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Das Grundrecht auf Sicherheit - Teil II

Inhaltsverzeichnis:

01 Wir sind Glückskinder
02 Sicherheit als Staatszweck
03 Der Liberalismus von gestern – ab 1871
04 Die Antrittsrede Roosevelts – 1933
05 Der Marshall-Plan – 1947
06 Das Regime der Manager – 1948
07 Das Wirtschaftswunder – 1950 bis 1960
08 Beginn der Privatisierung – 1970
09 Sicherheit im Liberalismus von heute
10 Sicherheit im Hyper-Liberalismus
11 Umkehrung des Wortsinns – Liberalismus gleich Freiheit
12 Sicherheit und Masseneinwanderung – 2015 bis heute
13 Sicherheit von Minderheiten in der Welt von heute
14 Nie wieder Sicherheit?
15 Schlusssätze

16 Quellen

01 Wir sind Glückskinder

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Am 30. Jahrestag der Deutschen Einheit sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier:

Warum sollten gerade wir Glückskinder in der Mitte Europas mutlos sein?

An anderer Stelle:

Wir leben im besten Deutschland, das es jemals gegeben hat.

Gut 260 Jahre zuvor heißt es bei Voltaire:

Wenn das die beste aller Welten ist, wie mögen dann erst die anderen aussehen.

Voltaire 1759
Candide oder die beste aller Welten

Aber vielleicht orientierte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ja auch an Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), dem wohl letzten Universalgelehrten der Geschichte, der schrieb:

Es gibt Gott und wir leben in der besten aller möglichen Welten.

Wie dem auch immer sei: Die liberale Demokratie, deren Ziel es war und ist, den Menschen Sicherheit und Perspektiven im Hinblick auf ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, hat, man muss das bedauern, ohne dabei den Mut zu verlieren, den Höhepunkt ihrer Erfolgsgeschichte überschritten, weigert sich aber, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich an die Erfolgsgeschichte bereits die Verfallsgeschichte angeschlossen hat, wenn alles so bleiben soll, wie es ist.

Vertrauen in die Politik: Laut einer Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung vertraut nur noch eine Minderheit der Befragten (48,7 Prozent) der Demokratie.

Was noch?

Die Verelendung unserer Großstädte und der ehemals prosperierenden Industrieregionen. Die Massenmigration aus Ländern, in denen Säkularismus und Liberalismus als Sünde betrachtet werden, in denen man den Stärkeren bewundert und Selbstkritik als Schwäche verachtet, in einem Sozialstaat, der ebenso beständig wächst wie der Mangel an Wohnraum, Kitas, Schulen und Krankenbetten, um dessen Sicherheit ist es schlecht bestellt, zumal Worte wie Assimilation oder Leitkultur schon seit Jahren auf der "Roten Liste" stehen und selbst das Wort Integration als bevormundend bis rassistisch interpretiert wird, sogar die Bezeichnung "Migrationshintergrund" könnte schon bald zu den verbotenen Wörtern gehören. Dazu gleich mehr.

Kolja Zydatisss und Mark Feldon: Ergänzt wird diese Wirklichkeit durch ein weiterhin wachsendes Geflecht von Nichtregierungsorganisationen, die durch Gefälligkeitsstudien und Kampagnen eine Kreislaufwirtschaft mit dem Staat bilden, der machtpolitische, steuerfinanzierte „Kampf gegen rechts“, der immer mehr zu einer Mobilmachung gegen alles Nicht-Linke mutiert, die Einrichtung von so genannten „Meldeportalen“ zur Denunziation von Abweichlern, und die an einen Polizeistaat gemahnende Ächtung von Kritik als „Delegitimierung des Staates [En01].

Neues aus dem Bundesfamilienministerium: Ein neuer Bericht des Bundesfamilienministeriums, das von der Grünen-Politikerin Lisa Paus geleitet wird, sorgt für weitere Diskussionen. In dem Jugendbericht empfehlen die Verfasser, den Begriff „Migrationshintergrund“ künftig nicht mehr zu verwenden.

Die Jugendberichts-Professoren schreiben dazu: „Die Kommission hat sich im Zuge ihrer Beratungen entschieden, vom Begriff ‚Migrationshintergrund‘ weitestgehend Abstand zu nehmen, da dieser bestimmte junge Menschen zu Merkmalsträger:innen eines gesamtgesellschaftlichen Phänomens macht und damit zugleich der Vielfalt und Diversität junger Menschen samt ihren Bedürfnissen und Lebenswelten nicht gerecht wird.“

Das Bundeskabinett bezeichnete den Vorschlag [...] als „wertvollen Beitrag für die weitere Diskussion“, wie „Bild“ berichtet. Laut Kinder- und Jugendbericht des Familienministeriums wird mittlerweile 41 Prozent der Kinder unter sechs Jahren in Deutschland „eine andere natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit zugeschrieben“. Demnach hatten im Jahr 2022 etwa 28,7 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen einen „sogenannten Migrationshintergrund“. Diese Zahlen verdeutlichen die wachsende Vielfalt innerhalb der deutschen Bevölkerung [En02]..

Drei Monate zuvor, unmittelbar nach der Europawahl, hieß es ebenfalls aus dem Bundesfamilienministerium unter der Überschrift: „Die Jugend entzieht uns das Vertrauen“ in der Onlineausgabe der FAZ wie folgt:

FAZ.de vom 16.06.2024: Immer mehr junge Menschen trauen den größeren demokratischen Parteien nicht mehr zu, dass sie die Belange der jungen Generation kennen. Sie glauben uns nicht, dass wir ihre Interessen und Bedürfnisse ernst nehmen. Aktuelle Jugendstudien bestätigen das. Und wer daran zweifelt, möge die letzten Wahlergebnisse betrachten [En03]..

Wie dem auch immer sei: Die Krise der liberalen Demokratie in Deutschland ist eine Krise des Westens. Kein Land bleibt verschont, nirgends ist eine Renaissance von Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Wohlstand und Sicherheit in Sicht. Und wenn sich dann auch noch die Jugend der AfD zuwenden, wie das die Wahlergebnisse im Monat September 2024 in Thüringen, Sachsen und Brandenburg gezeigt haben, dann dürfte auch jedem bisherigen Zweifler deutlich geworden sein, dass die Zukunft anders werden wird, als man sich das vielleicht heute noch wünscht. Unsicherer.

Übrigens: Auch nach dem Ersten Weltkrieg waren es nicht die Frontsoldaten, sondern deren Kinder, die sich für den Nationalsozialismus entschieden. Und sogar der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, Theodor Heuss (1884 bis 1963) hat sogar noch im Alter von 48 Jahren, also kurz vor der Machtergreifung im Jahr 1932 über Adolf Hitler ein Buch mit dem Titel „Hitlers Weg“ geschrieben. Auf der Schlussseite dieses Buches heiß es:

Theodor Heuss: Im Nationalsozialismus als Bewegung offenbart sich eine Auflehnung gegen die Institution, gegen das Programm, gegen das Papier, gegen die „neue Sachlichkeit“. [...]. Programm, Entgleisung, Kontroverse - all das tritt hinter diesem Vorgang zurück, der einem starken natürlichen Bedürfnis den Weg weist. Man folgt nicht der Sache, sondern dem Mann, man glaubt nicht an Lehrsätze, aber an den Führer. Das ist sinnhafter. Das ist das Bild, wie wir es sehen [En04]..

Das in diesem Buch der erste Bundespräsident die Jugendarbeit des Führers an verschiedenen Stellen besonders würdigt, das sei an dieser Stelle nur angemerkt.

Übrigens:

Theodor Heuss stimmte auch am 23. März 1933 dem so genannten Ermächtigungsgesetz zu. Er gab, genauso wie seine vier Kollegen aus der Fraktion der Deutschen Staatspartei, der ehemaligen Deutschen Demokratischen Partei, seine JA-Stimme ab. Damit stimmte der Liberale Heuss dem faktischen Grundgesetz der NS-Diktatur zu: Der als „Ermächtigungsgesetz“ bekannt und berüchtigt gewordene Entwurf schaltete das Parlament aus und etablierte die rechtliche Grundlage für den „Führerstaat“ [En05].

Wie dem auch immer sei: Protest ist in einer Gesellschaft, wie sie im Deutschland von heute gelebt wird, etwas völlig Normales, dazu bedarf es keiner Begründung mehr. Allein die Bereitschaft zum Protest reicht aus, um ihn damit rechtfertigen zu können. Sich darüber aufzuregen und solch ein Verhalten als demokratiefeindliches Verhalten möglichst noch zu kriminalisieren, verkennt, dass die Provokationsbereitschaft weiterhin zunehmen wird, je mehr sie von „Demokraten“ als Provokation empfunden wird, denn zunehmend spüren Menschen - nicht nur in Deutschland - die Gefahr, die von denen ausgeht, die „unsere Demokratie“ als Schlagwort im Mund führen, gemeint sind die Politiker, die davon überzeugt sind, das Böse zu bekämpfen, weil sie sich selbst für die Guten halten. Dennoch: Die Andersdenkenden holen sich ihre Demokratie zurück. Indem sie wählen gehen. Indem sie sich für Parteien entscheiden, die das versäumt haben zu realisieren, was sie sich wünschen: Sicherheit und Freiheit.

Bereits bei Nicolo Machiavelli (1469 bis 1527) kann nachgelesen werden, dass das Volk klüger und beständiger ist, als der Fürst, was auf die Situation von heute übertragen hieße: Das Volk ist klüger als die Volksparteien, die dem Volk gar nicht mehr zuhören wollen.

Nicolo Machiavelli: Was die Klugheit und Beständigkeit anbelangt, so sage ich, dass ein Volk klüger und beständiger ist und ein richtigeres Urteil hat als ein Fürst. Nicht ohne Grund vergleicht man die Stimme des Volkes mit der Stimme Gottes. Die öffentliche Meinung prophezeit so wunderbar richtig, was geschehen wird, dass es den Anschein hat, als sehe sie durch eine verborgene Eigenschaft ihr Wohl und Wehe voraus. Was die richtige Beurteilung der Dinge betrifft, so sieht man äußerst selten, dass das Volk, wenn es zwei Redner von gleicher Kraft, die verschiedenen Parteien angehören, sprechen hört, nich dem besseren Vorschlag folgt und die wahrheit vom Scheine zu unterscheiden weiß. [...]. Ferner sieht man, dass das Volk bei Besetzung der Ämter eine viel bessere Wahl trifft als ein Fürst. [...]. Ferner zeigt die Erfahrung, dass Städte, wo die Völker Fürsten sind, in kürzeswter Zeit ausnehmende Fortschritte machen, viel mehr als solche Staaten, die immer unter einem Fürsten gelebt haben.

Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Weisheit des Volkes, so wie das bereits Nicolo Machiavelli vor gut 500 Jahren beschrieb, auch heute noch in den Seelen der Menschen existiert. Große Teile des Volkes für dumm zu erklären, ihnen schlichtweg die Fähigkeit zum richtigen Denken abszusprechen, lässt nichts Gutes für die Zukunft erahnen, denn, um noch einmal Nicolò Machiavelli zu zitieren:

Nicolò Machiavelli: Schmähungen und schimpfliche Vorwürfe erzeugen Hass gegen ihren Urheber, ohne ihm irgend zu nützen [En5a]. 

Schon heute lässt sich für denjenigen der sehen will, feststellen, dass der Anspruch so genannter Parteien der Mitte, diese Mitte tatsächlich noch vage in Gänze auszufüllen, denn diese Mitte ist ins Wanken geraten. Daran werden auch Appelle wie, sich am „Aufstand der Anständigen“ anzuschließen, wohl kaum etwas ändern, wenn es der politischen Elite nicht gelingen sollte, die Voraussetzungen für ein Leben in Sicherheit und Freiheit zu schaffen.

02 Sicherheit als Staatszweck

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Sowohl Thomas Hobbes (1588 bis 1679) als auch John Locke (1632 bis 1704) gingen von der Annahme aus, Sicherheit und Freiheit als einen Staatszweck zu bezeichnen.

  • Für den frühen Gesellschaftsvertragstheoretiker Thomas Hobbes lag der einzige Zweck des Staats in der Sicherheit.

  • Im Gegensatz zu dieser Sicherheit durch den Staat ging es dem Staatsdenker John Locke vorrangig um die Sicherheit vor dem Staat und der Verteidigung der
    Freiheitsrechte des Bürgers.

  • Noch deutlicher konzentriert Immanuel Kant (1724 – 1804) den Staat auf den Zweck der Freiheitssicherung. Für ihn war Sicherheit lediglich ein Mittel zur Erreichung des Zwecks Freiheit. Der Staat sollte lediglich die bereits vorstaatlichen, weil angeborenen grundlegenden Freiheitsrechte sichern.

  • Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sollen die Grundrechte in erster Linie die Freiheitssphäre des Einzelnen gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt schützen und ihm insoweit die Voraussetzungen für eine freie aktive Mitwirkung und Mitgestaltung im Gemeinwesen sichern.

In seinem Buch „Die Welt von Gestern“, das 1942 kurz nachdem er zusammen mit seiner Frau in Brasilien  ihr Leben beendet hatten, gab Stefan Zweig (1881 bis 1942) dem ersten Kapitel dieses Buches die Überschrift: „Die Welt der Sicherheit“.

Stefan Zweig: Dieses Gefühl der Sicherheit war der erstrebenswerteste Besitz von Millionen, das gemeinsame Lebensideal. Nur mit dieser Sicherheit galt das Leben als lebenswert, und immer weitere Kreise begehrten ihren Teil an diesem kostbaren Gut. Erst waren es nur die Besitzenden, die sich dieses Vorzugs erfreuten, allmählich aber drängten die breiten Massen heran; das Jahrhundert der Sicherheit wurde das goldene Zeitalter des Versicherungswesens. Man assekurierte sein Haus gegen Feuer und Einbruch, sein Feld gegen Hagel und Wetterschaden, seinen Körper gegen Unfall und Krankheit, man kaufte sich Leibrenten für das Alter und legte den Mädchen eine Police in die Wiege für die künftige Mitgift. Schließlich organisierten sich sogar die Arbeiter, eroberten sich einen normalisierten Lohn und Krankenkassen, Dienstboten sparten sich eine Altersversicherung und zahlten im Voraus ein in die Sterbekasse für ihr eigenes Begräbnis. Nur wer sorglos in die Zukunft blicken konnte, genoss mit gutem Gefühl die Gegenwart [En06]..

Liegt dieses ungute Gefühl, dass bereits Stefan Zweig dazu bewog haben könnte, zusammen mit seiner Frau den Freitod der erlebten Wirklichkeit vorzuziehen daran, dass sich Sicherheit schon damals zunehmend zu einem Trugbild entwickelt hatte?

Der Meinungen darüber gibt es viele.

Auch der woke Liberalismus von heute versteht sich eher als ein Sicherheitsgarant für diejenigen, die so denken wie das der woke Zeitgeist von ihnen verlangt. Anders ausgedrückt: Der woke Anspruch im Besitz der Wahrheit zu sein, enthält durchaus erkennbare Verhaltensweisen, die angeblich nur aus dem Munde ewiggestriger Faschisten stammen können.

Mit anderen Worten: Ein Staat, der seinen Bürgern vorschreiben will, was und wie sie zu denken haben, in einem solchen Staat kann es um die Sicherheit von Andersdenkenden nur schlecht bestellt sein, auch wenn es sich dabei um die Mehrheit handeln sollte.

Anders ausgedrückt: Das, was vor uns liegen könnte, ist ein woker Liberalismus, dessen Vorstellungen sich von der „Freiheit in Sicherheit des Liberalismus“ von gestern so weit entfernt hat, dass nicht einmal mehr die Meinungsfreiheit von Andersdenkenden toleriert werden kann.

Mit anderen Worten: Wer nicht so denkt, wie wir, der denkt falsch.

Eine kurze Rückschau in die Geschichte des deutschen Liberalismus:

03 Der Liberalismus von gestern – ab 1871

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1871: Die ersten Jahre des Kaiserreichs, die gleichzeitig die Jahre des Bismarck´schen Kampfes gegen „Reichsfeinde“ waren, sind heute unter dem Namen „liberale Ära“ bekannt, denn 1871 ging der Nationaltraum der Liberalen in Erfüllung, die Nationalliberale Partei war zur wichtigsten politischen Stütze des Reiches aufgestiegen.

19. und 20. Jahrhundert: Die im 19. Jahrhundert vollzogene Spaltung des Liberalismus in eine klassische und eine moderne Spielart wurde im 20. Jahrhundert weiter vertieft. Die liberale Welt des 19. Jahrhunderts ging jedoch, wie so viele andere Aspekte der europäischen Zivilisation auch, in den Schützengräben Flanderns zugrunde.

1919 – Der 14-Punkte Plan von Präsident Woodrow Wilson: Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges kann die Gründung des Völkerbundes als erster Versuch angesehen werden, eine internationale liberale Ordnung und ein System des „Wandels durch Handel“, also durch wirtschaftliche Zusammenarbeit, bezeichnet werden, denn Wilsons 14-Punkte-Plan sah Freihandel, Vertragsfreiheit, Demilitarisierung, Demokratie und nationale Selbstbestimmung vor.

Reaktion der Franzosen und der Briten: Der französische Premierminister Georges Clemenceau kommentierte das weitreichende liberale Programm wie folgt: Gott gab uns die Zehn Gebote und wir brachen sie.

Welt.de: Wilson’s 14-Punkte Plan für den Friedensvertrag mit Deutschland wurde von Anfang an von den Franzosen und Briten abgelehnt. Clemenceau’s berühmtes Zitat auf Wilson’s Plan, das Gott den Menschen nur 10 Gebote gegeben habe, die sie nicht einhalten, zeigt, das Wilson von Anfang an mit Opposition zu kämpfen hatte [En07].

Der Liberalismus nach Wilson setzte auf Zentralisierung und Steuererhöhungen, griff regulierend in die Wirtschaft ein und legte dabei den Grundstein für den heutigen Wohlfahrtsstaat. Der Bürger muss seine Interessen, so Wilson, mit denjenigen des Staates vermählen.

04 Die Antrittsrede Roosevelts – 1933

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Als der neue US-Präsident Franklin D. Roosevelt am 4. März 1933 vor dem Kapitol in Washington seine Antrittsrede hält, wendet er sich an eine verzweifelte Nation. Seit Jahren leiden die USA unter der Großen Depression, doch nie war es schlimmer als jetzt: Fast jeder Vierte ist arbeitslos, Millionen Amerikaner können ihre Miete nicht mehr zahlen, etliche leben in Slums, den „Hoovervilles“, benannt nach Roosevelts unfähigem Vorgänger im Weißen Haus, Herbert Hoover (1874  bis 1964). Roosevelt dagegen findet an diesem Tag genau die richtigen Worte: Die große amerikanische Nation werde überdauern, versichert er seinen Zuhörern. Mehr noch: Sie werde aufleben und gedeihen. Es gebe „nur eine Sache, die wir fürchten müssen, die Furcht selbst.“ Statt sich von der Angst lähmen zu lassen, sollten die Menschen handeln. Roosevelt selbst bringt bald ein gewaltiges Maßnahmenpaket auf den Weg, den „New Deal“, und führt die USA tatsächlich aus der Krise. Die Wähler danken es ihm und wählen ihn noch drei Mal ins Weiße Haus.

Franklin D. Roosevelt: Wenn ich die Stimmung unseres Volkes richtig deute, begreifen wir wie nie zuvor unsere gegenseitige Abhängigkeit voneinander; wir begreifen, dass wir nicht nur nehmen dürfen, sondern auch geben müssen; dass wir, um vorwärtszukommen, als eine geübte und zuverlässige Armee marschieren und willens sein müssen, zum Besten der allgemeinen Disziplin Opfer zu bringen. Denn ohne solche Disziplin gibt es keinen Fortschritt, und ohne sie kann keine Führung Erfolg haben.

Wir sind, ich weiß es, bereit und willens, unser Leben und unseren Besitz einer solchen Disziplin zu unterwerfen, denn nur sie ermöglicht eine Führung, die das Allgemeinwohl im Auge hat. Das ist es, was ich in der Gewissheit vorschlagen möchte, dass die höheren Ziele uns als heilige Verpflichtung zu einer einsatzbereiten Gemeinschaft verbinden werden, wie sie bisher nur in Zeiten bewaffneter Auseinandersetzung bestanden hat. Unter der von unseren Ahnen ererbten Regierungsform ist eine Arbeit in diesem Sinne und mit diesem Ziel ausführbar. Unsere Verfassung ist so einfach und praktisch, dass man für jeden außergewöhnlichen Notstand ihre Akzente und ihre Gliederung abändern kann, ohne sie deshalb ihrer wesentlichen Form zu berauben. Daher hat sich unser konstitutionelles System als der vorzüglichste und dauerhafteste politische Mechanismus erwiesen, den die moderne Welt hervorgebracht hat [En08].

05 Der Marshall-Plan – 1947

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Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sollten die Staaten, die zum Westen gehörten bzw. gehören sollten (gemeint ist Westdeutschland) demokratisch regiert werden.

Für das langfristige Wiederaufbauprogramm legte Harry S. Truman (1884 bis 1972)dem Kongress am 19. Dezember 1947 einen Entwurf vor, der die Gewährung von insgesamt 17 Milliarden Dollar für viereinviertel Jahre vorsah. Schließlich trat der „Foreign Assistance Act“ nach vielen Modifikationen, am 3. April 1948 in Kraft.

Foreign Assistance Act: Ein Gesetz zur Förderung der Außenpolitik, der Sicherheit und des allgemeinen Wohlergehens der Vereinigten Staaten durch die Unterstützung der Völker der Welt in ihren Bemühungen um wirtschaftliche Entwicklung und innere und äußere Sicherheit sowie für andere Zwecke.

Wilfried Loth: Die Hilfsgelder mussten nun von den Europäern für jedes der vier Jahre einzeln beantragt und dem Kongress jedes Mal erneut bewilligt werden, was die Einflussmöglichkeiten der USA allgemein und des Kongresses insbesondere auf die Ausgestaltung des Programms entscheidend verstärkte und eine längerfristige eigenständige Planung der Europäer nahezu unmöglich machte. Für 1948/49 wurden 4, 875 Milliarden Dollar an Subventionen und Anleihen gewährt. Die Zahlungen der drei folgenden Jahre waren jeweils etwas niedriger, so dass sich die Gesamthilfe bis 1952 auf 12,992 Milliarden Dollar belief.

Der Kongress setzte zunächst einmal eine Reihe spezifischer Einzelinteressen amerikanischer Wirtschaftsgruppen durch, die der Effizienz des Wiederaufbauprogramms und damit auch den generellen Zielen der amerikanischen Eindämmungspolitik abträglich waren. So mussten 50 Prozent aller Hilfsgüter auf amerikanischen Schiffen und unter dem Schutz amerikanischer Versicherungsgesellschaften transportiert werden – eine Bestimmung, die bis Oktober 1948 allein 12 Prozent der bis dahin geleisteten Zahlungen kosteten. Landwirtschaftliche Produkte konnten mit Marshall-Plan-Geldern nur aus amerikanischen Überschüssen gekauft werden, selbst dann, wenn sie auf anderen Märkten billiger zu haben waren. Pläne zur Errichtung europäischer Erdölraffinerien wurden nicht genehmigt, statt dessen mussten die Europäer Öl amerikanischer Firmen zu überhöhten Preisen einführen. Mitte 1959 belief sich der Anteil allein des Erdöls an den gesamten Marshall-Plan-Lieferungen auf 11 Prozent. Statt der erbetenen 65 000 Traktoren wurden nur 20 000 geliefert, dafür in den ersten fünfzehn Monaten 65 000 Lastkraftwagen, die niemand für vordringlich gehalten hatte [En09].

06 Das Regime der Manager – 1948

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Mit seinem 1948 in deutscher Sprache erschienenen Buch „Das Regime der Manager“ erntete James Burnham in Nachkriegsdeutschland besonderen Ruhm. Burnham vertrat die Ansicht, dass der Kapitalismus tot sei, aber nicht durch den Sozialismus ersetzt werde, sondern durch ein neues Wirtschaftssystem, das er „Managerialismus“ nannte:

Herrschaft durch Manager.

In diesem Buch stellt er die Theorie auf, dass die Welt in die Hände der „Manager“ übergeht, weil der Kapitalismus praktisch seine Kontrolle verloren hat und nicht durch die Arbeit oder den Sozialismus, sondern durch die Herrschaft von Managern sozusagen transformiert wird, sowohl was die Wirtschaft als auch was die Regierung anbelangt.

Diese Revolution sei so groß wie die Welt und so umfassend wie die menschliche Gesellschaft.

Wie dem auch immer sei: Dieses System der Herrschaft der Manager konnte sich nicht nur bis heute erhalten, sondern sogar so viel an Macht und an Einfluss gewinnen, dass multinational agierende Konzerne heute sozusagen den Regierungen vorschreiben können, was sie von ihnen erwarten.

07 Das Wirtschaftswunder – 1950 bis 1960

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Das Wirtschaftswunder

Der Traum vom guten Leben

Die 1950er gehen in die Geschichte der Bundesrepublik ein als das Jahrzehnt des Wirtschaftswunders. Es wird bis zur Bergbaukrise Anfang der 1960er-Jahre dauern. Am Anfang dieses Wirtschaftswunders steht die Förderung der Industrie. Als Basis und Energielieferanten werden Bergbau und Stahlindustrie aufgebaut, später gewinnen Maschinenbau, Chemie und Elektroindustrie an Bedeutung.

08 Beginn der Privatisierung – 1970

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Das Wirtschaftsmodell der Nachkriegszeit, das durch staatliche Steuerung von Gütern und Dienstleistungen und die Ankurbelung der Wirtschaft durch Staatsausgaben lange Zeit für hohes Wirtschaftswachstum, für geringe Arbeitslosigkeit und gesellschaftliche Stabilität gesorgt hatte, kam angesichts der Stagnation der 1970er an seine Grenzen.

Eine neue Wirtschaftsideologie setzte sich durch: Nunmehr setzte man auf die Empfehlungen der Neoliberalen, dessen bedeutendster Vertreter, der Nobelpreisträger Milton Friedman (1912 bis 2006) vorschlug, dass sich der Staat  aus Wirtschaftsfragen weitgehend raushalten und die unsichtbare Hand des Marktes, ihren freien Lauf lassen müsse.

Gemeint waren damit:

  • Privatisierung

  • Deregulierung

  • Sozialkürzungen

  • Schwächung der Gewerkschaften.

Sicherer wurde die Welt dadurch nicht, denn gerade die  zurückliegenden 5 Jahrzehnte, die vom Neoliberalismus geprägt waren, lassen sich als die Hauptursachen ausmachen, die für den heutigen Klimawandel verantwortlich sind, denn noch niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit, waren Menschen dazu in der Lage, dem Klima in solch einem Ausmaß Schaden zuzufügen.

09 Sicherheit im Liberalismus von heute

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Elif Özmen beginnt ihr Buch mit dem Titel: „Was ist Liberalismus?, mit folgenden Sätzen:

Elif Özmen: Ein Gespenst geht um in der Welt - das Gespenst des Liberalismus! Alle Mächte haben sich zu einer Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet, denn als Feindbild taugt es sowohl für rechte wie auch für linke Politiken. So beschwören autokratische, nationalistische und traditionalistische Bewegungen ihr eigenes konservatives, manchmal aber auch ihr kulturrevolutionären Potential gegenüber der egoistischen, wertevergessenen und dekadenten liberalen Lebensform. Manche preisen ganz offen die illiberale oder autoritäre Demokratie als Alternative [En10].

Anders ausgedrückt: Wer vom Liberalismus reden will, darf vom Kapitalismus nicht schweigen. Sogar Erzliberale haben zur Kenntnis nehmen müssen, dass anlässlich der Finanzkrise von 2007/08 Banken mit Steuergeldern gerettet werden mussten, weil sie zu groß waren und allein deshalb gerettet werden mussten (to big to fail), um dem Allgemeinwohl dadurch zu nutzen.

Und auch heute wird die Forderung nach Billionenförderungen der Wirtschaft immer lauter, damit Arbeitsplätze erhalten und Wirtschaftswachstum wieder möglich wird. Sogar Sonderschulden einen viel wohlklingenderen Namen erhalten, indem man sie einfach in Sondervermögen umgewandelt hat.

10 Sicherheit im Hyper-Liberalismus

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Im Anschluss an die weltweite Finanzkrise 2007/08 haben die französischen Theoretiker Pierre Dardot und Christian Laval die Entstehung des Neoliberalismus untersucht. Dabei zeigen die Autoren Wege auf, wie der Krieg des Neoliberalismus gegen die Demokratie gestoppt werden kann.

Die Autoren finden auch Antworten auf die Frage, wie sich das seltsame Überleben der Kräfte erklären lässt, die für die Wirtschaftskrise von 2008, eine der schlimmsten seit 1929, verantwortlich sind und: Wie es möglich wurde, dass der Neoliberalismus gestärkt aus der Krise hervorgehen konnte.

Ihre Antwort lautet: Der Neoliberalismus ist kein bloßes Dogma, also keine Lehrmeinung, kein Glaubenssatz und auch keine Doktrin, denn er wird von mächtigen Oligarchien unterstützt und ist ein veritables politisch-institutionelles System, das einer Logik der Selbstverstärkung gehorcht. Die Finanzkrise stellt sich somit nicht als ein Versagen des Kapitalismus dar, sondern gerade dieses Versagen hat zu einer äußerst effektiven Regierungsform geführt, die diejenigen in die Haftung nimmt, die den Schaden nicht verursacht haben, gemeint ist der Steuerzahler.

Anders ausgedrückt: Es ist der neoliberalen Zwangsjacke, der Macht des Geldes, gelungen ist, jede Kurskorrektur zu verhindern, indem sie die Demokratie nach und nach deaktiviert hat.

Wie dem auch immer sei:

Dardot/Laval: Von Hayek bis Thatcher und Pinochet, von Mises bis Trump und Bolsonaro und von Lippmann bis Biden und Macron hat der Neoliberalismus verschiedene Formen angenommen und nimmt sie an, je nachdem, was die Umstände gebieten. Und was aus dieser strategischen Perspektive erscheint, ist die Geschichte einer unerbittlichen dogmatischen Logik, die nicht auf die Mittel schaut, die sie einsetzt, um ihre Feinde zu schwächen und, wenn möglich, zu zerschlagen [En11].

11 Umkehrung des Wortsinns – Liberalismus und Freiheit

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Das Wort Liberalismus bedeutet, im Newspeak von heute, immer seltener Freiheit, Vernunft und Tugend, sondern eher Zwang, Widersinn und Amoral.

Das liegt, obwohl es uns die Medien einzureden versuchen, nicht am Wirken böswilliger Populisten, sondern an den beobachtbaren Folgen eines fehlgeleiteten Demokratieverständnisses. Ob es möglich sein wird, diese Fehlentwicklung nicht nur zu stoppen, sondern ihr auch eine andere Richtung zu geben, das wird, nach der hier vertretenen Überzeugung, die alles entscheidende Schicksalsfrage der Staatsformen Demokratie sein, die von sich behaupten, tatsächlich eine Demokratie und nicht bloß eine Scheindemokratie zu sein.

Allein mit Warnungen vor Propaganda und der damit verbundenen Einschränkungen der Meinungsfreiheit, wird die Demoratie nicht zu retten sein, zumal sich die Propaganda der Gutmenschen kaum noch von denen der Schlechtmenschen unterscheidet.

12 Sicherheit und Masseneinwanderung – 2015 bis heute

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2015, genauer gesagt in der Nacht vom  4. auf den 5. September 2015, wurden von der damaligen Bundeskanzlerin Angele Merkel (CDU) die Grenzen geöffnet, um etwa 1,5 Millionen Flüchtlingen die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. Dort, wo die Flüchtlinge ankamen, wurden sie sozusagen mit offenen Armen begrüßt, verbunden mit der Aussage der Kanzlerin: „Wir schaffen das!“

Dadurch wurde der Eindruck erweckt, dass alles nicht nur kontrollierbar, sondern auch im Hinblick auf die demografische Entwicklung in Deutschland durch diese große Anzahl von „Neubürgern“ sich sogar als eine Bereicherung herausstellen würde.

Wie dem auch immer sei: Bereits ein paar Wochen nach der Grenzöffnung heißt es im Spiegel vom 31.10.2015 unter der Überschrift „Kontrollverlust“ auf Seite 17, wie folgt:

Spiegel Nr. 45: Die Regierung hat die Kontrolle verloren, und Deutschland ist im Ausnahmezustand. Und: Wie nie zuvor in ihrer Amtszeit ist Angela Merkels Kanzlerschaft bedroht. Der Flüchtlingsstrom hält an, CSU-Chef Seehofer spielt mit dem Koalitionsbruch, die Parteibasis ist gespalten [En12].

Die CDU-Chefin aber hält an ihrem Kurs fest, obwohl die unkontrollierte Öffnung der Grenzen durch die Bundeskanzlerin zu keinem Zeitpunkt demokratisch legitimiert wurde. Das Parlament wurde bei dieser schicksalhaften Entscheidung nicht einmal gefragt. Und auch Horst Seehofer (CSU), der in seiner Regierungserklärung zum Ausdruck brachte, dass die Bundeskanzlerin ein anderes Deutschland will, für das es kein Gesetz und auch keinen Vertrag gibt, wurde nicht gehört, obwohl er sagte: wir werden grandios scheitern.

Horst Seehofer: „Ohne Begrenzung der Zuwanderung werden wir als staatliche Gemeinschaft in Deutschland und Europa grandios scheitern“, warnte der CSU-Chef. Seit Anfang September bis zum 13. Oktober seien fast 300.000 Flüchtlinge in Bayern angekommen. Wenn die Politik dem keine Grenzen setze, würden die Menschen der Politik Grenzen setzen - „und zwar durch Entzug des Vertrauens“. Kein Land der Welt nehme unbegrenzt Zuwanderer und Flüchtlinge auf. „Das ist auch nicht zu verkraften“, sagte Seehofer [En13].

Die Urteile über Angela Merkels Alleingang fallen unterschiedlich aus.

Während in Tokio der 60-jährige japanische Premierminister Shinzo Abe voller Ehrfurcht sagt: „Angela Merkel ist mein großes Vorbild“, kam solch ein Satz niemals über die Lippen von Horst Seehofer (CSU).

Der Stern vom 01.01.2016: François Hollande dagegen, Frankreichs Präsident, an dessen Schulter sie noch Anfang des Jahres um die Anschlagsopfer von „Charlie Hebdo“ getrauert hatte, hält Deutschlands Kanzlerin mittlerweile für durchgeknallt. „Sie ist verrückt geworden“, sagte er kürzlich im kleinen Kreis von Sozialistenfreunden. Das US-Magazin „Time“ wählt Merkel zur „Person des Jahres“ und ruft sie zur „Kanzlerin der freien Welt“ aus: „Sie setzt Barmherzigkeit wie eine Waffe ein [En14].“

Und als dann auch noch Thilo Sarrazin in seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ seine Thesen über die drohende Überfremdung und die damit verbundene Gefährdung der Bundesrepublik Deutschland unters Volk bringt, ist zumindest ein Schuldiger gefunden, den es auszugrenzen gilt, weil seine Meinung nicht der Regierungsmeinung entspricht.

Ich möchte nicht, dass wir zu Fremden im eigenen Land werden.“

Solch ein Satz reichte damals aus, um die Frage aufzuwerfen, ob Thilo Sarrazin überhaupt noch Mitglied in der SPD sein kann.

Wie dem auch immer sei: Dieses Buch, das 2010 in der ersten Auflage erschien, daraus sind zwischenzeitlich 11 Auflagen geworden, wurde innerhalb weniger Monate ein Bestseller:

Spiegel.de vom 29.10.2010: Meistverkauftes Politik-Sachbuch eines deutschsprachigen Autors des Jahrzehnts darf sich Thilo Sarrazins Kampfschrift „Deutschland schafft sich ab“ jetzt nennen. Die Gesamtauflage ist mittlerweile spektakulär. 1,1 Millionen Exemplare [En15].

Es dauerte noch einige Jahre, die vergehen mussten, um Thilo Sarrazin aus der SPD ausschließen zu können. Grund dafür war wohl sein Buch „Feindliche Übernahme“, das nach Ansicht der SPD mit demokratischen Werten nicht mehr zu vereinbaren sei, so zumindest die Bundesschiedskommission der SPD.

In der Presseerklärung der Bundesschiedskommission der SPD vom 31.07.2020 heißt es unter anderem:

Bundesschiedskommission der SPD: Die Bundesschiedskommission hat entschieden, dass zum Schutz des Ansehens und der Glaubwürdigkeit der SPD der verhängte Parteiausschluss von Sarrazin rechtmäßig sei, da Sarrazin erheblich gegen die Grundsätze und die Ordnung der Partei verstoßen und ihr damit Schaden zugefügt habe. Bei einer Gesamtbetrachtung stünden die von Sarrazin in seinem Buch „Feindliche Übernahme“ öffentlichkeitswirksam propagierten Äußerungen und Forderungen mit den Grundsätzen und den Grundwerten der Sozialdemokratie so erheblich in Differenz, dass die dauerhafte Trennung von dem Parteimitglied erforderlich sei. Zur Flüchtlings- und Migrationspolitik erhebe er – beispielsweise – die Forderung, Menschen ohne Aufenthaltsstatus notfalls mit militärischen Mitteln in ihre Herkunftsländer zurückzuführen. Er fordere, abgelehnten Flüchtlingen gerichtlichen Rechtsschutz zu versagen. Das sei mit den Menschenrechten, zu denen sich die SPD bekenne, nicht vereinbar. Diese Auffassungen seien eingebettet in eine Linie der Herabwürdigung von Menschen vor allem muslimischen Glaubens, denen er nach dem Gesamteindruck seines Werks im Kern den gleichen Wert und die gleiche Würde abspreche. Bliebe Sarrazin Mitglied der SPD, entstünde nach außen der Eindruck, die SPD böte auch Mitgliedern mit Auffassungen im rechtspopulistischen Spektrum Raum [En16].

Neun Jahre nach der Grenzöffnung hat sich die oben skizzierte Katastrophe nicht nur wiederholt, sie hat sich sogar übertroffen, denn der importierte radikale Islam hat es geschafft, nicht nur in Europa, sondern auch in Deutschland zahlreiche Vororte, Schulen und soziale Einrichtungen sozusagen zu erobern, und dadurch eine weitere Krise geschaffen, die bereits bestehende andere Krisen, die sich aus einer weitgehend unkontrollierten Zuwanderung ergeben haben, nicht nur vergrößerten, sondern diese sogar zu überlagerten.

13 Sicherheit von Minderheiten in der Welt von heute

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Wir leben in sicheren Zeiten, wir müssen nur fest daran glauben.

Dennoch stellt sich die Frage, die da lautet: Und was kommt nach der liberalen Demokratie? Auf der Website Achgut.com vom 27.02.2023 heißt es:

Achgut.com: War das Vertrauen in die Politik schon vor Corona erschüttert, so ist es nun vollends verschwunden. Sagt die Regierung hü, muss hott richtig sein, so die Meinung. Sind führende Vertreter des harten Corona-Kurses nun für Waffenlieferungen an die Ukraine, dann muss das falsch sein. Und damit sind wir mitten im Dilemma der Ukraine-Debatte [En17].

Vergleichbare Wahrnehmungen bieten sich aber auch in anderen Sachzusammenhängen an. Zurzeit beherrschen in Deutschland vor allem die Migranten aus dem „Globalen Süden“ die Debatte, verbunden mit dem Stärkerwerden antisemitischer Einstellungen, antisemitischer Aktionen und antisemitischer Angriffe auf Juden in Deutschland, sogar in Schulen.

Und das alles, obwohl die Parole „Nie wieder“ .... sozusagen zur deutschen Staatsraison gehört.

  • Nie wieder Krieg.

  • Nie wieder Auschwitz.

  • Nie wieder Antisemitismus.

Wir werden den Kampf erst aufgeben, wenn der letzte Schuldige vom Gericht aller Nationen verurteilt ist. – Die endgültige Zerschmetterung des Nazismus ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ideal.“ Dieses Gelöbnis ist heute als „Schwur von Buchenwald“ bekannt  [En18].

Heute scheint die Inschrift des KZ Buchenwald jedoch wieder bedeutsamer geworden zu sein. Sie lautet:

Jedem das Seine.

Wie dem auch immer sei!

Antisemitismus ist ein Angriff auf unsere Werte, unsere plurale Demokratie und unser friedliches Zusammenleben. Der Kampf gegen Judenhass ist Aufgabe der Gesamtgesellschaft. Es bedarf mehr Sensibilität und Zivilcourage, mehr Toleranz und Respekt. Als Schirmherr unterstütze ich das Aktionsprogramm ‘Nie Wieder?!’ von ELES sehr gerne [En19].“

Hinweis: Das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) wurde 2009 als Begabtenförderungswerk der jüdischen Gemeinschaft gegründet.

14 Nie wieder Sicherheit?

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Im Chor der scheinbar Aufgeklärten heißt es „Nie wieder!“. Um die abstoßende Wirklichkeit wegzureden, verkünden politische Verantwortungsträger inbrünstig: „Antisemitismus hat in Deutschland keinen Platz!“. Doch statt „Nie wieder!“, erleben wir ein „Schon wieder!“. Und zunehmend ist der Antisemitismus nicht nur rechtsextrem. Heute, so Michael Wolffsohn, hat er Geschwister: bei Linksextremisten, deren linksliberalen Unterstützern sowie vor allem bei muslimischen Antisemiten [En20].

Michael Wolffsohn: Die Ursache [für den wiedererwachenden Antisemitismus in Deutschland] ist leicht erkannt und schnell benannt: geschichtspolitisches und -pädagogisches Versagen. Gouvernemental ebenso wie nicht gouvernemental. Auch medial, doch nicht nur medial. Wenig ruhmreich die Rolle der Wissenschaft. Worin besteht das geschichtspolitische und -pädagogische Versagen? Die Antwort lässt sich in einer Wortformel zusammenfassen: 1 statt 3. Üblicherweise wurde die dreifache Wirklichkeit verkennend, der Rechtsextremismus als „die“ quasi einzige antisemitische Gefahr erkannt und benannt.

Willentlich und wissentlich wurden die beiden anderen antisemitischen Hauptgefahren Islamismus und Linksextremismus, verschwiegen oder verniedlicht und, wenn benannt, dann mit ideologischem Zuckerwasser, ergänzt um Mengen von Moralin, übergossen.

Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Die mehrfach in zahlreichen europäischen Staaten durchgeführten Umfragen der European Union Agency for Fundamental Rights unter Juden, die entweder verbale oder physische antisemitische Gewalt erlebt hatten, ergaben: Die Täter waren mit weitem Vorsprung Muslime, gefolgt von Linksextremisten und, knapp dahinter, Rechtsextremisten [En21].

Ich möchte mich kurzfassen:

  • From the River to the Sea.

  • Zerschlagt den Judenstaat.

Was heute in Deutschland zur Wirklichkeit gehört, das lässt sich in einem Satz beschreiben:

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war das jüdische Leben in der Bundesrepublik Deutschland noch nie so bedroht wie heute.

Zydatiss/Feldon: Auf dem Campus von Universitäten werden Juden niedergeschrien, in den Schulen eingeschüchtert, auf den Straßen verprügelt, in Wohngebieten bedroht. Davidsterne markieren Auseingänge wie in den 1930er Jahren, Anschläge auf Synagogen, Schulen, Krankenhäuser. Israelische Fahnen an öffentlichen Gebäuden werden verbrannt, Plakate von vermissten Israelis werden abgerissen, während „bunte“ Stadtteile wie Neukölln immer mehr wie Ramallah aussehen. Märtyrerplakate und Durchhalteparolen inklusive. Über den Jihad auf unseren Straßen und den radikalen Islam in den Institutionen schweigt man sich ebenso beredt aus, wie über die grassierende Gewalt gegen Einheimische (laut BKA sind in drei Vierteln aller Fälle, in denen es zu Gewalttaten zwischen Zuwanderern und Einheimischen kommt, Letztere die Opfer).

Hunderttausende auf Demos, auf denen zum Jihad aufgerufen wird, auf denen nicht Frieden gefordert wird, sondern die Verschonung der Hamas, in dem die Vernichtung des einzigen jüdischen Staates gefordert wird, bärtige Männer und verschleierte Frauen getrennt, wie es der radikale Islam gebietet. Immer wieder auch der erhobene Zeigefinger, den die Völkermörder und Sklavenhalter des Islamischen Staates einst der Welt präsentierten. Sie wollen nur provozieren? Nein, nichts unterscheidet sie vom brandstiftenden Mob in Tunesien oder anderswo [En22].

Anders ausgedrückt: Direkt vor unserer Nase beginnt ein neuer Antisemitismus zu wachsen. Wer unter solchen Gegebenheiten nicht an den Aussagen von Bundeskanzler Olaf Scholz verzweifelt, der bei seinem Besuch, unmittelbar nach dem Terroranschlag vom 7. Oktober 2024 in Tel Aviv, dem israelischen Premier Netanyahu versicherte, dass die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson sei, und diese Zusicherung heute mit der Wirklichkeit der in Deutschland lebenden Juden  vergleicht, der wird wohl kaum darum herumkommen, sich zu fragen, ob die Kanzlerworte wirklich ernst gemeint waren.

Nun gut. Bundeskanzler Scholz meinte den Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023, bei dem mehr als 1200 Menschen getötet und mehr als 230 Menschen in den Gazastreifen verschleppt wurden.

Diesbezüglich heißt es in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz vom 12. Oktober 2023 wie folgt:

Bundeskanzler Olaf Scholz: Die Sicherheit in und für Israel muss wiederhergestellt werden, und darum muss Israel sich verteidigen können. In diesem Moment gibt es für Deutschland nur einen Platz: den Platz an der Seite Israels. Das meinen wir, wenn wir sagen: Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson. Unsere eigene Geschichte, unsere aus dem Holocaust erwachsene Verantwortung macht es uns zur immerwährenden Aufgabe, für die Existenz und für die Sicherheit des Staates Israel einzustehen. Diese Verantwortung leitet uns [En23].

Man sollte meinen, dass dies erst recht für die Sicherheit der 95.000 hier in Deutschland lebenden Juden gilt.

Berlin: Im ersten Quartal 2024 sind in Deutschland mit Stand vom 31. März sieben Menschen infolge politisch motivierter Straftaten mit antisemitischem Hintergrund verletzt worden, eine Person schwer und sechs Personen leicht. Für den Zeitraum von Anfang Januar bis Ende März dieses Jahres wurden über den Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen politisch motivierter Kriminalität bislang 793 Straftaten mit Nennung des Unterthemenfeldes „antisemitisch“ gemeldet, darunter 14 Gewalttaten [En24].

Und auch auf Tagesschau.de vom 27.05.2024 heißt es: Seit Beginn des Krieges in Nahost haben sich Fälle von Hasskriminalität mit antisemitischem Hintergrund in Deutschland verdoppelt. Das geht aus dem neuen Lagebild des Verfassungsschutzes hervor.

Vier Monate später heißt es auf der Website der Landesregierung NRW am 24.09.2024, als die Studie „Antisemitismus in der Gesamtgesellschaft von Nordrhein-Westfalen im Jahr 2024“ vorgestellt wurde, wie folgt:

Antisemitismus in Nordrhein-Westfalen: Studie zeigt große Verbreitung und hohe Zustimmungswerte antisemitischer Vorurteile. In Bezug auf die Verfolgung antisemitischer Straftaten heißt es in der Studie wie folgt:

Zur Aufgabe des demokratischen Staates gehört zudem die konsequente Strafverfolgung eines offenen, volksverhetzenden Antisemitismus. Dabei geht es um den Schutz von jüdischen Personen und Institutionen, auch im sozialmedialen Raum [En25].

15 Schlusssätze

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Es ist nicht nur an der Zeit, sondern schon seit Jahren überfällig, dass die Probleme, unter denen die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland leidet, nicht nur dann, wenn das opportun erscheint, so lange angesprochen werden, bis sich niemand mehr für den Anlass interessiert, was meist schon nach ein paar Tagen der Fall ist.

Solch ein Umgang mit gesellschaftlichen Problemen kann keine Besserung erwirken, denn wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir gerade tun, gerade sagen oder gerade schreiben, wenn etwas gerade falsch gelaufen ist, sondern auch für das, was wir nicht tun, nicht sagen und auch nicht schreiben, wenn dafür ausreichend Zeit zur Verfügung steht.

Und was die politischen Eliten im Lande anbelangt?

Einzufordern ist, dass die nicht nur über das Wissen verfügen, um ein öffentliches Amt überhaupt ausüben zu können - was heute eher die Ausnahme als die Regel ist - sondern darüber hinausgehend auch über die charakterliche Integrität verfügen - ganz im Sinne von Ortega y Gasset - nämlich von sich selbst mehr als von den anderen zu verlangen.

Solchen Leuten zu folgen, dazu wäre das Wahlvolk sicherlich bereit. Woran es zurzeit aber bedauerlicherweise fehlt, das sind Personen, die über solche Charaktereigenschaften verfügen.

Wer sich das Theater der ersten Sitzung im Thüringer Landtag mit der dafür notwendigen Distanz anschaut, wird mit Entsetzen zur Kenntnis nehmen müssen, dass dieser "Kindergarten" der Demokratie einen großen Schaden zugefügt hat, zumal der letzte Satz in dem Beschluss des Thüringer Verfassungsgerichtshofes  vom 27. September 2024 deutlich erkennen lässt, dass es sich bei diesem "Parlamentseklat" um nichts anderes, als um ein Machtspielchen gehandelt hat.

Der letzte Absatz auf Seite 35 des Beschlusses hat folgenden Wortlaut:

Es handelt sich bei der parlamentarischen Praxis, wonach die stärkste Fraktion des Thüringer Landtags den Präsidenten vorschlägt, lediglich um einen allgemeinen parlamentarischen Brauch, aus dem sich keine rechtlichen Bindungen ableiten.

Beschluss im Volltext

Auf diese, sogar im Deutschen Bundestag übliche parlamentarische Praxis, auf die sich die Richter des Thüringer Verfassungsgerichtshofes beziehen, würde aber nicht bedeuten, dass sich daraus ein Anspruch ableiten lässt.

Dennoch, ein voller Erfolg war der Gang der Antragsteller - CDU und BSW - vor den Thüringischen Verfassungsgerichtshof nicht, denn auf Seite 3 des Beschlusses heißt es:

Der Freistaat Thüringen hat den Antragstellern [CDU und BSW] die Hälfte ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.

Hätten die Antragsteller in vollem Umfang und auf ganzer Linie Recht bekommen, dann hätte sie einen Anspruch auf Erstattung der gesamten Kosten gehabt.

Aber um Geld ging es in diesem Rechtsstreit nicht:

Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass die Initiatoren dieses "Demokratiescharmünzels" sich strikt an die Vorgaben von Carlo Schmitt gehalten haben, dem Chefjuristen im Nationalsozialismus, in dessen Schriften an mehreren Stellen zu lesen ist:

 "Sichert Euch rechtzeitig die Position des Anklägers."

In Anlehnung an Alexander Wendt wäre es nach der hier vertretenen Überzeugung, sicherlich demokratieförderlicher gewesen, dem Rat von Thurgood Marshall, Richter am obersten amerikanischen Gericht zu befolgen, den Alexander Wendt in seinem Buch "Verachtung nach Unten" wie folgt zitiert hat.

Alexander Wendt: "Die Freiheit zu sprechen und zu hören", schrieb Marshall, "sind nicht voneinander zu trennen; sie sind zwei Seiten der selben Medaille." Der vitale Austausch von Gedanken, in dem Sprecher zu Zuhörern und Zuhörer zu Sprechern würden, argumentierte er, sei "das unverzichtbare Mittel bei der Suche nach der politischen Wahrheit und ihrer Verbreitung [En25a]."

Wie die gemeinsame Suche nach Wahrheit im Thüringer Parlament in Zukunft aussehen wird, bleibt abzuwarten.

Klug war diese Demonstration der Macht sicherlich nicht, denn auch ohne dieses Theater wäre es möglich gewesen, den  CDU-Abgeordneten, Thadäus König, zum Landtagspräsidenten zu wählen.

Schade um den bei dem gewählten Verfahren beerdigten Parlamentsbrauch ist es trotzdem, denn er war ein Zeichen dafür, dass sich die Abgeordneten aller Couleur grundsätzlich mit einer gewissen Überparteilichkeit auf die Besetzung der Posten an der Parlamentsspitze einigen sollten und konnten.

Auch drängt sich die Frage auf, wie es den Richtern des Thüringer Verfassungsgerichtshofes überhaupt möglich war, innerhalb von 24 Stunden einen 36 Seiten umfassenden Beschluss, zu diskutieren, zu verfassen, zu prüfen und mit Quellen und Zitaten anzureichern. Nach der hier vertretenen Auffassung ist das keinem auch noch so gut funktionierenden Richterteam möglich. Es drängt sich somit der Verdacht auf, dass entweder KI am Werk war, oder bereits seit geraumer Zeit vorbereitete Textbausteine benutzt wurden, um solch einen Beschluss in solch kurzer Zeit überhaupt ausformulieren zu können.

Aber was heißt in der Wirklichkeit des demokratischen Zusammenlebens von heute schon Klugheit, Gesprächsbereitschaft und Vernunft?

Ergänzen lässt sich diese Frage in Bezug auf die Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs dadurch, wie viel Sorgfalt von Richtern in einem Rechtsstaat nicht nur erwartet, sondern auch eingefordert werden muss. Mir ist zumindest kein Eilbeschluss des Bundesverfassungsgerichts bekannt, der binnen solch kurzer Bearbeitungszeit so umfangreich ausgefallen wäre.

Grund für die Kürze eines Eilbeschlusses des höchsten deutschen Gerichtes war immer der Hinweis darauf, dass die für eine umfassende Prüfung erforderliche Zeit nur im Hauptverfahren zur Verfügung stehen würde, und somit in gebotener Kürze nur eine vorläufige Regelung getroffen werden konnte.

In Thüringen scheint die Wirklichkeit anders auszusehen.

Welche Auswirkungen das für die demokratischen Tugenden der Klugheit und der Vernunft haben werden, bleibt abzuwarten, denn das Ausleben dieser Tugenden ist für alle Beteiligten wirklich eine große Herausforderung.

Josef Kraus: Das sind hohe Ansprüche, die nur erfüllbar sind, wenn Politik und Wirtschaft wieder mehr geprägt werden von der Macht des Geistes statt vom Ungeist der Macht [En26]..

An politischer Vernunft fehlt es aber zurzeit an vielen Orten, nicht nur in Deutschland.

Es scheint nämlich bei den Eliten von heute in Vergessenheit geraten zu sein, dass die Grundlage eines Verfassungsstaates westlicher Prägung darin besteht, die Freiheitsrechte zu schützen. In diesem Zusammenhang betrachtet steht es den Machteliten auch nicht das Recht zu, andere Gruppierungen, Fraktionen, Parteien oder Nationen per se als „böse“ hinzustellen, denn: Nicht alles, was ein Staat als „Recht“ darstellt, ist auch Recht.

In diesem Sinne handelt es sich bei dem Rat von Carl Schmitt (1888 bis 1985) um einen schlechten Rat, wenn er fordert:

"Sichert Euch rechtzeitig die Position des Anklägers."

In seiner 1927 veröffentlichten Arbeit "Der Begriff des Politischen“, heißt es:

Carl Schmitt: Der Gegner heißt nicht mehr Feind, aber dafür wird er als hors-la-loi [außerhalb des Gesetzes] und hors l'humanite [außerhalb der Menschheit stehend = AR] gesetzt, und ein zur Wahrung oder Erweiterung ökonomischer Machtpositionen geführter Krieg muss mit einem Aufgebot von Propaganda zum „Kreuzzug" und zum „letzten Krieg der Menschheit" gemacht werden [En27].

Anders ausgedrückt: Die Demokratie gilt es mit allen Mitteln gegen diejenigen zu verteidigen, die nicht unsere Werte vertreten.

Und auch für diesen Kampf heißt es bei Carl Scmitt in seiner Schrift "Politische Theologie" bereits 1922 wie folgt:

Carl Schmitt: Alles Recht ist Situationsrecht. Der Souverän schafft und garantiert die Situation als Ganzes in ihrer Totalität. Er hat das Monopol dieser letzten Entscheidung. Darin liegt das Wesen der staatlichen Souveränität, die also richtigerweise nicht als Zwangs- oder Herrschaftsmonopol, sondern als Entscheidung in dem noch weiter zu entwickelnden allgemeinen Sinne gebraucht wird.

Der Ausnahmefall offenbart das Wesen der staatlichen Autorität am klarsten. Hier sondert sich die Entscheidung von der Rechtsnorm und (um es paradox zu formulieren) die Autorität beweist, dass sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht [En28]. 

Gerade heute, am 29.09.2024, wird in den Nachrichten gemeldet, dass Abgeordnete im Deutschen Bundestag den Antrag einbringen werden, die AfD zu verbieten, weil sie verfassungsfeindlich ist. Wer so einen politischen Gegner aufbaut, der darf sich nicht wundern, wenn diese Demokratie weiterhin an Zustimmung in der Bevölkerung verlieren wird.

Zeitgleich heißt es in der gleichen Nachrichtensendung, dass bei der Wahl in Österreich die rechtspopulistische FPÖ ebenfalls die Wahl gewonnen hat.

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16 Quellen

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Endnote_01
Zydatiss/Feldon. Interregnum – was kommt nach der liberalen Demokratie? Langen Müller Verlag München 2024, Seite 20
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Endnote_02
Focus.de vom ^19.09.2024: Aus Paus’ FamilienministeriumJugendbericht will Wort „Migrationshintergrund“ canceln - Regierung findet das gut.
https://www.focus.de/politik/deutschland/unter-leitung-von-bundesfamilienministerin-
paus-jugendbericht-will-wort-migrationshintergrund-canceln-
regierung-findet-das-gut_id_260326936.html
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Endnote_03
FAZ.de vom 16.06.2024: Die Jugend vertraut uns nicht mehr.
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/lisa-paus-die-jugend-
entzieht-uns-das-vertrauen-19791466.html
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Endnote_04
Theodor Heuss: Hitlers Weg: Eine historisch-politische Studie über den Nationalsozialismus. Union Deutsche Verlagsgesellschaft Stuttgart/Berlin/Leipzig 1932
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Endnote_05
Als Deutschlands Liberale apitulierten. https://www.welt.de/geschichte/article244432126/Ermaechtigungsgesetz-Als-Deutschlands-Liberale-einknickten.html
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Endnote_5a
Nicolò Machiavelli: Vom Staat. Nikol-Verlag 2022, Seite 155 und 245
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Endnote_06
Stefan Zweig: Die Welt der Sicherheit.
https://www.projekt-gutenberg.org/zweig/weltgest/chap002.html
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Endnote_07
Wilsons 14 Punkte:
https://www.welt.de/geschichte/article217083140/Woodrow-Wilson-
1919-Wenn-sich-ein-US-Praesident-infiziert.html
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Endnote_08
Aus der Antrittsrede von Präsident Franklin D. Roosevelt, Washington, 4. März 1933.
https://das-blaettchen.de/2011/11/aus-der-antrittsrede-
von-praesident-franklin-d-roosevelt-8451.html
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Endnote_09
Wilfried Loth. Die Teilung der Welt – Geschichte des Kalten Krieges 1941 – 1955 – DTV 10. Auflage 2002, Seite 212
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Endnote_10
Elif Özmen. Was ist Liberalismus? Suhrkamp 2023. Die ersten Sätze der Einleitung
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Endnote_11
Never Ending Nightmare: How Neoliberalism Dismantles Democracy Gebundene Ausgabe – 16. April 2019 von Pierre Dardot (Autor), Christian Laval (Autor)
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Endnote_12
Der Spiegel Nr. 45 vom 31.10.2015: Kontrollverlust – Deutschland im Ausnahmezustand, Seite 17
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Endnote_13
Der Spiegel vom 15.10.2015: Flüchtlingskrise Seehofer warnt vor „grandiosem Scheitern“ Deutschlands.
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/horst-seehofer-
fordert-angela-merkel-zum-handeln-auf-a-1057920.html
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Endnote_14
Der Stern vom 01.01.2016: Die Kanzlerin und die Deutschen Angela Merkel, eine Fremde im eigenen Land.
https://www.stern.de/politik/deutschland/angela-merkel-und-die-deutschen--die-
kanzlerin--eine-fremde-im-eigenen-land-6625310.html
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Endnote_15
Sarrazin bricht Verkaufsrekord.
https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/helmut-
schmidt-ueberholt-sarrazin-bricht-verkaufsrekord-a-726206.html
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Endnote_16
Presseerklärung der Bundesschiedskommission der SPD vom 31.07.2020: Bundesschiedskommission bestätigt Parteiausschluss von Sarrazin.
https://www.spd.de/service/pressemitteilungen/detail/news/
presseerklaerung-der-bundesschiedskommission-der-spd-1/31/07/2020
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Endnote_17
Achgut.com vom 27.02.2023: Das Dilemma der Ukraine-Debatte:
https://www.achgut.com/artikel/das_dilemma_der_ukraine_debatte
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Endnote_18
Buchenwalder Nachrichten Nr. 5 - Buchenwald den 20.4.1945:
https://www.buchenwald.de/geschichte/themen/dossiers/schwur-von-buchenwald
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Endnote_19
Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Schirmherr von “Nie wieder!?”
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Endnote_20
Michael Wolffsohn: Nie wieder? Schon wieder!: Alter und neuer Antisemitismus Gebundene Ausgabe – 27. Januar 2024
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Endnote_21
Michael Wolffsohn: Nie wieder? Schon wieder! Alter und neuer Antisemitismus. Herder-Verlag 2024, Seiten 22 und 23
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Endnote_22
Kolja Zydatiss/Mark Feldon: Interregnum – Was kommt nach der liberalen Demokratie? Langen Müller Verlag München 2024, Seite 321/322
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Endnote_23
Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz zur Lage in Israel vor dem Deutschen Bundestag am 12. Oktober 2023 in Berlin
https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/
regierungserklaerung-von-bundeskanzler-olaf-scholz-2230150
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Endnote_24
Deutscher Bundestag: Antisemitische Straftaten im ersten Quartal 2024:
https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1002676
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Endnote_25
„Antisemitismus in der Gesamtgesellschaft von Nordrhein-Westfalen im Jahr 2024.
https://www.land.nrw/media/33477/download
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Endnote_25a
Alexander Wendt: Verachtung nach unten. Wie eine Moralelite die Bürgergesellschaft bedroht - und wie wir sie verteidigen können. Lau-Verlag 2024, Seite Seite 149
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Endnote_26
Josef Kraus: Der deutsche Untertan - Vom Denken entwöhnt. Langen Müller Verlag München 2021, Seite 287
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Endnote_27
Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen. Duncker & Humblot München 1932, Seite 5
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Endnote_28
Carl Schmitt. Politische Theologie. Duncker & Humblot Berlin - 10. Auflage 2015, Seite 19
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