Kapitel 3 Die LNG-Illusion
Inhaltsverzeichnis
01
Was ist LNG? 02 Fracking 03
LNG-Terminals 04 Der Transport von LNG
05 Die Transportschiffe 06
Erforderliche Infrastruktur 07 Die
Menschen haben Angst 08 Auswirkungen des
LNG-Beschleunigungsgesetzes 09 Position der
Bundesregierung 10 Widerspruch hat keine aufschiebende
Wirkung mehr 11 Die Macht der Dummheit 12
Die Macht der Technik 13 Das unbekannte
Unbekannte 14 Die Problemlöser von heute 15
Demokratieverdrossenheit 16 Wir sind
Getriebene
01 Was ist LNG?
TOP
Liquified Natural Gas, eine Bezeichnung, wie sie unzutreffender nicht sein
könnte. Warum? Flüssiges Gas gibt es in der Natur nicht, denn zur
Herstellung von LNG ist ein sehr aufwändiges und umweltschädigendes
Verfahren erforderlich. Zuerst einmal muss tief in der Erde nach Gas gebohrt
werden, das sich dort in Erdformationen befindet. Diese Erdformationen
müssen mit starkem Druck und unter Einsatz großer Mengen an Chemikalien und
Wasser aufgebrochen werden, bevor das dort nunmehr „befreite“ Gas überhaupt
an die Erdoberfläche kommen kann, um dann dort auf 160 Grad unter dem
Gefrierpunkt abgekühlt zu werden, damit es flüssig wird.
02 Fracking
TOP
Das
flüssig gemachte Gas - zumindest das aus den USA importierte LNG - wird dort
durch Fracking gewonnen, also mit einem äußerst umweltschädlichen Verfahren. Aber nicht
nur das. Auch auf dem Transport geht viel Gas verloren. Schätzungen gehen von 20 Prozent
Verlust beim Transport aus. Weltweit werden die Verluste beim Transport von
LNG pro Jahr etwa 400 bis 800 Milliarden Kubikmeter Erdgas geschätzt, die in
die Atmosphäre entweichen und dabei den Treibhauseffekt verstärken.
Übrigens: Flüssiggas beziehen wir zurzeit hauptsächlich aus den USA, aus Australien und aus Katar. Ein kurzer Blick in
die USA, in der zurzeit etwa 85 Prozent des LNG durch Fracking gewonnen
wird. Dort werden, um das Erdgas aus dem Gestein pressen zu können, große
Mengen Wasser, Sand und Chemikalien eingesetzt. Man bohrt bis zu mehreren
1000 Metern tief. In den Bohrlöchern entstehen, durch das hineingepresste
Gemisch von Wasser und Zusatzstoffen im Gestein lange Risse, so dass das
dadurch freigewordene Gas durch die Bohrungen an die Oberfläche gelangen kann.
Das zurückbleibende Abwasser ist hochgiftig und gelangt natürlich auch ins
Grundwasser. Für Mensch und Umwelt ist diese Form der Förderung belastend,
zumal für eine Bohrung etwa 19 Millionen Liter Wasser benötigt werden, wobei
es sich überwiegend um Süßwasser handelt. Hinzu kommt ein Fracking-Fluid,
das ein Prozent des Wasserverbrauchs ausmacht, also etwa 190 000 Liter
„Umweltgift“ pro Bohrung.
Bei diesem Fracking-Fluid handelt es sich
um eine äußerst umweltbelastende Substanz, die, wenn sie wieder an die
Oberfläche kommt, wie Sondermüll entsorgt werden muss. Zum Glück sind die Bohrlöcher in
den USA weit weg von Deutschland. Was hat es uns also zu kümmern, wie
NLG in den USA gefördert wird? Hauptsache wir erhalten Gas. Dem Klima wird das wohl
kaum schaden. Oder etwa doch?
Hinweis: Während in Deutschland
Fracking verboten ist, (fragt sich nur, wie lange noch) haben die USA ihre
Bohrungen wegen der hohen Nachfrage nach LNG verstärkt, obwohl das Fracking
zerstörtes Land, giftiges Wasser und verseuchte Gebiete zurücklässt. Warum?
Mit Fracking lässt sich viel Geld verdienen.
Anders ausgedrückt: Wir lagern die Umweltprobleme also nur
aus. Aber auch jenseits der Fördermethode ist Erdgas keine sauberere Energie
im Vergleich zu Öl und Kohle. Erdgas verbrennt zwar mit weniger Rückständen,
als das zum Beispiel bei Kohle der Fall ist, die Gesamtbilanz aber ist trotz
allem nicht gut, weil Erdgas, auch NLG, nicht
klimaverträglicher als Kohle ist, denn Erdgas besteht zu seinem größten Teil aus
Methan, einem extrem starken Treibhausgas, von dem bekannt und nachgewiesen
ist, dass dieses
Treibhausgas in der gesamten Lieferkette, beginnend bei der Förderung, beim
Transport und auch bei der Rückgewinnung und natürlich auch bei der Nutzung
dieses Energieträgers in die Atmosphäre entweicht und das macht
Flüssigerdgas dann genauso klimaschädlich wie Kohle.
Methan gilt
unter Forschern – und das wird oftmals übersehen - als 80-mal schädlicher
für das Klima als CO2.
Wer kann das noch als nachhaltig
bezeichnen?
Vielleicht sollten wir doch eher darüber
nachdenken, wie wir Erdgas einsparen können, zumal ein Drittel unseres
Erdgases im Gebäudesektor verbrannt wird, aber frieren will natürlich
auch niemand.
Die Fragen, die sich nunmehr stellen, lauten:
Wie soll klimafreundlicher geheißt werden? Durch Wärmepumpen und neue Heizungen? Durch
eine bessere Wärmedämmung? Durch sparsameren Umgang mit Energie?
Fest steht: Verhaltensänderungen und auch andere -
technische - Veränderungen werden
unverzichtbar sein. Bis es aber so weit ist, handelt es sich bei der
bundesdeutschen Wohnbevölkerung und erst recht bei den gewählten
Repräsentanten, immer noch um eine Ansammlung von Scheinheiligen.
Die Grünen
wollen möglichst, am besten noch vor der parlamentarischen Sommerpause, die
am 1. Juli 2023 beginnt und Ende August 2023 endet, ein umstrittenes
Heizungsgesetz im Deutschen Bundestag verabschieden. Das aber wird wohl an
der FDP-Fraktion scheitern, die die parlamentarische Beratung über das
„Gebäudeenergiegesetzes“, nicht für zielführend hält, weil das Gesetz
dringend einer Überarbeitung bedarf. So sieht das zwischenzeitlich
wohl auch Wirtschaftsminister Robert Habeck, denn am 26.05.2023 heißt es in
den Medien, dass Habeck das Heizungsgesetz nachbessern will.
Wie dem auch immer sei: Die Klimakrise ist real und
schreitet voran. Trotzdem will eine Mehrheit kein schnelles Verbot der
Gasheizung. Die Frage, die sich in diesem Sachzusammenhang stellt, lautet
deshalb ganz banal: Woran liegt das? An Ignoranz und Dummheit aller
Beteiligten?, oder an einer verfehlten Politik, die nicht dazu in der Lage
war und auch heute noch nicht ist, ein erforderliches öffentliches
Bewusstsein zu schaffen, das Voraussetzung dafür ist, überall dort Energie
zu sparen, wo das bereits heute ohne unzumutbare Schmerzen möglich ist?
Hinter dieser Frage verbirgt sich viel Wahrheit, wenn sie beantwortet
werden. Dazu aber später mehr,
denn diese zentrale Frage eines sozialverträglichen Umgangs mit der Klimakrise
wird an anderer Stelle in diesem Essay aufgegriffen und vertieft. Hier geht
es zuerst einmal nur darum, über die Sinnhaftigkeit der LNG-Technik
nachzudenken.
03 LNG-Terminals
TOP
Um die Klimaschädlichkeit der Nutzung von LNG im Großen, also im
industriellen Umfang vertreten und durchsetzen zu können, wird diese
„vorübergehende Nutzung fossiler Energien", so der Sprachgebrauch der
Politiker, als ein notwendiges Übel
angesehen, das bereits dann Sorgenfreiheit verspricht, wenn nur zwei oder
drei schwimmende LNG-Terminals in Betrieb genommen werden. Eine industrielle
Nutzung von LNG sieht aber anders aus. Dazu gleich mehr.
Das große
Problem lässt sich durch solch eine Verniedlichung dennoch nur
verschleiern, denn der Lieferung von NLG liegen Verträge mit langen
Laufzeiten zugrunde, in denen Vertragskürzungen nicht vorgesehen sind. Diese
Verträge werden eingehalten werden müssen, oder aber für entgangenen Gewinn viel Geld
zu zahlen sein. Seit September 2022 kommt LNG als flüssiges Erdgas
bereits in Wilhelmshaven an. In einem LNG-Terminal wird es wieder in Gas
umgewandelt. Diese Anlage ist die erste in Deutschland. Sie wurde in
Rekordzeit genehmigt und in Betrieb genommen. In den nächsten vier Jahren
sollen noch weitereTerminals entstehen. Acht schwimmende Spezialschiffe,
die das Flüssiggas aufnehmen und weiterleiten und drei sehr viel größere
Anlagen an Land sollen die Versorgung von Industrie und Privathaushalten
mit Gas sicherstellen.
Anders ausgedrückt: Etwa 400
Tankerladungen sollen die Gasmenge ersetzen, die Deutschland im Jahr 2020
aus Russland importiert hat.
04 Der
Transport von LNG TOP
Für den Transport muss Flüssigerdgas auf minus 160 Grad abgekühlt
werden, denn nur dann steht LNG als flüssige Energie zur Verfügung. Dadurch
verringert sich das Volumen von Erdgas um das 600-Fache.
Dennoch
werden für den Transport des weltweit benötigten LNG Transportschiffe
benötigt, die im Idealfall selbst LNG als Treibstoff nutzen. Diesbezüglich
fehlt es zurzeit aber wohl noch an einer lückenlosen Infrastruktur zur
Betankung dieser Transportschiffe, woraus zu schließen ist, dass diese
Schiffe zumindest vorübergehend, andere fossile Energien als Treibstoff
nutzen, soweit für eine Betankung der Tanker noch keine LNG-Bunkerboote zur Verfügung stehen. Wie
dem auch immer sei, für den Transport von LNG werden riesige Schiffe
benötigt.
05 Die
Transportschiffe TOP
Die beiden größten LNG-Transportschiffe waren noch vor wenigen Jahren die Mozah
und ihr Schwesterschiffe die Nakilat. Beide LNG-Tanker gehören der
Q-Max-Klasse an. Die zwischen 2007 und 2010 gebauten Riesen sind 345 Meter
lang und haben eine Kapazität von je 266.000m³. Im Jahr 2021 waren
von diesen Transportschiffen bereits 15 Tanker im Betrieb und weitere 249
andere, die
zwischen 170.000 und 210.000m³ LNG transportieren können, sind bereits weltweit für den
Transport von LNG im Einsatz. Tendenz steigend.
LNG soll nach dem
Willen der Bundesregierung – neben Importen aus den USA - vor allem aus den
arabischen Staaten per Schiff nach Deutschland transportiert werden.
06 Erforderliche Infrastruktur
TOP
Die neue LNG-Infrastruktur ist heikel: Unfälle oder gar Anschläge
könnten katastrophale Folgen haben. Doch nicht nur die Industrie, auch die
Politik beruhigt. Trotzdem: Auch das innovativste Schiff nützt nichts,
wenn es seine Ladung nicht löschen kann. Spezielle, milliardenteure
Industrieanlagen werden deshalb benötigt, in denen das LNG langsam erwärmt
und in den benötigten gasförmigen Zustand zurückgeführt werden kann. Ob Frankreich,
USA, Taiwan oder die Niederlande: Es gibt kaum eine Industrienation, die
nicht entsprechende Anlagen plant oder baut.
07
Die Menschen haben Angst TOP
Auch wenn die Befürworter der LNG-Technik versichern, dass es sich bei
den LNG-Tankern nicht um schippernde Bomben handelt, wenn sie zum Beispiel
zum Zielobjekt möglicher Terroranschläge gemacht werden, haben viele
Menschen dennoch Angst vor dieser Technik, zumindest die Teile der
Bevölkerung, denen die dafür erforderliche Infrastruktur sozusagen vor ihrer
Haustür aufgebaut werden soll, denn die Gefahr ist real. Warum? Die islamistische Miliz Hisbollah
hat bereits Israel mit Angriffen gedroht, um die Förderung und
den Transport von Gas aus Israel zu verhindern. Es ging dabei um ein Schiff, auf
das Gas verladen und gelagert werden sollte und das dem britischen
Unternehmen Energean gehört.
Zur gleichen Zeit explodiert auf der
anderen Seite der Erde, in Texas, eine Großanlage zur Produktion von
Flüssigerdgas (LNG). Ein vor Anker liegender LNG–Tanker wurde daraufhin
eiligst in sichere Entfernung geschleppt.
Wie sicher der Transport von LNG
ist, darüber gehen die Meinungen auseinander, auch wenn, so die Position von
Experten, eine Explosion sei extrem unwahrscheinlich sei, weil dafür viele
Faktoren zusammenkommen müssten. Das verdampfte LNG entzünde sich nämlich
nur dann, so die Expertise von Experten, wenn es sich das Flüssiggas in
einem ganz bestimmten Verhältnis mit dem Sauerstoff in der Luft vermischt.
Doch daraus lassen sich kaum Schlüsse in Bezug auf die Sicherheit solcher
Anlagen in der
Zukunft ziehen, erst recht nicht angesichts der stark gewachsenen Flotte von
LNG-Tankern.
Warum? Niemand kann ausschließen, so viel Hoffnung kann es gar
nicht geben, dass „Schwarze Schwäne“ niemals in der Nähe von LNG-Tankern und/oder
LNG-Terminals zu Wasser gehen. Geprägt wurde die Sprachfigur "Schwarze
Schwäne" von Nassim
Nicholas Taleb, der in seinem Buch „Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst
unwahrscheinlicher Ereignisse“, mit dieser Sprachfigur die Macht solcher Ereignisse
beschreibt. In Anlehnung an Murphys Gesetz
bedeutet das, dass „alles, was schiefgehen kann, auch irgendwann
einmal schiefgehen wird“, was im Übrigen, wie oben bereits genannt, in Texas
Wirklichkeit geworden ist. Unglücke sind somit in der Regel kein Zufall, sondern Murphys Gesetz, einem
Gesetz, das Ende der 1940er Jahre von dem US-Amerikanischen Ingenieur Edward
A. Murphy im Rahmen einer Untersuchung über die Arbeitsabläufe bei der US
Air Force wie folgt formuliert wurde. Das Fazit seiner Studie lautete schon damals,
dass immer dann, wenn etwas falsch gemacht werden kann, das auch irgendwann
einmal falsch gemacht wird.
Insoweit vermag es nicht zu verwundern,
dass dort, wo die Infrastruktur für die LNG-Technik aufgebaut wurde
oder aufgebaut werden soll, sich weltweit Widerstand gegen diese Technik entwickelt.
Dies gilt auch für den geplanten LNG-Terminal auf Rügen: In einer Meldung
auf der Website des NDR vom 23. Mai 2023 heißt es diesbezüglich wie folgt:
NDR Mai 2023: Gegner
streben Bürgerentscheid an: Das geplante LNG-Terminal im Hafen von Mukran
sorgt weiter für Ärger auf der Insel Rügen. Die Bürgervereinigung „Zukunft
Sellin“ kündigte an, ein Bürgerbegehren gegen das Projekt zu organisieren -
genau wie andere Gemeinden auf der Insel.
Ob sich dieser Bürgerprotest durch Geld relativieren lässt, bleibt
abzuwarten. Diesbezüglich heißt es in einem Artikel der Onlineausgabe der
Süddeutschen Zeitung vom 29. Mai 2023 wie folgt:
Süddeutsche.de vom 29.05.2023: Die Landesregierung will das
Problem mit knapp einer Milliarde Euro umschiffen, aus Mitteln des Bundes.
Das jedenfalls legen die Ideen nahe, die Schwerin nun zusammengetragen hat,
in einem sechsseitigen Papier mit dem Titel "Zukunftsfestes Rügen". Danach
soll der Hafen in Mukran insgesamt weiter ausgebaut werden, auch für die
knapp 300 Meter langen Panamax-Containerschiffe. Flächen und Straßen sollen
so ausgebaut werden, dass sich dort auch die Einzelteile von
Offshore-Windparks verschiffen lassen. [...]. Bei den Gegnern auf Rügen
beißt sie damit allerdings auf Granit. "Wir lassen uns die Insel nicht
kaputtmachen", sagt Karsten Schneider, der Bürgermeister des Ostseebads
Binz. Offenbar sei die Landesregierung bereit, das Tafelsilber der Insel zu
verscherbeln, ihre Natur. Schneider sagt: "Wir sind nicht käuflich."
08 Auswirkungen des LNG-Beschleunigungsgesetzes
TOP
Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass es ein LNG-Beschleunigungsgesetz
(LNGG) gibt, das bereits im Mai 2022, also vor einem Jahr, verabschiedet wurde. Im hier zu erörternden
Sachzusammenhang reicht es aus, den § 1 ganz und den § 2 LNGG auszugsweise
zu zitieren.
§ 1 LNGG (Zweck)
(1) Dieses Gesetz dient der Sicherung der
nationalen Energieversorgung durch die zügige Einbindung verflüssigten
Erdgases in das bestehende Fernleitungsnetz.
(2) Mit den Vorschriften dieses Gesetzes sollen
die Zulassung von Errichtung und Inbetriebnahme der in § 2 bezeichneten
Vorhaben sowie die Durchführung von Verfahren für die Vergabe öffentlicher
Aufträge und Konzessionen dieser Vorhaben beschleunigt werden.
§ 2 LNGG
(Anwendungsbereich)
(1) Dieses Gesetz gilt nach Maßgabe des Absatzes
2 für die Zulassung von:
1. stationären schwimmenden Anlagen zur Einfuhr,
Entladung, Lagerung und Wiederverdampfung verflüssigten Erdgases,
2. stationären landgebundenen Anlagen zur
Einfuhr, Entladung, Lagerung und Wiederverdampfung verflüssigten Erdgases,
[...].
Es mag nicht zu verwundern,
dass die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bereits vor der Verabschiedung dieses
Gesetzes im Mai 2022 vor den Auswirkungen des geplanten
LNG-Beschleunigungsgesetzes gewarnt hat, denn laut einer Entwurfsfassung des
Gesetzes,
die der DUH vorlag, sollen nicht wie angekündigt zwei Terminals für
Flüssigerdgas (LNG) im Eiltempo durchgesetzt werden, sondern bis zu elf. Und
die Anlagen sollen demnach bis Ende 2043 für den Import fossilen Gases
genehmigt werden.
Das sei, so die DUH, unvereinbar mit der
gesetzlich verankerten Klimaneutralität 2045 und auch unvereinbar mit allen
Verpflichtungen nach dem Pariser Klimaabkommen, denn die
„Regasifizierungskapazitäten der Terminals“, also die Rückumwandlung von NLG
in „normales“ Gas, würden mit mindestens 70 Milliarden Kubikmetern pro Jahr
nicht bloß einen Teil des russischen Erdgases ersetzen – sie würden die
russischen Lieferungen selbst in Friedenszeiten sogar noch erheblich
übertreffen.
09 Position der Bundesregierung
TOP
Auf der Website der Bundesregierung mit Stand vom 20. Januar 2023 heißt es
im Hinblick auf LNG wie folgt:
Klimafreundlich und
krisensicher: Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, die
Energieversorgung in Deutschland klimafreundlicher und zugleich krisensicher
zu gestalten - auch als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der
Ukraine.
Wie kann das gelingen?
Aufbau der Infrastruktur für Flüssiggas-Importe
Zentral war hier der Bau von neuen Flüssiggas-Terminals. Mit dem
LNG-Beschleunigungsgesetz hat die Bundesregierung die Infrastruktur für den
Import von Flüssigerdgas zügig ausgebaut. Außerdem mietet die
Bundesregierung schwimmende Flüssigerdgas-Terminals. Dabei war und ist immer
klar, dass beim Ausbau der LNG-Infrastruktur für eine bessere
Versorgungssicherheit auch die Belange des Umwelt- und Naturschutzes, des
Tourismus und der Menschen vor Ort gewährleistet bleiben.
Brücke zur Wasserstoffnutzung
Das fossile Flüssiggas wird jedoch nur vorübergehend eine Rolle spielen. Die
neuen Terminals dienen nicht nur dazu, einen beträchtlichen Teil der
weggefallenen russischen Gaslieferungen zu ersetzen, sondern stellen auch
eine wichtige Brücke zum Umstieg auf künftigen klimafreundlichen Wasserstoff
dar. Die Bundesregierung plant von Anfang an, diese Infrastruktur in Zukunft
auch für Wasserstoff nutzen zu können. Deshalb sieht das Gesetz für fossiles
LNG auch eine Befristung vor. Danach muss auf grüne Energieträger wie
Wasserstoff umgestellt werden, damit die Klimaziele erreicht werden.
Website Bundesregierung
10 Widerspruch hat keine aufschiebende Wirkung mehr
TOP
Noch eine kurze Anmerkung zum LNG-Beschleunigungsgesetz, das eine Regelung
enthält, die bisher dem allgemeinen Verwaltungsrecht fremd war, nämlich die
Tatsache, dass die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs entfällt, wenn
gegen Planungsentscheidungen Widerspruch eingelegt wird.
§ 11 LNGG (Rechtsbehelfe)
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine
Zulassungsentscheidung für die Vorhaben nach § 2 sowie gegen die
Entscheidung über den vorzeitigen Beginn einer Maßnahme haben keine
aufschiebende Wirkung. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
des Widerspruchs oder der Anfechtungsklage gegen eine Zulassungsentscheidung
nach § 80 Absatz 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung kann nur innerhalb
eines Monats nach der Zustellung der Zulassungsentscheidung gestellt und
begründet werden. Darauf ist in der Rechtsbehelfsbelehrung hinzuweisen. § 58
der Verwaltungsgerichtsordnung gilt entsprechend.
[...].
Auch wenn durch diese
Regelung Beschwerdeführern ein verfassungsrechtlich gewährter Rechtsschutz
nicht gänzlich verwehrt wird, ist
festzustellen, dass es durch dieses Gesetz Beschwerdeführern immer schwerer gemacht wird,
abweichende Meinungen vor Gericht nicht nur gelten, sondern auch durchsetzen
zu können.
11 Die Macht der
Dummheit TOP
Wir wissen nicht, was die Zukunft für Realitäten schaffen wird, denn
Zukunftsvorhersagen sind wirklich etwas ganz anderes, als das, was sich in
der Zukunft ereignen wird. Die Folge davon ist, dass sich komplexe Systeme,
und um ein solches handelt es sich auch bei der Demokratie in Deutschland,
sich folglich eher antiintuitiv, also völlig unerwartet und ganz anders als
angenommen, entwickeln. Das bedeutet: Auch von kleinen Ursachen geht oft
eine große und unerwartete Wirkungen aus. Vor
allem unerwartet.
Das gilt sowohl für die negativen als auch für die
positiven Realitäten im Leben hoch komplexer Systeme. Dazu nur zwei
Beispiele:
Nicht der menschliche Forschungsgeist war es, der das
Antibiotikum Penicillin entdeckte, sondern schlichte Vergesslichkeit ihres
Entdeckers Alexander Fleming (1881 bis 1955), der 1928 durch Nachlässigkeit,
also durch vermeidbare Dummheit vergaß, ein Fenster seines Labors zu
schließen, so dass Schimmelpilze in seine Staphylokokken-Kulturen gelangen
konnten, was schließlich zur Entdeckung des Penicillins führte. Statt eines
verdienten Verweises für diese Nachlässigkeit, wurde ihm dafür 1945 der
Nobelpreis verliehen. Und was die Nachlässigkeit und Dummheit von Menschen
anbelangt, die durch ihr Handeln menschliche Katastrophen ausgelöst haben
oder solche sozusagen trotz besseren Wissens nicht vermeiden wollen oder
konnten, heißt es bei Emil Kowalski in dessen Buch „Dummheit – Eine
Erfolgsgeschichte“ wie folgt:
Emil
Kowalski: Die Menschen sind dumm – und die westliche Zivilisation
hat es trotzdem zu liberaler Demokratie mit einem hohen Wohlstandsniveau
gebracht.
Ein paar
Sätze weiter formuliert Kowalski mehrere Fragen, von denen hier zwei zitiert
werden:
Ist der Umgang mit Dummheit für die westliche
Zivilisation möglicherweise konstitutiv?
Ist das die verborgene Quelle ihres epochalen
Erfolgs?
Emil Kowalski. Dummheit – Eine Erfolgsgeschichte,
J. B. Metzler Verlag, Randnummer 5
Vieles scheint dafür zu
sprechen, denn ohne diese epochale Dummheit hätte der „Erfolg“ eines von
Menschen gemachten Klimawandels gar nicht eintreten können. Bereits die
Erfinder der Atombombe bereuten ihre Dummheit, als sie erkannten, was sie da
in die Welt gesetzt hatten.
Albert Einstein (1879 bis 1955) bereute
zeit seines Lebens einen Brief, den er an den US-Präsidenten Roosevelt im
August 1939 geschrieben hatte und in dem er den US-Präsidenten auf die
deutsche Uranforschung hinwies. Die durch diesen Brief von ihm ausgelösten
Folgen bereut er den Rest seines Lebens. Noch kurz vor seinem Tod, am 18.
April 1955, nannte er den Brief aus dem Jahr 1939 den großen Fehler seines
Lebens.
Auch Robert Oppenheimer (1904 - 1967) der Leiter des
Manhattan-Projekts, das 1945 die erste Atombombe baute, wurde daran
erinnert, das die Macht des Gewissens der Macht der Dummheit nicht standhalten kann,
denn nachdem sich Oppenheimer kritisch zum Bau einer Wasserstoffbombe
geäußert hatte, wurden ihm Verrat und Sympathien für den Kommunismus
vorgeworfen. Die Atomenergiekommission AEC entzog ihm nach vierwöchigen
Anhörungen hinter verschlossenen Türen „wegen fundamentaler
Charakterschwächen“ die Sicherheitsfreigabe, womit er von wichtigen
Projekten ausgeschlossen war.
Und wenn ich dann bei Marlene Knobloch
lese, dass Hoffnung darin besteht, sich wöchentlich darüber zu freuen, dass
der Himmel noch atombombenpilzfrei ist, dann wird auch dadurch deutlich, dass es
den Menschen gelungen ist, Gefahren zu verdrängen.
Anders ausgedrückt: Wenn
Ex-Präsident Dmitri Medwedew Pfingsten 2023 vor einem III. Weltkrieg warnt
und den Einsatz von Atombomben nicht für ausgeschlossen hält, dann zuckt der
wohlstandsverwöhnte aber dennoch verängstigte Normalbürger im Westen immer noch resignierend mit der
Schulter, um sich dann wieder seinen Geschäften oder der Sorge um seine
Follower auf Facebook, Instagram oder Twitter zu kümmern.
Dennoch: Auch der "Normalbürger" realisiert, dass
einige grundsätzliche Probleme anstehen, die nicht so ohne weiteres zu lösen
sind, weil wir alle in einer historisch ernsten Zeit leben, in der nur noch
Populisten dazu in der Lage sind, leichte und einfache Lösungen anzubieten. Anders
ausgedrückt: Während Schlagworte Hochkonjunktur haben, fehlen
widerstandsfähige und wohlstandsbewahrende und -fördernde Visionen der Zukunft völlig. Den geistigen Eliten fehlen
Rezepte, deshalb berufen Sie sich auf alte Werte und behauptet
gleichzeitig, dass es keine Werte gibt, weil man ja tolerant sein will. Wie
aber soll das inmitten der weltweit grassierenden Intoleranz möglich sein,
für echte Nachhaltigkeit zu sorgen?
Trotzdem: Stillstand ist undenkbar, denn der Pfeil der Zeit fliegt
unaufhaltsam, und die Schere zwischen dem progressiven (innovativen) und dem
regressiven (sich verschließenden) Paradies öffnet sich bedenklich weiter
und weiter.
12 Die Macht der Technik
TOP
Es dürfte unbestreitbar sein, dass die moderne Technik in ihrem gesamten
Wesen auf Großverbrauch angelegt ist. Diese Größe hat zwischenzeitlich ein
Ausmaß angenommen, dass die Bühne, auf der die Folgen dieses Gigantismus zu
sehen sind – und das ist die Erde – damit nicht mehr zurechtkommt und den von der
Technik (besser gesagt von allen gesellschaftlichen Kräften weltweit) angerichteten Schaden sich nicht mehr gefallen lassen will. So viel
scheint heute gewiss zu sein: Mit dem, was wir im Hier und im Jetzt tun,
beeinflussen wir massiv das Leben von Millionen von Menschen und nicht nur
das: Auch die nach uns kommenden Generationen werden darunter zu leiden
haben, weil der Organismus Erde sich auf eine Art und Weise verhält, mit der
wir nicht gerechnet haben.
Wir, damit meine ich zuerst einmal die in
modernen Industriestaaten organisierten Menschen, tragen somit eine große
Verantwortung, zumindest mehr als die Mehrheit der vielen anderen Menschen,
deren biologischer Fußabtritt im Vergleich zu den „Schuhgrößen“ von
Normalbürgern in den Industriestaaten, kaum größer als die eines
Neugeborenen sein dürften.
Wer über diese Zusammenhänge nachdenkt, wird eine
Frage beantworten müssen, die sich dann sozusagen zwangsläufig stellt. Diese
Frage hat folgenden Wortlaut.
Sind der menschlichen Freiheit
Grenzen gesetzt?
Hinsichtlich des menschlichen Vermögens,
durch Technik sogar dem Planeten Erde, dem Lebensraum von Menschen, Tieren
und Pflanzen, nachhaltigen, besser gesagt irreparablen Schaden zuzufügen,
kann die Antwort nur lauten:
-
Unserer Macht müssen wir, die Menschen, Grenzen setzen.
-
Die Macht bedarf dringend einer alle Lebensbereiche umfassenden Beschränkung.
Auf die Ausübung von Macht zu verzichten, ist aber genausoschwer, wie jeder
anderweitige Verzicht im Hinblick auf den so genannten technischen
Fortschritt, dessen Ziel ja Wachstum ist und nicht nur auf den Konsum
ausgerichtet ist, denn Maschinen sind bereits heute dazu in der Lage, die
Macht des Menschen durch Maschinen noch wirkmächtiger zu machen, als sie das
heute bereits schon sind.
Wie dem auch immer sei: Die
Gefährdung durch technische Mittel beschleunigt sich sozusagen von Tag zu
Tag, denn die wachsende Bedrohungslage verschwindet nicht, wenn lediglich
darüber nachgedacht wird, was im Jahr 2050 Wirklichkeit sein könnte, denn
wir wissen bereits heute, dass viele Wunden, die wir dem Planeten Erde
zugefügt haben, nicht mehr zu heilen sein werden. Dazu wird auch die Technik
nicht in der Lage sein, wenn nicht ein Wunder geschieht, denn die
Großtechnik wird, sozusagen aus sich selbst heraus, sich weiterentwickeln – und das
gilt auch für die von ihr ausgehende zerstörerisch wirkende Macht.
Sie ist wie die Welle eines Tsunamis, die nicht aufgehalten werden kann. Um
das zu verdecken, wurde das „Schlüsselwort dieser Zeit“, das Wort
Nachhaltigkeit sozusagen erfunden, um so eine „Großtechnik mit
menschlicheren
Eigenschaften“ sozusagen sympathischer, weil nachhaltiger zu machen. Diese
Dynamik wird somit kaum zu stoppen sein, es sei denn, dass weltweit der Strom abgeschaltet wird.
Anders ausgedrückt: Es ist einfach nur Wunschdenken,
daran zu glauben, dass nur noch die Technik allein diese Welt zu retten
vermag. Um den von einer außer Kontrolle angerichteten Schaden weltweit
wirkender Großtechnik - und auch das ist Menschenwerk - zumindest zu begrenzen, wird es wohl unvermeidlich sein, ihr
sozusagen „Ketten“ anzulegen und nur solche Technik zuzulassen, deren
Umweltverträglichkeit im Rahmen menschlicher Erkenntnismöglichkeiten
nachprüfbar erwiesen ist. Dazu aber dürfte der Mensch von heute nicht in der
Lage sein, es sei denn, dass ihm bewusst wird, dass dies die ihm
verbleibende einzige Chance sein wird, den Lebensraum Erde zu erhalten.
Warum?
13 Das
unbekannte Unbekannte TOP
Im Juni 2002 äußerte sich der damalige Außenminister der USA Donald
Rumsfeld anlässlich einer Pressekonferenz im US-Verteidigungsministerium im
Hinblick auf das, was Geheimdienste wissen können und was nicht, wie folgt:
Rumsfeld: Was ist nun die
Botschaft? Die Botschaft ist, dass es keine „Bekannten“ gibt. Es gibt Dinge,
die wir wissen, dass wir sie wissen. Es gibt aber auch bekannte Unbekannte.
Das heißt, es gibt Dinge, von denen wir jetzt wissen, dass wir sie nicht
wissen. Aber es gibt auch unbekannte Unbekannte. Es gibt also Dinge, von
denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen. Wenn wir also unser
Bestes geben und all diese Informationen zusammentragen und dann sagen, dass
das im Grunde das ist, was wir für die Realität halten, dann sind das
wirklich nur die bekannten Bekannten und die bekannten Unbekannten. Und
jedes Jahr entdecken wir ein paar mehr dieser unbekannten Unbekannten.
Es klingt wie ein
Rätsel. Es ist kein Rätsel. Es ist eine sehr ernste, wichtige Angelegenheit.
Es gibt eine andere
Möglichkeit, das auszudrücken, und das ist das Fehlen von Beweisen, was aber
kein Beweis für das Fehlen des Unbekannten ist. Es sagt im Grunde dasselbe auf eine andere
Art und Weise. Nur weil Sie keine Beweise dafür haben, dass etwas existiert,
heißt das nicht, dass Sie Beweise dafür haben, dass es nicht existiert. Und
doch stützen wir uns bei unseren Bedrohungsanalysen, wenn wir die Welt
betrachten, fast immer auf die ersten beiden Teile dieses Puzzles und nicht
auf alle drei.
Originaltext des Statements von Donald Rumsfeld
14 Die Problemlöser von heute
TOP
In allen Staaten dieser Welt entscheiden nicht die dort lebenden Menschen
über ihre Zukunft, sondern diese Entscheidungen werden von Eliten getroffen,
die in autoritären oder demokratischen Systemen sowohl über ihre als auch
über die Zukunft vieler anderer entscheiden. In Deutschland haben sich die
Eliten nach dem Ende des II. Weltkrieges – im Auftrag der Alliierten – für
die repräsentative Demokratie entschieden, einem System, in dem die
Abgeordneten des Volkes sowohl gewählt, als auch abgewählt werden können,
wenn deren Arbeit nicht die Zustimmung der wählenden Mehrheit findet.
Die
Grundlage der dieser Machtordnung zugrunde liegenden Ordnung ist das
Grundgesetz und der damit verbundene Glaube an die Machbarkeit von
Machtordnungen, in deren Zentrum das Wohl der Menschen liegt, an die dieses
Gesetz alle staatlichen Organe bindet.
Bei Heinrich Popitz (1925 bis 2002),
einem deutschen Soziologen, der vor dem Hintergrund der philosophischen
Anthropologie bedeutende Beiträge zur allgemeinen Soziologie leistete, heißt
es in dessen Hauptwerk „Phänomene der Macht“, wie folgt.
Heinrich Popitz: Machtordnungen
sind nicht gottgegeben, sie sind nicht durch Mythen gebunden, nicht
naturnotwendig, nicht durch unantastbare Traditionen geheiligt. Sie sind
Menschenwerk. Wie sie ins Werk gesetzt worden sind, so können sie auch neu
bewerkstelligt werden.
An anderer Stelle
heißt es sinngemäß:
Zur Idee des Politischen gehört, und das lehrte
bereits Aristoteles (384 bis 322 v. Chr.) vor mehr als 2300 Jahren, der
Glaube an die Entwerfbarkeit einer guten Ordnung, die es den Freien
ermöglichen sollte, ein würdiges Leben führen zu können.
Die Gewissheit des Anders-machen-Könnens, des
Besser-machen-Könnens [wird durch bestehende Machtverhältnisse] nicht
tangiert. Zu den selbstverständlichen Prämissen unseres Verständnisses von
Macht gehört die Überzeugung, dass Macht „gemacht“ ist und anders, als sie
ist, gemacht werden kann.
Heinrich Popitz.
Phänomene der Macht. Mohr Siebeck 1992, Seite 14/15
An dieser
Sichtweise hat sich bis heute im Wesentlichen kaum etwas verändert, denn
auch heute nehmen die Eliten für sich in Anspruch, Veränderungen
herbeizuführen, die dem Allgemeinwohl – so die Selbstdarstellung der Eliten
nach außen – dienlich sind. Das dazu auch die Interessen der eigenen
Machterhaltung und Machterweiterung stehen, davon kann ausgegangen werden,
denn das entspricht der menschlichen Erfahrung. Dennoch: Der Standpunkt der
Eliten ist eindeutig: Wir, die Eliten, können das. Wir verfügen über das
dafür erforderliche „Können-Bewusstsein“.
Mit anderen
Worten: Lasst uns nur machen. Alles wird wieder gut.
Diesbezügliche Zweifel haben zwischenzeitlich jedoch auch in Deutschland
eine Dynamik entwickelt, die sich in dem Wort "Demokratieverdrossenheit"
zusammenfassen lässt. Anders ausgedrückt: Die Zukunft der Demokratie
wird wohl davon abhängig sein, in welchem Zustand sich unser
gesellschaftlicher Geist befindet, der sich in den Köpfen aller Menschen
befindet, die sich gemeinsam eine menschenwürdigere Zukunft wünschen als
die, in der wir heute leben.
Wie steht es also heute um das Vertrauen in die
bundesdeutsche Demokratie anlässlich einer kaum noch zu überschauenden
Anzahl von Krisen aus?
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Demokratieverdrossenheit TOP
In einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die 2022 im Auftrag der
SPD durchgeführt wurde, heißt es:
FES-Studie 2022: Pandemie, Krieg, Klimakrise, Inflation – die Welt
hat sich verändert, seit wir 2019 zum ersten Mal nach dem Vertrauen in
Demokratie gefragt haben. Umso erfreulicher: Die Zufriedenheit mit dem
Funktionieren der Demokratie ist trotz vielfältiger Krisen stabil und steigt
sogar leicht. Allerdings bleiben die Zufriedenheitswerte weiterhin knapp
unter 50%.
Studie im Volltext
Sie haben richtig gelesen:
Die Mehrheit vertraut der Demokratie nicht mehr.
Vergleichbar
erschreckende Ergebnisse können auch einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung
entnommen werden, die im Februar 2022 veröffentlicht wurde und die den Titel
"Erschöpfte Gesellschaft" trägt. Diese Erkenntnis ist wirklich nicht neu, denn
bereits im März/April 2019 wurden im Rahmen einer repräsentativen Umfrage, die ebenfalls von der
Friedrich Ebert Stiftung durchgeführt wurde, 2.500 Personen befragt, wie die Deutschen zur Demokratie stehen:
Der Extrakt in
aller Kürze:
Die Mehrheit der Deutschen ist
demokratieverdrossen. Nur noch eine Minderheit ist einer Untersuchung
zufolge zufrieden mit der Demokratie – vor allem im Osten.
Studie im Volltext
Hier die Ergebnisse
zu zwei Fragenkomplexen:
1. Demokratiezufriedenheit:
Wie zufrieden sind Sie alles in allem mit der Art und Weise, wie die
Demokratie in Deutschland funktioniert?
Sehr zufrieden 7,3 %
Ziemlich zufrieden 41,4 % Weniger zufrieden 34,1 % Überhaupt nicht
zufrieden 17,2 %
Grafik: Demokratiezufriedenheit
2.
Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie Wie zufrieden
sind Sie mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland?
Sehr zufrieden 7,8 % Ziemlich zufrieden 38,8 % Wenig zufrieden 39,9 %
Überhaupt nicht zufrieden 13,5 %
Grafik: Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie
Diese Befragungsergebnisse machen betroffen, auch wenn in den Medien die
Ergebnisse positiv publiziert wurden. Meine Lesart vermag in den
Befragungsergebnissen nichts Positives zu finden. Warum? Die Befragungen
zeigen, dass die bundesdeutsche Demokratie in Unordnung geraten ist.
Das bedarf dringend einer Korrektur.
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Wir sind Getriebene TOP
Wir sind die Getriebenen unserer Zeit, in der die Technik dominiert und
in der Politiker das tun, was die Technik - und alle, die davon leben, daran
forschen und sie fortschreiben wollen – von der Politik einfordert. Ich möchte
diesen Aufsatz dennoch nicht mit der Redewendung beenden, die da lautet:
„Wenn wir nicht ...“
Vielmehr möchte ich diesen Text damit beenden,
indem ich feststelle, dass die Kontrolle des technischen Fortschritts ohne
schwierige und schwer vorstellbare Veränderungen kaum denkbar sein dürfte.
Die Veränderungen, die erforderlich sein werden, um die durch Technik
verursachten Gefahren für uns alle beherrschen zu können, möchte ich mit den
Veränderungen im Machtgefüge vergleichen, die den modernen Verfassungsstaat
hervorgebracht haben.
Es bleibt zu hoffen, dass diese bevorstehende
„Revolution“, die gern auch als „Große Transformation“ bezeichnet wird, weil
sich das einfach besser anhört und anfühlt, weniger blutig verläuft, um
eine außer Kontrolle geratene auf technisher Macht basierenden Gesellschaft,
zu bändigen, denn
Abschaffen will die Technik ja auch niemand, denn zurück in die Steinzeit will
keiner.
Wie aber sollen die notwendigen und unvermeidbaren
Verhaltensänderungen denn aussehen?
Marlene Knobloch schreibt dazu: Ich kenne die Antworten
auch nicht, ich weiß nicht, was ich bereit bin, für die Demokratie zu geben,
wie sehr mich Opfer schmerzen werden. Aber wir sollten zumindest die Chance
begreifen, gemeinsam herauszufinden, wie wir auf die Welt reagieren wollen.
Wir sollten begreifen, dass wir die Möglichkeit einer Suche haben. Unsere
Aufgabe ist es, uns zur Welt zu positionieren, und nicht, uns von ihr
abzuwenden.
Marlene Knobloch. Serious Shit – die Welt ist
gefährlich – und warum wir das erst jetzt merken. DTV 2023, Seite 96/97
Ob wir freiwillig oder gezwungenermaßen dazu bereit sein werden, Opfer
zu erbringen, bleibt abzuwarten. Wenn, dann wohl nur mit Heulen und
Zähneknirschen.
Warum?
Ganz einfach: Wir leben nicht nur im Anthropozän – in
dem vom Menschen gemachten Zeitalter – sondern auch im Kapitalozän, in dem
die Macht des Geldes regiert. Nancy Fraser hat dafür noch deutlichere Worte
gesprochen, denn sie hält den Kapitalismus für einen Allesfresser, der dazu
in der Lage ist, seine eigenen Grundlagen zu verschlingen. Aus dem
lesenswerten Buch dieser Autorin möchte ich nur einen Satz zitieren:
Die kapitalistische Gesellschaft ist eine Fressorgie, deren Hauptgericht wir
alle sind.
Nancy Fraser. Der Allesfresser. Wie der
Kapitalismus seine eigenen Grundlagen verschlingt - Surhkamp 2023
Insoweit sind die von mir in diesem Aufsatz ausgemachten Sündenböcke, wir
"Menschen" und die "Technik" völlig unzureichende Beschreibungen für die
Vielzahl von Krisen, in der sich heute fast alle Gesellschaften befinden.
Auch wenn die Krisen von heute nicht nur in kapitalistischen Gesellschaften
auftreten, ist es doch der Kapitalismus, also ein Wirtschaften, das auf
Ausbeutung und Enteignung besteht, der nicht nur für den Klimawandel,
sondern auch für die meisten anderen Krisen als Verursacher anzusehen ist,
weil der Kapitalismus als ein System zu verstehen ist, das den Kapitalismus
trägt. Was ich damit meine ist Folgendes: Wenn hier vom "menschengemachten
Klimawandel" gesprochen wird, wird damit nicht der "Menschheit im
Allgemeinen" die Schuld für die Misere von heute gegeben, sonder der Klasse
der profitorientierten Unternehmen, und die gibt es auch in autokratischen
Systemen, in denen, genauso wie in den freien marktwirtschaftlichen
Wirtschaftssystemen, es die Klasse der profitorientierten Unternehmer ist,
die die mit fossilen Brennstoffen betriebenen Produktions- und
Transportsysteme entwickelt haben, durch die Unmengen an Treibhausgasen in
die Atmosphäre geblasen werden.
Der Kapitalismus, so kann es bei Nancy Fraser nachgelesen werden, treibt den
Klimawandel nicht zufällig an, sondern aufgrund seiner Struktur.
Anders ausgedrückt:
Dieses System zwingt uns dazu, den Anforderungen des Kapitalismus zu
entsprechen, oder ihn durch ein besseres zu ersetzen.
Fortsetzung folgt.
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