Polizei löste Gottesdienst in
Herford auf
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Am 2. Januar 2021 löste
die Polizei in Herford einen Gottesdienst in einer Freikirche
auf in der mehr als 100 Gläubige gegen die
Corona-Schutzverordnung verstoßen hatten, weil sie keinen
Mund-Nasenschutz trugen und auch die Sicherheitsabstände nicht
eingehalten wurden.
Die Polizei in Herford
erstattete Anzeige gegen den Veranstalter und gegen die Besucher
des Gottesdienstes. Sie erwarten nun hohe Geldstrafen.
Ebenfalls kurz vor
Weihnachten hatte die Polizei auch in Essen einen
Gottesdienst der freikirchlichen Pfingstgemeinde auflösen
müssen. Auch dort waren über 80 Gläubige zusammengekommen, die
gemeinsam sangen, keine Masken trugen und Abstände nicht
einhielten - als gäbe es das Corona-Virus nicht.
WDR.de: Freikirche: Polizei löst Gottesdienst in Herford
auf
Was aber sagt die
CoronaschutzVO des Landes NRW zu
Polizeieinsätzen in Gotteshäusern? Anders gefragt: Ist es der
Polizei erlaubt, die Religionsfreiheit einzuschränken.
Die
CoronaschutzVO schweigt sich diesbezüglich aus, denn in
der CoronaschutzVO gibt es keinen Hinweis darauf, dass Eingriffe
in das Grundrecht auf Religionsfreiheit zulässig wären.
Im §
1 CoronaSchVO NRW (Allgemeine Grundsätze) heißt es:
(2) Jede
in die Grundregeln des Infektionsschutzes einsichtsfähige Person
ist verpflichtet, sich so zu verhalten, dass sie sich und andere
keinen vermeidbaren Infektionsgefahren aussetzt.
(3) Die
Kirchen und Religionsgemeinschaften orientieren sich bei den von
ihnen aufzustellenden Regelungen für Gottesdienste und andere
Versammlungen zur Religionsausübung an den entsprechenden
Regelungen dieser Verordnung. Die vorgelegten Regelungen der
Kirchen und Religionsgemeinschaften treten für den
grundrechtlich geschützten Bereich der Religionsausübung an die
Stelle der Regelungen dieser Verordnung. Kirchen und
Religionsgemeinschaften, die keine entsprechenden Regelungen
vorlegen, unterfallen auch für
Versammlungen zur Religionsausübung den Regelungen dieser
Verordnung beziehungsweise den Verfügungen der nach § 17 Absatz
1 zuständigen Behörden.
Mit anderen Worten:
Dieser Sprachgebrauch
in der CoronaSchVO NRW wurde möglich, weil sich der Staat und die Kirchen entsprechend
arrangiert hatten. Weitergehende Eingriffe des Gesetz- und
Verordnungsgebers waren insoweit nicht erforderlich, weil sich
die rechtlich anerkannten Kirchen und auch andere
Religionsgemeinschaften bereits im März des Jahres 2020
einsichtig gezeigt hatten, wie das dem § 11 CoronaschutzVO alt
vom 22.03.2020 (Veranstaltungen, Versammlungen, Gottesdienste,
Beerdigungen) entnommen werden kann.
Dort heißt es im § 11
Abs. 3:
(3)
Versammlungen zur Religionsausübung unterbleiben; Kirchen,
Islam-Verbände und jüdische Verbände haben entsprechende
Erklärungen abgegeben.
Ob eine kleine
Freikirche sich dieser Übereinkunft angeschlossen hat, ist eine
Frage, die zu klären sein dürfte. Wenn nicht, dann hat diese
Gemeinde nicht rechtfertigend in die Ausübung ihres Grundrechtes
auf Religionsfreiheit verzichtet.
Sollte das der Fall
sein, dann stellt sich zwangsläufig die Frage, ob die
CoronaschutzVO Grundrechtseingriffe in das
Recht auf Religionsfreiheit dennoch zulässt?
Um diese Frage zumindest
andenken zu können, ist es erforderlich, sich bewusst zu machen,
was es heißt, in die Religionsfreiheit einzugreifen, denn dazu
gehört auch das verfassungsrechtlich verbriefte Recht der
Religionsausübung.
Die Freiheit der
Religionsausübung ist nämlich, wegen ihrer zentralen Bedeutung
für jeden Glauben und jedes Bekenntnis, nach Auffassung des
BVerfG extensiv auszulegen. Dazu gehören nicht nur kultische
Handlungen und Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche wie
Gottesdienste und Gebete, sondern auch religiöse Erziehung,
freireligiöse und atheistische Feiern sowie andere Äußerungen
des religiösen und weltanschaulichen Lebens, vgl. BVerfG 24,
236.
Nicht umsonst wird
dieser Beschluss des BVerfG (BVerfG 24, 236) aus dem Jahr 1968 oftmals wie folgt
zitiert: BVerfG 24, 236 Aktion Rumpelkammer.
Im Leitsatz 1 heißt
es:
Das
Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG steht nicht nur Kirchen,
Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu, sondern auch
Vereinigungen, die sich nicht die allseitige, sondern nur die
partielle Pflege des religiösen oder weltanschaulichen Lebens.
19:
Insofern ist die ungestörte Religionsausübung nur ein
Bestandteil der dem Einzelnen wie der religiösen oder
weltanschaulichen Vereinigung (...) zustehenden
Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Mindestens seit der Weimarer
Verfassung geht die Freiheit der Religionsausübung inhaltlich in
der Bekenntnisfreiheit auf (...). Die besondere Gewährleistung
der gegen Eingriffe und Angriffe des Staates geschützten
Religionsausübung in Art. 4 Abs. 2 GG erklärt sich historisch
aus der Vorstellung eines besonderen exercitium religionis,
insbesondere aber aus der Abwehrhaltung gegenüber den Störungen
der Religionsausübung unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft. Angesichts dieser Entwicklung hat Art. 4 Abs.
2 GG vor allem den Sinn einer Klarstellung dahin, dass Träger
des Grundrechts auch eine Gemeinschaft sein kann, deren
religiöses Daseins- und Betätigungsrecht hinsichtlich der Form
und des Inhalts, der Teilnahme und der Art der Ausübung - in der
Familie, im Haus und in der Öffentlichkeit - geschützt ist,
soweit sie sich im Rahmen gewisser übereinstimmender sittlicher
Grundanschauungen der heutigen Kulturvölker hält.
BVerfG, Beschluss
vom 16.10.1968 - 1 BvR 241/66
In Anbetracht dieser
Zitate aus einer höchstrichterlichen Entscheidung lohnt es sich
nicht, die Frage zu stellen, ob die Gläubigen einer Freikirche
überhaupt Grundrechtsträger sein können.
Das ist offensichtlich
der Fall.
Diese mehr als hundert
Gläubigen haben nichts anderes getan, als ein ihnen
uneingeschränkt zustehendes Grundrecht auszuüben.
In dieses Grundrecht
einzugreifen setzt sozusagen voraus, dass das Gotteshaus brennt
und die Polizei alle Hände voll zu tun hat, um die Gläubigen zu
retten.
Ob dazu auch der Schutz vor COVID-19 gehört, dürfte
eher eine
Glaubensfrage sein.
Möglicherweise lässt
sich polizeiliches Einschreiten zum Schutz vor
Gesundheitsgefahren ja noch rechtfertigen, denn es gibt durchaus
Gründe, die dem Verstand zugänglich sind. Bekanntermaßen ist
Vernunft aber etwas anderes als ein Glaube und "Religion und
Vernunft" vertragen sich nicht, weil Glaubensdogmen der Vernunft
nicht zugänglich sind.
Dennoch:
Die Glaubens- und Religionsfreiheit gehört zu den zentralen
Grundrechten des Grundgesetzes, siehe Artikel 4 Abs. 1 GG.
Dort heißt es:
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit
des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind
unverletzlich.
Der Verfassungsgeber hätte somit gut daran getan, den Artikel 4
GG wie folgt zu erweitern: Einschränkungen sind in Coronazeiten
zulässig.
Wie dem auch immer
sei.
Von der Notwendigkeit,
auf die Einhaltung von Schutzverkehrungen zu bestehen, ist ein
legitimes Recht. Daran gibt es nichts zu kritisieren.
Die Gläubigen einer
Freikirche aber deshalb strafrechtlich zu verfolgen, setzt
voraus, davon auszugehen es mit uneinschränkbaren Grundrechten
das Grundgesetz es doch wohl nicht so ernst zu meint, wie das eigentlich der Fall sein
sollte, zumal ja auch allen Religionen die Vorstellung gemeinsam
ist, dass sich niemand der gerechten Strafe Gottes entziehen
kann.
Anders
ausgedrückt: Strafe muss sein.
Warum?
§ 74
IfSG (Strafvorschriften)
Mit
Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird
bestraft, wer eine in § 73 Absatz 1 oder Absatz 1a Nummer 1 bis
7, 11 bis 20, 22, 22a, 23 oder 24 bezeichnete vorsätzliche
Handlung begeht und dadurch eine in § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1
genannte Krankheit, einen in § 7 genannten Krankheitserreger
oder eine in einer Rechtsverordnung nach § 15 Absatz 1 oder
Absatz 3 genannte Krankheit oder einen dort genannten
Krankheitserreger verbreitet.
So werden aber, wenn
diese Strafvorschrift auf Gläubige angewendet wird, unter
Anwendung bürokratischer Mittel Märtyrer erzeugt, denn in dem
festgestellten „Fehlverhalten“ lediglich eine Ordnungswidrigkeit
zu sehen, scheidet allein deshalb aus, weil es sich beim § 74 IfSG um
ein Offizialdelikt handelt, und der gesunde Menschenverstand
beim Lesen dieses Straftatbestandes davon ausgeht, dass in einer
Menge von mehr als 100 Personen ein Virus im Sinne
tatbestandlichen Handelns verbreitet wird.
So funktioniert und so
denkt ein bürokratischer Rechtsstaat.
Nur dann gilt die oben aufgezeigte Denkweise nicht, wenn sich 19
Feldspieler in einem Ligaspiel auf engstem Raum zusammendrängen,
sich aufgrund ihrer sportlichen Anstrengung durch verstärktes
Ausatmen durch den Mund intensiv mit Aerosolen versorgen, und
sogar bei der Kopfballabwehr mit ihren Köpfen zusammenschlagen.
Mehr Nähe ohne Maske geht im öffentlichen Raum nicht.
Zu hoffen bleibt, dass
der bürokratische juristische Rechtsstaat daraus etwas macht,
was der Bedeutung der Religionsfreiheit eher entspricht:
Barmherzigkeit
üben.
Hier zu verstehen im Sinne von Milde, Nachsichtigkeit oder,
sollte es tatsächlich darauf ankommen, durfch den Gebrauch einer
wissenschaftlichen Spare durch das Wort Indulgrenz das zu
verstecken, um das es eigentlich geht: Gnade vor Recht walten zu
lassen.
Das dürfte angebracht
sein, zumal die CoronaSchVO hinsichtlich der Zusammenkünfte von
Personengruppen ja auch Ausnahmen kennt. Unter welchen
Voraussetzungen weitaus größere Veranstaltungen mit mehr als 100
Personen erlaubt sind, regelt § 13 Abs. 2 CoronaSchVO
(Veranstaltungen und Versammlungen).
Dort heißt es:
§ 13
Abs. 2 CoronaSchVO (Veranstaltungen und Versammlungen)
(2)
Abweichend von Absatz 1 sind unter Beachtung der Regelungen der
§§ 2 bis 4 zulässig 1. Versammlungen nach dem
Versammlungsgesetz, 2. Veranstaltungen, die der Grundversorgung
der Bevölkerung, der Aufrechterhaltung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung oder der Daseinsfür-
und -vorsorge (insbesondere Aufstellungsversammlungen von
Parteien zu Wahlen und Vorbereitungsversammlungen dazu sowie
Blut-und Knochenmarkspendetermine) zu dienen bestimmt sind, 3.
Sitzungen von rechtlich vorgesehenen Gremien
öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Institutionen,
Gesellschaften und Wohnungseigentümergemeinschaften, Parteien
oder Vereine a) mit bis zu zwanzig Personen, wenn sie nicht als
Telefon- oder Videokonferenzen durch-geführt werden können, b)
mit mehr als zwanzig, aber höchstens 250 Personen in
geschlossenen Räumen beziehungsweise 500 Personen unter freiem
Himmel, nur nach Zulassung durch die zuständigen Behörden, wenn
die Sitzung aus triftigem Grund im Monat Dezember 2020, in
Präsenz und mit der vorgesehenen Personenzahl durchgeführt
werden muss, 4. Veranstaltungen zur Jagdausübung, soweit diese
zur Erfüllung des Schalenwildabschusses oder zur
Seuchenvorbeugung durch Reduktion der Wildschweinpopulation
erforderlich sind,5. Beerdigungenund6.standesamtliche
Trauungen.Die behördliche Zulassung nach Satz 1 Nummer 3 setzt
bei mehr als 100 Teilnehmern ein Hygiene-und
Infektionsschutzkonzept voraus.
Mit anderen Worten:
Die Bürokratie sieht
Ausnahmen vor.
Die natürlich zu
genehmigen sind.
Wie dem auch immer
sei.
Der Parteitag der AfD in
Kevelaer wurde genehmigt, sonst hätte er ja auch von der Polizei
aufgelöst werden müssen.
Aber: Ist das auch so
bei ungenehmigten Gottesdiensten?
Das Worg Genehmigung und Gottesdienst ist ein Widerspruch nicht
nur in sich selbst. Das wäre das Ende der Religionsfreiheit.
Deshalb sieht das IfSG ja auch keinen Eingriff in das Grundrecht
auf Religionsfreiheit vor, denn Eingriffe sind auf der Grundlage
dieses Gesetzes nur in die
nachfolgend aufgeführten Grundrechte zulässig:
-
Unverletzlichkeit
der Wohnung
-
Freiheit der Person
-
Körperlichen
Unversehrtheit
-
Brief- und
Postgeheimnisses
-
Versammlungsfreiheit
-
Freizügigkeit.
Eingriffe in das
Grundrecht auf Religionsfreiheit sieht weder das IfSG nicht die
CoronaSchVO nicht vor, was im Übrigen auch gar nicht in der
Regelungsgewalt eines Verordnungsgebers
läge.
Mir ist auch kein Gesetz bekannt, das Eingriffe in dieses
Grundrecht zuließe.
Wer dennoch freiwillig vorübergehend auf sein Grundrecht
verzichtet, dem ist das freigestellt.
Wer aber von der Polizei aufgefordert wird, ein Gotteshaus zu
verlassen, um im Anschluss daran seine Personalien anzugeben,
damit gegen ihn ein Strafverfahren eingeleitet werden kann, für
den beginnt das Jahr 2021 wirklich auf eine bemerkenswerte Art
und Weise, die sich hoffentlich nicht wiederholt.
Das Grundgesetz sollte 2021 zur Pflichtlektüre werden.
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