01 Opfer
im Strafverfahren
TOP
Nach der Tat findet eine
Begegnung von Täter und Opfer in der Regel nicht mehr statt. Im
Gegensatz dazu ist der Erstkontakt zwischen Opfern und der
Polizei unmittelbar nach der Tat fester Bestandteil des
polizeilichen Berufsalltags.
Nachdem Polizeibeamte von
Geschädigten, die oftmals die einzigen Tatzeugen sind,
Informationen eingeholt haben, die für die Einleitung eines
Strafverfahrens unverzichtbar sind, beginnen die polizeilichen
Ermittlungen gegen den bis dahin meist noch unbekannten Täter.
Kann dieser ermittelt
werden, reduziert sich die Rolle des Tatopfers auf die des
Tatzeugen bzw. auf die eines »Spurenträgers«, zumindest dann,
wenn es sich um das Opfer eines sexuellen Gewaltdelikts handelt.
[Erstkontakt:] Der
Erstkontakt mit Opfern von Gewalttaten erfordert von
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten Sensibilität beim
Einschreiten und ein Höchstmaß an Einfühlungsvermögen bei der
Kommunikation mit dem Opfer.
Tatsache ist, dass
insbesondere die Opfer sexueller Gewalttaten beim Umgang mit der
Polizei und anderen, am Strafverfahren beteiligten Institutionen
beklagen, dass ihnen mit Vorurteilen begegnet wird und bei ihnen
oftmals der Eindruck haften bleibt, die Tat möglicherweise sogar
selbst verschuldet zu haben.
Unbestritten ist, dass die
Opfer sexueller Gewalttaten einen Anspruch darauf haben, von
allen am Verfahren beteiligten Stellen professionell behandelt
zu werden, zumal wissentliche Falschbeschuldigungen in diesem
Deliktsbereich erwiesenermaßen die Ausnahmen sind.
Aber auch Opfer anderer
Straftaten gilt es mit ihren Nöten anzunehmen, zumal negative
Erfahrungen, die Opfer mit den Strafverfolgungsbehörden machen,
nicht ohne Auswirkungen bleiben, weil Opfer durch
unprofessionell einschreitende Polizeibeamtinnen und
Polizeibeamten einen Rechtsstaat kennen lernen, der sie mehr
oder weniger mit ihren Nöten allein lässt.
Das erlebte Gefühl der
Ohnmacht und der Bedeutungslosigkeit des Opfers führt zu
Enttäuschungen und zu einer Einstellung zum Staat, die
nachdenklich stimmt, zumal sich aus Opfersicht der Eindruck
aufdrängt, dass die Rechte des Täters überwiegen.
Er ist es, der einen
Anspruch darauf hat, nach seiner individuellen Schuld, seiner
Verantwortlichkeit für sein Tun und seiner Willensfreiheit zum
Zeitpunkt der Tat bestraft zu werden, siehe
§ 46 StGB (Grundsätze der Strafzumessung).
Hat der Täter sich darum
bemüht, für einen angemessenen Ausgleich des Schadens beim
Verletzten der Tat zu sorgen, kann dies sogar dazu führen, dass
der Täter gar nicht bestraft wird, siehe
§ 46a StGB (Täter-Opfer-Ausgleich,
Schadenswiedergutmachung).
02
Interesse für das Opfer
TOP
Auf die Frage, wie das
Opfer selbst mit den Folgen der Tat zurecht kommt bzw. sie
psychisch bewältigt, hat die Forschung erst in jüngster Zeit
angemessene Antworten geliefert.
Bekannt ist, dass z. B.
auch Opfer von Wohnungseinbrüchen, die keinen persönlichen
Kontakt zum Täter hatten, durch die Verletzung ihrer
Privatsphäre eine tiefe seelische Verunsicherung erfahren.
Noch schwerwiegender sind
unbestritten die Folgen, wenn das Opfer vom Täter körperlich
angegriffen oder Opfer eines sexuellen Gewaltdelikts geworden
ist. Seelische Vereinsamung, Rückzug in sich selbst, Verlust von
Lebenssinn und Lebensfreude, Kontaktarmut und eine tiefe innere
Verunsicherung sind Folgen, unter denen diese Opfer oftmals ein
Leben lang zu leiden haben.
Dies sollten sich
Polizeibeamte immer vor Augen halten, wenn sie im Rahmen des
Erstkontaktes dem Opfer einer Straftat gegenüberstehen.
Das Merkblatt des
Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen zum Umgang mit
den Opfern sexueller Gewaltdelikte macht deutlich, was von
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten erwartet werden muss, wenn
sie im Rahmen ihres Berufsalltags Menschen begegnen, die
Extremsituationen ausgesetzt gewesen sind.
Im Merkblatt Nr. 44 vom 9.
August 1989 empfahl das Innenministerium NRW seinen Beamten beim
Umgang mit Opfern sexueller Gewalttaten Folgendes:
»Bedenken Sie, eine
vergewaltigte Frau befindet sich in einer extremen psychischen
Ausnahmesituation. Sie ist aufgeregt und steht möglicherweise
unter Schock. Formulierungsschwierigkeiten, mangelhaftes
Erinnerungsvermögen und widersprüchliche Aussagen sollten Sie
daher nicht verwundern.
Seien Sie behutsam und
mitfühlend. Sie braucht Ihr Vertrauen!
Denken Sie bitte zunächst
daran,
-
die erste Befragung in
einem Raum ohne Publikumsverkehr durchzuführen und - wenn
möglich - durch eine Beamtin
-
sprechen Sie ungestört
mit der Frau; geben Sie ihr Gelegenheit, sich alleine und
ohne äußeren Druck zu entscheiden, ob sie ihre Angaben in
Gegenwart einer weiteren Person machen will
-
bitte hören Sie ihr
geduldig zu
-
ermöglichen Sie ihr
eine zusammenhängende Darstellung
-
lassen Sie auch
Abschweifungen zu
-
glauben Sie ihr; es
ist erwiesen, dass vorgetäuschte Vergewaltigungen Ausnahmen
sind
-
machen Sie ihr keine
Vorhaltungen
-
stellen Sie nur die
für ihre Sofortmaßnahmen notwendigen Fragen
-
erläutern Sie ihr im
Falle unumgänglicher intimer Fragen den Fragehintergrund
-
sorgen Sie dafür, dass
wichtige Beweismittel nicht vernichtet werden (z.B.
Bekleidung nicht waschen oder wegwerfen)
-
nehmen Sie
unverzüglich Kontakt zum zuständigen Kommissariat auf
-
weisen Sie eine Frau
nicht deshalb ab, weil z.B.: der Ehemann/Lebenspartner
der Täter ist, das Opfer aus sozial schwachen
Verhältnissen kommt, sie einer sozialen Randgruppe
angehört, sie unter Alkoholeinwirkung steht.
Diese
Verhaltensempfehlungen sollten heute zur Selbstverständlichkeit
geworden sein.
03
Grundsätze für das Strafverfahren
TOP
Trotz allen Verständnisses
für die Nöte des Opfers darf auf Seiten der
Strafverfolgungsbehörden die Unschuldsvermutung des Täters nicht
angetastet werden. Die berechtigten Interessen der Verteidigung
müssen gewahrt bleiben.
Parallel dazu ist das
Opfer vor möglichen Beeinträchtigungen durch das Strafverfahren
zu schützen.
Die Mitwirkung des
Verletzten dient der Wahrheitsfindung. Sie bietet Chancen für
den anzustrebenden Täter-Opfer-Ausgleich, der nicht als
Privatsache anzusehen ist.
Das Opfer soll nicht gegen
seinen Willen in das Verfahren gezwungen werden (Ausnahme:
Realisierung der Zeugenpflicht).
Festzustellen bleibt, dass
durch Opferschutzregelungen die Funktionstüchtigkeit der
Strafrechtspflege nicht in Frage gestellt werden darf.
04
Strafverfahren aus Opfersicht
TOP
Der folgende Überblick
gibt einen punktuellen Einblick in den Ablauf des
Strafverfahrens aus der Sicht eines Opfers.
In den meisten Fällen sind
es die Opfer selbst, die zur Polizei kommen und ein Delikt zur
Anzeige bringen. Grundsätzlich wird das Anzeige erstattende
Opfer durch die Polizei nach Belehrung über seine Zeugnis- oder
Auskunftsverweigerungsrechte als Zeuge vernommen.
Dabei kann sich das Opfer
(meist auf eigene Kosten) eines Rechtsbestandes bedienen, oder
eine andere Vertrauensperson hinzuziehen, siehe
§ 406g StPO (Beistand des nebenklageberechtigten
Verletzten).
Für einen »Opferanwalt«
kann Prozesskostenhilfe beantragt werden, siehe
§ 397a StPO (Bestellung eines Beistands;
Prozesskostenhilfe) iVm
§ 406f StPO (Verletztenbeistand).
Während des
Ermittlungsverfahrens hat das Opfer über den Opferanwalt ein
Akteneinsichtsrecht und das Recht, die amtlich verwahrten
Beweisstücke zu besichtigen, siehe
§ 406e StPO (Akteneinsicht; Auskunft).
Für die Polizei sollte es
selbstverständlich sein, im Rahmen der Vernehmung auf die
jeweils besondere Opfersituation einzugehen.
Opfer sexueller
Gewalttaten sollten deshalb grundsätzlich durch eine weibliche
Kriminalbeamtin vernommen werden. Dies gilt auch für die
Vernehmung von Opfern im Kindesalter.
Untersuchungen des Opfers
auf Spuren und Tatfolgen sind grundsätzlich zulässig, es sei
denn, dass sie dem Opfer bei Würdigung aller Umstände nicht
zugemutet werden können, siehe
§ 81c Abs. 4 StPO (Untersuchung anderer Personen).
Die Untersuchung »am
Körper« des Opfers schließt auch die natürlichen Körperöffnungen
mit ein. Da solche Untersuchungen das Schamgefühl einer Frau
verletzen können, müssen sie einer Frau oder einem Arzt
übertragen werden, siehe
§ 81d StPO (Durchführung körperlicher Untersuchungen
durch Personen gleichen Geschlechts).
Die Entnahme einer
Blutprobe beim Opfer ist einem Arzt vorbehalten, siehe § 81c
Abs.2 StPO (Untersuchung anderer Personen).
Soweit die Verletzte einer
Tat einer körperlichen Untersuchung nicht zustimmt, eine
Untersuchung aber zur Wahrheitsfindung unerlässlich ist, bedarf
die zwangsweise Durchsetzung der Maßnahme einer richterlichen
Anordnung (§ 81c Abs. 6 StPO).
Der von der Polizei
erstellte Ermittlungsvorgang wird nach Abschluss der
polizeilichen Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft weiter
geleitet, die zu entscheiden hat, ob das Verfahren eingestellt
oder Klage erhoben wird, siehe
§ 170 StPO (Entscheidung über eine Anklageerhebung).
In der Regel reichen die
von der Polizei getätigten Ermittlungen für eine abschließende
Beurteilung in der Sache aus. Gelegentlich ordnet der
Staatsanwalt ergänzende Ermittlungen im Sinne von
§ 161 StPO (Allgemeine
Ermittlungsbefugnis der Staatsanwaltschaft) an oder führt sie
selber durch.
Bei der Vernehmung des
Opfers durch den Staatsanwalt hat der Opferanwalt (§ 406f Abs. 1
StPO) ein Anwesenheitsrecht, siehe
§ 406f StPO (Verletztenbeistand). Ihm steht auch das
Recht zu, für die/den Verletzte/n Fragen zu beanstanden, soweit
die/der Verletzte nicht widerspricht, siehe § 406f Abs. 2 StPO.
05
Videovernehmung von Zeugen
TOP
Am 1.Dezember 1998 wurde
das sogenannte »Zeugenschutzgesetz« (ZSchG) verabschiedet. Die
Strafprozessordnung wurde dahingehend geändert, dass
minderjährige Opfer nun auch mit Hilfe der Videotechnik
vernommen werden können.
Nunmehr ist es möglich,
die Aussage minderjähriger Opfer bereits bei der Vernehmung
durch die Polizei oder durch die Staatsanwaltschaft auf eine
Videokassette aufzunehmen. Dieses Band kann dann in der
Hauptverhandlung abgespielt werden. Dieses Verfahren hat den
Vorteil, dass insbesondere kindliche Zeugen nicht mehrfach
vernommen werden müssen. Zum anderen gibt es die simultan
übertragene Zeugenvernehmung. Das heißt, der Zeuge sitzt in
einem anderen Raum und wird per Videokamera zugeschaltet, siehe
§ 247a StPO (Anordnung einer audiovisuellen Vernehmung
von Zeugen).
Andererseits bleibt aber
auch zu berücksichtigen, dass insbesondere Opfer im Kindesalter
bei der Tatbegehung von ihren Peinigern häufig mittels einer
Videokamera aufgenommen wurden und insoweit in einer Kamera eine
Bedrohung und einen erneuten Angriff auf ihre körperliche
Integrität sehen können.
06
Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft
TOP
Die Einstellung des
Verfahrens kann beim Opfer große Enttäuschung auslösen.
Durch eine fristgebundene
Beschwerde kann das verletzte Opfer eine Entscheidung des
Generalstaatsanwalts herbeiführen, siehe
§ 172 StPO (Beschwerde des Verletzten;
Klageerzwingungsverfahren).
Da Opfer, die als
Nebenkläger in Erscheinung treten, bessere Möglichkeiten haben,
auf das Verfahren einzuwirken, enthält der
§ 406h StPO (Unterrichtung des Verletzten über seine
Befugnisse) die Regelung, dass Verletzte ausdrücklich auf die
ihnen zustehenden Rechte hinzuweisen sind.
Die Anschlusserklärung als
Nebenkläger kann das Opfer selbst beim Gericht schriftlich
einreichen. Einer Vertretung durch einen Rechtsanwalt bedarf es
dafür nicht. Dem Opfer ist es freigestellt, sich durch einen
Rechtsanwalt vertreten zu lassen, siehe
§ 406g StPO (Beistand des nebenklageberechtigten
Verletzten).
Prozesskostenhilfe ist
möglich (§ 406g Abs. 3 StPO mit Bezugnahme auf § 397a StPO),
auch die einstweilige Beiordnung eines Opferanwalts ist
vorgesehen (§ 406g Abs. 4 StPO).
07
Zeugenpflichten im Strafverfahren
TOP
Opferzeugen sind während
des Verfahrens durch Pflichten gebunden.
-
Geladene Zeugen müssen
vor Gericht erscheinen (§§ 48, 51 StPO).
-
Die Verteidigung des
Beschuldigten kann Zeugen unmittelbar laden (§ 220 StPO).
Dieses Recht führt zur Konfrontation zwischen Opfer und
Täter.
-
Geladene Zeugen müssen
bis zu ihrer Vernehmung vor dem Sitzungssaal warten (§ 58
StPO).
-
Nach ihrer Vernehmung
dürfen sie sich nur mit Genehmigung des Vorsitzenden von der
Gerichtsstelle entfernen (§ 248 StPO).
-
Nur das als
Nebenkläger zugelassene Opfer hat ein umfassendes
Anwesenheitsrecht (§ 397 Abs. 1 StPO) und zwar auch dann,
wenn es noch als Zeuge vernommen werden soll.
-
Zugen müssen
wahrheitsgemäß aussagen, soweit ihnen nicht ein Recht zur
Zeugnis- oder Auskunftsverweigerung zusteht.
-
Das Recht, seine
Personalien, insbesondere seine Wohnung geheim zu halten,
hat das Opfer grundsätzlich nicht.
-
Fragen zur
Vervollständigung der Aussage sind zu beantworten (§ 69 Abs.
1 StPO). Auch unangenehme Fragen hat das Opfer
wahrheitsgemäß zu beantworten.
Eine Untersuchung des
Zeugen, auch des Opfers, ist gegen seinen Willen nur zulässig,
um Spuren und Folgen der Tat sichern zu können. Eine Überprüfung
der Sehfähigkeit, Merkfähigkeit oder gar der Glaubwürdigkeit ist
ohne die Einwilligung des Zeugen/Opfers nicht möglich. Fragen
nach dem sexuellen Vorleben eines Vergewaltigungsopfers sollen
jedoch nur dann gestellt werden, wenn dies unerlässlich ist.
Auch die Frage nach Vorstrafen ist nur in eingeschränktem Umfang
zulässig, insbesondere zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des
Zeugen, siehe
§ 68a StPO (Beschränkung des Fragerechts aus Gründen des
Persönlichkeitsschutzes).
08
Zeugenrechte im Strafverfahren
TOP
Das Opfer als Zeuge steht
unter dem besonderen Schutz des Gesetzes. Das Opfer hat eine
Reihe von Rechten:
-
Recht auf Ausschluss
der Öffentlichkeit, wenn Umstände aus dem persönlichen
Lebensbereich des Opfers zur Sprache kommen, deren
Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde, siehe
§ 171b Abs. 2 GVG (Ausschluss der Öffentlichkeit).
Das Opfer kann aber auch einem vom Gericht vorgesehenen
Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen, wenn Interesse
daran besteht, bestimmte Vorgänge in der öffentlichen
Hauptverhandlung zur Sprache zu bringen.
-
Recht, vom
Vorsitzenden die Zurückweisung von Fragen zu verlangen, die
ungeeignet sind oder nicht zur Sache gehören, bzw. vom
Vorsitzenden zu verlangen, entsprechende Fragen nicht
zuzulassen, siehe
§ 241 StPO (Zurückweisung von Fragen durch den
Vorsitzenden).
-
Zeugen unter 16 Jahren
können die Entfernung des Angeklagten verlangen, wenn eine
Vernehmung in Anwesenheit des Angeklagten erhebliche
Nachteile für das Wohl des jugendlichen Zeugen befürchten
lässt, siehe
§ 247 StPO (Entfernung des Angeklagten bei
Vernehmung von Mitangeklagten und Zeugen)
-
Hinzuziehung eines
Rechtsbeistands oder einer Person des Vertrauens bei der
Vernehmung, siehe
§ 406f StPO (Verletztenbeistand)
09
Besondere Opferrechte als Nebenkläger
TOP
Als Nebenkläger können
Opfer von Straftaten folgende Rechte in Anspruch nehmen, siehe
§ 397 StPO (Verfahrensrechte des Nebenklägers):
-
der Nebenkläger, auch
wenn er als Zeuge vernommen werden soll, ist zur Anwesenheit
in der Hauptverhandlung berechtigt
-
der Nebenkläger kann
einen Richter oder einen Sachverständigen ablehnen
-
dem Nebenkläger stehen
das Fragerecht und das Beweisantragsrecht zu und er ist zur
Abgabe von Erklärungen berechtigt
Gemäß
406g StPO (Beistand des nebenklageberechtigten
Verletzten) ist dem Opfer als Nebenkläger für die Hinzuziehung
eines Rechtsanwalts auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen,
wenn es sich bei der Tat um ein Verbrechen handelt. Das ergibt
sich aus
§ 397a StPO (Bestellung eines Beistands;
Prozesskostenhilfe) auf den § 406g StPO verweist.
Unabhängig von den Rechten
als Nebenkläger hat das Opfer auf das in der Hauptverhandlung
ergehende Urteil nur einen sehr geringen Einfluss.
Die Möglichkeit des
Opfers, im Sinne der §§ 403 ff. StPO den entstandenen
vermögensrechtlichen Schaden gleich im Strafverfahren geltend zu
machen, um so zugleich ein zivilrechtliches Urteil über den
Schadensersatzanspruch zu erhalten, das für vorläufig
vollstreckbar erklärt werden kann, wird nur selten zu erwirken
sein (§§ 406, 406b StPO).
In Fällen, in denen
bereits vor der Entscheidung in der Hauptverhandlung vom Täter
Schadensersatz geleistet oder in anderer Form eine
Wiedergutmachung erfolgte, prüft der Richter, ob die
Voraussetzungen einer Strafmilderung nach
§ 46a StGB (Täter-Opfer-Ausgleich) greifen und ob von
den Möglichkeiten dieser Vorschrift Gebrauch gemacht werden
soll.
10 Das
Opferentschädigungsgesetz (OEG)
TOP
Im
Opferentschädigungsgesetz aus dem Jahre 1976 hat der Gesetzgeber
geregelt, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang
Opfern Entschädigung bzw. Versorgung zu gewähren ist.
Leitgedanke des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von
Gewalttaten ist, dass die staatliche Gemeinschaft für die Opfer
von Straftaten einstehen muss, wenn es ihr trotz aller
Anstrengungen zur Verbrechensverhütung nicht gelingt,
Gewalttaten zu verhindern.
Regelungen im Überblick:
Gemäß
§ 1 OEG (Anspruch auf Versorgung) hat Anspruch auf eine
Versorgung, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines
vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine
oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr
eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Einem tätlichen
Angriff gleichgestellt ist die vorsätzliche Beibringung von Gift
bzw. eine wenigstens fahrlässig herbeigeführte Gefahr für Leib
und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln
begangenes Verbrechen.
Das OEG ist nicht auf
Schäden aus einem tätlichen Angriff anzuwenden, die von dem
Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges oder eines
Anhängers verursacht worden sind.
Im Rahmen der
Opferentschädigung werden auch die Kosten der Heilbehandlung
übernommen.
Leistungen im Sinne von
§ 2 OEG (Versagungsgründe) sind zu versagen, wenn der
Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus
sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des
Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, eine
Entschädigung zu gewähren.
Dies gilt auch, wenn der
Geschädigte
-
an politischen
Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt
ist oder war und die Schädigung darauf beruht oder
-
an kriegerischen
Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt
ist oder war und Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass
die Schädigung hiermit in Zusammenhang steht, es sei denn,
er weist nach, dass dies nicht der Fall ist oder
-
in die organisierte
Kriminalität verwickelt ist oder war oder einer
Organisation, die Gewalttaten begeht, angehört oder angehört
hat, es sei denn, er weist nach, dass die Schädigung hiermit
nicht in Zusammenhang steht.
Leistungen können auch
versagt werden, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, das ihm
Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des
Täters beizutragen. Das gilt insbesondere auch für das
Unterlassen einer unverzüglichen Anzeige bei einer für die
Strafverfolgung zuständigen Behörde.
Kostenträger im Sinne des
§ 4 OEG ist das Land, in dem die Schädigung eingetreten
ist. Sind hierüber Feststellungen nicht möglich, so ist das Land
Kostenträger, in dem der Geschädigte zur Tatzeit seinen Wohnsitz
oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Hatte er im Geltungsbereich
dieses Gesetzes keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt,
oder ist die Schädigung auf einem deutschen Schiff oder
Luftfahrzeug außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes
eingetreten, so ist der Bund Kostenträger.
Für Rechtsstreitigkeiten
sind grundsätzlich die Sozialgerichte zuständig.
Hinterbliebene erhalten
auf Antrag eines Geschädigten eine Versorgung im Sinne des
Bundesversorgungsgesetzes, solange sie bedürftig sind und im
Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder ständigen
Aufenthalt haben.
Unabhängig vom Zeitpunkt
des Todes des Geschädigten sind für die Witwenbeihilfe die
Anspruchsvoraussetzungen des Bundesversorgungsgesetzes
maßgebend. Die Versorgung umfasst alle nach dem
Bundesversorgungsgesetz vorgesehenen Leistungen mit Ausnahme von
Berufsschadens- und Schadensausgleich.
11
Rechtsprechung der zuständigen Sozialgerichte
TOP
Einer Entscheidung des
Bundessozialgerichts in Kassel (B 9 VG 5/96 R) kann entnommen
werden, dass Opfer von Gewalttaten bereits dann eine
Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz beantragen
können, wenn der Täter die Verletzung des Opfers nur billigend
in Kauf genommen hat (Eventualvorsatz).
Mit dieser Entscheidung
wich das Bundessozialgericht von der bisherigen Rechtsprechung
ab, die dem Opfer nur dann eine Entschädigung zugestand, wenn
der Täter vorsätzlich (direkter Vorsatz, Absicht) gehandelt
hatte. Im zur Entscheidung anstehenden Fall war ein Mann von
einem Silvestergeschoss am Kopf getroffen worden und dadurch auf
einem Auge erblindet. Er hatte sich bei der Silvesterfeier in
einer Gruppe befunden, die im Abstand von ca. 20 Metern von
Feiernden einer anderen Gruppe mit Knallern und Leuchtmunition
beschossen wurden. Der Täter hatte das Opfer zwar nicht
vorsätzlich verletzt, eine solche Verletzung aber billigend in
Kauf genommen, so die Kasseler Richter. Weil der Täter unbekannt
geblieben war, kam nach dem Opferentschädigungsgesetz eine
Entschädigung durch den Staat in Betracht.
Im Urteil des BSG vom
04.02.1998 - B 9 VG 5/96 heißt es u.a.:
1. Die Feststellung einer
Gewalttat iS des OEG sowie deren Entschädigung setzt weder
voraus, dass der Täter bekannt ist, noch dass er gezielt die
Verletzung einer »bestimmten« Person in seinen Vorsatz
aufgenommen hat (...).
2. Ein vorsätzlicher
tätlicher Angriff gegen eine Person iS des § 1 Abs 1 OEG kann
auch dann vorliegen, wenn der Täter hinsichtlich eines
strafrechtlich relevanten Erfolges mit bedingtem Vorsatz (dolus
eventualis) handelt.
3. Auf den (bedingten)
Vorsatz des Täters kann aus äußeren Umständen geschlossen
werden. Dabei ist bei typischen Geschehensabläufen eine
Beweiswürdigung nach den Grundsätzen des sogenannten
Anscheinsbeweises nicht ausgeschlossen. [En01]
1
Das Landessozialgericht NW
(L 6 V 78/96) hat entschieden, dass kein Anspruch auf
Opferentschädigung besteht, wenn das Ziel des Täters unklar ist.
[En02] 2
[Beispiel:]
Aus Wut hatte ein Täter zwei leere Bierflaschen
aneinandergeschlagen. Dabei flog ein Splitter einer Frau ins
linke Auge, auf dem sie erblindete. Ihr Antrag auf Entschädigung
nach dem Opferschutzgesetz wurde mit der Begründung abgewiesen,
dass nicht feststellbar sei, ob der Täter vorsätzlich handelte,
als er sein Opfer verletzte. Es sei auch nicht feststellbar
gewesen, so das Gericht, dass der Täter die Verletzung
vorsätzlich herbeigeführt oder auch nur billigend in Kauf
genommen habe. Das aber wäre Voraussetzung für eine
Entschädigung nach dem Opferschutzgesetz gewesen.
12
Opferschutz durch den Gesetzgeber
TOP
1976 Durch das
Opferentschädigungsgesetz (OSG) wird die gesetzliche Grundlage
für die Entschädigung von Opfern von Gewalttaten geschaffen.
1986 Das Erste Gesetz
zur Ergänzung des Opferschutzes führt zu Verbesserungen der
Opferregelungen in einer Vielzahl unterschiedlicher Gesetze.
1987 Die Beteiligung
des Opfers im Strafverfahren wird umfassend festgeschrieben.
1992 Das Gesetz zur
Bekämpfung der Organisierten Kriminalität verbessert den Schutz
gefährdeter Zeugen.
1998 Das
Zeugenschutzgesetz lässt die Videovernehmung im Strafverfahren
zu. Dieses Gesetz stärkt auch die Rolle des Opferanwalts.
1999 Der
Täter-Opfer-Ausgleich wird im Strafprozessrecht verankert.
1990 Das
Opferentschädigungsgesetz wird für alle EG-Bürger rechtswirksam.
1997 Die Vergewaltigung
in der Ehe wird ebenso wie die außereheliche Vergewaltigung als
Verbrechen strafbar
1998 Das
Opferanspruchs-Sicherungsgesetz (OASG) wird verabschiedet.
Opfern steht
Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche zu, wenn
Tätergeschichten gewinnbringend vermarktet werden.
1998 Opfern steht ein
Anwalt auf Staatskosten gesetzlich zu.
2007 Durch das 2.
Justizmodernisierungsgesetzes wird der Opferschutzes im
Strafverfahren verbessert. Nebenklage und Adhäsionsverfahren im
Jugendgerichtsverfahren sind unter bestimmten Voraussetzungen
möglich.
2007 Stalking wird zur
Straftat erhoben.
2010 Das
Opferentschädigungsrecht soll reformiert werden.
2013 Das neue
Opferschutzgesetz erhöht unter anderem die Verjährung für
Schadensersatz wegen sexueller Gewalt auf 30 Jahre. Darüber
hinausgehend erhalten Missbrauchsopfer im Kindes- und
Jugendalter mehr Rechte. Das gilt insbesondere auch für
inzwischen volljährig gewordene Missbrauchsopfer.
13
Quellen
TOP
Endnote_01
Gewalttat im Sinne des OEG BSG, Urteil vom 4. 2. 1998 – B 9
VG 5/96 http://lexetius.com/1998,480 Aufgerufen am
05.11.2015 Zurück
Endnote_02
Aus Wut Bierflachen zerschlagen Frau erblindete durch
Splitter auf dem linken Auge. Kein Anspruch auf
Opferentschädigungsausgleich. LSG Nordrhein-Westfalen ·
Urteil vom 13. Mai 1997 · Az. L 6 V 78/96
https://openjur.de/u/446026.html Aufgerufen am 05.11.2015
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