Zeitenwende Demokratie
Inhaltsverzeichnis:
01
Machtpolitik 02 Das Wesen von Staatsgewalt
03 Juden in Deutschland 04
Existenzrecht Israels 05 Politikversagen im
Nahen Osten 06 Anhörung im Ausschuss für
Menschenrechte 07 Auge um Auge - Zahn um
Zahn 08 Wie soll das enden? 09
Muslime in Deutschland 10
Demokratische Zeitenwende?
01
Machtpolitik
TOP
Am 27. Februar 2022,
drei Tage nach dem Angriff der russischen Streitkräfte auf die
Ukraine, hielt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Deutschen
Bundestag eine Rede. Dort sagte der Kanzler:
„Der
24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte
unseres Kontinents.“
Es wäre
wohl ehrlicher gewesen, zu sagen, dass sich die Welt seit dem
Angriff der russischen Armee auf die Ukraine erneut in Aufruhr
befindet und im Grunde bereits schon 1990 davon ausgegangen werden konnte, dass Russland
erneut eine autoritäre Wende nehmen und beim Aufbau einer neuen
Friedensordnung eine potentiell revisionistische Haltung
einnehmen werde, die darin bestehen würde, den Verlust von Macht
und Einfluss in der zusammengebrochenen Ordnung zumindest
schnell wieder auszugleichen zu können.
Diese
Erwartungshaltung haben die Staaten des Westens, wozu auch
Deutschland gehört, nicht wahrhaben wollen und dadurch zu
verdrängen versucht, indem davon ausgegangen wurde, dass der
Siegeszug der Demokratie nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr aufzuhalten sei.
Dieses
Machtgefühl der Sieger kompensierte aber nicht das
Verlustempfinden Russlands, das sozusagen am Ende der 1980er und
zu Beginn der 1990er Jahre in eine Weltordnung hineingeraten
war, die diesem stolzen Land – in einem Augenblick der Schwäche
– von den Vereinigten Staaten und Europa zugefügt worden war.
Die Folge dieser Politik erleben wir heute, denn die Inhaber der
Staatsmacht in Russland haben deutlich gemacht, dass es ihnen
Ernst ist, sich auch unter Einsatz militärischer Mittel, erneut einen
ihnen angemessenen Platz auf der Bühne der Weltmächte zu
erkämpfen, egal, was es kostet.
Ob das
als eine Zeitenwende anzusehen ist, darüber lässt sich trefflich
streiten. Eher nicht, denn eine Zeitenwende würde bedeuten, dass
sozusagen der Angriff auf die Ukraine tatsächlich etwas völlig
Neues ans Tageslicht gebracht hätte.
Das aber ist bei
kriegerischen Auseinandersetzungen wohl eher nicht der Fall,
denn Kriege gehören zur Weltgeschichte, die sich durchaus als eine
sich endlos aneinanderfügende Abfolge von Kriegen beschreiben
lässt. Und was den Krieg in der Ukraine anbelangt? Dieser Krieg
wurde aus russischer Sicht umso unvermeidbarer, je mehr die
Anziehungskraft des „Westens“ zu der von Putin eingeforderten
Zugehörigkeit der Ukraine zur russischen Welt, in dem von
Russland angegriffenen Land immer stärker wurde. Wie dem auch
immer sei. Heute wiederholen sich Kreisläufe, die schon seit
Jahrhunderten bekannt sind, und die hier nur kurz aufgelistet
werden sollen.
-
Wer den
Frieden will, muss sich auf den Krieg vorbereiten, zumindest
aber auf ihn vorbereitet sein
-
Die
Konzentration von Macht ist die einzige Garantie gegen den
Absturz ins Chaos
-
Krieg
ist Politik unter Anwendung anderer Mittel
-
Nur
Aufrüstung schafft Abschreckung, erhöht aber auch den Grad der
Bedrohung bei dem, der abgeschreckt werden soll
-
Das Volk
– das sowieso nicht gefragt wird – muss wieder kriegsfähig
werden.
Solch
eine Entwicklung dürfte wohl kaum als eine Zeitenwende anzusehen
sein, denn die Wirklichkeit von heute wiederholt ja nur das, was
in den Jahrhunderten zuvor auch getan wurde, sich dem Krieg
zuzuwenden.
Sich von
diesem Joch zu befreien, das würde die Bezeichnung Zeitenwende
rechtfertigen. Dazu aber gibt es zurzeit keine sichtbaren
Zeichen, zumal auch der Krieg im Nahen Osten, der am 7. Oktober
2023 mit dem Terroranschlag der Hamas auf Israel begonnen hat,
den Aufruhr und den Sicherheitsverlust in der Welt von heute auf
ein kaum noch zu ertragendes Höchstmaß hat ansteigen lassen.
02 Das Wesen von Staatsgewalt
TOP
Ihrem
Wesen nach verfolgt Staatspolitik im Innern, egal ob es sich
dabei um die Staatspolitik im Westen, im Osten oder in China
oder wo auch immer handelt. Das Ziel von Staatsgewalt ist, den
eigenen Nutzen zu maximieren. Dazu dienen die im Inland
geltenden Gesetze, die von der Staatsgewalt selbst erlassen
werden,und für deren Einhaltung sie natürlich auch selbst zu
sorgen hat.
Im Gegensatz dazu fehlt es der
Staatspolitik nach außen an einem für alle verbindlichen
Regelwerk, wie es im Innern eines Staates zur Anwendung kommt.
Vielmehr beruht die Staatspolitik nach außen im Grunde auf
Strategien, die den eigenen Vorteil, auch den, der anderen
schadet, gewusst
und gewollt mit einbeziehen. Das dürfte wohl der eigentliche
Grund sein, warum das bestehende
Völkerrecht bis heute Kriege nicht hat verhindern können, auch
die nicht, die nach
dem Ende des Zweiten Weltkriegs geführt worden sind und heute
immer noch geführt werden.
Wie sich
diese Strategien der Vorteilssicherung zwischen Ost und West in
den Jahren vor als auch nach dem Ende des
Kalten
Krieges entwickelt haben, lässt sich im Prinzip wie folgt
zusammenfassen:
Aus
Alliierten vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden kurz nach
dessen Ende Feinde, im Laufe der Zeit Gegner, dann
vorübergehend Partner, um dann wieder Gegnern und letztlich
erneut Feinde zu werden.
Es würde
zu weit führen, den Beitrag des Westens an diesem Prozess – der
sicherlich kein unbedeutender Beitrag sein dürfte – aufzuzeigen.
Diese, hier nur angedeuteten Strategien der Nützlichkeit
erklären im Wesentlichen den Zustand einer Welt, deren Allmende
(gemeint ist die Ökonomie der Gemeinsamkeiten) auf anarchischen
Kräften beruht.
In
Anlehnung an Garrett James Hardin (1915 bis 2003), einem
US-amerikanischen Mikrobiologen und Ökologen, besteht die Tragik
der Allmende darin, dass, wenn jeder Bauer versucht, so viel
Vieh so lange wie möglich auf der gemeinsamen Weide grasen zu
lassen, und niemand sich um die Pflege des Bodens kümmert, als
Konsequenz davon das ganze Land irgendwann veröden und das Vieh
verhungern wird. Die freie Verfügbarkeit von Kollektivgütern
müsse daher, so Hardin, eingeschränkt werden, um sie bewahren zu
können.
Das
einzusehen fällt jedoch allen Staaten dieser Welt schwer, so
dass die Strategien, sich benötigte Ressourcen nutzbar zu
machen, über die sie selbst nicht oder nicht im ausreichenden
Maße verfügen, darin bestehen, aus rohstoffreichen Staaten diese
Ressourcen so günstig wie eben nur möglich beziehen zu können,
oder, durch Versagen der Nutzung von Ressourcen, bereite
bestehende Spannungen zu intensivieren.
Anders ausgedrückt:
Der regellose Einsatz von Möglichkeiten, sich möglichst günstig
mit Ressourcen versorgen zu können, ist eine nicht versiegende
Quelle von sich gegenseitig potenzierenden Konflikten und
Problemen.
Übrigens:
Solange Eigennutz weltweit vorherrscht, der zur unverkennbaren
Natur des Menschen gehört, wird wohl die Geschichte zeigen, dass
alle Systemvorkehrungen, wie Egalitarismus, Gemeinbesitz,
Wohlfahrt, individuelle Menschenrechte und so weiter, nicht
ausreichen werden, die durch Eigennutz ausgelösten Konflikte
beenden zu können. Unter solchen Voraussetzungen Strategien zu
finden, die zur Kooperation führen, ist deshalb eine Frage, auf
die es auch heute noch keine Antworten gibt, obwohl solche
Antworten dringend benötigt werden.
Solche
Kooperationen werden aber nicht nur im Bereich der Außenpolitik
benötigt, auch im Innern der Bundesrepublik Deutschland muss ein
„Wir“ wieder hergestellt werden, das dauerhaft ein auf Respekt und
gegenseitiger Wertschätzung beruhendes Zusammenleben
herbeigeführt könnte. Das aber stellt die Innenpolitik in einer
Zeit, in der Rassismus, Antisemitismus, Islamismus und
zunehmende Fremdenfeindlichkeit (wozu man auch die Feindschaft
gegenüber andersdenkenden Menschen) mit einbezieht, vor
große Probleme, die sich seit dem Beginn des Kriegs im
Gaza-Streifen sozusagen potenziert haben, wie das im Folgenden
am Zusammenleben von Juden und Muslimen und Antisemitisten in
Deutschland zumindest sichtbar gemacht werden soll.
03 Juden in Deutschland
TOP
Die
jüdische Minderheit in Deutschland ist vielfältig: Sowohl
ethnisch als auch kulturell und religiös. Nach der Schoa lebten
nur noch wenige Juden in Deutschland. In den 1990er Jahren
wuchsen die Gemeinden durch den Zuzug von Juden aus der
ehemaligen Sowjetunion dann aber von rund 30.000 auf heute über
200.000 Mitglieder an.
Juden in Deutschland:
Diesbezüglich heißt es auf
Statista.com
wie folgt:
Im Jahr
2022 registrierte der Zentralrat der Juden 90.885 Juden in den
deutschen Gemeinden und Landesverbänden. Seit dem Jahr 2005
fallen die Mitgliederzahlen in den jüdischen Gemeinden jedoch
kontinuierlich ab. Weltweit wächst die jüdische Bevölkerung
hingegen an.
Hinsichtlich ihrer genetischen Gemeinsamkeiten, die ja bestehen
müssen, um überhaupt von Rassismus sprechen zu können, möchte
ich mich im hier zu skizzirenden Rahmen den Ausführungen von
Michael
Wolffsohn
anschließen. In seinem Buch: Eine andere jüdische Weltgeschichte
heißt es dazu (Seite 29):
Alle
vier jüdischen Großgruppen lassen sich eindeutig auf
mittelöstliche Ur-Vorfahren zurückführen.
Die
Genetik dieser Ur-Vorfahren ist keineswegs „rein“ jüdisch. Sie
ähnelt zum Beispiel der drusischen, zypriotischen und allgemein
nahöstlichen Bevölkerung im und um das Land Israel.
Dabei
gibt es biologisch-geografisch, im wörtlichen Sinne natürlich,
Ähnlichkeiten (doch keine vollständigen Identitäten) mit Arabern
(einschließlich Palästinensern) und anderen Nachbarn.
Juden der
jeweils selben Region haben untereinander mehr genetische
Gemeinsamkeiten als mit Nichtjuden, aber mit ihren einheimischen
Nichtjuden wiederum mehr genetische Gemeinsamkeiten als mit
Juden aus ferneren Siedlungsbereichen.
An
anderer Stelle heißt es:
Keine
nahöstlichen Land-Israel-DNA-Wurzeln wurden bei Juden aus dem
Nordkaukasus ermittelt. Es gibt auch keine jüdischen Abkömmlinge
des
Chasarenkönigreichs,
das im Mittelalter jüdisch wurde.
Link zur Grafik des
Chasarenkönigreichs
Kurzum:
Auf der Grundlage der oben skizzierten genetischen
Gemeinsamkeiten von einem jüdischen Volk zu sprechen, das
sozusagen „von gleichem Blut ist“ oder die „gleiche Sprache“
spricht, fällt schwer, zumal die Mehrheit der Juden nicht in
einem jüdischen Staat lebt, wo Hebräisch Landessprache ist. Ergo
können die meisten Juden nicht einmal die Gebetssprache
Hebräisch – wenn sie den überhaupt beten. Dennoch, und hier
zitiere ich noch einmal Michael
Wolffsohn:
Die
Biologie „der“ Juden hat uns gezeigt, dass biologisch durchaus
Gemeinsamkeiten ohne Identitäten zwischen Juden bestehen. Dieser
Empirie zufolge gilt: Ja, „die“ Juden haben einen gemeinsamen,
antiken, vorderorientalischen Ursprung. Sie sind, so gesehen,
ein Volk. Jeder in diesem Volk Hineingeborene gehört zur
jüdischen Nation. [...]. In die Religion wird man ebenfalls
hineingeboren. Einmal Jude, immer Jude. [...]. Wobei wir bei der
Identifikation wären. Fazit: Gemäß außerpersönlicher, objektiver
Faktoren sind „die“ Juden sowohl Volk als auch Nation, Religion
und Schicksalsgemeinschaft. Ob sich jeder Jude oder Gruppen von
Juden mit „dem“ Judentum und „den“ Juden individuell- oder
kollektivsubjektiv identifizieren, kann wissenschaftlich
lediglich quantifiziert werden, zum Beispiel durch Umfragen.
Deren Ergebnisse wechseln (auch bei Juden ...), denn diese sind
oft nur Momentaufnahmen, Stimmungen und kein Dauerphänomen.
Kurzum:
Es ist eine historisch belegte Tatsache, dass im Deutschen Reich
lebende Juden 1914 laut Hurra rufend sich am Ersten Weltkrieg
beteiligt haben. Daran sollte sich nach dem Ende des Ersten
Weltkrieges bis zur Machtergreifung durch Adolf Hitler auch
nichts ändern, zumindest lässt das ein Eintrag vom 30. März 1933
in den Tagebüchern von Victor Klemperer (1881 bis 1960) „Ich
will Zeugnis ableben bis zum Letzten“ vermuten. Dort heißt es:
„Wir“
– die bedrohte Judenheit. Ich empfinde eigentlich mehr Scham als
Angst, Scham um Deutschland. Ich habe mich wahrhaftig immer als
Deutscher gefühlt.
Und in
einem Eintrag vom 20. März heißt es:
Ich halte
es für ganz unwesentlich, ob Deutschland Monarchie oder Republik
sei – aber dass es aus den Händen seiner neuen Regierung
[gemeint ist die Ernennung von Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum
Reichskanzler] gerettet werde, kann ich gar nicht erwarten. Ich
glaube übrigens, dass es die Schmach, ihr anheimgefallen zu
sein, niemals abwaschen kann.
So
weitblickend beurteilte bereits 1933 ein jüdischer
Wissenschaftler, Journalist und Schriftsteller, der mit seinen
Tagebüchern Literaturgeschichte geschrieben hat, das den Deutschen
bevorstehende Schicksal.
Wie dem auch immer sei:
Viele Juden
hatten sich im Deutschen Reich so assimiliert, dass sie nur noch
ein Interesse und eine Gemeinsamkeit kannten, deutsch sein zu
wollen. Das wiederum konnte nicht verhindern, dass im
Nazideutschland an den Juden das größte Menschheitsverbrechen
begangen wurde, das 6 Millionen Juden das Leben kostete.
Die
sich aus deutscher Sicht daraus ergebende Verpflichtung, für das Existenzrecht Israels
einzustehen, bedarf wohl keiner weiteren Begründung.
04 Existenzrecht Israels
TOP
Allen
193 von den Vereinten Nationen (UNO) anerkannten Staaten, steht
das Existenzrecht zu. Auch der Staat Israel ist ein von der UNO
anerkanntes Völkerrechtssubjekt. Bis 2016 erkannten 160
UN-Mitgliedsstaaten den Staat Israel an.
Rechtsgrundlagen von Israels Unabhängigkeitserklärung vom 14.
Mai 1948, dem Tag der Staatsgründung, waren das
Völkerbundsmandat für Palästina und der UN-Teilungsplan für
Palästina. Bereits kurz vor und erst recht nach der
Staatengründung versuchten einige Nachbarstaaten, den Staat
Israel mit mehreren Angriffskriegen zu zerstören, was ihnen aber
nicht gelang.
Solche
Bestrebungen, den Staat Israel auszulöschen, können nicht
geduldet werden. Erst recht nicht von Deutschland, das aufgrund
seiner „historischen Schuld“ dem Erhalt des Staates Israel im
besonderen
Maße verpflichtet ist. Warum das so ist, das hat am 27.1.2006
(dem Tag der Befreiung der Überlebenden des Konzentrations- und
Vernichtungslagers Auschwitz durch Soldaten der Roten Armee) der
damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) unter
Bezugnahme auf Karl Jaspers und Hannah Arendt, in seiner Rede im
Deutschen Bundestag wie folgt zum Ausdruck gebraucht:
Norbert Lammert am 27.1.2006:
Heute
vor 61 Jahren, am 27. Januar 1945, wurden die Überlebenden des
Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz von Soldaten
der Roten Armee befreit. [...]. Der Heidelberger Philosoph Karl
Jaspers hat schon im Wintersemester 1945/46 den Zusammenhang
zwischen dem Aufbau einer deutschen Demokratie nach Hitler und
der öffentlichen Reflexion deutscher Schuld gesehen. Er hat
damit schon vor 60 Jahren eine wesentliche Begründung für unsere
heutige Gedenkpraxis geliefert. Heute müssen wir
parlamentarische Demokratie in Deutschland nicht mehr aufbauen,
aber wir wollen sie erhalten und fortentwickeln und vor allem
schützen. Deswegen wird auch zukünftig der Deutsche Bundestag
offenen Antisemitismus und Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und
Intoleranz anprangern, verurteilen und bekämpfen. Dass sich
Auschwitz nicht wiederholt, ist in unserer aller Verantwortung.
Jaspers
Schülerin Hannah Arendt hat bei ihren Studien über den
millionenfachen systematischen Mord an Menschen durch Deutsche
herausgestellt, dass wir, die jüngeren Generationen, die den
Zweiten Weltkrieg entweder als Kinder noch erlebten, oder aber
erst später geboren wurden, stellvertretend Verantwortung auf
uns nehmen für Dinge und für die Konsequenzen von Dingen, die
wir selbst nicht getan haben und (Zitat) „an denen wir
vollkommen unschuldig sind“ (Zitatende). Das - so Arendt - ist
(Zitat) „der Preis, den wir für die Tatsache zahlen, dass wir
unser Leben nicht mit uns allein, sondern unter unseren
Gefährten leben“. (Zitatende) Deswegen wird diese Schuld auch
weiterhin unser Denken, unsere Sprache und unser Handeln
bestimmen.
Der
diesjährige Gedenktag wird uns einmal mehr in Erinnerung
bleiben, weil der 27. Januar 2006 von den Vereinten Nationen
erstmals als „Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des
Holocaust“ begangen wird.
Link zur Rede:
Zurück
in die Zeit der Staatengründung Israels
UN-Resolution 181 (1947)
Ein
UN-Teilungsplan für Palästina wurde im November 1947 von der
UN-Generalversammlung angenommen, jedoch nie umgesetzt. Die
Resolution sah vor, das britische Mandat zu beenden und
Palästina in einen Staat für jüdische und arabische
Bevölkerungsteile aufzuteilen, wobei Jerusalem unter
internationale Kontrolle gestellt werden sollte. Die zu den
jeweiligen Staaten gehörenden Gebiete sind in dieser Resolution
exakt beschrieben und benannt.
Resolution 242 des UN-Sicherheitsrates vom 22. November 1967
In
dieser Resolution wird gefordert, dass die Konfliktparteien
unter Betonung der Unzulässigkeit des Gebietserwerbs durch
Kriege dafür sorgen müssen, dass Menschen in der Region
dauerhaft sicher leben können.
Hinsichtlich des Existenzrechts der Staaten in dieser Region [zu
denen natürlich auch Israel gehört] heißt es dort wörtlich:
]Das
Existenzrecht hat] c) die territoriale Unverletzlichkeit und
politische Unabhängigkeit eines jeden Staates der Region durch
Maßnahmen zu garantieren, die auch die Schaffung
entmilitarisierter Zonen einschließen.
Diese
Resolution wurde auf der 1382. Sitzung des Sicherheitsrats
einstimmig verabschiedet.
Resolution im Volltext
05 Politikversagen nicht nur im Nahen Osten
TOP
Dass es
bisher noch nicht zu einer Zwei-Staaten-Lösung gekommen ist, die
zumindest ein friedliches Nebeneinander von zwei Staaten hätte
ermöglichen können, ist auf ein Politikversagen zurückzuführen,
dem es nicht nur am politischen Willen, sondern auch an der
dafür erforderlichen Kooperationsbereitschaft gefehlt hat und
auch heute wohl immer noch fehlt, obwohl sich erneut – Auslöser
ist der Krieg im Gaza-Streifen – die Stimmen nach der
Notwendigkeit einer Zwei-Staaten-Regelung zur Lösung des
„Nah-Ost-Problems“ nunmehr wieder mehren. Im Folgenden wird
aufgezeigt, dass dieser Krisenherd wohl nur schwer zu befrieden
sein wird.
06 Anhörung im Ausschuss für Menschenrechte
TOP
Am 21.
Juni 2017 fand im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre
Hilfen des Deutschen Bundestages eine öffentliche Anhörung zum
Thema: „Die menschenrechtliche Lage in Israel und den
Palästinensischen Autonomiegebieten“ statt. Aus dem
Kurzprotokoll dieser 90. Sitzung werden einige Sätze zitiert,
die zumindest nach meiner Lesart zum Verstehen der Situation im
Nahen Osten von Bedeutung sind.
Link zum Kurzprotokoll
Sachverständiger Dr. Michael
Borchard:
Der Satz, dass Israel eine Demokratie ist - die einzige in der
Region, umgeben von Staaten, die bei weitem nicht den gleichen
Standard an Menschenrechten und liberalen Freiheiten
aufweisen
- ist nach wie vor uneingeschränkt richtig.
Durchaus
besorgniserregend ist die gegenwärtige Dynamik in Israel, was
die Entwicklung der Demokratie angeht. Insbesondere der äußerst
rechte Teil des politischen Spektrums entwickelt sich in eine
problematische Richtung.
Die
Mehrheit der Israelis sind zwar nach wie vor und in nahezu allen
Umfragen Anhänger der Zwei-Staaten-Lösung, aber an einen
Friedensschluss glauben nur noch wenige (Seite 11).
Sachverständiger Jeff
Halper:
Es gibt keinen Plan für eine Zwei-Staaten-Lösung, und es hat
niemals einen Plan gegeben. In Oslo haben zu keinem Zeitpunkt
wirkliche Verhandlungen stattgefunden. Allein ein Blick auf die
Landkarte [...]
macht
deutlich, dass die Idee einfach und sinnvoll ist. Gemeinsam mit
der israelischen Friedensbewegung haben wir die
Zwei-Staaten-Lösung über viele Jahre unterstützt. Wir haben uns
zu keinem Zeitpunkt dagegen ausgesprochen.
Die
Lösung hat sich ganz einfach deshalb erledigt, weil sie ein
zusammenhängendes Gebiet im Westjordanland, in Ostjerusalem und
in Gaza voraussetzt - und damit lediglich 22 Prozent des
historischen Palästina -, das die Palästinenser als eigenen
Staat akzeptiert haben, obwohl die palästinensische Bevölkerung
die Mehrheit in diesem Land ausmachen wird. Über dieses
großzügige Angebot, das Israel von den Palästinensern erhalten
hat, wird niemals gesprochen. Sie sind bereit, für weniger als
ein Viertel ihres Territoriums Frieden zu schließen.
Doch
diese Lösung ist nun vom Tisch, denn ein Blick auf die Karte
macht den aktuellen Status quo deutlich. Sollte mir irgendjemand
hier im Raum zeigen können, wie sich aus dieser Karte noch ein
palästinensischer Staat herausholen lässt, dann hat diese Person
den Friedensnobelpreis verdient (Seite 12).
Sachverständiger Jonathan Heuberger:
Israel
sticht als einzige Demokratie im Nahen Osten heraus. In einer
Region, in der es mehr und mehr gescheiterte Staaten gibt,
religiöse Minderheiten verfolgt werden und es leider immer
wieder zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit und zu
Kriegsverbrechen kommt, ist Israel eine Insel von Stabilität,
Sicherheit und Demokratie. (Seite 14)
An anderer Stelle:
Israelis
wollen keine Zwei-Staaten-Lösung, zum einen, einen binationalen
Multi-Kulti-Staat
Israel und zum anderen einen islamischen Staat Palästina als
Nachbar. Und deswegen sind diese drei Parameter für die
Zwei-Staaten-Lösung relevant. Übrigens möchte ich darauf
hinweisen, dass, weil hier auch die Frage nach Rückzug und
Besatzung gestellt wurde, wenn Israel sich morgen aus dem
Westjordanland komplett zurückziehen würde, wäre die
palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland nicht mehr
sicher und ihre Souveränität nicht mehr gesichert. Wenn Sie
Gespräche mit palästinensischen Sicherheitsbeamten der
Autonomiebehörde führen, werden Sie diese Antwort bekommen.
(Seite 24).
07 Auge um Auge – Zahn um Zahn
TOP
Der
Krieg im Gaza-Streifen hat mit Sicherheit nicht dazu
beigetragen, die Kompliziertheit des oben nur kurz skizzierten
unentwirrbaren Schlamassels zu vereinfachen. Denkbar ist aber
auch, dass es sich bei diesem Krieg doch um einen Wendepunkt
handeln könnte, der zumindest bei den unmittelbar beteiligten
Streitparteien zu der Einsicht führt, dass es so nicht mehr
weitergehen kann.
Und was
den bisher angerichteten Schaden anbelangt, sei daran erinnert,
dass sowohl das Alte Testament als auch, mit anderen Worten, der
Koran beide den Grundsatz kennen, den wir häufig mit Rache
verwechseln.
Dieser
Grundsatz lautet: Auge für Auge, Zahn für Zahn. Dieser
Rechtsgrundsatz befindet sich im Alten Testament in Exodus 21,24
(Auge für Auge), meint damit aber nicht blinde Rache, sondern
Verhältnismäßigkeit zwischen Straftat und Strafmaß. Die Strafe
dürfe nicht schärfer als die Tat sein als die Tat.
Exodus: 21 Ist
weiterer Schaden entstanden, dann musst du geben: 23 Leben für
Leben, 24 Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für
Fuß, 25 Brandmal für Brandmal, Wunde für Wunde, Strieme für
Strieme.
Dieses
Prinzip diente als Begrenzung der Rache und sollte verhindern,
dass Vergeltung außer Kontrolle gerät. Es vermag nicht zu
verwundern, dass auch im Koran dieser Grundsatz verankert ist.
Sure 2 Verse 178-179:
Vergeltung und Blutrache. Es ist Pflicht, im Fall von
vorsätzlichem Totschlag, Vergeltung zu üben. Ein Freier für
einen Freien, ein Leibeigener für einen Leibeigenen und eine
Frau für eine Frau. Wenn aber die Angehörigen des Ermordeten dem
Täter verzeihen, ist eine Ersatzsumme zu entrichten. Die
Begleichung muss korrekt und unverzüglich erfolgen, und die
Angehörigen des Toten haben sich tolerant zu verhalten. Dieser
Verfügung Gottes wohnen Erleichterung und Barmherzigkeit inne.
Wer sie dann überschreitet, zieht sich eine peinvolle Strafe zu.
Die von Gott geregelte Vergeltung sichert euch das Leben.
Diesen
Grundsatz möglichst bald zur Anwendung kommen zu lassen, dürfte
darüber entscheiden, wie nach dem Ausgang des Kriegs im
Gaza-Streifen die Zukunft dort überhaupt weitergehen kann.
08 Wie soll das enden?
TOP
Unrecht
plus Unrecht führt zu noch mehr Unrecht. Wer daran zweifelt,
sollte 1 und 1 zusammenzählen, denn das ist 2. Daraus lässt sich
schließen, dass der Sinn von Politik darin bestehen muss, sich
in der Kunst der Koexistenz zu üben, auch in Kriegszeiten. In
diesem Sinne bedeutet Politik auch, bestehende Kämpfe zu
beenden. Eine Politik, die dazu nicht fähig ist, hat die
Bestimmung von Politik noch nicht erfüllt.
Anders ausgedrückt:
Der Ausspruch, Krieg sei die Fortsetzung der Politik mit anderen
Mitteln müsste eigentlich heißen.
Krieg ist das Scheitern von Politik.
Diese
Politik wird zu einem Vabanquespiel, wenn sie nicht mehr
weiterweiß. Und das gilt für alle Kriege, die zurzeit den
Weltfrieden bedrohen.
Dennoch:
Die internationale Politik ist nicht nur unfähig, internationale
Konflikte zu lösen, sie ist im Gegenteil auch heute noch
unaufhörlich damit beschäftigt, nach Strategien zu suchen, die
dem Gegner „Niederlagen“ zufügen, um so die eigene Position zu
verbessern. Lösen lassen sich so bestehende Konflikte nicht.
09 Muslime in Deutschland
TOP
Für das
Jahr 2015 wird die Gesamtanzahl der Muslime in Deutschland auf
ca. 4,4 bis 4,7 Millionen hochgerechnet. In Anlehnung an
Statista.de
vom 5.5.2023 leben in Deutschland heute bereits rund 5,5
Millionen Menschen aller muslimischen Glaubensrichtungen, womit
der Islam hierzulande die drittgrößte Glaubensgemeinschaft
darstellt.
Die
Frage, die sich nunmehr im Hinblick auf den in Deutschland schon
seit langem bestehenden Antisemitismus stellt, lautet zuerst
einmal, wie groß das islamistische Gewaltpotential, das
Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) spricht von einem
islamistisch-terroristischen Personenpotential, tatsächlich ist.
Islamistisches Gewaltpotential 2017:
Im Jahr 2017 gab es in Deutschland rund 10.800 Salafisten. Das
Bundesamt für Verfassungsschutz zählte Anfang des Jahres 2017
rund 1.600 Menschen zum islamistisch-terroristischen
Personenpotenzial.
Islamistisches Personenpotenzial 2022:
Das islamistische Personenpotenzial setzt sich aus den
Mitglieder- und Anhängerzahlen der einzelnen Beobachtungsobjekte
des BfV im Phänomenbereich „Islamismus/islamistischer
Terrorismus“ zusammen. Insgesamt ergibt sich für das Jahr 2022
aus den ausreichend gesicherten Zahlenangaben ein im Vergleich
zum Vorjahr um rund 2,9 % verringertes Potenzial von 27.480
Personen.
Mit
11.000 Personen bleibt der Salafismus die zahlenmäßig
bedeutendste islamistische Strömung in Deutschland.
Grundsätze der Solidarität. In einer Stellungnahme zu
diesem Thema hat Jürgen Habermas Israels Krieg als „prinzipiell
gerechtfertigt“ bezeichnet und eindringlich darauf hingewiesen,
dass der Gaza-Krieg keinen Antisemitismus rechtfertigen würde,
„erst recht nicht in Deutschland“. Es sei unerträglich, „dass
Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder Drohungen gegen Leib
und Leben ausgesetzt sind und vor physischer Gewalt auf der
Straße Angst haben müssen“.
Link zur Stellungnahme
Dennoch:
In der
Neuen
Züricher Zeitung vom 10.11.2023 heißt es: Der deutsche
Schlussstrich: Geht es um Israel, ist die NS-Vergangenheit keine
Verpflichtung mehr. Wie in Frankreich und Großbritannien ziehen
durch deutsche Städte ungehindert Demonstranten, die nicht nur
für die Rechte der Palästinenser eintreten, sondern sich mit der
Hamas und dem Islamischen Staat (IS) verbrüdern. In Essen konnte
eine seit zwanzig Jahren verbotene islamistische Organisation
eine Kundgebung anmelden, bei der die Errichtung eines Kalifats
nach Vorbild des IS gefordert wurde.
Die
Polizei schritt nicht ein.
In
Tangermünde sollte die Kita „Anne Frank“ umbenannt werden, weil
die Migranten unter den Eltern angeblich mit dem Namen nichts
anfangen können. Es sind solche kleinen Beispiele, wie das
jüdische Leben aus dem Alltag verschwindet. Seit der
Wiedervereinigung sind einige repräsentative Synagogen neu
gebaut worden. Doch die Juden haben heute auf dem Weg in die
Synagoge Angst, eine Kippa zu tragen oder unter ihrem Namen ein
Taxi zu bestellen. Inzwischen ruft Bundeskanzler Olaf Scholz zum
Schutz der Juden auf.
Link zum Artikel in der NZZ:
Trotzdem:
In unserer freien Gesellschaft darf man für eine humanitäre
Feuerpause oder einen Waffenstillstand in Gaza öffentlich
demonstrieren. Man darf dagegen protestieren, dass Israel
Zehntausende von Toten und Verletzten unter der
palästinensischen Zivilbevölkerung als „Kollateralschäden“ in
Kauf nimmt. Man darf auch öffentlich anprangern, dass Israel die
Palästinenser in Israel diskriminiert. Man darf sogar die
Meinung vertreten, Israel sei ein Apartheidstaat.
Für und
gegen all das darf man öffentlich protestieren, selbst ohne den
Terror der Hamas zu erwähnen.
Wer
diese Meinung öffentlich anlässlich von Versammlungen vertritt,
muss dann aber auch dazu bereit sein, dafür kritisiert zu
werden.
Zurzeit
wird geprüft, ob das Zeigen von Transparenten mit arabischen
Schriftzeichen verboten werden kann. Und erst dann, wenn solche
Auflagen nach geltendem Versammlungsrecht verfügt werden dürfen,
können solche Transparente von der Polizei sichergestellt bzw.
beschlagnahmt werden. Dieser Meinungsbildungsprozess kann lange
dauern und möglicherweise nie entschieden werden.
Übrigens.
Eine Studie
aus dem Jahr 2022 kann entnommen werden, dass antisemitische
Einstellungen in Deutschland keine Einzelfälle sind:
Dort
heißt es: Statistisch gesehen nehmen Menschen mit
Migrationshintergrund häufiger eine antisemitische Haltung ein
als Menschen ohne. [...]. Die Haltung von arabischstämmigen
Zugewanderten ist dagegen eher auf das
politisch-gesellschaftliche Narrativ im Herkunftsland
zurückzuführen. Hier spielt der Nahostkonflikt eine nicht
unbedeutende Rolle.
Zudem
sei deutlich geworden, dass auch Diskriminierungserfahrungen zum
Tragen kämen. So neigen Menschen mit Migrationshintergrund, die
sich aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert fühlen, häufiger zu
antisemitischen Einstellungen als Menschen, die eine solche
Diskriminierung nicht erfahren haben.
SVR-Studie 2022-2
Und dass
antisemitische Einstellungen gegenüber Juden insbesondere bei in
Deutschland lebenden Türken verbreitet sind, dass können Sie der
folgenden Grafik entnehmen.
Link zur Grafik
10 Demokratische Zeitenwende?
TOP
Eine solche Wende ist
sowohl im Innern Deutschlands als auch im Hinblick auf den
Ausbau von Kooperationen mit anderen Staaten notwendig. Die
dafür erforderlichen Veränderungen, allein im Bereich des
Denkens, dürften aber wohl heute nicht nur die meisten
Politiker, sondern auch Philosophen und erst recht die
Normalbürger, zu denen auch ich mich zähle, schlichtweg
überfordern, denn Vorstellungen, wie eine neue Weltordnung
aussehen könnte, die erforderlich wäre, um in einer
globalisierten Welt zum Beispiel Klimaziele als eine gemeinsame
Pflicht anzuerkennen, gibt es heute noch nicht.
Zu meinen, dass der Katalog der Menschenrechte ausreichen wird,
dem Klimawandel auch nur geringfügig bremsen zu können, dürfte
wohl kaum Aussicht auf Erfolg haben.
Wir werden uns folglich
als Gattungswesen Mensch, und das gilt auch für die in
Deutschland lebenden Menschen, etwas anderes einfallen lassen
müssen, um Regeln und Werte sowohl im Innern der Republik als
auch beim Umgang mit anderen Staaten zu finden, die von allen
akzeptiert werden können, egal welcher Religion oder welcher
politischen Richtung wir den Vorzug geben. Zu meinen, dass die
Demokratien des Westens sich dafür eignet, sozusagen –
vergleichbar mit dem Christentum und dem Islam – die ganze Welt
zu missionieren, dürfte zum Scheitern verurteilt sein, denn eine
Gesellschaftsform, deren Wirtschaften auf Wachstum basiert, wird
das nicht können.
Warum?
Losgelöst von
Glaubensfragen dürfte es unbestreitbar sein, dass die Schöpfung
(also die Welt in allen Nuancen, wie sie sich heute darstellt)
ein Werk der Natur ist, in deren Absicht es liegt, allem
Existierenden ein Weiterleben zu ermöglichen. Das aber setzt
Koexistenz voraus, die ein System allgemeiner
Wohlfahrt voraussetzt. Dieses System wechselseitiger Wohlfahrt
hat darin zu bestehen, dass alle sich an
diesem System beteiligten Akteure sich gegenseitig nicht nur
ergänzen, sondern sich auch gegenseitig unterstützen, so dass
für jeden der daraus erzielte Nutzen höher ist als der exklusive
Nutzen für die Wenigen.
Das widerum setzt voraus, dass die
Möglichkeiten, sich gegenseitigen Schaden zufügen zu können,
minimiert werden müssen. Dazu gehört insbesondere auch die Reduzierung,
besser gesagt die Vermeidung gefährlicher Risiken. Dass dies
nicht einmal bei dem gefährlichen Unkrautvertilgungsmittel
Glyphosat funktioniert, zeigt, dass gemeinwohlorientierte
Politik im oben skizzierten Sinne kaum möglich ist. Grund dafür
ist, dass der landwirtschaftliche Nutzen durch den Einsatz von
Glyphosat nicht gefährdet werden darf, zumindest nicht in den
nächsten zehn Jahren, und was dann ist, das weiß ja heute
bekanntermaßen noch niemand.
Deshalb ist Glyphosat halb so schlimm, wie manche glauben.
Aber:
In einem Artikel vom 6.12.2023 heißt es auf der Website
des Handelsblatt.de wie folgt: Bayer verliert erneut in
Glyphosat-Prozess: Der Pharmakonzern muss 3,5 Millionen
US-Dollar an eine mit Krebs erkrankte Frau zahlen. Zuletzt hatte
Bayer vier Glyphosat-Klagen in kurzer Zeit verloren.
Nikolausüberraschungen sollten eigentlich anders aussehen.
Wie dem auch immer sei: Europa glaubt an die Unbedenklichkeit
eines Unkrautvernichtungsmittels, was immer es auch in der
Zukunft kosten mag.
Eigentlich sollte bekannt sein, dass selbst der Gewinn des
größtmöglichen Nutzens, wenn er überzogen ist, zum
Untergang führt.
Schon im alten China war bekannt, dass manche Dinge
durch Minderung vermehrt und andere durch Vermehrung gemindert
werden. Bei dem Einsatz von Gift dürfte der erste Teil der oben
skizzierten Menschheitsweisheit die wohl überzeugendere
Feststellung sein.
Wenn die Politik von
heute erfolgreich sein will, dann wohl nur dann, wenn es ihr
gelingt, den gegenseitigen Nutzen zu optimieren ohne dabei
gewusst und gewollt Verlierer zu erzeugen.
Es dürfte deshalb wieder
erforderlich
sein, dass Politik sich erneut darauf besinnt, das zu tun, was
eine Gesellschaft dauerhaft zusammenhält. In der christlichen
Welt des Westens bedeutet das, sich wieder an ein Lebensprinzip
zu erinnern, das die Basis aller Werte bildet. Dieses
Lebensprinzip lautet: Was du nicht willst, was man dir tu, das
füg auch keinem anderen zu.“
Das konfuzianische
Gegenstück hat
folgenden Wortlaut: Willst du sicher stehen, hilf anderen, sich
aufzurichten, willst du etwas erreichen, hilf anderen, etwas zu
erreichen.
Eine sich an diesen
Lebensweisheiten orientierte Politik würde diese Welt nicht nur
verändern, sondern ihr auch einen dauerhaften Bestand
garantieren.
Wie
das aber im Anschluss an das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 - 2
BvF 1/22 möglich sein
soll, das vermag zurzeit noch niemand zu überschauen. Fest
steht, dass die Regierung vom höchsten deutschen Gericht dazu
verpflichtet wurde, 60 Milliarden Euro einzusparen. In der
Pressemitteilung Nr. 101/2023 des Bundesverfassungsgerichts vom
15.11.2023 heißt es:
Die Entscheidung hat zur Folge, dass sich der
Umfang des „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF)
um 60 Milliarden Euro reduziert. Soweit hierdurch bereits
eingegangene Verpflichtungen nicht mehr bedient werden können,
muss der Haushaltsgesetzgeber dies anderweitig kompensieren.
Wie diese demokratische Zeitenwende
sozialverträglich umgesetzt werden wird, dürfte für den Erhalt
der liberalen Demokratie, so wie wir sie heute noch kennen, von
ausschlaggebender Bedeutung sein. Diese Zeitenwende so
hinzukriegen, das die Stimme des Volkes sich weiterhin für den
Fortbestand dieser Demokratie entscheiden wird, dürfte auf
Seiten der Politik die Fähigkeit einfordern, nicht die
Schwachen, sondern die zahlen zu lassen, die nachweisbar zu viel
haben.
Nur ein Beispiel von vielen anderen:
Ein Fußballbundestrainer, der laut einem Bericht der "Bild" vom
DFB für diese Tätikgiet rund 400.000 Euro monatlich
erhält, wäre durchaus dazu in der Lage, nicht nur die ganze
Bundesregierung, sondern auch noch den Bundespräsidenten
problemlos zu alimentieren, um dann selbst noch soviel übrig zu
behalten, um davon gut leben zu können.
Monatilche Amtsbezüge in Euro |
|
Bundeskanzler 20.000 Euro |
20.000 Euro |
Bundesminister 16.000 Euro x 16 |
256.000 Euro |
Bundespräsident 18.000 Euro |
18.000 Euro |
Monatliche
Bezüge der polit. Elite |
294.000 Euro |
|
|
Monatsgehalt Fußballbundestrainer |
400.000 Euro |
Minus
Alimentierung der polit.Elite |
294.000 Euro |
Verbleibendes Armutsgehalt |
106.000 Euro |
Nur damit Sie mich nicht falsch verstehen.
Während ich die Tabelle mit Zahlen füllte, konnte ich ein
Lächeln wirklich nicht mehr unterdrücken. Dieses Lächeln hatte
mit Neid oder Missgunst gar nichts zu tun, es war eher ein
Lächeln des Mitleids mit dem Zustand einer Gesellschaft, die
erkennbar jegliches Maß an Respekt vor der Würde des Menschen
verloren hat.
Und wenn dann auch noch am Bürgergeld und an anderen
Sozialausgaben gespart werden soll, um einen
verfassungskonformen Haushalt 2024 verabschieden zu können,
spätestend dann dürfte auch politisch weniger interessierten
Bürgerinnen und Bürgern klar werden, dass die bisherige Politik
mit den bisher angewandten Mitteln der Problemlösung, diese nicht
werden beseitigen, wohl aber vermehren können.
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