§ 240 StGB (Nötigung)
Nötigung durch Blockaden in der höchstrichterlichen
Rechtsprechung
Die Frage, ob Straßenblockaden anlässlich von Versammlungen als
Nötigungen anzusehen sind, war Gegenstand mehrerer gerichtlicher
Entscheidungen. In einem Urteil des BGH aus dem Jahr 1995 hieß es, in
Bezug auf Nötigungen durch Straßenblockierer wie folgt:
BGH 1995: Haben die
Teilnehmer an einer Straßenblockade dadurch, dass sie sich auf die
Fahrbahn begeben, Kraftfahrer an der Weiterfahrt gehindert und deren
Fahrzeuge bewusst dazu benutzt, die Durchfahrt für weitere Kraftfahrer
tatsächlich zu versperren, so kann diesen gegenüber im Herbeiführen
eines solchen physischen Hindernisses eine strafbare Nötigung liegen.
BGH 1 StR 126/95 - Urteil vom 20. Juli 1995
(LG Augsburg)
Dieser Rechtsauffassung lehnten sich die
Richter des Bundesverfassungsgerichts in ihrem Beschluss aus dem Jahr
2011 unter Einschränkungen an.
BVerfG 2011: Dort heißt es u.a.: Ferner hätten die
Demonstranten rechtswidrig im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB gehandelt. Die
Ausübung der Gewalt habe sich nicht im schlichten Blockieren des
Straßenverkehrs erschöpft, sondern sei Mittel zum Zweck der Erregung von
Aufmerksamkeit für bestimmte politische Zwecke gewesen. Das Grundrecht
der Versammlungsfreiheit erlaube Behinderungen Dritter nur als
sozialadäquate Nebenwirkungen rechtmäßiger Demonstrationen.
Zwangseinwirkungen, die darüber hinausgingen und allein darauf
abzielten, durch gewaltsamen Eingriff in Rechte Dritter gesteigertes
Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen, seien durch Art. 5 und Art. 8
GG nicht gedeckt. Demonstrative Blockaden seien daher in der Regel im
Sinne von § 240 Abs. 2 StGB verwerflich. [...]. Während das
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 11. November 1986 infolge
Stimmengleichheit den sogenannten „vergeistigten Gewaltbegriff“ im
Ergebnis noch unbeanstandet ließ (...), gelangte es nach erneuter
Überprüfung in seinem Beschluss vom 10. Januar 1995 zu der Auffassung,
dass eine auf jegliche physische Zwangswirkung verzichtende Auslegung
des § 240 Abs. 1 StGB mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar ist (...). Für
die Konstellation einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße mit
Demonstranten auf der einen und einem einzigen Fahrzeugführer auf der
anderen Seite stellte es fest, dass eine das Tatbestandsmerkmal der
Gewalt bejahende Auslegung die Wortlautgrenze des § 240 Abs. 1 StGB
überschreitet, wenn das inkriminierte Verhalten des Demonstranten
lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf
den Genötigten nur psychischer Natur ist (...).
Die vom Bundesverfassungsgericht in dem
Beschluss vom 10. Januar 1995 für die Annahme von Gewalt im Sinne von §
240 Abs. 1 StGB geforderte physische Zwangswirkung liegt in dieser
Konstellation vor. Dies gilt zwar nicht für das Verhältnis von den
Demonstranten zu dem ersten Fahrzeugführer, wohl aber für das Verhältnis
von dem ersten Fahrzeugführer zu den nachfolgenden Fahrzeugführern.
Indem der erste Fahrzeugführer aus Rücksicht auf die Rechtsgüter der
Demonstranten abbremst, zwingt er den nachfolgenden Fahrzeugführer zur
Vermeidung eines Aufpralls und damit zur Schonung eigener Rechtsgüter
anzuhalten. Das erste Fahrzeug in der Reihe bedeutet für den
nachfolgenden Fahrzeugführer ein unüberwindbares physisches Hindernis im
Sinne des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Januar 1995
(...). Dass im Verhältnis von Demonstranten zu dem ersten Fahrzeugführer
keine physische, sondern allein eine psychische Zwangswirkung vorliegt,
ist in diesem Zusammenhang ohne Belang, da die Einflussnahme eines
mittelbaren Täters auf den Tatmittler durchaus allein psychischer Natur
sein darf.
An anderer Stelle heißt es:
Bei dieser am
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation
sind insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene
Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige
Abwägungselemente sind hierbei die Dauer und die Intensität der Aktion,
deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere
Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der
Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten
Personen und dem Protestgegenstand. Das Gewicht solcher
demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative
Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine
Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll
einschätzt oder es missbilligt. Stehen die äußere Gestaltung und die
durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem
Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der
Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer
Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände
möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße
hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im
Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des
Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie
die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der
Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben. [...].
Und:
Verfassungsrechtlich
zu beanstanden ist des Weiteren, dass das Landgericht bei der Abwägung
die Dauer der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, die
Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des
blockierten Transports sowie die Anzahl der von ihr betroffenen
Fahrzeugführer gänzlich außer Betracht gelassen hat.
BVerfG, Beschluss vom 07. März 2011 - 1 BvR
388/05
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