01 Anwendungsbereich
TOP
Im
polizeilichen Berufsalltag gehören Identitätsfeststellungen zu den
häufigsten von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten getroffenen
Maßnahmen.
Während Identitätsfeststellungen zum Zweck der Gefahrenabwehr
sich nach den einschlägigen Befugnissen der Polizeigesetze richten, in
NRW ist das der
§ 12 PolG NRW (Identitätsfeststellung), sind
Identitätsfeststellungen zum Zweck der Verfolgung von Straftaten oder
Ordnungswidrigkeiten auf der Grundlage von
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) zulässig.
Gemäß § 163b StPO
können festgestellt werden:
-
die Identität eines
Tatverdächtigen (§ 163b Abs. 1 StPO)
-
die Identität des Betroffenen
einer Ordnungswidrigkeit (§ 163b Abs. 1 StPO)
sowie
-
die Identität von Zeugen einer
Straftat (§ 163b Abs. 2 StPO)
-
die Identität von Zeugen einer
Ordnungswidrigkeit (§ 163b Abs. 2 StPO).
Die Voraussetzungen von § 163b
StPO (Identitätsfeststellung) werden im Folgenden näher erläutert.
01.1 Verfolgbare Straftat
TOP
Gemäß
§ 163b
Abs. 1 StPO
(Identitätsfeststellung) darf die
Identität einer Person festgestellt werden, wenn sie einer Straftat
verdächtig ist.
[Straftat:] Unter einer
Straftat i.S.v. § 163b Abs. 1 StPO ist eine tatbestandsmäßige,
rechtswidrige und schuldhafte Handlung zu verstehen (verfolgbare
Straftat). Eine Handlung ist tatbestandsmäßig, wenn die Merkmale einer
Strafrechtsnorm erfüllt worden sind. Sie ist rechtswidrig, wenn der
Täter keinen Rechtfertigungsgrund für die Handlung in Anspruch nehmen
kann. Eine
tatbestandsmäßige und rechtswidrige Handlung ist schuldhaft, wenn der
Täter mit der vom Gesetz vorgegebenen Schuldform (Vorsatz oder
Fahrlässigkeit) gehandelt hat und keine Schuldausschließungsgründe
gegeben sind.
Die Tat muss entweder vollendet
oder ein strafbarer Versuch muss gegeben sein.
Gleichgültig ist, ob jemand als
Täter (Alleintäter, Mittäter, mittelbarer Täter) oder Teilnehmer
(Anstifter, Gehilfe) verdächtig ist, oder ob es sich um ein Begehungs- oder
Unterlassungsdelikt handelt.
[Beispiel:] Nach einem Wohnungseinbruch sind zwei Männer mit Pkw
flüchtig. Nach Aussagen von Zeugen ist nur der Beifahrer in der Wohnung
gewesen. Der Fahrer hat im Pkw vor dem Hause gewartet. Im Zuge der
Fahndung kann der Pkw gestellt werden. Sind beide Personen einer
Straftat verdächtig?
Der Beifahrer ist als Täter eines
Diebstahls verdächtig. Aber auch der Fahrer hat entweder als Mittäter
oder mittelbarer Täter, möglicherweise aber auch nur als Gehilfe
an der Tat mitgewirkt. Folglich kann auch ihm eine Straftat im Sinne von
§ 163b StPO vorgeworfen werden.
[Beispiel:] Nachts wird die Polizei zur Kreuz-Apotheke gerufen, weil
sich dort ein Mann verdächtig verhält. Beim Eintreffen stellen die
Beamten einen Mann, der dabei ist, eine Seitenscheibe mit Klebeband zu
bekleben. Auf Befragen verweigert er jegliche Antwort. Ist der Mann
einer Straftat verdächtig?
Nach den Umständen hat der Mann
unmittelbar zur Verwirklichung eines Diebstahls angesetzt. Somit sind
die Merkmale eines Versuchs gegeben (§ 22 StGB). Der Versuch des
Diebstahls ist strafbar (§ 242 Abs. 2 StGB). Folglich ist der Mann einer
verfolgbaren Straftat verdächtig.
Wenn eindeutig ist, dass eine
Handlung zwar den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt, nicht aber
rechtswidrig oder schuldhaft begangen wurde, ist eine verfolgbare
Straftat nicht gegeben.
Eine verfolgbare Straftat ist z.B.
nicht gegeben, wenn Erziehungsberechtigte in zulässiger Weise von ihren
Erziehungsrechten Gebrauch machen.
[Beispiel:] Ein Polizeibeamter wird Zeuge, wie eine Mutter ihrem
etwa 4-jährigen Sohn einen Schlag auf das Gesäß gibt, weil er Dummheiten
gemacht hat. Das Kind beginnt zu schreien. Ist die Frau einer Straftat
verdächtig?
Offensichtlich hat die Mutter den
Tatbestand der Körperverletzung erfüllt, denn sie hat einem anderen -
wenn auch geringe - Schmerzen zugefügt und ihn damit i.S.v.
§ 223 StGB
körperlich misshandelt. Die Handlung war jedoch nicht rechtswidrig, wenn
die Mutter in zulässiger Weise von ihrem Züchtigungsrecht Gebrauch
gemacht hat.
Gemäß
§ 1631 Abs. 2 BGB (Inhalt und Grenzen der
Personensorge) haben
Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen,
seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind
unzulässig.
Ob allerdings jeder »Schlag auf
den Po« als körperliche Bestrafung im Sinne von
§ 1631 BGB anzusehen
ist, darf bezweifelt werden. Anerkannt ist nach wie vor, dass u. a. den
Eltern ein Züchtigungsrecht zusteht, siehe auch
§ 1626 BGB
(Elterliche Sorge, Grundsätze).
Allerdings muss das
Züchtigungsrecht maßvoll und angemessen ausgeübt werden.
Laut Sachverhalt hat die Mutter
offensichtlich maßvoll von dem ihr zustehenden Züchtigungsrecht Gebrauch
gemacht. Folglich ist keine verfolgbare Straftat gegeben. Sollte der
Beamte gegen die Frau das Strafverfahren einleiten, würde er Gefahr
laufen, wegen Verfolgung Unschuldiger zur Verantwortung gezogen zu
werden, siehe
§ 344 StGB (Verfolgung Unschuldiger).
Eine verfolgbare Straftat ist auch
nicht gegeben, wenn die Tat ein absolutes Antragsdelikt ist und der
Antragsberechtigte keinen Strafantrag stell.
01.2 Verfolgung von OWi
TOP
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) findet auch bei der Verfolgung von
Ordnungswidrigkeiten Anwendung. Möglich ist das, weil gemäß
§ 46 Abs.
1 OWiG (Anwendung der Vorschriften über das Strafverfahren) für das
Bußgeldverfahren sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über
das Strafverfahren, namentlich der Strafprozessordnung Anwendung finden.
Die Verfolgungsbehörde hat, soweit dieses Gesetz nichts anderes
bestimmt, im Bußgeldverfahren dieselben Rechte und Pflichten wie die
Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten. Welche
Möglichkeiten der Polizei in diesem Zusammenhang zur Verfügung stehen,
ist im
§ 53 OWiG (Aufgaben der Polizei) geregelt.
[Beispiel:] Anlässlich einer Radarmessung innerhalb geschlossener
Ortschaften wird ein Pkw-Fahrer angehalten, der die zulässige
Höchstgeschwindigkeit um 30 km/h überschritten hat. Laut Bußgeldkatalog
ist für diese Verkehrsordnungswidrigkeit ein Bußgeld in Höhe von 100
Euro vorgesehen. Um die festgestellte Ordnungswidrigkeit anzeigen zu
können, stellt der Kontrollbeamte die Identität des Fahrers fest.
Rechtslage?
Der Fahrer ist Betroffener einer
Verkehrsordnungswidrigkeit. Auf der Grundlage von
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) kann der Kontrollbeamte die Identität des
Fahrers feststellen, denn die Befugnisse der Strafprozessordnung finden
auch im Ordnungswidrigkeitenrecht Anwendung.
[Hinweis:] Obwohl sich die
sachliche Zuständigkeit der Polizei zur Erforschung von
Ordnungswidrigkeiten auf alle OWi erstreckt, werden jedoch in der Praxis
weder Polizeibeamtinnen noch Polizeibeamten auf den Gedanken kommen,
Ermittlungshandlungen in Bereichen zu tätigen, mit denen die Polizei
praktisch gar nicht befasst ist (Baurecht, Lebensmittelüberwachung,
Unfallverhütung in Betrieben etc.).
In der Regel handelt es sich bei
polizeilich festgestellten Ordnungswidrigkeiten um
Verkehrsordnungswidrigkeiten (StVO, StVZO, GGVS, GÜKG, FahrpersG u.a.)
oder um Ordnungswidrigkeiten, die im Ordnungswidrigkeitengesetz selbst
mit einem Bußgeld bedroht sind oder einen unmittelbaren Bezug zum
polizeilichen Berufsalltag aufweisen, was zum Beispiel bei
Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit dem BtM-Gesetz,
§ 32
BtMG (Ordnungswidrigkeiten) oder anlässlich
festgestellter Ordnungswidrigkeiten auf der Grundlage von
§ 41
SprengG (Ordnungswidrigkeiten) der Fall ist. Im letztgenannten
Paragraphen sind die Ordnungswidrigkeiten geregelt, die im Zusammenhang
mit pyrotechnischen Gegenständen verbunden sind, einem Phänomen, mit dem
die Polizei bei jedem Ligaspiel im Profifußball konfrontiert wird.
02 Feststellung der Identität
TOP
Bevor die
Ermächtigungsvoraussetzungen von
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) im Einzelnen erörtert werden, wird aus einem
Beschluss des BVerfG aus dem Jahre 1992 zitiert. Diesem Beschluss kann
entnommen werden, wie sich das höchste
deutsche Gericht den Ablauf einer ID-Feststellung vorstellt.
[Anlass:] Anlässlich eines
Polizeieinsatzes auf dem Münchener Messegelände (Februar 1989), dem ein
Farbbeutel-Anschlag auf einen Ausstellungsstand zugrunde lag, wurde von
der Polizei eine Person kontrolliert, die sich als Mitglied des
Stadtrates der Landeshauptstadt München und einer in München agierenden
Protestgruppe auswies. Der Mann wurde zur Identitätsfeststellung der
Polizeiwache zugeführt, obwohl er sich noch am Kontrollort mit einem
gültigen Personaldokument auswies.
In dem Beschluss heißt es:
Das Gesetz berechtigte die
Polizeibeamten, den Beschwerdeführer zum Zwecke der
Identitätsfeststellung nach seinen Personalien zu befragen und ihn
aufzufordern, mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung auszuhändigen
(...).
Nur wenn die Identität des
Beschwerdeführers nach Ausschöpfung dieser Befugnisse nicht oder nur
unter erheblichen Schwierigkeiten hätte festgestellt werden können,
hätten die Beamten ihn festhalten dürfen.
Dieser an Intensität gesteigerte
Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers (gemeint ist
das Festhalten = AR) kam ohnehin
erst dann in Betracht, wenn die der Polizei bereits bekannten Daten des
Beschwerdeführers noch nicht ausreichten, um dessen Identität eindeutig
zu bestimmen (...).
Dies wäre etwa der Fall gewesen,
wenn konkreter Anlass bestanden hätte, an der Echtheit vorgelegter
Ausweispapiere oder an der Richtigkeit der Angaben des Beschwerdeführers
zu zweifeln (...).
Für eine solche Annahme bietet der
vorliegende Fall indes keinen Anhalt:
Der Beschwerdeführer hatte seinen
mit Lichtbild, Geburtsdatum und vollständigem Namen versehenen, von der
Landeshauptstadt München ausgestellten und vom Oberbürgermeister
unterzeichneten Stadtratsausweis den Polizeibeamten unaufgefordert
vorgelegt. Die polizeirechtliche Fachliteratur hält eine solche mit
Lichtbild versehene amtliche Urkunde für ein hinreichendes Ausweispapier
(...), auch wenn sie nicht die vollständigen Personalien des Inhabers
enthält (...). Er hatte nach seinem unwidersprochenen Vorbringen den
Polizeibeamten auch angeboten, seinen mitgeführten Personalausweis
einzusehen. Schließlich hatte er den Polizeibeamten seine Personalien
auch mündlich bekanntgegeben. Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen,
dass die Polizeibeamten die Identität aufgrund der mündlichen Angaben
und der mitgeführten Ausweispapiere des Beschwerdeführers ohne
nennenswerte Schwierigkeiten schon in der Ausstellungshalle, mithin ohne
ein Festhalten hätten bestimmen können (...).
Es sind keine Anhaltspunkte dafür
ersichtlich, dass die vom Beschwerdeführer gelieferten Daten zur
Feststellung seiner Identität nicht ausgereicht hätten. Ebenso ist nicht
erkennbar, weshalb an der Richtigkeit dieser Daten Zweifel derart hätten
bestehen können, dass es einer Abgleichung mit der Einwohnermeldekartei
bedurft hätte. Dass sich die Personalienüberprüfung auf der
Polizeiinspektion demgegenüber einfacher »praktikabler« gestaltet haben
mag, ist insoweit unerheblich (...).
Bei dieser
Sachlage hätte schon das Landgericht zur Feststellung der
Verfassungswidrigkeit des Vorgehens der Polizei gelangen müssen. Die
Verfassungsbeschwerde führt somit dazu, dass die Verfassungswidrigkeit
der beanstandeten polizeilichen Maßnahmen und auch des angegriffenen
Beschlusses festgestellt werden muss.« [En01] 1
[Hinweis:] Der Wortlaut
dieses Beschlusses ist eindeutig.
03 Erforderliche Personendaten
TOP
Die Feststellung der Identität auf
der Grundlage von
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) ist nicht
mit den Angaben gemäß
§ 111 OWiG (Falsche
Namensangabe) identisch.
Die Identität einer Person für
Zwecke der Strafverfolgung ist dann festgestellt, wenn diejenigen
Personendaten gesichert sind, die es möglich machen, den Betroffenen
zuverlässig und ohne erhebliche Schwierigkeiten zu erreichen:
-
Familienname, ggf. Geburts-,
Künstler-, Aliasname
-
Vornamen
-
Ort und Tag der Geburt
-
Wohnanschrift
-
Staatsangehörigkeit im
begründeten Einzelfall.
Nicht eingefordert werden können
folgende personenbezogene Daten:
-
Beruf
-
Familienstand
-
Religionszugehörigkeit.
Für den Nachweis der Identität
reicht es im Normalfall aus, sich mit einem Legitimationspapier
auszuweisen.
Folgende Legitimationspapiere
kommen in Betracht:
04 Ermächtigungsvoraussetzungen
TOP
Im Folgenden werden die
Ermächtigungsvoraussetzungen von
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) im
Überblick aufgeführt. Das Gesetz sieht vor, dass die Ermächtigungsvoraussetzungen
so in die Phasen einer Identitätsfeststellung einzufügen sind, so dass
sich daraus die unterschiedlichen Eingriffstiefen zu rechtfertigen
vermögen.
In diesem Aufsatz wird von drei
unterschiedlichen Phasen einer ID-Feststellung ausgegangen.
Alle Phasen setzen einen
bestehenden Tatverdacht voraus.
Phase 1
Erforderliche Maßnahmen zur
Feststellung der Identität durch:
Wird die Identität auf diese Art
und Weise festgestellt, handelt es sich um einen sehr geringen Eingriff
in das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit und in das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung. Die für diese Kontrolle erforderliche
Zeit dürfte in der Regel 10 Minuten nicht übersteigen. Zu dieser Phase
gehört auch die Überprüfung erhobener Daten im Wege eines
Datenabgleichs, siehe
§ 98c StPO (Maschineller Abgleich
mit vorhandenen Daten), die im Übrigen durchzuführen ist, sobald die
Identität einer Person festgestellt wird.
Phase 2
Wenn die Identität am Kontrollort
nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden
kann, darf die Person festgehalten werden.
Das ist ein Eingriff in die
Bewegungsfreiheit.
In solch einem Fall können die
Person des Tatverdächtigen und von ihr mitgeführte Sachen zu dem Zweck
durchsucht werden, um Hinweise auf die Identität des Tatverdächtigen zu
finden (Suche nach Ausweispapieren etc.).
Führt die Durchsuchung zum Erfolg,
kann die Identität am Kontrollort festgestellt werden.
Phase 3
Wenn die Durchsuchung erfolglos
durchgeführt wurde oder nicht durchgeführt werden konnte, weil die
Situation das am Kontrollort nicht zulässt (nicht oder nur unter
erheblichen Schwierigkeiten - am Kontrollort - festgestellt werden
kann), sind die Voraussetzungen gegeben, um den Tatverdächtigen zur
Polizeiwache zu verbringen, um ihn dort erforderlichenfalls
erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er weiterhin keine Angaben zu
seiner Identität macht.
Diese Voraussetzungen sind auch dann gegeben,
wenn vor Ort mit aggressivem Verhalten der zu kontrollierenden Personen
zu rechnen ist, oder andere Personen gegenüber einschreitenden
Polizeibeamten eine drohende Haltung einnehmen.
[Hinweis:] Von mehreren
möglichen und geeigneten Maßnahmen muss die Polizei diejenigen wählen,
die den Einzelnen voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigen.
Im Zusammenhang mit durchzuführenden
Personenüberprüfungen ist es oftmals aus Gründen der Eigensicherung
sowieso geboten, die zu kontrollierende Person nach gefährlichen
Gegenständen zu durchsuchen, sobald die Person angehalten wurde.
Eine solche
Durchsuchung hat aber mit der Durchsuchung zum Auffinden von
Ausweispapieren nichts zu tun.
Es handelt sich dabei um eine Maßnahme
der Gefahrenabwehr auf der Grundlage von
§ 39 Abs. 2 PolG NRW (Durchsuchung von Personen).
Dazu später mehr.
04.1 Tatverdächtiger - Betroffener
TOP
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) setzt voraus, dass sich die Maßnahme gegen eine
Person richtet, die einer Straftat verdächtig ist oder als Betroffener
einer Ordnungswidrigkeit in Betracht kommt.
Für die überwiegende Anzahl von
Identitätsfeststellungen zum Zweck der Stafverfolgung sind die
nachfolgend aufgeführten Aussagen zutreffend.
[Hinweis:] Auf der Grundlage
von § 163b StPO kann die Polizei aber auch die Identitäten einer
Vielzahl von Personen feststellen, bei denen es sich nicht zwangsläufig
um Personen handeln muss, die tatbestandlich gehandelt haben. Das hat
das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 02.11.2016 - 1 BvR 289/15
so entschieden. Näheres dazu in der folgenden Randnummer.
Hier soll zuerst einmal der Frage nachgegangen werden, welche Person von
der Polizei auf der Grundlage von
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) in Anspruch genommen werden kann. Das ist im
Normalfall der Tatverdächtige, bei dem es sich um eine Einzelperson oder
um mehrere Personen handeln kann, denen eine Straftat vorgehalten werden
kann.
[Tatverdächtiger:] Dabei
handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der sowohl
gesetzlich als auch wissenschaftlich nicht eindeutig geklärt ist, zumal
er vom Begriff des Beschuldigten zu unterscheiden ist.
In Anlehnung an
§ 152 StPO
(Offizial- und Legalitätsprinzip) müssen zureichende tatsächliche
Anhaltspunkte vorliegen, dass der Betroffene eine bestimmte Straftat
begangen hat. Diese Anforderungen an den Tatverdacht wurden von der
Rechtsprechung und der Lehre jedoch aufgeweicht.
Das Spektrum von Beschreibungen
reicht von:
-
tatsächliche Anhaltspunkte
eines konkreten Tatvorwurfs
-
geringe und ungewisse
Anhaltspunkte in Bezug auf den Tatvorwurf
-
jeder, gegen den sich
möglicherweise ein Tatverdacht richtet
bis hin zu
-
nicht frei von Verdacht sein.
Im Karlsruher Kommentar zur StPO
heißt es: Verdächtiger ist derjenige, der nicht frei von Verdacht ist,
der Beschuldigte, der Angeschuldigte, der Angeklagte und der
rechtskräftig Verurteilte (vgl. KK (2009) - Griesbaum - S. 1059, Rn. 9).
Um einen Verdächtigen handelt es
sich dann, wenn zwar konkrete, aber nur geringe und ungewisse
Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Person eine bestimmte Straftat
begangen hat (vgl. SK-StPO (2010) - Bd. II. S. 626, Rn. 16).
Der Verdächtige ist mithin der bei
Vorliegen eines Anfangsverdachts »potenziell Beschuldigte«, gegen den
unmittelbar ein Inkulpationsakt (dabei handelt es sich um eine objektiv
gegen eine Person gerichtete Ermittlungshandlung = A.R.) möglich,
geboten oder unerlässlich ist (SK-StPO (2010) - Bd. II. S. 626, Rn. 17).
Einigkeit besteht dahingehend,
dass Vermutungen und Annahmen nicht ausreichen, um einen Tatverdacht
begründen zu können.
[Definition Tatverdacht:]
Eine Person ist als Tatverdächtiger anzusehen, wenn über den Grad von
Vermutungen hinausgehend und unter Berücksichtigung kriminalistischer
Erkenntnisse bewertbare Hinweise oder Indizien die Annahme
rechtfertigen, dass die Person als Täter oder Teilnehmer eine
bestimmbare Straftat begangen oder versucht hat.
04.1.1 Tatverdächtiger anlässlich von
Tumultdelikten (BVerfG 2016)
TOP
Im Juni 2013 wurden in Frankfurt, anlässlich einer Demonstration,
insgesamt 943 Personen von der Polizei durch einen so genannten
Polizeikessel zur Feststellung ihrer Identität eingeschlossen.
Über die Zulässigkeit dieser Maßnahme hat das Bundesverfassungsgericht
mit Beschluss vom 02.11.2016 - 1 BvR 289/15 entschieden:
[Anlass:] Als Teile der o.g.
Versammlung unfriedlich wurden und mit Hilfe von Seilen und Holzstangen,
Schutzschilden, zusammengeknoteten Transparenten und Regenschirmen sich
nach außen hin abschotteten sowie Pyrotechnik und mit Farbe gefüllte
Flaschen und Beutel auf polizeiliche Einsatzkräfte warfen, wurden die
von der Versammlung zuvor ausgeschlossenen Personen von der Polizei
»eingekesselt«.
Der Beschwerdeführer konnte die Einkesselung
nach 4 Stunden an einer der 15 mit einer Videoüberwachung versehenen
Durchlassstellen nach Feststellung seiner Identität, der Durchsuchung
seiner mitgeführten Sachen sowie einer erkennungsdienstlicher Behandlung
(Videografierung) wieder verlassen.
Seine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht blieb ohne Erfolg.
Die Verfassungsrichter stellten fest, dass der Beschwerdeführer nicht in
seinen Grundrechten verletzt worden sei.
Im Beschluss heißt es:
[Rn. 13:] Die Verfassung gewährleistet lediglich das
Recht, sich »friedlich und ohne Waffen zu versammeln«. Das ist
Vorbedingung für die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit als Mittel
zur aktiven Teilnahme am politischen Prozess und für eine freiheitliche
Demokratie unverzichtbar (...). Steht kollektive Unfriedlichkeit nicht
zu befürchten, ist also nicht damit zu rechnen, dass eine Demonstration
im Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt oder
dass der Veranstalter oder sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben
oder zumindest billigen, dann muss für die friedlichen Teilnehmer der
von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der
Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne andere
Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen (...).
[Rn. 14:] Besteht danach für eine Versammlung trotz
Ausschreitungen nur einer Minderheit der Teilnehmer der Schutz des Art.
8 GG fort, muss sich dies auf die Anwendung grundrechtsbeschränkender
Rechtsnormen auswirken. Dies gilt insbesondere auch für die Anwendung
des § 163b StPO und des § 163c StPO, wenn es zu Abspaltungen eines Teils
der Versammlung vom restlichen Demonstrationszug kommt, um eine spätere
Strafverfolgung zu ermöglichen. Zwar schließt es die unter
Gesetzesvorbehalt stehende Versammlungsfreiheit nicht aus, gegen Teile
der Versammlung repressive Maßnahmen der Strafverfolgung zu ergreifen.
Bei solchen Grundrechtseingriffen haben die staatlichen Organe aber die
grundrechtsbeschränkenden Normen der StPO im Lichte der grundlegenden
Bedeutung der Versammlungsfreiheit im freiheitlich demokratischen Staat
auszulegen und sich bei ihren Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum
Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist (...).
[Rn. 15:] Konkret bedeutet dies für § 163b Abs. 1 Satz
1 und 2 StPO, wonach die Beamten des Polizeidienstes die zur
Feststellung der Identität erforderlichen Maßnahmen treffen dürfen, wenn
jemand einer Straftat verdächtig ist, und der Verdächtige festgehalten
werden darf, wenn die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen
Schwierigkeiten festgestellt werden kann, dass der Verdacht auf einer
hinreichenden objektiven Tatsachengrundlage beruhen sowie individuell
bezogen auf den konkreten Versammlungsteilnehmer bestehen muss. Nicht
genügend für den Verdacht ist die bloße Teilnahme an einer Versammlung,
aus der heraus durch einzelne andere oder eine Minderheit Gewalttaten
begangen werden (...). Da sich Gewalttätigkeiten bei Großdemonstrationen
kaum jemals ganz ausschließen lassen, träfe andernfalls nahezu jeden
Versammlungsteilnehmer das Risiko, allein wegen des Gebrauchmachens von
der Versammlungsfreiheit - schon während der Versammlung -
Strafverfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden (...). Die Notwendigkeit
eines auf den konkreten Versammlungsteilnehmer bezogenen Verdachts
schließt es allerdings nicht aus, auch gegen eine ganze Gruppe von
Versammlungsteilnehmern nach § 163b Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO vorzugehen,
wenn sich aus deren Gesamtauftreten ein Verdacht auch gegenüber den
einzelnen Mitgliedern der Gruppe ergibt und das Vorgehen die übrigen
Versammlungsteilnehmer so weit wie möglich ausspart.
[Rn. 19:] Geht die Polizei gegen eine sich dergestalt
mittels dichtgedrängter Staffelung, Sichtschutz und Vermummung vom
übrigen Versammlungsgeschehen abhebende Gruppe, aus der heraus eine
Vielzahl von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten begangen werden, auf
Grundlage des § 163b Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO vor, da sie einen
Anfangsverdacht gegen alle Mitglieder dieser Gruppe als begründet
ansieht und bestätigen die Fachgerichte dieses Vorgehen, verstößt dies
nicht gegen verfassungsrechtliche Vorgaben.
Die zu diesem Teil des Aufzugs gehörenden Personen zeigen ein
planvoll-systematisches Zusammenwirken mit einer Vielzahl von
Gewalttätern und erwecken den Eindruck der Geschlossenheit, so dass die
Einsatzkräfte davon ausgehen durften, dass Gewalttäter in ihren
Entschlüssen und Taten gefordert und bestärkt würden und nur eine sehr
geringe Zahl friedlicher Versammlungsteilnehmer durch die Einkesselung
vom Rest der Versammlung ausgeschlossen und festgehalten werde.
Dies ist verfassungsrechtlich hinnehmbar, wenn die Polizei - wie
vorliegend - ohne Aufschub nach der Kesselbildung in Verhandlungen mit
der Versammlungsleitung eintritt, um eine Fortsetzung des Aufzugs sowohl
für den vom Polizeikessel betroffenen friedlichen Versammlungsteil als
auch für einzelne friedliche Versammlungsteilnehmer innerhalb der
eingeschlossenen Demonstrationsgruppe zu ermöglichen.
[Rn. 21:] Die angegriffenen Entscheidungen verletzen
auch nicht Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG, indem sie
gemäß § 163c Abs. 1 Satz 2 StPO davon ausgegangen sind, dass eine
unverzügliche Vorführung vor den Richter zum Zwecke der Entscheidung
über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung unterbleiben
konnte, da die Herbeiführung der richterlichen Entscheidung
voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen würde, als zur
Feststellung der Identität notwendig wäre.
[Rn. 22:] Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG gebietet für jede
nicht auf richterlicher Anordnung beruhende Freiheitsentziehung, die
richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen, wobei »unverzüglich«
dahin auszulegen ist, dass die richterliche Entscheidung ohne jede
Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt,
nachgeholt werden muss (...). Die Ausnahme von der Vorführpflicht nach §
163c Abs. 1 Satz 2 StPO für den Fall, das bis zur Erlangung der
richterlichen Entscheidung voraussichtlich längere Zeit vergeht als bis
zur Feststellung der Identität, ist danach verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden.
[Rn. 26:] Nach der nicht zu
beanstandenden Rechtsauffassung der Fachgerichte musste ein Verdacht im
Sinne des § 163b Abs. 1 StPO gegen den Beschwerdeführer nicht daran
scheitern, dass dieser tatsächlich keine Straftaten oder
Ordnungswidrigkeiten begangen hat. Ausreichend war insoweit bereits
seine Zugehörigkeit zu einer sich vom übrigen Demonstrationsgeschehen
deutlich abhebenden Gruppe, aus der heraus eine Vielzahl von Straftaten
und Ordnungswidrigkeiten begangen wurden.
[Hinweis:] Die Bedeutung dieses Beschlusses geht weit
über den oben beschriebenen Einzelfall hinaus.
Auch anlässlich von Ansammlungen, die nicht unter das Versammlungsgesetz
fallen (Rockertreffen, Problemfans etc.), die aber von Personen genutzt
werden, um gemeinsam Straftaten zu begehen, wird die Polizei auf der
Grundlage des oben mitgeteilten Beschluss nunmehr solche
»Personengruppen« zum Zweck der Feststellung aller Einzelidentitäten
»einkesseln« und so lange festhalten können, bis die Identitäten der
»eingekesselten« Personen festgestellt sind.
Voraussetzung wird sein, dass die Gruppe so homogen »Straftaten oder
ehrebliche Ordnungswidrigkeiten« begeht, dass von einer Zugehörigkeit
aller Personen zur Störergruppe ausgegangen werden kann.
04.1.2 Betroffene anlässlich von
Ordnungswidrigkeiten
TOP
Im
Zusammenhang mit der Einleitung eines Bußgeldverfahrens (Verfolgung
einer Ordnungswidrigkeit) werden
diejenigen Personen als »Betroffene« bezeichnet, gegen die sich das
jeweils einzuleitende Bußgeldverfahren richtet.
Die Stellung eines
»Betroffenen« erhält eine Person durch die Einleitung eines
Ermittlungsverfahrens, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Person von
der Einleitung Kenntnis erhält.
Mit anderen Worten:
Betroffener einer OWi ist die
Person, gegen die sich bei einem bestehenden Tatverdacht das
Ordnungswidrigkeitenverfahren richtet.
Wird eine Person auf frischer Tat
bei der Begehung einer OWi betroffen und zur Verfolgung der
festgestellten OWi von der Polizei angehalten, dann geschieht das immer
auf der Grundlage von
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) weil
die Identität des »Betroffenen« benötigt wird, um gegen ihn ein
OWi-Verfahren einleiten zu können.
[Beispiel:] Ein Fahrzeugführer wird von der Polizei
angehalten, weil er bei Rot in einen Kreuzungsbereich gefahren ist. Dem
Fahrer wird eröffnet, welche Ordnungswidrigkeit er begangen hat und dass
zum Zweck der Verfolgung dieser festgestellten Ordnungswidrigkeit seine
Identität festgestellt wird. Rechtslage?
Die Identitätsfeststellung geschieht zum Zweck der Verfolgung einer
Ordnungswidrigkeit (Verkehrsordnungswidrigkeit).
Zu diesem Zweck finden die Befugnisse der StPO entsprechend Anwendung,
siehe
§ 46 OWiG (Anwendung der Vorschriften über das
Strafverfahren). Danach gelten im Bußgeldverfahren die Vorschriften der
StPO, soweit sie sich für die Durchführung eines
Ordnungswidrigkeitenverfahrens eignen.
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) gehört zu den Vorschriften, die im
Ordnungswidrigkeitenverfahren Anwendung finden. Kann die Feststellung
der Identität der Person vor Ort nicht festgestellt werden, kann der
Betroffene auch zum Zweck der Identitätsfeststellung festgehalten und
zur Polizeistation verbracht werden. Bei diesem Festhalten handelt es
sich nicht um eine vorläufige Festnahme, die im
Ordnungswidrigkeitenverfahren auch nicht zulässig wäre, siehe
§ 46 Abs. 3 OWiG (Anwendung der Vorschriften über
das Strafverfahren).
[Radarmessungen:]
Anlässlich von Radarmessungen
werden zum Nachweis einer begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung
von der Polizei Daten (Radarfoto) erhoben, auf deren Grundlage die Identität des Fahrers
erst noch festzustellen ist.
Das Fertigen von Radarmessfotos geschieht
nicht auf der Grundlage von
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung).
Radarmessfotos werden, in Anlehnung an einen Beschluss des BVerfG, auf
der Grundlage von
§ 100h StPO (Weitere
Maßnahmen außerhalb von Wohnraum) gefertigt. Dort heißt es, dass auch
ohne Wissen der Betroffenen außerhalb von Wohnungen Bildaufnahmen
hergestellt werden dürfen.
Die Halterfeststellung erfolgt dann durch
Kennzeichenabfrage (Halterfeststellung). Auf diese Daten hat die Polizei
unmittelbaren Zugriff.
Im Anschluss daran wird dann dem Halter ein
Anhörungsbogen mit der Aufforderung zugeschickt, Angaben zum Fahrer zu
machen. Verweigert der Halter Angaben zum Fahrer, sind weitere
polizeiliche Ermittlungen erforderlich, um die Identität des Fahrers
festzustellen.
04.2 Erforderliche Maßnahmen
TOP
Gemäß
§ 163b
Abs. 1 StPO
(Identitätsfeststellung) dürfen
Polizeibeamte zum Zwecke der Strafverfolgung die zur Feststellung der
Identität eines Verdächtigen erforderlichen Maßnahmen treffen.
Welche Maßnahmen erforderlich
sind, sind in der Befugnis nicht genannt.
In Betracht kommen:
Welche Angaben zur Feststellung
der Identität einer Person erforderlich sind, ist in der StPO ebenfalls
nicht beschrieben. Diesbezüglich wird auf den Beschluss des BVerfG aus
dem Jahre 1992 verwiesen, der oben bereits vorgestellt wurde.
[Erforderliche Angaben:]
Zur Strafverfolgung ist - allgemein formuliert - die Ermittlung
derjenigen Personaldaten erforderlich, die es ermöglichen, die
Persönlichkeit des Betroffenen eindeutig festzulegen, um ihn später
jederzeit zuverlässig und ohne unverhältnismäßige Schwierigkeiten
erreichen zu können. Dazu reichen die Angaben in einem gültigen Ausweis
in der Regel aus.
Damit steht die Identität der Person allerdings noch
nicht eindeutig fest.
In diesem Zusammenhang bedeutsame
Anhaltspunkte gibt
§ 111 OWiG (Falsche
Namensangabe). Danach begeht eine Ordnungswidrigkeit, wer einem
zuständigen Polizeibeamten über dort genannte Personaldaten unrichtige
Angaben macht oder die Angabe verweigert.
Gemäß 111 OWiG müssen angegeben
werden:
-
Vorname, Familienname,
Geburtsname, Geburtsort, Geburtstag, Familienstand
-
Wohnort,
-
Beruf,
-
Staatsangehörigkeit.
[Beispiel:] Nach einem Diebstahl in A-Stadt wird ein junger Mann
gestellt. Er weist sich mit einem gültigen Personalausweis aus. Im
Ausweis ist als Wohnort B-Stadt angegeben. Weitere Fragen, ob er dort
noch wohne und wo er sich aufhalte, werden verweigert. Welche Angaben
sind zur Personalienfeststellung erforderlich?
Zur Personalienfeststellung
reichen an sich die im Personalausweis angegebenen Daten aus. Jedoch
steht in diesem Fall damit die Identität des jungen Mannes noch nicht
fest, weil zum Zeitpunkt der Überprüfung nicht sicher ist, ob er sich an
der im Ausweis angegebenen Adresse tatsächlich aufhält.
Die Identität kann nur dann als
hinreichend festgestellt gelten, wenn alle Daten erhoben sind, damit der
Betroffene auch geladen werden kann (ladungsfähige Anschrift).
Wenn dazu die Angaben im
Personalausweis nicht ausreichen, dürfen zumindest die in
§ 111 OWiG (Falsche
Namensangabe)
genannten Daten erhoben werden.
[Datenabgleich:] Um
überprüfen zu können, ob die Angaben in Ausweispapieren stimmen, können
die erhobenen Daten einem Datenabgleich unterzogen und mit dem Bestand
der Daten des örtlichen Einwohnermeldeamtes abgeglichen werden.
04.3 Anhalten zur Id-Feststellung
TOP
Die Rechtsfolge des Anhaltens ist
weder eine Freiheitsbeschränkung noch eine Freiheitsentziehung. Der
Begriff des »Anhaltens« ist auch nicht expressis verbis im
§ 163b Abs.
1 StPO (Identitätsfeststellung) enthalten, wird dort aber logischerweise
vorausgesetzt.
[Anhalten:] Darunter
versteht man das Ansprechen einer Person, einen Moment stehen zu
bleiben, verbunden mit der Aufforderung, sich auszuweisen oder Angaben
zur Person zu machen.
Aus dem fließenden Verkehr heraus
kann die Polizei Fahrer auch durch Zeichen zum Halten aufgefordert.
Anhaltezeichen können auch durch »Anhaltesignalgeber« (ASG) gegeben werden,
zum Beispiel durch folgende Leuchtschriften: »Stop Polizei« oder »Bitte
folgen«.
Anhaltezeichen können aber auch
Handzeichen oder mittels einer sogenannten »Winkerkelle« gegeben werden.
Wird der Fahrer von einem
Polizeifahrzeugahrzeug von hinten mittels ASG gestoppt, ist er gehalten,
möglichst frühzeitig an einer dafür geeigneten Stelle anzuhalten.
Entsprechende Anweisungen können dem Fahrer durch Lautsprecherdurchsagen
gegeben werden. Fahrzeugführer, die den »Zeichen und Weisungen von
Polizeibeamten« keine Folge leisten, handeln ordnungswidrig, siehe
§ 36 StVO (Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten).
Anhalten ist ein Vorgang, der im
Zusammenhang mit den nachfolgend aufgeführten polizeilichen
Kontrollmaßnahmen gesetzlich geregelt ist:
-
Anhalten zur Verkehrskontrolle
-
Anhalten zur Befragung auf der
Grundlage des Polizeigesetzes
-
Anhalten zum Zweck der
Identitätsfeststellung (diese Rechtsfolge gehört zu den
ungeschriebenen erforderlichen Maßnahmen zur
Identitätsfeststellung).
In allen Fällen des Anhaltens wird
nicht die Freiheit einer Person beschränkt, sondern einer Person wird
lediglich für die Dauer der Kontrollmaßnahme die Möglichkeit genommen,
die eigene Handlungsfreiheit ungehindert ausüben zu können.
Wäre das nicht so, dann wären alle
Verkehrskontrollen, die die Polizei täglich durchführt,
verfassungswidrig.
Verfassungswidrig deshalb, weil Eingriffe in die
persönliche Bewegungsfreiheit nur auf der Grundlage eines förmlichen
Gesetzes zulässig sind. Bei der Straßenverkehrsordnung (StVO) handelt es sich
jedoch nicht um ein förmliches Gesetz, so dass Eingriffe in die
Bewegungsfreiheit (Freiheitsbeschränkungen und Freiheitsentziehungen)
nicht zulässig sind.
Bei der StVO handelt es sich lediglich um eine
Rechtsverordnung, die nicht den Anforderungen eines förmlichen Gesetzes
zu entsprechen vermag.
Eingriffe in das Recht auf Bewegungsfreiheit
setzen aber ein förmliches Gesetz voraus. Im Grundgesetz heißt es
diesbezüglich: »Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines
förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen
Formen beschränkt werden.«
In der Lehre wird darüber
hinausgehend die Auffassung vertreten, das die Dauer, die erforderlich
ist, um eine polizeiliche Kontrollmaßnahme durchführen zu können, nicht
als ein Eingriff in die Bewegungsfreiheit einer Person anzusehen ist,
wenn die Zeit, die für solch eine Maßnahme üblicherweise aufzuwenden
ist, nicht überschritten wird.
Diese Dauer soll, in Abhängigkeit
von der durchzuführenden Maßnahme, bis zu zwei Stunden zulässig sein.
[Beispiel:] Die Polizei wird zum Busbahnhof gerufen. Dort erklärt
ein Buskontrolleur: »Ich habe diesen Mann beim Schwarzfahren ertappt. Er
will nicht bezahlen und verweigert mir seine Personalien.« Die Beamten
sprechen mit dem Mann und weisen ihn auf die rechtlichen Konsequenzen
seiner Verweigerungshaltung hin. Danach ist er einsichtig. Er nennt
Namen und Anschrift, kann sich aber nicht ausweisen. Daraufhin
übermittelt einer der Beamten die mitgeteilten Daten über Funk an die
Leitstelle zum Zwecke der Überprüfung in der Einwohnermeldedatei. Die
Rückmeldung lautet, dass die mitgeteilten Daten zutreffend sind. Nunmehr
sind die Beamten überzeugt, dass der Mann die Wahrheit gesagt hat und
sie lassen ihn ohne weitere Prüfung frei. Rechtslage?
Der Mann ist einer Straftat gemäß
§ 265a StGB (Erschleichen von Leistungen) verdächtig. Zur
Verfolgung dieser Straftat ist die Identitätsfeststellung erforderlich.
Dazu darf er angehalten werden. Die Befugnis zum Anhalten deckt auch die
für die Überprüfung erforderliche Verweilzeit ab. Eine
Freiheitsbeschränkung ist das noch nicht. Die Polizei darf die
Überprüfung jedoch nicht unnötig verzögern. Sind die Beamten überzeugt,
dass die angegebenen Personalien stimmen, darf die betroffene Person zum
Zwecke der Personalienfeststellung nicht weiter festgehalten werden.
Willkürliche Verzögerungen sind stets unzulässig.
[Anhalten und
Belehrungspflichten:] Eine Person, die von der Polizei zum Zweck der
Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten angehalten wurde,
ist von der Polizei darüber zu belehren, was der Person vorgeworfen
wird. Bereits in dieser Phase ist die angehaltene Person zu belehren
(§ 163b Abs. 1 mit Hinweis auf 163a Abs. 4). Dort heißt es, dass bei der
ersten Vernehmung des Beschuldigten durch Beamte des Polizeidienstes dem
Beschuldigten zu eröffnen ist, welche Tat ihm zur Last gelegt wird.
[Hinweis:] Solange die
Maßnahme sich noch in der Phase des Anhaltens befindet, wird der
Verdächtige nicht festgehalten.
[Beispiel:] Ein Polizeibeamter
hat einen jungen Mann beobachtet, wie dieser im Vorbeigehen einer
anderen Person ein Smartphone aus dessen »Gesäßtasche« gezogen hat. Der
Beamte fordert den Mann auf, stehen zu bleiben und sich auszuweisen.
Rechtslage?
Bei dem Mann handelt es sich um
einen Tatverdächtigen, der von dem Polizeibeamten aufgefordert wurde,
stehen zu bleiben und sich auszuweisen. Da der Mann dieser Aufforderung
nachkommt, kann die Identität des Mannes festgestellt werden. Nachdem
der Beamte Einsicht in den Personalausweis genommen hat, den der
Tatverdächtige ihm auf Verlangen aushändigt und die Daten im Wege eines
Datenabgleichs auf Richtigkeit überprüft hat, steht die Identität des
Tatverdächtigen fest.
Dieser Kontrollvorgang wird kaum
mehr als 10 Minuten Zeit in Anspruch nehmen. Das ist die Zeit, die für
solch eine Kontrolle normalerweise aufzuwenden ist.
[Hinweis:] Ob der Mann nach
Feststellung seiner Identität von der Polizei »in die Freiheit
entlassen« wird, ist dennoch fraglich. Der Mann wurde immerhin auf
frischer Tat betroffen und bei Taschendieben kann es sich durchaus um
Serientäter handeln, so dass - nach der hier vertretenen
Rechtsauffassung - der Mann nur dann »seines Weges gehen darf« wenn
zuvor geprüft wurde, ob der Mann bereits erkennungsdienstlich behandelt
worden ist. Sollte das nicht der Fall sein, wäre solch eine
erkennungsdienstliche Bahandlung unverzüglich nachzuholen,
vorausgesetzt, dass die Fachdienststelle »Erkennungsdienst« zurzeit
besetzt ist.
[Hinweis:]
Selbstverständlich wird dem Tatverdächtigen auch das gestohlene
Smartphone abgenommen, um es dem Geschädigten zurückgeben zu können.
Diese polizeiliche Maßnahme hat aber mit § 163b StPO nichts zu tun.
Dabei handelt es sich um eine Beschlagnahme zum Zweck der
Rückgewinnungshilfe.
Rückgewinnungshilfe deshalb, weil durch Rückgabe
des gestohlenen Smartphones an den Geschädigten der Schaden beseitigt
wird, der diesem (dem Geschädigten) aus der Straftat entstanden ist. Nähere Ausführungen zu
dieser besonderen Form der Beschlagnahme auf der Grundlage der StPO wird
in einem gesonderten Kapitel erörtert.
04.4 Anhalten und Durchsuchung zur
Eigensicherung
TOP
Personen, deren Identität zum
Zweck der Strafverfolgung oder zum Zweck der Verfolgung von
Ordnungswidrigkeiten auf der Grundlage von
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) festgestellt werden sollen, können bereits vor
dem Beginn der Maßnahme zum Zweck der »Eigensicherung« durchsucht
werden, wenn das geboten erscheint.
Diese Durchsuchung zur
Eigensicherung ist keine Rechtsfolge, die sich aus § 163b StPO
(Identitätsfeststellung) ergibt.
[Durchsuchung zur
Eigensicherung:] Bei dieser Durchsuchung handelt es sich um eine
Durchsuchung zur Gefahrenabwehr auf der Grundlage einer speziellen
Befugnis des Polizeigesetzes. Diese Durchsuchung besteht darin,
festzustellen, ob die Person gefährliche Gegenstände mit sich führt.
Zweck dieser Durchsuchung ist es
nicht, Identitätspapiere zu finden.
Im
§ 39 Abs. 2 PolG NRW
(Durchsuchung von Personen) ist in NRW die Durchsuchung zur
Eigensicherung gesetzlich geregelt. Entsprechende Befugnisse enthalten
alle Polizeigesetze in Deutschland.
Im § 39 Abs. 2 PolG NRW heißt es
u.a.:
(2) Die Polizei kann eine Person,
deren Identität nach diesem Gesetz oder anderen Rechtsvorschriften
festgestellt werden soll, nach Waffen, anderen gefährlichen Werkzeugen
und Explosivmitteln durchsuchen, wenn das nach den Umständen zum Schutz
des Polizeivollzugsbeamten oder eines Dritten gegen eine Gefahr für Leib
oder Leben erforderlich ist.
[Beispiel:] Polizeibeamte gelingt es, einen Fahrzeugführer
anzuhalten, der seinen Pkw beschleunigte, als ein Polizeibeamter ihn zum
Zweck einer allgemeinen Verkehrskontrolle anhalten wollte. Den Beamten
gelingt es, das Fluchtfahrzeug in einer abgelegenen Seitenstraße
anzuhalten. Ein Beamter fordert den Fahrer auf, aus dem Fahrzeug
auszusteigen, die Hände auf das Dach des Pkw zu legen und die Beine zu
spreizen. Bei der Durchsuchung werden keine gefährlichen Gegenstände
gefunden. Rechtslage?
Der Fahrzeugführer hat
Anhaltezeichen von Polizeibeamten nicht beachtet. Insoweit steht er
zumindest im Verdacht, eine Verkehrsordnungswidrigkeit begangen zu
haben. Zur Verfolgung dieser OWi kann der Fahrer angehalten werden,
damit erforderlichenfalls gegen ihn das Bußgeldverfahren betrieben
werden kann. Als Befugnis kommt
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) in
Betracht, weil zur Einleitung eines Bußgeldverfahrens die Identität des
Betroffenen bekannt sein muss.
Eine solche Maßnahme ist
beabsichtigt.
Zum Zweck der Eigensicherung ist
es auf der Grundlage von
§ 39 Abs. 2 PolG NRW (Durchsuchung)
zulässig, eine Person nach mitgeführten Waffen und sonstigen
gefährlichen Gegenständen zu durchsuchen, wenn das nach den Umständen
zum Schutz des Polizeivollzugsbeamten oder eines Dritten gegen eine
Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist.
Diese besonderen Umstände
sind gegeben, wenn Polizeibeamte sich gefährdet fühlen.
[Fazit:] Auf der Grundlage
von
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) kann die Person
angehalten und zum Zweck der Eigensicherung auf der Grundlage von
§ 39 Abs. 2 PolG NRW (Durchsuchung der Person) nach gefährlichen
Gegenständen durchsucht werden.
04.5 Festhalten gemäß § 163b StPO
TOP
Eine Person wird i.S.v.
§ 163b
Abs. 1 StPO
(Identitätsfeststellung) festgehalten, wenn sie daran gehindert wird, sich vom
Anhalte- bzw. Feststellungsort wegzubegeben.
Stellt sich der Beamte einer
Person in den Weg, um sie am Weggehen zu hindern, sind die Merkmale
einer Freiheitsbeschränkung erfüllt. Ergreift er sie und hält er sie mit
den Händen fest, handelt es sich um eine Freiheitsentziehung.
Freiheitsbeschränkung und
Freiheitsentziehung werden vom Begriff des »Festhaltens« erfasst.
Das Festhalten Tatverdächtiger ist
nur zulässig, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind:
Sind die Voraussetzungen für ein
Festhalten im Sinne von § 163b StPO gegeben, können nachfolgend
aufgeführte Rechtsfolgen greifen:
-
Durchsuchung der Person und
von ihr Mitgeführter Sachen zum Zweck der Identitätsfeststellung
-
Verbringen der Person zur
Polizeiwache, wenn anders die Identität nicht festgestellt werden
kann
-
Durchführung
erkennungsdienstlicher Behandlungen zum Zweck der
Identitätsfeststellung.
Im Folgenden sollen zuerst einmal
nur die Voraussetzungen benannt werden, die für ein Festhalten generell
gegeben sein müssen.
Im Beschluss des BVerfG vom
27.01.1992 - 2 BvR 658/90 heißt es diesbezüglich:
Ein Festhalten zur
Identitätsfeststellung kommt nur dann in Betracht,
»wenn die Identität »sonst« (...) bzw. »auf andere Weise« (...) nicht
oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann.
Diese gesetzliche Konkretisierung des Übermaßverbotes (...) soll
sicherstellen, dass ein Eingriff in die persönliche Freiheit nur in
Fällen erfolgt, in denen er zur Feststellung der Identität unerlässlich
ist (...).« [En02] 2
[Festhalten:] Ein
Festhalten im Sinne von § 163b StPO ist eine Freiheitsentziehung im
Sinne von Art. 104 Abs. 2 GG, jedoch noch keine vorläufige Festnahme.
Das Festhalten beginnt, sobald der
Betroffene daran gehindert wird, sich zu entfernen. Die eindeutige
Aufforderung, am Kontrollort zu verweilen, ist als Beginn eines
Festhaltens zu bewerten.
Eine Person, die lediglich
angehalten und aufgefordert wird, sich auszuweisen, wird noch nicht
festgehalten. Der damit verbundene Eingriff in die allgemeine
Handlungsfreiheit ist vom Rechtsbegriff des »Anhaltens« erfasst.
Da eine Festhalteanordnung an
keine besondere sprachliche Form gebunden ist, muss sie eindeutig sein.
[Beispiel:] Eine Person wurde von der Polizei angehalten, um die
Identität der Person feststellen zu können. Als der Polizeibeamte die
Person auffordert, sich auszuweisen, geht der Mann einfach weiter. Zur
Verdeutlichung dessen, was der Beamte von der Person erwartet, sagt er:
»Bleiben Sie stehen, Sie können für die Dauer der Kontrolle diesen Ort
nicht verlassen!« Anhalten oder festhalten?
Offenkundig ist, dass der Mann
zuerst einmal nur angehalten wurde, um die Identität des Mannes
feststellen zu können. Als er weitergehen wollte, wurde er angewiesen,
den Kontrollort nicht zu verlassen. Das ist als Beginn eines Festhaltens
und somit als Beginn einer Freiheitsentziehung zu bewerten.
Von einer Festhalteanordnung ist
auch auszugehen, wenn eine Person von Polizeibeamten durch
»In-den-Weg-Stellen« oder durch Festhalten an der Kleidung oder am
Oberarm daran gehindert wird, den Kontrollort zu verlassen.
Die Freiheitsentziehung beginnt
damit, den Verdächtigen daran zu hindern, sich vom Kontrollort zu
entfernen, dazu genügt schon
die eindeutige Aufforderung, am Ort zu verweilen.
Neben dem Verbringen zum
Polizeidienstgebäude kann ein Festhalten auch in einem Streifenwagen, in
anderen Räumen oder auch durch bloße Bewachung am oder in der Nähe des
Kontrollortes erfolgen.
Die Verwahrungsart
bestimmen die jeweils einschreitenden Polizeibeamten.
04.6 Voraussetzungen des
Festhaltens
TOP
In
§ 163b
Abs. 1 S. 2 StPO
(Identitätsfeststellung) heißt
es: Der Verdächtige darf festgehalten werden, wenn die Identität sonst
nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden
kann.
[Nichtfeststellbarkeit der
Identität:] Die Identität kann nicht festgestellt werden wenn:
-
Angaben verweigert werden
-
ein falscher Name angegeben
wird
-
unzureichende Ausweispapiere
vorgelegt werden
-
Zweifel im Hinblick auf die
Echtheit der Papiere bestehen
-
widersprüchliche Angaben des
Verdächtigen ausgeräumt werden müssen
-
es sich bei der Person um
einen nicht registrierten Ausländer handelt.
Erhebliche Schwierigkeiten:
-
wenn Rückfragen erforderlich
sind
-
zur Gewalttätigkeit neigende
Personen eine Identitätsfeststellung am Kontrollort nicht zulassen
oder erschweren
-
Beamte durch Umstehende
bedroht werden.
Umstehende Personen ohne
erkennbare Aggressionsbereitschaft oder schlechtes Wetter fallen nicht
darunter.
[Zwang:] Das Verbringen
einer Person zur Polizeidienststelle kann zwangsweise durchgesetzt
werden, wenn die Person sich weigert, zum Beispiel in den Streifenwagen
einzusteigen.
04.7 Festhalten durch Einkesselung
TOP
[BVerfG 2016:] Im November 2016 entschied das BVerfG
über einen Fall polizeilicher Einkesselung wie folgt:
[Anlass:] Die polizeiliche
Einkesselung einer Gruppe zuvor ausgeschlossener Versammlungsteilnehmer
zur Feststellung ihrer Identität war der begründete Verdacht, dass aus
dieser Gruppe Straftaten zu erwarten waren.
Die Richter
des BVerfG stellten fest, dass unter den gegebenen Voraussetzungen das
Einkesseln und das damit verbundene kurzfristige Festhalten der Personen
zum Zweck ihrer Identitätsfeststellung zulässig gewesen sei.
Sinngemäß heißt es in dem Beschluss:
1. Der
Schutz des Versammlungsgrundrechts besteht auch bei Ausschreitungen
einer Minderheit der Teilnehmer für den Aufzug als solchen fort. Werden
Versammlungsteilnehmer zum Zwecke Strafverfolgung vom restlichen
Demonstrationszug abgespalten, so haben die staatlichen Organe die
grundrechtsbeschränkenden Normen der Strafprozessordnung im Lichte der
Bedeutung der Versammlungsfreiheit auszulegen und sich bei ihren
Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger
Rechtsgüter notwendig ist.
2. Voraussetzung für die Feststellung
der Identität und die hierzu dienende Freiheitsentziehung eines
Versammlungsteilnehmers nach §§ 163b (Maßnahmen zur
Identitätsfeststellung), 163c StPO (Freiheitsentziehung zur
Identitätsfeststellung) ist der Verdacht einer Straftat, der auf einer
hinreichenden objektiven Tatsachengrundlage beruhen sowie individuell
bezogen auf den konkreten Betroffenen bestehen muss. Nicht ausreichend
ist die bloße Teilnahme an einer Versammlung, aus der heraus durch
andere Gewalttaten begangen werden.
3. Allerdings ist es
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Polizei gegen eine
ganze Gruppe von Versammlungsteilnehmern vorgeht, weil sich aus deren
Gesamtauftreten ein Anfangsverdacht gegenüber allen Gruppenmitgliedern
ergibt. Dies kann etwa der Fall sein bei einer in sich geschlossenen
Gruppe, die sich durch dichtgedrängte Staffelung, Sichtschutz und
Vermummung vom übrigen Versammlungsgeschehen abhebt und aus der heraus
eine Vielzahl von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten begangen werden.
4. Eine Einkesselung auch einer geringen Zahl friedlicher
Versammlungsteilnehmer ist insoweit verfassungsrechtlich hinnehmbar,
wenn die Polizei sogleich nach der Kesselbildung mit der
Versammlungsleitung in Verhandlungen zur Fortsetzung des Aufzugs
eintritt und durch die Einrichtung von Video-Durchlassstellen die zügige
Identitätsfeststellung der eingeschlossenen Versammlungsteilnehmer noch
vor Ort ermöglicht. Unter diesen Voraussetzungen kann auch davon
abgesehen werden, die festgehaltenen Personen einem Richter vorzuführen.
5. In den genannten Fällen kann bei der nachträglichen gerichtlichen
Überprüfung der Maßnahmen ohne Verstoß gegen die Pflicht zur
Sachaufklärung bei Freiheitsentziehungen und ohne Verletzung des Rechts
auf rechtliches Gehör darauf verzichtet werden, das gesamte an den
Durchlassstellen gewonnene Videomaterial beizuziehen, weil sich der
Anfangsverdacht gegen einen Versammlungsteilnehmer bereits aus dessen
Zugehörigkeit zu der abgegrenzten, gewalttätigen Gruppe ergeben hat.
Unerheblich ist, ob das Verfahren gegen ihn später eingestellt worden
ist. [En02a]
Die folgenden Ausführungen zeigen auf, dass das Einkesseln von Personen
zum Zweck ihrer Identitätsfeststellung auch in anderen Fällen in
Betracht kommen kann.
Anlässlich von Versammlungen und
Ansammlungen kann es zum Zweck der Verfolgung von Straftaten
erforderlich werden, Personengruppen mit starken Polizeikräften zu
umstellen (einzukesseln), um die Identität der »eingeschlossenen«
Personen festzustellen, um Strafverfahren einleiten zu können.
[Polizeifestigkeit des
Versammlungsgesetzes:] Diesbezüglich ist anzumerken, dass lediglich
im Bereich der Gefahrenabwehr von einer Polizeifestigkeit ausgegangen
werden kann, weil die zur Abwehr versammlungsrechtlicher Gefahren
vorhandenen Regelungen des Versammlungsrechts den allgemeinen Regelungen
des Polizeigesetzes vorgehen.
Für erforderlich werdende
strafprozessuale Maßnahmen gilt das nicht.
Dennoch ist es erforderlich, zuvor die Personen aus
einer Versammlung auszuschließen, die strafbare Handlungen begehen.
[Beispiel:] Anlässlich einer Versammlung von Neonazis kommt es zu
folgendem Vorfall: Eine Gruppe von ca. 15 Personen skandiert: »Jude,
Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein!« Während die Gruppe
diese Parole skandiert, erheben alle die rechte Hand zum »Deutschen
Gruß« (Hiltlergruß). Der Polizei gelingt es mit starken Kräften, die
Gruppe zu umstellen. Da aufgrund des aggressiven Verhaltens der
»eingekesselten« Personen mit Ausschreitungen zu rechnen ist, werden
alle in einer Seitenstraße so lange festgehalten, bis sie zur Feststellung ihrer Identität zur Polizeiwache verbracht
werden können.
Rechtsalge?
[Volksverhetzung:] Nach der
hier vertretenen Rechtsauffassung handelt es sich bei der Parole: »Jude,
Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein!« um eine
Äußerung, die den Tatbestand des
§ 130 StGB
(Volksverhetzung) erfüllt. Bei der Straftat handelt es sich um ein
Offizialdelikt, das von Amts wegen zu verfolgen ist.
[Hitlergruß:] Bei dem
deutschen Gruß (Hitlergruß) handelt es sich um eine Straftat im Sinne
von
§ 86a Abs. 2 StGB (Verwenden von Kennzeichen
verfassungswidriger Organisationen). Lediglich wenn der Hitlergruß als
Mittel der Provokation benutzt wird, können diesbezüglich Zweifel
bestehen.
[AG Köln:] Nach Ansicht des
Gerichts und der Staatsanwaltschaft liegt strafbares Handeln nicht vor,
wenn der Hitlergruß rein als Provokation und Beleidigung gegenüber
Polizeibeamten gezeigt habe. Die für die Erfüllung des Tatbestandes des
§ 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB notwendige subjektive Identifikation mit dem
ideologischen Gedankengut des Nationalsozialismus soll dann nicht
gegeben sein. [En03] 3
[BGH 1972:] Das Gericht hob
1972 die Verurteilung eines Demonstranten auf, der Polizisten den
Hitlergruß gezeigt hatte. Dieser singuläre und kurze Protest gegen
vermeintlich nazistische Methoden der Polizei könne noch nicht zu einer
Gewöhnung der Öffentlichkeit an NS-Symbole führen.
[Rn. 13:] Handelte es sich dabei
um eine einmalige Verwendung der Art, dass die Kennzeichen nur kurz in
das äußere Erscheinungsbild traten und dass damit eine Nachwirkung auf
Dritte in einer dem Symbolgehalt dieser Kennzeichen entsprechenden
Richtung von vornherein ausgeschlossen war, so bedürfte es der
Feststellung besonderer Umstände, die das Handeln des Angeklagten
dennoch als einen Verstoß gegen § 86 a StGB erscheinen lassen könnten.
Ein solcher Verstoß könnte auch dann anzunehmen sein, wenn etwa zur
Tatzeit in Berlin bei öffentlichen Demonstrationen NS-Kennzeichen in
einer Häufung verwendet worden wären, die den Schluss rechtfertigte, die
Verwendung dieser Kennzeichen in der Öffentlichkeit habe - dem
Schutzzweck des § 86 a StGB zuwider - gedroht, sich wieder einzubürgern.
[En04] 4
[OLG Oldenburg 2010:] Hitlergruß
zur bloßen Provokation ist strafbar! Auch wer mit einem Hitlergruß in
der Öffentlichkeit nur Aufmerksamkeit erregen und provozieren will und
dabei keine politischen Absichten verfolgt, macht sich nach § 86a StGB
strafbar. Das entschied das OLG Oldenburg mit seinem Urt. v. 26.07.2010
– 1 Ss 103/10.
Im Urteil des OLG Oldenburg heißt
es:
Da § 86a StGB verhindern will,
dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher
Organisationen - ungeachtet der damit verbundenen Absichten - sich als
Form einer allgemein üblichen, selbst bei nichtigem Anlass
gebräuchlichen Unmutsäußerung (...) oder als allgemeine Form der
Provokation derart einbürgert, dass das Ziel des Gesetzgebers, solche
Kennzeichen generell aus dem öffentlichen Erscheinungsbild zu verbannen,
nicht erreicht wird, ist die Ansicht des Landgerichts, das Verhalten des
Angeklagten sei im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm des § 86a StGB
vollkommen ohne Belang, rechtsfehlerhaft und rechtfertigt den Freispruch
nicht. Der Umstand, dass der Angeklagte deutlich alkoholisiert war und
es sich bei ihm um einen dissozialen Menschen handelt, führt zu keiner
anderen Beurteilung seines Verhaltens. [En05] 5
[Sachverhaltsanwendung:]
Offensichtlich ist, dass es sich bei dem gezeigten Verhalten um eine
Straftat im Sinne von
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung)
handelt. Die für diese Tat in Betracht kommenden Personen wurden von der
Polizei umstellt und somit daran gehindert, den Kontrollort zu
verlassen. Dieses Festhalten war erforderlich, weil aufgrund gezeigten
aggressiven Verhaltens der Tatverdächtigen vor Ort anders die Identität
der Personen nicht festgestellt werden konnte. Das gezeigte Verhalten
der eingeschlossenen Personen macht es der Polizei auch nicht möglich,
die Identitäten der Tatverdächtigen am Kontrollort festzustellen.
Insoweit liegen die Voraussetzungen der Befugnis vor, die
Tatverdächtigen zur Feststellung ihrer Identität zur Polizeiwache zu
verbringen. Darüber sind die Tatverdächtigen zu belehren. Nach erfolgter
Feststellung der Einzelidentitäten sind die Personen wieder auf freien
Fuß zu stellen.
[Anmerkung:] Vor Ort einschreitende Polizeibeamte
können nicht abschließend darüber entscheiden, ob das gesehenes
Verhalten tatsächlich als strafbares Verhalten anzusehen ist. Insoweit
reicht für die Rechtfertigung polizeilichen Handelns immer
tatbestandliches und rechtswidriges Verhalten aus.
Das Festhalten der Personen zum Zweck der Identitätsfeststellung könnte
im o.g. Beispielsfall auch auf § 164 StPO (Störung einer Amtshandlung)
gestützt werden.
[Anlass:] Einkesselung von zuvor aus einer Versammlung
ausgeschlossenen Personen, deren Identität festgestellt werden sollte.
Im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Versammlungsleitung - die darin
eine rechtswidrige Maßnahme der Gefahrenabwehr erkannte - begründete die
Polizei ihr Einschreiten damit, dass es sich um eine Maßnahme zur
Verfolgung von Straftaten handele, und ein Festhalten auf der Grundlage
von § 164 StPO (Festhalten von Störern) gerechtfertigt sei.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof folgte der Rechtsauffassung der
Polizei.
Im Beschluss vom 24.02.2014 - 8 F 263/14 heißt es:
[Rn. 3:] »Aufgrund dieser
Darstellung ist der Senat davon überzeugt, dass die Einkesselung eines
Teils der Demonstrationsteilnehmer um 12:49 Uhr begonnen und nach 14:37
Uhr fortgesetzt wurde, um bei den »separierten« Personen
Identitätsfeststellungen durchzuführen und dadurch deren Strafverfolgung
zu ermöglichen.
Die Maßnahme erweist sich damit als polizeiliche
Amtstätigkeit nach
§§ 163 c Abs.1 und 2 und § 164 StPO (vgl. dazu Karlsruher Kommentar zur
Strafprozessordnung, 7. Aufl. 2013, Rn. 7 zu § 164).
04.8 BVerfG zur Id-Feststellung
TOP
Neben dem bereits erörterten
Beschluss des BVerfG zur Identitätsfeststellung aus dem Jahre 1992 hat
sich das Bundesverfassungsgericht aus gegebenem Anlass mit Beschluss vom
8. März 2011 - 1 BvR 142/05 - umfassend dazu geäußert, wie § 163b StPO
von der Polizei auszulegen ist.
[Rn. 19:]
»§ 163b Abs. 1 Satz 1 StPO ermächtigt Polizeibeamte, gegenüber einem
Verdächtigen die notwendigen Maßnahmen zur Identitätsfeststellung zu
treffen, also den Betreffenden nach seinen Personalien zu befragen und
diesen aufzufordern, mitgeführte Ausweisdokumente auszuhändigen. Nur
dann, wenn die Identität des Betreffenden auch unter Ausschöpfung dieser
Maßnahmen nicht mit der erforderlichen Sicherheit geklärt werden kann
oder dies mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre, kommt ein
weiteres Festhalten nach Satz 2 in Betracht. Ein weiterer Eingriff in
das Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG darf also nur dann
erfolgen, wenn die Polizei auf der Basis der bereits bekannten Daten
berechtigte Zweifel an der Identität der Person hat.«
Da der Beschwerdeführer sich
gegenüber der Polizei vor Ort mit einem Reisepass samt Meldebestätigung
ausgewiesen hatte, heißt es diesbezüglich im Beschluss in der gleichen
Randnummer weiter:
[Rn. 19:]
»Diese amtlichen Dokumente sind zur Feststellung der Identität geeignet.
Anhaltspunkte dafür, dass der Pass des Beschwerdeführers gefälscht war
oder seine Person nicht mit dem Passinhaber übereinstimmte, etwa, weil
das Foto keine oder nur geringe Ähnlichkeit mit ihm aufwies, sind nicht
(....) ersichtlich. Daher ist - insbesondere im Hinblick auf das
verfassungsrechtlich fundierte Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen bloßer
Identitätsfeststellung und weiterem Festhalten - davon auszugehen, dass
es den Polizeibeamten möglich war, die Identität aufgrund des
vorgelegten Reisepasses vor Ort hinreichend sicher festzustellen.«
Und zum Festhalten mit dem Ziel,
die Person zur Polizeiwache zu verbringen heißt es:
[Rn. 19:]
»Die Vorschrift des § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO lässt ein Festhalten zur
Identitätsfeststellung nur zu, wenn die Identität sonst nicht oder nur
unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Die
Vorschrift stellt insofern eine gesetzliche Konkretisierung des
verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebots dar und soll
sicherstellen, dass ein Eingriff in die persönliche Freiheit nur dann
erfolgt, wenn er zur Feststellung der Identität unerlässlich ist. Ein
solcher Fall lag hier nicht vor.« [En06] 6
Identitätsfeststellungen, deren
Zweck nicht darin besteht, eine bestimmbare Straftat verfolgen zu
können, sondern dazu dienen,
können nicht
auf § 163b StPO gestützt werden. [En07] 7
Wird ein Täter auf frischer Tat
betroffen, findet § 163b StPO Anwendung.
[Hinweis:]
Unabhängig davon ist aber auch ein
über
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) hinausgehendes Festhalten eines Tatverdächtigen
auf der Grundlage von § 127 Abs. 1 StPO (Vorläufige Festnahme) zulässig.
Die zur Erörterung der Zusammenhänge von § 163b und
§ 127 Abs. 1 StPO notwendigen Ausführungen sind so
umfangreich, dass sie an dieser Stelle nicht eingefügt werden können.
Nähere Ausführungen dazu stehen in dem Kapitel »§ 127 StPO (Vorläufige
Festnahme)« zur Verfügung.
Für Identitätsfeststellungen an
Kontrollstellen im Sinne von
§ 111 Abs. 1 StPO
(Errichtung von
Kontrollstellen an öffentlich zugänglichen Orten) ist
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) entsprechend anzuwenden.
04.9 Durchsuchung zur
Id-Feststellung
TOP
Unter den Voraussetzungen, dass
eine Person zum Zweck der Identitätsfeststellung festgehalten werden
kann, lässt
§ 163b
Abs. 1 S. 3 StPO
(Identitätsfeststellung) die Durchsuchung der Person als auch
von ihr mitgeführter Sachen zu.
Die Durchsuchung nach § 163b StPO
ist zweckgebunden.
Das heißt, dass die Durchsuchung
vorrangig dem Zweck dienen muss, nach mitgeführten Identitätspapieren zu
suchen.
Bei allen polizeilichen Maßnahmen
in dieser Phase einer Id-Feststellung handelt es sich um schwerwiegende
Rechtseingriffe, die nur dann zulässig sein können, wenn sie zur
Feststellung der Identität unerlässlich sind.
Einschreitende Polizeibeamte
sollten deshalb stets darum bemüht sein, ohne größeren Zeitverlust an
Ort und Stelle die Identität einer Person mit den Mitteln festzustellen,
die in der Phase des Anhaltens zur Verfügung stehen (Anhalten, Befragen,
Aushändigung von und Einsichtnahme in Ausweispapiere).
[Datenabgleich:] Erhobenen
Daten können auf der Grundlage von
§ 98c StPO (Maschineller
Abgleich mit vorhandenen Daten) mit vorgehaltenen Datenbeständen
abgeglichen werden.
Welche Mittel zur Feststellung der
Identität einer Person letztendlich in Betracht kommen, wird jedoch
immer von den Gegebenheiten abhängen, die sich einschreitenden
Polizeibeamten im entscheidungserheblichen Zeitpunkt stellen.
Kommt es zur Durchsuchung und
führt diese zum Erfolg, dann entfällt damit (im Normalfall) die Mitnahme zur
Polizeidienststelle und auch eine erkennungsdienstliche Behandlung zum
Zweck der Identitätsfeststellung.
Ist die Durchsuchung erfolglos,
oder werden Papiere gefunden, die einer näheren Prüfung unterzogen
werden müssen, dann ist eine Mitnahme zur Polizeiwache zulässig.
Zweck der Durchsuchung zur
Feststellung der Identität einer Person ist es:
die eine
Identifizierung der Person ermöglichen.
[Durchsuchung von Sachen:]
Mitgeführte Sachen, über die der Betroffene zurzeit der Durchsuchung die
tatsächliche Sachherrschaft ausübt, können zum Zweck der
Identitätsfeststellung ebenfalls durchsucht werden.
Die Besitz- bzw.
Eigentumsverhältnisse sind nicht von Bedeutung.
Richtet sich die Durchsuchung
gegen den Fahrer eines Kraftfahrzeuges, ist das Fahrzeug als eine von
ihm mitgeführte Sache zu behandeln.
Männer sollten nur von Männern und
Frauen nur von Frauen körperlich durchsucht werden. Diese Beschränkung
gilt nicht für die Durchsuchung von Sachen.
[Durchsuchung der Person:]
In der Regel reicht es aus, die Kleider des Verdächtigen mit dem Ziel zu
durchsuchen, dort mitgeführte Ausweispapiere zu finden.
[Beispiel:] Ein Schwarzfahrer will nicht einsehen, dass wegen solch
einer Lappalie seine Personalien festgestellt werden sollen. Er
verweigert deshalb jegliche Angaben zur Person. Kurz entschlossen greift
der überprüfende Polizeibeamte nach Androhung der nunmehr erforderlich
werdenden Durchsuchung in die Innentasche des Jacketts des
Schwarzfahrers. Dort findet der Beamte den Personalausweis. Nachdem er
die Personalien notiert hat, gibt er den Ausweis zurück. War das
zulässig?
Der Schwarzfahrer steht im
Verdacht, eine Straftat begangen zu haben, insoweit kann seine Identität
auf der Grundlage von § 163b StPO festgestellt werden. Zu dem Zeitpunkt, als der
Schwarzfahrer sich weigerte, Angaben zur Person zu machen, waren die
Voraussetzungen für ein Festhalten gegeben.
Um zu vermeiden, dass der
Schwarzfahrer zur Feststellung seiner Person der Polizeiwache zugeführt
werden muss, durchsuchte der Beamte die Kleidung des Mannes. Dabei wurde
der Personalausweis gefunden.
Durch diese Vorgehensweise erübrigte sich das
Verbringen des Schwarzfahrers zur Polizeiwache, weil durch Einsichtnahme
in ein amtliches Ausweispapier die Identität eines Tatverdächtigen
festgestellt werden konnte. Festzustellen ist, dass mit den mildesten zur
Verfügung stehenden Rechtsfolgen (Durchsuchung des Schwarzfahrers)
dessen Identität festgestellt wurde.
[Hinweis:] Zu beachten ist,
dass Personen zur Identitätsfeststellung nur von Personen gleichen
Geschlechts oder von Ärzten körperlich durchsucht werden dürfen. Insoweit gelten
die Regeln der Polizeigesetze entsprechend (z. B. § 39 Abs. 3 PolG NW).
Handelt es sich bei der zu durchsuchenden Person um eine Frau und ist
vor Ort weder eine Frau noch ein Arzt für eine Durchsuchung verfügbar,
muss entweder ein Arzt oder eine Frau zum Überprüfungsort gerufen
werden. Ist das nicht möglich, muss
die Person zur Dienststelle verbracht und dort von einer Frau oder
einem Arzt nach Identitätspapieren durchsucht werden.
Diese Durchsuchungsbeschränkung
gilt nicht für Sachen, die Personen mitführen.
Die geschlechtsbezogene
Durchsuchungsbegrenzung gilt nicht, wenn die Voraussetzungen von § 39
Abs. 3 PolG NRW (Durchsuchung von Personen) greifen.
Dort heißt es:
(3) Personen dürfen nur von Personen gleichen
Geschlechts oder Ärzten durchsucht werden; das gilt nicht,
wenn die sofortige Durchsuchung zum Schutz gegen eine Gefahr für Leib
oder Leben erforderlich ist.
[Hinweis:] Dann handelt es sich
aber nicht um eine Durchsuchung zum Zweck der Identitätsfeststellung
sondern um eine Durchsuchung zum Zweck der Gefahrenabwehr
(Eigensicherung).
04.10 Durchsuchung mitgeführter
Sachen
TOP
Mitgeführte Sachen sind Taschen,
andere Behältnisse und Fahrzeuge.
Die Durchsuchung mitgeführter
Sachen ist keine Durchsuchung einer Person. Folglich dürfen auch
männliche Beamte mitgeführte Sachen einer Frau durchsuchen.
[Beispiel:] Ein Kaufhausdetektiv hat eine Ladendiebin auf frischer
Tat gestellt und die Polizei gerufen. Die Frau verweigert jegliche
Angaben zur Person. Sie führt jedoch eine Handtasche mit. Ein
Polizeibeamter sucht in der Tasche nach Ausweispapieren. Er findet dort
den Personalausweis der Frau und stellt anhand des Ausweises die
Personalien der Tatverdächtigen fest. Im Anschluss daran kann die Frau
ihrer Wege gehen. War die Durchsuchung zulässig?
Ohne Durchsuchung der Tasche hätte
die Identitätsfeststellung nur unter Inkaufnahme weiterer und
einschneidender Rechtseingriffe erfolgen können.
Der Beamte durfte die mitgeführte
Tasche durchsuchen, weil es sich dabei nicht um die Durchsuchung einer
Person handelte. Da es sich nicht um eine Personendurchsuchung handelte,
durfte der Beamte die mitgeführten Gegenstände (Sachen) einer Frau
durchsuchen.
§ 163b Abs. 1 Satz 3 StPO lässt
die Durchsuchung ausschließlich zum Zwecke der Identitätsfeststellung zu
(strenge Zweckbindung).
[Zufallsfund:]
Werden bei einer solchen Durchsuchung zufällig
Gegenstände gefunden, die als Beweismittel oder Einziehungsgegenstand in
Betracht kommen, sind sie als Zufallsfunde gemäß
§ 108 StPO
(Beschlagnahme anderer Gegenstände) einstweilen in Beschlag zu nehmen.
[Beispiel:] Bei der Durchsuchung eines Rucksacks, den
ein auf frischer Tat betroffener Taschendieb mit sich führt, findet
der Beamte, der den Rucksack nach Ausweispapieren durchsucht, neben dem Personalausweis auch einen Totschläger. Rechtslage?
Bei einem Totschläger handelt es sich um eine verbotene Waffe im Sinne
des Waffengesetzes.
Nach diesem Gegenstand wurde nicht gesucht, er wurde nur im Zusammenhang
einer rechtmäßigen Durchsuchung zu einem anderen Zweck gefunden. Werden
Gegenstände anlässlich von Durchsuchungen gefunden, nach denen auf der
Grundlage der angewendeten Durchsuchungsbefugnis nicht gesucht werden
durfte gefunden, handelt es sich um so genannte Zufallsfunde.
[Einziehung verbotener Gegenstände:] Auf der Grundlage
von
§ 54 WaffG (Einziehung und erweiterter Verfall)
sind Gegenstände einzuziehen, die mit einer Straftat oder
Ordnungswidrigkeit nach dem Waffengesetz in Verbindung gebracht werden
können, z.B. Schusswaffen, wenn die erforderlichen Erlaubnisse
(Waffenschein, Waffenbesitzkarte) nicht vorhanden sind sowie alle gemäß
§ 2 Abs. 3 WaffG iVm Anlage 2 Abschnitt 1 verbotenen Waffen (z.B.
bestimmte Spring- und Fallmesser, Stahlruten, Totschläger,
Molotow-Cocktails, Nun-Chaku-Würgegeräte, Präzisionsschleudern,
Wurfsterne u.a.).
Wer verbotene Waffen besitzt, begeht gemäß
§ 52 Abs. 3 WaffG (Strafvorschriften) eine
Straftat.
Tatsache ist, dass der Totschläger eine verbotene Waffe
ist und gemäß § 54 WaffG der Einziehung unterliegt, so dass er allein
deshalb gemäß § 111 b StPO iVm § 111c StPO in amtliche Verwahrung zu
nehmen ist.
Der Totschläger wurde anlässlich einer Durchsuchung gefunden, die einem
anderen Zweck diente, nämlich dem Auffinden von Ausweispapieren.
Insoweit handelt es sich um einen Zufallsfund.
04.11 Verbringen zur Polizeiwache
TOP
Wenn es zur Identitätsfeststellung
unbedingt erforderlich ist, darf der Verdächtige gemäß
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung)
zur Polizeidienststelle verbracht werden.
Das Verbringen zur Dienststelle
ist nur zulässig, wenn die Identitätsfeststellung vor Ort nicht
oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann.
Zuvor muss die Polizei vor Ort
alle in Betracht kommenden milderen, zur Identitätsfeststellung
geeigneten Mittel erwägen.
Wenn jedoch von vornherein
erkennbar ist, dass eine Identitätsfeststellung vor Ort nicht oder nur
mit außergewöhnlichem Aufwand möglich ist, dürfen Verdächtige gemäß 163b Abs. 1 StPO sofort nach dem Ergreifen zum Zwecke der
Identitätsfeststellung zur Dienststelle verbracht werden.
[Beispiel:] Schlägerei zwischen etwa 20 Personen vor einer
Gaststätte. Die Polizei wird gerufen. Unterlassungsverfügungen werden
nicht befolgt. Nunmehr gehen die Beamten dazwischen und ergreifen 6
Übeltäter. Die 6 Personen werden sofort zur Dienststelle gebracht, um
ihre Identität festzustellen. Ist das zulässig?
Wenn aus gegebenem Anlass die
Identität mehrerer Personen festgestellt werden muss und die Lage vor
Ort nicht stabil genug ist, um mit der erforderlichen Sorgfalt die
Identität dort feststellen zu können, dürfen die Personen sofort zur
Dienststelle verbracht werden.
Ein Verbringen zur Dienstelle ist
auch gerechtfertigt, wenn lediglich die Identität einer Person
festgestellt werden muss, andere Personen das jedoch
verhindern wollen.
Ferner auch dann, wenn der Verdächtige
vor Ort keinerlei Angaben macht und eine Durchsuchung seiner Kleidung
oder mitgeführter Sachen nicht zum Erfolg führt oder wenn der
Verdächtige renitent ist oder sich ständig entfernen will und deshalb
festgehalten werden muss.
[Andere Möglichkeiten:] Das
Verbringen zur Dienststelle ist unzulässig, wenn die Identität
hinreichend sicher und ohne besondere Schwierigkeiten auf andere Weise
festgestellt werden kann. Die Identitätsfeststellung dient dem Zweck,
das Strafverfahren gegen den Verdächtigen betreiben zu können. Dazu
müssen nicht in jedem Falle alle zur Identitätsfeststellung geeigneten
Umstände festgestellt werden.
In der Regel reicht es aus,
folgende Daten zu erheben:
-
Familienname
-
Vorname
-
Geburtstag und -ort
-
Ladungsfähige Anschrift.
Kann sich der Verdächtige vor Ort
nicht mit einem akzeptablen Ausweispapier ausweisen, nennt er aber die
geforderten Daten, reicht es anlässlich von so genannten
Bagatelldelikten zur Feststellung der Identität einer Person auch eine funkmäßig
veranlasste Überprüfung bekannt gewordener Daten in der Einwohnermeldedatei aus oder eine
Bestätigung der Daten durch Dritte, die entweder dem Beamten bekannt sind oder
sich ihm gegenüber mit einem gültigen Ausweis ausweisen.
Dies ist ein Gebot der
Verhältnismäßigkeit.
[Beispiel:] Die Polizei hält zur Verkehrskontrolle einen Pkw an. Die
Überprüfung ergibt, dass die Fahrerin keine Fahrerlaubnis hat und auch
sonst keine Ausweispapiere vorweisen kann. Neben ihr sitzt ein Mann.
Beide geben an, miteinander verheiratet zu sein. Der Mann (Halter des
Fahrzeuges) weist sich mit einem gültigen Ausweis aus. Rechtslage?
Beide haben eine Straftat nach
§ 21 StVG (Fahren ohne Fahrerlaubnis) begangen. Die Frau, weil sie
ohne Fahrerlaubnis gefahren ist, der Mann, weil er es als Halter des
Fahrzeuges zugelassen hat, dass jemand sein Fahrzeug führt, ohne im
Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis zu sein.
Obwohl die Frau sich nicht
ausweisen kann, ist eine Mitnahme zur Wache völlig unangemessen, weil
ihre Personalangaben, verbunden mit den Angaben ihres Mannes,
ausreichen.
Hat der Verdächtige jedoch eine
schwere Straftat begangen oder steht er gar im Verdacht, noch weitere
Straftaten begangen zu haben oder begründen Tatsachen die Annahme, dass
ein Haftgrund gegen ihn vorliegt, muss eine sorgfältige Überprüfung in
der Dienststelle erfolgen.
In solchen Fällen sind dann wohl auch die
Voraussetzungen für eine vorläufige Festnahme gegeben.
04.12 Erkennungsdienstliche
Behandlung
TOP
Zur Identitätsfeststellung ist
auch die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen zulässig, wenn
die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten
festgestellt werden kann, siehe
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung).
§ 163b Abs.1 StPO lässt
erkennungsdienstliche Maßnahmen nur zum Zwecke der
Identitätsfeststellung zu. Deshalb sind gemäß dieser Befugnis auch nur
solche erkennungsdienstlichen Maßnahmen zulässig, die zur
Identitätsfeststellung erforderlich sind.
Zulässig sind alle Maßnahmen zur
Feststellung der Person, die zur Einleitung eines strafprozessualen
Ermittlungsverfahrens benötigt werden.
[Beispiel:] Die Polizei stellt nachts nach einer Verfolgung auf
frischer Tat zwei junge Leute, die aus Protest gegen die
Rüstungsindustrie bei der Waffenfirma Scheiben eingeschlagen und einen
Molotow-Cocktail in die Geschäftsräume der Firma geworfen haben. Ein
Büro brannte aus. Die Verdächtigen werden zur Dienststelle gebracht. Sie
verweigern alle Angaben. Bei einer Durchsuchung werden keinerlei
Ausweispapiere gefunden. Dürfen die Personen ed-behandelt werden?
Die beiden Personen sind
verdächtig, Brandstiftung (§ 306 StGB) und Sachbeschädigung (§ 303 StGB)
begangen zu haben. Ferner sind sie verdächtig, eine Straftat gemäß §§
53, 37 Abs. 1 Nr. 7 WaffG begangen zu haben (Molotow-Cocktail).
Straftaten muss die Polizei
verfolgen (§ 163 StPO).
Dazu müssen gemäß § 163b Abs. 1
StPO von Tatverdächtigen alle Personaldaten festgestellt werden, die zur
Einleitung des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens benötigt werden.
Da diese Angaben von den beiden Personen verweigert und auch auf andere
Weise nicht zu erlangen sind, dürfen sie gemäß § 163b Abs. 1 StPO zum
Zwecke der Identitätsfeststellung ed-behandelt werden.
Im Beispielsfall kommen
Lichtbilder und Fingerabdrücke in Betracht.
Selbstverständlich darf die
Polizei bei mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen immer nur
diejenigen Rechtsfolgen anordnen, die die Betroffenen am wenigsten beeinträchtigen
(Grundsatz der Verhältnismäßigkeit).
Der Vollständigkeit halber sei
erwähnt, dass eine ed-Behandlung begrifflich voraussetzt, dass der
Betroffene Kenntnis von den Maßnahmen hat. Werden ohne Kenntnis des
Betroffenen Lichtbilder von ihm gefertigt, ist eine ed-Behandlung nicht
gegeben.
Deshalb handelt es sich bei der Fertigung von Radarmessfotos auch nicht
um eine erkennungsdienstliche Behandlung.
[Radarmessfotos:]
Solche Fotos zur Beweisführung von Geschwindigkeitsüberschreitungen
werden auf der Grundlage von
§ 100h StPO (Weitere
Maßnahmen außerhalb von Wohnungen) gefertigt. Danach darf die
Polizei zur Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten auch ohne
Wissen des Betroffenen Lichtbilder fertigen, wenn u. a. die Erforschung
des Sachverhaltes auf andere Weise erschwert wäre.
[Beispiel:] Ein Pkw der Fa. X wurde nach Unfallflucht in einer
Radarstelle mit 130 km/h gemessen, obwohl nur 50 km/h zugelassen sind.
Auf dem Frontalfoto ist der Fahrer deutlich zu erkennen. Durfte der
Fahrer fotografiert und das Foto dem Firmeninhaber zur Feststellung des
Fahrers vorgelegt werden?
Werden anlässlich polizeilicher
Geschwindigkeitsmessungen personenbezogene Daten des Fahrers per
Frontalfoto erhoben, wird in das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung eingegriffen. Folglich ist dazu eine Befugnis
erforderlich.
Laut Sachverhalt ist zur
Feststellung der Identität des Verdächtigen außer dem Kfz-Kennzeichen
auch der Fahrer fotografiert worden. Das Foto dient dem
Zweck, den Fahrer zu identifizieren. Gleichwohl handelt es sich nicht um
eine ed-Behandlung auf der Grundlage von
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung), weil der Betroffene davon keine Kenntnis hatte.
Jedoch darf die Polizei gemäß §
100h Abs. 1 StPO zur Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten
auch ohne Wissen des Betroffenen Lichtbilder fertigen, wenn u. a. die
Erforschung des Sachverhaltes auf andere Weise erschwert wäre. Diese
Voraussetzungen sind hier gegeben.
Wird das Foto Dritten vorgelegt
(z. B. Ehefrau oder Firmeninhaber), wird dadurch das Recht des
Verdächtigen auf informationelle Selbstbestimmung erneut tangiert. Gemäß
§ 483 Abs. 1 StPO (Datenverarbeitung für Zwecke des
Strafverfahrens) dürfen jedoch die Strafverfolgungsbehörden und somit
auch die Polizei
personenbezogene Daten nutzen, soweit dies für Zwecke der Einleitung
eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens erforderlich ist.
Nutzen ist jede Verwendung
personenbezogener Daten (§ 3 Abs. 5 BDSG).
Laut Sachverhalt ist die Vorlage
des Messfotos beim Firmeninhaber notwendig, um den Fahrer zu ermitteln.
Wird so der Fahrer festgestellt, ist die Vorlage gegenüber weiteren
Personen unzulässig.
Eine Lichtbildvorlage kann auch
auf
§ 58 Abs. 2 StPO (Vernehmung, Gegenüberstellung) gestützt
werden, wenn die Voraussetzungen einer Gegenüberstellung gegeben sind.
Die Vorschrift erlaubt eine Gegenüberstellung, wenn das für das weitere
Verfahren geboten ist. Auch solch eine Täteridentifizierung hat mit
einer Identitätsfeststellung auf der Grundlage von § 163b StPO nichts zu
tun.
[BVerfG zur Radarmessung:]
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 5.7.2010 - 2 BvR
759/10 – zu den Bildaufzeichnungen anlässlich von
Geschwindigkeitsmessungen wie folgt entschieden:
[Rn. 12:] »Das
Oberlandesgericht geht zutreffend davon aus, dass bei einer
Bildaufnahme, bei der Fahrer und Kennzeichen identifizierbar sind, ein
Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als
Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt. Als Rechtsgrundlage
hat es § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1
OWiG herangezogen und unter Berufung auf den Wortlaut ausgeführt, dass
diese Eingriffsbefugnis Bildaufnahmen zur Erforschung des Sachverhalts
sowie zu Ermittlungszwecken ermöglicht, ohne auf Observationszwecke
beschränkt zu. Die Heranziehung dieser Rechtsgrundlage (gemeint ist §
100h StPO = AR) begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.« [En08]
8
[Beispiel:] Nach einem Banküberfall, der von einem Täter ausgeführt
wurde, werden im Rahmen der
sofort eingeleiteten Fahndung drei Männer gestellt, auf die die
Personenbeschreibung des Kassierers zutrifft. Dürfen die drei Männer dem
Kassierer zur Identifizierung gegenübergestellt werden?
Voraussetzung ist zunächst, dass
sie überhaupt ergriffen werden dürfen.
Weil die Personenbeschreibung auf
alle drei Personen zutrifft, sind die drei Männer als Verdächtige
anzusehen, obwohl nur ein Täter gesucht wird. Sie dürfen deshalb zur
Identitätsfeststellung festgehalten werden.
Weil im Anfangsstadium gegen sie
ermittelt wird, sind die Männer auch Beschuldigte.
Beschuldigte dürfen gemäß § 58
Abs. 2 StPO Zeugen gegenübergestellt werden, wenn das für das weitere
Verfahren geboten erscheint. Letzteres ist hier der Fall, weil nach
Gegenüberstellung der Verdacht gegen zwei oder sogar gegen alle
entfallen sein kann.
Gegenüberstellungen sollten nur als
Wahlgegebüberstellungen durchgeführt werden.
[Hinweis:] Es ist davon
auszugehen, dass die drei Tatverdächtigen nur kurzfristig - zur
Durchführung einer Gegenüberstellung - von der Polizei festgehalten
werden. Als Befugnis für die kurzfristige freiheitsentziehende Maßnahme
kommt sowohl § 163b StPO nur für den Zeitraum in Betracht, der zur
Feststellung der Identität der drei Tatverdächtigen erforderlich ist.
Können sich diese Personen ausweisen, entfällt § 163b StPO. Ein darüber
hinausgehendes Festhalten ist dann nur noch auf der Grundlage von
§ 127 Abs. 1 StPO (Vorläufige Festnahme) oder auf der
Grundlage von
§ 81b StPO (Erkennungsdienstliche Maßnahmen bei dem
Beschuldigten) zulässig.
Näheres dazu siehe Kapitel »§ 58 (Gegenüberstellung)«.
04.13 Id-Feststellung - vorläufige
Festnahme
TOP
§ 163b Abs. 1 StPO deckt nur den
Freiheitsentzug, der zur Feststellung der Identität erforderlich ist.
Ist die Identität hinreichend
sicher festgestellt, darf der Verdächtige auf der Grundlage von § 163b
Abs. 1 StPO nicht weiter festgehalten werden.
Er darf jedoch nicht freigelassen
werden, wenn nach Feststellung der Identität noch die Voraussetzungen
für eine vorläufige Festnahme gegeben sind oder ein Haftbefehl gegen ihn
besteht.
[Beispiel:] Nach Banküberfall mit Geiselnahme wurde der Täter gegen
20.00 Uhr von Polizeikräften überwältigt. Der Täter verweigert alle
Angaben. Bei der Durchsuchung werden keinerlei Ausweispapiere gefunden.
Deshalb ordnen die Beamten eine ed-Behandlung an. Im Zuge der
ed-Behandlung gelingt es, die Identität des Täters festzustellen.
Gleichwohl verbringen die Beamten den Mann ins
Polizeigewahrsam, damit er am nächsten Morgen dem Richter
vorgeführt werden kann. Darf der Täter nach Feststellung der Identität
weiterhin festgehalten werden?
Nachdem die Identität feststeht,
darf der Täter auf der Grundlage von § 163b Abs. 1 StPO nicht mehr
festgehalten werden. Jedoch sind in diesem Falle auch die Voraussetzungen einer
vorläufigen Festnahme gegeben.
Der Täter ist eines schweren
Verbrechens (Geiselnahme) dringend verdächtig.
§ 239b StGB droht für Geiselnahme
eine Mindeststrafe von fünf Jahren an. Weil der Verdächtige mit einer
außergewöhnlich hohen Freiheitsstrafe zu rechnen hat, muss noch das persönliche Umfeld des
Tatverdächtigen sorgfällig geprüft werden, um entscheiden zu können, welche
Gründe für und welche Gründe gegen Fluchtgefahr sprechen.
Bis zum Abschluss der Prüfung des Haftgrundes
Fluchtgefahr kann der Beschuldigte auf der Grundlage von § 127 Abs.
1 StPO vorläufig festgenommen werden.
Stellt sich bei der Prüfung der
Haftgründe heraus, dass Fluchtgefahr begründbar ist, ist die vorläufige
Festnahme gemäß § 127 Abs. 1 StPO in eine vorläufige Festnahme
gemäß § 127 Abs. 2 StPO umzuwandeln. Das ist möglich, weil zum Zeitpunkt
dieser Entscheidung von Gefahr im Verzug ausgegangen werden kann, denn
nach 20 Uhr dürfte wohl kaum noch ein Richter erreichbar sein.
[Hinweis:] Im Zusammenhang
mit der Prüfung von Haftgründen ist es oftmals erforderlich, das nähere
Umfeld des Tatverdächtigen zu ermitteln, um entscheiden zu können,
welche Gründe für oder gegen Fluchtgefahr sprechen. Dazu gehört oftmals
auch die Überprüfung, ob der Tatverdächtige sich tatsächlich an dem von
ihm angegebenen und in Ausweispapieren vermerkten Wohnsitz aufhält.
Ist
das nicht der Fall, dann spricht das unweigerlich für »Fluchtgefahr«.
Da eine vorläufige Festnahme auf
der Grundlage von
§ 127 Abs. 2 StPO (Vorläufige Festnahme) erst dann
ausgesprochen werden kann, wenn alle dafür erforderlichen Fakten gegeben
sind, ist zu klären, auf welche Rechtsgrundlage ein Festhalten zu
stützen ist, wenn die Prüfung der Haftgründe noch nicht abgeschlossen,
wohl aber die Identität der Person weitgehend bekannt ist.
Nach der hier
bevorzugten Rechtsauffassung ist das auf der Grundlage von
§ 127 Abs.
1 StPO (Vorläufige Festnahme) zulässig. Bei
extensiver Auslegung von
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) lässt sich ein Festhalten auch auf
diese Befugnis, in Verbindung mit § 127 Abs. 2 StPO stützen.
Dabei dürfte es sich aber wohl um eine Mindermeinung in der Rechtslehre
handeln.
Näheres dazu siehe Kapitel »§ 127
StPO (Vorläufige Festnahme)«.
04.14 Beobachtungs- und
Feststellungsberichte
TOP
Über Personen, die unter
verdächtigen Umständen angetroffen worden sind, sollen
»Anhaltemeldungen« oder »Beobachtungs- und Feststellungsberichte«
vorgelegt werden.
Steht eine Person im Verdacht,
eine konkretisierbare Straftat begangen zu haben, ist gemäß 163b Abs. 1
StPO die Identität festzustellen und Strafanzeige vorzulegen.
In solchen Fällen sind
»Beobachtungs- und Feststellungsberichte« nicht notwendig, weil die für
eine Überprüfung notwendigen Daten aus der Anzeige entnommen werden
können.
Häufig werden jedoch Personen
unter verdächtigen Umständen angetroffen, ohne dass ihnen eine
konkretisierbare Straftat vorgehalten werden kann. In solcher Lage sind
»Anhaltemeldungen« oder »Beobachtungs- und Feststellungsberichte« aus
zwei Gründen sinnvoll:
Weil ein konkretisierbarer
Tatverdacht noch nicht gegeben ist, kann eine Identitätsfeststellung zur
Fertigung eines Feststellungs- und Beobachtungsberichtes nicht auf
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) gestützt werden.
[Anwendung von Polizeirecht:] In den für die Praxis bedeutsamen Fällen (etwa
Einsätze an kriminellen Brennpunkten oder an besonders gefährdeten
Orten) kann jedoch auf die Befugnisse der Polizeigesetze zurückgegriffen
werden, wenn die Voraussetzungen von § 163b StPO noch nicht greifen.
[Beispiel:] Gegen 19.00 Uhr wird von Polizeibeamten ein Radfahrer
beobachtet, der sich in der Nähe eines als gefährdet eingestuften
Objektes aufhält und in verdächtiger Weise das Objekt
beobachtet. Auf das Objekt sind in der Vergangenheit bereits zwei
Anschläge verübt worden. Als der Mann die Polizei bemerkt, entfernt er
sich. Die Polizeibeamten halten ihn an. Eine Überprüfung vor Ort
ergibt keine vorwerfbaren Anhaltspunkte. Die Beamten stellen die
Personalien fest und legen einen »Beobachtungs- und
Feststellungsbericht« vor. Ist das zulässig?
Damit ein Beobachtungs- und
Feststellungsbericht vorgelegt werden kann, müssen zunächst die
Personalien festgestellt werden. Das ist nur zulässig, wenn dazu eine
Befugnis gegeben ist.
§ 163b Abs. 1 StPO wäre
anwendbar, wenn der Radfahrer verdächtig ist, eine Straftat begangen zu
haben. Eine konkretisierbare Straftat kann ihm zum Beobachtungszeitpunkt
aber nicht vorgehalten werden.
Folglich scheidet § 163b Abs. 1 StPO als
Befugnisnorm aus.
Auch § 163b Abs. 2 StPO kann nicht
angewendet werden, weil auch insoweit eine konkretisierbare Straftat
gegeben sein muss.
Andererseits ist es aber nicht
unwahrscheinlich, dass der Beobachtete entweder eine Straftat gegen das
Objekt plant oder aber als Täter oder Teilnehmer eines in der
Vergangenheit verübten Anschlages oder als Mitwisser in Betracht kommt.
Eine Überprüfung der Person ist
deshalb aus polizeilicher Sicht sinnvoll, um mögliche Zusammenhänge mit
den bereits begangenen Straftaten gegebenenfalls aufklären zu können. Zum anderen aber
auch deshalb, um die Person von möglichen geplanten Straftaten
abzuhalten. Wenn die Person weiß, dass sie unter verdächtigen Umständen
angetroffen wurde und ihre Personalien festgestellt sind, wird sie
möglicherweise von der geplanten Straftat Abstand nehmen.
[Anwendung von
Polizeirecht:] Da die Überprüfung dem Zweck
der Gefahrenabwehr dient, sind die Befugnisse der Polizeigesetze zur
Identitätsfeststellung anwendbar. So darf die Polizei NW z. B. gemäß
§ 12
Abs. 1 Ziff. 3 PolG NRW (Identitätsfeststellung) die Identität
einer Person feststellen, wenn sie sich u. a. an einem besonders
gefährdeten Objekt oder in dessen unmittelbarer Nähe aufhält und
Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass in oder an Objekten dieser Art
Straftaten begangen werden sollen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt,
weil das Objekt als gefährdet eingestuft ist.
Folglich durfte gemäß § 12
Abs. 1 Ziff. 3 PolG NRW die Identität des Radfahrers festgestellt
werden.
Somit ist auch der »Beobachtungs-
und Feststellungsbericht« zulässig. Da die Daten zur Gefahrenabwehr
rechtmäßig erlangt sind, dürfen sie zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben
(also auch zur Strafverfolgung) im unbedingt notwendigen Umfang genutzt
werden (§§ 14 BDSG, 13 DSG NW, 24 Abs. 1 PolG NRW).
Selbstverständlich soll ein
Beobachtungs- und Feststellungsbericht auch vorgelegt werden, wenn die
Identität gemäß § 163b Abs. 1 StPO festgestellt worden ist, eine
Anzeige jedoch nicht gefertigt wurde, weil etwa der zunächst bestehende
Verdacht sich nicht verdichtet hat.
05 Nichtverdächtige
TOP
Wenn und soweit das zur Aufklärung
einer Straftat geboten ist, kann auch die Identität einer Person
festgestellt werden, die nicht einer Straftat verdächtig ist, siehe
§ 163b
Abs. 2 StPO
(Identitätsfeststellung).
Der Wortlaut der Befugnis
suggeriert, dass auch bei Nichtverdächtigen - wozu auch Kinder gehören -
Identitätsfeststellungen auf der Grundlage von § 163b Abs. 2 StPO möglich sind.
Wenn und soweit es zur Aufklärung
einer Straftat geboten ist, darf auch die Identität einer Person
festgestellt werden, die einer Straftat nicht verdächtig ist (§ 163b
Abs. 2 StPO). In der Regel handelt es sich dabei um Zeugen, Geschädigte
oder schuldlose Personen.
[Zeugen:] § 163b Abs. 2
StPO ist zunächst Rechtsgrundlage für die Identitätsfeststellung von
Zeugen.
[Beispiel:] Bei einem Raubüberfall auf eine Sparkasse hat der Täter
einen Angestellten angeschossen. Der Täter konnte entkommen. Bei
Eintreffen der Polizei werden 10 Personen im Kassenraum angetroffen. Die
Beamten stellen die Personalien aller Personen fest. Ist das zulässig?
Alle im Kassenraum angetroffenen
Personen kommen als Zeugen in Betracht. Das gilt auch dann, wenn eine
Person z. B. angibt, vor lauter Aufregung nichts mitbekommen zu haben.
Folglich ist die Identität aller im Kassenraum angetroffenen Personen
festzustellen. In Fällen, in denen der
Tatverdächtige zunächst entkommen konnte, ist es bedeutsam, zunächst
Beobachtungen zusammenzutragen, damit der Täter ermittelt und ihm die
Tat nachgewiesen werden kann.
Folglich kommt es in solchen Fällen auf
die Aussage einer jeden vom Geschehensablauf betroffenen Person (Zeuge)
an.
[Geschädigte:] Wenn und
soweit es zur Aufklärung einer Straftat geboten ist, darf auch die
Identität von Geschädigten festgestellt werden (§ 163b Abs. 2 StPO).
Sofern das Opfer zugleich Zeuge
ist, ist seine Identitätsfeststellung schon aus diesem Grunde
erforderlich. Es sind aber auch Fälle denkbar, in denen der Geschädigte
als Zeuge nicht in Betracht kommt, seine Personalien aber gleichwohl zur
Strafverfolgung benötigt werden. Das ist u. a. der Fall, wenn der
Geschädigte von einer ihn betreffenden Straftat noch nichts weiß oder
dazu keinerlei Angaben machen kann.
[Beispiel:] An einem Pkw wurden alle Reifen zerstochen. Der Täter
konnte gestellt werden. Anhand des Kfz-Kennzeichens stellen die Beamten
den Halter fest. Ist das zulässig?
Der Täter hat eine
Sachbeschädigung begangen (§ 303 StGB). Die Tat wird grundsätzlich nur
verfolgt, wenn der Geschädigte einen Strafantrag stellt (§ 303 Abs. 3
StGB).
Der Geschädigte ist im
Ausgangsfall weder Verdächtiger noch Zeuge. Gleichwohl darf seine
Identität gemäß § 163b Abs. 2 StPO festgestellt werden, weil das zur
Verfolgung und damit zur Aufklärung der Straftat geboten ist. Steht die
ladungsfähige Anschrift des Halters fest, kann dieser von dem
polizeilichen Ermittlungserfolg in Kenntnis gesetzt werden, um einen
Strafantrag zu stellen.
[Beispiel:] Ein Mann wird mit einer schweren Kopfverletzung im Park
gefunden. Er kann keinerlei Angaben machen, auf welche Weise er verletzt
wurde. Er habe einen schweren Schlag auf den Kopf verspürt und sei
besinnungslos zusammengebrochen. Die Beamten stellen die Personalien
fest. Ist das zulässig?
Auch hier scheidet der Geschädigte
als Zeuge wohl aus, weil er keinerlei Tatsachen festgestellt hat, die
der Überführung des Täters dienen können. Gleichwohl muss seine
Identität festgestellt werden, weil das zur Aufklärung und Verfolgung
der Tat geboten ist. Wie sollte auch der Täter überführt werden können,
wenn ein Geschädigter nicht bekannt ist.
Gemäß 163b Abs. 2 StPO darf auch
die Identität von Personen festgestellt werden, die mangels
Schuldfähigkeit strafrechtlich nicht verfolgt werden dürfen, wenn und
soweit dies zur Aufklärung einer von diesen Personen begangenen Tat geboten ist.
Schuldlose Personen können i.S.v.
§ 163b Abs. 1 StPO nicht Verdächtige sein, weil gegen sie das
Strafverfahren nicht betrieben werden darf.
Gleichwohl ist in der Regel die
Feststellung der Identität solcher Personen zur Aufklärung der von ihnen
begangenen Tat geboten, weil u. a. auch festgestellt werden muss, ob
Aufsichtspflichtige ihre Aufsichtspflichten verletzt oder Hintermänner
sie zur Tat veranlasst haben oder ob auf der Grundlage von
§ 126a
StPO (Einstweilige Unterbringung) die
einstweilige Unterbringung angeordnet werden muss.
[Beispiel:] Ein Mann ist mit einer Flinte Amok gelaufen, und hat
wahllos mehrere Menschen getötet. Polizeibeamte können ihn überwältigen.
Der Mann ist offensichtlich geisteskrank. Darf die Identität des Mannes
festgestellt werden?
Offensichtlich hat der Mann u. a.
rechtswidrig den Tatbestand des Totschlages erfüllt (§ 212 StGB). Da er
offensichtlich schuldunfähig ist, darf jedoch das Strafverfahren gegen
ihn nicht betrieben werden. Eine Identitätsfeststellung gemäß § 163b
Abs. 1 StPO wäre somit rechtlich fragwürdig.
Dennoch muss seine Identität
festgestellt werden, weil das zur Aufklärung der Tat geboten ist (§ 163b
Abs. 2 StPO). Mit hoher Sicherheit wird das Gericht eine einstweilige
Unterbringung (§ 126a StGB) anordnen.
[Beispiel:] Ein 10-jähriges Kind wird beim Diebstahl betroffen. Die
Befragung ergibt, dass es wahrscheinlich von den Eltern zum Diebstahl
angehalten worden ist. Darf die Identität des Kindes festgestellt
werden?
Kinder sind gemäß
§ 19 StGB (Schuldunfähigkeit des Kindes) schuldunfähig. Folglich
wäre auch in solchen Fällen eine Identitätsfeststellung auf der
Grundlage von
§ 163b Abs. 2 StPO fragwürdig. Da das Kind aber als Werkzeug von seinen
Eltern benutzt wird, greift § 163b StPO dennoch, weil der Maßnahme eine
Straftat zugrunde liegt, die verfolgt werden kann.
[Hinweis:] Hier wird die
Meinung vertreten, dass auf der Grundlage von § 163b Abs. 2 StPO die
Identität eines Unverdächtigen immer festgestellt werden kann, sogar
dann, wenn es sich um ein Kind handelt, das offensichtlich strafunmündig
ist und nicht von anderen als Werkzeug eingesetzt wird.
[Beispiel:] Ein 10-jähriger Junge entwendet im
Supermarkt mehrere Tafeln Schokolade und wird dabei vom Ladendetektiv
auf frischer Tat betroffen. Der Ladendetektiv bittet die Polizei um
Einschreiten. Rechtslage?
Nach der hier vertretenen Rechtsauffassung kann die
Identitätsfeststellung des Jungen auf der Grundlage von § 163b StPO
(Identitätsfeststellung) festgestellt werden, obwohl gegen das Kind kein
Strafverfahren eingeleitet wird.
Wer das anders sieht, kompliziert polizeiliches Eingriffsrecht nur
unnötigerweise, denn dass die Identität des Kindes festzustellen ist,
darüber besteht Einigkeit in der Rechtslehre.
Diejenigen, die Polizeirecht verkomplizieren, lösen die
Identitätsfeststellung eines Kindes, das nicht im Auftrag anderer
handelt, über polizeirechtliche Befugnisse, siehe
§ 12 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW
(Identitätsfeststellung).
Danach kann die Polizei die Idenität einer Person zur Abwehr einer
Gefahr feststellen. Hier gilt es eine Gefahr von der Funktionsfähigkeit
der Polizei abzuwehren, denn einschreitende Polizeibeamte müssen dazu in
der Lage sein, nachzuhalten, wann, wo und aus welchem Anlass sie
Maßnahmen gegen eine Person getroffen haben.
[Hinweis:] Die Identitätsfeststellung von Kindern wird
in einer eigenen Randnummer weiter unten mit gebotener fachlicher
Gründlichkeit erörtert.
05.1 Nichtverdächtige und OWi
TOP
Gemäß
46 Abs. 2 OwiG (Anwendung der Vorschriften über das
Strafverfahren) ist zur Erforschung und Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten die StPO
entsprechend anwendbar. Folglich darf die Identität Betroffener und
anderer Personen (etwa Zeugen von OWi) ebenfalls auf der Grundlage von
§ 163b StPO
(Identtätsfeststellung)
festgestellt werden.
[Betroffener:]
Betroffener ist derjenige, gegen den sich das
Ordnungswidrigkeitenverfahren bei bestehendem Tatverdacht richtet. Die
Stellung eines »Betroffenen« erhält die Person, die eine
Ordnungswidrigkeit begangen hat oder die im Verdacht steht, eine OWi
begangen zu haben. Es kommt nicht darauf an, dass die Person davon
Kenntnis hat. Das OWiG verwenden den Begriff »Betroffener« für alle
Verfahrensstadien, einschließlich der Vollstreckung.
[Andere Personen:] Zur Verfolgung
von Ordnungswidrigkeiten darf die Identität anderer Personen (Zeugen)
ebenfalls auf der Grundlage von § 163 Abs. 2 StPO festgestellt werden.
Zulässig sind:
-
Anhalten zum Zwecke der
Identitätsfeststellung
-
Aufforderung, Angaben zur
Person zu machen und sich auszuweisen
-
Festhalten und Verbringen zur
Dienststelle, wenn das zur Bedeutung der Sache nicht außer
Verhältnis steht.
Nur mit Einwilligung:
[Beispiel:] Ein Pkw-Fahrer ist gegen einen Straßenbaum gefahren. Er
wurde lebensgefährlich verletzt. Ein Augenzeuge berichtet, dass der
Fahrer ohne erkennbaren Grund von der Fahrbahn abgekommen und gegen den
Baum gefahren sei. Der Zeuge nennt Namen und Anschrift, kann sich aber
nicht ausweisen. Eine über Funk veranlasste Überprüfung in der
Einwohnermeldedatei führt nicht weiter. Darf der Zeuge gegen seinen
Willen zum Zwecke der Identitätsfeststellung mit zur Wache genommen
werden?
Im Grunde gelten hier die gleichen
Regeln wie bei der Verfolgung von Straftaten.
Der Pkw-Fahrer steht im Verdacht,
sich entweder verkehrswidrig verhalten oder ein Fahrzeug mit technischen
Fehlern benutzt zu haben. Folglich ist er Betroffener einer
Verkehrsordnungswidrigkeit.
Zur Erforschung und Verfolgung von
Ordnungswidrigkeiten dürfen Zeugen zum Zwecke der Identitätsfeststellung
nur festgehalten und zur Dienststelle verbracht werden, wenn das zur
Bedeutung der Sache nicht außer Verhältnis steht.
Wenn im Zusammenhang mit
Ordnungswidrigkeiten schwere Folgen eintreten, ist es sicher nicht
unangemessen, den einzigen Augenzeugen zum Zwecke der
Identitätsfeststellung zur Dienststelle zu verbringen, wenn die
Identität vor Ort nicht festgestellt werden kann.
Bei Ordnungswidrigkeiten muss das
aber die Ausnahme bleiben.
Wenn vor Ort keine Gründe
erkennbar sind, dass die Angaben eines Zeugen zur Person falsch
sind, darf sich die Polizei im Zusammenhang mit der Erforschung und
Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten mit den Angaben vor Ort begnügen.
Werden Nachfragen erforderlich, kann der
Zeuge dann vorgeladen werden.
Im o.g. Beispielsfall käme eine Mitnahme zur Polizeidienststelle zur
Identitätsfeststellung allein aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht
in Betracht, zumal es sich um einen Alleinunfall handelt, und - bis auf
die Schäden am Baum - kein Fremdschaden eingetreten ist.
05.2 Anhalten / Festhalten
Nichtverdächtiger
TOP
Auch Zeugen dürfen angesprochen
und aufgefordert werden, ihre Personalien mitzuteilen und sich
auszuweisen. Der Begriff des Anhaltens umfasst auch die Aufforderung,
für die Zeit der Überprüfung am Ort zu verweilen. Selbstverständlich
gilt auch hier, dass die Überprüfung nicht unnötig hinausgezögert werden
darf.
Die Zulässigkeit des Anhaltens von Zeugen setzt voraus, dass die
Identitätsfeststellung zur Aufklärung einer Straftat geboten ist.
Das
ist der Fall, wenn ein Zeuge Beobachtungen gemacht hat, die für den
Tatnachweis und/oder für die Überführung des Täters von großer Bedeutung
sein können. Zeugen dürfen deshalb zur Identitätsfeststellung angehalten
werden.
[Festhalten ist möglich:]
Zeugen dürfen zur Identitätsfeststellung auch festgehalten werden,
wenn das zur Bedeutung der Sache nicht außer Verhältnis steht, siehe
§ 163b
Abs. 2 Satz 2 StPO. Das Recht, einen Zeugen festzuhalten,
schliet auch das Recht ein, ihn zur Polizeidienststelle zu verbringen,
wenn er Angaben zur Person verweigert. Voraussetzung für solch eine
schwer wiegende Rechtsfolge ist aber, dass dies für das Verfahren
geboten ist und insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
entspricht.
Es ist nicht zulässig, einen sich
verweigernden Zeugen oder die von ihm mitgeführten Sachen an Ort und
Stelle nach Ausweispapieren zu durchsuchen. Auch sieht das Gesetz eine
erkennungsdienstliche Behandlung eines Zeugen nicht vor, siehe
§ 163b
Abs. 2 Satz 3 StPO.
Die Zeugenpflicht ist
Staatsbürgerpflicht.
Zeugen müssen vor Gericht
aussagen, wenn sie sich nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen
können. Deshalb muss die Identität eines Zeugen festgestellt werden,
wenn er zu schwer wiegenden Straftaten Beobachtungen gemacht hat.
Kann die Identität vor Ort im Rahmen bloßen »Anhaltens« nicht
festgestellt werden, darf ein Zeuge zur Identitätsfeststellung
festgehalten und zur Dienststelle verbracht werden.
[Beispiel:] Bei einem Verkehrsunfall hat es Schwerverletzte gegeben.
Die Unfallursache ist völlig ungeklärt. Zwei Zeugen haben den
Unfallverlauf beobachtet. Sie äußern vor Ort jedoch recht
unterschiedliche Abläufe. Plötzlich will der eine Zeuge mit der Sache
nichts mehr zu tun haben. Er wolle am Schluss nicht noch als Lügner
bezichtigt werden. Deshalb verweigert er die Angabe seiner Personalien.
Darf seine Identität dennoch festgestellt werden?
Zur Bedeutung der Sache steht es
hier sicher nicht außer Verhältnis, die Identität des Zeugen
festzustellen. Da die Zeugen unterschiedlich aussagen, ist zur Aufklärung
der Straftaten (Körperverletzungen gemäß §§ 223, 224 StGB) die
Feststellung der Identität beider Zeugen geboten.
Verweigert ein Zeuge Angaben zur Person, kann
er erforderlichenfalls auch gegen dessen Willen zur Polizeidienststelle
verbracht werden, wenn das geboten, angemessen bzw. verhältnismäßig ist.
Das dürfte im o.g. Beispiel offenkundig der Fall sein.
Andere Personen als Verdächtige
dürfen zur Identitätsfeststellung nicht festgehalten werden, wenn das
zur Bedeutung der Sache außer Verhältnis steht (§ 163b Abs. 2, Satz 2
StPO).
[Beispiel:] Nach einem leichten Auffahrunfall (ohne Verletzte) hat
der Geschädigte dem Verursacher einen »Vogel« gezeigt. Zwei Zeugen haben
das gesehen. Einer verweigert seine Personalien. Darf der »Verweigerer«
zur Personalienfeststellung festgehalten werden?
Der Geschädigte hat eine
Beleidigung (§ 185 StGB) begangen. Die Beleidigung ist ein Antragsdelikt
(§§ 185, 194 StGB), das der Verletzte normalerweise im Wege der
Privatklage verfolgen muss (§ 374 StPO).
Zwar ist die Zeugenpflicht eine
Staatsbürgerpflicht, jedoch darf ein Zeuge nicht lediglich zur
Verfolgung einer (menschlich vielleicht sogar verständlichen) Beleidigung zur
Identitätsfeststellung festgehalten werden, zumal noch ein anderer Zeuge
vorhanden ist. Die Identität des sich verweigernden Zeugen hat folglich
in diesem Beispiel zu unterbleiben.
Ein Verbringen des Zeugen zur
Polizeidienststelle kommt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht in
Betracht.
05.3 Unzulässige Maßnahmen
TOP
Gemäß
§ 163b
Abs. 2 StPO
(Identitätsfeststellung)
dürfen
andere Personen als Verdächtige und die von diesen Personen mitgeführten
Sachen gegen ihren Willen zur
Identitätsfeststellung nicht durchsucht oder ed-behandelt werden.
Auf den ersten Blick könnte man es
als widersprüchlich ansehen, dass im Zusammenhang mit schwer wiegenden
Straftaten ein Zeuge zum Zwecke der Identitätsfeststellung zwar
festgehalten und, falls erforderlich, zur Dienststelle verbracht werden
darf, die Durchsuchung seiner Person, seiner mitgeführten Sachen und die
Durchführung von ed-Maßnahmen gegen den Willen des Betroffenen jedoch
unzulässig ist.
Der Gesetzgeber hat das so
geregelt!
Zu überlegen ist, welche
zulässigen Möglichkeiten bleiben, die Identität eines festgehaltenen
Zeugen in solchen Fällen festzustellen. Zunächst ist es nicht nur
erlaubt, sondern gesetzlich geboten (§ 69 Abs. 1 StPO), vor einer
Vernehmung dem Zeugen den Gegenstand der Untersuchung und - falls
bekannt - die Person des Beschuldigten zu bezeichnen.
Darüber hinaus ist es zulässig,
mit aufklärenden Hinweisen und anderen erlaubten Mitteln den Zeugen zur
Wahrnehmung seiner Zeugenpflicht zu bewegen und ihn darauf hinzuweisen,
dass er eine Ordnungswidrigkeit begeht, wenn er die Personalangaben
verweigert. Immerhin handelt es sich dabei um eine Ordnungswidrigkeit im
Sinne von
§ 111 OWiG (Falsche Namensangabe).
Wird er einsichtig, braucht er
ohnehin nicht durchsucht oder ed-behandelt zu werden. Bleibt er
uneinsichtig, darf er darauf hingewiesen werden, dass die
Staatsanwaltschaft informiert wird und dass er dem Amtsrichter
vorgeführt werden kann, siehe
§ 163c StPO (Freiheitsentziehung zur
Identitätsfeststellung).
Zu erwägen ist auch, ob ein sich
verweigernder Zeuge wegen der begangenen Ordnungswidrigkeit gemäß
§ 111 OWiG (Falsche
Namensangabe) erforderlichenfalls auf der Grundlage von § 163b
Abs. 1 StPO als Tatverdächtiger/Betroffener durchsucht werden darf, denn
zur Verfolgung von
Ordnungswidrigkeiten hat die Polizei grundsätzlich die gleichen
Befugnisse wie bei der Verfolgung von Straftaten.
Rein formal wäre der
Anwendungsbereich von § 163b Abs. 1 StPO eröffnet.
Damit würde jedoch
die gesetzliche Regelung in § 163b Abs. 2 StPO unterlaufen. Danach
dürfen Durchsuchungen und ed-Maßnahmen gegen den Willen der betroffenen
Person nicht durchgeführt werden.
[Hinweis:] Auf die oben skizzierte Regelung, einen
Zeugen als Betroffenen einer Ordnungswidrigkeit auf der Grundlage von
§ 111 OWiG
(Falsche Namensangabe) zu behandeln, wird nur dann zurückgegriffen
werden können, wenn es sich um schwerwiegende Anlasstaten handelt und
der gesunde Menschenverstand einschreitenden Polizeibeamten sagt, dass
dem geltenden Recht einfach Geltung verschafft werden muss, was zum
Beispiel der Fall ist, wenn Zeugen nach einem Attentat Angaben zur
Person mit dem Hinweis verweigern, mit dieser Angelegenheit nichts zu
tun haben zu wollen.
Mit anderen Worten:
Es gibt immer Situationen, in denen Amtswalter dazu in der Lage sein
müssen, geltendes Recht kreativ anzuwenden.
05.4 § 163b StPO und Kinder
TOP
In der Rechtslehre ist umstritten,
ob § 163b StPO (Identitätsfeststellung) auf Kinder angewendet werden
kann. Unbestritten ist, dass Kinder keine Tatverdächtigen sein können.
Aus diesem Grund halten viele eine
Identitätsfeststellung von Kindern, auch auf der Grundlage von
§ 163b
Abs. 2 StPO
für unzulässig, weil auch Zeugen (unverdächtige Personen) nur in
Anspruch genommen werden können, wenn ein Anfangsverdacht in Bezug auf
eine aufzuklärende Straftat gegeben ist.
Dennoch wird hier, in Anlehnung an
Löwe/Rosenberg - § 163b StPO Rdn. 12 und anderen Kommentatoren die
Meinung vertreten, dass auch die Identität von Kindern (ohne dass diese
dazu von anderen angestiftet worden sein müssen) auf der Grundlage von §
163b Abs. 2 StPO möglich ist.
[Kinder als Werkzeuge:] In
der Rechtslehre ist unbestritten, dass auf der Grundlage von § 163b Abs.
2 StPO (Identitätsfeststellung) die Identität von Kindern festgestellt
werden kann, wenn sie von Anstiftern als Werkzeug benutzt werden.
Gleiches dürfte auch für die Fälle gelten, in denen
Erziehungsberechtigte ihren Aufsichtspflichten nicht nachgekommen sind
und damit durch Unterlassen möglicherweise mit dazu beigetragen, dass
ihre Kinder tatbestandlich und rechtswidrig handeln konnten.
Das ist zum Beispiel der Fall,
wenn ein 12-Jähriger mit dem Pkw seines Vaters eine Spritztour macht und
dabei einen Verkehrsunfall mit zwei Toten verursacht, oder ein
13-Jähriger die Waffe seines Vaters benutzt und damit seinen besten
Freund tötet etc.
Wie dem auch immer sei.
Solch komplizierten Sachfragen
können vor Ort von einschreitenden Polizeibeamten nicht
zufriedenstellend geprüft und bewertet werden. Deshalb wird
vorgeschlagen, in allen Fällen die Identitätsfeststellung eines Kindes auf §
163b Abs. 2 StPO zu stützen, wenn Kinder tatbestandlich und rechtswidrig
gehandelt haben.
Löwe/Rosenberg beziehen sich dabei
hilfsweise auf eine Regelung im
§ 103 StPO (Durchsuchung bei
anderen Personen).
In der Rdn. 12 zu § 163b StPO
heißt es:
[Unverdächtiger:] »Einer Straftat nicht verdächtig in Absatz 2
(gemeint ist § 163b Abs. 2 StPO = AR) besagt sachlich nichts anderes wie
die in § 103 StPO verwendete (eindeutigere) Formulierung »andere
Personen«.
Die Anwendbarkeit des Absatzes 2
auf solche Personen zu beschränken, bei denen das Fehlen eines
Tatverdachts nicht sicher ist, findet weder im Gesetzeswortlaut noch in
der Entstehungsgeschichte eine Grundlage und ist mit dem Sinn der
Vorschrift, auch Beweismittel für das spätere Verfahren zu sichern,
nicht vereinbar.
Unverdächtiger ist daher jeder,
gegen den ein Verdacht nicht begründet werden kann; gleichgültig ist, ob
vage Anhaltspunkte für eine irgendwie geartete Tatbeteiligung bestehen
oder ob dies völlig ausgeschlossen ist.«
Dem ist aus polizeilicher Sicht
nichts hinzuzufügen.
05.5 StPO oder Polizeirecht
TOP
Unabhängig davon kann eine
Identitätsfeststellung von tatbestandlich und rechtswidrig handelnden Kindern
auch auf der Grundlage polizeilicher Befugnisse begründet werden.
[Beispiel:] Ein 10-Jähriger entwendet in einem Supermarkt eine Tafel
Schokolade.
Der Ladendetektiv hält den Jungen
fest und ruft die Polizei. Rechtslage?
Die Beamten
-
stellen die Identität des
Kindes auf der Grundlage des PolG fest
-
bringen das Kind zu seinen
Eltern und
-
weisen diese auf ihre
Aufsichtspflicht hin.
Als Befugnisgrundlage für diese
Fälle findet in NRW der
§ 12
Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW Anwendung.
Dort heißt es:
Die Polizei kann die Identität
einer Person feststellen,
Fraglich ist aber, ob eine Gefahr
begründbar ist.
Gefahr ist entweder drohender
Schaden oder aber eine eingetretene Störung, von der weitere Gefahren
ausgehen. Diese Gefahr muss den Sicherheitsgütern des Einzelnen oder
aber den Sicherheitsgütern der Allgemeinheit drohen.
Eine Gefahr für die
Sicherheitsgüter von Einzelpersonen ist nicht zu erkennen, auch besteht
keine Gefahr mehr für die Rechtsordnung, denn die Tat ist bereits
abgeschlossen. Die Tafel Schokolade wurde
»gestohlen« und dem tatbestandlich und rechtswidrig handelnden Kind
abgenommen und an den Ladendetektiv ausgehändigt.
Dadurch ist eine Situation
eingetreten, in der eine Gefahr für die o.g. Sicherheitsgüter des
Einzelnen (des Geschäftsinhabers) nicht mehr begründbar ist.
Zu prüfen wäre, ob die
Funktionsfähigkeit der Polizei (Gefahr für die Funktion des Staates und
seiner Einrichtungen = anerkanntes Sicherheitsgut der Allgemeinheit)
bedroht ist.
Diese Funktionsfähigkeit ist
beschädigt, denn würden die Beamten die Id-Feststellung des Kindes nicht
feststellen, würden die einschreitenden Polizeibeamten nicht
dokumentieren können, welchem Kind sie das Diebesgut wieder abgenommen
haben, um es dem Geschädigten zurückzugeben.
Polizeibeamte wissen, dass
sie bei Bedarf über ihr Einschreiten Rechenschaft abgeben müssen und um
das zu können, ist es zwingend erforderlich, zu wissen, mit wem man es
zu tun hatte - und zwar auch dann - wenn es sich bei dem polizeilichen
Gegenüber um ein Kind gehandelt hat.
In diesem Fall wurde eine
tatbestandliche und rechtswidrige Tat festgestellt, die nur deshalb
nicht bestraft wird, weil sie von einem Täter im Kindesalter begangen
wurde.
In einem solchen Fall muss die
Polizei nicht nur aus ihrem Berufsverständnis heraus, sondern auch aus
ihrer Garantenstellung dem Kind gegenüber dafür Sorge tragen, dass das
Kind den Eltern zugeführt wird, auch um zu prüfen,
-
ob das Kind dort verwahrlost
lebt
-
es im familiären Umfeld
Alkohol, Drogen oder sonstiger Verwahrlosung ausgesetzt ist
-
es sich bei den
Erziehungsberechtigten selbst um polizeibekannte Personen handelt
-
oder
-
die Erziehungsberechtigten
selbst vorwerfbar im Sinne von
§ 171 StGB (Verletzung der
Fürsorge) gehandelt haben.
Kurzum, wenn eine Id-Feststellung
auf § 12 PolG NRW gestützt werden soll, dann geht das nur, indem eine
Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Polizei nachgewiesen wird.
Nur diese Gefahr ist begründbar.
Ergebnis:
Da beide Lösungswege zu rechtlich
vertretbaren Ergebnissen führen, wird hier die Lösung bevorzugt, die
immer greift, wenn Kinder »Straftaten« begehen.
Das ist § 163b Abs. 2 StPO.
Diese Lösung ist auch deshalb zu
bevorzugen, weil Kinder nicht immer eindeutig als Kinder erkannt werden
können, weil:
-
manches jugendlich aussehende
Mädchen sich noch im Kindesalter befindet
-
viele 12-Jährige wie
Jugendliche aussehen
-
andere Jugendliche wie Kinder
wirken
-
und viele Kinder »Straftaten«
begehenden, weil sie von anderen dazu angestiftet wurden und somit
»Werkzeuge« sind.
Eine erkennungsdienstliche
Maßnahme darf bei Nichtverdächtigen nicht zwangsweise durchgesetzt
werden.
Alle anderen Rechtsfolgen kommen
in Betracht, wenn diese verhältnismäßig sind.
§ 163b Abs. 2 StPO findet
somit Anwendung zur Identitätsfeststellung von:
Bei Zeugen (zu denen auch Opfer
gehören) ergibt sich die Erforderlichkeit einer Identitätsfeststellung
daraus, dass diese Maßnahme zur Realisierung der Zeugenpflicht (§ 48
StPO) geboten ist.
Gegen Kinder kann aus
Rechtsgründen das Strafverfahren nicht betrieben werden. Sie kommen als
Verdächtige nicht in Betracht. Gegen Straftäter im Kindesalter können
deshalb nur auf der Grundlage von § 163b Abs. 2 StPO Maßnahmen ergriffen
werden, weil sie als Nichtverdächtige anzusehen sind.
Zeugen sind zu belehren.
Eine Belehrung kann unterbleiben,
wenn der Zeuge den Anlass bereits kennt, z. B. der Augenzeuge eines
Verkehrsunfalls. Sobald ein Zeuge selbst zum Tatverdächtigen wird, ist
er entsprechend zu belehren.
06 Belehrung
TOP
Verdächtige und Nichtverdächtige
sind vor Beginn der Identitätsfeststellung zu belehren.
[Tatverdächtiger:] Für
Verdächtige ist die Belehrungspflicht in
§ 163b
Abs. 1 StPO
(Identitätsfeststellung) nicht ausdrücklich bestimmt, jedoch folgt aus
§
163a Abs. 4 StPO (Vernehmung des Beschuldigten), das dem Verdächtigen
vor der ersten Befragung zur Person zu eröffnen ist, welche Tat ihm zur
Last gelegt wird. Die in Frage kommenden Strafvorschriften brauchen
dabei nicht bezeichnet zu werden.
[Beispiel:] Im Stadtpark ist ein Exhibitionist gestellt worden. Ein
Polizeibeamter will die Personalien feststellen. Muss der Täter zuvor
belehrt werden?
Exhibitionistische Handlungen sind
gemäß § 183 StGB Vergehen. Da der Mann Verdächtiger ist, darf seine
Identität gemäß § 163b Abs. 1 StPO festgestellt werden.
Zuvor muss er etwa wie folgt
belehrt werden:
»Sie stehen im Verdacht,
exhibitionistische Handlungen begangen zu haben. Das ist strafbar. Es
steht Ihnen frei, sich zu diesem Vorwurf zu äußern. Bitte
nennen Sie mir Namen und Anschrift und weisen Sie sich aus!«
Selbstverständlich kommt auch ein
anderer Belehrungstext in Betracht. Es kommt jedoch darauf an, dass vor
der Identitätsfeststellung dem Verdächtigen erkennbar wird, welche Tat
ihm zur Last gelegt wird. Den Paragrafen der Vorschrift, in dem die zur
Last gelegte Tat geregelt ist, braucht nicht bezeichnet zu werden.
Verweigert der Verdächtige trotz
Belehrung Auskünfte zur Person, darf er darauf hingewiesen werden, dass
er gemäß
§ 111 OWiG (Falsche Namensangabe)
eine Ordnungswidrigkeit begeht und dass er zur Identitätsfeststellung
durchsucht, zur Dienststelle verbracht und/oder ed-behandelt werden
kann.
[Unverdächtige Person:]
Auch Nichtverdächtige sind vor Beginn der Identitätsfeststellung zu
belehren. Für Nichtverdächtige ist das ausdrücklich in § 163b Abs. 2
Satz 1 StPO bestimmt.
Danach gilt
§ 69 Abs. 1 Satz 2
StPO (Vernehmung zur Sache) entsprechend mit der Folge, dass dem
Nichtverdächtigen zu Beginn der Identitätsfeststellung der Gegenstand
der Untersuchung und die Person des Beschuldigten, sofern ein solcher
vorhanden ist, zu bezeichnen ist.
Außerdem enthält § 163 Abs. 3 StPO
(Aufgaben der Polizei im Ermittlungsverfahren) folgende Regelung:
»(3) Bei der Vernehmung eines
Zeugen durch Beamte des Polizeidienstes sind § 52 Absatz 3, § 55 Absatz
2, § 57 Satz 1 und die §§ 58, 58a, 58b, 68 bis 69 entsprechend
anzuwenden.«
Diese Regelung stellt klar, dass
die Polizei Zeugen rechtzeitig - vor der Einleitung von
Ermittlungshandlungen - über ihre Zeugenrechte zu belehren haben.
[Beispiel:] Eine Frau meldet sich gegen 17.00 Uhr bei der Polizei
und erklärt, sie sei soeben von einem Unbekannten vergewaltigt worden.
Sie gibt eine detaillierte Personenbeschreibung. Eine Polizeibeamtin
will die Personalien der Frau erfragen. Wie muss die Frau belehrt
werden?
Vergewaltigung ist ein Verbrechen
(§ 177 StGB). Bevor die Beamtin die Identität der Frau feststellen darf,
muss die Frau belehrt werden. Dies kann selbstverständlich im Rahmen
eines Vorgespräches erfolgen. In dem Gespräch kann die Beamtin
demTatopfer etwa
Folgendes mitteilen:
»Aufgrund Ihrer Aussagen wird die
Polizei wegen Vergewaltigung ermitteln. Ich muss Sie darauf hinweisen,
dass Sie nicht dazu verpflichtet sind, sich selbst oder Personen zu
belasten, denen gegenüber Ihnen das Zeugnisverweigerungsrecht zusteht.
Außerdem muss ich Sie darauf hinweisen, dass Sie als Zeuge der Tat dazu
verpflichtet sind, die Wahrheit zu sagen. Sollten Sie das nicht tun,
kann das für Sie strafrechtliche Folgen haben. Bitte nennen Sie mir
Ihren Namen und Ihre Anschrift und weisen Sie sich aus!«
Verweigert ein Zeuge notwendige
Angaben zur Person, darf er darauf hingewiesen werden, dass ein Zeuge
zur Angabe seiner Personalien verpflichtet ist und wegen der
Verweigerung eine Ordnungswidrigkeit gemäß
§ 111 OWiG (Falsche
Namensangabe) begeht. Er darf auch darauf hingewiesen werden, dass er
als wichtiger Zeuge eines Verbrechens dem Richter vorgeführt werden
kann, § 163c Abs. 1 StPO (Freiheitsentziehung zur
Identitätsfeststellung), wenn Angaben zur Person verweigert werden.
07 Dauer der
Identitätsfeststellung
TOP
Der Betroffene darf bis zur
absoluten Höchstdauer von zwölf Stunden zum Zweck der
Identitätsfeststellung festgehalten werden,
§ 163c Abs. 2 StPO
(Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung).
Kann seine Identität in dieser
Zeit nicht festgestellt werden, ist die Person freizulassen.
Soll ein Tatverdächtiger oder ein
Zeuge länger festgehalten werden, ist das auf der Grundlage von § 163b
StPO nicht möglich.
Auch ein Richter kann diese
Höchstdauer nicht verlängern.
Die Herbeiführung einer
richterlichen Entscheidung entfällt, wenn sie voraussichtlich mehr Zeit
in Anspruch nehmen würde, als das zur Feststellung der Identität des
Tatverdächtigen/Nichtverdächtigen notwendig wäre. Das Recht auf
körperliche Bewegungsfreiheit wiegt schwerer, als die Erfüllung einer im
Gesetz benannten »Formvorschrift« (Anordnung durch einen Richter).
Die §§
114a und
114b
StPO gelten entsprechend. Diese Normen beinhalten die Rechte von
Personen, die von der Polizei festgehalten werden.
08 Benachrichtigungspflicht
TOP
Die festgehaltene Person hat das
Recht, dass unverzüglich ein Angehöriger oder eine Person ihres
Vertrauens benachrichtigt wird, siehe
§ 163c 2 StPO
(Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung) durch Verweis auf
§ 114a
StPO und
§ 114b StPO.
Das Recht ist verzichtbar.
Wenn die zur
Identitätsfeststellung festgehaltene Person die Benachrichtigung nicht
wünscht, braucht die Polizei von Amts wegen die Benachrichtigung nicht
vorzunehmen.
Nichtverdächtige dürfen selber die
Benachrichtigung durchführen.
Verdächtige dürfen das nicht, wenn
der Zweck der Untersuchung dadurch gefährdet wird. Im letzteren Fall
übernimmt die Polizei die Benachrichtigung, wenn erkennbar ist, dass der
Verdächtige auf eine Benachrichtigung Wert legt.
Wurde eine Person gemäß § 163c
Abs. 1 StPO dem Richter vorgeführt und hat dieser die Fortdauer der
Freiheitsentziehung angeordnet, muss von Amts wegen ein Angehöriger oder
eine Vertrauensperson benachrichtigt werden (Artikel 104 Abs. 4 GG).
[Beispiel:] Während einer Demonstration hat ein junger Mann Steine
auf eingesetzte Polizeibeamte geworfen. Er wurde ergriffen und zum
Zwecke der Identitätsfeststellung zur Dienststelle gebracht. Bei
Eintreffen verlangt er sofort, seine Mutter benachrichtigen zu dürfen.
Muss dem Ersuchen entsprochen werden?
Dem Ersuchen muss entsprochen
werden.
Obwohl er verdächtig ist, darf er seine Mutter telefonisch
verständigen, weil der Zweck der Untersuchung dadurch nicht gefährdet
wird.
[Beispiel:] Nach Diebstahl aus Kraftfahrzeugen wird A mit mehreren
Autoradios gestellt und zur Dienststelle verbracht. Er verlangt sofort,
seinen Freund benachrichtigen zu dürfen. Muss dem Verlangen entsprochen
werden?
Gemäß § 163c Abs. 2 StPO (durch
Verweis auf § 114a bis 114c) hat A ein Recht darauf, dass sein Freund
(Vertrauensperson) benachrichtigt wird.
A hat jedoch keinen Anspruch
darauf, die Benachrichtigung selbst vorzunehmen,
weil zu befürchten ist, dass er Mitteilungen macht, die den
Untersuchungszweck gefährden.
In solchen Fällen übernimmt die Polizei
die Benachrichtigung.
09 Abgrenzung StPO und PolG
TOP
Nicht immer ist es einfach,
polizeiliche Lebenssachverhalte eindeutig dem Anwendungsbereich von
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) zuordnen zu können, denn der
Anwendungsbereich dieser Vorschrift setzt voraus, dass aufgrund einer
Straftat die Identität eines Tatverdächtigen (oder unter besonderen
Voraussetzungen) die einer unverdächtigen Person festgestellt werden
soll.
[Konkret potentieller Störer:]
Ist ein Tatverdacht nicht begründbar, kann die Identität von Personen
aber
auf der Grundlage des Polizeigesetzes festgestellt werden, wenn es sich bei
den Personen, deren Identitäten festgestellt werden sollen, um so genannte
konkret potenzielle Störer handelt. Da dieser Begriff sowohl in der
Rechtsprechung als auch in der Rechtslehre umstritten ist, ist es
besser, von einer Person zu sprechen, deren Verhalten Anlass dafür gibt,
eine Anscheinsgefahr begründen zu können.
Was das bedeutet, lässt sich nur
am Beispiel nachvollziehbar erklären. Zuvor aber einige Klarstellungen,
um Missverständnisse zu vermeiden.
[Potenzieller Rechtsbrecher:]
Jedermann hat einen Anspruch darauf, von der Polizei nicht ohne Weiteres
als potenzieller Rechtsbrecher angesehen zu werden.
Im Zusammenhang mit der
Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Unterlagen hat in diesem
Zusammenhang das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in einer Entscheidung
aus dem Jahre 1967 Folgendes zum Ausdruck gebracht:
[Rn. 10:]
Ausgangspunkt hat
die Feststellung zu sein, dass nach dem Menschenbild des Grundgesetzes
die Polizeibehörden nicht jedermann als potentiellen Rechtsbrecher
betrachten und auch nicht jeden, der sich irgendwie verdächtig gemacht
hat (»aufgefallen ist«) oder bei der Polizei angezeigt worden ist, ohne
weiteres »erkennungsdienstlich behandeln« darf. Eine derart weitgehende
Registrierung der Bürger aus dem Bestreben nach möglichst großer
Effektivität der Polizeigewalt und Erleichterung der polizeilichen
Überwachung der Bevölkerung widerspräche den Prinzipien des
freiheitlichen Rechtsstaates. [En09] 9
Diese Aussage kann auch auf die
Maßnahme der Identitätsfeststellung von Personen übertragen werden.
Insoweit entspricht es dem
Menschenbild des Grundgesetzes, auch für die Maßnahme der
Identitätsfeststellung die im
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) zugelassenen Rechtsfolgen nur dann zur
Anwendung kommen zu lassen, wenn »konkrete Tatsachen für einen
objektiven Tatbezug sprechen« und somit eine erforderlich werdende
Datenerhebung »tatbestandlich an das Vorliegen eines konkreten
Tatverdachts«
gebunden ist.
Insoweit ist auch anlässlich von
Identitätsfeststellungen immer ein verfassungsrechtlich notwendiger
Zurechnungszusammenhang zwischen dem »Verhalten des Einzelnen« und einer
»Gefährdung eines zu schützenden Rechtsgutes« herzustellen.
[Beispiel:] Im Innenstadtbereich ist es in letzter Zeit vermehrt zu
Einbrüchen in Wohnungen und freistehenden Häuser gekommen. Die Täter
haben sich oftmals während der Tageszeit Zugang zu Häusern und Wohnungen
verschafft, indem sie durch offenstehende Türen oder Fenster
eingestiegen sind. Es ist 12.45 h und Polizeibeamten fällt ein Mann auf,
der sich in auffälliger Weise verhält. Der Mann erweckt den Eindruck,
als ob er nach geeigneten Einstiegsmöglichkeiten in Häuser Ausschau
hält, die von weitläufigen Gärten umgeben sind. Zumindest sieht es aus
der Distanz so aus, als ob der Mann etwas ausbaldowert.Rechtslage?
Diese Feststellungen reichen nicht
aus, um einen Tatverdacht im Sinne von
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung) begründen zu können. Insoweit scheidet eine
Identitätsfeststellung auf der Grundlage der Strafprozessordnung in
Ermangelung eines konkreten Tatverdachts zurzeit
aus.
In Betracht kommt aber eine
Identitätsfeststellung auf der Grundlage des Polizeigesetzes. Danach
kann die Polizei die Identität einer Person zur Abwehr einer Gefahr
feststellen, siehe zum Beispiel
§ 12
Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW(Identitätsfeststellung).
Die Frage, die sich hier stellt,
lautet:
Ist es möglich, auch dann eine
Gefahr begründen zu können, wenn diese offensichtlich noch nicht konkret
ist, denn der Mann hat noch keine Anstalten getroffen, in eine Wohnung
bzw. ein Haus einzubrechen. Das, was die Polizeibeamten bisher
wahrnehmen konnten, ist lediglich, dass sich da jemand »auffällig«
verhält.
Die Beamten schließen daraus
aufgrund Ihrer Berufserfahrung, dass hier zur Gefahrenabwehr
dennoch polizeiliches Einschreiten geboten erscheint.
Tatsache ist, dass es zur
Begründung einer Anscheinsgefahr ausreicht, wenn Polizeibeamte aufgrund
ihrer Berufserfahrung einen Lebenssachverhalt als potenziell gefährlich
erkennen und als solchen bewerten.
Wenn das der Fall ist, dann ist es
zulässig, zur Abwehr einer konkreten Gefahr (Anscheinsgefahr) die
Identität des Mannes festzustellen.
[Position der Rechtsprechung:]
Die geht davon aus, dass Identitätsfeststellungen so genannter
Anscheinsstörer rechtlich zulässig sind. Das sind Personen, die nicht
eindeutig als Störer identifiziert und die folglich nur als
Anscheinsstörer in Anspruch genommen werden können.
Anscheinsstörer ist eine Person
bereits dann, wenn die Polizei (möglicherweise irrig) davon ausgeht,
dass von der Person eine konkrete Gefahr ausgeht, die Inanspruchnahme
der Person aber dennoch nicht willkürlich erfolgt.
Für einschreitende Polizeibeamte
heißt das, dass nachvollziehbare Gründe zu benennen sind, die ein
polizeiliches Vorgehen als sinnvoll und angemessen erscheinen lassen.
Als Anscheinsstörer kann auch eine
Person in Anspruch genommen werden, wenn sie als »potenzieller« Störer
angesehen werden kann. Polizeiliche Berufserfahrung reicht aus, um
nachvollziehbar eine Anscheinsgefahr begründen zu können. Gleiches gilt,
wenn sich eine Person in einem »engen zeitlichen und räumlichen
Zusammenhang« in einem lokalisierbaren Gefahrenbereich aufhält und
dadurch den Eindruck erweckt, ein Anscheinsstörer zu sein.
[Verwaltungsgerichtshof
Baden-Württemberg:] 2013 hat das Gericht in einem Urteil zur
Anscheinsgefahr wie folgt Stellung bezogen:
»Für das Vorliegen einer
Anscheinsgefahr ist es entscheidend, ob der handelnde Beamte aus der
ex-ante-Sicht mit Blick auf die ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden
Informationen aufgrund hinreichender Anhaltspunkte vom Vorliegen einer
Gefahr ausgehen konnte und diese Prognose dem Urteil eines fähigen,
besonnenen und sachkundigen Amtswalters entspricht (...). Dabei muss er
das Vorliegen einer Gefahr für sicher halten (...). Im Fall der
Anscheinsgefahr zweifelt die Polizei aufgrund der ihr vorliegenden
Informationen nicht am tatsächlichen Vorliegen einer Gefahr, obwohl
schon zu diesem Zeitpunkt objektiv feststeht, dass eine solche nicht
existiert (...).«
An anderer Stelle heißt es:
»Von der
Anscheinsgefahr zu unterscheiden ist der Gefahrenverdacht. Im Fall eines
Gefahrenverdachts hält die Polizei aufgrund objektiver Umstände das
Vorhandensein der Gefahr zwar für möglich, nicht aber für sicher. Beim
Gefahrenverdacht sind die Abwehrmaßnahmen vorrangig auf die Klärung der
Gefahrensituation zu richten. In besonderen Fällen, insbesondere bei
einer möglichen unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben,
können die notwendigen Maßnahmen über die bloß vorläufige Klärung
und Sicherung hinaus den Charakter endgültiger Gefahrenabwehr annehmen
(...).« [En10] 10
[Anwendung auf das Beispiel:]
Das Verhalten des Mannes wird von berufserfahrenen
Polizeibeamten als ungewöhnlich in dem Sinne interpretiert, dass eine
Person in auffälliger Art und Weise Wohnhäuser beobachtet. Die
Vorgehensweise stellt sich aus der Sicht berufserfahener Polizeibeamten
so dar, dass darin ein
»Ausbaldowern« gesehen werden kann, also die gezielte Suche nach
vorhandenen Schwachstellen, um sich unbemerkt Zugang zu Häusern oder
Wohnungen verschaffen zu können.
Den Beamten ist außerdem bekannt,
dass in den letzten Jahren die Anzahl der Wohnungseinbrüche nicht nur
bundesweit, sondern auch in der Polizeibehörde angestiegen sind, in der
sie ihren Dienst versehen.
Die Kombination vorhandener
Kenntnisse (auffälliges Verhalten und Delikthäufung von
Einbruchsdiebstählen in Häuser und Wohnungen) nehmen die Beamten zum
Anlass, die Identität des Mannes festzustellen, wohl wissend, dass im
Anschluss an die Identitätsfeststellung nicht mehr damit zu rechnen ist,
dass der Mann (weil er der Polizei nunmehr bekannt ist) in nächster Zeit
zumindest in der Nähe des Kontrollortes keine Straftaten mehr begehen wird.
Das ist Gefahrenabwehr im Sinne von vorbeugender Bekämpfung von
Straftaten.
Mit anderen Worten:
Aus jedem sinnvollen und
nachvollziehbaren Grund ist es der Polizei möglich, die Identität einer
Person festzustellen. Es wird davon ausgegangen, dass die Identität des
Mannes am Kontrollort festgestellt werden kann. Ein Verbringen zur
Polizeiwache kommt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur dann in
Betracht, wenn sich im Rahmen der Kontrolle dafür erforderliche
Erkenntnisse ergben.
10 Zusammenfassung
TOP
Im polizeilichen Berufsalltag
gehört die Identitätsfeststellung zu den so genannten
»Standardmaßnahmen«.
Die rechtlichen Befugnisse, die es
der Polizei erlauben, die Identität von Personen feststellen zu können,
sind so weit gefasst, dass aus jedem nachvollziehbaren und sachlichen Anlass die Identität einer Person
festgestellt werden kann.
Soweit es sich dabei um das Anhalten, Befragen
und um die Einsichtnahme in Ausweispapiere handelt, trifft das im vollen
Umfang zu.
Handelt es sich bei dem Gegenüber
um einen Tatverdächtigen oder um einen Unverdächtigen, findet
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung)
Anwendung.
Die Befugnisse des Polizeigesetzes greifen,
wenn die Identität einer Person zum Zweck der Gefahrenabwehr
festgestellt werden soll. Im Polizeigesetz des Landes NRW ist das
der
§ 12 PolG NRW (Identitätsfeststellung).
Die Rechtsfolgen des Anhaltens,
Befragens und die Einsichtnahme in Ausweispapiere sind in Anlehnung an
diese beiden Befugnisse, so weit gefasst, dass lediglich willkürliche
polizeiliche Identitätsfeststellungen mit dem geltenden Recht nicht
vereinbar sind.
Weitergehende Anforderungen sind
zu beachten, wenn Personen zum Zweck der
Identitätsfeststellung:
werden
sollen.
In solchen Fällen ist es in der
Regel eine Frage der Zumutbarkeit, der Erforderlichkeit und der
Verhältnismäßigkeit, die darüber entscheidet, ob solch eine Rechtsfolge
zulässig ist oder nicht.
Diesbezüglich hat das
Bundesverfassungsgericht in zwei wichtigen Entscheidungen
festgelegt, was anlässlich von Identitätsfeststellungen von der Polizei
zu erwarten ist. Aus beiden Entscheidungen stehen die Kernaussagen auf
dieser Seite zur Verfügung:
Ende des Kapitels
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§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung)
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11 Quellen
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Endnote_01
Rechtswidriges Festhalten bei festgestellter
Identität
BVerfG, Beschluss vom 27.01.1992 - 2 BvR
658/90
http://www.migrationsrecht.net/bverfg-2-bvr-658/
90-beschluss-vom-27.01.1992/dokument-ansehen.html
Aufgerufen am 11.06.2015
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Endnote_02
Anforderungen an die Rechtsfolge des
Festhaltens
BVerfG, Beschluss vom 27.01.1992 - 2 BvR
658/90
http://www.migrationsrecht.net/bverfg-2-bvr-658/
90-beschluss-vom-27.01.1992/dokument-ansehen.html
Aufgerufen am 11.06.2015
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Endnote_02a BVerfG 1 BvR
289/15 (3. Kammer des Ersten Senats) - Beschluss vom 2. November 2016
(LG Frankfurt am Main / AG Frankfurt am Main) Zitiert nach
HRR-Strafrecht Leitsätze des Bearbeiters
https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/bverfg/15/1-bvr-289-15.php
Aufgerufen am 25.01.2017 Zurück
Endnote_03
Hitlergruß nicht strafbar, wenn lediglich
Provokation
Das Amtsgericht Köln hat mit Urteil vom
02.02.2015, Aktenzeichen: 523 Ds 704/14
http://www.anwalt.de/rechtstipps/hitlergruss-als
-provokation-nicht-strafbar_066394.html
Aufgerufen am 11.06.2015
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Endnote_04
Hitlergruß als einmaliger Protest
Bundesgerichtshof, Urt. v. 18.10.1972, Az.: 3
StR 1/71 I
Randnummer 13
https://www.jurion.de/Urteile/BGH/1972-10-18/3-StR-1_71-I
Aufgerufen am 11.06.2015
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Endnote_05
Hitlergruß ist strafbar OLG Oldenburg mit
seinem Urt. v. 26.07.2010 – 1 Ss 103/10
http://app.olg-ol.niedersachsen.de/efundus/
volltext.php4?id=5369
Aufgerufen am 11.06.2015
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Endnote_06
Identitätsfeststellung
BVerfG, Beschluss vom 08. März 2011 - 1 BvR
142/05
https://www.bundesverfassungsgericht.de/
entscheidungen/rk20110308_1bvr014205.html
Aufgerufen am 11.06.2015
Zurück
Endnote_07
Identitätsfeststellung
Keine Anwendungsfälle von § 163b StPO
Vgl. KK (2009) - Griesbaum - S. 1058, Rn. 3
Zurück
Endnote_08
Geschwindigkeitsmessungen
BVerfG, Beschluss vom 05. Juli 2010 - 2 BvR
759/10
Rn. 12
https://www.bundesverfassungsgericht.de/
entscheidungen/rk20100705_2bvr075910.html
Aufgerufen am 11.06.2015
Zurück
Endnote_09
Potentieller Rechtsbrecher
Bundesverwaltungsgericht
Urt. v. 09.02.1967, Az.: BVerwG I C 57.66
https://www.jurion.de/Urteile/BVerwG/
1967-02-09/BVerwG-I-C-5766
Aufgerufen am 11.06.2015
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Endnote_10
Anscheinsgefahr als Störer
VGH Baden-Württemberg · Urteil vom 25. Juli
2013 · Az. 1 S 733/13
http://openjur.de/u/641567.html
Urteil im Volltext
Aufgerufen am 11.06.2015
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TOP
§ 163b StPO
(Identitätsfeststellung)
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