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08 Fluchtgefahr

Es entspricht den Tatsachen, dass von der Polizei in den weitaus meisten Fällen Beschuldigte einem Richter vorgeführt werden, um einen richterlichen Haftbefehl auf der Grundlage bestehender „Fluchtgefahr“ zu erwirken.

Nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht Fluchtgefahr, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde, so die herrschende Meinung.

Diese Definition rechtfertigt es aber nicht:

  •  Fluchtgefahr anhand genereller Maßstäbe und unter Verwendung schematischer Argumente zu begründen

  •  Vom Haftgrund der Fluchtgefahr auszugehen, wenn die äußeren Bedingungen für eine Flucht günstig erscheinen

  •  Wenn als Strafmaß „Freiheitsstrafe“ zu erwarten ist.

Prüfkriterien: Maßgeblich für die Prüfung des Haftgrundes „Fluchtgefahr“ ist, dass die Gesamtheit der Einzelumstände, insbesondere die persönlichen Verhältnisse des Täters sorgfältig zu prüfen sind.

Tatsachen: Die Begründung von „Fluchtgefahr“ muss deshalb aus bestimmten Tatsachen hergeleitet werden können. Bloße Mutmaßungen und Befürchtungen reichen für den Nachweis von Fluchtgefahr nicht aus. Andererseits dürfen an die nachzuweisenden „Tatsachen“ aber auch keine allzu hohen Anforderungen gerichtet werden.


Gründe die für Fluchtgefahr sprechen:

  •  Ohne festen Wohnsitz

  •  Häufig wechselnde Wohnsitze

  •  Arbeitslosigkeit

  •  Häufiger Arbeitsplatzwechsel

  •  Flucht in einem früheren Verfahren

  •  Zugehörigkeit zu einer verbotenen Vereinigung

  •  Charakterliche Labilität des Beschuldigten

  •  Extremistisches Weltbild (Rechts- und Linksextremismus, Salafismus)
    • Neigung zum Glücksspiel

  •  Drogenmissbrauch

  •  Fehlen fester familiärer Bindungen

  •  Verbindungen ins Ausland

  •  Fremdsprachenkenntnisse

  •  Ankündigung und Umsetzung der verbotenen Ausreise in Krisengebiete (Dschihadisten)

  •  Vermögen im Ausland.

Gegen Fluchtgefahr sprechen:

  •  Starke familiäre Bindungen

  •  Attraktiver Arbeitsplatz

  •  Hohes Alter des Beschuldigten

  •  Fester Wohnsitz

  •  Wohnungseigentum (Haus, Eigentumswohnung, Firma etc.).

Fluchtgefahrprognose: Fluchtgefahr darf nur aus bestimmbaren Tatsachen abgeleitet werden. Bloße Vermutungen und Mutmaßungen reichen dafür nicht aus. Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der vorgetragenen „Tatsachen“ reicht die gleiche Wahrscheinlichkeit aus, die für den Nachweis des „dringenden Tatverdachts“ einzufordern ist.

Burhoff 2006: Nach inzwischen wohl übereinstimmender Meinung aller Obergerichte kann allein mit einer (hohen) Straferwartung die Fluchtgefahr nicht begründet werden. Sie ist vielmehr grundsätzlich nur der Ausgangspunkt für die Erwägung, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass die Annahme gerechtfertigt erscheint, der Beschuldigte werde ihm nachgeben und wahrscheinlich flüchten. Fluchtgefahr ist z.B. verneint worden bei einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 8 Monaten.

https://www.burhoff.de/veroeff/aufsatz/strafo_2006_51.htm#BIII1

Kurzfassung Fluchtgefahr: Die Straferwartung allein vermag eine Fluchtgefahr nicht zu begründen. Die Annahme einer Fluchtgefahr kann nur aus Tatsachen hergeleitet werden. Die Beurteilung der Fluchtgefahr erfordert die Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Art der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat, seiner Persönlichkeit, seiner Lebensverhältnisse, seines Vorlebens und seines Verhaltens vor und nach der Tat.

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