§ 240 StGB (Nötigung)
Ruf nach härteren Strafen
Diese Diskussion hat zwischenzeitlich auch den
Deutschen Bundestag erreicht. Der Ruf nach härteren Strafen
Bundestag.de im Juni 2022: Die Forderung von CDU/CSU
nach einer härteren Gangart gegen Klima-Aktivisten wird von den meisten
anderen Fraktionen abgelehnt. Abgeordnete der Regierungskoalition warfen
der Unionsfraktion in der ersten Lesung des Antrags „Straßenblockierer
und Museumsrandalierer härter bestrafen – Menschen und Kulturgüter vor
radikalem Protest schützen“ am Donnerstag, 10.November 2022, vor, sich
profilieren zu wollen und zu ignorieren, dass der Rechtsstaat sehr wohl
in der Lage sei sich gegen Straftaten zu schützen.
Antrag der CDU/CSU Fraktion vom 8.1.2022
Stellungnahme des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins e.V.
(RAV) zu dem Antrag der CDU/CSU Fraktion, in der es unter anderem heißt:
RAV: In der Gesamtbetrachtung
lässt sich mithin sagen, dass – soweit die ständige Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des Art. 8 GG im Strafverfahren und
zu Art. 20a GG ernstgenommen wird - eine Strafbarkeit der Sitzblockaden
in den meisten Fällen nicht gegeben sein dürfte. Die im Antrag der
CDU/CSU-Fraktion zum Ausdruck gebrachte pauschale Bewertung der
Sitzblockaden als „radikale“ und „aggressive“ Protestform, welche nicht
unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit stünde, zeugt von einem
rechtspolitischen Willen, den durch das Bundesverfassungsgericht im
Brokdorf-Beschluss begründeten weitreichenden Schutz der
Versammlungsfreiheit und das rechtsstaatlich-liberale Verständnis von
Versammlungen (und somit auch von Aktionen des zivilen Ungehorsams) als
wesentliches Funktionselement der Demokratie einzuschränken und somit
einzelne unliebsame Protestformen dem Schutzbereich zu entnehmen. Sie
stellt damit den Wesensgehalt des Art. 8 GG als „Abwehrrecht, das auch
und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt [...und...] als
Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewußten
Bürgers“35 grundlegend in Frage.
Zur rechtlichen
Bewertung der Aktionen in den Museen
Die rechtliche Bewertung der Aktionen in den
Museen dürfte maßgeblich von den konkreten Umständen des Einzelfalles
abhängig sein, insbesondere inwieweit überhaupt eine Beschädigung
eingetreten ist, die für die handelnden Personen vorhersehbar war bzw.
von diesen in Kauf genommen wurde. Auch soweit eine solche gegeben sein
sollte, können auch diese Aktionen grundsätzlich unter dem Schutz der
Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG stehen. Auch werden die o.g.
Ausführungen zu einer Rechtfertigung durch § 34 StGB unter Einbeziehung
aller Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sein. Im Ergebnis
verbietet sich auch diesbezüglich eine pauschale rechtliche Beurteilung
ohne Bezug auf den Einzelfall, wie sie sich in dem Antrag wiederfindet.
Soweit dies öffentlich nachvollziehbar ist, existiert zu den Aktionen
bislang keine gerichtliche Entscheidung. Angesichts der Gesamtzahl von 3
derartigen Aktionen in Deutschland ist jedoch darüber hinaus auch nicht
davon auszugehen, dass sich aus diesen Aktionen eine besondere
Notwendigkeit einer Verschärfung des Strafrechts insgesamt ergibt.
Abschließende Bemerkungen:
Der Antrag zeugt von einem grundlegenden
Missverständnis der Antragsteller*innen im Hinblick auf die Rolle des
Zivilen Ungehorsams in einer lebendigen Demokratie. Der Zivile
Ungehorsam ist nicht nur in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland eine wichtige Triebfeder in der Entwicklung der
Freiheitsrechte. Im Bezug hierauf formulierte Jürgen Habermas: „Jede
rechtsstaatliche Demokratie, die ihrer selbst sicher ist, betrachtet den
Zivilen Ungehorsam als normalisierten, weil notwendigen Bestandteil
ihrer politischen Kultur“ und weiter „der Zivile Ungehorsam bezieht
seine Würde aus diesem hochgesteckten Legitimitätsanspruch des
demokratischen Rechtsstaats“.
Jürgen
Habermas: Ziviler Ungehorsam - Testfall für den demokratischen
Rechtsstaat, in: Die Neue Unübersichtlichkeit. Kleine Politische
Schriften V. Frankfurt am Main, Suhrkamp 1985, S. 81 und S. 91.
Soweit in dem Antrag gefordert wird, in § 240
Abs. 4 StGB weitere Regelbeispiele für einen besonders schweren Fall der
Nötigung einzuführen, wonach Täter, die eine öffentliche Straße
blockieren und billigend in Kauf nehmen, dass Polizei, Feuerwehr und
Rettungsdienste bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben behindert werden oder
die eine große Zahl von Menschen durch ihre Blockaden nötigen – etwa
dann, wenn es durch die Blockaden im Berufsverkehr zu langen Staus kommt
mit einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu fünf Jahren bestraft
werden, gründet dies offenkundig nicht auf einer strafrechtlichen
Notwendigkeit hierfür.
Stellungnahme des RAV
Es würde zu weit
führen, an dieser Stelle das gesamte Meinungsspektrum zu diesem Thema
hier darzustellen. Die Stellungnahme des RAV (Republikanischer
Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.) lässt zumindest erkennen, dass
heute ziviler Ungehorsam bereits als ein legitimes Mittel angesehen
wird, um die eigene Wahrheit erforderlichenfalls auch erzwingen dürfen, egal, ob die
schweigende Mehrheit das überhaupt zu akzeptieren bereit ist. Der woke
Autoritätsanspruch scheint sich nicht nur in der Rechtssetzung, sondern
auch in der Rechtssprechung durchzusetzen. Es geht nicht mehr darum,
gemeinsam nach tragfähigen Lösungen zu suchen, sondern nur noch darum,
seine eigene Wahrheit, denn die lässt sich im Vergleich zur eigenen
Meinung ja nicht täglich den Notwendigkeiten anpassen, durchzusetzen.
Ich habe recht, und ihr müsst euch unterordnen.
So kann Demokratie auf
Dauer nicht funktionieren.
So auch wohl die zeitgemäße
Einschätzung von Jürgen Habermas, der in seinem
Essay „Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative
Politik“, das 2022 im Suhrkamp-Verlag publiziert wurde, Folgendes feststellt:
Jürgen Habermas: Die moderne Demokratie unterscheidet
sich von ihren antiken Vorläufern wesentlich dadurch, dass sie ein mit
Mitteln des modernen Rechts verfasstes politisches Gemeinwesen
darstellt, dass die Staatsbürger mit gleichen subjektiven Rechten
ausstattet [und diesen die Möglichkeit gibt, sich die für eine
Wahlentscheidung notwendige Willensbildung von individuell und
unabhängig von den Wahrheitsansprüchen anderer treffen zu können].
"Die öffentliche Kommunikation
bildet das [dafür] notwendige Verbindungsglied zwischen der politischen
Autonomie des Einzelnen und der gemeinsamen politischen Willensbildung
aller Staatsbürger. Diese Konstellation ist wichtig, weil es mir im
Folgenden auf ein wesentliches Problem, ankommt, das nur auf dem Weg
einer demokratischen Willensbildung gelöst werden kann. Nur als
Teilnehmer am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung kann nämlich der
einzelne Staatsbürger in seiner individuellen Meinungsbildung und
Entscheidungsfindung jene Spannung ausgleichen, die zwischen den jeweils
eigenen Interessen des Gesellschaftsbürgers und dem Gemeinwohlinteresse
des Staatsbürgers besteht."
Jürgen Habermas: Ein
neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik.
Suhrkamp 2022, S. 89 und S. 90
Dieses Zitat aus dem Jahr 2022 dürfte wohl eher der Weltsicht von Jürgen
Habermas von heute entsprechen, als ein Zitat aus dem Jahre 1985, auf
das sich die Anwälte des RAV in ihrerer Stellungnahme beziehen.
Ich kann mir kaum
vorstellen, dass ein Philosoph wie Jürgen Habermas beim Schreiben seines
neuesten Essays auch nur im Entferntesten daran gedacht hat, dass eine
öffentliche Willensbildung auch durch Blockaden und andere Aktionen in
einer Demokratie erzwungen werden darf, die, wenn diese Staatsform das
zulässt, sich dadurch selbst aufgeben würde.
Eine deliberative Demokratie im Sinne von Jürgen Habermas setzt eine
offene gesellschaftliche Diskursbereitschaft voraus, die einzufordern
wirklich zeitgemäß und auch notwendig wäre, um ein gesellschaftliches
Bewusstsein dahingehend zu fordern, gesamtgesellschaftlich einzusehen,
dass der Klimawandel Verhaltensänderungen von jedem einfordern wird.
Verhaltensänderungen aber lassen sich in einer freien Gesellschaft nicht
erzwingen. Wer das versucht, zerstört sie.
TOP
Fenster schließen
|