§ 240 StGB (Nötigung)
Ziviler Ungehorsam
Mit dieser Sprachfigur versuchen auch die Aktivisten der letzten
Generation ihre Proteste zu rechtfertigen. Und bezugnehmend auf Art 20 Abs.
4 GG nehmen sie für sich in Anspruch, durch ihren friedlichen und
gewaltfreien Protest auf legale Art und Weise von ihrem
verfassungsrechtlich verbürgten Recht auf Widerstand Gebrauch zu machen,
weil sofort notwendige und ihre Zukunft sicherenden Maßnahmen zum Schutz
des Klimas bisher sträflich unterlassen wurden und werden.
Die Aktivisten verstehen
unter zivilem Ungehorsam und unter dem Recht auf Widerstand aber
nachweisbar etwas ganz anderes, als die Richter des
Bundesverfassungsgerichts das 1986 getan haben.
BVerfG 1986: Unter zivilem
oder bürgerlichem Ungehorsam wird - im Unterschied zum Widerstandsrecht
gegenüber einem Unrechtssystem - ein Widerstehen des Bürgers gegenüber
einzelnen gewichtigen staatlichen Entscheidungen verstanden, um einer
für verhängnisvoll und ethisch illegitim gehaltenen Entscheidung durch
demonstrativen, zeichenhaften Protest bis zu aufsehenerregenden
Regelverletzungen zu begegnen. In den Stellungnahmen der Friedens- und
Konfliktforschungsinstitute sowie in der Literatur ist ausgeführt
worden, dass Anlass zu solchen Aktionen nur eine Angelegenheit von
wesentlicher allgemeiner Bedeutung, insbesondere die Abwendung schwerer
Gefahren für das Gemeinwesen sein könne; dabei gehe es in Fällen der
vorliegenden Art nicht um eine faktische Verhinderung des
Protestanlasses, insbesondere nicht um eine effektive Lähmung
staatlicher Funktionen, sondern um ein dramatisches Einwirken auf den
Prozess der öffentlichen Meinungsbildung; kennzeichnend sei stets, dass
der Ungehorsam unbedingt gewaltfrei und damit unter Ausschluss jeden
Risikos für andere auszuüben sei, ferner öffentlich und demgemäß
prinzipiell kalkulierbar und im Übrigen zeitlich und örtlich
verhältnismäßig im Sinne praktischer Konkordanz unter Berücksichtigung
der jeweiligen Umstände.
Dem ist im
Schrifttum zugestimmt worden mit der Begründung, ziviler Ungehorsam sei
Rechtsbruch, verletze die innerstaatliche Friedenspflicht, verstoße
gegen das Prinzip der Gleichheit aller vor dem Gesetz und setze sich
über das Mehrheitsprinzip hinweg, das für ein demokratisch verfasstes
Gemeinwesen konstituierend sei. Demgegenüber wird seitens der
Friedensforschungsinstitute und Konfliktforschungsinstitute darauf
verwiesen, das Konzept des zivilen Ungehorsams sei in den gereifteren
angelsächsischen Demokratien im Bewusstsein der Unvollkommenheiten des
demokratischen Willensbildungsprozesses als eines Prozesses von trial
and error entwickelt worden. Die erwähnte Denkschrift der EKD, die in
anderem Zusammenhang entschieden für eine Ethik der Rechtsbefolgung
durch Bürger und Amtsinhaber eintritt, warnt davor, die Ernsthaftigkeit
und Herausforderung, die in Aktionen des zivilen Ungehorsams liege,
durch Hinweise auf die Legalität und Legitimität des parlamentarischen
Regierungssystems und seiner Mehrheitsentscheidungen abzutun; auch wenn
die Aktionen rechtswidrig seien und den dafür vorgesehenen Sanktionen
unterlägen, seien sie als Anfrage an Inhalt und Form demokratischer
Entscheidungen ernst zu nehmen.
BVerfG, Urteil vom
11.11.1986 - 1 BvR 713/83, 921, 1190/84 und 333, 248, 306, 497/85
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