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Die woke und bunte Republik - Die Aufklärung von heute?

Inhaltsverzeichnis:

01 Wokeness and woke
02 Von der Wokeness zur Identitätsfindung
03 Abkehr von den europäischen Nationalstaaten
04 Notwendigkeit einer demokratischen Weltregierung
05 Die Nation als Naturzustand
06 Urteil des BVerfG zum Vorrang des EU-Rechts
07 Der neue
woke Mensch
08 Verfall der ideologiegesteuerten Wokeness
09 Die Erklärung Dignitas infinita von Papst Franziskus
10 Was ist wirklich woke? – Das Recht auf Empörung
11
CSD´s in Groß- und auch in Kleinstädten
12 Die Herrschaft der Vernunft – gibt es die überhaupt?
13 Glück –
Das Ideal der Aufklärung
14 Das Glück auf Erden - Fortschrittsglaube der Aufklärer
15 Was heißt Aufklärung heute?
16 Humboldt-Universität und deren unliebsame Doktorandin
17 Michel Foucault -
Was ist Aufklärung?
18 Was ist Fortschritt, und was nicht?
19 Schlusssätze
20 Quellen

01 Wokeness and woke

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Wokeness“, dieses englische Substantiv bedeutet Wachsamkeit. Im Gegensatz dazu ist „woke“ die Vergangenheitsform des englischen Verbes „to wake up“ und bedeutet „aufgewacht“. Im Übrigen handelt es sich bei dem Wort „woke“ um afroamerikanisches Englisch, das seit den 1930er Jahren verwendet wird, um damit ein aufmerksames Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und natürlich auch für erlebten Rassismus zum Ausdruck zu bringen.

Stay woke!“, diesen Rat gaben besorgte schwarze Mütter ihren Söhnen mit auf den Weg, wenn die abends ausgingen: „Stay woke!“ – pass auf dich auf, mach nichts falsch und tritt in keine der Fallen, die überall lauern.

Ähnliche Ratschläge geben sicherlich auch heute besorgte Mütter in Deutschland ihren Kindern.

Wie dem auch immer sei: Es kann davon ausgegangen werden, dass dieser Begriff anfangs durchaus positiv besetzt und mit dem Appell verbunden war, nicht aufzufallen, vor allen Dingen nicht der Polizei.

Seit der Präsidentschaft von Donald Trump änderte sich die Wortbedeutung von „woke“ jedoch, denn Donald Trump begann damit, dieses Wort als ein Schimpfwort zu benutzen.

Wie dem auch immer sei: Tatsache ist, dass das Wort „woke“ im heutigen Gebrauch der Political Correctness verwendet, wer davon überzeugt ist, dass:

  • Alle Menschen mit weißer Hautfarbe Rassisten und Sexisten sind

  • Die koloniale Vergangenheit für die Ungleichheit verantwortlich ist und:

  • Nur der Feminismus dem Patriarchat ein Ende bereiten kann

  • Mann und Frau als Konstrukte anzusehen sind, was durch die Anerkennung einer Geschlechtervielfalt ersetzt werden muss, die zwischenzeitlich auf eine Liste von um die 60 unterschiedlichen Geschlechtseigenschaften angewachsen ist.

  • Durch Gendern die Sprache weitgehend geschlechtslos gemacht werden muss und:

  • Militante Veganer Weltverbesserer sind.

02 Von der Wokeness zur Identitätsfindung

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Um der Wokeness eine größere Bedeutung, ihr also ein über den Rahmen „mütterlicher Verhaltensappelle“ hinausgehendes Gewicht zu verschaffen, wurde es erforderlich, Wokeness zu einem Identitätsmerkmal zu machen, das es unterdrückten Minderheiten erlaubte, gemeinsam zum Ausdruck bringen zu können, dass sie auf vielfältige Art und Weise diskriminiert werden.

Sich dieser Diskriminierungen bewusst zu werden und gemeinsam dagegen „aufzustehen“, diese Bewegung begann – wo auch anders sollte das sein – bereits in den 1970er Jahren in den USA, als dort die „schwarze Bürgerrechtsbewegung“ an Fahrt aufnahm. In einem Artikel, der im Januar 2017 in dem schweizerischen Online-Magazin „Geschichte der Gegenwart“ veröffentlicht wurde, heißt es:

Geschichtedergegenwart.ch vom 22. Januar 2017: Identitätspolitik bezeichnet ein politisches Engagement, das von einer gemeinsamen Unterdrückungserfahrung ausgeht. In den USA findet der Begriff seit den späten 1970er Jahren Verwendung, wobei die großen sozialen Bewegungen der Nachkriegszeit (die schwarze Bürgerrechtsbewegung, die zweite Frauenbewegung, die amerikanische indianische Bewegung und die Lesben- und Schwulenbewegung) ex post darunter subsumiert werden [En01].

Die Anfänge identitärer Bewegungen gingen vom Combahee River Collective aus, einer von schwarzen Frauen initiierten feministisch-lesbischen Organisation, die zwischen 1974 und 1980 aktiv war. Diese intersektionelle Gruppe wurde gegründet, weil man das Gefühl hatte, dass sowohl die feministische Bewegung als auch die Bürgerrechtsbewegung die besonderen Bedürfnisse schwarzer Frauen und Lesben nicht widerspiegelten. Das Kollektiv schloss sich zusammen, um das „Combahee River Collective Statement“ zu entwickeln, das ein Schlüsseldokument für die Entwicklung des zeitgenössischen schwarzen Feminismus war und aus dem das folgende Zitat entnommen wurde:

Combahee River Collective Statement – Was wir glauben: Unsere Politik entspringt vor allem der gemeinsamen Überzeugung, dass schwarze Frauen von Natur aus wertvoll sind, dass unsere Befreiung eine Notwendigkeit ist und nicht ein Anhängsel anderer, weil wir als Menschen ein Bedürfnis nach Autonomie haben. Das mag so offensichtlich klingen, dass es zu simpel ist, aber es ist offensichtlich, dass keine andere angeblich fortschrittliche Bewegung jemals unsere spezifische Unterdrückung als Priorität betrachtet oder ernsthaft für die Beendigung dieser Unterdrückung gearbeitet hat. Allein die Benennung der abwertenden Stereotypen, die Schwarzen Frauen zugeschrieben werden (z.B. Mammy, Matriarchin, Sapphire, Hure, Bulldogge), geschweige denn die Auflistung der grausamen, oft mörderischen Behandlung, die wir erfahren, zeigt, wie wenig Wert unserem Leben während der vier Jahrhunderte der Knechtschaft in der westlichen Hemisphäre beigemessen wurde. Wir erkennen, dass die einzigen Menschen, denen wir wichtig genug sind, um sich konsequent für unsere Befreiung einzusetzen, wir selbst sind. Unsere Politik entspringt einer gesunden Liebe zu uns selbst, unseren Schwestern und unserer Gemeinschaft, die es uns ermöglicht, unseren Kampf und unsere Arbeit fortzusetzen.

An anderer Stelle heißt es:

Wir glauben, dass die Sexualpolitik des Patriarchats das Leben schwarzer Frauen ebenso durchdringt wie die Politik der Klasse und der Ethnie. Wir finden es auch oft schwierig, Ethnie, Klasse und sexuelle Unterdrückung voneinander zu trennen, weil sie in unserem Leben meist gleichzeitig erlebt werden. Wir wissen, dass es so etwas wie rassisch-sexuelle Unterdrückung gibt, die weder ausschließlich rassisch noch ausschließlich sexuell ist, z. B. die Geschichte der Vergewaltigung schwarzer Frauen durch weiße Männer als Mittel der politischen Unterdrückung [En02].

Dass dieses Aufbegehren gegen eine Unterdrückung von Menschenrechten schwarze Frauen in den USA dazu bewog, gegen erlebte Diskriminierungen schwerster Art aufzubegehren, zeigt, dass allein das Reden und auch das Niederschreiben von Menschenrechten in Menschenrechtskonventionen oder in Verfassungen nicht ausreicht, einen Zustand herzustellen, der sicherstellt, dass die Würde des Menschen, egal welche Hautfarbe dieser Mensch hat oder welche sexuelle Neigung diesen Menschen prägt, im erforderlich werdenden Umfang von der Gesellschaft respektiert werden.

Kurzum: Die Verfassungswirklichkeit in allen demokratischen Staaten entspricht auch heute noch nicht der verfassungsrechtlich gewollten Wirklichkeit, denn diskriminiert wird an allen Orten: auf der Straße, in der Schule, im Beruf und wo auch immer man genauer hinschaut. Daran kann auch die gesetzliche Regelung in Deutschland zum Schutz vor Mobbing am Arbeitsplatz nichts Grundlegendes ändern, zumal es nicht einmal eine abschließende Definition von Mobbing gibt und somit immer im Einzelfall entschieden werden muss, ob eine arbeitsrechtlich relevante Diskriminierung vorliegt oder nicht, deren Nachweis aber immer die davon betroffene Person zu erbringen hat, was voraussetzt, dass ein Mobbing-Tagebuch über erlebte Diskriminierungen geführt wird, um den Arbeitgeber davon überzeugen zu können, dass es sich bei der anzeigenden Person tatsächlich um ein Mobbingopfer handelt.

Wie heißt es doch so schön im Grundgesetz:

Artikel 3 GG
(1)
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Was in den USA mit dem Aufbegehren gegen eine von schwarzen Frauen gemeinsam erlebte Unterdrückungserfahrung ausging, löste eine Bewegung in vielen westlichen Demokratien aus, zu denen auch die Bundesrepublik Deutschland gehört, die durchaus als eine „Politisierung von Identitäten“ bezeichnet werden kann, denn auch andere Minderheiten nahmen die von ihnen erlebten Diskriminierungen ebenfalls zum Anlass, dagegen aufzubegehren.

Diesem energischen Ruf nach dem „Überwinden von Diskriminierungen einer Vielzahl von Identitäten“ ertönte und ertönt immer noch aus einer Vielzahl unterschiedlicher Richtungen, die es verdienen, im Folgenden im Hinblick auf ihre ethischen und politischen Identitäten an dieser Stelle kurz zu benennen:

  • Feminismus

  • Sexismus

  • Rassismus

  • Genderbewegung und andere.

Die sich daraus ergebenden Widerstände gegen die bestehenden Verhältnisse rechtfertigt Stéphane Hessel (1917 bis 2013) in seinem Buch "Empört Euch" wie folgt:

Neues schaffen heißt
Widerstand leisten.
Widerstand leisten heißt
Neues schaffen.

Dem woken Zeitgeist geht es aber nicht nur um Diversität und somit um das Einfordern von Rechten für Minderheiten, dem woken Zeitgeist kommt es auch darauf an, durch seine politische Ideologie bestehende Herrschaftsstrukturen grundlegend nicht nur in Frage zu stellen, sondern diese auch zu ändern.

03 Abkehr von den europäischen Nationalstaaten

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Diese Tendenz, die heute in der EU vom woken Zeitgeist für die wohl einzig zukunftsfähige Entwicklung der offenen Gesellschaften im Bereich der Europäischen Union angesehen wird, hat Ursachen, die bereits während des Zweiten Weltkrieges sichtbar wurden, denn sogar Adolf Hitler träumte von einem vereinten Europa unter deutscher Führung.

Wie dem auch immer sei: Das Ende des Zweiten Weltkrieges machte eine Entwicklung möglich, die hier, der Einfachheit halber, als Entkolonialisierung bezeichnet werden soll, einer Bewegung, die Frantz Fanon (1925 bis 1961), ein auf Martinique geborener farbiger französischer Politiker, Psychiater und Schriftsteller, bereits 1956, damals Arzt in Algerien, dazu bewog, sich für die algerische Befreiungsfront einzusetzen.

Am gleichen Tag, als er 1961 starb, wurde sein Buch „Die Verdammten dieser Erde“ veröffentlicht. In diesem Buch warf Frantz Fanon der westlichen Welt vor, die Dritte Welt unerbittlich, aber nicht in der Absicht tatsächlich zu helfen, sondern durch Ausbeutung sozusagen entrechtete. Das machte sein Buch damals zu einem Skandal. Die Schlusssätze dieses Buches machen deutlich, wie Frantz Fanon über die europäischen Nationalstaaten dachte, die ja bekanntermaßen für die Kolonialisierung verantwortlich gewesen sind.

Frantz Fanon: Wenn wir (...) wollen, dass die Menschheit ein Stück vorwärtskommt, wenn wir sie auf eine andere Stufe heben wollen als die, die Europa innehat, dann müssen wir wirkliche Erfindungen und Entdeckungen machen. Wenn wir den Erwartungen unserer Völker (gemeint sind die kolonialisierten Völker) nachkommen wollen, dann müssen wir woanders als in Europa auf die Suche gehen. Mehr noch, wenn wir der Erwartung der Europäer nachkommen wollen, dann dürfen wir ihnen kein, wenn auch noch so ideales Bild ihrer Gesellschaft und ihres Denkens zurückwerfen, für die sie von Zeit zu Zeit einen ungeheuren Ekel empfinden. Für Europa, für uns selbst und für die Menschheit, Genossen, müssen wir eine neue Haut schaffen, ein neues Denken entwickeln, einen neuen Menschen auf die Beine stellen [En03].

Die Kolonialherren von damals, für die Eingeborene, egal ob gelb, schwarz oder weiß, immer über die gleichen Wesenszüge verfügten, fasste Frantz Fanon wie folgt zusammen:

Frantz Fanon: Er ist faul, hinterhältig und stiehlt, lebt von nichts und kennt nur die Gewalt [En04].

Dieser untragbare Zustand, so Frantz Fanon sinngemäß zitiert, wird zur Dekolonisation führen. Jedoch nicht sofort. Zunächst herrscht der Europäer. Er hat aber schon verloren, aber er merkt es noch nicht.

Diese durchaus vergleichbare Sichtweise des Verlustes einer nicht mehr zeitgemäßen Welt von Nationalstaaten ist auch heute die Triebfeder des so genannten „woken Zeitgeistes“, dem es am liebsten wäre, nationale Identitäten gänzlich aufzulösen, um sie durch die Sprachfigur des Europäers – besser noch durch den Weltbürger – zu ersetzen, den es als neuen Menschen zu erschaffen gilt.

Nationale Identitäten  werden deshalb vom woken Zeitgeist abgelehnt, weil Nationalstaaten – dem „woken“ Zeitgeist folgend – einfach nicht mehr in die Zeit passen.

Zumindest entspricht das dem Werteverständnis der „Aufgeklärten“ in vielen EU-Staaten, denn nationale Identitäten, wenn sie von Mitgliedsländern der EU eingefordert werden, werden von den woken Auferweckten bereits dem rechten Spektrum politischer Weltanschauungen zugeordnet, einer Weltanschauung, die es nicht nur zu überwinden, sondern am besten gleich zu beseitigen ist, weil Nationalstaaten, die nur für sich selbst das Beste wollen, einfach nicht mehr in die Zeit passen.

04 Notwendigkeit einer demokratischen Weltregierung

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Diesbezüglich heißt es in einem Artikel, der am 4. Mai 2019 auf der Website der NGO „Democracy without Borders“ erschien, wie folgt:

Demokratie ohne Grenzen: Die menschliche Zivilisation wird vielleicht nicht überleben können, wenn es uns nicht gelingt, eine globale Regierung zu etablieren. [...]. Die Menschheit teilt heute ein gemeinsames Schicksal. Ob es ihnen gefällt oder nicht, alle Menschen sind jetzt in einer gemeinsamen Zivilisation verbunden, die die ganze Erde umspannt. Die Gefahren, die von Atomkrieg, globalen Pandemien, Umweltzerstörung oder Klimawandel ausgehen, betreffen alle. Kohlendioxid in der Atmosphäre kennt keine Grenzen. Der menschliche Einfluss auf globale öffentliche Güter wie die Atmosphäre muss so geregelt werden, dass die planetarischen Grenzen nicht überschritten werden und die Stabilität des Ökosystems Erde nicht gefährdet wird.

Was der woke Zeitgeist diesbezüglich notwendig werdender Veränderungen einfordert, das lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  • Nationale Souveränitäten sind zu überwinden

  • Eine Weltregierung ist einzurichten, um einen Atomkrieg zu verhindern

  • Im Zentrum der Weltrepublik muss ein gewähltes Weltparlament stehen

  • Diese Idee ist in die Tat umsetzen, denn die Einheit der Menschheit ist eine alte universelle Idee, die bereits zur Zeit der Französischen Revolution existierte [En05].

Wie sich zum Beispiel die NGO „Demokratie ohne Grenzen“ diesbezüglich selbst versteht, das kann ihrer Website entnommen werden. Dort heißt es:

Über Demokratie ohne Grenzen: Wir streben nach einer demokratischen Weltordnung. Demokratie ohne Grenzen ist eine internationale NGO, die aus dem 2003 gegründeten Komitee für eine demokratische UNO hervorgegangen ist. Wir verfolgen einen ganzheit­lichen Ansatz der Demokratieförderung, der sich von der lokalen bis zur globalen Ebene erstreckt.

Demokratie ohne Grenzen arbeitet weltweit mit anderen Organisationen zusammen und hat eine wachsende Zahl nationaler Sektionen. Demokratie ohne Grenzen in Deutschland ist eine davon. Wir expandieren weiter, um unsere Anliegen besser verfolgen zu können [En06].

05 Die Nation als Naturzustand

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Diese Position, dass die Nation als ein Naturzustand anzusehen sei, vertritt – im Gegensatz zur oben geschilderten Weltsicht des aufgeklärten europäischen Weltgeistes im Westen von heute, dessen Ziel es ist, die Nationen im Bereich der Europäischen Union sozusagen europahörig zu machen – der Ministerpräsident von Ungarn, Victor Orban.

In seiner Rede zur 33. Jahresveranstaltung der Sommeruniversität in Tusnádfürdö, Siebenbürgen (Rumänien) stellte Victor Orban am 27. Juli 2024 unter anderem Folgendes fest:

Victor Orban: In unserem mitteleuropäischen Weltbild besteht die Welt aus Nationalstaaten. Während der Westen – für uns schwer nachvollziehbar – denkt, dass es keine Nationalstaaten mehr gebe, und deshalb das Koordinatensystem des mitteleuropäischen Denkens vollkommen irrelevant sei. Unserer Auffassung nach besteht die Welt aus Nationalstaaten, die zu Hause das Gewaltmonopol ausüben und so den gesellschaftlichen Frieden wahren. Den anderen Staaten gegenüber ist der Nationalstaat souverän, bestimmt eigenständig seine Innen- und Außenpolitik. Der Nationalstaat ist keine juristische Abstraktion und Konstruktion, er wurzelt in einer gegebenen Kultur. Er hat ein gemeinsames Wertesystem, eine anthropologische und historische Tiefe, daraus entstehen die auf der nationalen Übereinkunft beruhenden gemeinsamen moralischen Grundlagen. (...). Der Westen dagegen denkt, dass es keine Nationalstaaten mehr gebe. Er verneint deshalb die Existenz einer gemeinsamen Kultur und der darauf aufbauenden gemeinsamen Moral. Es gibt keine gemeinsame Moral. (...). Deshalb denkt man im Westen auch über die Migration anders. Man meint, sie sei keine Gefahr, sondern im Gegenteil eine Chance, endlich die ethnische Homogenität loszuwerden, die das Fundament der Nation bildet. Das ist die Essenz der progressiv-liberalen Auffassung vom internationalen Raum. (...)

Die Europäische Union denkt nicht nur das alles, sondern deklariert es auch. Wenn wir die europäischen Dokumente richtig verstehen, dann ist das Ziel die Überwindung der Nation. Entscheidend ist, dass die Kompetenzen und die Souveränität von den Nationalstaaten auf Brüssel übergehen. Das ist die Logik hinter allen Maßnahmen. In der EU glaubt man, dass der Nationalstaat ein historisches, also ein vorübergehendes Gebilde sei, das im 18. und 19. Jahrhundert entstanden war. Wie er gekommen ist, so kann er auch verschwinden. Der Westen Europas befindet sich schon im postnationalen Zustand [En07].

Dass diese Rede zumindest in den deutschen Medien auf eine breite Ablehnung stieß, dazu reicht es aus, nu8r einige Überschriften zu dieser Rede, die in den Leitmedien verwendet wurden, hier aufzulisten:

  • ZDF heute: Viktor Orban und seine Politik: Eine Gefahr für Europa

  • Focus: Polens scharfe Worte an Orbán: „Warum schafft Orbán nicht eine Union mit Putin?“

  • TAZ: Rechtsruck in Ungarn: „Wir sind keine gemischte Rasse“

  • DW: Orbáns Absage an den Westen

  • FAZ: Warum Viktor Orbán ein strategischer Populist ist

  • Kurier: Nach Orbáns „Goebbels-würdiger Rede“: Beraterin zurückgetreten.

Bedauerlicherweise wird in den oben genannten Medienberichten nur sporadisch der Versuch unternommen, aus der Rede selbst zu zitieren. Den oben zitierten Überschriften fehlt es somit - man mag das bedauern oder begrüßen– an der für eine Meinungsbildung erforderlichen Transparenz und Offenheit, die sich insbesondere dadurch auszeichnet, nicht Viktor Orban selbst, sondern die eigene Sicht der Dinge der Öffentlichkeit mitzuteilen.

Wie dem auch immer sei: Große Teile der Rede von Viktor Orbán dürften zumindest bei den Wählerinnen und Wählern der AfD auf Zustimmung stoßen. Und was die Souveränitätsrechte europäischer Staaten anbelangt, dürften auch Wähler der CSU und natürlich auch Wählerinnen und Wähler der CDU und auch die der FDP Viktor Orbán zustimmen, dass nur die Souveränitätsrechte an die EU abgetreten werden können/dürfen, die für Deutschland von Nutzen sind.

Antrag der AfD-Fraktion vom 29.3.2023: Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben am Mittwoch, 29. März 2023, erstmals einen Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel „Die Souveränität Deutschlands innerhalb der Europäischen Union“ (20/6172) beraten. Im Anschluss an die Aussprache überwies das Parlament die Vorlage zur weiteren Beratung in die Ausschüsse, die Federführung übernimmt der Europaausschuss.

Antrag der AfD: Die Bundesregierung soll nach Ansicht der AfD-Fraktion alles unterlassen, „was auf die Umwandlung der EU als einer Gemeinschaft souveräner und gleichberechtigter Nationalstaaten in einen europäischen Bundesstaat zielt“. Der Bundestag sollte zudem stets in der Lage bleiben, seine haushaltspolitische Verantwortung wahrzunehmen, schreiben die Abgeordneten in einem Antrag (20/6172) [En08].

In der Begründung der AfD-Fraktion heißt es, die Europäische Union greife seit Jahren immer stärker in die Souveränität ihrer Mitgliedstaaten ein. „Überregulierungen und Verbote bestimmen den Alltag aller EU-Bürger.“ Die EU sollte sich als Gemeinschaft souveräner Staaten jedoch auf ihre „fundamentalen Werte und Ziele rückbesinnen“. Dabei sei eine wichtige Aufgabe der Bundesregierung, die Wirtschaftsgemeinschaft und insbesondere den freien Handel sowie die Zollunion zu stabilisieren und zu fördern. Die Idee der „Vereinigten Staaten von Europa“ im Sinne der Schaffung eines europäischen Bundesstaates unter Aufgabe der mitgliedstaatlichen Souveränität würde eine Mehrheit der Bürger in der EU ablehnen, schreibt die Fraktion mit Verweis auf verschiedene Umfragen. (joh/irs/29.03.2023)[En09].

Sogar die FDP wünscht sich ein Europa mit festen Regeln.

FDP: Europa stärken: Wir wollen Europa wieder zu einem Kontinent der Chancen machen, wo demokratische, marktwirtschaftliche und rechtsstaatliche Prinzipien gelten. Wir brauchen mehr Europa und europäische Lösungen, wo es sinnvoll ist. Dazu wollen wir insbesondere eine echte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik mit dem Ziel einer europäischen Armee unter gemeinsamem Oberbefehl und parlamentarischer Kontrolle. Wir setzen uns in diesem Zusammenhang für eine Stärkung der hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik ein. Darüber hinaus wollen wir eine gemeinsame Flüchtlings- und Einwanderungspolitik, EU-Freihandelsabkommen und einen digitalen Binnenmarkt. Europa braucht zudem weniger Bürokratie und mehr Bürgersouveränität. Ein stabiler Euro ist Voraussetzung für Wachstum und Wohlstand in Europa. Stabilität gründet auf soliden Haushalten, wettbewerbsfähigen Volkswirtschaften und krisenfesten Finanzsektoren. Wir sagen: Solidarität gegen Solidität. Finanzhilfen dürfen nur gegen marktwirtschaftliche Reformen gewährt werden. Deshalb muss das Grundprinzip der Eigenverantwortung von Mitgliedstaaten fest verankert bleiben. In diesem Zusammenhang wollen wir auch eine Staateninsolvenzordnung für die Eurozone schaffen [En10].

In dieser Erklärung wird zwar viel von gemeinsam zu realisierenden Vorhaben gesprochen. Die Bereitschaft zur Aufgabe von Souveränitätsrechten wird dort aber nicht erwähnt.

So wohl auch die Selbstdarstellung der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament, deren vorrangiges Ziel es nach meiner Lesart zu sein scheint, ein wettbewerbsfähigeres und demokratischeres Europa zu schaffen, um sicherstellen zu können, dass alle Europäerinnen und Europäer unabhängig von ihrem Hintergrund eine faire Chance haben, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und dazu in der Lage sind, die europäische Lebensweise ausleben zu können, obwohl auch der EVP der Makel des „Rechtsseins“ anhaftet, denn von der Bereitschaft zur Aufgabe der eigenen Nationalstaatlichkeit zugunsten eines europäischen Bundesstaates lässt sich aber auch in den Veröffentlichungen der EVP-Fraktion kein Wort finden.

EVP-Fraktion im Europäischen Parlament: Die europäische Integration ist Verfassungsauftrag und steht für uns nicht zur Disposition. Anders als der Nationalstaat ist die Europäische Union in den Augen der meisten Zeitgenossen jedoch kein Selbstzweck. Sie wird nach Kosten und Nutzen bemessen. Die Abwägung darüber erfolgt nicht zwangsläufig rational (siehe Brexit), sie ist aber Realität. Deshalb muss die EU ihren europäischen Mehrwert sichtbar werden lassen und sich immer wieder neu bewähren, um bestehen zu können. Insofern geht es heute nicht abstrakt um mehr oder weniger Europa und schon gar nicht um alte Ideen einer föderalen Ordnung. Es geht auch nicht um Europas verfassungsrechtliche Finalität, sondern um die Frage wozu die Europäer die Europäische Union im 21. Jahrhundert vor allem brauchen. Sie brauchen sie, um sich in einer Welt von unilateral agierenden Supermächten, mit denen kein europäischer Staat allein konkurrieren kann, im europäischen Verbund behaupten zu können. Sie brauchen Sie, um auf die großen Herausforderungen der Gegenwart wie den Klimawandel, die Migrationskrise oder die Digitalisierung eine effektive Antwort geben zu können. Verglichen mit der Zeit von Schuman geht es also heute um einen Paradigmenwechsel von der Binnenorientierung zur Weltorientierung. Anstatt uns auf die „Schaffung einer immer engeren Union“ nach innen zu beschränken, müssen wir den Schwerpunkt auf die Schaffung einer handlungsfähigen Union nach außen legen. Eine Union, die in der Lage ist, auf die großen Fragen unserer Zeit geschlossen eine Antwort zu geben [En11].

06 Urteil des BVerfG zum Vorrang des EU-Rechts

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Hinsichtlich des Vorrangs des deutschen Staates bei der Umsetzung europäischen Rechts, haben die Richter des Bundesverfassungsgerichts sich sozusagen für eine Kompromisslösung entschieden.

Anders ausgedrückt: Soweit EU-Recht nicht gegen das Grundgesetz verstößt, hat der bundesdeutsche Gesetzgeber EU-Vorgaben in nationales Recht umzuwandeln. Im Folgenden werden die drei ersten Leitsätze des Beschlusses der Richter des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2019 zitiert, dem entnommen werden kann, dass der Vorrang nationalen Rechts nur in besonders gelagerten Fällen anzuwenden ist.

BVerfG 2019: 1. Soweit die Grundrechte des Grundgesetzes durch den Anwendungsvorrang des Unionsrechts verdrängt werden, kontrolliert das Bundesverfassungsgericht dessen Anwendung durch deutsche Stellen am Maßstab der Unionsgrundrechte. Das Gericht nimmt hierdurch seine Integrationsverantwortung nach Art. 23 Abs. 1 GG wahr.

2. Bei der Anwendung unionsrechtlich vollständig vereinheitlichter Regelungen sind nach dem Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts in aller Regel nicht die Grundrechte des Grundgesetzes, sondern allein die Unionsgrundrechte maßgeblich. Der Anwendungsvorrang steht unter anderem unter dem Vorbehalt, dass der Schutz des jeweiligen Grundrechts durch die stattdessen zur Anwendung kommenden Grundrechte der Union hinreichend wirksam ist.

3. Soweit das Bundesverfassungsgericht die Charta der Grundrechte der Europäischen Union als Prüfungsmaßstab anlegt, übt es seine Kontrolle in enger Kooperation mit dem Europäischen Gerichtshof aus. Nach Maßgabe des Art. 267 Abs. 3 AEUV legt es dem Gerichtshof vor.

BVerfG, Beschluss vom 06. November 2019 - 1 BvR 276/17

Mit anderen Worten: In den weitaus meisten Fällen hat der bundesdeutsche Gesetzgeber die Vorgaben der EU in nationales Recht umzuwandeln. Das gilt auch für die Gesetzgebungsorgane in anderen Mitgliedsländern. Dass so viel EU-Vorgaben in den Mitgliedsländern - Deutschland inbegriffen - nicht immer auf Zustimmung stoßen, und bereits in einigen Mitgliedsländern konservative Kräfte so stark geworden sind, sich dem woken Politikverständnis sowohl des EU-Parlaments als auch der bestimmenden EU-Kommission zu widersetzen, zeigt, dass die Bereitschaft, nationale Souveränität an die EU abzutreten, zunehmend auf Gegenwind trifft.

Das, was benötigt wird, um sozusagen wieder an einem Strick ziehen zu können, ist wohl der neue woke Mensch.

07 Der neue woke Mensch

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Wer soll das sein, denn der Ruf nach dem neuen Menschen begegnet uns bereits im Neuen Testament bei Paulus. In einem seiner Briefe an die Kolosser heißt es:

Apostel Paulus: Legt den alten Menschen des früheren Lebenswandels ab, der sich in den Begierden des Trugs zugrunde richtet, (Kol 3,9) [En12].

Und auch Friedrich Nietzsche (1844 bis 1900) ließ seinen Zarathustra verkünden:

Zarathustra: Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll. [...]. Der Übermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Übermensch sei der Sinn der Erde [En13]!

Und auch bei Frantz Fanon heißt es im Hinblick auf die Zukunft von Europa und für die Menschheit wie folgt:

Frantz Fanon: Für Europa, für uns selbst und für die Menschheit, Genossen, müssen wir eine neue Haut schaffen, ein neues Denken entwickeln, einen neuen Menschen auf die Beine stellen [En14].

Insoweit ist es naheliegend, bereits heute von einem neuen woken Menschen zumindest zu träumen, der über die nachfolgend aufgeführten Eigenschaften verfügen muss.

Dazu gehören:

  • Der Schutz von Minderheiten

  • Der Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit

  • Die Forderung nach Gleichberechtigung

  • Ablehnung jeglicher Diskriminierung

  • Gelebter Antirassismus

  • Ablehnung von: Ausbeutung, Unterjochung, Genozid und Ungleichheit.

Kurzum: Bei dem Traum, sich einem neuen woken Menschen, der sich sozusagen auf der Höhe der Zeit befindet, zumindest vorzustellen, handelt es sich um den erstrebenswerten Wunsch nach einer moralischen Verbesserung sowohl des Einzelnen als auch der Gesellschaft.

Diesem Wunsch nach einer besseren Welt dürfte wohl kaum jemand ernsthaft widersprechen wollen. Insoweit dürfte wohl auch kein Zweifel daran bestehen, dass die moralischen Ziele des „woken Zeitgeistes von heute zumindest in der Theorie gut und richtig sind, denn jeder sollte zustimmen können, dass in einer modernen Gesellschaft ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, körperliche Verfassung oder soziale Herkunft keinen Einfluss auf das Schicksal einer Person haben sollten.

Deshalb dürfte es sich um einen Fehler handeln, die oben unvollständig aufgeführten moralischen Werte nicht ernst nehmen zu wollen und ein noch größerer Fehler dürfte es sein, sie durch Werte aus der Vergangenheit zu ersetzen.

Warum das nicht sinnvoll ist, darauf hat Hanno Sauer in seinem Buch „Moral - Die Erfindung von Gut und Böse“, eine durchaus überzeugende Antwort gefunden:

Hanno Sauer: Diejenigen, die Wokeness und Political Correctness rundheraus ablehnen, machen den komplementären Fehler.

Das Grundparadox der Anti-Wokeness ist nämlich, dass sie diejenigen als Feinde der westlichen Zivilisation betrachten, die auf der vollständigen und lückenlosen Umsetzung genau der Werte und Normen beharren, die jene Zivilisation ausmachen.

Es besteht ja kein Zweifel darüber, dass die moralischen Ziele inklusiver Bewegungen gut und richtig sind. Jeder sollte zustimmen, dass in einer modernen Gesellschaft ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, körperliche Verfassung oder soziale Herkunft keinen Einfluss auf das Schicksal von Personen haben sollten. Uneinigkeit besteht nur über die Mittel, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen. Hier gibt es ein enormes, bis dato nicht verwirklichtes Versöhnungspotenzial der Vernünftigen  [En15].

Deshalb: Wenn wir ehrlich zueinander sind, dann bestehen weitgehende Übereinstimmung darüber, dass Menschenrechte, und um nichts anderes handelt es sich bei den oben aufgelisteten Werten, zu schützen sind.

Uneinigkeit besteht nur im Hinblick auf die Mittel, die eingesetzt werden, um einen „neuen zeitgemäßen Menschen entstehen zu lassen“. Auch hier gilt, dass die Auseinandersetzung mit der Frage, welche Mittel eingesetzt werden sollen „mehr Menschlichkeit einzufordern“ hinnehmbare Grenzen überschreitet.

Anders ausgedrückt: Auch Political Correctness – also das, was den woken Zeitgeist mit Leben füllt, kann überzogen werden und, wenn das geschieht, Kräfte in Gang gesetzt werden, die aller Voraussicht nach zumindest die heute gelebte Wokeness zerstören werden.

08 Verfall der ideologiegesteuerten Wokeness

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Wer glaubt denn heute noch dem woken Zeitgeist? Diese Frage wird zumindest in konservativen Kreisen immer häufiger gestellt. Oder, anders ausgedrückt: Intelligent ist es, seine eigenen Grenzen zu kennen. Die aber werden überschritten, wenn ideologisierte Wokeness sozusagen zur Ersatzreligion wird.

Das dürfte bereits dann der Fall sein, wenn Menschen nicht mehr ihrem Verstand, ihren Augen oder ihren Ohren glauben dürfen.

Das aber ist der Fall, wenn:

  • Ein offensichtlicher Mann als eine Frau anzusehen ist

  • Als Wahrheit bezeichnet wird, dass biologische Geschlechter keine Rolle spielen und die Wissenschaft bewiesen hat, dass es einige Dutzend Geschlechter gibt

  • Personen zu Nazis erklärt werden dürfen, die behaupten, dass unsere Städte unsicherer geworden sind.

  • Behauptet wird, dass der millionenfache Zuzug von Asylanten und Migranten nichts mit der Wohnungsnot zu tun habe.

  • Gelddrucken nicht zur Inflation führt.

  • Es sich bei den Sondervermögen um Guthaben und nicht um Schulden handelt.

  • Grenzen nicht zu sichern und Nationalstaaten böse sind, die das tun.

  • Wissenschaft nur das sein kann, was der woken Ideologie entspricht.

  • Meinungsfreiheit nur für bestimmte Meinungen gilt.

  • Kulturellen Unterschiede nur als soziale Konstrukte anzusehen sind.

  • Es einer neuen Sprache bedarf, obwohl das Gendern mehrheitlich abgelehnt wird, zum Stottern führt und amtliche Formulare für Menschen mit Migrationshintergrund, die der deutschen Sprache nicht so mächtig sind, dadurch immer unverständlicher werden.

  • Es anlässlich der gerade in Paris beendeten Olympischen Spiele (August 2024) von Moderatoren, die den Kanusport kommentierten, erwartet wurde, nicht mehr die politisch unkorrekten „Eskimorolle“ zu verwenden, sondern dieses „Kunststück“ nur noch als „Grönland-Rolle“ oder „Kenter-Rolle“ zu bezeichnen.

  • Es trotz eines vier Jahre dauernden Rechtsstreites immer noch nicht abschließend geklärt ist, ob die Mohrenstraße in Berlin in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umbenannt werden muss, einem aus Westafrika stammenden Gelehrten im 18. Jahrhundert in Berlin.
    Auf
    Tagesspiegel.de vom 19.6.2024 heißt es dazu: Fast vier Jahre nach dem Beschluss: Umbenennung der Mohrenstraße in Berlin-Mitte verzögert sich weiter. Die Mohrenstraße soll künftig Anton-Wilhelm-Amo-Straße heißen. Doch das Bezirksamt Mitte wartet weiterhin auf das Oberverwaltungsgericht [En16].

Die Reihe solcher Realsatiren ließe sich über viele Seiten vervollständigen. Wichtiger als solche Umbenennungen dürften sicherlich die nachfolgend aufgeführten durchaus fragwürdigen Überzeugungen des woken Zeitgeistes sein:

  • Wirtschaftlicher Erfolg basiert immer auf Privilegien und nicht auf harter Arbeit.

  • Ausbildung und Berufserfahrung sind fürs Regieren unwichtig.

  • Kinder müssen selbst entscheiden können, welches Geschlecht sie haben.

  • Es gibt keine objektiven Maßstäbe für Kunst und Schönheit mehr.

  • Die Geschichte mus umgeschrieben werden, um sie der woken Wahrheit gefügig zu machen.

  • Hass und Hetze dürfen mit den gleichen Mitteln erwidert werden.

  • Offenheit und Toleranz sind mundtot zu machen ist, wenn sie mit woken Überzeugungen nicht übereinstimmt.

  • Rassismus ist nur ein Problem der Weißen.

  • Andersdenkende dürfen als Nazis und als Faschisten bezeichnet werden, wenn sie dem woken Zeitgeist nicht entsprechen

Auch diese Auflistung ließe sich erweitern, zumindest um den Regenbogen-Hype von heute. Was diesen Hype anbelangt, bei dem es sich nach der hier vertretenen Sicht der Dinge nur um ein „current thing“, also eine aktuelle und vorübergehende Angelegenheit handelt. Und wenn Hype sich ausgelebt hat, wie viele andere in der zeit davor,  dann wird ein anderer Hype an seine Stelle treten, denn nur ein kurzer Blick in die Milieus, die nicht die veröffentlichte Meinung bestimmen, aber in Vereinen, im Dorf, im Stadtviertel oder im Freundes- und Verwandtenkreis über das wohl „anscheinend wichtigste zu lösende Zeitproblem“ nur noch den Kopf schütteln können,  werden sich wohl auf Dauer gesehen durchsetzen.

Übrigens: Nur weil an einem Amtsgebäude oder vor einer Schule eine angeordnete Regenbogenfahne gehisst wird, heißt das nicht, dass die betreffenden Bürger vor Ort auch dahinterstehen.

09 Die Erklärung Dignitas infinita von Papst Franziskus

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Im März 2024 hat sich auch Papst Franziskus zur „Gender-Problematik“ in seiner „Erklärung Dignitas infinita – über die menschliche Würde“ geäußert und sich wie folgt positioniert:

Papst Franziskus:
55. Die Kirche möchte vor allem „bekräftigen, dass jeder Mensch, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, in seiner Würde geachtet und mit Respekt aufgenommen werden soll und sorgsam zu vermeiden ist, ihn ‚in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen‘ oder ihm gar mit Aggression und Gewalt zu begegnen“. Aus diesem Grund muss es als Verstoß gegen die Menschenwürde angeprangert werden, dass mancherorts nicht wenige Menschen allein aufgrund ihrer sexuellen Orientierung inhaftiert, gefoltert und sogar des Lebens beraubt werden.

56. Gleichzeitig hebt die Kirche entscheidende Kritikpunkte in der Gender-Theorie hervor. In diesem Zusammenhang erinnerte Papst Franziskus daran, dass „[d]er Weg des Friedens […] die Achtung der Menschenrechte [erfordert], wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, deren 75-jähriges Bestehen wir kürzlich gefeiert haben, einfach und klar formuliert sind. Es handelt sich dabei um rational einleuchtende und allgemein anerkannte Grundsätze. Leider haben die Versuche der letzten Jahrzehnte, neue Rechte einzuführen, die nicht ganz mit den ursprünglich definierten übereinstimmen und nicht immer akzeptabel sind, zu ideologischen Kolonisierungen geführt, unter denen die Gender-Theorie eine zentrale Rolle spielt, die sehr gefährlich ist, weil sie mit ihrem Anspruch, alle gleich zu machen, die Unterschiede auslöscht“.

57. Im Hinblick auf die Gender-Theorie, über deren wissenschaftliche Konsistenz in der Fachwelt viel diskutiert wird, erinnert die Kirche daran, dass das menschliche Leben in all seinen Bestandteilen, körperlich und geistig, ein Geschenk Gottes ist, von dem gilt, dass es mit Dankbarkeit angenommen und in den Dienst des Guten gestellt wird. Über sich selbst verfügen zu wollen, wie es die Gender-Theorie vorschreibt, bedeutet ungeachtet dieser grundlegenden Wahrheit des menschlichen Lebens als Gabe nichts anderes, als der uralten Versuchung des Menschen nachzugeben, sich selbst zu Gott zu machen und in Konkurrenz zu dem wahren Gott der Liebe zu treten, den uns das Evangelium offenbart.

58. Ein zweiter Punkt der Gender-Theorie ist, dass sie versucht, den größtmöglichen Unterschied zwischen Lebewesen zu leugnen: den der Geschlechter. Dieser fundamentale Unterschied ist nicht nur der größtmöglich vorstellbare, sondern auch der schönste und mächtigste: Er bewirkt im Paar von Mann und Frau die bewundernswerteste Gegenseitigkeit und ist somit die Quelle jenes Wunders, das uns immer wieder in Erstaunen versetzt, nämlich die Ankunft neuer menschlicher Wesen in der Welt.

59. In diesem Sinne ist der Respekt vor dem eigenen Leib und dem der anderen angesichts der Ausbreitung und des Anspruchs auf neue Rechte, die von der Gender-Theorie propagiert werden, wesentlich. Diese Ideologie „stellt eine Gesellschaft ohne Geschlechterdifferenz in Aussicht und höhlt die anthropologische Grundlage der Familie aus.“ Es ist daher inakzeptabel, „dass einige Ideologien dieser Art, die behaupten, gewissen und manchmal verständlichen Wünschen zu entsprechen, versuchen, sich als einzige Denkweise durchzusetzen und sogar die Erziehung der Kinder zu bestimmen. Man darf nicht ignorieren, dass ,das biologische Geschlecht (sex) und die soziokulturelle Rolle des Geschlechts (gender) unterschieden, aber nicht getrennt werden [können]‘.“ Deshalb sind alle Versuche abzulehnen, die den Hinweis auf den unaufhebbaren Geschlechtsunterschied zwischen Mann und Frau verschleiern: „[M]an [kann] das, was männlich und weiblich ist, nicht von dem Schöpfungswerk Gottes trennen […], das vor allen unseren Entscheidungen und Erfahrungen besteht und wo es biologische Elemente gibt, die man unmöglich ignorieren kann“. Nur wenn jede menschliche Person diesen Unterschied in Wechselseitigkeit erkennen und akzeptieren kann, wird sie fähig, sich selbst, ihre Würde und ihre Identität voll zu entdecken.

Geschlechtsumwandlung

60. Die Würde des Leibes kann nicht als geringer angesehen werden als die der Person als solcher. Der Katechismus der katholischen Kirche fordert uns ausdrücklich auf, anzuerkennen, dass „[d]er Leib des Menschen […] an der Würde des Seins ,nach dem Bilde Gottes‘ teil[hat]“. An diese Wahrheit gilt es besonders bezüglich der Frage der Geschlechtsumwandlung zu erinnern. Der Mensch besteht untrennbar aus Leib und Seele, und der Leib ist der lebendige Ort, an dem sich das Innere der Seele entfaltet und manifestiert, auch durch das Netz menschlicher Beziehungen. Seele und Leib, die das Wesen der Person ausmachen, haben somit Anteil an der Würde, die jeden Menschen kennzeichnet. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der menschliche Leib insofern an der Würde der Person teilhat, als er mit persönlichen Bedeutungen ausgestattet ist, insbesondere in seiner geschlechtlichen Beschaffenheit. Denn im Leib erkennt sich jeder Mensch als von anderen gezeugt, und es ist durch ihren Leib, dass Mann und Frau eine Liebesbeziehung aufbauen können, die wiederum fähig ist, andere Personen zu zeugen. Über Notwendigkeit der Achtung der natürlichen Ordnung der menschlichen Person, lehrt Papst Franziskus: „Die Schöpfung geht uns voraus und muss als Geschenk empfangen werden. Zugleich sind wir berufen, unser Menschsein zu behüten, und das bedeutet vor allem, es so zu akzeptieren und zu respektieren, wie es erschaffen worden ist“. Daraus folgt, dass jeder geschlechtsverändernde Eingriff in der Regel die Gefahr birgt, die einzigartige Würde zu bedrohen, die ein Mensch vom Moment der Empfängnis an besitzt. Damit soll nicht ausgeschlossen werden, dass eine Person mit bereits bei der Geburt vorhandenen oder sich später entwickelnden genitalen Anomalien sich für eine medizinische Behandlung zur Behebung dieser Anomalien entscheiden kann. In diesem Fall würde die Operation keine Geschlechtsumwandlung in dem hier beabsichtigten Sinne darstellen.

Erklärung Dignitas infinita – über die menschliche Würde

Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Sicht der Dinge aus der Perspektive der Regenbogen-Kultur dem rechten Spektrum zuzuordnen ist, und deshalb - aus Sicht des woken Zeitgeistes - als eine Gefahr für eine aufgeklärte Demokratie anzusehen ist.

10 Was ist wirklich woke? – Das Recht auf Empörung.

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Zweifelsohne: Es gibt ein Recht auf Empörung, Aufstand und Erregung, überall dort, wo Rechte gewaltsam infrage gestellt oder gar bedroht werden.

In einer lesenswerten Kolumne, die am 7.5.2023 auf Profil.at publiziert wurde, heißt es dazu:

Profil.at: Dann gilt: „Kein Pardon für die Abergläubischen, die Fanatiker, die Unwissenden, die Toren, die Bösen und die Tyrannen“, wie es der französische Aufklärer Denis Diderot zur Mitte des 18. Jahrhunderts an seinen Kumpel Voltaire schrieb. Dann müssen die Fetzen fliegen für die Freiheit, gegen die Dummheit, gegen die Einschränkung, gegen die, denen alles wurscht ist.

Woke heißt nicht: „Ich will nicht, dass du mir widersprichst, sonst schreie ich hier so lange rum, bis du nachgibst.“ Woke heißt wachsam, aufmerksam. Falsche Wokeness hingegen ist kindisch, unduldsam, empört sich, damit die anderen zuhören, löst aber kein Problem. Echter Streit hält was aus, auch Falsches, und arbeitet an Problemlösungen.

Das müssen wir lernen: uns gegenseitig aushalten, auch wenn es manchmal wehtut. Weil das Gegenteil davon unerträglich ist: Unterwerfung und Friedhofsruhe. Es gibt vieles, für das wir streiten müssen. Krempelt schon mal die Ärmel hoch. Wir brauchen noch mehr Unruhestifterinnen und Ruhestörer. Dann, vielleicht, wird das mit dem echten Frieden und der wirklichen Demokratie auch noch was [En17].

Zur Empörung und zum Widerstand rief bereits 2010 Stéphane Hessel (1917 bis 2013), ein französischer Diplomat, Lyriker, Essayist und politischer Aktivist auf, der in der französischen Résistance aktiv Widerstand leistete und sogar das KZ Buchenwald überlebt hatte, bevor er 1945 in den diplomatischen Dienst des französischen Außenministeriums eintrat. Sein 2010 erschienenes Essay „Empört Euch!“, in dem er scharfe Kritik an aktuellen politischen Entwicklungen übte und zum Widerstand aufrief, wurde allein in Frankreich innerhalb eines Jahres über zwei Millionen Exemplare verkauft und in mehr als 40 Sprachen übersetzt.

Mit eindringlichen Worten rief Stéphane Hessel zum friedlichen Widerstand gegen die Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft auf. Gegen die Diktatur des Finanzkapitalismus, gegen die Unterdrückung von Minderheiten, gegen die ökologische Zerstörung unseres Planeten.

In dem kurzen Essay "Empört Euch!", heißt es unter der Überschrift: "Das Schlimmste ist die Gleichgültigkeit", wie folgt:

Stéphane Hessel: Die Gründe, sich zu empören, sind heutzutage oft nicht so klar auszumachen - die Welt ist zu komplex geworden. Wer befiehlt, wer entscheidet? Es ist nicht immer leicht, zwischen all den Einflüssen zu unterscheiden, denen wir ausgesetzt sind. [...]. Ich sage den Junten: Wenn ihr sucht, werdet ihr finden. „Ohne mich“ ist das Schlimmste, was man sich und der Welt antun kann. Den „Ohne-mich“-Typen ist eines der absolut konstitutiven Merkmale des Menschen abhandengekommen: die Fähigkeit zur Empörung und damit zum Engagement (Seite 13).
Den jungen Menschen sage ich: Seht euch um, dann werdet ihr die Themen finden, für die Empörung sich lohnt - die Behandlung der Zuwanderer, der in die Illegalität Gestoßenen, der Sinti und Roma. Ihr werdet auf konkrete Situationen stoßen, die euch veranlassen, euch gemeinsam mit anderen zu engagieren. Suchet, und ihr werdet finden (Seite 15).

Gehört und gelesen haben Stéphane Hessel viele. Geändert hat sich aber weder an der Diktatur des Finanzkapitalismus, noch an der Unterdrückung von Minderheiten und auch an der fortschreitenden ökologischen Zerstörung so gut wie nichts.

In Österreich hat, wohl dieser Einsicht folglend, bereits die „Letzte Generation“ angekündigt, ihren Protest zu beenden, weil er wirkungslos ist, während in Deutschland immer noch Flughäfen durch festgeklebte Aktionisten sozusagen lahmgelegt werden und immer noch eine Vielzahl von Christopher Street Days organisiert und durch staatliche Mittel unterstützt wird, um eines der größten Menschheitsprobleme überhaupt beenden zu wollen: die Diskriminierung sexueller Minderheiten, obwohl sowohl der Staat als auch seine Organe alles unterlassen, was diesem Recht entgegensteht, siehe Artikel 3 Abs. 3 GG.

Artikel 3 Abs. 3 GG
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

11 CSD´s in Groß- und auch in Kleinstädten

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Die Häufigkeit der Christopher Street Days im Sommer 2024 lassen den Schluss zu, dass eine Bewegung, die sich selbst als Regenbogenbewegung bezeichnet, ihren Höhepunkt möglicherweise schon erreicht, sich vielleicht schon in einem Abwärtstrend befindet, dem durch noch mehr Fröhlichkeit und Partystimmung anlässlich einer Vielzahl von CSDs in Deutschland, zumindest Einhalt geboten werden soll.

Warum?

Vieles spricht dafür, dass sich viele das woke, globale und sexualisierte Weltbild einer Minderheit einfach nicht mehr "als eine erstrebenswerte gesamtgesellschaftliche Normalität" aufzwingen lassen wollen. Allein die Tatsache, das in Deutschland innerhalb kürzester Zeit in drei verschiedenen Großstädten, gemeint sind Berlin, Essen und Hamburg, Hunderttausende auf die Straße gehen, um anlässlich von Christopher Street Days für eine bunte Republik zu demonstrieren, mag zwar von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern als gelungene Happenings verstanden werden, was aber von der Mehrheit derjenigen, die nicht an solchen öffentlichen Parties teilgenommen, möglicherweise völlig andere Gefühle und auch Haltungen erzeugen. Wie dem auch immer sei.

CSD in München 23. Juni 2024: Eine bunte Parade für die Vielfalt Sueddeutsche.de vom 23. Juni 2024: Zum Christopher Street Day ziehen mehr als 200 Gruppen bei einer queeren Parade durch die Stadt.
An anderer Stelle heißt es:
Im vergangenen Jahr nahmen nach Angaben des Veranstalters mehr als 500 000 Menschen an der Münchner Parade teil, die als größte Demonstration von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Transgender, Nonbinären und allen, die sich solidarisch zeigen wollen, im süddeutschen Raum gilt
[En18].

CSD Berlin 27. Juli 2024: Nur gemeinsam stark – Für Demokratie und Vielfalt. Bei der CSD-Demo in Berlin gehen Menschen für die Rechte von Schwulen, Lesben, Transsexuellen und Transgendern, Inter- und Bisexuellen auf die Straße [En19].

CSD Essen 3. August 2024: Für Vielfalt und Toleranz: Der größte Christopher Street Day (CSD), der RuhrPride in Essen, zieht am kommenden Samstag, 3. August 2024, los. Das Motto lautet in diesem Jahr „Gemeinsam bunt. Liebe ohne Grenzen!“ [En20]

CSD Hamburg 3.8.2024: Zehntausende feiern beim Christopher Street Day in Hamburg: Das diesjährige Motto für den Hamburger CSD lautet „5 vor 12! Du & ich gegen Rechtsdruck“. Dies komme nicht von ungefähr, sagte Hamburgs zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne), die mit demonstrierte: „Wir merken natürlich, dass der Wind, etwas rauher wird, in Europa, aber auch bei uns.“ Es gebe ein Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen, denen es ein Dorn im Auge sei, dass alle frei, gleich und selbstbestimmt lebten und die Rechte für queere Menschen wieder beschneiden und zurückdrehen wollten [En21].

Im Hamburger Abendblatt vom 3.8.2024 heißt es: CSD: 250.000 Menschen setzen buntes Zeichen gegen Rechts. Beim 44. Hamburg
Pride geht es laut, bunt und politisch zu. Mehr Menschen dabei als im Jahr zuvor [En22].

Die Liste der CSDs ließe sich verlängern, denn auf der Website des CSD Deutschland eV kann ein Kalender aufgerufen werden, der Auskunft darüber gibt, wann und in welchen Orten CSDs stattfinden werden.

Auch das Grußwort der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) zur Eröffnung der Pride-Saison 2024 macht deutlich, welch einen Stellenwert die Regenbogenkultur heute bereits einnimmt.

Grußwort von Lisa Paus zum Start der Pride-Saison

Zu dieser Sicht der Wirklichkeit mag so gar nicht die Sichtweise der Stadt Dresden passen, in der die Verantwortlichen planen, Christopher Street Days nicht mehr als Versammlungen, sondern als Veranstaltungen zu behandeln. Das aber hätte enorme Folgen auch für CSDs in anderen Städten.

Warum?

TAZ.de vom 6.10.2023: Seit 30 Jahren wird der Christopher Street Day in Dresden mit einem dreitägigen Straßenfest gefeiert, das traditionell mit einer großen Demonstration durch die Landeshauptstadt endet. Die Dresdner Versammlungsbehörde will dem Straßenfest nun den Status als Versammlung aberkennen und es als Veranstaltung einstufen.

Das Fest sei mehr Party als politische Versammlung, so die Meinung der Behörde.

Verliert das CSD-Fest den Versammlungsstatus, müssten die Organisatoren künftig rund 15.000 bis 20.000 Euro für die Straßensperrungen in der Dresdner Innenstadt bezahlen. Bei Versammlungen übernimmt die Stadt die Kosten.

An anderer Stelle heißt es:

Für ihn [gemeint ist Oliver Strotzer, Vorsitzender der SPDqueer Sachsen] sei die Dresdner Versammlungsbehörde eine „Gefahr für unsere Demokratie“. Strotzer forderte die für die Behörde zuständige Ordnungsbürgermeisterin Eva Jähnigen (Grüne) dazu auf, den Vorgang „gründlich“ aufzuklären und mit den Verantwortlichen zu sprechen. Es könne nicht sein, dass „die eigene Gesinnung“ darüber entscheide, welche Veranstaltungen als Versammlungen eingestuft würden und welche nicht.

Auch Robert Malorny von der Dresdner FDP-Fraktion versteht nicht, wie man auf die Idee kommen kann, dass es sich beim CSD-Straßenfest nicht um eine politische Versammlung handeln könnte. „Die Versammlungsbehörde hat sich mit ihrer Einschätzung von der offensichtlichen Realität verabschiedet und behindert mit den drohenden hohen Kosten wichtiges bürgerschaftliches Engagement in Dresden“, sagte er.

Das Vorhaben der Versammlungsbehörde sei „ein Schlag ins Gesicht“ für alle politischen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen, die sich für die Rechte der queeren Community in Dresden einsetzten, teilte die stellvertretende Vorsitzende der Dresdner SPD Julia Hartl mit. „In einer Stadt, in der regelmäßig Rechten und Nazis der rote Teppich ausgerollt und die besten Plätze der Stadt zur Verfügung gestellt werden, kann es nicht sein, dass nun ausgerechnet eine grüne Bürgermeisterin versucht, dem CSD den Charakter einer Versammlung abzuerkennen“, sagte Hartl. Entweder habe Jähnigen ihren Geschäftsbereich nicht im Griff oder sie lege dem CSD „willentlich Steine in den Weg“ [En23].

Dabei ist die Sicht der Versammlungsbehörde in Dresden aus rechtlicher Sicht durchaus berechtigt, denn das Versammlungsrecht greift nicht anlässlich von Veranstaltungen ohne demonstrative kollektive Kundgabe,  wie das zum Beispiel bei Karnevalsumzügen, Volksmärschen, Wandergruppen, Prozessionen etc. der Fall ist.

Im Übrigen können Karnevalsumzüge durchaus politisch sein, zumal dort oftmals auf karnevalistische Art und Weise politische Missstände visualisiert bzw. modelliert werden, die zumindest nach der hier vertretenen Auffassung, mehr Protest enthalten, als eine CSD-Party auf öffentlichen Straßen.

Sogar das Bundesverfassungsgericht hat es abgelehnt, die Großveranstaltungen wie die „Love Parade“ und die „Fuck Parade“ als Versammlungen anzuerkennen, denn beide Anträge wurden nicht zur Entscheidung angenommen.

Warum?

Juracademy.de vom 28.6.2013: Uneinig ist sich das Bundesverfassungsgerichts mit dem Großteil der rechtswissenschaftlichen Literatur, was unter einer Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG zu verstehen ist. Dabei steht in Streit, ob die Versammlungsteilnehmer eine gemeinsame Meinungsbildung bezwecken müssen und ob es sich bei der angestrebten Meinungsbildung um die Diskussion von öffentlichen Angelegenheiten handeln muss. Das letzte Kriterium wird insbesondere von den Vertretern des sog. „engen Versammlungsbegriffs“ gefordert.

Das Bundesverfassungsgerichts musste sich deshalb in den Beschlüssen 1 BvQ 28/01 und 1 BvQ 30/01 vom 12.7.2001 mit der Frage auseinandersetzen, ob die Musikveranstaltungen „Love Parade“ und „Fuck Parade“ eine Versammlung nach Art. 8 Abs. 1 GG darstellen würden.

An anderer Stelle:

Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Wesentlichen dem „engen Versammlungsbegriff“ angeschlossen.

Es führt aus, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, den Begriff der Versammlung auf Veranstaltungen zu begrenzen, die durch eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen gekennzeichnet sind. Die Versammlungsfreiheit erhielte seine besondere verfassungsrechtliche Bedeutung in der freiheitlichen demokratischen Ordnung des Grundgesetzes wegen des Bezugs auf den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung.

Hier klingt die bereits erwähnte Komplementärfunktion mit der Meinungsfreiheit deutlich durch.

Nach dem Bundesverfassungsgericht sind demnach Versammlungen örtliche Zusammenkünft mehrerer Personen zwecks gemeinschaftlicher Erörterung und Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung.

Im Ergebnis lehnt das Gericht damit den versammlungsrechtlichen Schutz der beiden oben genannten Veranstaltungen ab [En24].

BVerfG, Beschluss vom 12.07.2001 - 1 BvQ 28/01
BVerfG, Beschluss vom 12.07.2001 - 1
BvQ 28/01

Wie dem auch immer sei: In Anlehnung an die beiden oben genannten Beschlüsse der Richter des Bundesverfassungsgerichts ist es aus rechtlicher Sicht eigentlich geboten, nicht jede Party, die ein politisches Motto zusammengeführt hat, zum Beispiel "Gegen Rechts" als eine Versammlung anzusehen, wenn der Zweck des Partyfeierns offensichtlich für jedermann erkennbar überwiegt.

Dennoch: Auf Wokeness kann und darf nicht verzichtet werden. Dann aber muss Wokeness als eine Sprachfigur verstanden werden, die ihrer Wortbedeutung tatsächlich als Aufforderung verstanden haben will, sich der Notwendigkeit bewusst zu werden, nach mehr Wissen, Verständnis und Wahrheit zu suchen, um nicht nur Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, die eine kleine Minderheit der Weltbevölkerung für sich reklamiert, deren Rechte zu schützen, zumindest ist das in Deutschland so, im Grundgesetz bereits verankert sind.

Um nicht missverstanden zu werden: Wenn hier von einer Minderheit gesprochen wird, deren Schutz das Grundgesetz bereits garantiert, dann sind damit gut 9 Prozent der Bevölkerung in den 30 Ländern gemeint, in denen die IPSON-Studie zum Thema „ Sexuelle Orientierung und Genreidentität“ erstellt wurde, in der es heißt:

Der kleinste Teil der Bevölkerung wurde als LGBT+-Mitglied eingestuft und liegt heutge bei 9 %.

IPSON-Studie: Die Stichprobe besteht aus jeweils etwa 1.000 Personen in Australien, Brasilien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien, Japan, Mexiko, Neuseeland, Singapur, Südkorea, Spanien, Thailand und den USA sowie jeweils über 500 Personen Argentinien, Belgien, Chile, Kolumbien, Ungarn, die Republik Irland, die Niederlande, Peru, Polen, Rumänien, Südafrika, Schweden, die Schweiz und die Türkei [En25].

Nicht befragt wurden die 146.142.959 in Russland lebende Menschen und auch nicht die 1.419.000.000 in China lebenden Menschen.

In Deutschland aber, so kann es auf der Website des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) entnommen werden, heißt es unter anderem:

LSVD: Elf Prozent der Deutschen identifizieren sich als LGBT+ Mehr als jede:r zehnte Deutsche (11%) definiert sich selbst als Teil der LGBT+-Community. Davon fühlen sich drei Prozent zum selben Geschlecht hingezogen, weitere vier Prozent sind laut eigener Aussage bisexuell [En26].

Statista.com: Der über den folgenden Link aufzurufenden Grafik auf Statista.com kann jedoch entnommen werden, dass in allen in Betracht kommenden Gruppenidentitäten die überwältigende Mehrheit der Befragten als heterosexuell anzusehen ist.

Grafik auf Statista.com 

Weitere Informationen darüber, wer sich in Deutschland als LGBTQA+ identifiziert, stehen auf Statista.com zur Verfügung  [En27].

Es liegt aber in der Natur der Mehrheit, es sich auf Dauer nicht gefallen zu lassen, sich einer Lebensart von Minderheiten anpassen zu sollen, deren Verständnis von Lebensführung von dieser Minderheit als der einzig richtige Weg zum richtigen Leben angesehen wird, obwohl der nicht der Lebensführung einer überwältigenden Mehrheit entspricht. Im Deutschland von heute muss sich aber dieser "nicht queere Teil der Bevölkerung" sagen lassen, dass sein Denken zumindest rechtslastig, wenn nicht gar rechts, möglicherweise sogar rechtsradikal ist, wenn eine zu viel gezeigte sexuelle Freiheit auf öffentlichen Straßen eher abstößt, als anzieht.

Fazit: Auch wenn Vielfalt und Weltoffenheit die Kernmotive der „Regenbogen-Kultur“ sind (Andreas Rödder), wird sie dann zu einem gesellschaftlichen Problem, wenn sie sich von der Realität löst. In einem Interview, das Andreas Rödder 2018 mit dem Roman Herzog Institut führte, heißt es unter anderem:

Andreas Rödder: Diversität und Antidiskriminierung, Gleichstellung und Inklusion sind zu einer neuen Leitkultur geworden, die ich die »Kultur des Regenbogens« nenne. Sie hat große Emanzipationsgewinne gebracht, für die Selbstbestimmung von Frauen, für Homosexuelle oder für Menschen, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen können.

Auf der anderen Seite schafft jede Inklusion, so hat der Soziologe Talcott Parsons schon in den 1950er Jahren festgestellt, immer auch neue Exklusion.

Während beispielsweise ein Homosexueller heute sehr viel freier lebt als vor 30 Jahren, muss sich eine Vollzeitmutter heute von der ehemaligen Bundesfamilienministerin Schwesig sagen lassen, sie finde ihren Lebensentwurf problematisch.

Das wiederum halte ich für problematisch.

Meine wichtigste historische Erfahrung ist: Eine Idee wird immer dann schädlich, wenn sie sich von den Realitäten löst. Und die ideologische Übersteigerung der Kultur des Regenbogens ist meiner Meinung nach mitverantwortlich für Gegenbewegungen, die sich nicht zuletzt in den populistischen Bewegungen niederschlagen. Die Lösung liegt in gegenseitigem Respekt, gegenseitiger Toleranz und der Bereitschaft zur offenen Debatte – auf allen Seiten.

Das 4 Seiten umfassende lesenswerte Interview kann über den folgenden Link eingesehen werden.

Interview mit Andreas Rödder
Werte – und was sie uns wert sind

Wie dem auch immer sei: In jeder Gesellschaft gibt es zu Unrecht Benachteiligte und zu Unrecht Bevorzugte. Es bleibt insoweit eine der zentralen Anstrengungen demokratischer Staaten, solche sozialen Ungerechtigkeiten abzubauen bzw. aufzulösen. Aber ... sobald dieser Versuch unternommen wird, wird es auch immer Fälle geben, in denen diese Anstrengungen von den davon betroffenen marginalisierten Gruppen ausgenutzt werden. Das ist der Fall, wenn zum Beispiel die Mitglieder marginalisierter Gruppen eine besondere Förderung durch den Staat erhalten sowie eine besondere Aufmerksamkeit nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in den Medien für sich in Anspruch nehmen. Im Hinblick auf die vielen Christopher Street Days, die es jährlich in Deutschland gibt, heißt es im Schlusssatz des Grußwortes zur Christopher-Street-Day-Saison 2024 von Elisabeth Paus (Bündnis 90/Die Grünen) wie folgt:
Ich sage ganz klar, die Akzeptant sexueller und geschlechtlicher Vielfalt ist für eine demokratische Gesellschaft unabdingbar. Für diese Botschaft ist jeder CSD in diesem Land wichtig.
Und was die Landesregierung NRW betrifft? Das Land NRW fördert das Engagement von CSD-Vereinen mit einem Beitrag von bis zu 5000€ pro Verein. Damit wird eine jahrelange Forderung queerer Communities verwirklicht und essenzielles Engagement für Sichtbarkeit und Akzeptanz endlich abgesichert!
Auf der Website der Landesregierung heißt es:
Land.NRW.de vom 18.04.2023: Die Landesregierung NRW fördert Christopher-Street-Days mit insgesamt 145.000 Euro jährlich.Familienministerin Josefine Paul: Setzen klares Zeichen für Demokratie und gegen Diskriminierung.

Link zur Quelle

Im Gegensatz dazu erhalten in NRW die Tafeln für notleidende Menschen eine geringere Förderung.

Hinsichtlich der Förderung von Tafeln in NRW heißt es am 03.05.2024 in einem Artikel der Rheinischen Post wie folgt:

RP-online.de vom 03.08.2004: „Ankerpunkte für ehrenamtliches Engagement“ Land NRW fördert Tafeln mit 1,4 Millionen Euro. Die rund 170 Tafeln in NRW stehen aufgrund steigender Kundenzahlen, gestiegener Energiekosten und sinkender Lebensmittelspenden vor großen Herausforderungen. Deshalb fördert das Land die Einrichtungen mit einer Finanzspritze.
Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt die Tafeln erneut und stellt ihnen 1,4 Millionen Euro zur Verfügung. Mit der Förderung könnten sie 2024 einen Teil ihrer Betriebsausgaben decken, erklärte das NRW-Sozialministerium am Freitag in Düsseldorf.

Link zur Quelle

Dass solch eine Bevorzugung marginalisierter Gruppen in einer Gesellschaft Probleme schaffen kann, ist zwischenzeitlich deutlich und unübersehbar an der "Gegenbewegung" erkennbar geworden, die vom woken Zeitgeist schlicht und ergreifend als "Rechts" bezeichnet wird, ergänzt um die Vokabeln Nazis, Faschisten und Extremisten, wenn solch ein diskriminierender Sprachgebrauch geboten erscheint, den eigenen Interessen zu nutzen.

12 Die Herrschaft der Vernunft – gibt es die überhaupt?

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Wenn es solch ein Zeitalter überhaupt jemals geben wird, dann kann damit nur eine entfernte Zukunft gemeint sein, denn anzunehmen, dass bereits heute die Vernunft das gesellschaftliche Leben dominiert, klingt nicht nur wie eine Fake News, solch eine Vorstellung ist nichts anderes als ein Märchen, denn nicht die Vernunft, sondern das Geld und die Interessen der Mächtigen regieren die Welt.

Dabei ist es für diese Elite von Vorteil, wenn sich das „Volk“ für die Interessen von Minderheiten einsetzt, weil so die wirklich bedeutsamen gesellschaftlichen Probleme, von denen ja alle, also auch Minderheiten betroffen sind, sozusagen verdrängt werden, ganz einfach, weil „Spaß, Spiel und Party“ sich bestens dazu eignen, alles so belassen zu können, wie es ist.

Das aber trifft nicht den Zeitgeist von heute.

Warum?

Paul Hazard hat, was die Zeit der Aufklärung anbelangt, eine passende Antwort gefunden, die dieser bewegten Zeit innewohnte.

Paul Hazard: In gewissen Augenblicken fühlt sich der zivilisierte Mensch seiner selbst überdrüssig. Er möchte die Bürde abwerfen, die seine Schultern drückt und die er sich nicht selber aufgeladen hat; der Kraftaufwand von Tausenden von Jahren, die Verfeinerung, die Kompliziertheit ergeben zusammen eine Last, die ihm unerträglich wird; er ist nur noch das Ergebnis von etwas unendlich Künstlichem. Sein Leben ist angenehm; aber es kommt ihm unecht vor; oder diese Annehmlichkeit ist ihm zuwider, und er nennt sie Verweichlichung. Er strebt nach Einfachheit; es würde ihm nicht missfallen, wenn seine verzärtelten Gewohnheiten gewaltsam gestört würden, wenn er auf dem nackten Boden schlafen und schwarze Suppe essen müsste. Wo sind die lebendigen Wasser, die ihn reinigen können? Der Mensch des 18. Jahrhunderts hat dies Gefühl kennengelernt, was wie so viele andere in wechselnden Wellenstößen kommt und geht [En28].

Heute scheint die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland sozusagen wieder am Überdruss zu ersticken. Während solch ein „Überdruss“, in Anlehnung an Paul Hazard, in der Zeit der Aufklärung weniger ein Zeichen für den gesellschaftlichen Verfall, sondern eher als eine Aufforderung verstanden wurde, die gesellschaftliche Wirklichkeit sozusagen vom Kopf auf die Füße zu stellen, sie einfach selbständiger, wirklichkeitsnaher und fortschrittlicher zu machen, führt der Überdruss von heute eher zum gesellschaftlichen Verfall.

Anders ausgedrückt: Wenn die Aufforderung von Immanuel Kant konsequent befolgt worden wäre, die eigene Unmündigkeit aufzugeben und den Verstand zu gebrauchen, dann hätte der Fortschritt der folgenden gut 250 Jahre bis heute einen anderen Fortschritt Wirklichkeit werden lassen als den, von dem wir heute wissen, dass es so nicht weitergehen kann.

Nur zur Erinnerung:

Immanuel Kant 1784: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!, ist also der Wahlspruch der Aufklärung [En29].

Daraus lässt sich schließen, dass der Mensch keiner Autorität blind gehorchen darf, diese vielmehr abzulehnen hat, wenn mit bloßer Macht oder, wie das heute üblich ist, mit dem Anspruch der Alternativlosigkeit regiert wird, weil man meint, im Besitz der Wahrheit zu sein.

Da sich die negativen Folgen des Wirksamwerdens der oben nur angedeuteten Alternativlosigkeit heute zeigen, liegt es nicht nur im Interesse der wirtschaftlichen, sondern auch der politischen Elite, dafür zu sorgen, dass die Menschen ihr Glück im Konsum, in Parties und natürlich durch ihre Zugehörigkeit zu Identitäten zusammenführende Organisationen finden, denn je diverser das Spektrum von Identitäten ist, um so einfacher dürfte es sein, zu verhindern, dass sich Mehrheiten finden, die sowohl den politischen als auch den wirtschaftlichen Eliten gefährlich werden können.

Anders ausgedrückt: Glück scheint heute das Vermögen zu sein, sich unter der Fahne des Regenbogens miteinander verbunden zu fühlen. Je bunter eine Gesellschaft ist, um so glücklicher hat sie zu sein, so zumindest die Vorstellung einer unter dem Regenbogen vereinigten Welt.

Dieses Glück unterscheidet sich wesentlich von den "Glücksvorstellungen" der Zeit der Aufklärung.

13 Glück – Das Ideal der Aufklärung

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Ziel der Aufklärung war es zuerst einmal, das Glück eines jeden Menschen im Hier und im Jetzt, also auf Erden, und nicht im Jenseits zu suchen. Dafür wurde es erforderlich, den Geltungsanspruch des Christentums nicht nur in Frage zu stellen, sondern darüber hinausgehend die Grundmauern eines Idealstaates, der kein Gottesstaat mehr sein durfte zu beseitigen, um an seiner Stelle den „Staat des Menschen“ nicht nur zu beschreiben, sondern auch Wirklichkeit werden zu lassen.

Bekanntermaßen führt aber jede Suche nach Vollkommenheit, und das unterscheidet die Zeit der Aufklärung nicht von heute dazu, dass sich nach einer erfolgreichen Suche nach dem idealen Staat, irgendwann auch Verfallserscheinungen zeigen, womit sich – übertragen auf die gesellschaftliche Wirklichkeit in den westlichen Demokratien von heute – der Bogen zur Wirklichkeit im Hier und im Jetzt wieder schließt.

Grund dafür dürfte sein, dass die Menschen von heute erneut anfangen, ihren Staat sozusagen aufs Heftigste zu kritisieren, im Gegensatz zu den Aufklärern, die davon überzeugt waren, dass die Religion als Übel aller Dinge anzusehen war, um im Anschluss daran, einen idealen Menschenstaat organisieren und aufbauen zu können.

Glaubt man den Reden von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dann dürfte dieser Zustand, den die Aufklärer anstrebten, heute bereits Wirklichkeit geworden sein.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: Ja, wir leben heute im besten Deutschland, das es jemals gegeben hat. Lassen Sie uns all jenen danken, die daran mitgewirkt haben, mitgearbeitet haben!

Im Hinblick auf die zu erwartenden negativen Folgen des Klimawandels lautet der Appell des Bundespräsidenten:

Warum sollten gerade wir Glückskinder in der Mitte Europas mutlos sein? [En30]

Diese Sprachfigur der „Glückskinder“ hätte durchaus auch zu den Lieblingsvokabeln der Aufklärer gehören können, denn die Suche nach dem Glück auf Erden bestimmte ihr Denken.

14 Das Glück auf Erden - Fortschrittsglaube der Aufklärer

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Das bedeutete bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts, also gut 300 Jahre vor unserer Zeit, dass bestehende Lebensgewohnheiten und Lebensüberzeugungen nicht nur aufs Heftigste kritisiert, sondern sogar beseitigt werden mussten:

Paul Hazard: Die Kritik (die bereits um 1715 begann = AR) herrscht überall; sie betätigt sich auf allen Gebieten, in der Literatur, der Moral, der Politik und der Philosophie; sie ist die Seele dieses streitsüchtigen Zeitalters; ich kenne keine Epoche, in der sie glänzende Vertreter gehabt hätte, allgemeiner geübt worden und bei aller Heiterkeit schärfer gewesen wäre [En31].

Bedauerlicherweise fehlt es der überschäumenden Kritik von heute - im Gegensatz zur Kritik die die Aufklärer am bestehenden System übten - an jeglicher Form von Heiterkeit, denn Hass und Hetze, verbunden mit der kategorischen Haltung, nicht miteinander reden zu wollen sowie das zur Ideologie erklärte stereotypes Denken in vorgegebenen richtigen oder falschen Meinungen, sind eher Erfindungen von heute, obwohl auch zur Zeit der Aufklärung gegenteilige Meinungen nicht nur ausgetauscht, sondern sich aus gegenteiligen Meinungen auch Feindschaften entwickeln konnten.

Wie dem auch immer sei: Auch die Kritik der Aufklärer an Bestehendem kann als radikal bezeichnet werden. Und auch wenn die Aufklärer das Internet nicht kannten, sorgten sie dennoch dafür, dass sich ihre Sicht der Dinge nach damaligen Vorstellungen rasend schnell verbreiteten.

Paul Hazard: Die Kritik mündet in Forderung und Anspruch. Was wünschen diese unzufriedenen Wanderer, diese discontented wanderers? Was wollen diese Aufklärer? Warum unternehmen sie eine Prüfung, der nichts entgehen darf, weder die Gesetzgebung, die sich auf ihre erhabene Würde beruft, noch die Religion, die ihren göttlichen Charakter betont. Um welches Gut glaubten sie sich gebracht? – Um das Glück [En32].

Die nachfolgenden Zitate lassen erkennen, wie die Dichter in der damaligen Zeit das „Glück auf Erden“ beschrieben haben:

  • Oh Glück: Zweck und Ziel unseres Seins! Gut, Lust, Wohlgefühl, Zufriedenheit, wie du auch heißen magst!

  • Die Hölle wird zunichte, der Himmel ist auf Erden.

  • Das Glück muss irgendwo zu finden sein.

Und auch in den Theaterstücken der damaligen Zeit heißt es:

Die Insel der Glückseligkeit
ist
keine Chimäre;
dort
herrscht die Wollust
und
Amors Mutter;
eilt
, Brüder, durchfahren wir
alle
Fluten von Cythere,

dann finden wir sie.

Cythere: Ein anderer Name für die Aphrodite, der griechischen Göttin der Liebe, der Schönheit und der sinnlichen Begierde und eine der kanonischen zwölf olympischen Gottheiten. Sie wurde insbesondere als Schutzherrin der Sexualität und Fortpflanzung verehrt, die sowohl den Fortbestand der Natur als auch die Kontinuität der menschlichen Gemeinschaften gewährleistete. Ihr Pendant in der römischen Mythologie ist Venus.

Hinweis: Diese Vorstellung bringt auch heute noch Hunderttausende von Menschen anlässlich von Christopher Street Days bundesweit auf die Straße. Allein im Monat Juli und in den ersten Tagen des Monats August 2024 wurden große Parties im öffentlichen Raum, bei denen es sich – ob das nun zutrifft oder nicht, das ist eine ganz andere Frage – eher um Veranstaltungen als um Versammlungen handelt - in folgenden Großstädten gefeiert:

  •  München

  • Berlin

  • Essen

  • Hamburg.

Ende August wird es einen Christopher Street Day auch in Münster geben. Und was den rechtlichen Status solcher Veranstaltungen anbelangt? Die Stadt Dresden hat bereits 2023 geltend gemacht, dass  beweglichen Parties im öffentlichen Raum wohl kaum um Versammlungen angesehen werden können, was sofort zur Folge hatte, dass der woke Zeitgeist sich dieser Sichtweise konsequent ablehnend entgegenstellte, denn wenn CDS keine Versammlungen mehr sind, sondern als Veranstaltungen zu bewerten wären, vergleichsweise mit Karnevalsumzügen, dann fallen dafür ja Kosten an, die der jeweilige Veranstalter zu tragen hätte.

Im Gegensatz dazu trägt der Steuerzahler in der Regel alle Kosten, die anlässlich von Versammlungen anfallen, also auch für Christopher Street Days.

Paul Hazard: Um glücklich zu sein, muss man sich von Vorurteilen freigemacht haben, tugendhaft sein, Geschmack und Passionen haben und für Illusionen empfänglich sein; denn wir verdanken den größten Teil unserer Freuden der Illusion, und unglücklich ist, wer sie verliert. Zunächst einmal muss man sich recht klar machen, dass Empfindungen und Gefühle zu verschaffen. [In Bezug auf die einzufordernde gesellschaftliche Ordnung heißt es]: Die Idee, dass ein Zusammenhang mit der allgemeinen Ordnung bestehe, und diese verlange, dass alle Geschöpfe glücklich seien: Warum hätten sie sonst das Leben erhalten? [En33]

Auch diese Überzeugung dürfte dem Lebensstil von heute weitgehend entsprechen, denn wenn wir der bestehenden Ordnung von heute wirklich Furore gegen wollen, also Aufsehen erregen, rasenden Beifall erzielen oder beeindruckende Erfolge sichtbar werden lassen wollen, dann bedeutet das, anderen zu zeigen, dass meine Art zu leben sozusagen vorbildhaft ist.

Denke zuerst an dich, denn es ist nur dein Glück, das zählt, und wenn andere deine gezeigte Lebenslust sehen und sozusagen zum Nachmachen animiert werden, dann können alle glücklich werden, zumal heute Glück bedeutet, darauf sogar einen Rechtsanspruch zu haben.

So auch die Vorstellungen der Aufklärer. Diesbezüglich heißt es bei Paul Hazard sinngemäß wie folgt: Aus der Sicht der Aufklärer handelt es sich bei dem von ihnen formulierten Anspruch auf Glück um einen Rechtsanspruch, der den bis dahin geltenden Lebensgrundsatz „seiner Pflicht nachzukommen“, sozusagen den Garaus machte.

Anders ausgedrückt: Der erste Grundsatz eines Gesetzbuches im aufzubauenden idealen Staat des Menschen hatte eine Regelung zu enthalten, der folgenden Anspruch zum Ausdruck brachte:

Ich will glücklich sein und nicht mehr danach gefragt werden, ob man sich Glück verdienen muss, und an die Stelle der Frage: Bin ich gerecht?“, trat zur Zeit der Aufklärung die Frage: „Bin ich glücklich?“

Paul Hazard: Die Bahn der Freiheit stehe jetzt offen; wir sind noch nicht am Ziel, und wir werden niemals stillstehen, aber wir sind auf dem rechten Wege dazu. So war die Aufklärung, wie sie in ihrer edelsten Gestalt und als Ideal gesehen sein wollte [En34].

Auch daran hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert, obwohl hinsichtlich extensiv ausgelebter Freiheit sich heute die Folgen solchermaßen erlebter Freiheit als eine ernstzunehmende Bedrohung nicht nur der Freiheit, sondern der Menschheit zeigt.

15 Was heißt Aufklärung heute?

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Ehrlich gesagt, weiß das niemand so ganz genau, denn bei den Überzeugungen von heute handelt es sich in vielen Bereichen um Glaubensgrundsätze, die zwischenzeitlich sogar den Status einer Ersatzreligion angenommen haben, das sich in einem Weltverständnis zeigt, das beenden zu müssen, was die Aufklärer der Vergangenheit sozusagen zur Hauptaufgabe gemacht hatten, um dem von ihnen eingeforderten „Glück auf Erden“ überhaupt eine Basis verschaffen zu können.

Die Ablehnung von Religion, in was für einem Mantel sie sich auch immer zeigt.

Anders ausgedrückt: Während sich das Glück der Religionen nicht auf Erden, sondern im Jenseits befindet, so zumindest die Glaubensvorstellungen sowohl der Christen als auch die der Muslime, orteten die Aufklärer das Glück im Diesseits.

Wie dem auch immer sei: Dass wir auch heute den Mut aufbringen müssen, uns unseres Verstandes zu bedienen, diese bekannte Formel, für die Immanuel Kant zwei lateinische Wörter verwendete, gilt auch heute.

Nur zur Erinnerung: Sein Appell: „Sapere aude!“, habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!, dem Wahlspruch der Aufklärung, dieser Ausspruch gilt auch heute uneingeschränkt, obwohl sich dieser Mut - seine Meinung frei auszusprechen – sich heute bereits auf dem Rückzug befindet, denn die Versuche, auch die Meinungsfreiheit zu beschränken, die nicht gegen Strafgesetze verstößt, entspricht den Vorstellungen des woken Zeitgeistes von heute.

Und gegen den Strom zu schwimmen, das erfordert Mut, denn nicht grundlos geht die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland bereits heute davon aus, dass eine eigene Meinung nicht mehr gefahrlos geäußert werden darf, weil es das eigene Vorankommen nicht nur erschwert, sondern in vielen Fällen sogar verhindert.

Von dieser Gefahr wusste bereits Immanuel Kant, denn „der Mensch“, so Deutschlands größter Philosoph, macht von seiner Vernunft meist nur dann Gebrauch, wenn er Teil der Maschine ist; d.h. wenn er in der Gesellschaft eine Rolle zu spielen und Funktionen zu erfüllen hat, und das kann auch heute gefährlich sein, sowohl als Polizeibeamter, als Lehrer, als Politiker, als Arbeiter oder Angestellter und natürlich auch als Wissenschaftler, wenn sie oder er dem woken Zeitgeist widerspricht und Meinungen vertritt, die dem woken Zeitgeist nicht entsprechen, weil sie, so eine viel gebrauchte Sprachfigur von heute, zur „Delegitimierung des Staates“ beitragen können.

Anders ausgedrückt: Kant fordert nicht, dass man blinden und törichten Gehorsam zu leisten hat, sondern dass man den Gebrauch seiner Vernunft den vorgefundenen bestimmten Umständen gemäß auszuüben hat.

Das bedeutet im kantschen Sinne, dass die Vernunft deshalb den jeweiligen Zielen untergeordnet werden muss, die in der jeweils vorgefundenen Wirklichkeit dominieren, was zur Folge hat, dass Mut erforderlich ist, um von der Vernunft Gebrauch zu machen, denn wer das wagt, der muss mit unangenehmen Reaktionen rechnen, eine Erfahrung, die viele Aufklärer am eigenen Leib erfahren durften.

In diesem Sachzusammenhang sei nur an Christian Wolff erinnert, Philosoph von Beruf und Lehrstuhlinhaber in Halle. Im Jahre 1712 hatte er sein erstes großes Buch herausgegeben: „Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes, und seinem richtigen Gebrauch in Erkenntnis der Weisheit.“

Von 1703 bis 1753 waren es siebenundsechzig Werke, einige davon mehrere Bände stark, die diesen Gelehrten aus dem Kreis anderer Gelehrter hervorhob, nicht nur, weil er an der Universität in Halle lehrte (damals eine Hochburg freien universitären Denkens im deutschsprachigen Raum). Obwohl seine Gelehrigkeit international anerkannt war, hinderte das die herrschende Obrigkeit, gemeint ist der Landesfürst Friedrich Wilhelm I. (1688 bis 1740), nicht daran, ihn 1723 schriftlich dazu aufzufordern, binnen 48 Stunden das Land zu verlassen, um den Tod durch Erhängen von sich abwenden zu können.

Grund dafür war das Interesse von Christian Wolff für die chinesische Philosophie, die ihn zu der Aussage brachten, dass wegen deren Fortschrittlichkeit dort kein Grund für eine grundlegende Reformbereitschaft gegeben sei, denn die chinesische Philosophie kannte Gott nicht.

Solch eine Lehre ließ sich nicht mit der guten alte Ordnung vereinbaren, auf die im Herzogtum Sachsen damals noch Wert gelegt wurde und die sich in dem Vorwurf seiner Gegner wie folgt zusammengefasst werden kann:

Ich habe das nit wuhst, das der Wolf so gottlose ist.

In der Ausweiseverfügung fügte der damalige Landesfürst Friedrich Wilhelm I. eigenhändig folgenden Passus hinzu:

Steffen Martus: Ich habe das nit in meinem Lande statuieren lassee; wann ich aber nits weiß, so ist es nit meine schuld [En35].

Um sein Leben zu retten reichte es für Christian Wolff damals aus, das Herzogtum Sachsen zu verlassen und sich auf kursächsisches Gebiet zu begeben, das unmittelbar an das Herzogtum Sachsen angrenzte. So wie Christian Wolff erging es auch anderen Aufklärern, die, wenn ihr Leben dort bedroht wurde, wo sie aufklärerisch wirkten, dann oftmals Zuflucht in Hamburg suchten, um ihr Leben zu retten, denn Hamburg, das war damals die Stadt der Aufklärung, was durch das folgende Zitat zumindest sichtbar wird:

Stefan Martus: Das wichtigste hamburgische Nachrichtenorgan und zugleich ein Vorzeigeblatt der Aufklärung war die „Staats- und Gelehrte Zeitung des Holsteinischen“ beziehungsweise ab 1731 des „Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten“ [En36].

Auch heute scheint es wieder „in Mode zu sein“, Universitätsprofessorinnen und natürlich auch Universitätsprofessoren ihre Lehrstühle zu entziehen, wenn sie Meinungen vertreten, die nicht der woken Ideologie von heute entsprechen, sondern Meinungen vertreten, die unerwünscht sind, was am Beispiel von Marie-Luise Vollbrecht aufgezeigt werden soll.

16 Humboldt-Universität und deren unliebsame Doktorandin

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Im Sommer 2022 wollte die Biologin Marie-Luise Vollbrecht in der Humboldt-Universität in Berlin einen umstrittenen Gender-Vortrag halten, was ihr aber untersagt wurde. Begründet wurde das Verbot mit Sicherheitsbedenken begründet, weil Studentinnen und Studenten vehement gegen diesen Vortrag protestiert hatten.

14 Tage später durfte die Biologin ihren Vortrag nachholen, nachdem sie gegen das Verbot der Universitätsleitung verwaltungsgerichtliche Hilfe in Anspruch genommen hatte.

In einer Presseerklärung des Rechtsanwalts Prof. Dr. Ralf Höcker, der die Biologin verteidigt hatte, heißt es: „Das Gericht hat ein starkes Zeichen gegen Cancel Culture an Universitäten gesetzt. Es ist eine Schande, dass eine angebliche Exzellenz-Uni aus purer Angst vor radikalen Aktivisten ihre eigene wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin herabwürdigt.“ In der Presseerklärung der Anwaltskanzlei ist weiterhin ein Zitat aus dem Beschluss des VG Berlin enthalten, mit dem das Gericht die getroffene Entscheidung begründet:

Zitat auf dem Beschluss des VG Berlin: Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht Berlin aus:

Der mit der Stellungnahme einhergehende Grundrechtseingriff ist rechtswidrig. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht verbietet es grundsätzlich dem unmittelbar an die Grundrechte gebundenen Staat, sich ohne rechtfertigenden Grund herabsetzend über einen Bürger zu äußern, etwa eine von diesem vertretene Meinung abschätzig zu kommentieren. (…) Nach diesen Grundsätzen ist der durch die angegriffene Äußerung bewirkte Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin nicht gerechtfertigt. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die tenorierte Äußerung der Antragsgegnerin noch von ihrer allgemeinen Aufgabenzuweisung gedeckt ist oder einer speziellen Ermächtigungsgrundlage bedarf, denn sie ist jedenfalls unverhältnismäßig. (…) Die Äußerung lässt sich in der maßgeblichen, für die Antragsgegnerin ungünstigsten Lesart (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. September 2010 – 1 BvR 1890/08 – juris Rn. 23) als Behauptung verstehen, die Gesamtheit der nicht näher bezeichneten Meinungen der Antragstellerin stünde nicht im Einklang mit dem von der Antragsgegnerin in ihrem Leitbild vorgesehenen „wechselseitigen Respekt vor dem/ der Anderen“ und ihrem Selbstverständnis als einem Ort, „an dem kein Mensch diskriminiert werden sollte, sei es wegen seiner Religion, seiner vermeintlichen Rasse, seiner sexuellen Identität oder wegen irgendeines anderen Merkmals, das als Unterscheidungsmerkmal angesehen wird. (…) Diesem Werturteil fehlt es bei objektiver Auslegung der Pressemitteilung an einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage. Denn es wird aus dieser heraus nicht klar, auf welche Meinungen der Antragstellerin die Antragsgegnerin sich konkret bezieht und welche Werte beziehungsweise Elemente ihres Leitbilds sie hiermit für unvereinbar hält. (…) Der mit der Äußerung verbundene Vorwurf wiegt aufgrund der aufgezeigten Pauschalität besonders schwer, weil ein objektiver Empfänger den Eindruck gewinnen kann, die Antragstellerin bewege sich mit ihren Meinungen in ihrer Gesamtheit außerhalb des Leitbildes und der Werte der Antragsgegnerin [En37].“

17 Michel Foucault - Was ist Aufklärung?

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Gut 300 Jahre nach Immanuel Kant, der 1784 unter exakt der gleichen Fragestellung seine Sicht der Dinge zu diesem Thema bereits in der „Berlinischen Monatsschrift“ veröffentlicht hatte, versuchte sich Michel Foucault insbesondere daran, Immanuel Kants Schwächen bei der Beantwortung der Frage: „Was ist Aufklärung“?, herauszuarbeiten.

Michel Foucault: Wenn heute eine Zeitschrift eine Frage an ihre Leser stellt, dann um Meinungen über ein Thema einzuholen, über das jeder schon eine Meinung hat; man läuft kaum Gefahr, etwas Großartiges zu erfahren. Im 18. Jahrhundert zog man es vor, die Öffentlichkeit zu genau den Problemen zu befragen, auf die man noch keine Antwort hatte.

Ich weiß nicht, ob dies effektiver war; es war auf jeden Fall unterhaltsamer.

Mit diesen Worten beginnt ein Aufsatz von Michel Foucaults aus dem Jahr 1984, dem er einen gewichtigen Titel verlieh und der da heißt: „Was ist Aufklärung?“

Hinsichtlich der „Zeit der Aufklärung“ kommt Foucault zu der Feststellung, dass diese Epoche als das Erscheinen eines politischen Problems anzusehen ist, denn die Frage „Was ist Aufklärung?“, lässt sich nur dann beantworten, wenn klar ist, was Kant mit der Sprachfigur des „freien Räsonierens“ gemeint hat, wenn er davon ausgeht, dass die Individuen sozusagen zum Gehorsam verpflichtet seien.

Wie dem auch immer sei: Foucault geht davon aus, dass Meckern, Nörgeln und was auch immer unter Räsonieren zu verstehen sei, im Sinne von Kant Grenzen gesetzt worden seien, denn die kantsche Vernunft ging von der Vorstellung aus, dass Gehorsamsempfänger dazu verpflichtet seien, der herrschenden Meinung entsprechend von ihrer Vernunft Gebrauch zu machen.

Wie dem auch immer sei: Die Aufklärung, so die Sichtweise von Michel Foucault, markiere das Erscheinen eines politischen Problems.

Michel Foucault: Ich denke schließlich, wie ich mit Bezug auf Kants Text zu zeigen versucht habe, dass sie eine gewisse Weise des Philosophierens definiert hat. Aber das heisst nicht, dass man für oder gegen die Aufklärung sein muss. Es heißt sogar, dass wir alles zurückweisen müssen, was sich in Form einer vereinfachten und autoritären Alternative darstellt:

Entweder man akzeptiert die Aufklärung und bleibt in der Tradition ihres Rationalismus (was von einigen als positiv betrachtet und von anderen als Vorwurf benutzt wird); oder man kritisiert die Aufklärung und versucht, diesen Prinzipien der Rationalität zu entkommen (auch dies kann wiederum als gut oder schlecht angesehen werden).

Und wir brechen aus dieser Erpressung nicht aus, indem wir dialektischem Nuancen einführen, während wir zu bestimmen suchen, was an der Aufklärung gut oder schlecht gewesen sein mag.

Wir müssen [vielmehr] versuchen, mit der Analyse unserer selbst als solche Wesen fortzufahren, die zu einem gewissen Teil von der Aufklärung historisch determiniert sind. Solch eine Analyse impliziert eine Reihe historischer Untersuchungen, die so präzise wie möglich sein sollten; und diese Untersuchungen werden nicht retrospektiv an dem „wesentlichen Kern der Rationalititt“ orientiert sein, der in der Aufklärung gefunden werden kann und der auf jeden Fall bewahrt werden müsste; sie werden [vielmehr] an den „gegenwärtigen Grenzen des Notwendigen“ orientiert sein [müssen], das heißt, an dem, was nicht oder nicht länger zur Konstitution unserer selbst als autonome Subjekte erforderlich ist.

An anderer Stelle:

Ich weiß nicht, ob wir jemals mündig werden. Vieles in unserer Erfahrung überzeugt uns, dass das historische Ereignis der Aufklärung uns nicht mündig gemacht hat und dass wir es noch immer nicht sind.

Dennoch scheint mir, dass der kritischen Befragung der Gegenwart und unserer selbst, die Kant in einer Reflexion über die Aufklärung formulierte, eine Bedeutung verliehen werden kann. Es scheint mir, dass Kants Reflexion selbst eine Weise des Philosophierens ist, die während der letzten zwei Jahrhunderte nicht ohne Bedeutung oder Wirksamkeit geblieben ist.

Die kritische Ontologie [Seinslehre bzw. die Lehre vom Sein = AR] unserer selbst darf beileibe nicht als eine Theorie, eine Doktrin betrachtet werden, auch nicht als ständiger, akkumulierender Korpus von Wissen; sie muss als eine Haltung vorgestellt werden, ein Ethos, ein philosophisches Leben, in dem die Kritik dessen, was wir sind, zugleich die historische Analyse der uns gegebenen Grenzen ist und ein Experiment der Möglichkeit ihrer Überschreitung.

[...]. Ich weiß nicht, ob man heute sagen soll, dass die kritische Aufgabe immer noch den Glauben an die Aufklärung einschließt; ich denke jedenfalls, dass diese Aufgabe eine Arbeit an unseren Grenzen erfordert, das heißt, eine geduldige Arbeit, die der Ungeduld der Freiheit Gestalt gibt [En38].

Persönliche Anmerkung: Es ist wirklich nicht einfach, aufgeklärtes Wissen an allgemeinverbindlichen Maßstäben zu messen, denn der woke Zeitgeist von heute geht immer noch von der Vorstellung aus, dass Wahrheit das ist, wie ich die Wirklichkeit erlebe.

Dass diese Sicht der Dinge aber nicht ausreichte, gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, macht es erforderlich, Identitäten zu bilden, die für sich in Anspruch nehmen können, im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein, gemeint sind Parteien, NGOs, Religionen. Das aber führte zur Errichtung von Brandmauern, zu Feindschaften, zu Ausgrenzungen, zu Sprechverboten und sogar zu Berufsverboten.

Wer unter diesen Gegebenheiten behauptet, zu wissen, was „Aufklärung“ tatsächlich bedeutet, der mag sich in seiner Selbstverliebtheit glücklich schätzen.

18 Was ist Fortschritt, und was nicht?

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Es wäre ein wirklich bedeutsamer Fortschritt im menschlichen Denken, wenn sich die Spezies Mensch tatsächlich darüber einig werden könnte, worin der Zweck des menschlichen Seins besteht.

Solch eine Einigkeit im Denken über den Zweck menschlichen Lebens wäre wirklich ein Fortschritt, dürfte aber wohl in naher Zukunft nicht zu erzielen sein, obwohl den Menschen im „modernen Westen?“ zunehmend bewusst wird, dass ihr Sein, womit die Art und Weise der westlichen Lebensführung gemeint ist, sich in Zukunft wohl an anderen Werten zu orientieren haben wird, als an denen, die heute noch dominieren: Schneller, weiter und größer.

Anders ausgedrückt: Wachstum um jeden Preis führt in die Katastrophe. Was aber soll Fortschritt sein, der ja zwangsläufig auch zur Sprachfigur der Aufklärung gehört?

Susan Neiman: Das Problem, den Fortschritt als solchen zu erkennen, hängt vermutlich mit dem Begriff des Fortschritts selbst zusammen. Fortschritt ist seiner Definition nach das, was noch nicht gegeben ist. Es ist nicht, was bereits erreicht worden ist, sondern etwas, was in der Zukunft zu erreichen ist – vorzugsweise morgen früh. Die Errungenschaften der vorigen Generationen als Fortschritt zu erkennen, fällt deshalb so schwer, weil diese Generation ja gerade alles darangesetzt hat, ihre Errungenschaften zum normalen Standard werden zu lassen, der schon immer hätte bestehen sollen. [...]. Fortschritt kann für die nächste Generation aber nur bedeuten, weiter daran zu arbeiten, subtile Formen der Ungerechtigkeit auszulöschen. Der Zorn über sein Schneckentempo ist vermutlich nötig, damit wir im Kampf nicht erlahmen. Doch um Kraft zu schöpfen, ist es gut, gelegentlich auf die Schultern zu blicken, auf denen wir stehen, denn wenn wir nicht zugeben, dass in der Vergangenheit reale Fortschritte erzielt wurden, können wir nicht an der Hoffnung auf weitere in der Zukunft festhalten. Da wir aber wissen, wie weit wir noch von einer gerechten Gesellschaft entfernt sind, wird der in der Vergangenheit erreichte Fortschritt nie groß genug sein, um aus ihm allen Energie zu schöpfen. [...]. Der Gedanke an die Frauen und Männer im Iran, an die Bewegung der Landlosen in Brasilien, die Kämpfer für Demokratie im Kongo und in Myanmar, die allesamt mit für die meisten von uns unvorstellbaren Zuständen ringen, ist eine Quelle, die uns abhält zu ermatten. „Sie geben die Hoffnung nicht auf“, sagt Noam Chomsky, „also dürfen wir das schon gar nicht.“ [En39]

Und was die Hoffnung anbelangt, deren Inhalt lässt sich in wenige Worte zusammenfassen, die bereits den Aufklärern zu Beginn des 18. Jahrhunderts bekannt waren:

Das gemeinsame Streben nach Glück.

Nicht dazu gehört der technische Fortschritt, der darin besteht, alles Leben auf dem Planeten Erde binnen kurzer Zeit auslöschen zu können. Solch ein Fortschritt wäre einfach zu radikal, um ihn überhaupt akzeptieren zu können, obwohl der französische Philosoph André Glucksmann (1937 bis 2015) in seinem Buch mit dem Titel: „Philosophie der Abschreckung“ aus dem Jahr 1983 (also zu der Zeit, als in Deutschland Millionen von Menschen erfolglos gegen den Nato-Doppelbeschluss auf die Straße gingen), die Meinung vertrat, dass es besser sei, sich gemeinsam kurz und bündig vom Leben zu verabschieden, als die Freiheit gegen den Kommunismus eintauschen zu müssen.

Auf der letzten Seite in diesem Buch heißt es:

André Glucksmann: Haben wir das Recht, Frauen, Kinder und Kindeskinder eines ganzen Planeten als Geiseln zu nehmen? Dürfen wir die Zivilbevölkerung, zu denen wir selbst gehören, mit der Apokalypse bedrohen? Verdient eine Kultur weiterhin diesen Namen, wenn sie, um zu überleben, wissentlich ihre Auslöschung riskiert? Das ist die höchst philosophische, ernsteste und einfachste Frage, die uns von der banalen Aktualität gestellt wird.

Die Antwort lautet – was die allzu ruhigen Gewissen auch immer sagen mögen – ja [En40].

Diese Sicht der Dinge scheint sich heute wieder durchsetzen zu wollen, denn noch nie wurde so viel Geld in die atomare Ausrüstung ausgegeben, wie das heute der Fall ist und für das Aufstellen von Mittelstreckenraketen in Deutschland heißt es heuge, am 13.08.2024 in den Nachrichten, dass dafür nicht einmal ein Parlamentsbeschluss erforderlich sei und es deshalb ausreiche, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz zur gegebenen Zeit den Abgeordneten im Deutschen Bundestag erklären würde, warum das alternativlos sei.

Zurück zu André Gluchsmann: Dieser französische Philosoph verfügte nicht nur über ein Einsehen, sondern auch über den Mut, seine Position, die Rechtfertigung der atomaren Abschreckung betreffend, in seinem Buch, das 1985 sowohl in Frankreich als auch in Deutschland erstmalig erschien und das den Titel trägt: „Die Macht der Dummheit!“, zu korrigieren.

Und auch in seinem Buch „Krieg um des Frieden“, setzt sich Glucksmann durchaus kritisch mit dem „Ungeheuer, das lange Zeit kalt und starr in verborgenen Tiefen ruhen kann“ auseinander, um dann wieder – sozusagen wie Phönix aus der Asche – Furcht, Angst und Schrecken verbreiten zu können.

André Glucksmann: Das Verbot der reinen Gewalt, [ist] ebenso ursprünglich wie das Inzestverbot [und] wird in jeder Gesellschaft durch das Ritual des Kriegsendes offenbar, in dem der Soldat aus seiner Rohheit herausgeführt und zum alten Kämpfer wird. Genau festgelegte Zeremonien begleiten den Übergang von der einen Welt [gemeint ist die Welt des Krieges] in die andere [gemeint ist die Welt des Friedens]; sie ermöglichen ein sanftes Hinübergleiten vom Übernatürlichen und Außergewöhnlichen [Krieg] zum Gewöhnlichen und Alltäglichen [Frieden]. Geschieht das nicht, vollzieht sich ein Drama [En41].

Diese Zeilen beschreiben die Wirklichkeit von heute, denn wenn es nicht gelingen wird, sowohl den Krieg in der Ukraine als auch den im Nahen Osten einzufrieden, dann wird es zu einem Drama kommen, dessen Ende niemand hat haben wollen, wenn der Vorhang wieder fällt, und das gelebte Drama dann nur sprachlose Menschen zurücklassen wird. Wie das zu vermeiden ist, das setzt nach der Sichtweise von André Glucksmann voraus, dass es Europa tatsächlich gelingt, sich künftig als die Schule des Friedens zu verstehen:

André Glucksmann: Es sei denn, Europa ringt sich dazu durch, ohne in Tränen zu zerfließen und ohne die Augen zu verschließen, sondern aus Notwendigkeit und klarer Einsicht die Schule des Friedens auf diesem Planeten zu sein [En42].

So viel Einsicht aber würde das Europa von heute überfordern, zumal an der Eskalationsschraube kräftig gedreht wird, strikt dem Motto der Postmoderne folgend, das da lautet: Schneller, größer, weiter, besser ... überwältigender.

19 Schlusssätze

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Der Kognitionspsychologe Rainer Mausfeld spricht, diesen woken Zeitgeist meinend, von „Tiefenindoktrination“ und „reinem Wahnsinn“, von dem sich nach der hier vertretenen Auffassung nicht nur namhafte Politiker, sondern auch Teile der Bevölkerung haben anstecken lassen, ohne die Politik und die Medien zu hinterfragen, die nicht müde werden, diesen todbringenden Zeitgeist in die Gehirne der Menschen zu bringen.

Auch der vor zwei Jahren verstorbene Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger hatte keine gute Meinung darüber, was den Zeitgeist betraf.

Magnus Enzensberger: Etwas Bornierteres als den Zeitgeist gibt es nicht. Wer nur die Gegenwart kennt, muss verblöden [En43].

Dem ist zuzustimmen, denn einen oder auch zwei Siege um jeden Preis, gemeint sind die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, kann wirklich niemand ernsthaft in seiner gesamten Totalität wollen, außer der Macht der Dummheit.

20 Quellen

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Endnote_01
It’s #identity politics, stupid!
https://geschichtedergegenwart.ch/its-identity-politics-stupid/
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Endnote_02
The Combahee River Collective Statement.
2. What We Believe: Above all else, Our politics initially sprang from the shared belief that Black women are inherently valuable, that our liberation is a necessity not as an adjunct to somebody else’s may because of our need as human persons for autonomy. This may seem so obvious as to sound simplistic, but it is apparent that no other ostensibly progressive movement has ever consIdered our specific oppression as a priority or worked seriously for the ending of that oppression. Merely naming the pejorative stereotypes attributed to Black women (e.g. mammy, matriarch, Sapphire, whore, bulldagger), let alone cataloguing the cruel, often murderous, treatment we receive, Indicates how little value has been placed upon our lives during four centuries of bondage in the Western hemisphere. We realize that the only people who care enough about us to work consistently for our liberation are us. Our politics evolve from a healthy love for ourselves, our sisters and our community which allows us to continue our struggle and work. [...]. We believe that sexual politics under patriarchy is as pervasive in Black women’s lives as are the politics of class and race. We also often find it difficult to separate race from class from sex oppression because in our lives they are most often experienced simultaneously. We know that there is such a thing as racial-sexual oppression which is neither solely racial nor solely sexual, e.g., the history of rape of Black women by white men as a weapon of political repression. The Combahee River Collective Statement.
http://circuitous.org/scraps/combahee.html
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Endnote_03
Franz Fanon. Die Verdammten dieser Erde. Suhrkamp-Verlag 14. Auflage 2014, Seite 266
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Endnote_04
Ebd. Franz Fanon, Seite 15
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Endnote_05
Demokratie ohne Grenzen:
https://www.democracywithoutborders.org/de/7130/
ueber-die-notwendigkeit-einer-demokratischen-weltregierung/
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Endnote_06
Über Demokratie ohne Grenzen:
https://www.democracywithoutborders.org/de/ueberuns/
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Endnote_07
Auszug aus Viktor Orbáns Rede auf der 33. Jahresveranstaltung der Sommeruniversität in Tusnádfürdö, Siebenbürgen (Rumänien) 27. Juli 2024.
https://www.achgut.com/artikel/die_augen_fuer_die_realitaet_geoeffnet
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Endnote_08
Antrag der AfD - Drucksache 20/6172.
https://dserver.bundestag.de/btd/20/061/2006172.pdf
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Endnote_09
Deutscher Bundestag: Europäische Union: 1. Lesung: Oppositionsantrag zur Souveränität Deutschlands innerhalb der EU beraten.
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw13-de-souveraenitaet-deutschland-940486
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Endnote_10
FDP. Europa stärken. Mit klaren Regeln.
https://www.fdp.de/seite/europa-staerken-mit-klaren-regeln
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Endnote_11
Zur Zukunft Europas: Positionen der CDU/CSU-Gruppe zum Beginn der Konferenz zur Zukunft Europas.
https://www.cducsu.eu/zukunft-europas
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Endnote_12
Bibel: Einheitsübersetzung 2017:
https://www.bibleserver.com/de/verse/Epheser4,22
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Endnote_13
Friedrich Wilhelm Nietzsche: Also sprach Zarathustra – Ein Buch für Alle und Keinen. Gutenberg Edition 16.
https://www.projekt-gutenberg.org/nietzsch/zara/als2003.html
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Endnote_14
Franz Fanon. Die Verdammten dieser Erde. Suhrkamp 14. Auflage 2024, Seite 267
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Endnote_15
Hanno Sauer: Moral - Die Erfindung von Gut und Böse. Piper-Verlag. 5. Auflage 2023, Seite 285
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Endnote_16
Tagesspiegel.de vom 19.6.2024:
https://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/fast-vier-jahre-nach-dem-
beschluss-umbenennung-der-mohrenstrasse-in-berlin-mitte-
verzogert-sich-weiter-11863142.html
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Endnote_17
Profil.at vom 7.5.2023:Wirklich woke.
https://www.profil.at/meinung/wolf-lotter-wirklich-woke/402438768
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Endnote_18
CDS in München 2024:
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/csd-muenchen-
2024-bilder-parade-lux.RCECTWr9RqZuLuv4jVxUfv
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Endnote_19
Berlin.de: Das offizielle Hauptstadtportal.
https://www.berlin.de/events/2096878-
2229501-csd-christopher-street-day.html
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Endnote_20
Halloherne.de: CSD RuhrPride demonstriert in Essen.
https://www.halloherne.de/artikel/csd-ruhrpride-
demonstriert-in-essen-69543
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Endnote_21
NDR.de vom 3.8.2024: Zehntausende feiern beim Christopher Street Day in Hamburg.
https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Zehntausende-
feiern-beim-Christopher-Street-Day-in-Hamburg,csd1374.html
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Endnote_22
Hamburger Abendblatt vom 04.08.2024: CSD: 250.000 Menschen setzen buntes Zeichen gegen Rechts. https://www.abendblatt.de/hamburg/hamburg-mitte/article406935686/csd-hamburg-2024-live-blog-news-8.html
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Endnote_23
TAZ.de vom 6.10.2023; Party statt politische Versammlung: Zoff um CSD in Dresden.
https://taz.de/Party-statt-politische-Versammlung/!5964804/
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Endnote_24
Juracademy.de vom 28.6.2013. Ist die „Love Parade“ eine grundrechtlich geschützte Versammlung?
https://www.juracademy.de/rechtsprechung/article/ist-die-
love-parade-eine-grundrechtlich-geschuetzte-versammlung
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Endnote_25
IPSON-Studie in 30 Ländern:
https://www.ipsos.com/de-ch/der-kleinste-
teil-der-lgbt-bevolkerung-der-welt-liegt-bei-9
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Endnote_26
LSVD: Was denkt Deutschland über Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche und weitere queere Menschen? Einstellungen zu LSBTI, Homosexualität, Transgeschlechtlichkeit und Regenbogenfamilien in Deutschland. https://www.lsvd.de/de/ct/3168-Was-denkt-Deutschland-ueber-
Lesben-Schwule-bisexuelle-trans-und-intergeschlechtliche-
und-weitere-queere-Menschen
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Endnote_27
Wer sich in Deutschland als LGBTQA+ identifiziert.
https://de.statista.com/infografik/27440/anteil-der-befragten-
die-ihre-sexuelle-orientierung-wie-folgt-angeben-nach-geburtsjahr/
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Endnote_28
Paul Hazard: Die Herrschaft der Vernunft. Das europäische Denken im 18. Jahrhundert. Hoffmann und Campe 1949, aus dem Französischen übertragen von Harriet Wegener und Karl Linnebach, Seite 496.
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Endnote_29
Immanuel Kant: Was heißt Aufklärung.
https://www.projekt-gutenberg.org/kant/aufklae/aufkl001.html
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Endnote_30
Frank-Walter Steinmeier: „Wir Glückskinder in der Mitte Europas“. Rede zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit in Potsdam am 3. Oktober 2020.
https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/
201003-Wir-Glueckskinder-in-der-Mitte-Europas.pdf?__blob=publicationFile&v=4
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Endnote_31
Paul Hazard. Die Herrschaft der Vernunft. Hoffmann und campe Verlag 1949, Seite 39
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Endnote_32
Ebd. Paul Hazard, Seite 43
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Endnote_33
Ebd. Paul Hazard, Seite 55
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Endnote_34
Ebd. Paul Hazard, Seite 70
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Endnote_35
Steffen Martus: Aufklärung – Das deutsche 18. Jahrhundert – ein Epochenbild. Rowohlt Berlin 2015, Seite 204
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Endnote_36
Steffen Martus: Aufklärung – Das deutsche 18. Jahrhundert – ein Epochenbild. Rowohlt Berlin 2015, Seite 204
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Endnote_37
Erfolg gegen Cancel Culture an Universitäten: Verwaltungsgericht Berlin verbietet Humboldt Uni abschätzige Pressemitteilung über Biologin über Marie-Luise Vollbrecht.
https://www.hoecker.eu/news/erfolg-gegen-cancel-culture-an-
universit%C3%A4ten-verwaltungsgericht-berlin-verbietet-
humboldt-uni-absch%C3%A4tzige-pressemitteilung-%C3%BCber-
biologin-marie-luise-vollbrecht
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Endnote_38
Michel Foucault: Was ist Aufklärung? Ethos der Moderne, Campus-Verlag, Seiten 35 - 54.
https://www.wkv-stuttgart.de/uploads/media/foucault_aufkla__rung.pdf
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Endnote_39
Susan Neiman. Links # woke. Hanser-Verlag Berlin 2023, Seite 146/147
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Endnote_40
André Glucksmann. Philosophie der Abschreckung. DVA 1984, Seite 388
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Endnote_41
André Glucksmann. Krieg um den Frieden. DVA 1996, Seite 168
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Endnote_42
Ebd. André Glucksmann. Schlusssatz des Vorwortes der deutschen Ausgabe, den André Glucksmann im Januar 1996 geschrieben hat.
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Endnote_43
Hermann Haarmann, Dem Zeitgeist auf der Spur. Ein Wegweiser durch das Dickicht gegenwärtiger Theorien und Diskurse. B&S Siebenhaarverlag 2024
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