01 Bundesregierung und Bundestag
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Es entspricht dem Willen des Verfassungsgebers, dass politisch wichtige Entscheidungen
in den Verantwortungsbereich der Regierung und in den des Parlaments fallen.
Zu den Kernaufgaben der Regierung gehört es, die dafür erforderlichen Entscheidungen
nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten vorzubereiten und zu treffen.
Deshalb spricht das Grundgesetz dem Parlament auch nicht einen allumfassenden Vorrang
bei grundlegenden Entscheidungen zu (vgl. BVerfGE 49, 89). Vielmehr setzt das Grundgesetz
durch die gewaltenteilende Kompetenzzuordnung den Befugnissen des Parlaments Grenzen.
Aufgaben der Regierung im Überblick:
- Gesetzesinitiativen
- Bestimmung der Richtlinien der Politik durch den Bundeskanzler
- Auflösung des Bundestages
- Erklärung des Gesetzgebungsnotstandes
- Verantwortlichkeit für außenpolitische Entscheidungen u.a.
Soweit die Entscheidungen der Bundesregierung vom Parlament missbilligt werden, ist es
der Volksvertretung (Bundestag) freigestellt, entweder einen neuen Bundeskanzler zu
wählen und damit den Sturz der bisherigen Regierung herbeizuführen, einer
Gesetzesvorlage der Bundesregierung die Zustimmung zu verweigern oder die Haushaltsmittel
zu beschneiden, die für die Durchführung von Regierungsplänen erforderlich sind.
Jedoch sind in einer parlamentarischen Demokratie diese rechtlich gegebenen
Kontrollmöglichkeiten in der politischen Wirklichkeit eher eine "stumpfe
Waffe", weil die die Regierung tragenden Parteien im Zweifel der "eigenen"
Regierung nicht in den Rücken fallen.
Im Übrigen gilt zugunsten der Regierung folgende Aussage des BVerfG:
BVerfGE 49, 89, 125
Auszug
"Die konkrete Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs staatlicher Macht, die das
Grundgesetz gewahrt wissen will, darf nicht durch einen aus dem Demokratieprinzip
fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden
Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden. Aus dem Umstand, dass allein die Mitglieder des
Parlaments unmittelbar vom Volk gewählt werden, folgt nicht, dass andere Institutionen
und Funktionen der Staatsgewalt der demokratischen Legitimation entbehren".
Dass es in diesem Spannungsfeld zu Konflikten kommen kann, entspricht der
Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland.
In diesem Zusammenhang wird aber auch deutlich, dass die der Bundesregierung zur
Verfügung stehenden Disziplinierungsmittel greifen, um politische Programme
mehrheitsfähig machen zu können. Die Vorgehensweise des Bundeskanzlers im Rahmen der
Einführung und Umsetzung der Agenda 2010 haben dies deutlich gemacht.
Agenda 2010 - Frühjahr 2003
Die "Agenda 2010" bezeichnet das Reformprogramm der Bundesregierung in den
Bereichen Konjunktur und Haushalt, Arbeit und Wirtschaft sowie Soziale Sicherung. Mit der
"Agenda 2010" sollen diese Bereiche weitreichend umstrukturiert werden und
Anreize für Arbeit, Konsum und Investitionen bieten. Bundeskanzler Schröder hatte die
"Agenda 2010" am 14. März in einer Regierungserklärung vor dem Deutschen
Bundestag unter der Überschrift "Mut zum Frieden und Mut zur Veränderung"
vorgestellt. Zu den Neuerungen, die Bundeskanzler Schröder ankündigte, gehören im
Einzelnen:
- ein kommunales Investitionsprogramm,
- eine weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes,
- die Begrenzung des Arbeitslosengeldes,
- die Veränderung des Kündigungsschutzes,
- eine Modernisierung des Handwerksrechts und
- eine solidarische Reform des Gesundheitswesens.
02 Zusammensetzung der Bundesregierung
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Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und aus den Bundesministern (Artikel
62 GG).
Als Spitze der Exekutive kommt der Bundesregierung im Verfassungsgefüge der
Bundesrepublik Deutschland eine "Doppelrolle" zu. Einerseits hat sie das
Staatsganze zu leiten und zu führen, andererseits ist sie als Verwaltungsspitze dazu
verpflichtet, Aufgaben des Gesetzesvollzuges zu erledigen. Die Schwierigkeit der
Abgrenzung von Regierung (Staatsleitung) im engeren Sinne und Erledigung zugewiesener
Aufgaben im Rahmen übertragener Verwaltungsaufgaben wird insbesondere im Bereich der
Fachministerien deutlich.
Die den Bundesministerien vorstehenden Minister sind nicht nur Mitglieder der
Bundesregierung, als Verwaltungsspitze üben sie zugleich auch die Dienst- und
Fachaufsicht über die ihnen nachgeordneten Verwaltungsbehörden aus.
Soweit die Bundesregierung Führungs- und Leitungsfunktionen für das Staatsganze
ausübt, handelt sie als Gubernative. Nimmt sie hingegen Verwaltungsaufgaben wahr,
handelt sie als Spitze der Exekutive (Verwaltung).
03 Wahl des Bundeskanzlers
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Die Wahl des Bundeskanzlers vollzieht sich gemäß Artikel 63 GG in drei Schritten:
- Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag ohne
Aussprache gewählt (Artikel 63 Abs. 1 GG). Erhält der vorgeschlagene Kandidat vom
Bundestag die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages, muss der
Bundespräsident den Gewählten ernennen.
- Wird der vorgeschlagene Kandidat im ersten Wahlgang nicht gewählt, so kann binnen 14
Tagen der Bundestag mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler
wählen. In diesem Fall ist es nicht erforderlich, dass der Bundespräsident einen
Kandidaten vorschlägt (Artikel 63 Abs. 2 GG).
- Wird im zweiten Wahlgang die erforderliche Mehrheit nicht erreicht, kommt es
unverzüglich zu einem dritten Wahlgang, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen
erhält (Mehrheit der im Bundestag zur Zeit der Abstimmung anwesenden Abgeordneten =
einfache Mehrheit).
- Erreicht der Kandidat im dritten Wahlgang die absolute Mehrheit, muss ihn der
Bundespräsident innerhalb einer Frist von sieben Tagen zum Bundeskanzler ernennen. Wird
diese Mehrheit nicht erreicht, kann der Bundespräsident den Kandidaten innerhalb einer
Frist von sieben Tagen ernennen, andernfalls hat er den Bundestag aufzulösen (Artikel 63
Abs. 3 GG).
Artikel
63 GG
04 Ernennung der Bundesminister
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Die Ernennung der Bundesminister regelt das Grundgesetz im Artikel 64 GG.
Artikel
64 GG
Danach werden die Bundesminister auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom
Bundespräsidenten ernannt und entlassen (Artikel 64 Abs. 1 GG).
In diesem Zusammenhang ist das Vorschlagsrecht des Bundeskanzlers im Hinblick auf die
Zusammensetzung seines Kabinetts der entscheidende Akt bei der Regierungsbildung. Er ist
es, der Minister vorschlägt.
Zwar steht dem Bundespräsidenten bei der Ernennung von Bundesministern sowohl ein
formelles als auch ein materielles Prüfrecht zu, dennoch ist dieses Recht bei der
Zusammensetzung der Bundesregierung nur von untergeordneter Bedeutung, zumal die
einschlägigen Regelungen des Bundesministergesetzes (BMinG) nur geringe Anforderungen an
den Akt der Ernennung bzw. den der Entlassung stellen (§§ 2 bis 5 BMinG).
05 Bundesregierung und Kanzlermehrheit
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Kanzler und Bundesregierung sind darauf angewiesen, die Mehrheit im Parlament hinter
sich zu wissen. In Bezug auf den Aufbau und die Gliederung des Deutschen Bundestages
bedeutet dies, dass entweder eine Fraktion die tatsächliche Mehrheit im Bundestag
repräsentiert und somit aus eigener Kraft den Bundeskanzler wählt, oder aber durch den
Zusammenschluss von Fraktionen zu einer Koalition die erforderliche Kanzlermehrheit
(Mehrheit der Mitglieder im Parlament) geschaffen wird, um eine Bundesregierung
"tragen" zu können.
Unbestritten ist, dass Parteien über ihre Fraktionen im Deutschen Bundestag einen
maßgeblichen Einfluss auf die Zusammensetzung der Bundesregierung nehmen.
Da es sich bei den Fraktionen um Spiegelbilder der Parteienlandschaft in der
Bundesrepublik handelt, ist gewährleistet, dass sich die Bundesregierung aus Personen
zusammensetzt, die Parteieninteressen und Parteienprogrammen im besonderen Maße
verpflichtet sind.
06 Koalitionsverträge
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Verfügt eine Fraktion im Deutschen Bundestag nicht über die absolute Mehrheit,
können die Abgeordneten nur dann mit der erforderlichen Mehrheit einen Kanzler wählen,
wenn Koalitionen gebildet werden. Da der Bundeskanzler vom Parlament auf Vorschlag des
Bundespräsidenten ohne Aussprache gewählt wird, sind im Vorfeld der Entscheidungen
dafür erforderliche Vereinbarungen zu treffen.
Unbestritten ist, dass Koalitionsvereinbarungen/Koalitionsverträge
verfassungsrechtlich zulässig sind, obwohl das Grundgesetz an keiner Stelle einen Hinweis
auf Koalitionsverträge enthält.
Die h.M. jedoch geht davon aus, dass sich die Zulässigkeit von Koalitionsverträgen
unmittelbar aus Artikel 21 und 63 GG ableiten lässt.
Artikel
21 GG
Artikel 63 GG
Im Koalitionsvertrag legen die Parteien, die sich zu einer Koalition zusammenschließen
wollen, ihre politischen Ziele fest. Darüber hinaus verpflichten sich die
Koalitionspartner dazu, anlässlich von Abstimmungen im Deutschen Bundestag geschlossen
für gemeinsam eingebrachte Gesetzesvorlagen abzustimmen.
Neben der Ausformulierung gemeinsamer politischer Ziele enthalten Koalitionsverträge
auch Regelungen, die die Zusammenarbeit und die Besetzung von Ministerien betreffen.
Im Hinblick auf das beabsichtigte Abstimmungsverhalten der Koalition im Parlament und
in den sonstigen Gremien des Bundestages wird in der Regel vereinbart, dass wechselnde
Mehrheiten ausgeschlossen und nur im gegenseitigen Einvernehmen Vorlagen zur Abstimmung in
das Parlament eingebracht werden. Darüber hinaus enthält ein Koalitionsvertrag
Vereinbarungen, welche Ministerien von den Koalitionspartnern zu besetzen sind.
Umstritten ist die Rechtsverbindlichkeit und Rechtsnatur von Koalitionsverträgen.
Zum Teil wird in der Literatur die Meinung vertreten, dass es sich um
verfassungsrechtliche Verträge handelt, durch die sich die Koalitionspartner rechtlich
binden.
Die wohl herrschende Meinung geht jedoch davon aus, dass es sich bei
Koalitionsverträgen um schriftlich niedergelegte Absprachen von politischer Bedeutung
handelt, deren Rechtsverbindlichkeit nur bei gemeinsamer politischer Bewertung
Verbindlichkeit für sich in Anspruch nehmen kann.
Dafür spricht:
- dass Koalitionen aufgelöst werden können, wenn Gemeinsamkeiten bzw. gemeinsame
politische Überzeugungen nicht mehr im ausreichenden Maße vorhanden sind
- im Streitfall die Koalitionspartner sich nicht an unabhängige Gerichte wenden können
- keine Sanktionen für Vertragsverletzungen in Koalitionsverträgen enthalten sind
- ein Rechtsweg nicht existiert.
07 Aufgaben der Bundesregierung
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Das Grundgesetz selbst stellt der vollziehenden Gewalt weder einen abschließenden
Katalog bestimmter Handlungsformen zur Verfügung noch werden ausdrücklich erwähnte
Aufgaben und Zuständigkeiten im Grundgesetz inhaltlich im einzelnen abschließend
aufgeführt. Diese ergeben sich insoweit aus dem Wesen des Staatsorgans Bundesregierung.
Das Grundgesetz überträgt der Bundesregierung die nachfolgend aufgeführten Aufgaben:
- Artikel 23 GG
- Artikel 35 GG
- Artikel 37 GG
- Artikel 65 a GG
- Artikel 76 ff. GG
- Artikel 80 GG
- Artikel 84 - 87 a GG
- Artikel 111 - 113 GG
- Artikel 115 a GG
Informationspflicht gegenüber dem Deutschen Bundestag.
Mehr Rechte für Bundestag bei Euro-Rettung
Urteil des BVerfG vom 19. Juni 2012 2 BvE 4/11
Mit diesem Urteil hat Karlsruhe abermals das Parlament gestärkt: Je komplexer und
bedeutender ein Vorgang, desto besser muss die Regierung den Bundestag informieren.
"Demokratie hat ihren Preis", sagte Verfassungsgerichtspräsident Andreas
Voßkuhle, bevor er das Urteil zu den Mitwirkungsrechten des Bundestages verkündete.
In der Pressemitteilung Nr. 42/2012 vom 19. Juni 2012 heißt es u.a.:
Art. 23 GG räumt dem Deutschen Bundestag in Angelegenheiten der
Europäischen Union weitreichende Mitwirkungs- und Informationsrechte ein.
Die in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG geregelte Pflicht der
Bundesregierung, den Deutschen Bundestag umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu
unterrichten, soll dem Bundestag die Wahrnehmung seiner in Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG
verankerten Rechte auf Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union ermöglichen.
Die Unterrichtung muss dem Bundestag eine frühzeitige und effektive Einflussnahme auf die
Willensbildung der Bundesregierung eröffnen und so erfolgen, dass das Parlament nicht in
eine bloß nachvollziehende Rolle gerät.
Das Erfordernis einer umfassenden Unterrichtung ist seiner
Funktion gemäß so auszulegen, dass eine umso intensivere Unterrichtung geboten ist, je
komplexer ein Vorgang ist, je tiefer er in den Zuständigkeitsbereich der Legislative
eingreift und je mehr er sich einer förmlichen Beschlussfassung oder Vereinbarung
annähert.
Die Unterrichtungspflicht erstreckt sich auch auf die
Weiterleitung amtlicher Unterlagen und Dokumente der Organe, Gremien und Behörden der
Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten.
Anordnung des bewaffneten Bundeswehreinsatzes in Ausnahmefällen im Inland
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 03.07.2012 der Bundeswehr den
Einsatz von "militärischen Kampfmitteln" im Inland bei Terrorangriffen sowie
anlässlich von Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes erlaubt.
Der Einsatz ist an strikte Voraussetzungen gebunden:
- Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes
- Einsatz militärischer Abwehrmittel nur als letztes Mittel zulässig (ultima ratio)
- Bundesregierung muss entscheiden
- Aufgabe darf nicht an den Verteidigungsminister delegiert werden.
Der Einsatz ist nicht zulässig, wenn Gefahren von einer demonstrierenden Menschenmenge
ausgehen.
Die näheren Einzelheiten des Einsatzes militärischer Mittel durch die Bundeswehr
können der Pressemitteilung bzw. dem Beschluss selbst entnommen werden.
Pressemitteilung vom 17.08.2012
Beschluss BVerfG, 2 PBvU 1/11 vom 3.7.2012
Sondervotum des Richters Gaier
Das Grundgesetz in seiner gegenwärtigen Fassung schließt den Kampfeinsatz der
Streitkräfte im Inneren mit spezifisch militärischen Waffen aus.
08 Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers
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Der/die Bundeskanzler/in bestimmt die Richtlinien der Politik (Artikel 65 S. 1 GG)
Artikel
65 GG
Darunter sind richtungsbestimmende politische Vorgaben zu verstehen, die sowohl
Einzelfälle als auch politische Prozesse umfassen können. Es liegt in der Natur der
Sache, dass sich die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers schwer beschreiben lässt, in
der Literatur besteht jedoch Einigkeit dahingehend, dass es sich um grundlegende
politische Vorgaben zu handeln hat.
Soweit der/die Bundeskanzler/in von seiner Richtlinienkompetenz keinen Gebrauch gemacht
hat, führen seine/ihre Fachminister/innen das ihnen jeweils zugewiesene Ministerium in
eigener Verantwortung (Ressortprinzip - Artikel 65 S. 2 GG).
Kommt es anlässlich von ressortübergreifenden Fragen zu Überschneidungen, die nicht
von den davon betroffenen Fachministern eigenverantwortlich entschieden werden, wird im
Regierungskabinett eine kollegiale Regelung herbeigeführt.
09 Regierungskrise und Konstruktives Misstrauensvotum
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Jede Regierung ist auf eine sie tragende Parlamentsmehrheit angewiesen.
In diesem Zusammenhang könnte eine Regierung auch dann die ihr zugewiesenen Aufgaben
erledigen, wenn sie weiß, dass ihre Arbeit von der Mehrheit der Mitglieder im Deutschen
Bundestag getragen wird. Da diese Mehrheit auch jenseits von Regierungsparteien und
Fraktionen denkbar ist, könnte eine Regierung auch von den Abgeordneten der Opposition
unterstützt werden.
Eine solche Parlamentsmehrheit jenseits der Kategorien von Regierungspartei und
Oppositionspartei dürfte dann erforderlich werden, wenn notwendig werdende
gesellschaftliche Veränderungen anders nicht herbeigeführt werden können.
Es entspricht aber eher dem Parlamentsverständnis der im Bundestag vertretenen
Abgeordneten, eine Bundesregierung mit eigener Mehrheit (Kanzlermehrheit) im Parlament zu
unterstützen.
Will das Parlament der amtierenden Regierung hingegen das Vertrauen entziehen, muss es
mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen neuen Bundeskanzler wählen (Artikel 67 GG).
Artikel
67 GG
Ist ein neuer Bundeskanzler gewählt, tritt die gesamte Regierung zurück. Die Abwahl
einzelner Bundesminister sieht das Grundgesetz nicht vor.
10 Vertrauensfrage / Regierungskrise
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Artikel 68 (Vertrauensfrage)
(1) Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die
Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf
Vorschlag des
Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen. Das Recht zur
Auflösung erlischt, sobald der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen anderen
Bundeskanzler wählt.
(2) Zwischen dem Antrag und der Abstimmung müssen achtundvierzig Stunden liege
n.
1983 hat das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil zur Auflösung des Bundestages
die Anforderungen, die an eine Vertrauensfrage zu stellen sind, wie folgt konkretisiert:
- Bestehende politische Kräfteverhältnisse führen zur Handlungsunfähigkeit der
Regierung;
- Schwierigkeiten im Laufe der Legislaturperiode reichen dafür nicht aus
- Der Bundeskanzler hat die politische Lage sorgfältig zu prüfen
- Der vom Bundeskanzler um Auflösung des Bundestages ersuchte Bundespräsident hat die
Einschätzungskompetenz des Bundeskanzlers zu beachten, soweit keine besonderen Gründe
dagegen sprechen
- Der mehrheitliche Wille des Parlaments nach Neuwahlen schränkt den Ermessensspielraum
des Bundespräsidenten nicht ein, kann aber als Indiz für eine Bundestagsauflösung
gewertet werden
Dass es sich bei der Vertrauensfrage und der damit verbundenen Bundestagsauflösung
sowie der Ausrichtung von Neuwahlen im Sinne von Artikel 68 GG um eine
Ermessensentscheidung handelt, die an die drei beteiligten obersten Verfassungsorgane
(Bundesregierung, Bundestag und Bundespräsident) hohe Anforderungen stellt, ist
unbestritten.
Das Grundgesetz vertraut jedoch auf das in Artikel 68 GG selbst angelegte System der
gegenseitigen politischen Kontrolle und des politischen Ausgleichs.
BVerfGE 62, 1 - Bundestagsauflösung
Auszug
Aus den Leitsätzen
6. Der Bundeskanzler, der die Auflösung des Bundestages auf dem Wege des Art. 68 GG
anstrebt, soll dieses Verfahren nur anstrengen dürfen, wenn es politisch für ihn nicht
mehr gewährleistet ist, mit den im Bundestag bestehenden Kräfteverhältnissen
weiterzuregieren. Die politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag müssen seine
Handlungsfähigkeit so beeinträchtigen oder lähmen, daß er eine vom stetigen Vertrauen
der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll zu verfolgen vermag. Dies ist
ungeschriebenes sachliches Tatbestandsmerkmal des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG.
7. Eine Auslegung dahin, daß Art. 68 GG einem Bundeskanzler, dessen ausreichende
Mehrheit im Bundestag außer Zweifel steht, gestattete, sich zum geeignet erscheinenden
Zeitpunkt die Vertrauensfrage negativ beantworten zu lassen mit dem Ziel, die Auflösung
des Bundestages zu betreiben, würde dem Sinn des Art. 68 GG nicht gerecht. Desgleichen
rechtfertigen besondere Schwierigkeiten der in der laufenden Wahlperiode sich stellenden
Aufgaben die Auflösung nicht.
8. a) Ob eine Lage vorliegt, die eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene
Politik nicht mehr sinnvoll ermöglicht, hat der Bundeskanzler zu prüfen, wenn er
beabsichtigt, einen Antrag mit dem Ziel zu stellen, darüber die Auflösung des
Bundestages anzustreben.
b) Der Bundespräsident hat bei der Prüfung, ob der Antrag und der Vorschlag des
Bundeskanzlers nach Art. 68 GG mit der Verfassung vereinbar sind, andere Maßstäbe nicht
anzulegen; er hat insoweit die Einschätzungskompetenz und Beurteilungskompetenz des
Bundeskanzlers zu beachten, wenn nicht eine andere, die Auflösung verwehrende
Einschätzung der politischen Lage der Einschätzung des Bundeskanzlers eindeutig
vorzuziehen ist.
c) Die Einmütigkeit der im Bundestag vertretenen Parteien, zu Neuwahlen zu gelangen,
vermag den Ermessensspielraum des Bundes präsidenten nicht einzuschränken; er kann
hierin jedoch einen zusätzlichen Hinweis sehen, daß eine Auflösung des Bundestages zu
einem Ergebnis führen werde, das dem Anliegen des Art. 68 GG näher kommt als eine
ablehnende Entscheidung.
9. In Art. 68 GG hat das Grundgesetz selbst durch die Einräumung von
Einschätzungsspielräumen und Beurteilungsspielräumen sowie von Ermessen zu politischen
Leitentscheidungen an drei oberste Verfassungsorgane die verfassungsgerichtlichen
Überprüfungsmöglichkeiten weiter zurückgenommen als in den Bereichen von Rechtsetzung
und Normvollzug; das Grundgesetz vertraut insoweit in erster Linie auf das in Art. 68 GG
selbst angelegte System der gegenseitigen politischen Kontrolle und des politischen
Ausgleichs zwischen den beteiligten obersten Verfassungsorganen. Allein dort, wo
verfassungsrechtliche Maßstäbe für politisches Verhalten normiert sind, kann das
Bundesverfassungsgericht ihrer Verletzung entgegentreten.
11 Vertrauensfrage vom 1. Juli 2005
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In der Parlamentsgeschichte des Deutschen Bundestages war es bisher üblich,
Regierungskrisen u.a. dadurch zu beenden, indem der Bundeskanzler eine Gesetzesvorlage in
den Bundestag einbrachte und diese Vorlage mit der Aufforderung an das Parlament verband,
ihm die dafür erforderliche Mehrheit zu gewähren, oder aber ihm diese zu verweigern.
Für den Fall der Verweigerung der Zustimmung zur eingebrachten Gesetzesvorlage wurde
offenkundig, dass der Bundeskanzler nicht mehr über die erforderliche Mehrheit im
Parlament verfügte, um seine Regierungspolitik verwirklichen zu können.
Die am 1.Juli 2005 von Bundeskanzler Gerhard Schröder gestellte Vertrauensfrage geht
andere Wege.
Am 27.6.2005 stellte Bundeskanzler Gerhard Schröder gemäß Artikel 68 GG den Antrag
an den 15. Deutschen Bundestag (Drucksache 15/5825), ihm das Vertrauen auszusprechen.
In dem Antrag heißt es:
"Ich beabsichtige, vor der Abstimmung am Freitag, dem 1. Juli 2005, hierzu eine
Erklärung abzugeben."
Der Abstimmung ging eine Debatte voraus, in der Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen
Antrag mit mangelnder Handlungsfähigkeit seiner Regierung und dem SPD-internen Konflikt
rund um die Reformagenda 2010 begründete.
Um notwendig werdende Veränderungen auf ein klares Wählervotum stützen zu können,
wurde vom Bundeskanzler die Vertrauensfrage mit dem Ziel gestellt, ihm das Vertrauen nicht
auszusprechen, um so Neuwahlen zu ermöglichen. Die Vertrauensfrage erbrachte das vom
Bundeskanzler gewünschte Ergebnis. Daraufhin wurde Bundespräsident Köhler vom
Bundeskanzler ersucht, den 15. Deutschen Bundestag aufzulösen. Diesem Antrag gab
Bundespräsident Köhler am 21. Juli 2005 statt.
Gegen die Auflösung legten zwei Bundestagsabgeordnete beim Bundesverfassungsgericht
Beschwerde ein.
Mit Urteil vom 26. August 2005 wies das Bundesverfassungsgericht die Beschwerden mit
einer eindeutigen Mehrheit von (7:1) die Beschwerden zurück.
BVerfG 2 BvE 4/05 und 2 BvE 7/05 vom 25. 08.2005
Leitsätze
1. Die auf Auflösung des Bundestages
gerichtete Vertrauensfrage ist nur dann verfassungsgemäß, wenn sie nicht nur den
formellen Anforderungen, sondern auch dem Zweck des Art. 68 GG entspricht. Das Grundgesetz
erstrebt mit Art. 63, Art. 67 und Art. 68 eine handlungsfähige Regierung.
2. Die auflösungsgerichtete Vertrauensfrage ist nur dann gerechtfertigt, wenn die
Handlungsfähigkeit einer parlamentarisch verankerten Bundesregierung verloren gegangen
ist. Handlungsfähigkeit bedeutet, dass der Bundeskanzler mit politischem
Gestaltungswillen die Richtung der Politik bestimmt und hierfür auch eine Mehrheit der
Abgeordneten hinter sich weiß.
3. Von Verfassungs wegen ist der Bundeskanzler in einer Situation der zweifelhaften
Mehrheit im Bundestag weder zum Rücktritt verpflichtet noch zu Maßnahmen, mit denen der
politische Dissens in der die Regierung tragenden Mehrheit im Parlament offenbar würde.
4. Das Bundesverfassungsgericht prüft die zweckgerechte Anwendung des Art. 68 GG nur
in dem von der Verfassung vorgesehenen eingeschränkten Umfang.
a) Ob eine Regierung politisch noch handlungsfähig ist, hängt maßgeblich davon ab,
welche Ziele sie verfolgt und mit welchen Widerständen sie aus dem parlamentarischen Raum
zu rechnen hat. Die Einschätzung der Handlungsfähigkeit hat Prognosecharakter und ist an
höchstpersönliche Wahrnehmungen und abwägende Lagebeurteilungen gebunden.
b) Eine Erosion und der nicht offen gezeigte Entzug des Vertrauens lassen sich ihrer
Natur nach nicht ohne weiteres in einem Gerichtsverfahren darstellen und feststellen. Was
im politischen Prozess in legitimer Weise nicht offen ausgetragen wird, muss unter den
Bedingungen des politischen Wettbewerbs auch gegenüber anderen Verfassungsorganen nicht
vollständig offenbart werden.
c) Drei Verfassungsorgane - der Bundeskanzler, der Deutsche Bundestag und der
Bundespräsident - haben es jeweils in der Hand, die Auflösung nach ihrer freien
politischen Einschätzung zu verhindern. Dies trägt dazu bei, die Verlässlichkeit der
Annahme zu sichern, die Bundesregierung habe ihre parlamentarische Handlungsfähigkeit
verloren.
Aus den Gründen
127
Die Anträge sind unbegründet. Die Anordnungen des Bundespräsidenten vom 21. Juli
2005, den 15. Deutschen Bundestag aufzulösen und die Wahl auf den 18. September 2005
festzusetzen, verstoßen nicht gegen das Grundgesetz. Sie verletzen oder gefährden die
Antragsteller deshalb nicht in ihrem durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit Art.
39 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Status als Abgeordnete des Deutschen Bundestages.
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat Bundespräsident Köhler eine
Diskussion über ein "Recht zur Selbstauflösung des Bundestags" angeregt. Der
Präsident ermunterte die Abgeordneten des Bundestages und die Parteien, über eine solche
Änderung der Verfassung nachzudenken.
Bereits 1976 hatte die Enquetekommission "Verfassungsreform" ein solches
Recht des Parlaments vorgeschlagen. Auch Anfang der Neunziger Jahre wurde darüber
nachgedacht, dem Bundestag - ähnlich wie in fast allen Landesverfassungen - die Befugnis
zur Auflösung zuzugestehen.
Die großen Parteien halten eine diesbezügliche Änderung des Grundgesetzes zurzeit
jedoch nicht für erforderlich.