01
Vernehmungsbegriff
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Die
Strafprozessordnung enthält keine Legaldefinition der
Vernehmung.
In Anlehnung
an die von der Rechtssprechung entwickelte Definition ist unter
einer Vernehmung eine Befragung zu verstehen, die von einem
Amtswalter eines Strafverfolgungsorgans in amtlicher Funktion
mit dem Ziel der Gewinnung einer Aussage durchgeführt wird.
Im Beschluss
des Großer Senat für Strafsachen vom 13.05.1996 - GSSt 1/96
heißt es zur Vernehmung.
[Rn.
21:] Zum Begriff der Vernehmung im Sinne der
Strafprozessordnung gehört, dass der Vernehmende der
Auskunftsperson (also dem Beschuldigten, dem Zeugen oder dem
Sachverständigen) in amtlicher Funktion gegenübertritt und in
dieser Eigenschaft von ihr Auskunft (eine »Aussage«) verlangt
(...). Das entspricht der überkommenen Bedeutung des Wortes in
der Rechtssprache und wird durch eine Reihe von Vorschriften der
Strafprozessordnung bestätigt, die Einzelheiten der formellen
Abwicklung der (richterlichen oder anderen) Vernehmung betreffen
oder die Verwertung ihrer Ergebnisse regeln und alle erkennbar
auf das Bild dieser »offenen« Vernehmung zugeschnitten sind
(...).
[Rn.
21:] Eine Erweiterung des Begriffs der Vernehmung in
dem Sinn, dass hierzu alle Äußerungen des Beschuldigten gehören,
welche ein Strafverfolgungsorgan direkt oder indirekt
herbeigeführt hat (»funktionaler Vernehmungsbegriff«), ist dem
Gesetz (...) nicht zu entnehmen. Ein erweiterter Begriff würde
überdies seine Einheitlichkeit für die verschiedenen
Vorschriften der Strafprozessordnung in Frage stellen.
[Rn.
32:] Indem die Strafprozessordnung etwa vorschreibt,
dass der Beschuldigte zu seiner Vernehmung schriftlich zu laden
ist, dass ihm zu Beginn seiner Vernehmung zu eröffnen ist,
welche Tat ihm zur Last gelegt wird, und dass er über seine
Aussagefreiheit zu belehren ist, untersagt sie den
Strafverfolgungsbehörden nicht zugleich (mittelbar) jede andere
Art und Weise der Kommunikation mit einem Tatverdächtigen (...).
Die Ausgestaltung der Vernehmung als eines »offenen« Vorgangs
durch die Strafprozessordnung ist nicht Ausdruck eines dem
Gesetz als allgemeines Prinzip zugrundeliegenden Grundsatzes,
nach dem Ermittlungen im Allgemeinen und speziell Befragungen
des Beschuldigten nicht heimlich, das heißt ohne Aufdeckung der
Ermittlungsabsicht, erfolgen dürften. [En01]
[Hinweis:] Der in der Rechtsprechung verwendete
Vernehmungsbegriff geht davon aus, dass die zu vernehmende
Person in einem persönlichen Gespräch von einem Amtswalter
befragt wird.
[Mindermeinung:] Im Gegensatz dazu vertritt eine
Mindermeinung in der Literatur einen »funktionalen
Vernehmungsbegriff«. Danach soll es sich bereits dann um eine
Vernehmung handeln, wenn von einem befugten Prozessorgan
ermittelt wird. Nicht erforderlich ist es, dass die ermittelnde
Amtsperson sich als solche nach außen hin zu erkennen gibt.
Im Übrigen
wird für eine Vernehmung ein ritualisierter Gesprächsablauf
nicht gefordert.
Insoweit
kann nicht nur dann von einer Vernehmung gesprochen werden, wenn
die zu vernehmende Person zuvor schriftlich geladen wurde.
Vernehmungen im Rechtssinne können deshalb auch unmittelbar vor
Ort, z. B. anlässlich bekannt gewordener Straftaten,
durchgeführt werden.
Dieser
Mindermeinung ist insoweit zuzustimmen, als dass geklärt werden
muss, von welchem Moment an zum Beispiel Polizeibeamte Personen
zu belehren haben. Die damit verbundenen Fragen werden in diesem
Kapitel nicht thematisiert.
[Hinweis:] Zu diesem Themenbereich steht ein eigenes
Kapitel zur Verfügung »Belehrungspflichten«, das über das
Inhaltsverzeichnis der StPO aufgerufen werden kann. Die
folgenden kurzen Ausführungen zur so genannten »informellen
Befragung« können nur die Richtung aufzeigen, um die es bei zu
beachtenden Belehrungspflichten geht.
01.1
Informelle Befragung
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Als
informelle Befragungen können alle Maßnahmen zur
Informationsbeschaffung verstanden werden, die keine
Belehrungspflichten auslösen und somit auch keine Vernehmungen
sein können.
[BGH
1992:] Zu diesem Problemkreis hat sich der BGHSt mit
Beschluss vom 27.02.1992 - 5 StR 190/91 wie folgt geäußert:
[Rn.
30:] Der Polizeibeamte, der am Tatort oder in seiner
Umgebung Personen fragt, ob sie ein bestimmtes Geschehen
beobachtet haben, vernimmt keine Beschuldigten, mag er auch
hoffen, bei seiner Tätigkeit neben geeigneten Zeugen den Täter
zu finden. Er braucht nicht den Hinweis nach § 136 Abs. 1 Satz 2
StPO zu geben (...). Bedeutsam ist die Stärke des Tatverdachts,
den der Polizeibeamte gegenüber dem Befragten hegt. Hierbei hat
der Beamte einen Beurteilungsspielraum (...), den er freilich
nicht mit dem Ziel missbrauchen darf, den Zeitpunkt der
Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO möglichst weit
hinauszuschieben (...). Neben der Stärke des Verdachtes ist auch
von Bedeutung, wie sich das Verhalten des Beamten nach außen,
auch in der Wahrnehmung des Befragten darstellt (...). Es gibt
polizeiliche Verhaltensweisen, die schon nach ihrem äußeren
Befund belegen, dass der Polizeibeamte dem Befragten als
Beschuldigten begegnet, mag er dies auch nicht zum Ausdruck
bringen. Das wird etwa für Gespräche gelten, die der Beamte mit
einem Verdächtigen führt, den er im Kraftfahrzeug der Polizei
mit zur Polizeiwache nimmt; hier wird selbst bei einem
vergleichsweise geringen Grad des Verdachtes vor jeder Befragung
ein Hinweis nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO anzubringen sein.
Dasselbe gilt selbstverständlich, sobald der Betroffene
vorläufig festgenommen worden ist, oder bei einer beim
Verdächtigen vorgenommenen Durchsuchung. [En02]
[Hinweis:] Das Zitat machen deutlich, dass für so
genannte informelle Befragungen nur wenig Spielraum bleibt.
Immer dann, wenn anzunehmen ist, dass Befragungen zum Zwecke der
Strafverfolgung diesen Rahmen sprengen, sollte es für
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten selbstverständlich sein,
Personen über ihre Rechte zu belehren, bevor entsprechend
gefragt.
Die
Befugnis, solche informellen Gespräche führen zu können, ergibt
sich aus
§ 163 StPO (Aufgaben der Polizei im
Ermittlungsverfahren).
Da es sich
bei Befragungen zur Gewinnung eines Anfangsverdachts nicht um
eine Beschuldigtenvernehmung handelt, greifen
Belehrungspflichten in diesem Stadium der Ermittlungen noch
nicht.
Belehrungspflichten sind erst zwingend zu beachten, wenn
ermittelnde Amtswalter sich mit zielgerichteten Fragen an einen
Tatverdächtigen oder (im eingeschränkten Umfang) an andere
Personen (Zeugen) wenden, die Angaben zu einer bekannt
gewordenen Straftat machen können.
Von diesem
Zeitpunkt an sind schutzwürdige Interessen der Befragten berührt
und folglich im Hinblick auf den Fortgang der Befragung
(Vernehmung, Anhörung) nunmehr die einschlägigen
Vernehmungsregelungen der StPO zu beachten.
Werden diese
Regeln nicht beachtet, können erhobene Informationen einem
Beweisverwertungsverbot unterliegen.
[Übergang von der Zeugen- zur Beschuldigtenvernehmung:]
Der Übergang von einer Zeugen- zu einer Beschuldigtenvernehmung
steht im pflichtgemäßen Ermessen von Polizeibeamten, deren
Aufgabe es ist, rechtzeitig einen tatverdächtig gewordenen
Zeugen über seine Beschuldigtenrechte zu belehren.
Im Beschluss
des BGH vom 28.02.1997, Az.: 2 BJs 65/95 - 3; StB 14/96 heißt es
diesbezüglich:
[Rn.
4:] Die Beschuldigteneigenschaft eines Tatverdächtigen
wird grundsätzlich durch einen Willensakt der zuständigen
Strafverfolgungsbehörde begründet (...), die dies nach der
Stärke des Tatverdachts pflichtgemäß zu beurteilen hat. Nur wenn
sie trotz starken Tatverdachts nicht von der Zeugen- zur
Beschuldigtenvernehmung übergeht und auf diese Weise die
Beschuldigtenrechte umgeht, überschreitet sie die Grenzen des
Beurteilungsspielraums (...). Darüber hinaus ist ein
Verfolgungswille auch dann anzunehmen, wenn eine
Strafverfolgungsbehörde einen Verdächtigen zwar nicht
ausdrücklich zum Beschuldigten erklärt, aber faktische Maßnahmen
gegen ihn ergreifen, die erkennbar darauf abzielen, gegen ihn
wegen einer Straftat vorzugehen (...). [En03]
01.2
Beschuldigtenvernehmung
TOP
Gemäß
§ 163a StPO (Vernehmung des Beschuldigten) ist
der Beschuldigte spätestens vor dem Abschluss der Ermittlungen
zu vernehmen, es sei denn, dass das Verfahren zur Einstellung
führt.
In einfachen
Sachen genügt es, dass ihm Gelegenheit gegeben wird, sich
schriftlich zu äußern.
Und
im § 163a Abs. 4 StPO heißt es u.a.:
Bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten
durch Beamte des Polizeidienstes ist dem Beschuldigten zu
eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird.
Die
Beschuldigteneigenschaft muss spätestens mit dem Beginn der
Vernehmung begründet sein. Der Verdacht einer Straftat muss also
spätestens von diesem Zeitpunkt an so konkret sein, dass
erkennbar gegen den Tatverdächtigen als Beschuldigter ermittelt
wird.
Das
Wichtigste im Überblick:
- Grundsätzlich muss der Beschuldigte gemäß § 163a Abs. 1
StPO spätestens vor Abschluss der Ermittlungen vernommen
worden sein.
- Wird der Beschuldigte durch die Polizei vernommen, muss
er gemäß § 163a Abs. 4 S. 2 iVm § 136 Abs. 1 S. 2 - 4
belehrt werden. Eine unterbliebene bzw. unvollständige
Belehrung des Beschuldigten führt zu einem
Beweisverwertungsverbot der Vernehmung.
- Der Beschuldigte braucht der Ladung zu einer
polizeilichen Vernehmung nicht nachzukommen.
[Anwesenheit des Verteidigers bei der Vernehmung:]
Bis zum Inkrafttreten des "Zweiten Gesetzes zur Stärkung
der Verfahrensrechte von Beschuldigten in Strafverfahren",
das Ende
2017 in Kraft trat, war ein Anwesenheitsrecht für Verteidiger nur für
richterliche (§ 168c Abs. 1 StPO) und staatsanwaltschaftliche (§
163a Abs. 3 S. 2 StPO i.V.m. § 168c Abs. 1 StPO) Vernehmungen
vorgesehen.
Ein Recht
auf Teilnahme an einer polizeilichen Vernehmung des
Beschuldigten hatte der Verteidiger nicht.
Dies wurde
2017 geändert.
§ 163a Abs. 4 StPO
(Vernehmung des Beschuldigten) enthält jetzt einen
Verweis auf
§ 168c Abs. 1 und 5 StPO (Anwesenheitsrecht
bei richterlichen Vernehmungen), in dem das Anwesenheitsrecht
für Verteidiger geregelt ist. Die Polizei ist nunmehr auch dazu
verpflichtet, aktiv bei der Suche eines Verteidigers zu helfen.
Gleiches
gilt auch bei der Durchführung von Gegenüberstellungen. Auch
anlässlich von Maßnahmen auf der Grundlage von
§ 58 StPO (Vernehmung: Gegenüberstellung)
ist der Verteidiger vorab zu informieren und zu beteiligen.
[Verwertungsverbot:] Wird der Verteidiger nicht
zum Beschuldigten vorgelassen, muss damit gerechnet werden, dass
die Angaben des Beschuldigten kaum verwertbar sein dürften, wenn
ihm verschwiegen wurde, dass ein Verteidiger bereitsteht.
Diesbezüglich heißt es im Urteil des BGH vom 29. Oktober 1992 -
BGH 4 StR 126/92 wie folgt:
Leitsatz
Ist dem Beschuldigten vor seiner ersten
Vernehmung die von ihm gewünschte Befragung seines gewählten
Verteidigers verwehrt worden, so sind seine Angaben auch dann
unverwertbar, wenn er zuvor gemäß § 136 Abs. 1 S. 2 StPO belehrt
worden war. [En04]
01.3
Aufzeichnung der Vernehmung
TOP
Vor dem
Beginn einer Vernehmung ist zu entscheiden,
- ob einzelne Inhalte auf einen Tonträger diktiert werden
- die Vernehmung in Gänze (Ton oder Video) aufgezeichnet
oder
- gemachte Aussagen lediglich zu Protokoll genommen
werden.
Welche Form
sinnvoll ist, kann nur im Zusammenhang mit den Gegebenheiten des
jeweiligen Einzelfalls entschieden werden.
[Hinweis:] Wird im Rahmen einer Vernehmung eine
Aufzeichnungstechnik eingesetzt, muss der jeweils zu Vernehmende
damit einverstanden sein. Lehnt er eine Ton- oder
Videoaufzeichnung ab, hat eine solche Aufzeichnung in der Regel
zu unterbleiben, es sei denn, dass die Voraussetzungen von
§ 100f StPO (Akustische Überwachung
außerhalb
von Wohnraum) greifen.
Vernehmungsräume sind keine Wohnungen.
[Vollständige Aufzeichnung der Vernehmung:] In solch
einem Fall ist das Tonband bzw. die Videokassette oder der
Datenträger sicher aufzubewahren, weil auf diese Aufzeichnungen
gegebenenfalls als Beweismittel im Verfahren zurückgegriffen
werden kann.
[Diktat der Vernehmungsinhalte in ein Diktiergerät:] In
solch einem Fall wird der Extrakt der Vernehmung vom
Vernehmungsbeamten in ein Diktiergerät gesprochen und im
Anschluss daran durch eine Wortabschrift zu Protokoll gegeben.
In solch einem Fall kann nach erfolgter Protokollierung der
Datenträger gelöscht werden. Da der
Vernommenen nicht selbst spricht, kommt einer »vom
Vernehmungsbeamten diktierten Vernehmung« kein Beweiswert zu, es
sei denn, dass das Protokoll vom Vernehmungsbeamten nicht
unterschrieben wurde.
Hier wird
die Auffassung vertreten, dass es sinnvoll ist, das
Originaldiktat als authentisches »Vernehmungsdokument« stets zu
erhalten.
5 b RiStBV Vorläufige Aufzeichnung
von Protokollen
Bei der vorläufigen Aufzeichnung von
Protokollen (§ 168a Abs. 2 StPO) soll vom Einsatz technischer
Hilfsmittel (insbesondere von Tonaufnahmegeräten) möglichst
weitgehend Gebrauch gemacht werden. Die Entscheidung hierüber
trifft jedoch allein der Richter, in den Fällen des § 168b StPO
der Staatsanwalt.
[Hinweis:] Die RiStBV wenden sich nicht an die Polizei.
Dennoch ist es üblich, dass auch von der Polizei die RiStBV im
Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen beachtet und angewendet
werden.
In vielen
Fällen dürfte die nachfolgend geschilderte Durchführung von
Vernehmungen auch heute noch zum Standard gehören.
01.4
Durchführung der Beschuldigtenvernehmung
TOP
Beginn und
Ende der Vernehmung werden mit genauer Uhrzeit festgehalten. Die
Vernehmung beginnt mit der Feststellung der Personalien. Gefragt
wird außerdem nach Beruf, Ehegatten, Einkommen, Kindern wegen der
Unterhaltspflichten, Namen der Eltern (notwendig zur
Identifizierung bei häufigen Namen), Staatsangehörigkeit,
Schulverhältnissen bei Jugendlichen und Ehrenämtern.
[Feststellung der Vernehmungsfähigkeit:] Während dieser
Erhebungen wird deutlich, ob der Beschuldigte vernehmungsfähig
ist. Betrunkene werden erst nach vollständiger Ausnüchterung
vernommen. Bei Drogensüchtigen empfiehlt sich gegebenenfalls die Hinzuziehung
eines Arztes, damit dieser die Vernehmungsfähigkeit bescheinigen
kann.
Im Anschluss
an diesen formellen Teil wird dem Beschuldigten erläutert, warum
er vernommen werden soll. Der Tatvorwurf wird beschrieben, die
Strafvorschrift selbst braucht nicht benannt zu werden.
Im Anschluss
daran erfolgt die Belehrung. Es empfiehlt sich, den Wortlaut des
§ 136 Abs. 1 StPO (Erste Vernehmung) zu
zitieren.
Die
Belehrung ist aktenkundig zu machen.
Das
Unterlassen der Belehrung führt zu einem Verwertungsverbot.
Ist eine
vorangegangene Vernehmung wegen unterlassener Belehrung
unverwertbar, muss der Beschuldigte darüber belehrt werden, dass
er sich nunmehr wieder im Stadium der Aussagefreiheit befindet,
da Vernehmungen ohne vorausgegangene Belehrung einem
Verwertungsverbot unterliegen.
In einem
solchen Fall muss doppelt belehrt werden, einmal über die
Unverwertbarkeit der früheren Aussage, im Anschluss daran im
Sinne von
§ 136
StPO. Wünscht der
Beschuldigte einen Verteidiger, ist die Vernehmung abzubrechen
und ein Telefonat mit dem Verteidiger der eigenen Wahl oder dem
anwaltlichen Notdienst zu ermöglichen.
Es darf
nicht der Eindruck entstehen, dass der Beschuldigte das ihm
zustehende Recht, einen Verteidiger hinzuzuziehen, wegen seiner
Festnahme nicht durchsetzen kann.
Entschließt
sich der Beschuldigte nach der Belehrung zu einer Aussage, wird
mit dem Lebenslauf und den persönlichen Verhältnissen begonnen.
Ist der Beschuldigte dazu in der Lage, flüssig zu formulieren,
sollte er selbst diktieren.
Bei
bedeutsamen Aussagen empfiehlt sich ein Wortprotokoll mit
Fragen, Vorhalten und Antworten, siehe Nr. 45 RiStBV.
Dort heißt
es:
45 RiStBV Form der Vernehmung und
Niederschrift
(1) Die Belehrung des Beschuldigten vor
seiner ersten Vernehmung nach 136 Abs. 1, 163a Abs. 3 Satz 2
StPO ist aktenkundig zu machen.
(2) Für bedeutsame Teile der Vernehmung
empfiehlt es sich, die Fragen, Vorhalte und Antworten möglichst
wörtlich in die Niederschrift aufzunehmen, legt der Beschuldigte
ein Geständnis ab, so sind die Einzelheiten der Tat möglichst
mit seinen eigenen Worten wiederzugeben. Es ist darauf zu
achten, dass besonders solche Umstände aktenkundig gemacht
werden, die nur der Täter wissen kann. Die Namen der Personen,
die das Geständnis mit angehört haben, sind zu vermerken.
Geständnisse
sind mit möglichst vielen Einzelheiten festzuhalten.
Danach
sollen ergänzende Fragen zu Umständen gestellt werden, über die
nur der Täter selbst Bescheid wissen kann.
Dem
Beschuldigten ist Gelegenheit zu geben, den gesamten Sachverhalt
aus seiner Sicht im Zusammenhang vorzutragen. Die Vernehmung
sollte in einer ruhigen, sachlichen Weise erfolgen, auch wenn es
um die Aufklärung schwerer Verbrechen geht.
Auch
erkennbare Schutzbehauptungen werden protokolliert, bevor
Nachfragen unter Bezug auf die Aktenlage erfolgen. In diesem
Zusammenhang ist es zulässig, den Beschuldigten nachdrücklich
zur Wahrheit zu ermahnen, da nachgewiesene Lügen zum Verlust
seiner Glaubwürdigkeit führen.
Die
Vernehmung endet mit der Frage, ob der Beschuldigte zu seiner
Entlastung Beweisanträge stellen will oder sonstige Umstände für
ihn sprechen.
[Protokoll ist vorzulesen:] Das Protokoll wird am Ende
der Vernehmung noch einmal vorgelesen und dem Beschuldigten zur
Durchsicht übergeben. Er sollte jede Seite einzeln
unterschreiben. Der Vermerk lautet dann: vorgelesen und
genehmigt oder selbst gelesen und genehmigt.
Besteht der
Beschuldigte darauf, eine Kopie von der Vernehmung zu erhalten,
kann ihm diese gegen Erstattung der Kosten zur Verfügung
gestellt werden. Es empfiehlt sich in diesem Falle, Rücksprache
mit der Staatsanwaltschaft zu nehmen.
[Tonaufzeichnungen der Vernehmung:] Die Möglichkeit der
Aufzeichnung einer Vernehmung ist zulässig. Werden Tonträger
verwendet, ist der Beschuldigte entsprechend zu informieren. Im
Vernehmungsprotokoll ist ein entsprechender Vermerk
aufzunehmen.
Tonbandaufzeichnungen ohne Wissen des Beschuldigten unterliegen
grundsätzlich einem Verwertungsverbot.
[Vernehmungsdauer:] Als Richtwert für die zulässige
Dauer einer Beschuldigtenvernehmung wird in der Literatur eine
Vernehmungsdauer von maximal 3 - 4 Stunden in Erwägung gezogen.
Als Richtwert dürfte eine Vernehmungsdauer von 2 Stunden ohne
Pausen angemessen sein.
Zu
berücksichtigen ist in jedem Fall die individuelle Verfassung
des zu vernehmenden Beschuldigten.
Besonders
kurz sollten Vernehmungen zur Nachtzeit gehalten werden.
Die
Fähigkeit zum Verständnis der Belehrung richtet sich nach den
Kriterien der Verhandlungsfähigkeit. Nur durch schwere
körperliche oder seelische Mängel wird die Vernehmungsfähigkeit
ausgeschlossen. Ist der Beschuldigte aufgrund einer
geistig-seelischen Störung nicht vernehmungsfähig, muss von der
Unverwertbarkeit seiner Äußerungen ausgegangen werden.
[Ausgeschlossene Vernehmungsfähigkeit:] Diesbezüglich
heißt es in einem Urteil des BGH vom 12. Oktober 1993 - BGH 1
StR 475/93 zum Verwertungsverbot bezüglich der Vernehmung des
Beschuldigten bei Nichtverstehen der Belehrung über
Aussagefreiheit wegen geistig-seelischen Zustands wie folgt:
Leitsatz Versteht der
Beschuldigte infolge seines geistig-seelischen Zustands den
Hinweis des Polizeibeamten über seine Aussagefreiheit nicht, so
dürfen Äußerungen, die er bei dieser Vernehmung macht, in der
Hauptverhandlung nur verwertet werden, wenn der verteidigte
Angeklagte der Verwertung zustimmt oder ihr nicht bis zu dem in
§ 257 StPO genannten Zeitpunkt widerspricht (...) [En05]
Beschuldigte, die bei einer früheren Vernehmung nicht
(ordnungsgemäß) belehrt worden sind, sind vor einer erneuten
Vernehmung umfassend zu belehren. In diesem Fällen wird eine so
genannte qualifizierte Belehrung erforderlich, die den
Beschuldigten auch darüber aufklärt, dass das bisher Gesagte
nicht verwertet werden kann.
01.5
Anwesenheit anderer Personen als Verteidiger
TOP
Ist ein
ausländischer Beschuldigter der deutschen Sprache nicht mächtig,
muss ein Dolmetscher hinzugezogen werden. Das ergibt sich
unmittelbar aus der Europäischen Konvention der Menschenrechte,
siehe Artikel 6 Abs. 3 Buchstabe e) MRK (Recht auf ein faires
Verfahren).
Danach hat
jeder Angeklagte das Recht, unverzüglich in einer für ihn
verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über die Art und
den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis
gesetzt zu werden sowie die unentgeltliche Beziehung eines
Dolmetscher zu verlangen, wenn er die Verhandlungssprache des
Gerichtes nicht versteht oder sich nicht darin ausdrücken kann.
Für den
Fall, dass der Beschuldigte über hinreichend Deutschkenntnisse
verfügt, die die Hinzuziehung eines Dolmetschers unnötig
erscheinen lassen, sieht Nr. 181 Abs. 1 RiStBV vor, dies bei der
ersten Vernehmung eines Nichtdeutschen aktenkundig zu machen.
181 RiStBV Verfahren gegen
sprachunkundige Ausländer
(1) Bei der ersten verantwortlichen
Vernehmung eines Ausländers ist aktenkundig zu machen, ob der
Beschuldigte die deutsche Sprache soweit beherrscht, dass ein
Dolmetscher nicht hinzugezogen zu werden braucht.
(2) Ladungen, Haftbefehle, Strafbefehle,
Anklageschriften und sonstige gerichtliche Sachentscheidungen
sind dem Ausländer, der die deutsche Sprache nicht hinreichend
beherrscht, mit einer Übersetzung in eine ihm verständliche
Sprache bekanntzugeben.
Handelt es
sich um einen jugendlichen Beschuldigten, ist zu beachten, dass
dessen Erziehungsberechtigte gemäß
§ 67 Abs. 1 JGG
(Stellung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen
Vertreters) ein Anwesenheitsrecht haben.
Im Verfahren
gegen einen Heranwachsenden gilt das Anwesenheitsrecht nicht,
siehe
§ 109 JGG (Verfahren).
Mit dem
Anwesenheitsrecht des Erziehungsberechtigten korrespondiert eine
entsprechende Benachrichtigungspflicht.
01.6
Belehrungspflichten
TOP
Die für
polizeiliche Beschuldigtenvernehmungen zu beachtenden
Belehrungspflichten ergeben sich aus
§ 163a StPO
(Vernehmung des Beschuldigten) iVm
§ 136 StPO
(Erste Vernehmung).
Diese
Belehrungspflichten sind von erheblicher Bedeutung. Eine
Nichtbeachtung kann zu einem Beweisverwertungsverbot führen.
Bei der
Belehrung, die vor Vernehmungsbeginn zu erfolgen hat, handelt es
sich nicht um einen rein formalen Vorgang, sondern um eine echte
Belehrung. Dem Beschuldigten muss klar und deutlich vor Augen
geführt werden, welche Rechte er hat und dass er sich frei
entschließen kann, diese wahrzunehmen.
Versteht der
Beschuldigte aufgrund seines geistig-seelischen Zustandes den
Hinweis des belehrenden Polizeibeamten nicht, so dürfen
Äußerungen, die er bei dieser Vernehmung macht, in der
Hauptverhandlung nur verwertet werden, wenn der verteidigte
Angeklagte der Verwertung zustimmt oder ihr nicht widerspricht.
Im Urteil
des BGH vom 12.10.1993 - BGH 1 StR 475/93 heißt es diesbezüglich
im Leitsatz:
Leitsatz Versteht der
Beschuldigte infolge seines geistig-seelischen Zustands den
Hinweis des Polizeibeamten über seine Aussagefreiheit nicht, so
dürfen Äußerungen, die er bei dieser Vernehmung macht, in der
Hauptverhandlung nur verwertet werden, wenn der verteidigte
Angeklagte der Verwertung zustimmt oder ihr nicht bis zu dem in
§ 257 StPO genannten Zeitpunkt widerspricht. (...). [En06]
01.7
Aussageverweigerungsrecht
TOP
Will der
Beschuldigte nicht aussagen, muss das respektiert werden.
Es ist der
Polizei nicht erlaubt, auf diesen Entschluss mit unerlaubten
Vernehmungsmethoden einzuwirken. Dem Beschuldigten darf aber vor
Augen geführt werden, welche nachteiligen Folgen eine
Aussageverweigerung für ihn haben kann.
Die
Belehrungspflichten sind auch dann zu beachten, wenn der
Beschuldigte bereits zuvor vernommen worden ist. Auf
Beschuldigtenbelehrungen darf nicht verzichtet werden.
Das Gesetz
schreibt folgende Belehrungen des Beschuldigten vor:
- Gemäß
§ 163a Abs. 4 S. 1 StPO ist dem
Beschuldigten zunächst zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last
gelegt wird. Nicht erforderlich ist die Angabe der in
Betracht kommenden Strafvorschriften.
- Der Beschuldigte ist dahingehend zu belehren, dass es
ihm freisteht, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht
zur Sache auszusagen. Das möglicherweise in Anspruch
genommene Schweigerecht bezieht sich nicht auf die
Personalien im Sinne von
§ 111 OWiG
(Falsche Namensangabe).
- Der Beschuldigte ist darüber zu belehren, dass es ihm
freisteht, jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung,
einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu konsultieren (§
136 Abs. 1 S. 2 StPO). Der Hinweis ist nicht
erforderlich, wenn der Beschuldigte für dieses Verfahren
bereits einen Verteidiger hat.
Erklärt der
Beschuldigte, dass er erst mit einem Verteidiger sprechen wolle,
muss die beabsichtigte Vernehmung aufgeschoben/unterbrochen und
die weitere Entscheidung des Beschuldigten abgewartet werden.
Dem Beschuldigten ist gegebenenfalls Gelegenheit zu geben, sich
telefonisch mit einem Verteidiger in Verbindung zu setzen.
01.8
Konsultation eines Anwalts
TOP
In Anlehnung
an die Rechtsprechung des BGH ist davon auszugehen, dass ein
Beweisverwertungsverbot besteht, wenn dem Beschuldigten nicht in
»effektiver Weise« geholfen wurde, den Kontakt zum Verteidiger
herzustellen, sondern die Polizei nur Scheinaktivitäten
entwickelt hat.
Es reicht z.
B. nicht aus, dem Beschuldigten lediglich ein unüberschaubares
Branchenverzeichnis vorzulegen, um ihn von der
Aussichtslosigkeit, zu seiner nächtlichen Vernehmung einen
geeigneten Verteidiger hinzuzuziehen, zu überzeugen, anstatt ihn
auf den anwaltlichen Notdienst hinzuweisen. Im Sinne eines
fairen Ermittlungsverfahrens kann vielmehr von der Polizei
erwartet werden, dass die technischen Möglichkeiten zur
Herstellung des Verteidigerkontaktes zur Verfügung gestellt
werden (Diensttelefon).
Für den
Umfang der Hilfspflicht kann folgende Regel gelten. Je schwerer
die Tat und je unbeholfener der Beschuldigte ist, desto mehr
muss an Unterstützung durch die Polizei gefordert werden. Das
gilt insbesondere bei ausländischen, der deutschen Sprache nur
unzureichend
mächtigen Beschuldigten.
Schließlich
ist der Beschuldigte noch auf sein Recht hinzuweisen, dass er zu
seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen kann (§
136 Abs. 1 S. 3 StPO). Damit soll ihm deutlich gemacht werden,
dass er sich auch in dieser Form entlasten kann, selbst wenn er
keine Angaben zur Sache machen will.
01.9
Anforderungen an die Eröffnung des Tatvorwurfs
TOP
Dem
Beschuldigten muss vor der Vernehmung zur Sache bekanntgegeben
werden, welche Tat ihm zur Last gelegt wird.
Was darunter
zu verstehen ist, hat der BGH mit Beschluss vom 06.03.2012 - 1
StR 623/11 wie folgt beschrieben:
[Anlass:] Der Beschuldigte
hatte mit zahlreichen wuchtigen Schlägen seiner geschiedenen
Frau den Schädel eingeschlagen und andere Handlungen an ihr
vorgenommen, die jede für sich allein den Tod des Opfers hätten
herbeiführen können. Am Ende der Tat schob der Beschuldigte das
sterbende Opfer unter ein Auto, damit sie nicht gefunden würde
und ihr Tod umso sicherer eintrete.
[Ablauf der Belehrung:] Der
Beschuldigte wurde ordnungsgemäß über sein Schweigerecht und
sein Recht auf Anwaltskonsultation belehrt. Ihm wurde jedoch
nicht eröffnet, dass gegen ihn wegen eines Tötungsdelikts
ermittelt wurde. Ihm wurde lediglich mitgeteilt, er habe »seiner
Frau etwas Schlimmes angetan«.
Im Beschluss
vom 6.3.2012 stellte der BGH fest, dass die Polizei nicht dazu
verpflichtet ist, die Strafvorschriften zu nennen, gegen die der
Beschuldigte verstoßen habe.
Dem
Beschuldigten ist aber der ihm vorgeworfene Sachverhalt
zumindest in groben Zügen zu eröffnen. Dieser Verpflichtung wird
nicht nachgekommen, wenn dem Beschuldigten eines Gewaltdelikts
der Tod des Opfers verschwiegen wird. Ohne diesen Hinweis ist
die Tat nicht einmal in groben Zügen eröffnet. Der Hinweis, es
gehe um das »Schlimme«, was der Beschuldigte dem Opfer angetan
hat, reicht nicht aus.
Belehrungsfehler, so die urteilenden Richter, können das
Verfahren erheblich belasten, im Einzelfall sogar den Bestand
des Urteils gefährden. Dies gelte für alle Ermittlungsverfahren,
insbesondere aber für so genannte Kapitalverfahren. [En07]
01.10 Vernehmung durch Ton- und Videoaufzeichnung
TOP
Für die
Protokollierung der polizeilichen Vernehmung des Beschuldigten
gilt
§ 168a StPO (Art der Protokollierung
richterlicher Untersuchungshandlungen) und
§ 168b StPO
(Protokoll über staatsanwaltschaftliche Untersuchungshandlungen)
entsprechend.
Danach ist
es z. B. gestattet, den Inhalt des Vernehmungsprotokolls mit
einem Tonaufnahmegerät aufzuzeichnen. Wegen der Möglichkeit, die
Tonbandaufzeichnungen bei Unstimmigkeiten/Unklarheiten über den
Inhalt der Aussage des Beschuldigten später in der
Hauptverhandlung abspielen zu dürfen, sollte von Tonaufzeichnung
möglichst oft Gebrauch gemacht werden.
Das
aufgenommene Wort wird in einen Aktenvermerk oder in ein
schriftliches Protokoll umgesetzt. Die gewonnenen
Tonaufzeichnungen sind Augenscheinobjekte, die in die Akte
aufgenommen werden.
[Keine heimlichen Tonbandaufzeichnungen:] Heimliche
Tonbandaufzeichnungen bei der Vernehmung sind grundsätzlich
unzulässig, es sei denn, dass die Voraussetzungen nach
§
100f StPO (Akustische Überwachung außerhalb von
Wohnraum) gegeben sind oder überwiegende Interessen der
Allgemeinheit dies zwingend gebieten und die schutzwürdigen
Interessen des Beschuldigten an der Nichtverwertung
zurücktreten.
Bei einem
Vernehmungsraum handelt es sich nicht um eine Wohnung.
Der
Gesetzgeber hat 1998 durch das Zeugenschutzgesetz die
Möglichkeit geschaffen, im Rahmen der Gerichtsverhandlung unter
Einsatz audiovisueller Übertragung Zeugen zu vernehmen, die sich
während der Vernehmung außerhalb des Gerichtssaales aufhalten,
siehe
§ 247a StPO (Anordnung einer
audiovisuellen Vernehmung von Zeugen).
Durch diese
Vorschrift sollen insbesondere kindliche Zeugen in
Strafverfahren wegen Kindesmissbrauchs vor einer sie psychisch
belastenden Vernehmung in der Hauptverhandlung bewahrt werden.
Darüber hinaus wurde mit der genannten Bestimmung auch
erwachsenen Zeugen die Möglichkeit eröffnet, in begründeten
Einzelfällen sich mittels audiovisueller Übertragung vernehmen
zu lassen. Dies gilt auch für Zeugen, die sich während der
Vernehmung im Ausland aufhalten.
01.11 Zweiteilung der Vernehmung
TOP
Von
Bedeutung für den Ablauf einer Vernehmung ist auch die gemäß
§ 69 StPO (Vernehmung zur Sache) vorzunehmende
Zweiteilung der Vernehmung des Beschuldigten in Bericht
und Verhör.
[Bericht:] Im Rahmen der Vernehmung ist jeder zu
vernehmenden Person das Recht einzuräumen, eine zusammenhängende
Sachverhaltsschilderung vortragen zu können, ohne dabei vom
Vernehmungsbeamten unterbrochen zu werden.
[Verhör:] Als Verhör wird der Teil der Vernehmung
bezeichnet, der maßgeblich vom Vernehmungsbeamten gesteuert
wird.
Dies ist für
Zeugenvernehmungen ausdrücklich vorgeschrieben. Die Regelung
gilt analog auch für Beschuldigte.
Im Rahmen
des zu erstellenden Vernehmungsprotokolls sollte eine möglichst
wortgetreue Niederschrift des gesamten Gesprächsverlaufs
festgehalten werden.
Für die
Protokollierung eines Geständnisses gilt Nr. 45 Abs. 2 S. 2 bis
4 RiStBV. Auf die Einhaltung dieser Bestimmungen ist besonders
zu achten, weil Formfehler in diesem Bereich von der
Verteidigung gern als Anlass zum Widerruf verwendet werden.
Vom
Vernehmungsprotokoll ist dem Beschuldigten im Interesse seiner
Verteidigung auf sein ausdrückliches Verlangen und seine Kosten
eine Abschrift auszuhändigen, wenn dadurch der
Untersuchungszweck nicht gefährdet wird. Im Zweifel hat die
Polizei vor Aushändigung die Entscheidung der StA einholen.
01.12 Ladung zur Vernehmung
TOP
Der
Beschuldigte ist grundsätzlich schriftlich zur Vernehmung zu
laden. Dies gilt nicht für Vernehmungen von Tatverdächtigen, die
aufgrund eines bestehenden dringenden Tatverdachtes vorläufig
festgenommen wurden.
Aus der
Ladung muss die Absicht der Polizei zu erkennen sein, ihn als
Beschuldigten zu vernehmen. Sie muss zum anderen, soweit
möglich, den Gegenstand der Beschuldigung kurz angeben.
Der
Beschuldigte braucht der Ladung zu einer polizeilichen
Vernehmung nicht Folge zu leisten.
[Polizeiliche Vorladungen begründen keine Erscheinungspflicht:]
Nur eine staatsanwaltschaftliche oder eine richterliche
Vorladung verpflichten die jeweils vorgeladene Person zur
Vernehmung zu kommen, siehe
§ 163a Abs. 3 S. 1 StPO
(Vernehmung des Beschuldigten) und
§ 133 StPO
(Ladung).
[Folgen des Nicht-Erscheinens:] Kommt ein Beschuldigter
der Vorladung nicht nach, bleibt festzustellen, dass im
Zusammenhang mit der schriftlichen Ladung zur Vernehmung dem
Anspruch des Beschuldigten auf rechtliches Gehör entsprochen
worden ist.
Ein Beschuldigter, der nicht zur Vernehmung kommt,
muss damit rechnen, dass nach Aktenlage entschieden wird.
01.13 Schriftliche Einlassung
TOP
In
geeigneten Fällen soll der Beschuldigte darauf hingewiesen
werden, dass er sich schriftlich zur Sache äußern kann.
Dieser
Hinweis braucht nur dann gegeben zu werden, wenn die Polizei
»nach Art des Falls und der Persönlichkeit des Beschuldigten«
eine solche Möglichkeit für sinnvoll hält.
Das ist in
der Regel dann der Fall, wenn es sich um die Ermittlung
einfacher Tatzusammenhänge handelt und davon ausgegangen werden
kann, dass der zu »Befragende« intellektuell dazu in der Lage
ist, sich mit der erforderlichen Gründlichkeit zum Sachverhalt
schriftlich zu äußern.
Im
Zusammenhang mit Ermittlungen anlässlich schwerer Delikte
scheidet eine schriftliche Anhörung aus.
Jedem
Beschuldigten ist es freigestellt, seine mündliche Aussage durch
eine schriftliche Äußerung zu ergänzen.
01.14 Verbotene Vernehmungsmethoden
TOP
Die
Anwendung und Androhung verbotener Vernehmungsmethoden verstößt
gegen die Menschenwürde und ist gemäß
§ 136a Abs. 1 StPO
(Verbotene Vernehmungsmethoden; Beweisverwertungsverbote)
verboten. Dabei ist unerheblich, ob die Anhörung zur
Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr erfolgt.
Zwang darf
nur angewandt werden, soweit das Strafverfahrensrecht dies
zulässt.
Die Drohung
mit einer unzulässigen Maßnahme und das Versprechen eines
gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils sind ebenfalls verboten.
Verbotene
Vernehmungsmethoden sind u. a.:
- Misshandlung des Beschuldigten
- Herbeiführen von Ermüdung
- Körperliche Eingriffe
- Verabreichen von Mitteln
- Quälerei
- Täuschung
- Hypnose
- Drohung mit verfahrensrechtlich unzulässigen Mitteln
- Versprechen von gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteilen
- Einsatz eines Lügendetektors.
Aussagen,
die durch Anwendung oder Androhung verbotener
Vernehmungsmethoden »gewonnen« wurden, unterliegen gem. § 136 a
Abs. 3 StPO einem Verwertungsverbot.
[List:] Mit Beschluss des BGH vom 25.10.2016 - 2 StR
84/16 hat der BGH zur List anlässlich polizeilicher Vernehmungen
wie folgt Stellung bezogen:
1. § 136a Abs. 1 StPO gilt
nach § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO auch für Polizeibeamte. Zwar
schließt § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO nicht die Anwendung jeder
List bei einer Vernehmung aus. Die Vorschrift verbietet aber
eine Lüge, durch die der Beschuldigte bewusst irregeführt und in
seiner Aussagefreiheit beeinträchtigt wird. Weiß der
Vernehmende, dass aufgrund der bisherigen Ermittlungen kein
dringender Tatverdacht bezüglich eines Mordes besteht, erklärt
aber trotzdem, die vorliegenden Beweise ließen dem Beschuldigten
keine Chance, er könne seine Lage nur durch ein Geständnis
verbessern, so täuscht er ihn über die Beweis- und
Verfahrenslage. 2. Eine nach § 136a Abs. 1 StPO unzulässige
Lüge liegt beispielsweise vor, wenn der Vernehmungsbeamte den
Angeklagten in seiner ersten Beschuldigtenvernehmung mehrfach
darauf hinweist, dass er ihn zwar nicht für einen „Mörder“
halte, dass die Tat aber angesichts der gravierenden
Verletzungsfolgen und des Nachtatverhaltens wie ein „richtiger,
klassischer Mord“ erscheine, wenn er – der Beschuldigte – dies
nicht richtigstelle und sich zur Sache einlasse. 3. Ein
rechtlicher Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 StPO ist zu erteilen,
wenn der Angeklagte wegen einer andersartigen Begehungsform des
in der zugelassenen Anklageschrift aufgeführten Strafgesetzes
verurteilt werden soll. Dies gilt insbesondere beim Übergang vom
Vorwurf des Verdeckungsmordes zu dem des Mordes aus niedrigen
Beweggründen. 4. Dieser rechtliche Hinweis dient dazu, den
Angeklagten vor Überraschungen zu schützen und ihm Gelegenheit
zu geben, sich gegenüber einem neuen Vorwurf sachgerecht zu
verteidigen. Ob es sich um eine andersartige Begehungsform oder
um eine gleichartige Erscheinungsform desselben Tatbestands
handelt, ist nicht nach den äußeren Merkmalen, sondern nach dem
Inhalt der Begehungsform zu entscheiden. 5. Der rechtliche
Hinweis muss so abgefasst sein, dass der Angeklagte erkennt,
durch welche konkreten Tatsachen das Gericht das Mordmerkmal als
erfüllt ansieht. Nur solchermaßen präzise abgefasst kann der
Hinweis die ihm zugedachte Funktion erfüllen, den Angeklagten
vor Überraschungsentscheidungen zu schützen und ihm Gelegenheit
zu geben, sich gegenüber dem Tatvorwurf sachgerecht zu
verteidigen. [En07a]
01.15 Fall Daschner/Gäfken
TOP
Dieser Fall
ist in die deutsche Rechtsgeschichte eingegangen. Am Freitag,
dem 27.9.2002, entführte G. den 11-jährigen Jakob M. In dem
Erpresserbrief, den er bereits eine Woche vorher geschrieben
hatte, verlangte er die Übergabe des Lösegeldes (1 Million Euro)
für die Nacht von Sonntag auf Montag.
Am Montag,
dem 30.9.2002 um 1.10 Uhr, konnte G. als Abholer des Geldes
beobachtet und durch die weiteren Ermittlungen identifiziert
werden. Da inzwischen drei Tage seit der Entführung vergangen
waren und sich aus dem Verhalten von G keine Rückschlüsse auf
den Verwahrort des Kindes oder auf weitere Tatbeteiligte
ergaben, erfolgte gegen 16.20 Uhr dessen Festnahme. Zu diesem
Zeitpunkt bestand die ernstzunehmende Alternative, dass der
Junge noch lebte. So war nicht auszuschließen, dass sich das
Kind in der Obhut anderer Leute befand, die ohne den Einbezug
des G selbständig agierten. Aber auch wenn G. Alleintäter sein
sollte, konnte sich das Kind lebend irgendwo, möglicherweise in
hilfloser Situation, in einem Versteck befinden.
Nachdem
weitere Anhörungen des G. und umfangreiche Ermittlungen in alle
denkbaren Richtungen nicht dazu führten, den Aufenthaltsort des
Kindes festzustellen, beurteilte die Polizei am 01.10.2002 die
Lage in der Weise, dass bei dem entführten Kind mittlerweile mit
einem gravierenden Nahrungs- und Flüssigkeitsmangel zu rechnen
sei, so dass eine akute Lebensgefahr bestehe, so dass der Entführer
dazu veranlasst werden musste, den Aufenthaltsort preiszugeben.
Deshalb ordnete der stellvertretende Polizeipräsident D. an, den
G. nach vorheriger Androhung, unter ärztlicher Aufsicht, durch
Zufügung von Schmerzen, ohne Verursachung von Verletzungen,
erneut zu befragen, falls er nicht das Versteck der Geisel
preisgebe. D. begründete seine Anordnung mit dem Vorliegen eines
übergesetzlichen Notstands.
Das LG
Frankfurt hatte D. wegen Nötigung im Amt zu einer Geldstrafe von
90 Tagessätzen zu je 120,00 € verurteilt. Der Untergebene E.,
der die Nötigung begangen hatte, wurde wegen Nötigung im Amt zu
einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 60,00 € verurteilt.
Die Anhörung
von G. diente dem Zweck der Gefahrenabwehr, weil sie darauf
gerichtet war, den Aufenthaltsort des entführten Jakob Metzler
zu ermitteln, um dessen Leben zu retten.
Die das
Urteil des LG Frankfurt tragenden Gründe gelten jedoch
gleichermaßen auch für Vernehmungen zur Strafverfolgung.
[Landgericht in Frankfurt am 4. August 2011:] In der
Pressemeldung heißt es: Der heute
36-jährige Magnus Gäfgen entführte und ermordete den
Bankierssohn Jakob von Metzler vor neun Jahren. Wegen der ihm
damals angedrohten Folter während eines Polizeiverhörs muss das
Land Hessen nun seiner Entschädigungsforderung nachkommen und
3000 Euro zahlen.
Das
Verhalten der Beamten nannte der vorsitzende Richter des
Landgerichts in Frankfurt am Main in seiner Begründung
»rechtswidrig und verwerflich«. Daschner habe einen Untergebenen
zur Nötigung im Amt verleitet. Die Schmerzen seien zudem nicht
nur angedroht worden, sondern »auch die Durchführung einer
entsprechenden Behandlung vorbereitet worden.«
Die Kammer
stützte ihre Entscheidung auch auf das Urteil des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser hatte die
Folterandrohung im Juni 2010 als »unmenschliche Behandlung
eingestuft« und eine Verletzung der Europäischen
Menschenrechtkonvention gerügt.«
Unerlaubte
Vernehmungsmethoden sind Verletzungen der Menschenwürde. Diese
steht auch solchen Personen zu, die sich außerhalb des Rechts
stellen. Auch die Würde eines Verbrechers ist in einem
Rechtsstaat geschützt.
10.
Oktober 2012 Urteil wegen Folterdrohung bestätigt
Kindsmörder Magnus Gäfgen erhält 3000 Euro Entschädigung
Das Land
Hessen muss dem verurteilten Kindsmörder Magnus Gäfgen eine
Entschädigung von 3000 Euro wegen Folterandrohung in einem
Polizeiverhör zahlen. Damit wies das Oberlandesgericht in
Frankfurt die Berufung des Landes Hessen gegen ein früheres
Urteil zurück. Die Richter stellten in ihrem Urteil abschließend
fest, dass das Verhalten der beiden Polizeibeamten - auch wenn
es deren Ziel war, das Leben des Kindes zu retten - weder
polizeirechtlich noch strafrechtlich zu rechtfertigen oder zu
entschuldigen gewesen sei. Die beiden Polizeibeamten hätten eine
Straftat begangen.
Im Urteil
des OLG Frankfurt am Main vom 10. Oktober 2012 · Az. 1 U 201/11
heißt es in den Leitsätzen:
[Rn.
10:] Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des
Falles, insbesondere der achtenswerten Motive der beiden
Polizeibeamten und dem Umstand, dass ihr Handeln bereits durch
ein gegen sie ergangenes Strafurteil und weitere
Gerichtsentscheidungen deutlich missbilligt worden sei,
erscheine eine Entschädigung von 3.000,00 Euro angemessen.
[Rn.
81:] Zum Foltervorwurf heißt es: ... eine Vernehmung
unter Anwendung der nach Art. 104 Abs. 1 GG verbotenen Methoden,
insbesondere eine Folterandrohung, macht die Vernehmungsperson
zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung; sie verletzt deren
verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und
Achtungsanspruch und zerstört grundlegende Voraussetzungen der
individuellen und sozialen Existenz des Menschen. [En08]
02
Zeugenvernehmung
TOP
Zeugen
können geladen und zur Sache von der Polizei vernommen werden.
Sie sind vor Beginn der Vernehmung zu belehren.
Es
entspricht der Besonderheit polizeilicher Arbeit, dass im Laufe
einer Zeugenvernehmung der Eindruck entstehen kann, dass es sich
nicht um einen Zeugen, sondern um einen Tatverdächtigen handelt.
Im Rahmen von Gesprächsverläufen, die aus einem Zeugen
möglicherweise einen Tatverdächtigen machen, ist die Frage von Bedeutung, zu
welchem Zeitpunkt zur Beschuldigtenbelehrung mit den sich aus
§ 136 StPO (Erste Vernehmung) ergebenden
Belehrungspflichten überzugehen ist.
Ausschlaggebend dafür ist die Stärke des Tatverdachts.
Im Urteil
des BGH vom 31.05.1990 - 4 StR 112/90 heißt es im amtlichen
Leitsatz:
Es steht im
pflichtgemäßen Ermessen der Strafverfolgungsbehörde, wann sie
von der Zeugen- zur Beschuldigtenvernehmung übergeht; maßgeblich
hierfür ist die Stärke des Tatverdachts. [En09]
Eine
Belehrung in diesem Sinne wird notwendig, wenn der Tatverdacht
sich so verdichtet hat, dass die vernommene Person ernsthaft als
Täter der untersuchten Straftat in Betracht kommt.
02.1
Durchführung der Zeugenvernehmung
TOP
Zeugen
werden zur Vernehmung grundsätzlich vorgeladen. Erscheint der
Zeuge, wird er zunächst zur Wahrheit ermahnt. Mit Hilfe seines
Ausweises werden die Personalien, Alter, Beruf, Wohnort usw.
festgehalten. Der Zeuge wird über den Gegenstand seiner
Vernehmung unterrichtetn siehe
§ 68 Abs. 1 StPO
(Vernehmung zur Person; Beschränkung von Angaben,
Zeugenschutz).
Vor
Vernehmungsbeginn wird geklärt, ob er mit dem Beschuldigten
verwandt oder verschwägert ist. Ist das der Fall, muss er im
Sinne von
§ 52 Abs. 3 StPO
(Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen des Beschuldigten)
über das ihm zustehende Zeugnisverweigerungsrecht belehrt
werden.
Der Grad der
Verwandtschaft bestimmt sich nach dem BGB, da die StPO hierzu
keine Regelung enthält.
Der Zeuge
ist auch über seine sonstigen Beziehungen zu dem Beschuldigten
zu befragen, um seine Glaubwürdigkeit beurteilen zu können (§ 68
Abs. 4 StPO).
Ein Zeuge
kann nach
§ 68b StPO
(Zeugenbeistand)
anwaltlichen Beistand verlangen, wenn er seine Befugnisse bei
der Vernehmung nicht selbst wahrnehmen kann und seine
schutzwürdigen Interessen auf andere Art nicht gewahrt werden
können.
Der Zeuge
wird zunächst zu einem zusammenhängenden Bericht veranlasst (§
69 Abs. 1 StPO). Dieser Bericht ist möglichst wörtlich zu
protokollieren. Anschließend sind die ergänzenden Fragen zu
stellen. Das erstellte Protokoll wird vorgelesen und dem Zeugen
zur Genehmigung vorgelegt.
Eine andere,
raschere Vernehmungsmethode besteht darin, zunächst mit dem
Zeugen ein Vorgespräch zu führen, welches nicht festgehalten
wird, um in Anschluss daran dann den wesentlichen Inhalt der Aussage zu diktieren.
Seit dem 1.
12. 1998 gilt
§ 58a StPO (Aufzeichnung der
Vernehmung in Bild und Ton), wonach, insbesondere bei Opferzeugen
unter 16 Jahren, die Vernehmung auf Bild-Ton-Träger aufgezeichnet
werden soll.
Als Richtwert für die
zulässige Dauer einer Vernehmung ohne Pause gilt für Zeugen eine
Dauer von 45 Minuten bis höchstens 1 Stunde.
02.2
Zeugnisverweigerungsrechte
TOP
Kein
Beschuldigter darf dazu gezwungen werden, sich selbst zu
belasten. Ihm steht vielmehr das Recht zu, zu schweigen. Zu
seinem Schutz räumt das Recht auch anderen Personen das Recht
ein, den Beschuldigten nicht belasten zu müssen.
Machen zum
Beispiel Angehörige, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht
zusteht, von ihrem Recht, nichts zur Sache sagen zu wollen
Gebrauch, so darf das nicht als Indiz gegen den Beschuldigten
verwendet werden.
Das
Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen ist im
§ 52
StPO (Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen des
Beschuldigten) geregelt.
Unabhängig
davon steht auch so genannten Berufsgeheimnisträgern ein
Zeugnisverweigerungsrecht zu. Dieser Personenkreis ist
abschließend im
§ 53 StPO
(Zeugnisverweigerungsrecht der Berufsgeheimnisträger) benannt.
Der Zeuge
hat glaubhaft zu machen, dass ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht
zusteht.
Im Übrigen
sind die einschlägigen Regelungen der StPO über die
Zeugenbelehrung, siehe
§ 57 StPO (Belehrung)
sowie über die Vernehmung/Gegenüberstellung im Sinne von
§ 58 StPO (Vernehmung, Gegenüberstellung) zu beachten.
03
Wahlgegenüberstellungen
TOP
Gegenüberstellungen bieten Zeugen die Möglichkeit, den Täter
wiedererkennen zu können. Betroffen sind von Gegenüberstellungen
in der Regel sowohl Beschuldigte als auch Zeugen, zumindest
dann, wenn es sich um Wahlgegenüberstellungen handelt.
Während
Beschuldigte eine Wahlgegenüberstellung dulden müssen, wird
Zeugen die Möglichkeit gegeben, den Täter identifizieren
(wiedererkennen) zu können. Nähere Ausführungen zu diesem
Problemkreis stehen in einem eigenen Kapitel zur Verfügung: (§
58 StPO - Gegenüberstellung).
Zeugen
können sich beim Wiedererkennen von Personen leicht irren.
In
Kapitalsachen sollten daher Wahlgegenüberstellungen mit zwei
Personengruppen durchgeführt werden. Nach Auffassung des BGH ist
eine sukzessive Gegenüberstellung (der Zeuge sieht jeweils nur
eine Person), einer Wahlgegenüberstellung vorzuziehen.
Wenn ein
Polizeibeamter einem Zeugen lediglich ein Brustbild des
Verdächtigen vorlegt und dazu meint, dies könne er sein und dann
der Zeuge antwortet, das war er, reicht dies als Tatnachweis
nicht aus (BGH StV 1993, 234).
Zur
Identifizierung eines Tatverdächtigen durch einen Zeugen ist
grundsätzlich eine Wahlgegenüberstellung oder eine
Wahlbildvorlage durchzuführen. Dem Zeugen darf nicht nur der
Tatverdächtige allein oder sein Bild präsentiert werden.
Die
Auswahlpersonen dürfen sich in ihrem äußeren Erscheinungsbild
auch nicht wesentlich vom Tatverdächtigen unterscheiden.
Wollen
Personen, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, von ihrem
Recht keinen Gebrauch machen, können sie zur Sache aussagen.
Aussagen, die Personen unter Verzicht auf das ihnen zustehende
Zeugnisverweigerungsrecht gemacht haben, können vor Gericht
gegen den Beschuldigten verwendet werden.
Bestreitet
der Beschuldigte während der Hauptverhandlung die Richtigkeit
der Niederschrift oder äußert er sich nicht (mehr) zur Sache,
kann/muss der Vernehmungsbeamte als Zeuge gehört werden.
04
Anhörung im Ordnungswidrigkeitenverfahren
TOP
Die
Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern, geschieht im
Ordnungswidrigkeitenverfahren oftmals durch die Anhörung des
Betroffenen vor Ort.
Im Gegensatz
zum Beschuldigten im Strafverfahren, den es zu vernehmen gilt,
wird im Ordnungswidrigkeitenverfahren der Betroffene einer
Ordnungswidrigkeit angehört.
Die dafür
einschlägige Vorschrift ist
§ 55 OWiG (Anhörung
des Betroffenen).
Eine Form
ist für die Anhörung im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht
vorgeschrieben.
Der Zweck
der Anhörung besteht darin, sich gegen den Verdacht einer
Ordnungswidrigkeit verteidigen zu können. Darüber hinaus dient
eine Anhörung auch der Aufklärung des Sachverhalts
(Wahrheitsermittlung) und der Sicherung von Beweisen.
Deshalb
können im Gegensatz zur Vernehmung in einem Strafverfahren an
den Betroffenen einer Ordnungswidrigkeit auch dann Fragen
gestellt werden, wenn er sich zur Sache nicht äußern will.
Voraussetzung dafür ist, dass der Betroffene vorher über seine
Rechte belehrt wurde.
§
163a StPO (Vernehmung des Beschuldigten) ist mit der
Einschränkung anzuwenden, dass es ausreicht, dem Betroffenen die
Gelegenheit zur Äußerung zu gewähren.
Primäres
Ziel der Anhörung ist es nicht, ein Anhörungsprotokoll zu
erstellen.
Die
mündliche Anhörung vor Ort reicht deshalb genauso aus, wie die
Übersendung eines Anhörbogens, der dem Betroffenen die
Möglichkeit bietet, sich schriftlich zum Vorfall zu äußern.
Welche Form
der Anhörung am zweckmäßigsten ist, hängt von den Umständen ab.
Bei einer
mündlichen Anhörung des Betroffenen vor Ort durch die Polizei
genügt es, eine Inhaltsangabe der Äußerung in den Vorgang
aufzunehmen. Unterbleibt im Rahmen einer Anhörung die Belehrung
durch die Polizei, führt dies nicht zu einem Verbot, die Aussage
des Betroffenen gegen seinen Willen zu verwerten.
Auf der
sicheren Seite befindet sich die Polizei jedoch immer dann, wenn
sie ihrer Belehrungspflicht nachkommt.
Auf die
Möglichkeit der Befragung eines Verteidigers braucht der
Betroffene einer Ordnungswidrigkeit nicht hingewiesen zu
werden.
[Kennzeichenanzeige:] Verweigert der Halter eines
Kraftfahrzeuges, mit dessen Pkw eine Verkehrsordnungswidrigkeit
begangen wurde, Angaben zum Fahrer, so kann daraus nicht
uneingeschränkt gefolgert werden, dass er den Pkw zur Tatzeit
gefahren hat. Erst beim Hinzutreten weiterer Beweisanzeichen,
die sich aus dem Beruf des Betroffenen, seinen
Familienverhältnissen oder sonstigen Lebensumständen, sowie der
Zeit und dem Ort der Verkehrsordnungswidrigkeit ergeben können,
kann geschlossen werden, dass er zur Tatzeit den Pkw gefahren
hat.
[Verstöße im ruhenden Straßenverkehr:] Kann in einem
Bußgeldverfahren wegen eines Halt- oder Parkverstoßes der Führer
des Kraftfahrzeugs, der den Verstoß begangen hat, nicht vor
Eintritt der Verfolgungsverjährung ermittelt werden oder würde
seine Ermittlung einen unangemessenen Aufwand erfordern, so
werden dem Halter des Kraftfahrzeugs oder seinem Beauftragten
die Kosten des Verfahrens auferlegt; er hat dann auch die damit
verbunden
Auslagen zu tragen, siehe
§ 25a Abs. 1 S. 1 StVG
(Kostentragungspflicht des Halters eines Kraftfahrzeugs).
Ende des Kapitels
§ 163a StPO
(Vernehmung des Beschuldigten)
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TOP
05
Quellen
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Die Quellen wurden am angegebenen Zeitpunkt
aufgerufen und eingesehen. Über die weitere Verfügbarkeit der Inhalte
entscheidet ausschließlich der jeweilige Anbieter.
Endnote_01 Begriff der Vernehmung BGHSt 42, 139 - Hörfalle
Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 13.05.1996 - GSSt
1/96 http://www.servat.unibe.ch/dfr/bs042139.html
Aufgerufen am 08.10.2015 Zurück
Endnote_02
Abgrenzung informelle Befragung - Vernehmung BGHSt 38, 214 -
nemo tenetur se ipsum accusare Beschluss vom 27.02.1992 - 5
StR 190/91 http://www.servat.unibe.ch/dfr/bs038214.html
Aufgerufen am 08.10.2015 Zurück
Endnote_03 Übergang
von der Zeugen- zur Beschuldigtenvernehmung
Bundesgerichtshof, Beschl. v. 28.02.1997, Az.: 2 BJs 65/95 - 3;
StB 14/96
https://www.jurion.de/Urteile/BGH/1997-02-28/2-BJs-65_95---3_-StB-14_96
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Endnote_04
Verwertungsverbot trotz Belehrung BGH 4 StR 126/92 - Urteil
vom 29. Oktober 1992 (LG Frankenthal)
http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/4/92/4-126-92.php Aufgerufen
am 08.10.2015 Zurück
Endnote_05 Verwertungsverbot
bezüglich der Vernehmung des Beschuldigten bei Nichtverstehen
der Belehrung über Aussagefreiheit wegen geistig-seelischen
Zustands. BGH 1 StR 475/93 - Urteil vom 12. Oktober 1993 (LG
München II)
http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/93/1-475-93.php Aufgerufen
am 08.10.2015 Zurück
Endnote_06 Verwertbarkeit
einer Vernehmung BGH, Urteil vom 12.10.1993 - BGH 1 StR
475/93 http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/93/1-475-93.php
Aufgerufen am 08.10.2015 Zurück
Endnote_07 Keine
Verpflichtung zur Belehrung über die Strafvorschrift Rn. 26
bis 33 des Beschlusses BGH, Beschluss vom 06.03.2012 - 1 StR
623/11
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?
Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=60074&pos=1&anz=721
Aufgerufen am 08.10.2015 Zurück
Endnote_07a List
anlässlich von Vernehmungen BGH 2 StR 84/16 - Beschluss vom
25. Oktober 2016 (LG Frankfurt am Main)
https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/2/16/2-84-16.php Aufgerufen
am 31.03.2017 Zurück
Endnote_08
Folterurteil bestätigt Gäfgen erhält 3000 Euro Entschädigung
OLG Frankfurt am Main · Urteil vom 10. Oktober 2012 · Az. 1 U
201/11 https://openjur.de/u/557079.html Aufgerufen am
08.10.2015 Zurück
Endnote_09 Stärke des
Tatverdachts Übergang von der Zeugen- zur
Beschuldigtenvernehmung
https://www.jurion.de/Urteile/BGH/1990-05-31/4-StR-112_90
Aufgerufen am 08.10.2015 Zurück
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§ 163a StPO
(Vernehmung des Beschuldigten)
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