Rodorf.de
ABC

03 Versammlungsbegriff

Eine Versammlung setzt die Zusammenkunft von mindestens zwei Personen voraus. Die weiteren Anforderungen, die an eine Versammlung zu richten sind, haben die Richter des Bundesverfassungsgerichts 2011 wie folgt definiert:

BVerfG 2011: Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird. Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden (...). Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen.

BVerfG, Beschluss vom 07.03.2011 - 1 BvR 388/05

Die Frage, die sich im Zusammenhang nicht angemeldeter „Montagsspaziergängen“ stellte, lautete: Handelt es sich bei solchen „Montagsspaziergängen“ um Versammlungen?, und, wenn ja, können solche Demonstrationen im Vorfeld verboten werden.

Über diese Fragen hatten 2022 die Richter des Bundesverfassungsgerichts zu entscheiden, weil ein Montagsspaziergänger gegen ein Verbot dieser Spaziergänge Verfassungsbeschwerde mit der Begründung eingelegt hatte, dass solche Veranstaltungen im Vorfeld der Versammlungsbehörde nicht angezeigt werden müssten, so dass sich allein daraus kein Versammlungsverbot ableiten ließe.

Im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2022 heißt es:

BVerfG 2022: Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig. Insbesondere Versammlungsverbote dürfen nur verhängt werden, wenn mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen und soweit der hierdurch bewirkte tiefgreifende Eingriff in das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG auch in Ansehung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit für das demokratische und freiheitliche Gemeinwesen insgesamt nicht außer Verhältnis steht zu den jeweils zu bekämpfenden Gefahren und dem Beitrag, den ein Verbot zur Gefahrenabwehr beizutragen vermag. [...]. Ob es mit Bedeutung und Tragweite des Art. 8 GG unter bestimmten Voraussetzungen vereinbar sein kann, präventiv ein Versammlungsverbot durch Allgemeinverfügung für eine prinzipiell unbestimmte Vielzahl von Versammlungen im Stadtgebiet zu erlassen, die mit Aufrufen zu „Montagsspaziergängen“ oder „Spaziergängen“ im Zusammenhang stehen, ist eine verfassungsrechtlich offene Frage, deren Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss. [...]. Angesichts der nicht offensichtlichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache ist eine Folgenabwägung vorzunehmen. Diese geht zum Nachteil des Beschwerdeführers aus. [...]. Zum Nachteil des Beschwerdeführers falle insbesondere ins Gewicht, so die Kammer, dass durch die Gestaltung als „Spaziergang“ eine Vorfeldkooperation und damit grundrechtsschonendere Maßnahmen gezielt ausgehebelt wurden – was dem Beschwerdeführer gerade bewusst war.

BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 2022 - 1 BvR 208/22

Die eigentlich zu klärende Frage aber, nämlich die, ob auch eine Zusammenkunft von Spaziergängern versammlungsrechtlich als eine Versammlung anzusehen ist, ließen die Richter unbeantwortet.

Aus Sicht der Polizei scheint diese Frage beantwortet zu sein.

In einer Pressemitteilung der Polizei Paderborn, die am 28. Dezember 2021 auf der Website der Polizei NRW veröffentlicht wurde, heißt es:

KPB Paderborn 2022: „Montagsspaziergänge“ sind rechtlich Versammlungen - Polizei schreitet konsequent ein. Nicht nur im Kreis Paderborn, sondern landesweit ist feststellbar, dass es seit einigen Wochen vermehrt zu so genannten „Montags- oder Lichterspaziergängen“ kommt, bei denen die Teilnehmenden sich koordiniert treffen und oftmals in Form des stillen Protests ihren Unmut gegen die geltenden oder geplanten Corona-Schutzmaßnahmen kundtun.

https://polizei.nrw/presse/montagsspaziergaenge-sind-rechtlich-versammlungen-polizei-schreitet-konsequent-ein

Dass diese Rechtsauffassung von anderen nicht unbedingt geteilt wird, sei an dieser Stelle nur festgestellt. Sogar die Gerichte verhalten sich diesbezüglich eher zurückhaltend als eindeutig, was angerufene Gerichte dennoch nicht davon abhielt, erlassene Versammlungsverbote der Polizei bzw. der jeweils zuständigen Versammlungsbehörde zu bestätigen.

Hier nur ein Beispiel.

OVG Koblenz 2022: Der Antragsgegner hat in seiner Allgemeinverfügung das Verbot der sogenannten „Montagsspaziergänge“ am 3. Januar 2022 auf § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz – VersammlG – gestützt und zur Begründung ausgeführt, dass es sich hierbei um gegen die Corona-Schutzmaßnahmen gerichtete Versammlungen handele, die nicht entsprechend § 14 VersammlG angemeldet worden seien und von denen Infektionsgefahren ausgingen, die nicht gering oder vernachlässigbar seien. Bei vergleichbaren „Spaziergängen“, die akkurat geplant und nur scheinbar spontan seien, hätten sowohl im Landkreis Südliche Weinstraße als auch bundesweit zahlreiche Teilnehmer keine Mund-Nasen-Bedeckung getragen. Hierdurch könne die Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus ungehindert erfolgen, was es in Anbetracht der hohen Inzidenzen der Südpfalz unbedingt zu vermeiden gelte. Aufgrund der damit einhergehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit seien daher diese „Spaziergänge“ zu verbieten, da andere Maßnahmen nicht in gleicher Weise zur Abwehr der Infektionsgefahren und damit der Gesundheitsgefahren in der aktuellen Pandemielage geeignet seien.

Ob das Versammlungsverbot, das maßgeblich mit von den „Spaziergängen“ ausgehenden Infektionsgefahren durch Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus begründet worden ist, auf § 15 Abs. 1 VersammlG gestützt werden kann, lässt sich bei der im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren nur möglichen Prüfung der Rechtslage nicht zweifelsfrei beurteilen.

Hierzu bedarf es, wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, einer Klärung der Frage, in welchem Verhältnis die versammlungsrechtliche Befugnis zum Erlass eines Versammlungsverbots zu den infektionsschutzrechtlichen Befugnissen nach § 28 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz – IfSG – zum Erlass von notwendigen Schutzmaßnahmen steht.

Eine Klärung dieser schwierigen Rechtsfragen muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

OVG Koblenz, Beschluss vom 03. Januar 2022 - 7 B 10005/22

Wie Sie sehen, ist es gar nicht so einfach, rechtsverbindlich festzustellen, dass es sich bei den „Montagsspaziergängen“ oder wie man die auch immer bezeichnen möchte, tatsächlich um Versammlungen handelt.

Ob solch ein mutloser Umgang mit dem Versammlungsrecht durch die Gerichte tatsächlich als eine „versammlungsfreundliche Rechtsprechung“ bezeichnet werden kann, auf die in den Beschlüssen bzw. Urteilen immer Bezug genommen wird, diese Frage bitte ich Sie, liebe Leserin und lieber Leser, selbst zu beantworten.

Festzustellen ist, dass die Polizei diesbezüglich weniger zurückhalend ist.

TOP 

Fenster schließen