Art 1 GG (Menschenwürde)
Es ist immer die Umwelt, die das Verhalten von Personen bestimmt, die in
den jeweils vorgefundenen Lebenssituationen aufeinandertreffen. Von
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten muss trotz aller Schwierigkeiten,
die der polizeiliche Berufsalltag mit sich bringt, erwartet werden
können, dass sie durch ihr Verhalten im Rahmen des menschlich Möglichen
die Würde ihres jeweiligen polizeilichen Gegenübers achten und schützen.
Das bedeutet, dass Diskriminierungen jeglicher Art von Amtswaltern
zu unterlassen sind, denn Diskriminierungen sind nichts anderes, als
Verletzungen der Menschenwürde.
Anders ausgedrückt:
Die Würde des Menschen ist zwar unantastbar, aber tastbar.
Diese
Wahrheit wird jede Leserin und jeder Leser dieser Zeilen mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits mehrfach selbst
erfahren haben. Aus verfassungsrechtlicher Sicht muss dennoch von
Amtswaltern ein Verhalten erwartet und auch eingefordert werden können,
das mit dem Menschenbild des Grundgesetzes vereinbar ist. Das bedeutet,
kommunikatives Verhalten, das Aspekte von Missachtung, Verachtung,
rassistischem Denken, Geringschätzung, Herabsetzung, Hohn oder
Nichtachtung zum Ausdruck bringt, ist nichts anderes, als eine
Verletzung der Würde des jeweiligen Menschen, der solch ein Verhalten
erleben muss.
Unter welchen Umständen die Menschenwürde verletzt
ist, lässt sich nicht generell beantworten. In früheren Entscheidungen
ging das Bundesverfassungsgericht von der so genannten Objektformel aus.
BVerfG 1977: Die
Menschenwürde stellt den höchsten Rechtswert innerhalb der
verfassungsmäßigen Ordnung dar. Sie kann keinem Menschen genommen
werden. Achtung und Schutz der Menschenwürde gehören zu den
Konstitutionsprinzipien des Grundgesetzes. Die freie menschliche
Persönlichkeit und ihre Würde stellen den höchsten Rechtswert innerhalb
der verfassungsmäßigen Ordnung dar. Der Staatsgewalt ist in allen ihren
Erscheinungsformen die Verpflichtung auferlegt, die Würde des Menschen
zu achten und sie zu schützen. [...]. Dem liegt die Vorstellung vom
Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf
angelegt ist, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich zu
entfalten. Diese Freiheit versteht das Grundgesetz nicht als diejenige
eines isolierten und selbstherrlichen, sondern als die eines
gemeinschaftsbezogenen und gemeinschaftsgebundenen Individuums. Sie kann
im Hinblick auf diese Gemeinschaftsgebundenheit nicht „prinzipiell
unbegrenzt“ sein. Der Einzelne muss sich diejenigen Schranken seiner
Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und
Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem
gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht; doch muss die
Eigenständigkeit der Person gewahrt bleiben. Dies bedeutet, dass auch in
der Gemeinschaft grundsätzlich jeder Einzelne als gleichberechtigtes
Glied mit Eigenwert anerkannt werden muss. Es widerspricht daher der
menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staate zu machen.
Der Satz, „der Mensch muß immer Zweck an sich selbst bleiben“, gilt
uneingeschränkt für alle Rechtsgebiete; denn die unverlierbare Würde des
Menschen als Person besteht gerade darin, dass er als
selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt.
BVerfG, Urteil vom 21. Juni 1977 – 1 BvL
14/76
In Anlehnung an die Rechtsprechung der Richter des
Bundesverfassungsgerichts ist davon auszugehen, dass sich die
Menschenwürde nur zeit- und situationsabhängig beschreiben lässt, was in
jedem Fall eine Bewertung des Einzelfalls erforderlich macht.
BVerfG 2020: Bei der
Bestimmung von Inhalt und Reichweite des – nicht abschließend
umschriebenen – Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist
zu berücksichtigen, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und
gegenüber aller staatlichen Gewalt Achtung und Schutz beansprucht. Von
der Vorstellung ausgehend, dass der Mensch in Freiheit sich selbst
bestimmt und entfaltet, umfasst die Garantie der Menschenwürde
insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und
Integrität. Damit ist ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch verbunden,
der es verbietet, den Menschen zum „bloßen Objekt“ staatlichen Handelns
zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine
Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Die unverlierbare Würde des
Menschen als Person besteht hiernach darin, dass er stets als
selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt. Zwar ist das
Leben die vitale Basis der Menschenwürde. Daraus kann jedoch nicht der
Schluss gezogen werden, dass eine auf einen freien Willen zurückgehende
Selbsttötung der in Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde
widerspräche. Die Menschenwürde, die dem Einzelnen ein Leben in
Autonomie gewährleistet, steht der Entscheidung des zur freien
Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fähigen Menschen, sich zu töten,
nicht entgegen.
BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 - 2 BvR
2347/15
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