1874 bis 1964).
Roosevelt dagegen findet an diesem Tag genau die richtigen
Worte: Die große amerikanische Nation werde überdauern,
versichert er seinen Zuhörern. Mehr noch: Sie werde aufleben und
gedeihen. Es gebe „nur eine Sache, die wir fürchten müssen, die
Furcht selbst.“ Statt sich von der Angst lähmen zu lassen,
sollten die Menschen handeln. Roosevelt selbst bringt bald ein
gewaltiges Maßnahmenpaket auf den Weg, den „New Deal“, und führt
die USA tatsächlich aus der Krise. Die Wähler danken es ihm und
wählen ihn noch drei Mal ins Weiße Haus.
Franklin D. Roosevelt:
Wenn ich
die Stimmung unseres Volkes richtig deute, begreifen wir wie nie
zuvor unsere gegenseitige Abhängigkeit voneinander; wir
begreifen, dass wir nicht nur nehmen dürfen, sondern auch geben
müssen; dass wir, um vorwärtszukommen, als eine geübte und
zuverlässige Armee marschieren und willens sein müssen, zum
Besten der allgemeinen Disziplin Opfer zu bringen. Denn ohne
solche Disziplin gibt es keinen Fortschritt, und ohne sie kann
keine Führung Erfolg haben.
Wir sind,
ich weiß es, bereit und willens, unser Leben und unseren Besitz
einer solchen Disziplin zu unterwerfen, denn nur sie ermöglicht
eine Führung, die das Allgemeinwohl im Auge hat. Das ist es, was
ich in der Gewissheit vorschlagen möchte, dass die höheren Ziele
uns als heilige Verpflichtung zu einer einsatzbereiten
Gemeinschaft verbinden werden, wie sie bisher nur in Zeiten
bewaffneter Auseinandersetzung bestanden hat. Unter der von
unseren Ahnen ererbten Regierungsform ist eine Arbeit in diesem
Sinne und mit diesem Ziel ausführbar. Unsere Verfassung ist so
einfach und praktisch, dass man für jeden außergewöhnlichen
Notstand
ihre Akzente und
ihre Gliederung abändern kann,
ohne sie
deshalb ihrer wesentlichen Form zu berauben. Daher hat sich
unser konstitutionelles System als der vorzüglichste und
dauerhafteste politische Mechanismus erwiesen, den die moderne
Welt hervorgebracht hat
[En08].
05 Der Marshall-Plan – 1947
TOP
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sollten die Staaten, die
zum Westen gehörten bzw. gehören sollten (gemeint ist
Westdeutschland) demokratisch regiert werden.
Für das
langfristige Wiederaufbauprogramm legte Harry S. Truman (1884
bis 1972)dem Kongress am
19. Dezember 1947 einen Entwurf vor, der die Gewährung von
insgesamt 17 Milliarden Dollar für
viereinviertel
Jahre vorsah. Schließlich trat der „Foreign Assistance Act“ nach
vielen Modifikationen, am 3. April 1948 in Kraft.
Foreign Assistance Act: Ein
Gesetz zur Förderung der Außenpolitik, der Sicherheit und des
allgemeinen Wohlergehens der Vereinigten Staaten durch die
Unterstützung der Völker der Welt in ihren Bemühungen um
wirtschaftliche Entwicklung und innere und äußere Sicherheit
sowie für andere Zwecke.
Wilfried Loth:
Die Hilfsgelder mussten nun von den Europäern für jedes der vier
Jahre einzeln beantragt und dem Kongress jedes Mal erneut
bewilligt werden, was die Einflussmöglichkeiten der USA
allgemein und des Kongresses insbesondere auf die Ausgestaltung
des Programms entscheidend verstärkte und eine längerfristige
eigenständige Planung der Europäer nahezu unmöglich machte. Für
1948/49 wurden 4, 875 Milliarden Dollar an Subventionen und
Anleihen gewährt. Die Zahlungen der drei folgenden Jahre waren
jeweils etwas niedriger, so dass sich die Gesamthilfe bis 1952
auf 12,992 Milliarden Dollar belief.
Der
Kongress setzte zunächst einmal eine Reihe spezifischer
Einzelinteressen amerikanischer Wirtschaftsgruppen durch, die
der Effizienz des Wiederaufbauprogramms und damit auch den
generellen Zielen der amerikanischen Eindämmungspolitik
abträglich waren. So mussten 50 Prozent aller Hilfsgüter auf
amerikanischen Schiffen und unter dem Schutz amerikanischer
Versicherungsgesellschaften transportiert werden – eine
Bestimmung, die bis Oktober 1948 allein 12 Prozent der bis dahin
geleisteten Zahlungen kosteten. Landwirtschaftliche Produkte
konnten mit Marshall-Plan-Geldern nur aus amerikanischen
Überschüssen gekauft werden, selbst dann, wenn sie auf anderen
Märkten billiger zu haben waren. Pläne zur Errichtung
europäischer Erdölraffinerien wurden nicht genehmigt, statt
dessen mussten die Europäer Öl amerikanischer Firmen zu
überhöhten Preisen einführen. Mitte 1959 belief sich der Anteil
allein des Erdöls an den gesamten Marshall-Plan-Lieferungen auf
11 Prozent. Statt der erbetenen 65 000 Traktoren wurden nur 20
000 geliefert, dafür in den ersten fünfzehn Monaten 65 000
Lastkraftwagen, die niemand für vordringlich gehalten hatte
[En09].
06
Das
Regime der Manager – 1948
TOP
Mit
seinem 1948 in deutscher Sprache erschienenen Buch „Das Regime
der Manager“ erntete James Burnham in Nachkriegsdeutschland
besonderen Ruhm. Burnham vertrat die Ansicht, dass der
Kapitalismus tot sei, aber nicht durch den Sozialismus ersetzt
werde, sondern durch ein neues Wirtschaftssystem, das er
„Managerialismus“ nannte:
Herrschaft durch Manager.
In
diesem Buch stellt er die Theorie auf, dass die Welt in die
Hände der „Manager“ übergeht, weil der Kapitalismus praktisch
seine Kontrolle verloren hat und nicht durch die Arbeit oder den
Sozialismus, sondern durch die Herrschaft von Managern sozusagen
transformiert wird, sowohl was die Wirtschaft als auch was die
Regierung anbelangt.
Diese
Revolution sei so groß wie die Welt und so umfassend wie die
menschliche Gesellschaft.
Wie dem auch immer sei:
Dieses System der Herrschaft der Manager konnte sich nicht nur
bis heute erhalten, sondern sogar so viel an Macht und an
Einfluss gewinnen, dass multinational agierende Konzerne heute
sozusagen den Regierungen vorschreiben können, was sie von ihnen
erwarten.
07 Das Wirtschaftswunder – 1950 bis 1960
TOP
Das
Wirtschaftswunder
Der
Traum vom guten Leben
Die
1950er gehen in die Geschichte der Bundesrepublik ein als das
Jahrzehnt des Wirtschaftswunders. Es wird bis zur Bergbaukrise
Anfang der 1960er-Jahre dauern. Am Anfang dieses
Wirtschaftswunders steht die Förderung der Industrie. Als Basis
und Energielieferanten werden Bergbau und Stahlindustrie
aufgebaut, später gewinnen Maschinenbau, Chemie und
Elektroindustrie an Bedeutung.
08 Beginn der Privatisierung – 1970
TOP
Das
Wirtschaftsmodell der Nachkriegszeit, das durch staatliche
Steuerung von Gütern und Dienstleistungen und die Ankurbelung
der Wirtschaft durch Staatsausgaben lange Zeit für hohes
Wirtschaftswachstum, für geringe Arbeitslosigkeit und
gesellschaftliche Stabilität gesorgt hatte, kam angesichts der
Stagnation der 1970er an seine Grenzen.
Eine neue Wirtschaftsideologie setzte
sich durch: Nunmehr
setzte man auf die
Empfehlungen der Neoliberalen, dessen bedeutendster Vertreter,
der Nobelpreisträger Milton
Friedman (1912 bis 2006) vorschlug, dass sich der
Staat aus
Wirtschaftsfragen weitgehend raushalten und die unsichtbare
Hand des Marktes, ihren freien Lauf lassen müsse.
Gemeint waren damit:
Sicherer wurde die Welt dadurch nicht, denn gerade die
zurückliegenden 5 Jahrzehnte, die vom Neoliberalismus geprägt
waren, lassen sich als die Hauptursachen ausmachen, die für den
heutigen Klimawandel verantwortlich sind, denn noch niemals
zuvor in der Geschichte der Menschheit, waren Menschen dazu in
der Lage, dem Klima in solch einem Ausmaß Schaden zuzufügen.
09 Sicherheit im Liberalismus von heute
TOP
Elif
Özmen
beginnt ihr Buch mit dem Titel: „Was ist Liberalismus?, mit
folgenden Sätzen:
Elif
Özmen:
Ein Gespenst geht um in der Welt - das Gespenst des
Liberalismus! Alle Mächte haben sich zu einer Hetzjagd gegen
dieses Gespenst verbündet, denn als Feindbild taugt es sowohl
für rechte wie auch für linke Politiken. So beschwören
autokratische, nationalistische und traditionalistische
Bewegungen ihr eigenes konservatives, manchmal aber auch ihr
kulturrevolutionären Potential gegenüber der egoistischen,
wertevergessenen und dekadenten liberalen Lebensform. Manche
preisen ganz offen die illiberale oder autoritäre Demokratie als
Alternative
[En10].
Anders ausgedrückt:
Wer vom Liberalismus reden will, darf vom Kapitalismus nicht
schweigen. Sogar Erzliberale haben zur Kenntnis
nehmen müssen, dass anlässlich der Finanzkrise von 2007/08
Banken mit Steuergeldern gerettet werden mussten, weil sie zu
groß waren und allein deshalb gerettet werden mussten (to
big to fail),
um dem Allgemeinwohl dadurch zu nutzen.
Und auch
heute wird die Forderung nach Billionenförderungen der
Wirtschaft immer lauter, damit Arbeitsplätze erhalten und
Wirtschaftswachstum wieder möglich wird. Sogar
Sonderschulden
einen viel wohlklingenderen Namen erhalten, indem man sie
einfach in Sondervermögen umgewandelt hat.
10 Sicherheit im Hyper-Liberalismus
TOP
Im
Anschluss an die weltweite Finanzkrise 2007/08 haben die
französischen Theoretiker Pierre
Dardot
und Christian Laval die Entstehung des Neoliberalismus
untersucht. Dabei zeigen die Autoren Wege auf, wie der Krieg des
Neoliberalismus gegen die Demokratie gestoppt werden kann.
Die
Autoren finden auch Antworten auf die Frage, wie sich das
seltsame Überleben der Kräfte erklären lässt, die für die
Wirtschaftskrise von 2008, eine der schlimmsten seit 1929,
verantwortlich sind und: Wie es möglich wurde, dass der
Neoliberalismus gestärkt aus der Krise hervorgehen konnte.
Ihre Antwort lautet:
Der
Neoliberalismus ist kein bloßes Dogma, also keine Lehrmeinung,
kein Glaubenssatz und auch keine Doktrin, denn er wird von
mächtigen Oligarchien unterstützt und ist ein veritables
politisch-institutionelles System, das einer Logik der
Selbstverstärkung gehorcht. Die Finanzkrise stellt sich somit
nicht als ein Versagen des Kapitalismus dar, sondern gerade
dieses Versagen hat zu einer äußerst effektiven Regierungsform
geführt, die diejenigen in die Haftung nimmt, die den Schaden
nicht verursacht haben, gemeint ist der Steuerzahler.
Anders ausgedrückt:
Es ist der
neoliberalen Zwangsjacke, der Macht des Geldes, gelungen ist,
jede Kurskorrektur zu verhindern, indem sie die Demokratie nach
und nach deaktiviert hat.
Wie
dem auch immer sei:
Dardot/Laval:
Von Hayek
bis Thatcher und Pinochet, von Mises bis Trump und Bolsonaro und
von Lippmann bis Biden und Macron hat der Neoliberalismus
verschiedene Formen angenommen und nimmt sie an, je nachdem, was
die Umstände gebieten. Und was aus dieser strategischen
Perspektive erscheint, ist die Geschichte einer unerbittlichen
dogmatischen Logik, die nicht auf die Mittel schaut, die sie
einsetzt, um ihre Feinde zu schwächen und, wenn möglich, zu
zerschlagen
[En11].
11 Umkehrung des Wortsinns – Liberalismus und
Freiheit
TOP
Das
Wort Liberalismus bedeutet, im
Newspeak
von heute, immer seltener Freiheit, Vernunft und Tugend, sondern
eher Zwang, Widersinn und Amoral.
Das
liegt, obwohl es uns die Medien einzureden versuchen, nicht am
Wirken böswilliger Populisten, sondern an den beobachtbaren
Folgen eines fehlgeleiteten Demokratieverständnisses. Ob es
möglich sein wird, diese Fehlentwicklung nicht nur zu stoppen,
sondern ihr auch eine andere Richtung zu geben, das wird, nach
der hier vertretenen Überzeugung, die alles entscheidende
Schicksalsfrage der Staatsformen Demokratie sein, die von sich behaupten,
tatsächlich eine Demokratie und nicht bloß eine Scheindemokratie zu sein.
Allein mit Warnungen vor
Propaganda und der damit verbundenen Einschränkungen der
Meinungsfreiheit, wird die Demoratie nicht zu retten sein, zumal sich die
Propaganda der Gutmenschen kaum noch von denen der
Schlechtmenschen unterscheidet.
12 Sicherheit und Masseneinwanderung – 2015 bis
heute
TOP
2015,
genauer gesagt in der Nacht vom 4. auf den 5.
September 2015, wurden von der damaligen Bundeskanzlerin Angele Merkel (CDU) die
Grenzen geöffnet, um etwa 1,5 Millionen Flüchtlingen die
Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. Dort,
wo die Flüchtlinge ankamen, wurden sie sozusagen mit offenen
Armen begrüßt, verbunden mit der Aussage der Kanzlerin: „Wir
schaffen das!“
Dadurch wurde der Eindruck erweckt, dass alles
nicht nur kontrollierbar, sondern auch im Hinblick auf die
demografische Entwicklung in Deutschland durch diese große
Anzahl von „Neubürgern“ sich sogar als eine Bereicherung
herausstellen würde.
Wie dem auch immer sei:
Bereits ein paar Wochen nach der Grenzöffnung heißt es im Spiegel
vom 31.10.2015 unter der Überschrift
„Kontrollverlust“ auf Seite 17, wie folgt:
Spiegel Nr. 45:
Die Regierung hat die Kontrolle verloren, und Deutschland ist im
Ausnahmezustand. Und: Wie nie zuvor in ihrer Amtszeit ist Angela
Merkels Kanzlerschaft bedroht. Der Flüchtlingsstrom hält an,
CSU-Chef Seehofer spielt mit dem Koalitionsbruch, die
Parteibasis ist gespalten
[En12].
Die
CDU-Chefin aber hält an ihrem Kurs fest, obwohl die
unkontrollierte Öffnung der Grenzen durch die Bundeskanzlerin zu
keinem Zeitpunkt demokratisch legitimiert wurde. Das Parlament
wurde bei dieser schicksalhaften Entscheidung nicht einmal
gefragt. Und auch Horst Seehofer (CSU), der in seiner
Regierungserklärung zum Ausdruck brachte, dass die
Bundeskanzlerin ein anderes Deutschland will, für das es kein
Gesetz und auch keinen Vertrag gibt, wurde nicht gehört, obwohl
er sagte: wir werden grandios scheitern.
Horst Seehofer:
„Ohne
Begrenzung der Zuwanderung werden wir als staatliche
Gemeinschaft in Deutschland und Europa grandios scheitern“,
warnte der CSU-Chef. Seit Anfang September bis zum 13. Oktober
seien fast 300.000 Flüchtlinge in Bayern angekommen. Wenn die
Politik dem keine Grenzen setze, würden die Menschen der Politik
Grenzen setzen - „und zwar durch Entzug des Vertrauens“. Kein
Land der Welt nehme unbegrenzt Zuwanderer und Flüchtlinge auf.
„Das ist auch nicht zu verkraften“, sagte Seehofer
[En13].
Die Urteile
über Angela Merkels Alleingang fallen unterschiedlich aus.
Während in Tokio der 60-jährige japanische Premierminister
Shinzo
Abe voller Ehrfurcht sagt: „Angela Merkel ist mein großes
Vorbild“, kam solch ein Satz niemals über die Lippen von Horst Seehofer
(CSU).
Der Stern vom 01.01.2016:
François Hollande dagegen, Frankreichs Präsident, an dessen
Schulter sie noch Anfang des Jahres um die Anschlagsopfer von
„Charlie Hebdo“ getrauert hatte, hält Deutschlands Kanzlerin
mittlerweile für durchgeknallt. „Sie ist verrückt geworden“,
sagte er kürzlich im kleinen Kreis von Sozialistenfreunden. Das
US-Magazin „Time“ wählt Merkel zur „Person des Jahres“ und ruft
sie zur „Kanzlerin der freien Welt“ aus: „Sie setzt
Barmherzigkeit wie eine Waffe ein
[En14].“
Und als
dann auch noch Thilo Sarrazin in seinem Bestseller „Deutschland
schafft sich ab“ seine Thesen über die drohende Überfremdung und
die damit verbundene Gefährdung der Bundesrepublik Deutschland
unters Volk bringt, ist zumindest ein Schuldiger gefunden, den
es auszugrenzen gilt, weil seine Meinung nicht der
Regierungsmeinung entspricht.
„Ich
möchte nicht, dass wir zu Fremden im eigenen Land werden.“
Solch ein Satz reichte damals aus, um die Frage aufzuwerfen, ob
Thilo Sarrazin überhaupt noch Mitglied in der SPD sein kann.
Wie dem
auch immer sei: Dieses Buch, das 2010 in der ersten Auflage
erschien, daraus sind zwischenzeitlich 11 Auflagen geworden,
wurde innerhalb weniger Monate ein Bestseller:
Spiegel.de
vom 29.10.2010:
Meistverkauftes Politik-Sachbuch eines deutschsprachigen Autors
des Jahrzehnts darf sich Thilo Sarrazins Kampfschrift
„Deutschland schafft sich ab“ jetzt nennen. Die Gesamtauflage
ist mittlerweile spektakulär. 1,1 Millionen Exemplare
[En15].
Es
dauerte noch einige Jahre, die vergehen mussten, um Thilo
Sarrazin aus der SPD ausschließen zu können. Grund dafür war
wohl sein Buch „Feindliche Übernahme“, das nach Ansicht der SPD
mit demokratischen Werten nicht mehr zu vereinbaren sei, so
zumindest die Bundesschiedskommission der SPD.
In der
Presseerklärung der Bundesschiedskommission der SPD vom
31.07.2020 heißt es unter anderem:
Bundesschiedskommission der SPD:
Die Bundesschiedskommission hat entschieden, dass zum Schutz des
Ansehens und der Glaubwürdigkeit der SPD der verhängte
Parteiausschluss von Sarrazin rechtmäßig sei, da Sarrazin
erheblich gegen die Grundsätze und die Ordnung der Partei
verstoßen und ihr damit Schaden zugefügt habe. Bei einer
Gesamtbetrachtung stünden die von Sarrazin in seinem Buch
„Feindliche Übernahme“ öffentlichkeitswirksam propagierten
Äußerungen und Forderungen mit den Grundsätzen und den
Grundwerten der Sozialdemokratie so erheblich in Differenz, dass
die dauerhafte Trennung von dem Parteimitglied erforderlich sei.
Zur Flüchtlings- und Migrationspolitik erhebe er –
beispielsweise – die Forderung, Menschen ohne Aufenthaltsstatus
notfalls mit militärischen Mitteln in ihre Herkunftsländer
zurückzuführen. Er fordere, abgelehnten Flüchtlingen
gerichtlichen Rechtsschutz zu versagen. Das sei mit den
Menschenrechten, zu denen sich die SPD bekenne, nicht vereinbar.
Diese Auffassungen seien eingebettet in eine Linie der
Herabwürdigung von Menschen vor allem muslimischen Glaubens,
denen er nach dem Gesamteindruck seines Werks im Kern den
gleichen Wert und die gleiche Würde abspreche. Bliebe Sarrazin
Mitglied der SPD, entstünde nach außen der Eindruck, die SPD
böte auch Mitgliedern mit Auffassungen im rechtspopulistischen
Spektrum Raum
[En16].
Neun
Jahre nach der Grenzöffnung hat sich die oben skizzierte
Katastrophe nicht nur wiederholt, sie hat sich sogar
übertroffen, denn der importierte radikale Islam hat es
geschafft, nicht nur in Europa, sondern auch in Deutschland
zahlreiche Vororte, Schulen und soziale Einrichtungen sozusagen
zu erobern, und dadurch eine weitere Krise geschaffen, die
bereits bestehende andere Krisen, die sich aus einer weitgehend
unkontrollierten Zuwanderung ergeben haben, nicht nur vergrößerten,
sondern diese sogar zu überlagerten.
13 Sicherheit von Minderheiten in der Welt von
heute
TOP
Wir
leben in sicheren Zeiten, wir müssen nur fest daran glauben.
Dennoch
stellt sich die Frage, die da lautet: Und was kommt nach der
liberalen Demokratie? Auf der Website
Achgut.com
vom 27.02.2023 heißt es:
Achgut.com:
War das Vertrauen in die Politik schon vor Corona erschüttert,
so ist es nun vollends verschwunden. Sagt die Regierung hü, muss
hott richtig sein, so die Meinung. Sind führende Vertreter des
harten Corona-Kurses nun für Waffenlieferungen an die Ukraine,
dann muss das falsch sein. Und damit sind wir mitten im Dilemma
der Ukraine-Debatte
[En17].
Vergleichbare Wahrnehmungen bieten sich aber auch in anderen
Sachzusammenhängen an. Zurzeit beherrschen in Deutschland vor
allem die Migranten aus dem „Globalen Süden“ die Debatte,
verbunden mit dem Stärkerwerden antisemitischer Einstellungen,
antisemitischer Aktionen und antisemitischer Angriffe auf Juden
in Deutschland, sogar in Schulen.
Und das
alles, obwohl die Parole „Nie wieder“ .... sozusagen zur
deutschen Staatsraison gehört.
„Wir
werden den Kampf erst aufgeben, wenn der letzte Schuldige vom
Gericht aller Nationen verurteilt ist. – Die endgültige
Zerschmetterung des Nazismus ist unsere Losung. Der Aufbau einer
neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ideal.“
Dieses Gelöbnis ist heute als „Schwur von
Buchenwald“ bekannt
[En18].
Heute
scheint die Inschrift des KZ Buchenwald jedoch wieder
bedeutsamer geworden zu sein. Sie lautet:
Jedem
das Seine.
Wie
dem auch immer sei!
„Antisemitismus
ist ein Angriff auf unsere Werte, unsere plurale Demokratie und
unser friedliches Zusammenleben. Der Kampf gegen Judenhass ist
Aufgabe der Gesamtgesellschaft. Es bedarf mehr Sensibilität und
Zivilcourage, mehr Toleranz und Respekt. Als Schirmherr
unterstütze ich das Aktionsprogramm ‘Nie Wieder?!’ von ELES sehr
gerne
[En19].“
Hinweis:
Das Ernst Ludwig
Ehrlich
Studienwerk (ELES)
wurde 2009 als Begabtenförderungswerk der jüdischen Gemeinschaft
gegründet.
14 Nie wieder Sicherheit?
TOP
Im Chor der
scheinbar Aufgeklärten heißt es „Nie wieder!“. Um die abstoßende
Wirklichkeit wegzureden, verkünden politische
Verantwortungsträger inbrünstig: „Antisemitismus hat in
Deutschland keinen Platz!“. Doch statt „Nie wieder!“, erleben
wir ein „Schon wieder!“. Und zunehmend ist der Antisemitismus
nicht nur rechtsextrem. Heute, so Michael
Wolffsohn,
hat er Geschwister: bei Linksextremisten, deren linksliberalen
Unterstützern sowie vor allem bei muslimischen Antisemiten
[En20].
Michael Wolffsohn:
Die Ursache [für den wiedererwachenden Antisemitismus in
Deutschland] ist leicht erkannt und schnell benannt:
geschichtspolitisches und -pädagogisches Versagen.
Gouvernemental
ebenso wie nicht
gouvernemental.
Auch medial, doch nicht nur medial. Wenig ruhmreich die Rolle
der Wissenschaft. Worin besteht das geschichtspolitische und
-pädagogische Versagen? Die Antwort lässt sich in einer
Wortformel
zusammenfassen: 1 statt 3. Üblicherweise wurde die dreifache
Wirklichkeit verkennend, der Rechtsextremismus als „die“ quasi
einzige antisemitische Gefahr erkannt und benannt.
Willentlich
und wissentlich wurden die beiden anderen antisemitischen
Hauptgefahren Islamismus und Linksextremismus, verschwiegen oder
verniedlicht und, wenn benannt, dann mit ideologischem
Zuckerwasser, ergänzt um Mengen von Moralin, übergossen.
Nichts
sehen, nichts hören, nichts sagen. Die mehrfach in zahlreichen
europäischen Staaten durchgeführten Umfragen der
European
Union
Agency for
Fundamental Rights
unter
Juden, die entweder verbale oder physische antisemitische Gewalt
erlebt hatten, ergaben: Die Täter waren mit weitem Vorsprung
Muslime, gefolgt von Linksextremisten und, knapp dahinter,
Rechtsextremisten
[En21].
Ich
möchte mich kurzfassen:
Was
heute in Deutschland zur Wirklichkeit gehört, das lässt sich in
einem Satz beschreiben:
Nach dem
Ende des Zweiten Weltkrieges war das jüdische Leben in der
Bundesrepublik Deutschland noch nie so bedroht wie heute.
Zydatiss/Feldon:
Auf dem
Campus von Universitäten werden Juden niedergeschrien, in den
Schulen eingeschüchtert, auf den Straßen verprügelt, in
Wohngebieten bedroht. Davidsterne markieren Auseingänge wie in
den 1930er Jahren, Anschläge auf Synagogen, Schulen,
Krankenhäuser. Israelische Fahnen an öffentlichen Gebäuden
werden verbrannt, Plakate von vermissten Israelis werden
abgerissen, während „bunte“ Stadtteile wie Neukölln immer mehr
wie Ramallah aussehen. Märtyrerplakate und Durchhalteparolen
inklusive. Über den Jihad auf unseren Straßen und den radikalen
Islam in den Institutionen schweigt man sich ebenso beredt aus,
wie über die grassierende Gewalt gegen Einheimische (laut BKA
sind in drei Vierteln aller Fälle, in denen es zu Gewalttaten
zwischen Zuwanderern und Einheimischen kommt, Letztere die
Opfer).
Hunderttausende auf Demos, auf denen zum Jihad aufgerufen wird,
auf denen nicht Frieden gefordert wird, sondern die Verschonung
der Hamas, in dem die Vernichtung des einzigen jüdischen Staates
gefordert wird, bärtige Männer und verschleierte Frauen
getrennt, wie es der radikale Islam gebietet. Immer wieder auch
der erhobene Zeigefinger, den die Völkermörder und Sklavenhalter
des Islamischen Staates einst der Welt präsentierten. Sie wollen
nur provozieren? Nein, nichts unterscheidet sie vom
brandstiftenden Mob in Tunesien oder anderswo
[En22].
Anders ausgedrückt:
Direkt vor
unserer Nase beginnt ein neuer Antisemitismus zu wachsen. Wer
unter solchen Gegebenheiten nicht an den Aussagen von
Bundeskanzler Olaf Scholz verzweifelt, der bei seinem Besuch,
unmittelbar nach dem Terroranschlag vom 7. Oktober 2024 in Tel
Aviv, dem israelischen Premier Netanyahu versicherte, dass die
Sicherheit Israels deutsche Staatsräson sei, und diese
Zusicherung heute mit der Wirklichkeit der in Deutschland lebenden
Juden vergleicht, der wird wohl kaum darum
herumkommen, sich zu fragen, ob die Kanzlerworte wirklich ernst
gemeint waren.
Nun gut.
Bundeskanzler Scholz meinte den Terroranschlag der Hamas vom 7.
Oktober 2023, bei dem mehr als 1200 Menschen getötet und mehr
als 230 Menschen in den Gazastreifen verschleppt wurden.
Diesbezüglich heißt es in der Regierungserklärung von
Bundeskanzler Olaf Scholz vom 12. Oktober 2023 wie folgt:
Bundeskanzler Olaf Scholz:
Die
Sicherheit in und für Israel muss wiederhergestellt werden, und
darum muss Israel sich verteidigen können. In diesem Moment gibt
es für Deutschland nur einen Platz: den Platz an der Seite
Israels. Das meinen wir, wenn wir sagen: Die Sicherheit Israels
ist deutsche Staatsräson. Unsere eigene Geschichte, unsere aus
dem Holocaust erwachsene Verantwortung macht es uns zur
immerwährenden Aufgabe, für die Existenz und für die Sicherheit
des Staates Israel einzustehen. Diese Verantwortung leitet uns
[En23].
Man sollte
meinen, dass dies erst recht für die
Sicherheit der
95.000 hier in Deutschland lebenden Juden gilt.
Berlin:
Im ersten
Quartal 2024 sind in Deutschland mit Stand vom 31. März sieben
Menschen infolge politisch motivierter Straftaten mit
antisemitischem Hintergrund verletzt worden, eine Person schwer
und sechs Personen leicht. Für den Zeitraum von Anfang Januar
bis Ende März dieses Jahres wurden über den
Kriminalpolizeilichen
Meldedienst in Fällen politisch motivierter Kriminalität bislang
793 Straftaten mit Nennung des Unterthemenfeldes „antisemitisch“
gemeldet, darunter 14 Gewalttaten
[En24].
Und auch
auf
Tagesschau.de
vom 27.05.2024 heißt es: Seit Beginn des Krieges in Nahost haben
sich Fälle von Hasskriminalität mit antisemitischem Hintergrund
in Deutschland verdoppelt. Das geht aus dem neuen Lagebild des
Verfassungsschutzes hervor.
Vier
Monate später heißt es auf der Website der Landesregierung NRW
am 24.09.2024, als die Studie „Antisemitismus in der
Gesamtgesellschaft von Nordrhein-Westfalen im Jahr 2024“
vorgestellt wurde, wie folgt:
Antisemitismus in Nordrhein-Westfalen:
Studie zeigt große Verbreitung und hohe Zustimmungswerte
antisemitischer Vorurteile. In Bezug auf die Verfolgung
antisemitischer Straftaten heißt es in der Studie wie folgt:
Zur Aufgabe
des demokratischen Staates gehört zudem die konsequente
Strafverfolgung eines offenen, volksverhetzenden Antisemitismus.
Dabei geht es um den Schutz von jüdischen Personen und
Institutionen, auch im sozialmedialen Raum
[En25].
15 Schlusssätze
TOP
Es ist
nicht nur an der Zeit, sondern schon seit Jahren überfällig,
dass die Probleme, unter denen die Demokratie in der
Bundesrepublik Deutschland leidet, nicht nur dann, wenn das
opportun erscheint, so lange angesprochen werden, bis sich
niemand mehr für den Anlass interessiert, was meist schon nach
ein paar Tagen der Fall ist.
Solch ein Umgang mit
gesellschaftlichen Problemen kann keine Besserung erwirken, denn
wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir gerade tun,
gerade sagen oder gerade schreiben, wenn etwas gerade falsch
gelaufen ist, sondern auch für das, was wir nicht tun, nicht
sagen und auch nicht schreiben, wenn dafür ausreichend Zeit zur
Verfügung steht.
Und was
die politischen Eliten im Lande anbelangt?
Einzufordern ist,
dass die nicht nur über das Wissen verfügen, um ein öffentliches
Amt überhaupt ausüben zu können - was heute eher die Ausnahme
als die Regel ist - sondern darüber hinausgehend auch über die
charakterliche Integrität verfügen - ganz im Sinne von Ortega y
Gasset - nämlich von sich selbst mehr als von den anderen zu
verlangen.
Solchen
Leuten zu folgen, dazu wäre das Wahlvolk sicherlich bereit.
Woran es zurzeit aber bedauerlicherweise fehlt, das sind Personen,
die über solche Charaktereigenschaften verfügen.
Wer sich das Theater der ersten Sitzung im Thüringer Landtag mit
der dafür notwendigen Distanz anschaut, wird mit Entsetzen zur
Kenntnis nehmen müssen, dass dieser "Kindergarten" der
Demokratie einen großen Schaden zugefügt hat, zumal der letzte
Satz in dem Beschluss des Thüringer
Verfassungsgerichtshofes vom 27. September 2024 deutlich
erkennen lässt, dass es sich bei diesem "Parlamentseklat" um
nichts anderes, als um ein Machtspielchen gehandelt hat.
Der letzte Absatz auf Seite 35 des Beschlusses hat
folgenden Wortlaut:
Es handelt sich bei der
parlamentarischen Praxis, wonach die stärkste Fraktion des
Thüringer Landtags den Präsidenten vorschlägt, lediglich um
einen allgemeinen parlamentarischen Brauch, aus dem sich keine
rechtlichen Bindungen ableiten.
Beschluss im Volltext
Auf diese, sogar im Deutschen Bundestag übliche parlamentarische
Praxis, auf die sich die Richter des Thüringer
Verfassungsgerichtshofes beziehen, würde aber nicht bedeuten,
dass sich daraus ein Anspruch ableiten lässt.
Dennoch, ein voller Erfolg war der Gang der Antragsteller - CDU
und BSW - vor den Thüringischen Verfassungsgerichtshof nicht,
denn auf Seite 3 des Beschlusses heißt es:
Der Freistaat Thüringen hat den Antragstellern [CDU und BSW] die
Hälfte ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.
Hätten die Antragsteller in vollem Umfang und auf ganzer Linie
Recht bekommen, dann hätte sie einen Anspruch auf Erstattung der
gesamten Kosten gehabt.
Aber um Geld ging es in diesem Rechtsstreit nicht:
Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass die Initiatoren dieses "Demokratiescharmünzels"
sich strikt an die Vorgaben von Carlo Schmitt gehalten haben,
dem Chefjuristen im Nationalsozialismus, in dessen Schriften an
mehreren Stellen zu lesen ist:
"Sichert Euch
rechtzeitig die Position des Anklägers."
In Anlehnung an Alexander Wendt wäre es nach der hier
vertretenen Überzeugung, sicherlich demokratieförderlicher
gewesen, dem Rat von Thurgood Marshall, Richter am obersten
amerikanischen Gericht zu befolgen, den Alexander Wendt in
seinem Buch "Verachtung nach Unten" wie folgt zitiert hat.
Alexander Wendt: "Die Freiheit zu sprechen und
zu hören", schrieb Marshall, "sind nicht voneinander zu trennen;
sie sind zwei Seiten der selben Medaille." Der vitale Austausch
von Gedanken, in dem Sprecher zu Zuhörern und Zuhörer zu
Sprechern würden, argumentierte er, sei "das unverzichtbare
Mittel bei der Suche nach der politischen Wahrheit und ihrer
Verbreitung [En25a]."
Wie die gemeinsame Suche nach Wahrheit im Thüringer Parlament in
Zukunft aussehen wird, bleibt abzuwarten.
Klug war diese Demonstration der Macht sicherlich
nicht, denn auch ohne dieses Theater wäre es möglich gewesen,
den CDU-Abgeordneten, Thadäus König, zum
Landtagspräsidenten zu wählen.
Schade um den bei dem gewählten Verfahren beerdigten Parlamentsbrauch ist es trotzdem,
denn er war ein Zeichen dafür, dass sich die Abgeordneten aller
Couleur grundsätzlich mit einer gewissen Überparteilichkeit auf
die Besetzung der Posten an der Parlamentsspitze einigen sollten
und konnten.
Auch drängt sich die Frage auf, wie es den Richtern des
Thüringer Verfassungsgerichtshofes überhaupt möglich war,
innerhalb von 24 Stunden einen 36 Seiten umfassenden Beschluss,
zu diskutieren, zu verfassen, zu prüfen und mit Quellen und
Zitaten anzureichern. Nach der hier vertretenen Auffassung ist
das keinem auch noch so gut funktionierenden Richterteam
möglich. Es drängt sich somit der Verdacht auf, dass entweder KI
am Werk war, oder bereits seit geraumer Zeit vorbereitete
Textbausteine benutzt wurden, um solch einen Beschluss in solch
kurzer Zeit überhaupt ausformulieren zu können.
Aber was heißt in der Wirklichkeit des demokratischen
Zusammenlebens von heute schon Klugheit, Gesprächsbereitschaft
und Vernunft?
Ergänzen lässt sich diese Frage in Bezug auf die Entscheidung
des Thüringer Verfassungsgerichtshofs dadurch, wie viel Sorgfalt
von Richtern in einem Rechtsstaat nicht nur erwartet, sondern
auch eingefordert werden muss. Mir ist zumindest kein
Eilbeschluss des Bundesverfassungsgerichts bekannt, der binnen
solch kurzer Bearbeitungszeit so umfangreich ausgefallen wäre.
Grund für die Kürze eines Eilbeschlusses des höchsten deutschen
Gerichtes war immer der Hinweis darauf, dass die für eine
umfassende Prüfung erforderliche Zeit nur im Hauptverfahren zur
Verfügung stehen würde, und somit in gebotener Kürze nur eine
vorläufige Regelung getroffen werden konnte.
In Thüringen scheint die Wirklichkeit anders auszusehen.
Welche Auswirkungen das für die demokratischen Tugenden der
Klugheit und der Vernunft haben werden, bleibt abzuwarten, denn
das Ausleben dieser Tugenden ist für alle Beteiligten wirklich
eine große Herausforderung.
Josef Kraus:
Das sind hohe Ansprüche, die nur erfüllbar sind, wenn Politik
und Wirtschaft wieder mehr geprägt werden von der Macht des
Geistes statt vom Ungeist der Macht
[En26]..
An politischer Vernunft
fehlt es aber zurzeit an vielen Orten, nicht nur in Deutschland.
Es scheint nämlich bei den Eliten von heute in Vergessenheit
geraten zu sein, dass die Grundlage eines Verfassungsstaates
westlicher Prägung darin besteht, die Freiheitsrechte zu
schützen. In diesem Zusammenhang betrachtet steht es den
Machteliten auch nicht das Recht zu, andere Gruppierungen, Fraktionen, Parteien oder Nationen per se
als „böse“ hinzustellen, denn: Nicht alles, was ein Staat als
„Recht“ darstellt, ist auch Recht.
In diesem Sinne handelt es sich bei dem Rat von Carl Schmitt
(1888 bis 1985) um einen schlechten Rat, wenn er fordert:
"Sichert Euch
rechtzeitig die Position des Anklägers."
In seiner 1927 veröffentlichten Arbeit "Der Begriff des
Politischen“, heißt es:
Carl Schmitt: Der
Gegner heißt nicht mehr Feind, aber dafür wird er als
hors-la-loi [außerhalb des Gesetzes] und hors l'humanite
[außerhalb der Menschheit stehend = AR] gesetzt, und ein zur
Wahrung oder Erweiterung ökonomischer Machtpositionen geführter
Krieg muss mit einem Aufgebot von Propaganda zum „Kreuzzug" und
zum „letzten Krieg der Menschheit" gemacht werden [En27].
Anders ausgedrückt: Die Demokratie gilt es mit allen Mitteln
gegen diejenigen zu verteidigen, die nicht unsere Werte
vertreten.
Und auch für diesen Kampf heißt es bei Carl Scmitt in seiner
Schrift "Politische Theologie" bereits 1922 wie folgt:
Carl Schmitt: Alles Recht ist Situationsrecht.
Der Souverän schafft und garantiert die Situation als Ganzes in
ihrer Totalität. Er hat das Monopol dieser letzten Entscheidung.
Darin liegt das Wesen der staatlichen Souveränität, die also
richtigerweise nicht als Zwangs- oder Herrschaftsmonopol,
sondern als Entscheidung in dem noch weiter zu entwickelnden
allgemeinen Sinne gebraucht wird.
Der Ausnahmefall offenbart das Wesen der staatlichen Autorität
am klarsten. Hier sondert sich die Entscheidung von der
Rechtsnorm und (um es paradox zu formulieren) die Autorität
beweist, dass sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben
braucht [En28].
Gerade heute, am 29.09.2024, wird in den Nachrichten gemeldet,
dass Abgeordnete im Deutschen Bundestag den Antrag einbringen
werden, die AfD zu verbieten, weil sie verfassungsfeindlich ist.
Wer so einen politischen Gegner aufbaut, der darf sich nicht
wundern, wenn diese Demokratie weiterhin an Zustimmung in der
Bevölkerung verlieren wird.
Zeitgleich heißt es in der gleichen Nachrichtensendung, dass bei
der Wahl in Österreich die rechtspopulistische FPÖ ebenfalls die
Wahl gewonnen hat.
TOP
16 Quellen
TOP
Endnote_01 Zydatiss/Feldon. Interregnum
– was kommt nach der liberalen Demokratie? Langen Müller Verlag
München 2024, Seite 20 Zurück
Endnote_02 Focus.de
vom ^19.09.2024: Aus Paus’ FamilienministeriumJugendbericht will
Wort „Migrationshintergrund“ canceln - Regierung findet das gut.
https://www.focus.de/politik/deutschland/unter-leitung-von-bundesfamilienministerin-
paus-jugendbericht-will-wort-migrationshintergrund-canceln-
regierung-findet-das-gut_id_260326936.html
Zurück
Endnote_03 FAZ.de vom 16.06.2024: Die Jugend vertraut uns
nicht mehr.
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/lisa-paus-die-jugend-
entzieht-uns-das-vertrauen-19791466.html
Zurück
Endnote_04 Theodor Heuss: Hitlers Weg: Eine
historisch-politische Studie über den Nationalsozialismus. Union
Deutsche Verlagsgesellschaft Stuttgart/Berlin/Leipzig 1932
Zurück
Endnote_05 Als Deutschlands Liberale
apitulierten.
https://www.welt.de/geschichte/article244432126/Ermaechtigungsgesetz-Als-Deutschlands-Liberale-einknickten.html
Zurück
Endnote_5a Nicolò
Machiavelli: Vom Staat. Nikol-Verlag 2022, Seite 155 und 245
Zurück
Endnote_06 Stefan Zweig: Die Welt der
Sicherheit.
https://www.projekt-gutenberg.org/zweig/weltgest/chap002.html
Zurück
Endnote_07 Wilsons 14 Punkte:
https://www.welt.de/geschichte/article217083140/Woodrow-Wilson-
1919-Wenn-sich-ein-US-Praesident-infiziert.html
Zurück
Endnote_08 Aus der Antrittsrede von Präsident Franklin D.
Roosevelt, Washington, 4. März 1933.
https://das-blaettchen.de/2011/11/aus-der-antrittsrede-
von-praesident-franklin-d-roosevelt-8451.html
Zurück
Endnote_09 Wilfried Loth. Die Teilung der Welt – Geschichte
des Kalten Krieges 1941 – 1955 – DTV 10. Auflage 2002, Seite 212
Zurück
Endnote_10 Elif Özmen. Was ist Liberalismus?
Suhrkamp 2023. Die ersten Sätze der Einleitung
Zurück
Endnote_11 Never Ending Nightmare: How Neoliberalism
Dismantles Democracy Gebundene Ausgabe – 16. April 2019 von
Pierre Dardot (Autor), Christian Laval (Autor)
Zurück
Endnote_12 Der Spiegel Nr. 45 vom 31.10.2015:
Kontrollverlust – Deutschland im Ausnahmezustand, Seite 17
Zurück
Endnote_13 Der Spiegel vom 15.10.2015:
Flüchtlingskrise Seehofer warnt vor „grandiosem Scheitern“
Deutschlands.
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/horst-seehofer-
fordert-angela-merkel-zum-handeln-auf-a-1057920.html
Zurück
Endnote_14 Der Stern vom 01.01.2016: Die Kanzlerin und
die Deutschen Angela Merkel, eine Fremde im eigenen Land.
https://www.stern.de/politik/deutschland/angela-merkel-und-die-deutschen--die-
kanzlerin--eine-fremde-im-eigenen-land-6625310.html
Zurück
Endnote_15 Sarrazin bricht Verkaufsrekord.
https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/helmut-
schmidt-ueberholt-sarrazin-bricht-verkaufsrekord-a-726206.html
Zurück
Endnote_16 Presseerklärung der
Bundesschiedskommission der SPD vom 31.07.2020:
Bundesschiedskommission bestätigt Parteiausschluss von Sarrazin.
https://www.spd.de/service/pressemitteilungen/detail/news/
presseerklaerung-der-bundesschiedskommission-der-spd-1/31/07/2020
Zurück
Endnote_17 Achgut.com vom 27.02.2023: Das
Dilemma der Ukraine-Debatte:
https://www.achgut.com/artikel/das_dilemma_der_ukraine_debatte
Zurück
Endnote_18 Buchenwalder Nachrichten Nr. 5 -
Buchenwald den 20.4.1945:
https://www.buchenwald.de/geschichte/themen/dossiers/schwur-von-buchenwald
Zurück
Endnote_19 Dr. Josef Schuster, Präsident des
Zentralrats der Juden in Deutschland und Schirmherr von “Nie
wieder!?” Zurück
Endnote_20 Michael Wolffsohn: Nie
wieder? Schon wieder!: Alter und neuer Antisemitismus Gebundene
Ausgabe – 27. Januar 2024 Zurück
Endnote_21 Michael
Wolffsohn: Nie wieder? Schon wieder! Alter und neuer
Antisemitismus. Herder-Verlag 2024, Seiten 22 und 23
Zurück
Endnote_22 Kolja Zydatiss/Mark Feldon: Interregnum – Was
kommt nach der liberalen Demokratie? Langen Müller Verlag
München 2024, Seite 321/322 Zurück
Endnote_23
Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz zur Lage in
Israel vor dem Deutschen Bundestag am 12. Oktober 2023 in Berlin
https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/
regierungserklaerung-von-bundeskanzler-olaf-scholz-2230150
Zurück
Endnote_24 Deutscher Bundestag: Antisemitische
Straftaten im ersten Quartal 2024:
https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1002676
Zurück
Endnote_25 „Antisemitismus in der
Gesamtgesellschaft von Nordrhein-Westfalen im Jahr 2024.
https://www.land.nrw/media/33477/download
Zurück
Endnote_25a
Alexander Wendt: Verachtung nach unten. Wie eine Moralelite die
Bürgergesellschaft bedroht - und wie wir sie verteidigen können.
Lau-Verlag 2024, Seite Seite 149 Zurück
Endnote_26 Josef Kraus: Der deutsche Untertan - Vom Denken
entwöhnt. Langen Müller Verlag München 2021, Seite 287
Zurück
Endnote_27 Carl
Schmitt: Der Begriff des Politischen. Duncker & Humblot München
1932, Seite 5 Zurück
Endnote_28 Carl
Schmitt. Politische Theologie. Duncker & Humblot Berlin - 10.
Auflage 2015, Seite 19 Zurück
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info@rodorf.de
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