01 Allgemeines
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Befugnis für Observationen zum
Zweck der Strafverfolgung ist der
§ 163f StPO (Längerfristige Observation). Kurzfristige
Observationen sind zum Zweck der Strafverfolgung auf der Grundlage von
§ 163 StPO (Aufgaben der Polizei im
Ermittlungsverfahren) zulässig.
Für Observationen zum Zweck der Gefahrenabwehr greifen die einschlägigen
Befugnisse der Länderpolizeigesetze. Im Polizeigesetz des Landes NRW ist
das der
§ 16a PolG NRW (Datenerhebung durch Observation).
Bei der Einführung der
Observationsbefugnis in die StPO im Jahr 2000 hieß es in der amtlichen
Begründung (BT-Drucksache 14/1484, S. 16, Allgemeines) sinngemäß:
Zum Zweck der Strafverfolgung hat
die StPO den Strafverfolgungsorganen einen umfassenden Auftrag zur
Aufklärung und Verfolgung strafbarer Handlungen (...) übertragen und den Strafverfolgungsbehörden zur
Erfüllung ihrer Aufgaben Eingriffsermächtigungen zur Verfügung gestellt,
die nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unterschiedlich
ausgestaltet sind. Ziel (...) ist es, unter
Berücksichtigung dieser Erwägungen für bestimmte Bereiche des
Ermittlungsverfahrens, insbesondere für die Fahndung und die
längerfristige Observation, klare gesetzliche Regelungen zu schaffen. [En01]
1
02 Kurzfristige
Observation/Aufklärung
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Kurzfristige Observationen kennt die StPO vom
Wortlaut nicht, siehe
§ 163f StPO (Längerfristige Observation).
Bei kurzfristigen Observationen handelt es sich:
-
um spontane Beobachtungen
-
Abklärung einer Situation mit
dem bloßen Auge
-
Maßnahmen der polizeilichen
Aufklärung
-
kurzfristiges Beobachten
auffälligen Verhaltens
-
beobachtende Teilnahme eines
Beamten an Veranstaltungen und anderer ähnlich gelagerter
Situationen.
Diesen polizeilichen Maßnahmen fehlt es an der Grundrechtsrelevanz.
[Rechtsgrundlage für
kurzfristige Observationen:] Unbestritten ist, dass kurzfristige
Observationen auf der Grundlage von §§ 161 Abs. 1, 163 Abs. 1 StPO
durchgeführt werden können.
[Beispiel:] Einem Polizeibeamten fällt in der Fußgängerzone ein
junger Mann auf, der sich auffällig verhält, indem er andere antanzt.
Der Beamte nimmt das zum Anlass, den Mann zu beobachten. Außer dem
»auffälligen Verhalten« kann der Beamte aber keine weiteren
Feststellungen treffen. Rechtslage?
Der junge Mann wurde von dem
Beamten auf der Grundlage von
§ 163 StPO (Aufgaben der Polizei im
Ermittlungsverfahren) kurzfristig beobachtet. Es entspricht
polizeilicher Berufserfahrung, dass durch »Antanzen« die Aufmerksamkeit
von Passanten abgelenkt und die sich daraus ergebende Unaufmerksamkeit
des »Angetanzten« vom »Antänzer« dazu benutz wird, Taschendiebstähle zu begehen.
Häufig werden durch »Antanzen« Smartphones entwendet.
[Rechtsgrundlage für
Aufklärungsmaßnahmen:] Observation setzt planmäßig angelegte Beobachtung
zur Erhebung personenbezogener Daten voraus. Beobachtungen, die nicht
planmäßig zur Erhebung personenbezogener Daten angelegt sind (etwa
Zufallsbeobachtungen oder Beobachtungen anlässlich von
Aufklärungsmaßnahmen der Polizei, die sich gegen eine unbestimmte
Personengruppe (Fußballfans oder Versammlungsteilnehmer) richten, erfüllen die
begrifflichen Merkmale einer Observation nicht.
[Aufklärung:] Diese
polizeiliche Maßnahme dient dem Erheben von Informationen über Personen,
Gruppen, Organisationen, Objekten und Räumen sowie Ereignisse und
Entwicklungen, die für das Lagebild von Bedeutung sind. Bei der
Aufklärung handelt es sich - im Gegensatz zur Observation - nicht um
planmäßig angelegte Beobachtungen.
Sobald jedoch durch Aufklärung
personenbezogene Daten erhoben werden, ist das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung (RiS) tangiert, so dass auch für diese Erhebungen eine
Befugnisgrundlage gegeben sein muss.
Gleiches gilt selbstverständlich für jede
kurzfristige Obserfation, die ja ein gezieltes Beobachten voraussetzt.
Wenn auch zwischen Observation und
Aufklärung begrifflich unterschieden werden kann, ist es dennoch
zweifelhaft, ob das rechtlich geboten ist. Da kurzfristige Observationen
von der Polizei zur Strafverfolgung auf der Grundlage von § 163 StPO
durchgeführt werden können, gilt das auch für Beobachtungen auf der
Grundlage polizeirechtlicher Befugnisse, zum Beispiel § 16a PolG NRW
(Datenerhebung durch Observation).
Soweit es sich nur um Aufklärung handelt, also allgemeines Beobachten
ohne konkretes Ziel, reicht dafür der Nachweis sachlicher Zuständigkeit
aus.
[Hinweis:] Stellt die
Polizei anlässlich kurzfristiger Beobachtungen fest, dass aufgrund von
Wahrnehmungen, die auf eine Straftat hindeuten, Beobachtungen
erforderlich sind, die es erforderlich machen, eine Person längere Zeit zu
beobachten, dann ist dafür ein richterlicher
Beschluss einzuholen.
Dazu gleich mehr.
03 Langfristige Observation
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Die Legaldefinition
»längerfristige Observation« ist im
§ 163f Abs. 1 StPO enthalten. Eine
längerfristige Observation ist dadurch gekennzeichnet, dass die
Beobachtungsmaßnahme durchgehend länger als 24 Stunden dauert oder an
mehr als zwei Tagen stattfinden wird.
Aus polizeilicher Sicht handelt es
sich bei längerfristigen Observationen um Maßnahmen, die geplant und vorbereitet werden
müssen und die in der Regel nur mit großem Personalaufwand durchgeführt
werden können.
Die Anzahl der jeweils
eingesetzten Observationskräfte wird sich daran zu orientieren haben,
welch eine Bedeutung die jeweils aufzuklärende Anlasstat hat. Daran wird
sich letztendlich auch der technische Aufwand zu orientieren haben, der
zur Anwendung kommt und für den, je nach der Art der eingesetzten
technischen Hilfsmittel, weitere gesetzliche Voraussetzungen erfüllt
sein müssen (z.B. §§ 100a, 100c, 100f, 100g, 100h, 100i StPO).
Verwendet man den Begriff der
langfristigen Observation nicht im rechtlichen, sondern im
polizeitaktischen Sinne, dann können anlässlich planmäßig vorbereiteter
Observationsmaßnahmen nachfolgend aufgeführte technische
Hilfsmittel/Ermittlungsmethoden zum Einsatz kommen.
-
Observationsfahrzeuge
-
Ferngläser
-
Diktiergeräte
-
Kameras
-
Videogeräte
-
Nachtsichtgeräte
-
Restlichtaufheller
-
Wärmebildkameras
-
Richtmikrofone
-
Peilsender
-
IMSI-CatcherWanzen
-
u.a.
Daneben kann es anlässlich von
Observationsmaßnahmen aus polizeilicher Sicht auch erforderlich sein,
-
Internetrecherchen
durchzuführen
-
sich Zugang zu Newsgroups oder
Chaträumen zu verschaffen und/oder
-
sich unter Verwendung falscher
Identitäten in Kommunikationsforen einzuloggen etc.
Solche Internet-Recherchen sind
auf der Grundlage von
§ 163 StPO (Aufgaben der Polizei im
Ermittlungsverfahren)
zulässig.
Selbstverständlich können
spezialgesetzlich geregelte Überwachungsmaßnahmen im Rahmen einer
Observationsmaßnahme nur dann zur Anwendung kommen, wenn die
dafür nachzzuweisenden gesetzlichen Voraussetzungen greifen und die dafür in der Regel
erforderlichen richterlichen Beschlüsse eingeholt wurden/werden.
[Hinweis:] Bei Observationsmaßnahmen handelt es sich in
der Regel um komplexes polizeiliches Handeln, das den Nachweis
unterschiedlichster Befugnisse einfordert.
03.1 Zeitversetzte Beobachtung und
deren Folgen
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Polizeiliche Beobachtungen, die zu
unterschiedlichen Zeiten durchgeführt werden, so dass sie nicht an zwei
Tagen hintereinander, sondern zum Beispiel im Abstand von mehreren Tagen
oder gar Wochen
durchgeführt werden, sind nach der hier vertretenen Rechtsauffassung
als langfristige Observationen anzusehen, wenn das planmäßig geschieht.
[BVerfG 2009:] Dieser Rechtsauffassung lehnt sich
an den
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 02. Juli 2009 - 2 BvR
1691/07 an.
[Anlass:]
Beschwerde wurde gegen Observationsmaßnahmen erhoben, die an mehreren
Tagen zeitversetzt durchgeführt wurden und in der Regel 5 bis 30 Minuten
dauerten. Die Beamten, die die Observation durchführten, entschlossen
sich jeweils spontan im Abstand von Tagen und Wochen zu dieser Maßnahme.
Im Beschluss heißt es:
[Rn. 68:] Lässt sich die
Dauer einer längerfristigen Observation nicht mehr rekonstruieren und
aus diesem Grund nicht verlässlich beurteilen, ob eine bestimmte
Beobachtung eine richterliche Anordnung notwendig machte, dürfen diese
Unsicherheiten nicht zu Lasten des Beschuldigten gehen, wenn sie bei
rechtmäßigem Ermittlungsverhalten nicht entstanden wären. Das Gericht
muss Zweifel an der Maßnahmendauer zu Gunsten des Betroffenen gehen
lassen und deshalb annehmen, dass die Maßnahme dem Richtervorbehalt
unterlag. [En02] 2
[Anmerkung:] Im
Zweifelsfall sollte immer von einer langfristigen Observationen
ausgegangen werden, wenn es dafür Anhaltspunkte gibt.
03.2 Observation mittels GPS
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Observationen sind komplexe
polizeiliche Maßnahmen, zu denen auch die Überwachung mittels GPS
gehören kann.
[BVerfG 2005:] Dazu hat das BVerfG mit Urteil vom
12.04.2005 - 2 BvR 581/01 wie folgt Stellung bezogen:
[Anlass:]
Der Beschwerdeführer war wegen vier Sprengstoffanschlägen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt worden. Der
Verfassungsschutz Hamburg hatte das Wohnhaus des Mitangeklagten
observiert. Auf Anordnung des Generalbundesanwalts wurde im Dezember
1995 im Personenkraftwagen des Mitangeklagten ein GPS-Empfänger
installiert, mit dessen Hilfe die räumliche Position des Fahrzeugs bis
auf fünfzig Meter genau bestimmt werden konnte. Der Zyklus der
Datenspeicherung war so programmiert, dass in dem eingebauten Empfänger
jeweils im Minutentakt das Datum, die Uhrzeit, die geografischen
Breiten- und Längenkoordinaten sowie die jeweilige Geschwindigkeit des
Personenkraftwagens aufgezeichnet wurden. Die gespeicherten Daten wurden
im Abstand weniger Tage mittels eines kurzzeitig aktivierten
Übertragungsvorgangs »abgezogen«. Durch die Auswertung der
Positionsdaten konnten die Fahrbewegungen, Standorte und Standzeiten des
Fahrzeugs lückenlos nachvollzogen werden. Die GPS-Observation dauerte
bis zur Festnahme des Beschwerdeführers am 25. Februar 1996 an.
Im Urteil heißt es wie
folgt:
[Rn. 28:] Die
satellitengestützte GPS-Observation arbeite auf Grund ihrer Technik
»substanzlos«; sie folge dem Betroffenen unmerklich und schreibe über
große Zeiträume hinweg seine Bewegungen und Aufenthalte fest. Aus diesem
Grunde bedürfe sie einer besonderen gesetzlichen Grundlage jedenfalls
dann, wenn sie mit weiteren Observationsmaßnahmen zusammentreffe, die
zusätzlich die Schutzbereiche der Wohnung und der Kommunikation
berührten.
[Rn. 44:] Soweit die
Verfassungsbeschwerde zulässig ist, wirft sie die Frage nach den
verfassungsrechtlichen Grenzen der Verwertung von Erkenntnissen aus
einer Observation unter Einsatz des GPS (...) neben anderen, zeitgleich
durchgeführten Überwachungsmaßnahmen (...) auf; diese Grenzen sind im
vorliegenden Fall gewahrt.
[Rn. 45:] Den angegriffenen
Entscheidungen der Strafgerichte liegt die zutreffende Auffassung zu
Grunde, dass § 100c Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b StPO eine
Ermächtigungsgrundlage für Beweiserhebungen unter Einsatz des GPS und
die anschließende Verwertung dieser Beweise ist. Die Vorschrift genügt
den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit
strafprozessualer Eingriffsnormen (...) und ist auch im Übrigen
verfassungsgemäß (...).
[Rn. 55:] Eingriffe in das
allgemeine Persönlichkeitsrecht (...) durch die Verwendung von
Instrumenten technischer Observation erreichen in Ausmaß und Intensität
typischerweise nicht den unantastbaren Kernbereich privater
Lebensgestaltung (...); so ist es auch hier. Der Gesetzgeber durfte
zusätzlich berücksichtigen, dass sich der Grundrechtseingriff durch den
Einsatz jener Mittel im Ergebnis auch zugunsten der Betroffenen
auswirken kann. Dies gilt etwa dann, wenn durch die technisch gestützte
Observation ein tiefer gehender Eingriff mit Auswirkungen auf
unbeteiligte Dritte - etwa Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich
gesprochenen Worts nach § 100c Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 StPO
in einem von dem Beschuldigten benutzten Personenkraftwagen - vermieden
werden kann. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber
die Zulassung der Maßnahme bloß von einem Anfangsverdacht abhängig
gemacht hat. Es war ihm auch nicht verwehrt, den Einsatz dieser Mittel
an die im unmittelbaren systematischen Zusammenhang des § 100c StPO
niedrigste Subsidiaritätsstufe (»wenn die Erforschung des Sachverhalts
oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise
weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre«) zu binden (...). [En03]
3
03.3 Observation zur
Aufenthaltsermittlung
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Observationen sind nicht nur zur
Ermittlung des Sachverhalts, sondern auch zur Aufenthaltsermittlung des
Täters zulässig.
[Täterermittlung:] Zur
Ermittlung des Aufenthaltsorts eines Täters kommt eine langfristige
Observation aber nur dann in Betracht, »wenn die Erforschung des
Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf
andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich
erschwert wäre.«
Das gilt im Übrigen auch für Observationen zum Zweck der Erforschung des
Sachverhaltes.
[Andere Personen:] Gegen
andere Personen ist die Maßnahme zulässig, wenn auf Grund bestimmter
Tatsachen anzunehmen ist, dass sie mit dem Täter in Verbindung stehen
oder eine solche Verbindung hergestellt wird, dass die Maßnahme zur
Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes
des Täters führen wird und dies auf andere Weise erheblich weniger
Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre.
Mit anderen Worten:
Andere Personen dürfen nur dann
observiert werden, wenn über diese Personen der »Zugang« zum
»Aufenthaltsort des Täters« möglich bzw. zu erwarten ist.
[OLG Hamm 2009:] Das OLG Hamm hat mit Beschluss vom
24.02.2009 - 4 Ausl A 22/08 über solch eine langfristige Observation
entschieden.
[Anlass:]
Aufgrund eines Auslieferungsersuchens sollte zum Zweck der
Strafverfolgung wegen Mordes und anderer Delikte eine Person in
Auslieferungshaft genommen werden. Auf Antrag des Generalstaatsanwalts
Hamm sollte gegen den Verfolgten und dessen Ehefrau die längerfristige
Observation und der Einsatz technischer Mittal angeordnet werden, da
derzeitiger Aufenthalt der Person nicht bekannt sei. Der Senat entschied
antragsgemäß.
Im Beschluss heißt es:
Die Voraussetzungen für die
Anordnung einer längerfristigen Observation i.S.d.
§ 163f StPO sind
ebenso gegeben, wie die Voraussetzungen für die Anordnung des Einsatzes
technischer Mittel i.S.d. § 100h StPO gegenüber dem Verfolgten und
seiner Ehefrau.
An anderer Stelle:
Auch ist die Ermittlung des
Aufenthaltsortes des Verfolgten auf andere Weise erheblich weniger
erfolgversprechend (...).
Die erfolgversprechenden
Observationen bedingen auch den Einsatz technischer Mittel i.S.d. § 100h
Abs. 1 und Abs. 2 StPO gegenüber dem Verfolgten bzw. i.S.d.
§ 100h Abs.
1 und Abs. 2 S. 2 Nrn. 1 und 2 StPO gegenüber der Ehefrau, weil nur
hierdurch, ohne die Gefahr der Entdeckung der Observationskräfte, eine
lückenlose Überwachung der vorgenannten Personen gewährleistet werden
kann.
[Hinweis:]
§ 100h StPO (Weitere Maßnahmen außerhalb von Wohnungen)
lässt es zu, Bild und Tonaufnahmen zu fertigen, wenn es sich bei dem
Gegenstand der Überwachungsmaßnahme um eine Straftat von erheblicher
Bedeutung handelt.
Andere erfolgversprechende Mittel
zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Verfolgten standen nicht zur
Verfügung. Auch konnte nur durch den Einsatz
technischer Mittel eine lückenlose Überwachung der von der
längerfristigen Observation Betroffenen gewährleistet werden. [En04]
4
03.4 Zureichende tatsächliche
Anhaltspunkte
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§ 163f StPO (Längerfristige Observation) fordert als
Tatverdacht »zureichende tatsächliche Anhaltspunkte« im Hinblick auf
eine »Straftat von erheblicher Bedeutung«.
Der Gesetzgeber greift damit auf
einen Sprachgebrauch zurück, den er wortgleich auch im
§ 163e StPO
(Rasterfahndung) und im
§ 152 Abs. 2 StPO (Offizial- und
Legalitätsprinzip) verwendet.
Das Spektrum der Beschreibungen
eines Tatverdachtes reicht von:
-
tatsächliche Anhaltspunkte
rechtfertigen einen konkreten Tatvorwurf
-
geringe und ungewisse
Anhaltspunkte in Bezug auf den Tatvorwurf reichen aus
-
nicht frei von Verdacht sein.
Unbestritten ist, dass Vermutungen
und Annahmen nicht ausreichen, um »zureichende tatsächliche
Anhaltspunkte« begründen zu können:
Im Karlsruher Kommentar zur StPO
heißt es: Verdächtiger ist derjenige, der nicht frei von Verdacht ist,
der Beschuldigte, der Angeschuldigte, der Angeklagte und der
rechtskräftig Verurteilte (vgl. KK (2009) - Griesbaum - S. 1059, Rn. 9).
Im
Systematischen Kommentar zur StPO heißt es: Um einen Verdächtigen
handelt es sich dann, wenn zwar konkrete, aber nur geringe und ungewisse
Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Person eine bestimmte Straftat
begangen hat (vgl. SK-StPO (2010) - Bd. II. S. 626, Rn. 16).
Ob diese Verdachtsqualität
ausreicht, um eine langfristige Observation begründen zu können, ist
fraglich.
Im Hinblick auf die Eingriffsqualität einer solchen Maßnahme
sollten nach der hier vertretenen Rechtsauffassung darüber hinausgehende
Umstände vorgetragen werden können, die sich aus der polizeilichen
Berufserfahrung, insbesondere aus der kriminalistischen Erfahrung
ableiten lassen und die darauf hindeuten, dass jemand als Täter oder
Teilnehmer eine Straftat begangen hat.
[BVerfG und Tatverdacht:]
In Anlehnung an das Urteil des Ersten Senats des BVerfG vom 12. März
2003, 1 BvR 330/96 zur Telekommunikationsüberwachung heißt es in der Rn.
75 im Hinblick auf die Qualität des nachzuweisenden Tatverdachts
sinngemäß, dass ein konkreter Tatverdacht und eine hinreichend sichere
Tatsachenbasis die Annahme einer Straftat von erheblicher Bedeutung
rechtfertigen müssen, um eine TKÜ rechtfertigen zu können. Und in der
Rn. 77 heißt es, dass aufgrund bestimmter Tatsachen angenommen werden
könne, dass der Beschuldigte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen hat. [En05] 5
Auf dieser Basis dürfte sich auch
die Qualität des nachzuweisenden Tatverdachts befinden, den es zu
begründen gilt, damit ein richterlicher Beschluss für eine langfristige
Observation auf der Grundlage von
§ 163f StPO (Längerfristige Observation) erwirkt werden kann.
[Hinweis:] Es entspricht
der Realität des polizeilichen Berufsalltags, dass im Zusammenhang mit
polizeilicher Ermittlungsarbeit häufig anonyme Hinweise von der Polizei
zur Kenntnis genommen werden, insbesondere von Zeugen, die nur dann dazu
bereit sind, der Polizei Hinweise zu geben, wenn ihnen Anonymität
zugesichert wird. Solchermaßen erhaltene Hinweise können von der Polizei
durchaus als »schlüssiges Tatsachenmaterial« benutzt werden, um den
Tatvorwurf konkretisieren zu können, den § 163f StPO fordert.
An die Stärke des zu begründeten
Tatverdachts im Sinne von § 163f StPO dürften somit keine allzu hohen
Anforderungen zu richten sein.
03.5 Straftat von erheblicher
Bedeutung
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Der Begriff der »Straftat von
erheblicher Bedeutung« ist in der Literatur und von der Rechtsprechung
weitgehend präzisiert worden. Als Kriterien werden sowohl von der
Rechtsprechung als auch von der Lehre folgende Merkmale eingefordert:
-
Straftat muss mindestens dem
Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein
-
Sie muss den Rechtsfrieden
empfindlich stören und dazu geeignet sein, das Gefühl der
Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Bei
Straftaten, die in § 100a StPO aufgeführt sind, handelt es um
Straftaten von erheblicher Bedeutung
-
Im Gegensatz dazu sind im
Straftatenkatalog des
§ 100c StPO besonders schwere
Straftaten genannt.
Besonders schwere Straftaten
wiegen im Vergleich zu den »Straftaten von erheblicher Bedeutung«
schwerer. Fordert eine Eingriffsbefugnis den Nachweis einer »Straftat
von erheblicher Bedeutung«, dann ist dieses Merkmal erst recht
erfüllt, wenn es sich bei der Anlasstat bereits um eine besonders
schwere Straftat handelt.
Eine solche Straftat muss
mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein, den
Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sein, das Gefühl der
Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (BVerfGE
109, 279, Rn. 228). In der Rn 228 des o. g. Urteils heißt es weiter:
Der verfassungsrechtliche Begriff
der besonders schweren Straftat kann nicht mit dem strafprozessualen
Begriff einer Straftat von erheblicher Bedeutung gleichgesetzt werden.
Daraus kann geschlossen werden,
dass es sich bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung nicht
unbedingt eine besonders schwere Straftat handeln muss.
[Wichtige Ermittlungsbefugnis:]
Die längerfristige Observation gehört zu den wichtigsten
Ermittlungsmethoden, die in fast allen Kriminalitätsbereichen zur
Anwendung kommen kann, zum Beispiel auch bei der Eigentums- und
Vermögenskriminalität sowie bei Straftaten gegen die sexuelle
Selbstbestimmung. Voraussetzung dafür ist, dass die Anlasstat als
Straftat von erheblicher Bedeutung eingestuft werden kann. Unbestritten
ist, dass dies bei Verbrechen und bei den schwer aufzuklärenden Taten
der organisierten Kriminalität immer der Fall ist.
03.6 Beschuldigteneigenschaft
- andere Personen
TOP
[Beschuldigter:] Eine langfristige Observation darf
sich grundsätzlich nur gegen den Beschuldigten richten.
Beschuldigter ist nur der
Tatverdächtige, gegen den das Verfahren als Beschuldigten betrieben wird
(BGH 10, 8, 12; 34, 138, 140). Die Beschuldigteneigenschaft setzt einen
Willensakt der zuständigen Strafverfolgungsbehörde voraus, denn der
Tatverdacht für sich allein begründet weder die
Beschuldigteneigenschaft, noch zwingt er ohne Weiteres zur Einleitung
von Ermittlungen.
Nur wenn Ermittlungen aufgrund
einer Strafanzeige geführt werden, muss der Verdächtige immer als
Beschuldigter behandelt werden.
Ansonsten kommt es auf die Stärke
des Tatverdachts an (BGH 37, 48).
Es müssen immer Tatsachen vorliegen,
die auf eine naheliegende Möglichkeit der Täterschaft oder Teilnahme
schließen lassen. Der Verfolgungsbehörde steht insoweit ein
Beurteilungsspielraum zu (...).
[Andere Personen als Zielpersonen:] Im
§ 163f StPO
heißt es diesbezüglich: Gegen andere Personen ist die Maßnahme zulässig,
wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie mit dem
Täter in Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt wird,
dass die Maßnahme zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung
des Aufenthaltsortes des Täters führen wird und dies auf andere Weise
erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre.
Bei diesen anderen Personen ist es nicht erforderlich, dass es sich um
Beschuldigte oder Tatverdächtige handelt.
Es reicht aus, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass
diese Personen mit dem Täter (Beschuldigter/Tatverdächtiger) in
Verbindung stehen. Dazu später mehr.
03.7 Subsidiaritätklausel
TOP
Damit eine längerfristige
Observation überhaupt in Betracht kommen kann, sieht
§ 163f Abs. 1 S. 2 StPO (Längerfristige Observation) eine Subsidiaritätsklausel vor.
Das bedeutet:
Die Maßnahme darf nur angeordnet
werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des
Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise erheblich weniger Erfolg
versprechend oder wesentlich erschwert wäre.
Im Gegensatz dazu enthält § 163f
Abs. 1 Satz 3 StPO eine strenge Subsidiaritätsklausel, wenn sich die
Maßnahme gegen Personen richtet, die noch nicht als Beschuldigte
anzusehen sind.
Um diesen Personenkreis
observieren zu können, ist eine besondere Gefahrenprognose und einer
besonderen Prüfung der Verhältnismäßigkeit erforderlich.
Die sich aus den
Subsidiaritätsklauseln ergebenden Beschränkungen liegen darin, dass
diese Maßnahmen grundsätzlich subsidiärer Natur sind und folglich nicht
angeordnet werden dürfen, wenn eine Sachaufklärung auch auf anderem
Wege, etwa durch weniger einschneidende strafprozessuale Maßnahmen und
ohne unverhältnismäßig größeren Arbeits-, Zeit- oder Kostenaufwand
möglich wäre.
Erst wenn andere Wege der
Sachaufklärung fehlen oder nur unter erheblich größeren Schwierigkeiten
gangbar wären, kommt eine längerfristige Observation in Betracht.
03.8 Dritte Personen
TOP
§ 163f StPO (Längerfristige Observation) bestimmt, dass die
Maßnahme auch durchgeführt werden darf, wenn »Dritte«
unvermeidbar betroffen werden. Das sind Personen, gegen die sich die
Observationsmaßnahme nicht richtet.
Anlässlich von
Observationsmaßnahmen wird es in der Regel aber nicht vermeidbar sein,
auch Personen mit zu beobachten, die zufällig in Erscheinung treten, denn niemand kann
voraussehen, mit welchen Personen die Zielperson der Maßnahme in Kontakt
tritt. Bei den im Gesetz benannten »Dritten« handelt es sich um
Personen, die weder als Kontakt- noch als Verbindungspersonen zu der
Zielperson anzusehen sind. Zu solchen Kontakten wird es aber
unweigerlich kommen, wenn sich die Zielperson in der Öffentlichkeit (an
jedermann zugänglichen Orten) aufhält.
Werden unerwartete Begleiter der
Zielperson mit beobachtet, kann dies für die Observation dennoch
bedeutsam sein.
»Das Beobachten solcher Kontakte
wäre dann, zumindest in Bezug auf die unerwartete Begleitung, als
kurzfristige Observation zu bewerten, die auf der Grundlage der §§ 161,
163 StPO zulässig wäre. Das gilt auch dann, wenn es sich bei den
unerwarteten Begleitpersonen, um Rechtsanwälte, Abgeordnete,
Journalisten oder andere Personen handelt, denen aus beruflichen Gründen
ein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 StPO) zusteht« (vgl. KK
(2009) - Schoreit S. 1088, Rn. 22).
Werden Daten dieser Personen
erfasst, ist das im zu fertigenden Observationsbericht zu vermerken.
03.9 Anordnungsbefugnis
TOP
Observationsmaßnahmen werden in
der Regel geplant und vorbereitet. Die dafür erforderliche Zeit reicht
in der Regel aus, um vor Beginn der Maßnahme eine richterliche Anordnung
erwirken zu können.
Sollte ausnahmsweise eine
längerfristige Observationsmaßnahme aufgrund bestehender »Gefahr im
Verzug« durch die Staatsanwaltschaft oder durch deren
Ermittlungspersonen auf der Grundlage von
§ 163f Abs. 3 StPO angeordnet
worden sein, so ist ein richterlicher Beschluss binnen drei Werktagen
einzuholen.
[Berechnung der 3-Tages-Frist:]
Bei der Berechnung der 3-Tages-Frist zählt der erste Einsatztag
gemäß
§ 42 StPO
(Berechnung von Tagesfristen) nicht mit.
Inhalt, Umfang und Dauer der
Anordnung richten sich nach
§ 100b Abs. 2 StPO
(Verfahren bei der Telekommunikationsüberwachung). Dies gilt auch
für die Dauer der Maßnahme, die auf höchstens drei Monate zu befristen
ist. Eine Verlängerung der Frist um jeweils mehr als drei weitere Monate
ist zulässig, soweit die Voraussetzungen von § 163f StPO unter
Berücksichtigung der gewonnenen Ermittlungsergebnisse weiter
fortbestehen.
Eine »endlose« Beobachtungsdauer
sieht das Gesetz nicht vor.
Eine zeitlich unbefristete
Observationsmaßnahme verbietet sich aus Gründen der Verhältnismäßigkeit.
03.10 Aufgabe der Polizei
TOP
Ermittlungspersonen der StA können
bei Gefahr im Verzug langfristige Observationen anordnen.
Den Antrag für den richterlichen
Beschluss hat die StA vorzulegen. Die richterliche Anordnung ist binnen
drei Werktagen einzuholen. Bei der Berechnung der 3-Tages-Frist zählt der erste Einsatztag
gemäß
§ 42 StPO nicht mit.
Gemeint ist der Tag, an dem eine Person auffällig wird und sich
Beobachtungsmaßnahmen gegen diese Person richten.
Aufgabe der Polizei ist es in
diesem Zusammenhang, an der Vorbereitung des Antrags an das Gericht mitzuwirken.
Wichtig ist, dass in dem Antrag, der dem Richter als
Entscheidungsgrundlage vorgelegt wird und der in Zusammenarbeit zwischen
Polizei und Staatsanwaltschaft vorzubereiten ist, nicht nur die
tatbestandlichen Voraussetzungen für eine richterliche Anordnung,
sondern auch die von den Strafverfolgungsbehörden beabsichtigen
Rechtsfolgen möglichst umfassend beschrieben werden sollten.
Dies gilt insbesondere für die
Fälle, in denen technische Hilfsmittel auf der Grundlage von
§ 100h
StPO, so genannte »sonstige besondere für Observationszwecke
bestimmte technische Mittel« eingesetzt werden sollen.
Näheres dazu im Kapitel »§ 100h
StPO – Einsatz technischer Hilfsmittel«.
Gleiches gilt für vorgesehene
Überwachungsmaßnahmen, die in anderen spezialgesetzlichen Befugnissen
geregelt sind, wie zum Beispiel TKÜ-Maßnahmen.
[Zufallsfunde:]
Zufallsfunde, die anlässlich von Observationsmaßnahmen gemacht werden
und die aus polizeilicher Sicht eher zur Regel, als zur Ausnahme
gehören, sind wie die Ergebnisse kurzfristiger Observationen gem. § 163
Abs. 1 StPO zu behandeln (vgl. KK (2009) - Schoreit, S. 1089, Rn. 30).
[Beispiel:] Anlässlich einer Observation ergeben sich
Hinweise auf eine Straftat, gegen die zurzeit nicht ermittelt wird.
Rechtslage?
Solche Anlässe sind wie Zufallsfunde zu betrachten, so dass sie im
rahmen kurzfristiger Observationen weiter verfolgt werden können und wie
längerfristige Observationen zu behandeln sind, wenn das erforderlich
werden sollte.
Wird eine Observationsmaßnahme
abgebrochen oder beendet, sind erhobene Daten, die für das
zu löschen, bzw. nach allgemeinen
Rechtsgrundsätzen zu vernichten.
[Dokumentationspflicht:] In
jedem Fall sind alle Daten, die anlässlich längerfristiger Observationen
erhoben wurden, sorgfältig zu dokumentieren.
Werden anlässlich von
längerfristigen Observationen Daten von Verteidigern, Abgeordneten oder
Journalisten erhoben, ist im Einzelfall zu prüfen, wie die erhobenen
Daten zu handhaben sind. Da solche Kontakte nicht vorhersehbar sind und
sich somit nicht vermeiden lassen, muss von der Zulässigkeit der
Datenerhebung ausgegangen werden.
03.11 Benachrichtigung des
Beschuldigten
TOP
Gemäß
§ 101 StPO (Verfahrensregelungen bei verdeckten
Maßnahmen) sind Personen, gegen die sich eine längerfristige Observation
richtete, nach Beendigung der Maßnahme davon in Kenntnis zu setzen (zu
benachrichtigen).
Die Benachrichtigung unterbleibt, wenn ihr
überwiegende schutzwürdige Belange einer betroffenen Person
entgegenstehen.
Nähere Einzelheiten können § 101 StPO entnommen
werden. Der Gesetzestext ist einschlägig.
03.12 Totalüberwachung einer
Person
TOP
Technische Möglichkeiten,
insbesondere deren kumulativer Einsatz, machen es möglich, von einer
Person Kenntnisse zu erlangen, die es der Person nicht mehr erlauben,
sich dagegen wehren zu können.
Sie wird dadurch sozusagen zum »gläsernen
Menschen«.
[BVerfG und Totalüberwachung:]
Beim Einsatz moderner, insbesondere dem Betroffenen verborgener,
Ermittlungsmethoden müssen die Strafverfolgungsbehörden mit Rücksicht
auf das dem »additiven« Grundrecht innewohnende Gefährdungspotential
deshalb besondere Anforderungen an das Verfahren stellen. [En06]
6
Eine »Totalüberwachung« lässt das
Grundgesetz aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht zu.
[BGH 2001:] Bisher brauchte
der BGH noch nicht darüber zu entscheiden, wann aufgrund einer
Totalüberwachung einer Person gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit verstoßen wird und ob die damit verbundene
Rechtswidrigkeit der Maßnahme zu einem Verbot der Verwertung der
gewonnenen Erkenntnisse führt.
Im Urteil des BGH vom 24. Januar
2001 (3 StR 324/00) ging das Gericht von der Annahme aus, dass gegenüber
dem Angeklagten keine derart intensive Überwachung stattgefunden habe.
Im Urteil - bei dem es um die
Videoüberwachung eines Wohngebäudes ging - heißt es:
[Rn. 28:] »Die
Videoüberwachung des Wohngebäudes und die sonstigen Observationen des
Angeklagten haben sich schwerpunktmäßig auf die Wochenenden
konzentriert, lückenlos nachzuvollziehen waren lediglich die Bewegungen
des Fahrzeugs des Mitangeklagten. Hiervon war der Angeklagte nur dann
betroffen, wenn er sich als Beifahrer in dem Pkw befand. Das gesprochene
Wort ist nur in begrenztem Umfang abgehört, und zur Begründung des
Schuldspruchs nur am Rande herangezogen worden. Berücksichtigt man, dass
der Angeklagte der Begehung schwerster Straftaten verdächtig war und der
Einsatz des »GPS« erst angeordnet wurde, nachdem alle anderen
Ermittlungsmaßnahmen erfolglos geblieben und die Öffentlichkeit ein
verfassungsrechtlich anerkanntes Interesse an der Aufklärung solcher
Straftaten (BVerfGE 51, 324, 343; 77, 65, 76) hat, und es unbedingt
geboten war, weitere schwere Straftaten zu verhindern, liegt die von der
Revision geltend gemachte Rechtsverletzung bei der vorzunehmenden
Güterabwägung nicht vor.« [En07] 7
Da
§ 163f StPO ausschließlich auf
die Dauer der Observation abstellt und keine Unterscheidung nach der Art
der Überwachungsmethode trifft, gilt § 163f StPO für jede längerfristige
Observation, unabhängig davon, ob sie mit oder ohne technische Mittel
durchgeführt wird.
Werden für längerfristige
Observationen technische Mittel im Sinne des
§ 100c StPO und
§ 100h StPO
verwendet, so sind zusätzlich die Voraussetzungen dieser Vorschrift zu
beachten.
03.13 Additiver
Grundrechtseingriff
TOP
Der Begriff »additiver«
Grundrechtseingriff wurde in jüngster Zeit vom Bundesverfassungsgericht
wiederholt verwendet. Er steht nicht für eine besondere Form des
Eingriffs, sondern betrifft vielmehr die Frage der
Eingriffsrechtfertigung einer Vielzahl von Eingriffen, die sich gegen
die gleiche Person richten.
Das BVerfG geht davon aus, dass
verschiedene, für sich betrachtet (möglicherweise = AR) geringfügige
Eingriffe in grundrechtlich geschützte Bereiche deshalb von den
Strafverfolgungsbehörden in ihrer Gesamtwirkung zu betrachten sind.
Führt dies zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung, die das Maß der
rechtsstaatlich hinnehmbaren Eingriffsintensität überschreiten, können
bereits einzelne, geringfügige Beeinträchtigungen verfassungswidrig
werden.
Dies wird aber nur sichtbar, wenn
alle Grundrechtseingriffe zusammengeführt und als »ein Paket von
Grundrechtseingriffen« unterschiedlicher Intensität verstanden werden.
Diese Besonderheit gilt es bei der
Planung und Durchführung langfristiger Observationsmaßnahmen zu
bedenken, denn zum Kernbereich des Persönlichkeitsrechts gehört auch der
Schutz vor unzulässiger Totalüberwachung.
[Vorgabe des BVerfG zum
»additiven« Grundrechtseingriff:] Im Urteil des BVerfG vom
12. April 2005 - 2 BvR 581/01 formulieren die Verfassungsrichter
unmissverständlich, was sie unter einem »additiven« Grundrechtseingriff
verstehen.
Im 2. Leitsatz heißt es:
Beim Einsatz moderner,
insbesondere dem Betroffenen verborgener, Ermittlungsmethoden müssen die
Strafverfolgungsbehörden mit Rücksicht auf das dem »additiven«
Grundrechtseingriff innewohnende Gefährdungspotential besondere
Anforderungen an das Verfahren beachten.
[Anmerkung:] Es dürfte
deutlich geworden sein, dass die polizeilichen Möglichkeiten,
Observationen durchzuführen, Maßnahmen unterschiedlichster
Eingriffstiefe umfassen können, je nachdem, welche Maßnahmen laut
Richterbeschluss durchgeführt werden dürfen.
Werden anlässlich langfristiger
Observationen zum Beispiel
dann handelt
es sich bei diesen Hilfsmitteln um »technische Hilfsmittel« im Sinne des
§ 100h Abs. 1 Nr. 2 StPO.
Die h.M. geht davon aus, dass die
Anordnung technischer Hilfsmittel im Sinne von
§ 100h Abs. 1 Nr. 2 StPO
mangels eigener Anordnungsbefugnis voraussetzt, dass ihr Einsatz durch
eine richterliche Anordnung zu erfolgen hat, mit der die langfristige
Observationsmaßnahme angeordnet wurde/wird.
Dies gilt auch für den Einsatz von
Peilsendern, zur Feststellung der jeweiligen Standorte von damit
»auszurüstenden« Fahrzeugen. Für den Einbau von Peilsender (GPS-Ortung)
ist der
§ 100h StPO (Weitere Maßnahmen außerhalb von
Wohnungen) einschlägig.
Sollen Peilsender anlässlich einer
langfristigen Observation (§ 163f StPO) eingesetzt werden, ist es
erforderlich, den Einsatz solcher Geräte sofort im Zusammenhang mit dem
richterlichen Observationsbeschluss einzuholen.
Gleiches gilt, wenn es im
Zusammenhang mit Observationsmaßnahmen erforderlich sein sollte,
-
eine Telefonüberwachung (§
100a StPO)
-
eine akustische
Wohnraumüberwachung (§ 100c StPO)
-
das nichtöffentlich
gesprochene Wort außerhalb von Wohnungen (§ 100f StPO) zu überwachen
oder
-
die Standortermittlung eines
Mobilfunktelefons durch den Gebrauch eines IMSI-Catchers zu
ermitteln (§ 100i StPO).
Diese kurze Übersicht rechtlicher
Problemstellungen, die im Zusammenhang mit langfristigen Observationen
anfallen können, macht deutlich, was das Bundesverfassungsgericht unter
einem »additiven« Grundrechtseingriff versteht und welche »Maßnahmen«
seitens der Strafverfolgungsbehörden zu bedenken und zu begründen sind,
um einen entsprechenden richterlichen Beschluss erwirken zu können.
03.14 Observation und
Strafzumessung
TOP
Mit Urteil vom 24. Januar 2001
nahm der BGH (3 StR 324/00) auch zum Problemkreis der Strafmilderung
beim Einsatz von Lockspitzeln und einer fast durchgehenden Observation
der Angeklagten Stellung.
[Anlass:] Aufgrund grenzüberschreitenden
Zigarettenschmuggels, in dem mehr als 2 Millionen DM hinterzogen werden
sollten, konnten die Täter dieser Straftat durch den Einsatz technischer
Mittel und durch eine mehrwöchige Observation ermittelt werden.
[Strafzumessung:] Bezogen
auf die Strafzumessung durch das zuständige Landgericht stellte der BGH
fest, dass die im vorliegenden Einzelfall gegebenen Besonderheiten des
Lockspitzeleinsatzes im Zusammenhang mit einer fast durchgehenden
Observation der Angeklagten und der sichergestellten Schmuggelware vom
Landgericht nicht ausreichend strafmildernd berücksichtigt worden
waren.
In der Begründung heißt es, »dass
durch Hinweise von Informanten und durch das mehrfache Eingreifen der
Zollfahndung in Verbindung mit der fast lückenlosen Überwachung der
Angeklagten und der Schmuggelware von Anfang an nahezu keine Gefahr
bestand, dass die Zigaretten jemals in den freien Verkehr gelangen
konnten.«
Deshalb könne nicht ausgeschlossen
werden, so der BGH, dass die Strafzumessung des Landgerichts, die sich
geradezu auf die Höhe des entstandenen Steuerschadens stützt, auf diesem
Mangel beruht.
Aus diesem Grund hat der BGH die
Revision mit dem Hinweis an das Landgericht zurückgewiesen, hinsichtlich
der Bemessung der Strafe unter besonderer Berücksichtigung der
Observation und des Tätigwerdens des Informanten das Strafmaß neu zu
bestimmen.
04 Beispiel: Kurzfristige
Observation
TOP
Nicht jede Person, die von der
Polizei an einem Deliktbrennpunkt beobachtet wird, wird auch observiert.
Eine Observation ist eine
planmäßig angelegte Beobachtung von Tatverdächtigen, Bezugspersonen oder
Objekten und ist grundsätzlich eine verdeckte Maßnahme. Einzelheiten zu
Zweck und zur Taktik einer Observation sind in der PDV 100 Ziff. 3.13
vorgegeben.
Danach dient eine Observation dem systematischen Erheben
personenbezogener Daten (planmäßiges Beobachten).
Zum Zweck der
Strafverfolgung ist
§ 163f StPO (Längerfristige Observation) die einschlägige Observationsbefugnis.
Nicht jede polizeiliche
Beobachtung ist eine Observation.
[Beispiel:] Auf den Pakplätzen in der Innenstadt haben die
Diebstähle an und aus Pkw sprunghaft zugenommen. Die meisten Pkw werden
nachts aufgebrochen. Um 02.30h nehmen Polizeibeamte einen Haltepunkt
ein, von dem aus sie einen guten Überblick über einen der
Deliktshäufungspunkte (Parkplatz) haben. Dabei fällt den Beamten eine
Person auf, die sich auf dem Parkplatz langsam von Auto zu Auto bewegt
und sich so verhält, als ob sie etwas sucht. Als die Beamten nach
einigen Minuten der Beobachtung den Mann kontrollieren wollen,
nähert sich ihm eine Frau. Die beiden umarmen sich und gehen gemeinsam
ihrer Wege? Handelt es sich um eine Observation?
Die StPO verwenden den Begriff
»Observation« ausschließlich für langfristige Observationen. Die
Merkmale einer längerfristigen Observation sind erfüllt, wenn die
Observation entweder durchgehend länger als 24 Stunden dauert oder an
mehr als zwei Tagen stattfinden soll.
Kurzfristige Observationen kennt
die StPO - im Gegensatz zu den Polizeigesetzen der Länder - nicht, siehe
zum Beispiel
§ 16a Abs. 4 PolG NRW (Datenerhebung durch
Observation).
Kurzfristige Beobachtungsmaßnahmen
zum Zweck der Strafverfolgung können jedoch auf der Grundlage von
§ 163 StPO (Aufgaben
der Polizei im Ermittlungsverfahren) durchgeführt werden.
Der Mann auf dem Parkplatz verhält
sich auffällig. Aufgrund der Deliktshäufigkeit kann zumindest aufgrund
vorliegender Kenntnisse und aufgrund der polizeilichen Berufserfahrung
der beobachtenden Polizeibeamten davon ausgegangen werden, dass der Mann
auf dem Parkplatz, der langsam von Pkw zu Pkw geht, möglicherweise nach
Fahrzeugen sucht, die unverschlossen auf dem Parkplatz abgestellt sind.
Insoweit können die Beamten aufgrund erkennbarer Auffälligkeiten und
bekannter Fakten davon ausgehen, dass der Mann eine Straftat plant.
Gemäß § 163 StPO haben die Beamten des Polizeidienstes Straftaten zu
erforschen sowie Ermittlungen jeder Art vorzunehmen, soweit nicht andere
gesetzliche Vorschriften ihre Befugnisse besonders regeln.
Da die
kurzfristige Observationsmaßnahme spezialgesetzlich nicht geregelt ist,
findet die Generalklausel der StPO (§ 163 StPO) Anwendung. Die
Voraussetzungen dieser Befugnis sind gegeben.
05 Beispiel: Langfristige
Observation
TOP
Observationsmaßnahmen, die
durchgehend länger als 24 Stunden dauern oder an mehr als zwei Tagen
stattfinden, sind als langfristige Observationen anzusehen. Solche
Maßnahmen sind nur zulässig, wenn die Voraussetzungen von
§ 163f StPO (Längerfristige Observation) greifen.
[Beispiel:] Gegen A wird wegen Bandendiebstahls ermittelt. Insgesamt
sollen sechs Personen der Bande angehören. Um an die anderen
Bandenmitglieder heranzukommen, wird erwogen, A zunächst für die Dauer
von 2 Wochen zu observieren. Rechtslage?
Offensichtlich handelt es sich in
diesem Fall um eine geplante längerfristige Observation. Zur
Strafverfolgung sind gemäß § 163f StPO Observationen gegen
Beschuldigte u.a. zulässig, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte
dafür gegeben sind, dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung
begangen worden ist und die Erforschung des Sachverhalts auf andere
Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert
wäre.
Bandendiebstahl ist eine Straftat
von erheblicher Bedeutung.
Aufgrund der polizeilichen
Ermittlungen ist davon auszugehen, dass dafür hinreichende tatsächliche
Anhaltspunkte gegeben sind.
Da gegen A ermittelt wird, ist er
Beschuldigter.
Ohne Observation wäre die
Erforschung des Sachverhalts zumindest wesentlich erschwert.
Die
Voraussetzungen für eine längerfristige Observation sind somit erfüllt.
Weil kein Eilfall gegeben ist, wäre zuvor eine richterliche Anordnung
einzuholen (§ 163f Abs. 3 StPO). Gemäß § 163f Abs. 2 StPO dürfen die
Maßnahmen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen
werden.
Die Betroffenen einer Observationsmaßnahme sind nach Abschluss der
Maßnahme davon in Kenntnis zu setzen, dass sie von der Polizei
observiert wurden, siehe
§ 101 StPO (Verfahrensregelungen bei verdeckten
Maßnahmen).
06 Beispiel: Observation von
Kontaktpersonen
TOP
Auch gegen andere Personen als
Beschuldigte ist auf der Grundlage von
§ 163f Abs. 1 Satz 3 StPO
(Längerfristige Observation) eine längerfristige
Observation zulässig.
[Beispiel:] Nach einem Banküberfall unter Verwendung von
Schusswaffen erhält die Polizei von einer Vertrauensperson (VP) einen
glaubwürdigen Hinweis, dass als Täter A, B und C den Überfall verübt
haben könnten. Verwertbare Beweise sind jedoch noch nicht vorhanden.
Eine erste Überprüfung ergibt, dass die Genannten sich äußerst
konspirativ verhalten. Um die Tat aufklären zu können, wird erwogen, das MEK
damit zu beauftragen, die Zielpersonen längere Zeit zu
observieren. Dazu soll ein Observationsfahrzeug eingesetzt werden, in
das man von außen nicht hineinsehen kann und das mit verdeckt
eingebauten Teleskopen und anderen technischen Hilfsmitteln ausgerüstet
ist. Vom Ergebnis der Observation soll abhängig gemacht werden, ob das
Strafverfahren gegen die Personen eingeleitet werden soll. Rechtslage?
Bei gegebener Lage sind gegen A, B
und C noch keine zielgerichteten strafrechtlichen Ermittlungshandlungen
eingeleitet. Folglich sind sie noch nicht Beschuldigte. Jedoch ist auch
gegen andere Personen als Beschuldigte eine längerfristige Observation
zulässig, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür gegeben
sind, dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen worden ist
und wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des
Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise erheblich weniger Erfolg
versprechend oder wesentlich erschwert wäre und wenn auf Grund
bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie mit dem Täter in
Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt wird und die
Maßnahme zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des
Aufenthaltsortes des Täters führen wird und dies auf andere Weise
erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre (§
163f Abs. 1 StPO).
Ein Banküberfall ist eine Straftat
von erheblicher Bedeutung.
Aufgrund der glaubwürdigen Angaben der VP
sind »bestimmte Tatsachen« dafür gegeben, dass die Zielpersonen
möglicherweise als Täter des Überfalls in Betracht kommen oder irgendwie
damit in Verbindung stehen.
Das konspirative Verhalten der
Personen ist eine zusätzliche Tatsache, aufgrund der anzunehmen ist,
dass nur eine längerfristige Observation zur Erforschung des
Sachverhalts führen wird.
Ohne Observation ist die
Erforschung des Sachverhalts wesentlich erschwert oder weniger Erfolg
versprechend. Die Voraussetzungen für eine längerfristige Observation
gegenüber anderen Personen als Beschuldigte sind folglich gegeben.
[Anordnung:] Sollte nicht
binnen von drei Werktagen nach Anordnung der Observation bereits das
Ziel der Maßnahme erreicht sein, dann ist eine Fortsetzung der Maßnahme
nur auf der Grundlage eines richterlichen Beschlusses zulässig (§ 163f
Abs. 3 StPO).
Nach Abschluss der Maßnahme sind observierte Personen davon in Kenntnis
zu setzen, dass sie polizeilich beobachtet wurden, siehe
§ 101 StPO (Verfahrensregelungen bei verdeckten
Maßnahmen).
07 Beispiels: Einsatz von
Observationsmitteln
TOP
Observationen, die unter Einsatz
besonderer technischer Hilfsmittel bzw. anderer spezialgesetzlich
geregelter Möglichkeiten der Überwachung durchgeführt werden sollen, bedürfen
(in der Regel) des Nachweises zusätzlicher Befugnisse.
[Beispiel:] Der Polizei liegen konkrete Hinweise vor, das A einer
von mehreren Hintermännern einer Bande ist, die sowohl im
internationalen als auch im lokalen Drogenhandel aktiv ist. Bei ihren
Bemühungen, den Drogenmarkt im Stadtgebiet neu zu ordnen, ist es
zwischen den rivalisierenden Banden sogar zu gewaltsamen
Auseinandersetzungen gekommen. Vor einigen Tagen wurden zwei Männer auf
offener Straße erschossen, als sie gerade ein stadtbekanntes Szenelokal
verließen. Anonyme Hinweise und polizeiliche Ermittlungen verstärken den
Verdacht, das A einer von mehreren Hintermännern ist. Um an diese
heranzukommen, wird in Absprache mit der Staatsanwaltschaft ein Antrag
erarbeitet, der dem zuständigen Richter zur Anordnung vorgelegt wird.
Dieser Antrag enthält folgende Maßnahmen, die im Rahmen der geplanten
Observation für erforderlich gehalten werden:
-
Telefonüberwachung
-
Verkehrsdatenerhebung
-
Akustische Wohnraumüberwachung
-
Akustische Überwachung
außerhalb von Wohnungen
-
Installation eines Peilsenders
am Pkw des Tatverdächtigen
-
Standortermittlung der
Mobiltelefone des A falls erforderlich
Rechtslage?
Polizeiliche Observationsmaßnahmen
können – richterliche Beschlüsse vorausgesetzt – weit über den Umfang
der Beobachtungen hinausgehen, die als Rechtsfolgen durch
§ 163f StPO (Langfristige
Observation) zugelassen sind.
Denkbar ist, dass im Rahmen einer
Observation auf der Grundlage von
-
§ 100a StPO Telefonanschlüsse
überwacht werden
-
§ 100c StPO eine akustische
Wohnraumüberwachung durchgeführt wird
-
§ 100f StPO eine Person
außerhalb von Wohnungen akustisch überwacht wird
-
§ 100g StPO die Verkehrsdaten
einer Person erhoben werden
-
§ 100h StPO technische Mittel
zu Observationszwecken eingesetzt werden
-
§ 100i StPO die Geräte- oder
Kartennummer oder der Standort von Handys festgestellt wird.
All diese Maßnahmen können in
einem Zusammenhang mit polizeilichen Observationsmaßnahmen stehen.
An dieser Stelle sollen nur
überblickhaft die
besonderen Ermächtigungsvoraussetzungen einander gegenübergestellt
werden, um deutlich zu machen, welche Anforderungen an den jeweiligen
Tatverdacht und welche Anforderungen an die jeweilige Anlasstat
nachzuweisen sind, um den oben aufgeführten »Maßnahmenmix« zur Anwendung
kommen lassen zu können:
§ 163f StPO setzt voraus, dass
eine langfristige Observation nur dann in Betracht kommen kann, wenn
zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine
Straftat von erheblicher Bedeutung begangen worden ist.
Durchaus vergleichbare
Anforderungen, zum Teil aber auch höhere Anforderungen an den jeweiligen
Tatverdacht enthalten auch die anderen, im Zusammenhang mit
Observationen möglichen spezialgesetzlich geregelten
Überwachungsmaßnahmen.
-
§ 100a StPO
(Telekommunikationsüberwachung)
Dort heißt es:
Bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand ... schwere
Straftat ... die Tat auch im Einzelfall schwer wiegt
-
§ 100c StPO (Großer
Lauschangriff = in Wohnungen)
Dort heißt es:
Bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand ...
besonders schwere Straftat ... die Tat auch im Einzelfall besonders
schwer wiegt
-
§ 100f StPO (Kleiner
Lauschangriff = außerhalb von Wohnungen)
Dort heißt es:
Bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen ... im Einzelfall
schwerwiegende Straftat begangen
-
§ 100g StPO (Erhebung von
Verkehrsdaten)
Dort heißt es:
Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht einer ... Straftat von
auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung
-
§ 100h StPO (Weitere
Maßnahmen außerhalb von Wohnraum)
Dort heißt es:
Ohne Wissen der Beschuldigten ... Bildaufnahmen
oder sonstige technische Mittel ... wenn Gegenstand der Untersuchung
eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist.
§ 100h StPO nimmt in diesem
»Maßnahmenkatalog« eine Sonderstellung ein, denn diese Befugnis enthält
keine Anordnungsregelung, so dass diese Maßnahme von jedem
Polizeibeamten angeordnet werden kann. Das gilt uneingeschränkt für
Maßnahmen nach § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO, nicht aber für Maßnahmen nach §
100h Abs. 1 Nr. 2 StPO, die in einem engen Sachzusammenhang mit § 163f
StPO und der dort geregelten Anordnungsbefugnis steht (§ 163f Abs. 3
StPO).
-
§ 100i StPO (Technische Ermittlungsmaßnahmen
bei Mobilfunkendgeräten)
Dort heißt es:
Begründen
bestimmte Tatsachen den Verdacht ... Straftat von auch im Einzelfall
erheblicher Bedeutung.
Aus dieser skizzenhaften
Gegenüberstellung kann abgeleitet werden, dass alle Befugnisse hohe
Anforderungen sowohl an den jeweiligen Tatverdacht als auch an die
jeweilige Anlasstat richten.
Anwendung auf das Beispiel:
Der Polizei liegen konkrete
Hinweise vor, das A einer von mehreren Hintermännern einer Bande ist,
die sowohl im internationalen als auch im lokalen Drogenhandel aktiv
sind. Bei ihren Bemühungen, den Drogenmarkt im Stadtgebiet neu zu ordnen,
ist es zwischen den rivalisierenden Banden sogar zu gewaltsamen
Auseinandersetzungen gekommen. Vor einigen Tagen wurden zwei Männer auf
offener Straße erschossen, als sie gerade ein stadtbekanntes Szenelokal
verließen.
Insoweit kann festgestellt werden,
dass es sich bei den Anlasstaten um
-
Straftaten von erheblicher
Bedeutung
als auch um
-
schwere Straftaten handelt,
die auch im Einzelfall schwer wiegen.
Um im Einzelfall schwerwiegende
Straftaten handelt es sich immer dann, wenn diese auch im Einzelfall von
erheblicher Bedeutung sind, um den Sprachgebrauch der bereits oben kurz
skizzierten Befugnisse aufzugreifen.
Auch hinsichtlich der
Anforderungen an den jeweils nachzuweisenden Tatverdacht kann aufgrund
konkreter Indizien begründet werden, dass es sich bei A möglicherweise
um einen der Hintermänner handelt, die in der Bande das Sagen haben.
Hier wird davon ausgegangen, dass
die vorliegenden Hinweise ausreichen, um auf der Grundlage tatsächlicher
Anhaltspunkt den Verdacht begründen zu können, der für einen
richterlichen Beschluss nachzuweisen ist.
08 Beispiel: Anordnungsbefugnis
TOP
Gemäß
§ 163f Abs. 3 StPO (Langfristige
Observation) kann die
Anordnung einer längerfristigen Observation bei Gefahr im Verzug durch
die Staatsanwaltschaft oder durch ihre Ermittlungspersonen angeordnet
werden.
Die Anordnung der Staatsanwaltschaft oder ihrer
Ermittlungspersonen tritt außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei
Werktagen durch richterlichen Beschluss bestätigt wird. § 100b Abs. 1
Satz 4 und 5, Abs. 2 Satz 1 gilt entsprechend.
Bei der Berechnung der 3-Tages-Frist zählt der erste Einsatztag
gemäß
§ 42 StPO nicht mit.
Sollen darüber hinausgehende
Überwachungsmaßnahmen von der Polizei durchgeführt werden, sind nicht
nur besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen, sondern auch spezielle
Anordnungsbefugnisse zu beachten.
So ist es der Polizei und ihren
Ermittlungsbeamten auch bei Gefahr im Verzug nicht erlaubt, folgende
Maßnahmen anzuordnen:
-
§ 100a StPO
(Telefonüberwachung)
-
§ 100c StPO (Großer
Lauschangriff)
-
§ 100f StPO (Kleiner
Lauschangriff)
-
§ 100g StPO (Erhebung von
Verkehrsdaten)
-
§ 100i StPO (Maßnahmen bei
Mobilfunkendgeräten)
Für die oben genannten
Überwachungsmaßnahmen stehen auf dieser Website eigene Kapitel zur
Verfügung, so dass an dieser Stelle auf diese Inhalte verwiesen wird.
[Anmerkung:] In solchen
komplexen Ermittlungsverfahren ist es sinnvoll und erforderlich, in dem
Antrag an den zuständigen Richter alle von der Polizei beabsichtigten
Maßnahmen aufzulisten und so sorgfältig zu begründen, dass für alle
Maßnahmen, dass ein Richter den Beschluss erlassen kann.
09 Zusammenfassung
TOP
Observationen setzen planmäßig
angelegte Beobachtungen zur Erhebung personenbezogener Daten voraus.
Beobachtungen, die nicht planmäßig zur Erhebung personenbezogener Daten
angelegt sind (etwa Zufallsbeobachtungen) oder die nicht auf die
Erhebung personenbezogener Daten gerichtet sind, erfüllen die
begrifflichen Merkmale einer längerfristigen Observation nicht.
In solchen Fällen kann es sich um
Aufklärung handeln.
[Aufklärung - Observation:]
Aufklärung - auch die zur Strafverfolgung - dient dem Erheben von
Informationen über Personen, Gruppen, Organisationen, Objekten und
Räumen sowie Ereignisse und Entwicklungen, die für das Lagebild von
Bedeutung sind. Bei der Aufklärung handelt es sich im Gegensatz zur
Observation nicht um planmäßig angelegte Beobachtungen. Sobald jedoch
durch Aufklärung personenbezogene Daten erhoben werden, ist das Recht
auf informationelle Selbstbestimmung (RiS) tangiert, so dass auch für
diese Erhebungen eine Befugnisgrundlage gegeben sein muss.
[Rechtliche Unterscheidung
nicht geboten:] Wenn auch zwischen Observation und Aufklärung
begrifflich unterschieden werden kann, ist zweifelhaft, ob das rechtlich
geboten ist. Da kurzfristige Observationen der Polizei zur
Strafverfolgung auf der Grundlage von § 163 StPO zulässig sind, gilt das
erst recht für weniger einschneidende Aufklärungsmaßnahmen.
Bevor § 163
StPO vom Gesetzgeber als Befugnisnorm ausgewiesen wurde, war anerkannt,
dass sowohl für kurzfristige Observationen als auch Aufklärungsmaßnahmen
sachliche Zuständigkeit ausreichte.
[Beispiel:] Anlässlich einer Demonstration erhalten Polizeibeamte
den Auftrag, in ziviler Kleidung Aufklärung zu betreiben. Auf der
X-Straße sehen Beamte eine offensichtlich gewaltbereite Gruppe von ca.
50 Personen, die augenscheinlich zur Demo wollen und Schlagwerkzeuge bei
sich tragen. Damit die Personen durch heranzuführende Eingreifkräfte
festgenommen und der Strafverfolgung zugeführt werden können, bleiben
die Beamten an der Gruppe und melden alle Feststellungen der
Einsatzleitung. Rechtslage?
Das Mitführen von Schlagwerkzeugen
auf dem Wege zu einer Versammlung ist gemäß
§ 27 Abs. 1
Versammlungsgesetz ein strafbares Vergehen.
Indem die Beamten die Gruppe zur
Unterstützung einer Festnahme beobachten, werden sie im Aufgabenbereich
der Strafverfolgung tätig. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob es
sich bei der Beobachtung um eine kurzfristige Observation oder lediglich
um Aufklärung handelt, denn die Beobachtungen sind auf jeden Fall auf
der Grundlage von § 163 StPO zulässig.
Die Eingriffsgeneralermächtigung
der StPO ermächtigt die Polizei dazu, zur Strafverfolgung Ermittlungen
jeder Art vorzunehmen, soweit nicht andere gesetzliche Vorschriften ihre
Befugnisse besonders regeln. Selbstverständlich können auf der Grundlage
von
§ 163 StPO (Aufgaben der Polizei im
Ermittlungsverfahren) nur Maßnahmen von geringer
Eingriffstiefe durchgeführt werden. Das ist anlässlich von
Aufklärungsmaßnahmen und kurzfristigen Observationen offensichtlich der
Fall.
Ende des Kapitels
§ 163f StPO
(Längerfristige Observation)
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10 Quellen
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Die Quellen wurden am angegebenen Zeitpunkt
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entscheidet ausschließlich der jeweilige Anbieter.
Endnote_01
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und
Ergänzung des Strafverfahrensrechts
BT-Drucksache 14/1484 vom 16.08.1999
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/014/1401484.pdf
Aufgerufen am 06.08.2015
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Endnote_02
Auslegung und Anwendung von § 163f StPO
BVerfG, Beschluss vom 02. Juli 2009 - 2 BvR
1691/07
http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20090702_2bvr169107
Aufgerufen am 06.08.2015
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Endnote_03
GPS als Observationsmittel
BVerfG 2 BvR 581/01 (Zweiter Senat) - Urteil
vom 12. April 2005 (BGH/OLG Düsseldorf)
http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/bverfg/01/2-bvr-581-01.php
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Endnote_04
Anordnung einer längerfristigen Observation
und des Einsatzes technischer Mittel im Auslieferungsverfahren
OLG Hamm ((2) 4 Ausl A 22/08 (53/09))
Datum: 24.02.2009
Zitiert nach
http://www.burhoff.de/insert/?/asp_beschluesse/
beschluesseinhalte/928.htm
Aufgerufen am 06.08.2015
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Endnote_05
BVerfG: Urteil vom 12. März 2003 - 1 BvR
330/96
Leitsatz: Derartige Eingriffe sind nur
gerechtfertigt, wenn sie zur Verfolgung einer Straftat von erheblicher
Bedeutung erforderlich sind, hinsichtlich der ein konkreter Tatverdacht
besteht und wenn eine hinreichend sichere Tatsachenbasis für die Annahme
vorliegt, dass der durch die Anordnung Betroffene mit dem Beschuldigten
über Telekommunikationsanlagen in Verbindung steht. Urteil vom 12. März
2003 - 1 BvR 330/96
https://www.bundesverfassungsgericht.de/
entscheidungen/rs20030312_1bvr033096.html
Aufgerufen am 06.08.2015
Zurück
Endnote_06
Totalüberwachung
Rn. 61
BVerfG, Urteil vom 12. April 2005 - 2 BvR
581/01 - Rn. 61
http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/
Entscheidungen/DE/2005/04/rs20050412_2bvr058101.html
Aufgerufen am 06.08.2015
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Endnote_07
Videoüberwachung
BGH 3 StR 324/00 - Urteil v. 24. Januar 2001
(OLG Düsseldorf)
http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/3/00/3-324-00.php3
Aufgerufen am 06.08.2015
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§ 163f StPO
(Längerfristige Observation)
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