01 Einführung
Die Wahrnehmung versammlungsrechtlicher Aufgaben gehört neben der
Gefahrenabwehr, der Erforschung und Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten
und der Überwachung des Straßenverkehrs, ebenfalls zu den so genannten
polizeilichen Kernaufgaben. Die Zuständigkeit, versammlungsrechtliche
Aufgaben wahrzunehmen, ergibt sich für die Polizei des Landes NRW aus
dem Versammlungsgesetz (VersG) dieses Landes, das im Dezember 2021 in
Kraft getreten ist.
Dort heißt es:
§ 32 VersG NRW (Zuständigkeit)
Zuständige Behörde nach diesem Gesetz ist die
Kreispolizeibehörde. Örtlich zuständig ist die Kreispolizeibehörde, in
deren Bezirk die Versammlung stattfindet.
Regelungen, die
im Zusammenhang mit der Anmeldung, der Planung und der Vorbereitung von
Versammlungen zu treffen sind, fallen nicht in den Zuständigkeitsbereich
der Beamten, die im so genannten operativen Dienst der Polizei
eingesetzt sind sondern werden von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
der „Direktion Zentrale Aufgaben“ (Dezernat ZA1) wahrgenommen.
Dort können nicht nur Versammlungen angemeldet (angezeigt) werden, dort
finden auch erforderlich werdende Kooperationsgespräche mit dem
Veranstalter statt. Erforderlich werdende Auflagen, die die Art und
Weise der Durchführung angemeldeter Versammlungen betreffen, werden im
Dezernat ZA1 mit dem Veranstalter ebenfalls erörtert.
Versammlungen, die gegen geltendes Recht verstoßen oder von denen
erfahrungsgemäß mit einem unfriedlichen Verlauf zu rechnen ist, können
bereits in diesem Stadium von der Polizei verboten werden.
Erforderlichenfalls können dem Veranstalter auch Auflagen vorgegeben
werden, die bei der Durchführung der Versammlung zu beachten sind, siehe
zum Beispiel § 13 Abs. 1 VersG NRW (Beschränkungen, Verbot, Auflösung).
§ 13 VersG NRW (Beschränkungen,
Verbot, Auflösung)
(1) Die zuständige Behörde kann eine
Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr
für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Als Beschränkungen kommen
insbesondere Verfügungen zum Ort und zum Verlauf der Veranstaltung in
Betracht.
Veranstalter, die Versammlungsverbote oder
Auflagen nicht akzeptieren wollen, ist es freigestellt, im so genannten
Eilverfahren die Verwaltungsgerichte darüber entscheiden zu lassen, ob
ein von der Polizei verfügtes Versammlungsverbot oder eine oder mehrere
von der Polizei verfügte Auflagen hinzunehmen sind.
In einer
Vielzahl von Fällen haben die Verwaltungsgerichte die von der Polizei
verfügten Verbote/Auflagen aufgehoben.
Anders ausgedrückt: Durch
so genannte Eilbeschlüsse können Verwaltungsrichter sowohl polizeilich
verfügte Versammlungsverbote, als auch polizeilich verfügte Auflagen
aufheben. Solche Entscheidungen hat es zur Zeit der Pandemie in mehreren
Fällen gegeben.
Von der Polizei verfügte Versammlungsverbote, die
vor Gericht Bestand haben, sind von der Polizei aufzulösen, so der
Wortlaut des § 13 Abs. 2 VersG NRW (Beschränkungen, Verbot, Auflösung).
§ 13 Abs. 2 VersG NRW
(Beschränkungen, Verbot, Auflösung)
(2) Die zuständige Behörde kann eine
Versammlung verbieten oder auflösen, wenn ihre Durchführung die
öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet und die Gefahr nicht anders
abgewehrt werden kann. Eine verbotene Versammlung ist aufzulösen. Nach
der Auflösung haben sich die teilnehmenden Personen unverzüglich zu
entfernen. Es ist verboten, anstelle der aufgelösten Versammlung eine
Ersatzveranstaltung durchzuführen.
Wird gegen Auflagen
verstoßen, kann die Polizei eine Versammlung auflösen, wenn dadurch die
öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet wird. Eine gesetzliche
Pflicht, solch eine Versammlung aufzulösen, sieht das VersG NRW für
solche Fälle aber nicht vor, denn das Wort „kann“ im § 13 Abs. 2 VersG
NRW räumt der Polizei Ermessen ein.
Vergleichbare Regelungen
enthalten alle Versammlungsgesetze in Deutschland.
Dennoch hat
sich, im Zusammenhang mit dem Umgang der Polizei mit Demonstrationen zu
„Coronazeiten“ gezeigt, dass die Versammlungsfreundlichkeit der Polizei,
zu der sie der Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem
Jahr 1985 verpflichtet, einen Wandel erlebt hat, wie das die folgenden
Zitate belegen:
ZDF.de vom 29.08.2020:
Corona-Demonstration in Berlin aufgelöst. Die
Polizei in Berlin hat die Demonstration gegen die Corona-Auflagen
aufgelöst. Alle Maßnahmen hätten nicht zu einem Einhalten der Auflagen
von den Teilnehmern geführt. Die meisten Demonstranten waren ohne Masken
gekommen, viele ignorierten den Mindestabstand. Die Polizei reagierte
und beendete die Großdemonstration. [...]. Unverständnis bei den Gegnern
der Coronamaßnahmen.
Tagesschau.de vom 09.01.2022:
Justizminister zu Corona-Demos „Versammlungen
notfalls auflösen“
Justizminister Buschmann will Regelverstöße
und Gewalt bei Corona-Protesten nicht länger hinnehmen. Notfalls müssten
Versammlungen aufgelöst werden. Gestern gingen in vielen Städten wieder
Tausende auf die Straße.
TAZ.de vom 06.01.2022:
Coronademo in München: Eingekesselt auf dem
Marienplatz. München hat alle Versammlungen mit Coronabezug verboten.
[...]. Trotzdem zogen am Mittwochabend 3.000 Menschen durch die
Innenstadt. Allerdings gelang es den Einsatzkräften, die meisten von
ihnen schon am Marienplatz einzukesseln. Die Stimmung war aufgeladener
als in den Wochen zuvor. Mehr als 1.200 Anzeigen, davon 1.130 Verstöße
gegen die Allgemeinverfügung und 35 Strafanzeigen wegen Beleidigung oder
Angriffs auf Beamte zählte die Polizei. [...]. Die Einsatzkräfte setzten
Schlagstöcke und Pfefferspray gegen die Demonstranten ein, drei Personen
wurden verletzt. Die „Spaziergänger*innen“ selbst schienen ebenfalls
mäßig zufrieden mit dem Ausgang des Abends.
Wie Sie dem
letzten Satz des Zitates aus der TAZ entnehmen können, wurde das
Versammlungsrecht durch eine neue Sprachfigur erweitert, durch die der
„Spaziergänger“.
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