Erwartungshorizonte
Inhalt
01 Einleitung 02
Demokratie ist kein Denkmal aus Stein 03
Demokratische
Erwartungshorizonte 04 Erwartungshorizonte 1776 und 1789
05 Erwartungshorizonte 1949 06
Erwartungshorizonte 1968 07
Erwartungshorizonte ab 1970 08
Erwartungshorizonte 1990/91
09 Die Zeitenwende 10 Deutschland muss kriegsfähig werden
11 Der Krieg im Gaza-Streifen 12 Islamischer Judenhass auch
in Deutschland 13 Judenhass in deutschen Schulen 14
Das
Unbehagen in der Demokratie 15 Unterschiedlichste
Erfahrungshorizonte 16 Machen wir uns nichts vor
01 Einleitung
TOP
Die Wahrheit liegt im
Auge des Betrachters. Diese Aussage gilt nicht nur für den
einzelnen Beobachter, sondern diese Sicht der Dinge kann auch
auf Gesellschaften übertragen werden, denn auch dort werden von
Menschen Entschlüsse gefasst und Urteile getroffen, die auf
Wahrnehmungen beruhen, und die die Welt oftmals nachhaltig
verändert haben.
Dass es dabei zu
unterschiedlichen, beziehungsweise gegensätzlichen Beurteilungen
im Hinblick auf die Sinnhaftigkeit sich abzeichnender
Veränderungen kommen kann, bevor solch ein Wechsel sich dann doch
irgendwann durchzusetzen vermag, liegt in der Natur der Sache.
Das war schon immer so, und daran wird sich auch in Zukunft
wenig ändern.
Dennoch: Es gibt
Erwartungshorizonte, deren Kraft so groß ist, dass sie über eine
sehr lange Zeit Bestand haben. Und dass diese beginnende Nachhaltigkeit vor gut
250 Jahren eine andere war, als die Vorstellungen über
Nachhaltigkeit von heute, daran zu zweifeln würde voraussetzen,
zu leugnen, dass es so etwas wie den gesunden Menschenverstand
überhaupt gibt.
Anders ausgedrückt: Das
Verständnis darüber, was eine Demokratie, so wie wir sie heute
verstehen, ausmacht, hat sich in den gut 250 Jahren ihres
Bestehens gravierend verändert, auch wenn sich die
Demokratievorstellungen, treu nach dem Motto, dass ein einmal
eingeschlagener Weg auch in Zukunft weiterzugehen ist, sich zumindest
in ihrem Kern erhalten haben.
Dieses sozusagen in
Stein gehauene demokratische Grundverständnis dürfte aber, aus der
Perspektive von heute betrachtet, die Überlebensfähigkeit der
Menschheit durchaus in Frage stellen, denn wenn die Menschheit
überleben und eine langfristige Zukunft haben soll, müssen wir
die katastrophalen Risiken, an die wir uns alle gewöhnt haben
und folglich als normal betrachten, so weit wie möglich
minimieren.
Wie aber soll das in
einer Demokratie möglich sein?
Den technischen
Fortschritt zum Stillstand zu bringen, das kann nicht die
richtige Lösung sein, denn dann würden technikaffine
Gesellschaften, also nicht nur die Demokratien, dazu verurteilt
sein, in einer
hochgefährlichen Phase stecken zu bleiben, wodurch die Auslöschung
der menschlichen Zivilisation auf lange Sicht gesehen dann doch wohl
eher unausweichlich sein im Vergleich zu den Möglichkeiten, die
technische Lösungen für den Umweltschutz ermöglichen würden.
Kurzum: Der sichtbar
gewordene Erfahrungshorizont von heute ist ein anderer, als der
von vor gut 250 Jahren, obwohl sich seit der Gründung der ersten
Demokratie 1776 in den USA der Kern demokratischen
Grundverständnisses, der Schutz von Eigentum und natürlich auch
die Idee der Grundrechte sowie das Streben nach Glück bis heute
nachhaltig erhalten haben.
02 Demokratie ist
kein Denkmal aus Stein
TOP
Demokratie ist keine
abgeschlossene Heiligenerzählung und auch kein in Stein
gemeißeltes Denkmal, sondern ein sich in steter
Veränderung befindlicher Prozess, dessen Ziel darin besteht, in
Sicherheit, Freiheit und Wohlstand leben und wirtschaften zu
können.
Aber: Glauben wir wirklich
noch daran, oder ist dieser Glaube bereits brüchig geworden? An
die Versprechen der Demokratie, dass jeder im Rahmen seiner
Talente durch harte Arbeit alles erreichen kann, was ihm oder
ihr wichtig ist, daran glauben heute wohl nur noch die
Erfolgreichen, also die, die es geschafft haben, während
diejenigen im zunehmenden Umfang daran zu zweifeln beginnen,
deren Leistung heute nicht mehr oder schon bald nicht mehr
gebraucht wird und somit befürchten müssen, die Früchte ihrer
harten Arbeit zu verlieren.
Ach ja, und dann gibt es
ja auch noch die große Mehrheit derjenigen, die es nicht
geschafft haben und es auch in Zukunft nicht schaffen werden,
weil ihr Lebensverlauf das einfach nicht zugelassen hat und sich
daran auch in Zukunft nichts ändern wird.
Und was lässt sich
aus dieser durchaus realen Wirklichkeitsbeschreibung im
Deutschland von heute ableiten?
In allen westlichen
Demokratien – Deutschland eingeschlossen – hat sich in den
zurückliegenden Jahren ein latentes Gefühl von Zukunftsangst
„eingenistet“ die nichts Gutes erwarten lässt. Grund dafür ist
auch die Sorge darüber, dass es den Generationen, die nach uns
kommen werden, immer schlechter gehen wird.
Anders ausgedrückt:
Folgegenerationen werden sich wohl mit einem Wohlstandsverlust
abfinden müssen.
Ist das aber wirklich
so?
Glaubt man den Analysen der
Politologen, Soziologen und der Philosophen und natürlich auch
den lauten Rufen der Populisten, dann befindet sich die deutsche
Demokratie bereits im freien Fall. Einige behaupten sogar, dass
es die gar nicht mehr gibt. Diesen Schluss legen ja auch immer
häufiger gebrauchte Sprachfiguren nahe, als da sind:
Demokratieverdrossenheit, Demokratieverfall,
Demokratiefeindlichkeit, Elitenversagen, Werteverfall,
Wohlstandsverlust und andere. Für die Wirksamkeit solcher
Behauptungen hat die Psychologie eine Sprachfigur entwickelt,
die an die Propheten des Alten Testamentes erinnert. Diese
Sprachfigur heißt:
self-fulfilling prophecy,
womit eine sich selbst erfüllende Prophezeiung gemeint ist, die
aus vier Phasen besteht, die hier kurz aufgelistet werden
sollen:
-
Zunächst wird ein Glaube
oder eine Erwartung aufgebaut, was in Zukunft eintreten wird
-
Diesem Glauben wird
immer wieder
Wirkkraft zugesprochen
-
Dadurch werden Einstellungen und
Handlungen verstärkt
-
Hier schließt sich der
Kreis einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, so dass das
Erwartete tatsächlich Wirklichkeit werden kann.
03 Demokratische
Erwartungshorizonte
TOP
Der kontinuierliche
Wandel, dem auch Demokratien unterliegen, lässt sich auch als
ein Prozess des „Wachsens und Werdens“ bezeichnen. Deshalb wird
es zuerst einmal erforderlich sein, sozusagen mit
Siebenmeilenstiefeln durch die Demokratiegeschichte zu eilen, um
zumindest aufzeigen zu können, was Demokratie in ihrem Kern
tatsächlich auch heute noch ist.
Im Anschluss daran wird
es dann erforderlich sein, sich mit den Erwartungshaltungen in
einer Demokratie, gemeint ist die deutsche Demokratie, auseinanderzusetzen, die sozusagen den
Höhepunkt ihres Wachsens und Werdens bereits erreicht hat, in
der aber die Eliten nicht einsehen wollen, dass es die
Überlebensfähigkeit dieser Demokratie notwendig machen
wird, diese Demokratie wirklich neu zu denken. Obwohl jeder von uns
weiß, dass es Menschen nicht möglich ist, die Zukunft so
vorherzudenken wie sie sich dann tatsächlich einstellen wird und
es Menschen erst recht nicht möglich ist, die Zukunft
konfliktfrei zu planen und zu gestalten, vermag uns das nicht
von der Verantwortung entbinden, erkannten Zukunftsgefahren
angemessen zu begegnen. Deshalb sollte es
möglich sein, einen vorgefundenen Zustand - die Realität von
heute – mit Weitsicht, Klugheit, Besonnenheit, Mut, Tapferkeit
und Zielstrebigkeit zumindest anzugehen.
Georg Wilhelm Friedrich
Hegel (1770 bis 1831) ging davon aus, dass gesellschaftliche
Veränderungen auf das Wirken des Weltgeistes zurückzuführen
seien, einer Kraft, die nicht schon seit Anbeginn aller Zeit
bestand, sondern erst im Laufe der Weltgeschichte zu dem wurde,
was sie heute ist.
Anders ausgedrückt. Bei
dem Weltgeist im Sinne Hegels handelt es sich um die Summe aller
menschlichen Erfahrungen in allen Epochen menschlicher Existenz,
die sozusagen den Lauf der Geschichte bestimmten. Natürlich
lässt sich diese Auffassung über den Verlauf der menschlichen
Zukunft nicht beweisen. Das gilt aber auch für andere
Glaubensrichtungen, die davon ausgehen, dass Gott oder Allah die
Zukunft schon richten wird und wir somit alle mit dem von Gott
oder Allah bestimmten Schicksal werden leben müssen.
Halten wir fest.
Veränderungen gehörten und gehören sozusagen zur Substanz
demokratischer Gemeinwesen, denn alle Demokratien unterliegen,
wie andere Staatsformen auch, einem steten Wandel, der sich
nicht aufhalten lässt, so dass jede Gesellschaft darauf
angewiesen ist, ihre Demokratie so zu formen, dass diese
Staatsform weiterhin ihren Zweck erfüllt. Dieser Zweck besteht
darin, ein selbstbestimmtes, friedliches Leben führen zu können
und auch darin, mehr oder weniger sorgenfrei leben zu können,
und die auch sicherstellt, dass inakzeptable Ungleichheiten
beseitigt werden.
04
Erfwartungshorizonte 1776 und 1789
TOP
Damals ging es den Gründern
der 1. Demokratie der Neuzeit zuerst einmal darum, sich von
Großbritannien loszusagen, um einen eigenen souveränen Staat
bilden zu können. Dieser Akt wurde am 4. Juli 1776 durch die
einstimmige Erklärung der dreizehn
vereinigten
Staaten von Amerika vollzogen. Dass es sich bei dem neu
gegründeten Staat um einen Bundesstaat zu handeln hatte, den
sich die Gründer nur in der Form einer Republik vorstellen
konnten, das sei an dieser Stelle lediglich festgestellt. Und
dass es sich dabei um eine repräsentative Demokratie und nicht
um eine direkte Demokratie handeln musste, das stand ebenfalls
außer Frage, denn in einer repräsentativen Demokratie wird der
Wille des Volkes durch eine Körperschaft ausgewählter Männer
umgesetzt, wodurch ein höheres Maß an Sachlichkeit zu erwarten
ist, so zumindest kann es in den Federalist Papers nachgelesen
werden.
Diesen Einsichten wurden
einer breiten Leserschaft durch öffentlichkeitswirksame Aufsätze
zugänglich gemacht, die als Federalist Papers bekannt sind.
Bei James Madison (1751
bis 1836) einer der Hauptautoren der Federalist Papers, der auch
zum vierten Präsidenten der Vereinigten Staaten (1809 bis 1817)
gewählt wurde, vertrat im Hinblick auf das Recht auf Eigentum,
so kann es bei Noam Chomsky nachgelesen werden, folgende
Meinung:
Noam Chomsky:
Um erfolgreich ein System zu entwerfen, das die Zeit überdauern
soll, so Madison, müsse man dafür sorgen, dass die Machthaber
aus den Reihen der begüterten Minderheit erwählt werden. So
werde es möglich, „die Rechte des Eigentums vor der Gefahr zu
schützen, die durch eine Gleichheit des allgemeinen Wahlrechts
droht, das die völlige Macht über das Eigentum in Hände legen
würde, die keinen Anteil daran haben.“
Noam
Chomsky. Was für Lebewesen sind wir? Suhrkamp-Verlag 2016, Seite
161
Im
Übrigen ist sich die akademische Forschung darüber einig, dass die Verfassung der USA ihrem Wesen nach ein
aristokratisches Dokument ist, dessen Ziel darin besteht, die
„demokratischen Tendenzen zu bremsen“ sowie die Macht einer
„besseren Art von Menschen“ zu überantworten und all jene
auszuschließen, die weder reich noch von hoher Geburt noch durch
die Ausübung politischer Macht für solch eine verantwortliche
Aufgabe besonders geeignet erscheinen.
Die sich
daraus ergebenden gesellschaftlichen Spannungen zwischen Arm und
Reich beschreibt James Madison im Federalist Papers Nr. 10 wie
folgt:
James Madison:
Die am
weitesten verbreitete und dauerhafteste Quelle von Parteiungen
ist immer die ungleiche Verteilung des Eigentums gewesen.
Besitzende und Besitzlose haben immer verschiedene
Interessengruppen innerhalb der Gesellschaft gebildet. Derselbe
Gegensatz besteht auch zwischen Gläubigern und Schuldnern. In
zivilisierten Nationen bilden Grundbesitzer, Industrielle,
Kaufleute, Finanziers und andere kleine funktionale Gruppen ganz
notwendig verschiedene Interessenformationen und spalten die
Nationen in verschiedene Klassen, die von unterschiedlichen
Gefühlen und Anschauungen angetrieben werden. Diese vielfältigen
und einander widersprechenden Interessen zu regulieren, ist die
wesentliche Aufgabe der modernen Gesetzgebung.
Womit
sich an dieser Stelle ein Ortswechsel hin zu einer
Erwartungshaltung anbietet, in dem das Recht auf Eigentum sogar
als ein sakrales, also als ein heiliges Recht, bezeichnet wurde.
Gemeint ist die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26.
August 1789.
Dort
heißt es im letzten Artikel wie folgt:
Artikel XVII
Da das
Eigentum ein unverletzliches und heiliges Recht ist, kann es
niemandem genommen werden, es sei denn, die gesetzlich
festgestellte öffentliche Notwendigkeit erfordert es
offenkundig, und unter der Bedingung einer gerechten und
vorherigen Entschädigung.
Anders ausgedrückt:
Eigentum
und Freiheit bilden, historisch betrachtet, sozusagen eine
Einheit, denn ohne Eigentum keine Freiheit. Wer kein Eigentum
hatte, konnte nicht frei sein, denn dann gehörte er oder sie
einem anderen. Diese Idee galt es, auch in Bezug auf den Schutz
des Eigentümers von Sklaven, zu sichern, denn die gab es nach
Verabschiedung der 1. Verfassung der Vereinigten Staaten von
Amerika dort immer noch.
Sogar Thomas Jefferson (1743 bis 1826),
einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten und von 1801 bis
1809 der dritte amerikanische Präsident war ein Sklavenhalter,
was ihn aber nicht daran hinderte maßgeblich an der Textfassung
der Unabhängigkeitserklärung mitzuwirken.
Aber
auch in der Alten Welt des Kontinents hieß es damals:
„Wir
müssen von den Besten regiert werden; die Besten sind die
Gebildetsten und die an der Aufrechterhaltung der Gesetze am
meisten Interessierten.“
(Boissy
d´Anglas, 23. Juni 1795)
Mit anderen Worten:
Demokratie nur insoweit, wie dadurch Eigentumsrechte nicht
verletzt werden. Das zu verhindern ist auch heute noch eine der
Hauptaufgaben der im Bundestag vertretenen 736 Abgeordneten,
deren Zusammensetzung zumindest vermuten lässt, dass es sich
auch bei diesem Entscheidungsgremium um dafür besonders
geeignete Personen handelt, denn knapp 82 Prozent der
Abgeordneten haben einen Hochschulabschluss. Die meisten
Abgeordneten mit einem Hochschulabschluss sind in der
FDP-Fraktion (87,5 Prozent). Dahinter folgen die Grünen (85
Prozent), die Union (rund 85 Prozent) und die AfD (knapp 80
Prozent).
05
Erwartungshorizont 1949
TOP
Nach dem
Ende des Zweiten Weltkrieges, also gut 160 Jahre nach der
Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, ging es im besiegten
Nachkriegsdeutschland, nachdem die Hungerjahre beendet waren,
zuerst einmal darum, nicht nur, den Vorgaben der Alliierten
entsprechend, einen staatlichen Neuanfang zu wagen, sondern auch
darum, den bisherigen Himmelsrichtungen einen völlig neuen
Bedeutungsinhalt beizumessen.
War es
jahrhundertelang darum gegangen, das im Osten liegende Heilige
Land zu befreien, in dem das Heil vermutet wurde, weil dort die
Wiederkehr des Messias zu erwarten war, ging es im besiegten
Nachkriegsdeutschland seit dem Marshallplan und dem damit
verbundenen Versprechen von Wachstum, Fortschritt und Wohlstand
darum, sich vom Osten abzuwenden, um sich den Wahrheiten des
Westens zuzuwenden, denn dort lag nun die Quelle von Freiheit
und Wohlstand, die sich in einem Wort zusammenfassen lässt:
Demokratie.
Vom Osten ging nur noch eine Gefahr aus, die sich
ebenfalls in einem Wort zusammenfassen lässt: Kommunismus.
Aber
auch bei der aufzubauenden Demokratie des Nachkriegsdeutschlands sollte es
sich um eine repräsentative Demokratie handeln. Warum? Eine
Beschränkung der Volkssouveränität wurde allein deshalb für unverzichtbar
gehalten, weil das Volk ja gerade erst vom
Nationalsozialismus befreit worden war und somit davon
ausgegangen werden konnte, dass sich dieses Volk immer noch mit dem Nationalsozialismus
verbunden fühlte, woran sich auch in naher Zukunft nichts ändern werde,
oder aber linkslastigen Ideologien anhing, was gleichermaßen als
unedel angesehen wurde.
Außerdem:
Elemente einer direkten Demokratie galten auch damals immer
noch, und daran hat sich bis heute noch nichts geändert, als
eine Bedrohung für die Besitzenden. Vor allem in Finanzfragen
traute man dem Volk nichts zu. Allein schon der Begriff des
Plebiszitären führte im Parlamentarischen Rat zu
Missverständnissen, denn angeblich sollte es ja das Volk gewesen
sein, dass Hitlers Aufstieg ermöglicht hatte, was aber
historisch nicht richtig ist, denn nicht das Volk, sondern die
repräsentativen Vertreter im Deutschen Reichstag waren es, die
am 24. März 1933 dem Ermächtigungsgesetz zustimmten.
Wie dem auch immer sei:
Damals galt es als eine schlichte Wahrheit, dass die direkte
Demokratie Demagogen begünstigt. So auch die Position von
Theodor Heuss (1884 bis 1963), dem 1. Bundespräsidenten, der im
Parlamentarischen Rat sagte: „Hüte dich vor dem Hund – ich warne
davor (gemeint war das Volksbegehren), mit dieser Geschichte die
künftige Demokratie zu belasten“, denn Volksbegehren bezeichnete
er als „eine Prämie für jeden Demagogen“, einem Klassiker unter
den Argumenten gegen die direkte Demokratie, auf die immer
wieder gern zurückgegriffen wird. Auch heute noch.
Außerdem
fehlt es der Masse des Volkes, so der Tenor im Parlamentarischen
Rat, an Verantwortung, denn die kann nur von Abgeordneten
wahrgenommen werden, was sich aber im Laufe der Zeit als ein
Irrtum herausstellen sollte, denn wenn diese Aussage wirklich
zutreffen würde, hätten die Abgeordneten ja auch für die Folgen ihrer
Entscheidungen einzutreten. Das aber war niemals so und daran
hat sich auch bis heute noch nichts geändert. Als Beispiel sei
hier nur an die grob fahrlässige Unterzeichnung des
Mautvertrages durch den ehemaligen Bundesverkehrsminister
Andreas Scheuer (CSU) erinnert, dessen verfrühte und nicht notwendige
Unterzeichnung des Mautvertrages am Tag vor der Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofes den deutschen
Steuerzahler gut 243 Millionen Euro kosten wird.
Dennoch:
Mit der
Verabschiedung des Grundgesetzes begann in Deutschland nicht nur
der Wiederaufbau, sondern auch das Wirtschaftswunder, das dazu
führte, dass die noch junge Demokratie im zunehmenden Maße auch
im breiten Volk Zustimmung fand, denn ein System, das Menschen
ein besseres Leben ermöglicht, findet meist auch große
Unterstützung.
06
Erwartungshorizonte 1968
TOP
Erste Risse
bekam das deutsche Demokratieprojekt dennoch bereits schon Ende
der 1960er Jahre, als die 68er-Bewegung der
Neuen
Linken nicht nur gegen den Vietnamkrieg protestierte, sondern
auch eine sich abschwächende Hochkonjunktur und erste
gravierende Wirtschaftskrisen in den kapitalistischen Staaten
seit dem Zweiten Weltkrieg, die mit sozial stark ungleichen
Zugängen zu Bildung und Wohlstand einhergingen, auch in
Deutschland Studenten zu Tausenden auf die Straße trieb.
Die Chiffre
„1968“ verstand sich auch als ein Protest gegen die erste Große
Koalition zwischen den Unionsparteien und der SPD, weil
angenommen wurde, dass es dadurch im Bundestag an einer
wirksamen
innerparlamentarischen
Gegenkraft fehlen würde, was dringend durch eine Gegenkraft,
einer außerparlamentarischen Opposition, der sogenannten APO,
ausgeglichen werden müsse. Mit ihr sollte insbesondere die
Verabschiedung der Notstandsgesetze verhindert werden, weil die
Protestierenden die Rückkehr zu einem autoritären Staat
befürchteten.
Wie dem auch immer sei:
1967
begannen Deutschlands wilde Jahre. Die Gewalt nahm stetig zu. Am
2. Juni 1967 flogen die ersten Pflastersteine. Widerstände gegen
das System Demokratie regten sich aber auch an anderer Stelle.
Bereits
1962 hatte Rachel Carson ihr wichtigstes Werk:
Der
stumme Frühling, veröffentlicht. 10 Jahre später wurde Ernst F.
Schumachers Weltbestseller: „Small is beautiful - Die Rückkehr
zum menschlichen Maß“, publiziert. In diesen Büchern wurde eine
Wirklichkeit beschrieben, die bis heute durch Tausende von
Studien und durch eine unüberschaubare Anzahl von Büchern nicht
aufhören will oder kann, vor einer Zukunftsgefahr zu warnen, der
wir uns sozusagen mit Riesenschritten nähern. Auch diese Gefahr
lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Klimawandel.
Dieses
Zauberwort hat ein Demokratieverständnis entstehen lassen, auf
das an anderer Stelle in dieser "Handlungsanleitung für den richtigen
Umgang mit der Demokratie" zurückgegriffen werden
muss.
Hinsichtlich des Demokratieverständnisses in den so genannten
Aufbaujahren halte ich auch für zielführender, auf folgende
Besonderheit hinzuweisen. Es ist unbestreitbar, dass es in den
Aufbaujahren in Deutschland tatsächlich eine Zeit gegeben hat,
in der das Gefühl vorherrschte, in einer egalitären Gesellschaft
zu leben und zu arbeiten.
Wir
haben das nur vergessen, bzw. so gründlich verdrängt, dass jedes
Erinnern an „egalitäre Zeiten“ fast schon als ein
verfassungsfeindliches Denken bezeichnet werden kann.
Wie dem auch immer sei:
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war Deutschland sozusagen
komplett zerstört, zumindest war das die sichtbare Wirklichkeit.
Unsichtbar blieb trotzdem, dass auch in dieser Zeit das Eigentum
ungleich verteilt war und auch ungleich verteilt blieb. Dennoch ließen es die besonderen Umstände
der damaligen Zeit zu, durch eine Umverteilung von Einkünften
von oben nach unten zumindest für einen gesellschaftlich
akzeptierten Ausgleich zu sorgen. Zumindest war das so bei der
Steuerpflicht. Während die großen Einkommen mit Steuersätzen von
80 bis 90 Prozent besteuert wurden, zahlten die unteren 50
Prozent so gut wie gar keine Steuern. Bei der Umverteilung von
Eigentum (Immobilien, Wertpapiere, Geschäftsvermögen und
Produktionsmittel) gelang das jedoch nicht.
Grund
für die hohen Steuersätze war die Steuerpolitik der USA zur
damaligen Zeit im eigenen Land. Folglich war es für diese
Besatzungsmacht naheliegend, dass das, was in den USA in Zeiten
der Rezession funktionierte, auch im besiegten Deutschland zum
Erfolg führen würde.
Thomas
Piketty:
Von 1932
bis 1980, also ein halbes Jahrhundert lang, lag der
Spitzensteuersatz in den USA durchschnittlich bei 80 Prozent und
betrug unter Roosevelt bisweilen, je nach Quelle, 91 oder sogar
94 Prozent. Diese Steuersätze beziehen sich nur auf die
Einkommenssteuer des Bundes: Hinzu kamen die Steuern der
Bundesstaaten, die 5, 10 oder 15 Prozent betragen konnten.
Thomas
Piketty. Natur, Kultur und Ungleichheit. Pieper 2023, Seite 53
An anderer Stelle heißt es:
Der
US-Kapitalismus wurde dadurch nicht nur nicht abgeschafft [...],
sondern das Land erreichte in diesem Zeitraum den größten
Wohlstand und die größte globale wirtschaftliche Dominanz (Seite
54).
Das
änderte sich erst in den 1980er Jahren, als Ronald Reagan zum
Präsidenten gewählt wurde, der zur Wiederbelebung von
US-Unternehmen den Steuersatz auf 28 Prozent senken ließ.
Thomas
Piketty:
Dieser
fiskalische Umsturz sollte das Wachstum in den USA ankurbeln:
Tatsächlich aber halbierte es sich, wenn man den Zeitraum 1990
bis 2020 mit dem Zeitraum von 1950 bis 1990 vergleicht.
Thomas
Piketty. Natur, Kultur und Ungleichheit. Pieper 2023, Seite 57
Im
Gegensatz zu den Gegebenheiten in den USA hatte hohe
Steuersätze in Deutschland
eine wesentlich kürzere Lebensdauer. Sie endete bereits 1958,
als der Spitzensteuersatz auf 53 Prozent reduziert wurde. Heute
liegt der Spitzensteuersatz bei 45 Prozent.
Und was die
Unterschiede in den Gehältern anbelangt, kommt Thomas
Piketty
zu dem Ergebnis, dass eine Gesellschaft wohl nur dann dauerhaft
zusammenhalten kann, wenn der Unterschied zwischen den
Grundeinkommen und den höchsten Einkommen sich an einem Faktor
1:5 orientiert, eine Größenordnung von 1:10 aber nicht
überschreiten sollte. Das sind Werte, die heute bereits um das
Hundertfache überschritten werden.
Wie
lange das gut gehen wird, bleibt abzuwarten.
Darin eine Gefahr
für die Staatsform der Demokratie zu sehen, wird heute von kaum
einem ernstzunehmenden Wissenschaftler bestritten, denn diese
Ungleichheit führt dazu, populistischen Bewegungen sozusagen den
Boden zu bereiten.
07
Erwartungshorizonte ab 1970
TOP
Mit
Beginn der 1970er Jahre begann die Vorstellung darüber zu
wachsen, dass es sich auch bei der Atmosphäre um eine endliche
Ressource handelte, besser gesagt: Der Kohlendioxidgehalt (CO2)
sollte einen Wert von 350 ppm nicht überschreiten, um dem
bereits erkannten Klimawandel Grenzen zu setzen.
Das ist
lange her, denn die Zahlen von heute sind niederschmetternd,
denn bereits im Mai 2013 wurden auf Hawaii ein Höchstwert von 399,72 ppm gemessen.
Zehn Jahre später teilte das deutsche Umweltbundesamt mit, das im Jahr
2022 die CO2-Konzentration auf der Zugspitze im Mittelwert auf
418,9 µMol/Mol (ppm) angestiegen sei.
Anders ausgedrückt:
Gegenüber den 1950er-Jahren wurde damit der globale
Kohlendioxid-Anstieg annähernd vervierfacht. Demgegenüber war
die Kohlendioxid-Konzentration in den vorangegangenen 10.000
Jahren annähernd konstant geblieben. Diese Tatsache nahm der
Anthropologe Jason Moore zum Anlass, darauf hinzuweisen, dass
wir nicht im Anthropozän – sondern im
Kapitalozän
leben, denn ein grenzenloses wirtschaftliches Wachstum sei als
„die“ Ursache für diesen lebensbedrohlichen Zustand anzusehen,
das immer noch weiter anwächst.
Mit anderen Worten:
Den demokratischen Systemen des so genannten Westens ist es
nicht gelungen, den CO2-Anstieg zu bremsen, obwohl die dort
lebenden gut 20 Prozent der Menschheit in den zurückliegenden 70
Jahren für diesen desolaten Zustand in der Biosphäre der Erde in
einem schier niederschmetternden Umfang beigetragen haben.
Heute
hat sich die Reihenfolge der Emittenten verändert. An 1. Stelle
steht jetzt China, gefolgt von den USA, Indien, Russland, Japan,
Iran, Deutschland, Südkorea, Indonesien und Saudi-Arabien und
anderen.
Wie dem auch immer sei:
Festzustellen ist, dass die wirtschaftliche Entwicklung seit dem
Ende des Zweiten Weltkriegs und der damit zusammenhängende
sprunghafte Anstieg der Umweltbelastungen heute zurecht als das
„Zeitalter der großen Beschleunigung“ (Great
Acceleration)
bezeichnet wird.
Übrigens: Nach dem Ende des Kalten Krieges hat
diese Beschleunigung noch weiter zugenommen. Aber das sind nicht
die einzigen Krisen, auf die in Demokratien angemessen hätte reagiert
werden müssen, von denen im
Folgenden
nur einige aufgelistet werden:
-
Finanzkrise 2007/08
-
Flüchtlingskrise 2015
-
Staatsverschuldung
-
Corona-Krise 2022
-
Migrationskrise.
All
diese Krisen hatten und haben immer noch Auswirkungen auf das
Demokratieverständnis in Deutschland. Sie wären vielleicht sogar
vermeidbar gewesen, wenn nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion
und dem damit verbundenen Ende des Kalten Krieges, klügere
Entscheidungen getroffen worden wären.
08
Erwartungshorizonte 1990/91
TOP
Nach dem
überraschenden Ende des Kalten Krieges, der offiziell 1990
verkündet wurde, herrschte im Westen die Vorstellung vor, dass
auf eine wechselseitige militärische Abschreckung nunmehr
verzichtet werden konnte und somit „Frieden mit immer weniger
Waffen“ Wirklichkeit geworden war.
Für das
zu diesem Zeitpunkt noch waffenstrotzende Deutschland, das nach
der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten immer noch
mehr als eine Dreiviertelmillion Mann unter Waffen hatte und
infolge der in der Bundesrepublik und der DDR bestehenden
Wehrpflicht diesbezüglich auch noch über große Reserven
verfügte, und darüber hinausgehend auch ihre Areale mit Panzern,
Artillerie- und Raketensystemen, Kampfbombern und Abfangjägern
prall gefüllt waren, wurde eine Abrüstung unvermeidbar, allein
um die Sicherheitsbedenken der europäischen Staaten zu
beseitigen, die selbst erfahren hatten, was deutsche Waffen zu
leisten vermögen.
Herfried
Münkler
hat dieses Problem in seinem Buch „Welt im Aufruhr“, wie folgt
beschrieben:
Herfried
Münkler:
Aus einem Land mit der weltweit höchsten Militärdichte wurde
eines, das sich im Vergleich zur vorangegangenen Zeit als nahezu
demilitarisiert ausnahm. Man muss sich das in Erinnerung rufen,
um das lange Festhalten der deutschen Politik an einer seit
2014, dem Beginn des Krieges in der Ukraine, in die Kritik
geratenen nichtmilitärischen Friedenssicherung nachvollziehen zu
können.
Als
Ersatz für eine kaum noch vorhandene militärische Stärke
entschieden sich die politisch Verantwortlichen dazu, die
weiterhin latent vom Osten ausgehende Bedrohung durch
Transferleistungen zu minimieren.
Anders ausgedrückt:
Ein fast bankrottes System, gemeint ist Russland nach dem
Zusammenbruch der UdSSR, das Geld für Erdgas und Rohöl für den
Selbsterhalt dringend benötigte,
wird die gebende deutsche Hand wohl kaum bedrohen wollen. Diesem einmal eingeschlagenen Weg galt es zu folgen, was
zwangsläufig zu einer Abhängigkeit von russischem Erdgas- und
russischen Erdöllieferungen führte.
Es hat
sich aber gezeigt, dass Politik, zumindest auf Dauer gesehen,
ohne Gegner und Feinde nicht existieren kann, denn kaum, dass
der große Gegner UdSSR sich sozusagen in Luft aufgelöst hatte,
nahm die dadurch ausgelöste Verwirrung im Westen in den Jahren
nach 1990 zu. Diese Verwirrung erreichte ihren vorläufigen
Höhepunkt, als im Februar 2022 der russische Angriff auf die
Ukraine sozusagen die Welt veränderte. Jetzt war wieder klar:
Die Bedrohung des Westens durch den Osten hatte wieder ein Gesicht bekommen, das
von Tag zu Tag bedrohlicher wird.
09
Die Zeitenwende 2022
TOP
Am 27.
Februar 2022, drei Tage nach dem Angriff der russischen
Streitkräfte auf die Ukraine, hielt Bundeskanzler Olaf Scholz am
27. Februar 2022 im Deutschen Bundestag eine Rede, in der er von
einer Zeitenwende sprach und aus der im Folgenden zitiert wird.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD):
Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte
unseres Kontinents. Mit dem Überfall auf die Ukraine hat der
russische Präsident Putin kaltblütig einen Angriffskrieg vom
Zaun gebrochen – aus einem einzigen Grund: Die Freiheit der
Ukrainerinnen und Ukrainer stellt sein eigenes
Unterdrückungsregime infrage.
Erstens:
Wir müssen die Ukraine in dieser verzweifelten Lage
unterstützen. Das haben wir auch in den vergangenen Wochen,
Monaten und Jahren in großem Umfang getan. Aber mit dem Überfall
auf die Ukraine sind wir in einer neuen Zeit. In Kiew,
Charkiw,
Odessa und
Mariupol
verteidigen die Menschen nicht nur ihre Heimat.
Sie
kämpfen für Freiheit und ihre Demokratie, für Werte, die wir mit
ihnen teilen. Als Demokratinnen und Demokraten, als
Europäerinnen und Europäer stehen wir an ihrer Seite, auf der
richtigen Seite der Geschichte.
Am
Donnerstag hat Präsident Putin mit seinem Überfall auf die
Ukraine eine neue Realität geschaffen. Diese neue Realität
erfordert eine klare Antwort. Wir haben sie gegeben: Wie Sie
wissen, haben wir gestern entschieden, dass Deutschland der
Ukraine Waffen zur Verteidigung des Landes liefern wird. Auf
Putins Aggression konnte es keine andere Antwort geben.
An
anderer Stelle
Klar
ist: Wir müssen deutlich mehr in die Sicherheit unseres Landes
investieren, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere
Demokratie zu schützen. Das ist eine große nationale
Kraftanstrengung. Das Ziel ist eine leistungsfähige,
hochmoderne, fortschrittliche Bundeswehr, die uns zuverlässig
schützt. Ich habe bei der Münchner Sicherheitskonferenz vor
einer Woche gesagt: Wir brauchen Flugzeuge, die fliegen,
Schiffe, die in See stechen, und Soldatinnen und Soldaten, die
für ihre Einsätze optimal ausgerüstet sind. Darum geht es, und
das ist ja wohl erreichbar für ein Land unserer Größe und
unserer Bedeutung in Europa.
Aber
machen wir uns nichts vor: Bessere Ausrüstung, modernes
Einsatzgerät, mehr Personal – das kostet viel Geld. Wir werden
dafür ein Sondervermögen Bundeswehr einrichten, und ich bin
Bundesfinanzminister Lindner sehr dankbar für seine
Unterstützung dabei.
Der
Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100
Milliarden Euro ausstatten. Die Mittel werden wir für notwendige
Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen. Wir werden von nun an
Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in
unsere Verteidigung investieren.
Ich
richte mich hier an alle Fraktionen des Deutschen Bundestages:
Lassen
Sie uns das Sondervermögen im Grundgesetz absichern.
Zum
Schluss der Rede heißt es:
Uns eint
in diesen Tagen: Wir wissen um die Stärke freier Demokratien.
Wir wissen: Was von einem breiten gesellschaftlichen und
politischen Konsens getragen wird, das hat Bestand, auch in
dieser Zeitenwende und darüber hinaus. Deshalb danke ich Ihnen
und allen Fraktionen dieses Hauses, die den russischen Überfall
auf die Ukraine entschieden als das verurteilt haben, was er
ist: ein durch nichts zu rechtfertigender Angriff auf ein
unabhängiges Land, auf die Friedensordnung in Europa und in der
Welt. Der heutige Entschließungsantrag bringt das klar zum
Ausdruck.
Rede im Volltext
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Deutschland muss kriegsfähig werden
TOP
Das sind
ungewöhnliche Worte, zumindest dann, wenn sie von Boris
Pistorius (SPD), dem Bundesverteidigungsminister, stammen, der
im ZDF am 29.10.2023 bei „Berlin direkt“ erklärte:
Wir
müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr
eines Krieges in Europa drohen könnte. Und das heisst: Wir
müssen kriegstüchtig werden, wir müssen wehrhaft sein und die
Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.
Interview in voller Länge
Damit
betrat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD)
sozusagen eine Tabuzone, die sich mit einem kurzen Satz
beschreiben lässt und die bis dahin als unumstößlich galt:
Nie
wieder Krieg.
Mit
dieser pazifistischen Grundhaltung sind im Nachkriegsdeutschland
große Teile der Gesellschaft sozusagen sozialisiert worden. Das
aber soll sich heute wieder ändern, denn in Deutschland sollen,
nach dem Willen der heutigen Regierung, die Bürger und vor allen
Dingen die Bundeswehr wieder wehrhaft werden.
Der Hochglanzbroschüre des
Buindesministeriums der Verteidigung mit dem Titel
"Verteidigungspolitische Richtlinien 2023", die im November 2023
der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, sind die
nachfolgend zitierten einleitenden Sätze vorangestellt:
Der Krieg
ist nach Europa zurückgekehrt. Deutschland und seine Verbündeten
müssen sich wieder mit einer militärischen Bedrohung
auseinandersetzen.
Die internationale Ordnung wird in
Europa und rund um den Globus angegriffen. Wir leben in einer
Zeitenwende. Diese Zeitenwende verändert die Rolle Deutschlands
und der Bundeswehr fundamental. Als
bevölkerungsreichstes und wirtschaftlich starkes Land in der
Mitte Europas tragen wir Verantwortung. Wir müssen Rückgrat der
Abschreckung und kollektiven Verteidigung in Europa sein. Unsere
Bevölkerung, aber auch unsere Partner in Europa, Nordamerika und
der Welt erwarten von uns, dass
wir uns dieser Verantwortung stellen.
Verteidigungspolitische Richtlinien im Volltext
Mit anderen Worten:
Die Zeiten ändern sich und mit ihr auch das politische Denken.
Zwei Schritte in die bundesdeutsche Vergangenheit sollen
deutlich machen, was in Bezug auf die Krisen von heute für
richtig gehalten wurde:
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Der Krieg im Gaza-Streifen
TOP
Im
Heiligen Land wurde schon in biblischen Zeiten im Auftrag Gottes
gemordet und vertrieben, so zumindest kann es an vielen Stellen
im Alten Testament nachgelesen werden. Daran hat sich, was das
Vertreiben und das Töten betrifft, auch nach der Staatsgründung
Israels, die am 14. Mai 1948 vollzogen wurde, nichts
Grundlegendes geändert.
Die
Gewaltspirale jedoch, die durch den Terrorangriff der Hamas am
7. Oktober 2023 in Gang gesetzt wurde, hat zwischenzeitlich eine
Dimension erreicht, die belegt, dass es in den zurückliegenden
75 Jahren nach der Staatsgründung Israels wohl nicht möglich
war, diese Region zu befrieden. Heute wird die Welt, sozusagen
als Folge dieses Versagens, mit einer Situation konfrontiert,
deren Eskalationspotential den Weltfrieden gefährdet.
Auch
wenn heute noch niemand weiß, wie diese Gewaltspirale wieder
gestoppt werden kann, bedeutet das für Deutschland, alles in der
Macht dieses Landes Stehende zu tun, um das Existenzrecht
Israels zu gewährleisten.
Von
führenden Politikern wurde diese Verpflichtung des Deutschlands
als deutsche Staatsräson bezeichnet.
Der
Krieg im Gaza-Streifen ist aber nicht nur ein Ereignis, das
außerhalb der deutschen Landesgrenzen zu regeln sein wird.
Dieser Krieg hat auch im Inland dafür gesorgt, das
Antisemitismus wieder in den Fokus geraten ist. Das haben die
vielen propalästinensischen Versammlungen der letzten Tage und
Wochen in deutschen Großstädten gezeigt, bei denen es zu
Aktionen gekommen ist, die von der Polizei nicht geduldet werden
dürfen, soweit es sich dabei um strafbewehrte antisemitische
Aktionen handelt.
Gleiches
gilt natürlich auch für antisemitisches Verhalten, das sich
unmittelbar gegen jüdische Mitbürger oder gegen Synagogen oder
Gedenkstätten richtet. Außerdem hat Deutschland sicherzustellen,
dass weiterhin jüdisches Leben in Deutschland ohne Angst gelebt
werden kann.
In
diesem Zusammenhang gesehen werden Lösungen gefunden und
umgesetzt werden müssen, die gewährleisten, dass in Deutschland
lebende Muslime ihren Hass gegen Juden nicht zum Ausdruck
bringen dürfen. Wie das erreicht werden soll, das weiß heute
noch niemand. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass ein
wertegebundener Rechtsstaat sich dabei schnell seiner
Belastungsgrenze nähern wird, um die zur Eindämmung des
Antisemitismus erforderlich werdenden durchgreifenden
Änderungen nicht nur gesetzlich zu regeln, sondern
erforderlichenfalls auch durchzusetzen.
Schöne
Worte und Absichtserklärungen allein, werden nicht ausreichen.
Inwieweit der Schutz jüdischen Lebens in Deutschland in einem
Rechtsstaat überhaupt im notwendig werdenden Umfang
gewährleistet werden kann, bleibt somit abzuwarten. Sollte das
diesem Staat nicht gelingen, wird die deutsche Demokratie wohl
in Kauf nehmen müssen, dass sich die Parteienlandschaft in
Deutschland aller Voraussicht nach dann wohl in den nächsten
Jahren nachhaltig verändern wird.
12
Islamischer Judenhass auch in Deutschland?
TOP
Zu
diesem Thema hat sich die in Österreich überregional
erscheinende Tageszeitung „Die Presse“, am 7. November 2023 wie
folgt positioniert:
Die Presse:
Antisemitismus ist in weiten Teilen der arabischen Welt
gesellschaftlicher Konsens. Es ist so dramatisch wie logisch,
dass er nun bei uns neu aufkeimt. Es ist 2023, und Juden fühlen
sich in Europa nicht mehr sicher. Angriffe auf Synagogen,
Messerattacken, Bombendrohungen – besonders in Frankreich, aber
auch in Österreich und Deutschland häufen sich antisemitische
Vorfälle. Dort, wo das „Nie wieder“ zu Hause ist. Und in
Deutschland demonstrieren Islamisten für das Kalifat. Unter dem
Schutz des Rechtsstaats, der ihnen die Versammlungsfreiheit
gewährt, skandieren sie ihre totalitäre religiöse Ideologie, die
genau diesen demokratischen Rechtsstaat untergehen sehen will.
Jeder, der sich auch nur ein bisschen mit dem Islam und dem
arabischen Raum beschäftigt hatte, wusste längst, was auf Europa
zukommt. Warnungen gab es zahlreiche. Oft von Menschen, die
selbst aus islamischen Ländern kommen und denen das Leben in
einer freien Gesellschaft nicht geschenkt wurde. Die Autorin
Ayaan Hirsi
Ali stammt aus Somalia, flüchtete in die Niederlande und lebt
heute in Stanford und England. In ihrem Buch „Ich klage an“
beschrieb sie bereits 2005, wie „der irrationale Hass gegen
Juden und die Abneigung gegen Ungläubige“ in Koranschulen
gelehrt und ständig in den Moscheen wiederholt werde. Juden
würden „konsequent als Urheber alles Bösen“ dargestellt.
Judenhass gibt es selbstredend nicht nur unter Muslimen. Aber er
ist unter ihnen deutlich präsenter, virulenter und verfestigter.
Und während Antisemitismus in Europa heute geächtet ist, ist er
in weiten Teilen des arabisch-islamischen Raums
gesellschaftlicher Konsens.
Die
Presse. Leitartikel vom 7.11.2023
13
Judenhass in deutschen Schulen
TOP
Auch an
deutschen Schulen artikulieren Kinder Judenhass, den sie, anders
lässt sich das nicht erklären, aus ihren Elternhäusern
mitbringen. In einem Artikel auf
Welt.de
vom 7. November 2023 beklagt sich zum Beispiel eine Lehrerin
darüber, das ein Achtjähriger zu ihr gesagt hat: „Juden sind
Schweine, keine Menschen.“
Das
Schulverwaltungsamt der Landeshauptstadt Düsseldorf hat,
losgelöst von der gerade skizzierten Situation, den zunehmenden
Antisemitismus auch an den Schulen in Düsseldorf zum Anlass genommen,
eine Handreichung für Schulleitungen und Lehrkräfte zum Thema
„Was tun bei Antisemitismus an Schulen?“
herausgegeben.
Was tun bei Antisemitismus an Schulen?
Wer
darin konkrete Handlungsanweisungen sucht, was in solchen Fällen
zu tun ist, dürfte jedoch enttäuscht werden. Der Text ist zwar
gegendert, ob dadurch aber das Fehlen zu treffender konkreter
Maßnahmen ausgeglichen werden kann, das muss jeder für sich
selbst entscheiden, der sich auf einen Text einlässt, dem es an
Konkretheit mangelt.
Dieses hier nur grob skizzierte Thema ist so bedeutsam für einen
"funktionierenden Kreislauf im Getriebe einer offenen
Gesellschaft", dass dieses Thema mit gebotener Gründlichkeit im
nächsten Beitrag auf dieser Website erörtert wird, der am 20.
November 2023 online zur Verfügung steht.
14
Das Unbehagen in der Demokratie
TOP
Krisenzeiten, in denen die Demokratie sowohl von innen als auch
von außen bedroht wird, sind immer auch Anlässe für Politiker,
durch wohlklingende Bekenntnisse zur Demokratie dazu
aufzufordern, die offene Gesellschaft zu verteidigen und sich
den Feinden der Demokratie gemeinsam entgegenzustellen. Bei den
nachfolgenden Botschaften handelt es sich um Zitate aus Reden
und Statements des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier
(SPD).
März 2017:
Bei seiner Antrittsrede am 22. März 2017 im Reichstagsgebäude in
Berlin fand der gerade gewählte Bundespräsident Frank Walter
Steinmeier angesichts rechtspopulistischer Strömungen in vielen
Ländern mahnende Worte. In seiner Rede heißt es u.a.:
Die
Anfechtung der freiheitlichen Demokratie findet nicht nur bei
anderen statt – weit westlich und östlich der europäischen
Grenzen. Die Wahrheit ist doch: Eine neue Faszination des
Autoritären ist tief nach Europa eingedrungen. Populisten
erhitzen die öffentliche Debatte durch ein Feuerwerk von
Feindbildern, laden ein zum Kampf gegen das sogenannte
Establishment und verheißen eine blühende Zukunft nach dessen
Niedergang. Es gibt in Deutschland keinen Grund für Alarmismus.
Das nicht. Aber ich sage mit Blick auf das, was sich da am
Horizont auftut, mit ganz großer Ernsthaftigkeit: Wir müssen
über Demokratie nicht nur reden – wir müssen wieder lernen, für
sie zu streiten! Darum geht es.
Mai 2019:
70 Jahre Grundgesetz:
Ich finde,
der Freiheitsgeist, den das Grundgesetz atmet, ist gerade heute
wieder anregend und belebend, gerade in einer Zeit, in der die
liberale Demokratie wieder angefochten wird. An anderer Stelle:
Wenn heute nicht einmal mehr die Hälfte der Menschen in unserem
Land daran glaubt, die drängenden Probleme könnten durch die
etablierten politischen Parteien gelöst werden; wenn es diesen
Parteien in manchen Regionen immer schwerer gelingt, Kandidaten
für Kommunalwahlen zu finden; wenn in der jungen Generation
sogar eine große Mehrheit der Ansicht ist, es brauche neue
politische Bewegungen und ganz andere Kanäle, dann ist das nicht
nur ein Problem für einzelne Parteien. Sondern dann gerät mehr
und mehr die politische Ordnung, wie sie unsere Verfassung
selbst vorgesehen hat, insgesamt in Zweifel, oder ich sollte
sagen: aus der Balance.
September 2020:
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei einem Gedenken
zum 40. Jahrestag des Oktoberfestattentats zum konsequenten
Vorgehen gegen Rechtsextremismus in der Polizei aufgerufen.
Feinde der
Freiheit und der Demokratie dürfen in der Polizei nicht geduldet
werden. Es muss jede Anstrengung unternommen werden,
rechtsextreme Netzwerke zu enttarnen, wo es sie gibt“, sagte
Steinmeier am Samstag in München mit Blick auf rechtsextreme
Verdachtsfälle bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Der
Rechtsextremismus hat tiefe Wurzeln in unserer Gesellschaft.
August 2020:
Reichsflaggen auf dem Westportal des Deutschen Bundestages. Auf
der Website der FAZ vom 30.08.2020 heißt es:
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat das Vordringen von
Demonstranten auf die Treppe des Reichstags in Berlin am
Samstagabend scharf verurteilt. „Reichsflaggen und rechtsextreme
Pöbeleien vor dem Deutschen Bundestag sind ein unerträglicher
Angriff auf das Herz unserer Demokratie. Das werden wir niemals
hinnehmen“, sagte Steinmeier am Sonntag.
März 2021:
Forum Bellevue: Kampf um die Demokratie im Netz. Steinmeier
fürchtet „Feinde innen und außen“. Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier hat die Demokratien dazu aufgerufen, ihre Werte und
Errungenschaften gegen Angriffe durch soziale Medien zu
verteidigen. Dazu forderte er auch klare Regeln für die
Betreiber von Internetplattformen.
Die
Demokratien der Welt müssen ihre Verfasstheit auch im
Digitalen
sichern, gegen Feinde von innen wie außen“, sagte Steinmeier in
Berlin in der elften Folge seiner Reihe „Forum Bellevue zur
Zukunft der Demokratie.
Oktober 2022:
Veranstaltung mit der
Deutschen
Nationalstiftung: „Alles stärken, was uns verbindet“.
Russlands
brutaler Angriffskrieg in der Ukraine hat die europäische
Sicherheitsordnung in Schutt und Asche gelegt. In seiner
imperialen Besessenheit hat der russische Präsident das
Völkerrecht gebrochen, Grenzen in Frage gestellt, Landraub
begangen. Der russische Angriff ist ein Angriff auf alle Lehren,
die die Welt aus zwei Weltkriegen im vergangenen Jahrhundert
gezogen hatte. An die Stelle des Austausches, der Suche nach dem
Verbindenden tritt mehr und mehr das Ringen um Dominanz. [...].
Die Welt ist auf dem Weg in eine Phase der Konfrontation –
obwohl sie doch dringender denn je auf Kooperation angewiesen
wäre. Klimawandel, Artensterben, Pandemien, Hunger, Migration,
nichts davon lässt sich lösen ohne die Bereitschaft und den
Willen zu internationaler Zusammenarbeit. [...]. Was also
verlangt das Wesentliche? Und was sind wir bereit, uns
abzuverlangen? Klar ist: Wir müssen in den nächsten Jahren
Einschränkungen hinnehmen. Das spüren die meisten längst. Jeder
muss beitragen, wo er kann. Und diese Krise verlangt, dass wir
wieder lernen, uns zu bescheiden.
Meine
Damen und Herren, wir schränken uns ein, um durch die Krise zu
kommen. Wir verändern uns, um unsere Erde zu erhalten. Noch ein
Drittes wird uns abverlangt in dieser Epoche: Wir brauchen
aktive, widerstandskräftige Bürgerinnen und Bürger.
August 2023:
75 Jahre Verfassungskonvent von Herrenchiemsee:
Wir alle
haben es in der Hand, die Verächter unserer Demokratie in die
Schranken zu weisen. Und wir alle, jede Politikerin und jeder
Politiker, aber eben auch jede Bürgerin und jeder Bürger, wir
alle haben eine gemeinsame Verantwortung für unsere Demokratie.
Wir müssen sie schützen. Die in diesen Zitaten enthaltenen
Botschaften lassen sich in einem Satz zusammenfassen, der
folgenden Wortlaut hat. Wir
müssen uns daran gewöhnen, dass Krisen zur Normalität gehören,
auch zur politischen Normalität im Deutschland von heute.
Der wohlklingenden Worte hat es viele gegeben, denen weitere
wohlklingenden Worte folgen werden. Einer der Kernsätze einer
lebensfähigen Demokratie lautet aber: Nicht durch euere Worte,
sondern nur durch euere Taten lässt sich der innere Zusammenhalt
in einer Demokratie erhalten.
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Unterschiedliche Erfahrungshorizonte muss man aushalten
TOP
Das
folgende Zitat stammt aus einem Interview, dass die TAZ am 4.
Juni 2021 mit Steffen
Mau
führte, Professor für Makrosoziologie an der HU Berlin. Seine
Themen: Ungleichheit,
Steffen
Mau:
Unterschiedliche Erfahrungshorizonte, diverse Betroffenheiten,
jeweils andere Herkünfte – das muss man aushalten. Es gibt keine
pauschal zu verstehende identitätspolitische Vorrangigkeit, es
gibt keinen letzten Wahrheitsanspruch, den man aus der eigenen
Befindlichkeit oder Betroffenheit ableiten kann. Es gibt nur die
Verpflichtung der Mehrheitsgesellschaft, die eigene Perspektive
zu dezentrieren und diesen neuen Diskursen und Stimmen Raum zu
verschaffen. Alles andere
muss weiter miteinander diskutiert
und verhandelt werden.
16
Machen wir uns nichts vor
TOP
Die
Herrschaft des Volkes ist kein Honigschlecken.
Demokratie ist auch keine Wohlfühlveranstaltung.
Demokratie ist ohne Konflikte gar nicht denkbar.
Demokratie, das bedeutet Vielfalt und auch Wiederspruch.
Ihr
Verfahren gründet dennoch auf der Überzeugung, dass der Wille
der Mehrheit entscheidet und geltendes Recht zu beachten ist.
Demokratie bedeutet aber auch, dass Menschen mitreden, von denen
man nicht will, dass sie überhaupt ihren Mund aufmachen.
Demokratie, so der Glaube der Eliten an sich selbst, gibt ihnen
nicht nur das Recht, sondern verpflichtet sie sozusagen dazu mit
allen zur Verfügung stehenden Mitteln die Massen zu belehren, zu bevormunden
und "soft" zu erziehen, womit gemeint ist, dass die Dummen am
besten gar nicht merken sollen, wie wir sie manipulieren.
Demokratie wird deshalb heute schon von vielen als eine Zumutung
empfunden, zumal das Wort Mehrheitsgesellschaft zwischenzeitig
sogar einen negativen Beigeschmack bekommen hat.
Demokratie in Deutschland, das schließt auch die Existenz einer
bisher in diesem Umfang nicht dagewesene wirtschaftliche
Ungleichheit ein.
Dennoch:
Geht Demokratie verloren, tritt an die Stelle der Demokratie die
politische Willkür.
Fehler, Verbesserungsvorschläge und Fragen richten Sie bitte an:
info@rodorf.de
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