Art 8 GG (Versammlungsfreiheit)
Aufgabe der Polizei ist es, Versammlungen nicht nur zu schützen, sondern
sich insgesamt versammlungsfreundlich zu verhalten. Diese von der
Polizei einzufordernde Grundhaltung ist bei der Wahrnehmung
versammlungsrechtlicher Aufgaben, in Anlehnung an den so genannten
Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1985,
immer noch richtungsweisend.
BVerfG 1985: Steht kollektive Unfriedlichkeit nicht zu
befürchten, ist also nicht damit zu rechnen, dass eine Demonstration im
Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt, (...)
oder dass der Veranstalter oder sein Anhang einen solchen Verlauf
anstreben, (...) oder zumindest billigen, dann muss für die friedlichen
Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz
der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne
andere Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen (...).
Würde unfriedliches Verhalten Einzelner für die gesamte Veranstaltung
und nicht nur für die Täter zum Fortfall des Grundrechtsschutzes führen,
hätten diese es in der Hand, Demonstrationen „umzufunktionieren“ und
entgegen dem Willen der anderen Teilnehmer rechtswidrig werden zu lassen
(...); praktisch könnte dann jede Großdemonstration verboten werden, da
sich nahezu immer „Erkenntnisse“ über unfriedliche Absichten eines
Teiles der Teilnehmer beibringen lassen.
BVerfG, Beschluss
vom 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81
Hinweis:
Unfriedlich ist eine Versammlung in Anlehnung an die Vorgaben des
Brokdorf-Beschlusses erst dann, wenn ihre Teilnehmer kollektiv
unfriedlich handeln oder die Unfriedlichkeit einzelner Teilnehmer
mittragen oder es zu Gewalttätigkeiten zwischen Versammlungsteilnehmern
kommt. Allein vermummte Personen machen aus einer Versammlung noch keine
unfriedliche Versammlung.
Die nachfolgenden Zitate aus
höchstrichterlichen Entscheidungen machen deutlich, was zum
Schutzbereich der Versammlungsfreiheit gehört:
BVerfG 1985: Bei der
Versammlungsfreiheit handelt sich um die Freiheit zur kollektiven
Meinungskundgabe in physischer Präsenz, voller Offenheit und ohne
Zwischenschaltung von Medien. Die Versammlungsfreiheit bietet die
Möglichkeit zur Einflussnahme auf den politischen
Willensbildungsprozess. Sie ist ein Regulativ zur Vermeidung von
Staatsverdrossenheit und Ohnmacht. Das Recht des Bürgers, durch Ausübung
der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungs- und
Willensbildungsprozess teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen
Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens. [...]. Diese
grundlegende Bedeutung des Freiheitsrechts ist vom Gesetzgeber beim
Erlass grundrechtsbeschränkender Vorschriften sowie bei deren Auslegung
und Anwendung durch Behörden und Gerichte zu beachten.
BVerfG, Beschluss
vom 14.05.1985 – 1 BvR 233, 341/81
BVerfG 1991:
Dabei beschränkt sich der Schutz dieses Grundrechts nicht
allein auf die Teilnahme an einer bestehenden Versammlung, sondern
umfasst auch den gesamten Vorgang des Sich-Versammelns. Dazu zählt
namentlich der Zugang zu einer bevorstehenden oder sich bildenden
Versammlung. Andernfalls liefe die Versammlungsfreiheit Gefahr, durch
staatliche Maßnahmen im Vorfeld der Grundrechtsausübung ausgehöhlt zu
werden. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt auch nicht nur
solche Teilnehmer vor staatlichen Eingriffen, die die Ziele der
Versammlung oder die dort vertretenen Meinungen billigen, sondern kommt
ebenso denjenigen zugute, die ihnen kritisch oder ablehnend
gegenüberstehen und dies in der Versammlung zum Ausdruck bringen.
BVerfG, Beschluss
vom 11.06.1991 – 1 BvR 772/90
BVerfG 2001:
Versammlung im Sinne des Artikels 8 GG ist eine örtliche Zusammenkunft
mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der
öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.
Versammlungen im Sinne des Art 8 GG sind demnach örtliche Zusammenkünfte
mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der
öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Art
8 GG schützt die Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber die
zwangsweise oder sonst wie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener
Forderungen.
BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001 - 1 BvR
1190/90
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