01
Anwendungsbereich
TOP
Bei Personen, die weder
Tatverdächtige noch Beschuldigte sind, können nur dann Durchsuchungen
durchgeführt werden, wenn die Voraussetzungen des
§ 103 StPO
(Durchsuchung bei anderen Personen) greifen.
Andere Personen im Sinne von §
103 StPO können sein:
-
unverdächtige Personen
-
Opfer von Straftaten
-
Zeugen
-
Kinder
-
schuldunfähige Personen
-
ein »Jedermann«
-
juristische Personen.
Eine Durchsuchung dieser Personen
kommt nur dann in Betracht, wenn auf irgendeine Art und Weise ein
»Tatverdächtiger bzw. ein Beschuldigter dafür die Ursache gesetzt hat«
und dadurch eine unverdächtige Person in eine Situation »eingebunden
hat«, die Anlass für polizeiliche Ermittlungsmaßnahmen bietet.
Die Ursache einer Durchsuchung bei
unverdächtigen Personen ist somit ein Tatverdächtiger/Beschuldigter, der
Anlass dafür gibt, in Rechtspositionen »unverdächtiger Personen«
eingreifen zu können.
[Ausnahmen:] Fehlt es an
solch einer Verbindung, dann darf zum Beispiel ein Kind, dass als
Alleintäter einen Diebstahl begangen hat, mangels Schuldunfähigkeit
nicht auf der Grundlage von
§ 103 StPO
(Durchsuchung bei anderen
Personen) durchsucht werden.
In solchen Fällen ist allgemeines
Polizeirecht anzuwenden.
[Beispiel:] In der Innenstadt ist es zu einem rapiden Anstieg von
Taschendiebstählen gekommen. Polizeiliche Ermittlungen haben ergeben,
dass dafür eine organisierte Bande verantwortlich ist, die gezielt
Kinder einsetzt, um Taschendiebstähle durchführen zu können. Ein
Polizeibeamter beobachtet zwei Kinder, die gerade eine alte Dame um ihre
Geldbörse erleichtern, die sie der Frau aus der Handtasche ziehen. Als
die Kinder den Beamten erkennen, rennen sie weg. Dem Polizeibeamten
gelingt es aber, die Kinder zu stellen. Der Beamte durchsucht die Kinder
und findet in ihrer Kleidung mehrere Geldbörsen. Rechtslage?
Es kann davon ausgegangen werden,
dass die Kinder Diebstähle für ihre Auftraggeber begehen und somit von
diesen Personen als Werkzeuge benutzt werden.
Wenn das der Fall ist,
dann können diese »Werkzeuge«, bei denen es sich auch um Kinder handeln
kann, auf der Grundlage von
§ 103 StPO
(Durchsuchung bei anderen
Personen) durchsucht werden, weil sich ein begründeter Tatverdacht gegen
(tatverdächtige) Personen richtet, die diese Kinder als Werkzeuge
und somit für die Begehung von Straftaten benutzen.
[Beispiel:] Ein Ladendetektiv hat einen 10-jährigen Jungen bei der
Begehung eines Ladendiebstahls betroffen und die Polizei um Einschreiten
ersucht, weil der Junge wie wild um sich schlägt. Den einschreitenden
Polizeibeamten gelingt es, den Jungen zu beruhigen. Der Ladendetektiv
behauptet, gesehen zu haben, wie der Junge einen MP3-Player in seine
Hosentasche gesteckt hat. Die Beamten tasten den Jungen ab und finden in
der Hosentasche den entwendeten MP3-Player. Rechtslage?
Der Junge ist aufgrund seines
Alters erkennbar schuldunfähig. Das bedeutet, dass er keine Straftat
begehen und folglich auch nicht wie ein Tatverdächtiger behandelt werden
kann. Auch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er von einer
anderen Person als »Werkzeug zur Begehung von Straftaten« missbraucht
wird.
Folglich kann der Junge nicht auf der Grundlage von
§ 103 StPO
(Durchsuchung bei anderen Personen) durchsucht werden, weil diese
Befugnis zumindest den »Verdacht einer Straftat« voraussetzt. Das
wiederum setzt voraus, dass es sich bei dem Kind um einen
Tatverdächtigen handelt. Kinder können von Gesetzeswegen nicht als
Tatverdächtige in Betracht. Dafür
bietet das Beispiel keine Anhaltspunkte.
Eine Durchsuchung der Kleidung des
schuldunfähigen Kindes kommt somit nur auf der Grundlage
polizeirechtlicher Befugnisse in Betracht. Gemäß
§ 39 Abs. 1 Nr. 2
PolG NRW (Durchsuchung von Personen) darf eine Person durchsucht werden, wenn »Tatsachen die
Annahme rechtfertigen, dass sie Sachen mit sich führt, die
sichergestellt werden dürfen«.
Das ist in diesem Beispiel offensichtlich
der Fall.
Der Ladendetektiv hat gesehen, dass der Junge den MP3-Player
entwendet hat. Die Sicherstellung des MP3-Players ist somit
erforderlich, um zu verhindern, dass das Eigentum des Ladeninhabers
Schaden nimmt.
[Hinweis:] Im Gegensatz zur Durchsuchung im
Sinne von § 103 StPO, die zumindest einen irgendwie begründeten
Tatverdacht voraussetzt, ist die Durchsuchung zum Zweck der
Gefahrenabwehr nicht an die mit dem »Tatverdacht verbundenen
Besonderheiten« gebunden. Auch Kinder können als »Verhaltensstörer« in
Anspruch genommen werden.
02
Durchsuchungsobjekte
TOP
Ausweislich des Gesetzestextes
regelt die Befugnis vom Wortlaut her nur die Durchsuchung von Räumen
einer unverdächtigen Person. Das legt die Schlussfolgerung nahe, dass
die Befugnis nur dann greift, wenn es darum geht, Wohnungen,
Geschäftsräume oder befriedetes Besitztum einer unverdächtigen Person zu
durchsuchen.
Die herrschende Meinung geht davon
aus, dass
§ 103 StPO(Durchsuchung bei anderen Personen) auch die
zulässt, wenn
die weiteren Voraussetzungen der Befugnis greifen.
Das ist auch geboten, denn sonst
hätten zur Beweissicherung notwendig werdende körperliche Durchsuchungen
unverdächtiger Personen sowie von ihr mitgeführter Sachen mangels einer
dafür notwendigen Befugnis zu unterbleiben.
Begründet wird dieser »inhaltliche
Mangel des § 103 StPO« damit, dass körperliche Untersuchungen nicht
verdächtiger Personen auf der Grundlage von
§ 81c StPO (Körperliche
Untersuchungen anderer Personen) vom Gesetz erlaubt sind, so dass davon
ausgegangen werden kann, dies auch für weitaus geringfügigere Maßnahmen
gilt.
Die Rechtfertigung für eine
Erweiterung des Anwendungsbereichs der Befugnis kann aber auch der
Befugnis selbst entnommen werden, denn wenn aus gegebenem Anlass die
Wohnung eines Unverdächtigen durchsucht werden kann, dann muss die
gleiche Rechtsfolge auch für weitaus geringfügigere Eingriffe (Abtasten
der Kleidung eines Unverdächtigen bzw. für das Durchsuchen mitgeführter
Sachen) herangezogen werden können.
Auf der Grundlage von
§ 103 StPO
(Durchsuchung bei anderen Personen) können somit,
durchsucht
werden.
03 Tatsachen -
Erfolgsaussicht
TOP
Durchsuchungen auf der Grundlage
von
§ 103 StPO
(Durchsuchung bei anderen Personen) setzen voraus,
dass Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die
gesuchte Person, Spur oder Sache gefunden werden kann.
Das bedeutet, dass aufgrund
konkreter Hinweise bzw. aufgrund bestimmter tatsächlicher Anhaltspunkte
begründet werden kann, dass die Durchsuchung erfolgreich sein wird.
Gegebene Hinweise müssen folglich den Schluss zulassen, dass der
gesuchte Gegenstand sich
einer
unverdächtigen Person tatsächlich befindet.
Welche tatsächlichen Anhaltspunkte
letztendlich ausreichen, um Durchsuchungen der o.a. Art zu
rechtfertigen, hängt vom Tatvorwurf selbst ab. So kann zum Beispiel
der Pkw eines Beschuldigten, der ganz in der Nähe einer unverdächtigen
Person zum Parken abgestellt wurde, als eine »Tatsache« bewertet werden,
dass sich die gesuchte Person in den Räumen einer unverdächtigen Person
befindet (z.B. der Freundin, die ganz in der Nähe wohnt). Ein solcher
Anhaltspunkt wird aber nur dann die Durchsuchung einer unverdächtigen
Person rechtfertigen können, wenn die Anlasstat schwer wiegt.
[BGHSt 28, 57:] Anlässlich
der Entführung des Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen
Arbeitgeberverbände (BDI) Hanns Martin Schleyer im September 1977 wurde
auf Anordnung des Generalbundesanwalts von der Polizei eine Vielzahl von
Wohnungen nicht verdächtiger Personen mit der Begründung durchsucht,
dass diese Wohnungen als mögliche Fluchtwege in Betracht gezogen werden
mussten.
Der BGH hielt es für ausreichend,
die Wohnungen nicht verdächtiger Personen bereits dann durchsuchen zu
können, wenn in Verbindung mit dem wahrscheinlichen Fluchtweg der Täter
der vertretbare Schluss naheliege, dass es sich bei den in Betracht
kommenden Wohnungen um Objekte
handeln könne, die als Unterschlupf in Betracht kommen könnten. Diese Anhaltspunkte seien
ausreichend, um eine Durchsuchung auf der Grundlage von § 103 StPO zu
rechtfertigen, denn sie ließen die Annahme begründet erscheinen, die
Entführer sowie den Entführten selbst oder Spuren auf ihn oder die Täter
finden zu können. Damit bestand hinreichender Anlass zu einer solchen
Anordnung nach § 103 StPO. Höhere Anforderungen an die tatsächlichen
Voraussetzungen des Erlasses einer Anordnung zur Durchsuchung nach § 103
StPO können und dürfen in vergleichbaren Situationen nicht
gestellt werden.
Es kann in der Regel nicht Sache des
Generalbundesanwalts sein, jede von der Polizei ermittelte Tatsache auf
ihren Wahrheitsgehalt selbst zu überprüfen; dies gilt jedenfalls und
namentlich in Verfahrenslagen, in denen, wie es hier war, höchste Eile
geboten ist, alle erfolgversprechenden und rechtlich zulässigen
Maßnahmen zu treffen, um eine Ermordung mehrerer Personen aufzuklären,
der Täter habhaft zu werden und damit zugleich das Lehen eines von einem
weiteren Tötungsverbrechen unmittelbar bedrohten Menschen zu retten. [En01]
1
[Hinweis:] Es dürfte
offenkundig sein, dass bei Anlässen, denen ein weitaus geringeres
strafbares Verhalten zugrunde liegt, die nachzuweisenden Tatsachen, dass
eine Durchsuchung bei Personen, die unverdächtig sind, nur
verhältnismäßig sein kann, wenn weitaus mehr objektivierbare Fakten die
Wahrscheinlichkeit begründen, dass die Durchsuchung erfolgreich sein
wird.
So auch ein Beschluss des BVerfG aus dem Jahre 2014.
[BVerfG 2014:] Mit Beschluss vom 13. März 2014 - 2 BvR
974/12 werden Richter, die einen Durchsuchungsbeschluss auf der
Grundlage von
§ 103 StPO (Durchsuchung bei anderen Personen) erlassen,
dazu verpflichtet, den für solch eine Durchsuchung erforderlichen
Tatverdacht eigenverantwortlich zu prüfen.
Im Beschluss heißt es:
[Rn. 17:] Dieser Verdacht muss auf konkreten Tatsachen
beruhen; vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen nicht aus
(...). Eine Durchsuchung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen,
die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind; denn sie setzen
einen Verdacht bereits voraus (...). Notwendig ist, dass ein auf
konkrete Tatsachen gestütztes, dem Beschwerdeführer angelastetes
Verhalten geschildert wird, das den Tatbestand eines Strafgesetzes
erfüllt (...). Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn
sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht
mehr finden lassen (...).
04
Durchsuchungszwecke im Überblick
TOP
Als Zweck der Durchsuchung kommen
in Betracht:
-
Ergreifung des Beschuldigten
-
Auffinden von Spuren einer
Straftat
-
Auffinden von bestimmten
Gegenständen.
[Ergreifung des Beschuldigten:]
Zum Zweck der Ergreifung einer Person darf die Wohnung eines
Unverdächtigen nur dann durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen,
dass er dort ergriffen werden kann.
[Auffinden von Spuren einer
Straftat:] Zu diesem Zweck dürfen nicht nur geschützte Räume der
nichtverdächtigen Person, sondern auch sein Körper und von ihm
mitgeführte Sachen durchsucht werden, wenn sich an diesen Sachen Spuren
der Tat befinden können. Diesbezüglich muss ein auf Tatsachen gestützter
Auffindungsverdacht gegeben sein. Vermutungen reichen dafür nicht aus.
[Auffinden bestimmter
Gegenstände:] Mitgeführte Sachen dürfen dann durchsucht werden, wenn
ein auf Tatsachen gestützter Auffindungsverdacht gegeben ist.
Vermutungen reichen nicht aus.
[Ergebnis:] Die Vermutung,
irgendwelche Spuren oder Beweismittel zu finden, vermag eine
Durchsuchung auf der Grundlage von
§ 103 StPO
(Durchsuchung bei
anderen Personen) in keinem Fall zu rechtfertigen. Nachzuweisen sind
immer »Tatsachen, die den Schluss zulassen, dass die jeweils gesuchte
Person, Spur oder Sache gefunden werden kann.
Mit anderen Worten:
Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird
die Durchsuchung zum beabsichtigten Erfolg führen.
05 Durchsuchungen
und OWi
TOP
Anlässlich von
Ordnungswidrigkeiten sind zumindest Durchsuchungen in den Räumen
unverdächtiger Personen nicht zulässig, weil unverhältnismäßig.
[Position des EuG:]
Diesbezüglich hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EuG)
mit Urteil vom 28. April 2005 - EGMR Nr. 41604/98 entschieden, dass
Durchsuchungen und Beschlagnahmen nur bei bestimmten Straftaten als
zulässige Maßnahmen zur Erlangung von Sachbeweisen in Betracht kommen
können. Ein Eingriff sei nur dann notwendig, wenn er einem dringenden
sozialen Bedürfnis diene und zu diesem Zweck verhältnismäßig sei.
[Anlass:]
Dem Urteil lag eine Beschwerde zugrunde, die geltend machte, dass die
von bundesdeutschen Gerichten für rechtmäßig erkannten Durchsuchungen
anlässlich der Verfolgung einer Verkehrsordnungswidrigkeit mit der
Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht
zu vereinbaren sei.
Die bundesdeutschen Gerichte
hatten folgende Rechtsposition vertreten:
Ordnungswidrigkeiten werden durch
das Ordnungswidrigkeitengesetz geregelt. Da diesen Handlungen geringeres
Gewicht beigemessen wird, sind sie aus dem Katalog der Straftatbestände
nach dem deutschen Strafrecht herausgenommen worden. Sie unterliegen zum
Teil besonderen Bestimmungen, die von den für Straftaten maßgeblichen
Kriterien abweichen (...).
Nach
§ 46 Abs. 1
OWiG (Anwendung der Vorschriften über das
Strafverfahren) finden die Befugnisse der StPO auch im
Ordnungswidrigkeitenverfahren Anwendung, soweit dieses Gesetz nichts anderes
bestimmt.
[Position des EuG:] Im zu
entscheidenden Beschwerdefall stellt der EuG fest,
dass der Eingriff nach bundesdeutschem Recht »gesetzlich vorgesehen«
sei, dennoch aber nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genüge.
Im Urteil heißt es:
[Rn. 47:] Der Verstoß gegen
eine solche Vorschrift stellt ein geringfügiges Delikt dar, das
deshalb aus dem Katalog der Straftatbestände
nach dem deutschen Strafrecht herausgenommen wurde.
Ergänzend heißt es an anderer
Stelle:
[Rn. 52:] Der Gerichtshof
möchte darauf hinweisen, dass die Staaten (...) von Maßnahmen wie
Durchsuchungen und Beschlagnahmen Gebrauch machen können, um Beweise für
bestimmte Straftaten zu erlangen, wenn die Person, die sich der Straftat
schuldig gemacht hat, auf andere Weise nicht ermittelt werden kann.
Gleichwohl muss es angesichts der Schwere des Eingriffs in das Recht auf
Achtung der Wohnung einer von derartigen Maßnahmen betroffenen Person
eindeutig erwiesen sein, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
beachtet worden ist. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände
dieses Falls, insbesondere der Tatsache, dass die fragliche Durchsuchung
und Beschlagnahme wegen einer mutmaßlich von einem Dritten begangenen
geringfügigen Ordnungswidrigkeit angeordnet worden war und auf die
privaten Wohnräume des Beschwerdeführers abstellte, kommt der
Gerichtshof zu dem Schluss, dass der Eingriff nicht als in Bezug auf die
rechtmäßig verfolgten Ziele verhältnismäßig angesehen werden kann. [En02]
2
[Hinweis:] Von Urteilen des
EuG geht nicht nur eine Bindwirkung für die
deutsche Gerichtsbarkeit aus, diese Urteile binden auch die Exekutive
bei der Auslegung geltenden Rechts.
Im Folgenden werden die Fälle am
Beispiel dargestellt, die von
§ 103 StPO
(Durchsuchung bei
anderen Personen) erfasst sind.
06 Ergreifung des
Beschuldigten
TOP
Zum Zweck der Ergreifung einer
Person darf die Wohnung eines Unverdächtigen auf der Grundlage von
§ 103 StPO
(Durchsuchung bei anderen Personen) nur dann durchsucht werden,
wenn Tatsachen vorliegen, dass er dort ergriffen werden kann.
[Beispiel:] Der Polizei ist bekannt, dass Herr A, der zur Festnahme
ausgeschrieben ist, sich hin und wieder bei seiner Freundin Monika
aufhält. Heute, gegen 22.50 h, geht folgender Anruf bei der Polizei ein:
»Wenn Sie A festnehmen wollen, dann müssen Sie sich beeilen. Der Mann
hat gerade die Wohnung seiner Freundin in der Sonnenstraße 5 betreten.
Sein Wagen mit dem amtlichen Kennzeichen MS-XY 123 steht unmittelbar vor
dem Haus«. Nachdem die Angaben des Anrufers überprüft wurden und durch
eine Streifenwagenbesatzung festgestellt wird, dass der auf den
Namen von A zugelassene Pkw tatsächlich vor dem Haus steht, entschließen sich die
Beamten dazu, die Wohnung von Monika zu durchsuchen, falls sie nicht
damit einverstanden sein sollte, dass die Polizei die Wohnung betritt.
Rechtslage?
Bei der zu durchsuchenden Wohnung
handelt es sich offenkundig um die Wohnung einer unverdächtigen Person,
so dass diese Wohnung nur auf der Grundlage von
§ 103 StPO
(Durchsuchung bei anderen Personen) durchsucht werden kann.
Hinsichtlich der Erfolgsvermutung,
dass die Durchsuchung zur Ergreifung des A führen wird, müssen Tatsachen
nachgewiesen werden, die dies wahrscheinlich werden lassen.
Tatsachen in diesem Sinne sind:
-
der Polizei ist bekannt, dass
sich A hin und wieder bei seiner Freundin aufhält
-
ein Anrufer hat mitgeteilt,
dass sich A zurzeit in der Wohnung der Freundin befindet
-
vor dem Haus der Freundin
steht der Pkw des A.
Diese Fakten sind so plausibel,
dass sich A aller Voraussicht nach in der Wohnung seiner Freundin
aufhalten wird.
[Hinweis:] Es wird davon
ausgegangen, dass zurzeit ein richterlicher Bereitschaftsdienst in der
Behörde nicht vorgehalten wird und deshalb, aufgrund bestehender
Eilbedürftigkeit (Gefahr im Verzug), die Anordnung eines Richters nicht
eingeholt werden kann. Unter diesen Voraussetzungen können auch
Ermittlungspersonen der StA die Durchsuchung anordnen und durchführen.
[Beispiel:] In der Innenstadt hat ein Jugendlicher einer alten Dame
die Handtasche entrissen und ist im Anschluss daran weggerannt.
Polizeibeamte haben diese Tat gesehen und nehmen sofort die Verfolgung
auf. Als der Jugendliche das bemerkt, versucht er, sich seiner Beute zu
entledigen. Es gelingt ihm, die Handtasche durch ein offenstehendes
Fenster in ein Wohnhaus zu werfen. Den Beamten gelingt es, den
Jugendlichen zu ergreifen. Nach erfolgter Belehrung sagt er zu den
Beamten: »Das müsst ihr erst einmal beweisen. Ohne Beute wird das wohl
kaum möglich sein.« Als die Beamten an der Wohnungstür klingeln, in der
sich nach der Wahrnehmung der Beamten die Handtasche befindet, verwehrt
sich der Hausrechtsinhaber dagegen, dass die Polizei ihn in seinem
Refugium stört. Er sagt: »Dafür brauchen Sie einen Durchsuchungsbefehl
und ohne den lasse ich Sie nicht in mein Haus.« Es ist 18.15 h, und die
Polizeibeamten wissen, dass in ihrer Behörde ein richterlicher
Bereitschaftsdienst nicht vorgehalten wird. Sie betreten gegen den
Willen des Hausrechtsinhabers das Haus und finden die Handtasche in
einem der Zimmer, die ein Fenster zur Straße haben. Rechtslage?
Bei dem Hausrechtsinhaber handelt
es sich offensichtlich um eine unverdächtige Person. Es ist zwar
unwahrscheinlich, dass er nicht damit einverstanden sein wird, der
Polizei Zugang zu dem Zimmer zu gewähren, in dem sich die geraubte
Handtasche befindet oder selbst nicht dazu bereit ist, die Tasche in den
in Betracht kommenden Räumen zu
suchen und den Polizeibeamten zu übergeben. Andererseits kann und darf
auch ungewöhnliches Verhalten nicht ausgeschlossen werden.
Polizeibeamte, die mit solch
ungewöhnlichem Verhalten konfrontiert werden, müssen dann wissen, dass
unter den gegebenen Voraussetzungen des Sachverhalts die in Betracht
kommenden Räume einer unverdächtigen Person durchsucht werden können,
wenn »Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die gesuchte
Person, Spur oder Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet.«
Das ist hier offensichtlich der
Fall:
Die Beamten haben gesehen, wie der
Tatverdächtige die geraubte Handtasche durch das offenstehende Fenster
in ein Haus geworfen hat. Das sind objektive Tatsachen die mit
Sicherheit erwarten lassen, dass die Tasche in dem Raum gefunden wird,
der ein Fenster zur Straße hatte.
Selbstverständlich werden sich die
Beamten bei der Suche nach der »geraubten Handtasche« auf die
Räumlichkeiten begrenzen, die ein Fenster zur Straße haben. Alles andere
wäre unverhältnismäßig.
[Hinweis:] Es wird davon
ausgegangen, dass zurzeit ein richterlicher Bereitschaftsdienst in der
Behörde nicht vorgehalten wird und deshalb, aufgrund bestehender
Eilbedürftigkeit (Gefahr im Verzug) die Anordnung eines Richters nicht
eingeholt werden kann. Unter diesen Voraussetzungen können auch
Ermittlungspersonen der StA die Durchsuchung anordnen und durchführen.
07 Auffinden von
Spuren einer Straftat
TOP
Zu diesem Zweck dürfen nicht nur
geschützte Räume der unverdächtigen Person, sondern auch sein Körper und
von ihm mitgeführte Sachen durchsucht werden, wenn sich am Körper
»Spuren der Tat« befinden können. Diesbezüglich muss ein auf Tatsachen
gestützter Auffindungsverdacht gegeben sein. Vermutungen reichen dafür
nicht aus.
[Beispiel:] Eine junge Frau wurde von einem unbekannten Mann, den
Sie wenige Stunden zuvor in einer Disco kennen gelernt hatte, im
Stadtpark in einem Pkw vergewaltigt und im Anschluss daran aus dem Wagen
gestoßen. Die Frau war dennoch dazu in der Lage, sich die Farbe und den
Fahrzeugtyp sowie Fragmente des Pkw-Kennzeichens zu merken. Ermittlungen
ergeben, dass es sich bei dem Pkw um einen Mietwagen gehandelt hat. Als
Polizeibeamte bei dem Autovermieter Ermittlungen aufnehmen, können sie
gerade noch verhindern, dass der Pkw, in dem es aller Voraussicht nach
zur Tat gekommen ist, an einen neuen Kunden vermietet wird. Der
Autovermieter ist nicht dazu bereit, den Pkw so lange nicht zu
vermieten, bis die Spurensicherung alle im Pkw möglicherweise
vorhandenen Spuren der Tat gesichert hat. Rechtslage?
Der Pkw, in dem sich das
Verbrechen ereignete, siehe
§ 177 StPO
(Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung),
gehört offensichtlich nicht dem Täter, sondern einer unverdächtigen
Person.
Dennoch kann der Pkw nach
Tatspuren durchsucht werden, weil aufgrund von Aussagen des Tatopfers es
in diesem Pkw zur Vergewaltigung gekommen ist und sich im Innern des Pkw
somit zwangsläufig Spuren dieser Tat befinden werden.
Insoweit ist auf der Grundlage von
§ 103 StPO
(Durchsuchung bei anderen Personen) die Suche nach Tatspuren in dem Pkw
zulässig.
Sollte sich der Autovermieter weigern, den Pkw zur Spurensicherung
zur Verfügung zu stellen, wäre der Pkw auf der Grundlage von § 94 ff.
StPO (Sicherstellung von Beweismitteln) in amtliche Verwahrung zu
nehmen.
Auf ein
Sicherstellung/Beschlagnahme kann jedoch verzichtet werden, wenn der
Autovermieter damit einverstanden ist, dass die Spurensicherung der
Polizei an Ort und Stelle durchgeführt wird. Das hätte für den
Autovermieter den Vorteil, dass
nach Beendigung der Spurensicherung er seinen Mietwagen weiter
gewerblich nutzen kann.
[Ergebnis:] Sowohl eine
Durchsuchung des Pkw vor Ort nach Spuren der Tat auf der Grundlage von
§ 103 StPO
(Durchsuchung bei anderen Personen), als auch eine
Beschlagnahme des Pkw auf der Grundlage von
§ 94 ff. StPO
(Sicherstellung von Beweismitteln) sind möglich.
Sollte der Mietwagenbesitzer mit der Spurensicherung vor Ort
einverstanden sein, dann reicht als Befugnis dafür auch
§ 163 StPO (Aufgaben der Polizei im
Ermittlungsverfahren) aus.
[Beispiel:] Anlässlich einer Verkehrsunfallflucht mit hohem
Sachschaden gilt es, das Fahrzeug eines unfallflüchtigen Fahrers auf
vorhandene Schäden und mögliche Anhaftung von Spuren der Fahrzeuge zu
überprüfen. Ein
offensichtlich alkoholisierter Fahrzeugführer hatte beim Verlassen einer
Parkbox mehrere dort abgestellte Pkw beschädigt. Da Zeugen sich das
Kennzeichen des Fluchtfahrzeuges notiert haben, ergeben polizeiliche
Ermittlungen, dass es sich bei dem Pkw um ein Fahrzeug handelt, das zum
Fuhrpark eines ortsansässigen Unternehmens gehört. Um 20.00 h ist dort
aber niemand mehr zu erreichen, so dass eine Inaugenscheinnahme des Pkw
sowie die Feststellung des Fahrers erst am Folgetag möglich ist. Als
Beamte am Folgetag den Leiter des Fuhrparks ansprechen und ihn
auffordern, das Fahrzeug mit dem Kennzeichen MS-XY 123 in Augenschein
nehmen zu können, ist der Leiter des Fuhrparks damit ohne Vorlage eines
richterlichen Durchsuchungsbefehls nicht einverstanden. Anhand des
Fahrtenbuchs, dass den Polizeibeamten zur Einsichtnahme zur Verfügung
gestellt wird, können die Beamten entnehmen, dass der Pkw um 06.30 h von
dem Fahrer X mit dem Vermerk zurückgegeben worden war, dass sich am Pkw
leichte Kratzer befinden, die von ihm selbst aber nicht verursacht
worden seien. Die Beamten durchsuchen deshalb gegen den Willen des
Fuhrparkleiters sowohl den Garagentrakt als auch die Parkplätze, auf
denen Firmenwagen stehen. Hinter einem Haufen alter Reifen steht das
beschädigte Auto mit dem fraglichen Kennzeichen. Rechtslage?
Offensichtlich ist, dass es sich
bei dem zu durchsuchenden Betriebsgelände um Räume einer unverdächtigen
Person handelt. Tatsache ist aber auch, dass Zeugen das Kennzeichen des
Fluchtfahrzeuges zweifelsfrei abgelesen haben und das Fahrzeug mit
diesem Kennzeichen und - laut Eintragung im Fahrtenbuch - mit frischen Beschädigungen am Morgen
nach der Verkehrsunfallflucht auf dem Betriebsgelände abgestellt wurde.
Insoweit liegen objektive Tatsachen vor, dass das Fluchtfahrzeug auf dem
Betriebsgelände gefunden werden kann, an dem sich aller Voraussicht nach
noch Spuren der Tat befinden (Farbanhaftungen der Pkw, die beschädigt
wurden). Um diese Spuren zu sichern, bedarf es keiner Beschlagnahme,
dafür reicht ein ganz normaler Klebestreifen (Tesaband) aus, wenn das
Fluchtfahrzeug gefunden worden ist.
[Hinweis:] Es wird davon
ausgegangen, dass zurzeit ein Richter nicht dazu in der Lage ist, einen
Durchsuchungsbeschluss zu erlassen, weil alle verfügbaren Richter sich
entweder auf Verhandlungen vorbereiten oder aber in Verhandlungen
eingebunden sind und eine richterliche Anordnung folglich erst nach
Stunden zu erwarten ist. Bis dahin aber könnte der Pkw, an dem sich die
Spuren des Unfalls befinden, bereits »zur Reparatur« in einer Werkstatt
sein, was zur Folge hätte, dass die Beweisführung dann nicht mehr
möglich wäre.
08 Auffinden
bestimmter Gegenstände
TOP
Mitgeführte Sachen dürfen dann
durchsucht werden, wenn ein auf Tatsachen gestützter Auffindungsverdacht
gegeben ist. Vermutungen reichen nicht aus.
[Beispiel:] Polizeibeamte beobachten mehrere junge Männer, die durch
Antanzen von Fußgängern offensichtlich nichts Gutes im Schilde führen.
Gerade wird ein junges Pärchen betanzt. Einem der Tänzer gelingt es bei
dieser Aktion, dem jungen Mann ein Smartphone zu entwenden, das dieser
in der Gesäßtasche mit sich führt. Die Beamten schreiten sofort ein,
können aber nicht verhindern, dass der Tatverdächtige wegrennt. Bevor
der Mann ergriffen werden kann, gelingt es ihm, seine Beute zuvor in
einem Kinderwagen zu entsorgen, der von einer jungen Mutter geschoben
wird. Als die Beamten die junge Mutter bitten, das Smartphone aus dem
Kinderwagen zu nehmen antwortet die Frau: »Da ist nur mein Baby drin,
und das schläft gerade. Wagen Sie es ja nicht, den Schlaf des Kleinen zu
stören. Und jetzt lassen Sie mich bitte weitergehen.« Rechtslage?
Bei der Frau mit dem Kinderwagen
handelt es sich offensichtlich um eine unverdächtige Person. Tatsache
ist, dass ein flüchtiger Tatverdächtiger den Kinderwagen dazu benutzt
hat, sich der Beute seiner Tat (Smartphone) zu entledigen. Das haben die
verfolgenden Beamten mit eigenen Augen gesehen.
Es ist davon auszugehen, dass
solch eine Situation kommunikativ gelöst werden kann, ohne dass es dafür
einer Ermächtigung bedarf.
Sollte sich die Frau dennoch
beharrlich weigern, im mitgeführten Kinderwagen nach dem Smartphone zu
suchen, liegen aus rechtlicher Sicht die Voraussetzungen vor,
auch gegen den Willen der Frau im Kinderwagen nach dem Smartphone zu
suchen.
[Beispiel:] Im Innenstadtbereich ist es zu einem explosionsartigen
Anstieg von Taschendiebstählen gekommen. Es wird vermutet, dass es sich
bei den Tätern um Kinder handelt, die von erwachsenen Personen sozusagen
als Werkzeuge eingesetzt werden. Beamten in Zivil beobachten zurzeit
mehrere Kinder, die sich dort lange und erkennbar auffällig
verhalten. Es gelingt den Beamten, zwei Kinder bei der Begehung von
Taschendiebstählen auf frischer Tat zu betreffen. In der Kleidung der
Kinder finden die Beamten die Beute (2 Geldbörsen), die sie gerade ihren
ahnungslosen Opfern weggenommen haben. Rechtslage?
Kinder sind strafunmündig.
Begehen sie Straftaten, können sie
dafür nicht zur Verantwortung gezogen werden. Aus diesem Grunde kommen
Kinder grundsätzlich auch nicht als Tatverdächtige in Betracht.
Als Betroffene einer Durchsuchung
auf der Grundlage von
§ 103 StPO
(Durchsuchung bei anderen
Personen) können Kinder nur dann in
Anspruch genommen werden, wenn sie von anderen als
Tatwerkzeuge missbraucht werden. Davon ist in diesem Falle auszugehen, denn das strategisch geschickte Vorgehen bei der Tatbegehung
lässt den Schluss zu, dass ein Erwachsener im Hintergrund agiert und die
Diebesbeute an sich nimmt, sobald »seine Werkzeuge« erfolgreich gewesen
sind.
Für eine Durchsuchung auf der
Grundlage von
§ 103 StPO(Durchsuchung bei anderen Personen)
reicht es aus, wenn die »unverdächtige Person« zumindest in irgendeiner
Beziehung zu einer Person steht, die Straftaten begehen kann und somit
als Tatverdächtiger in Betracht kommt. Das ist in diesem Fall der im
Hintergrund agierende Haupttäter.
Bei der Durchsuchung finden die
einschreitenden Beamten in der Kleidung der Kinder zwei Geldbörsen. Mit
diesem Erfolg war zu rechnen, weil die Beamten mit eigenen Augen gesehen
haben, wie die Kinder an die Geldbörsen gekommen sind und was sie im
Anschluss daran mit ihrer Beute gemacht haben.
[Gefahr im Verzug:]
Vergleichbare Situationen sind so eilbedürftig, dass ein sofortiges
Einschreiten erforderlich ist und jeder Versuch, sich dafür eine
richterliche Erlaubnis einzuholen dazu führen würde, dass dadurch der
Erfolg der Maßnahme vereitelt wird.
[Beispiel:] Ein Ladendetektiv hat einen 8-jährigen Jungen bei der
Begehung eines Ladendiebstahls betroffen. Hinzugezogene Polizeibeamte
finden in der Kleidung des Jungen mehrere Tafeln Schokolade. Rechtslage?
Ein Kind ist strafunmündig und
kann somit nicht zum Zwecke der Strafverfolgung auf der Grundlage von
§ 103 StPO
(Durchsuchung bei anderen Personen) durchsucht werden,
wenn er offensichtlich selbst die rechtswidrige Tat begeht. Hier wird
davon ausgegangen, dass die Eltern des Kindes von dem Tun ihres
Sprösslings nicht gerade begeistert sein werden.
Tatsache ist, dass ein Kind auf
der Grundlage von
§ 103 StPO (Durchsuchung bei anderen Personen) nicht
durchsucht werden kann, wenn keinerlei Bezug zu einem irgendwie
gearteten Tatverdächtigen hergestellt werden kann (im Hintergrund
abgierender Haupttäter).
Unabhängig davon greift in solchen
Fällen allgemeines Polizeirecht, denn auch gegen schuldunfähige Kinder
können sich polizeiliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr richten. In diesem
Beispiel geht es darum, zu verhindern, dass der Supermarkt
wirtschaftlichen
Schaden erleidet. Außerdem muss die Identität des Kindes festgestellt
werden, damit die Eltern davon in Kenntnis gesetzt werden können, was
ihr Kind »so alles treibt«. Für diese Maßnahmen enthalten die
Polizeigesetze aller Länder entsprechende Befugnisse.
Auf der Grundlage von
§ 12 PolG
NRW (Identitätsfeststellung) können die einschreitenden
Polizeibeamten die Identität des Kindes feststellen und auf der
Grundlage von
§ 39 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW kann eine Person (auch
ein Kind) durchsucht werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen,
dass sie Sachen mit sich führt, die sichergestellt werden dürfen.
Bei den Tafeln Schokolade handelt
es sich um Gegenstände, die sichergestellt werden dürfen, um sie im
Anschluss daran dem Geschädigten zurückzugeben.
09
Gebäudedurchsuchung
TOP
Zum Zwecke der Ergreifung eines
Beschuldigten, der dringend verdächtig ist, eine Straftat nach
§ 89a des Strafgesetzbuchs oder nach § 129a, auch in
Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches oder eine der
in dieser Vorschrift bezeichneten Straftaten begangen zu haben, ist eine
Durchsuchung von Wohnungen und anderen Räumen auch zulässig, wenn diese
sich in einem Gebäude befinden, von dem auf Grund von Tatsachen
anzunehmen ist, dass sich der Beschuldigte in ihm aufhält (§ 103 Abs. 1
S. 2 StPO).
Durchsuchungen nach § 103 Abs. 1
Satz 2 ordnet der Richter an; die Staatsanwaltschaft ist hierzu befugt,
wenn Gefahr im Verzug ist (» 105 Abs. 1 S. 2 StPO).
Mit anderen Worten:
Ermittlungsbeamte der Polizei sind
nicht dazu befugt, so genannte Gebäudedurchsuchungen anzuordnen.
Das sieht das Gesetz nicht
vor.
[Beispiel:] Nach einem Raubüberfall ist nach Angaben von Tatzeugen
der bisher unbekannte Täter in ein Wohnhaus mit 8 Wohnungen geflüchtet.
Polizeibeamte klingeln an allen Wohnungstüren. Niemand will den Mann
gesehen haben. Dürfen alle acht Wohnungen durchsucht werden?
Das wäre nur zulässig, wenn alle
acht Wohnungsinhaber (Durchsuchungsadressaten) einer Straftat verdächtig
sind. Dafür bestehen jedoch keinerlei Anhaltspunkte. Wenn überhaupt,
kommt allenfalls ein Wohnungsinhaber als Täter einer Strafvereitelung
oder Begünstigung in Betracht. Auch bestehen keinerlei Anhaltspunkte,
dass sich die Wohnungsinhaber gegenseitig decken.
Die acht Wohnungen dürfen folglich
nicht gemäß
§ 102 StPO (Durchsuchung beim Tatverdächtigen)
durchsucht werden.
Von der Polizei durchsucht werden
dürften höchstens die jedermann zugänglichen Räumlichkeiten des Gebäudes
(Treppenhaus, Dachboden, Zugänge zum Keller etc.), da diese
Räumlichkeiten nicht besonders schutzwürdig sind (sie könnten von jedem
Besucher betreten werden).
Insoweit ist es zulässig, dass
Polizeibeamte unter Nutzung des Treppenhauses an den Wohnungstüren aller
Wohnparteien klingeln, um Wohnungsinhaber dahingehend zu befragen, ob
sich der gesuchte unbekannte Täter Zugang zur Wohnung verschafft hat.
Solch eine informelle Befragung wäre auf der Grundlage von
§ 163 StPO (Aufgaben der Polizei im Ermittlungsverfahren) zulässig.
[Gebäudedurchsuchung:]
Eine Durchsuchung des Gebäudes
kann die Polizei aufgrund fehlender Anordnungskompetenz selbst nicht
anordnen. Diesbezüglich ist bei Gefahr im Verzug die Anordnung der StA
einzuholen oder, falls ein Richter erreichbar ist, ein richterlicher
Durchsuchungsbeschluss zu erwirken.
[Gebäude:] Unter einem
Gebäude ist ein räumlich abgegrenzter selbständiger Baukörper zu
verstehen, der mehrere Wohnungen oder sonstige Räumlichkeiten
(Geschäftsräume etc.) umfassen kann. Typische Gebäude im Sinne des § 103
StPO sind Mietshäuser, Hochhäuser, zusammenhängende Gebäude, die aus
Eigentumswohnungen bestehen etc.).
[Beispiel:] Ein international per Haftbefehl wegen Mordes und
Menschenhandel gesuchter Tatverdächtiger soll sich, nach Auskunft eines
Informanten, heute gegen 19.00 h im Bürohochhaus an der Hafenstraße, in
dem viele Gewerbetreibende Büros angemietet haben und in
dem sich auch mehrere Eigentumswohnungen befinden, mit einer Person
treffen, gegen die wegen Zugehörigkeit zu einer terroristischen
Vereinigung ermittelt wird. Nähere Angaben zu dem in Betracht kommenden
konkreten Treffpunkt im Gebäude kann der Anrufer nicht machen.
Kurz vor 19.00 h betritt ein Mann, auf den die Personenbeschreibung
zutrifft, das Gebäude. Auch ein Polizeibeamter, der die gesuchte Person
kennt, ist sich sicher, dass es sich um den zur Festnahme
ausgeschriebenen Mörder handelt. Als Polizeibeamte den Mann ergreifen
wollen, gelingt es dem Mann jedoch, sich dem Zugriff zu entziehen.
Offensichtlich kennt sich der Mann in dem Gebäude bestens auf, denn er
ist plötzlich sozusagen unauffindbar von der Bildfläche verschwunden.
Tatsache ist aber, dass er das Gebäude nicht verlassen konnte, denn alle
Ausgänge stehen unter polizeilicher Beobachtung und diese wurden sofort
abgesperrt, als der Zugriff misslang. Rechtslage?
Bei dem Bürohochhaus an der
Hafenstraße handelt es sich offensichtlich um ein Gebäude im Sinne von §
103 Abs. 1 S. 2 StPO.
Tatsache ist auch, dass ein Mann,
der aufgrund eines richterlichen Haftbefehls ergriffen werden soll, sich
in dem Gebäude befindet und dort ergriffen werden kann, wenn das Gebäude
durchsucht würde.
Da ein Haftbefehl voraussetzt, dass der Beschuldigte
im dringenden Tatverdacht steht, eine Straftat begangen zu haben, ist
dieses Tatbestandsmerkmal des § 103 StPO - die Ergreifung eines
Beschuldigten - gegeben, wenn es sich bei
der Anlasstat um eine Straftat handelt, auf die
§ 103
Abs. 1 StPO (Durchsuchung bei anderen Personen) Bezug nimmt.
[Anlasstaten
iSv § 103 StPO:] Bei den für eine
Gebäudedurchsuchung in Betracht kommenden Anlasstaten handelt es sich um
schwer wiegende Straftaten. Die jeweils in Betracht kommenden Delikte
sind in den nachfolgenden Paragrafen benannt:
-
§ 89a StGB
(Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat)
-
§ 129a StGB (Bildung
terroristischer Vereinigungen)
-
§ 129b StGB (Kriminelle
und terroristische Vereinigungen im Ausland)
Mord, Menschenhandel und
Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung gehören zu den in den
o.g. Normen aufgeführten Delikten.
[Tatsachen und
Erfolgsaussicht:] Aufgrund von Tatsachen (Wahrnehmung von
Polizeibeamten) ist sicher, dass sich der Beschuldigte weiterhin in dem
Gebäude aufhält, denn es ist ihm offensichtlich gelungen, ins Innere des
Gebäudes zu fliehen, um sich dort zu verstecken. Diese Feststellungen
reichen aus, um davon ausgehen zu können, dass die gesuchte Person sich
in dem Gebäude aufhält und dort auch gefunden und festgenommen werden
kann, wenn nach ihr gesucht würde.
[Anordnung:] Das Gesetz,
§ 105 StPO (Anordnung und Ausführung von Durchsuchungen), sieht vor,
dass Gebäudedurchsuchungen nur von einem Richter oder bei bestehender
Gefahr im Verzug ausnahmsweise auch durch die StA angeordnet werden
können. Durch Ermittlungspersonen der StA (Polizeibeamte) kann solch
eine Maßnahme nicht angeordnet werden.
Was aber ist zu tun, wenn die vom
Gesetz geforderte Anordnung durch einen Richter bzw. durch die StA nicht
eingeholt werden kann, weil »anordnungskompetente Stellen« zurzeit
einfach nicht zu erreichen sind?
In solch einem Fall wird
vorgeschlagen, vor dem Beginn der Durchsuchung die Anordnung des
Behördenleiters bzw. die seines Vertreters im Amte einzuholen.
Nach der hier vertretenen
Rechtsauffassung kommt ein Untätigbleiben der Polizei nicht in Betracht,
weil dann gegen alle Beamten wegen Strafvereitelung im Amte
(§ 258a iVm
§ 258 StGB) ermittelt werden müsste. Danach macht sich strafbar, wer als
Amtsträger absichtlich oder wissentlich die Vollstreckung einer gegen
einen anderen verhängte Strafe oder Maßnahme ganz oder zum Teil
vereitelt.
[Hinweis:] Soweit
polizeiliches Einschreiten dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
entspricht, wird hier die Rechtsauffassung vertreten, dass die eher
formalen Aspekte der Anordnungskompetenz in begründeten
Ausnahmesituationen vernachlässigt werden können.
Tatsache ist, dass
anordnungskompetente Stellen aus einem anderen Blickwinkel die Gründe
bewerten, die von der Polizei für ausreichend erachtet werden, um zum
Beispiel eine Gebäudedurchsuchung zu rechtfertigen. Da Richter selbst
keine Ermittlungen anstellen, sondern schlicht und ergreifend die
Tatsachen bewerten, die von der Polizei vorgetragen werden, ist es in
begründeten Ausnahmefällen möglich, auf solch eine richterliche
Anordnung zu verzichten.
Dies dürfte erst recht für
folgendes Beispiel gelten:
[Beispiel:] In der Innenstadt einer bundesdeutschen Großstadt ist es
zu einem Terroranschlag gekommen. Durch mehrere gezündete Sprengsätze
wurde eine bisher unbekannte Anzahl von Menschen getötet oder schwer
verletzt. Unmittelbar nach der Tat erhält die Polizei glaubwürdige
Hinweise, dass sich zwei der Täter, die von mehreren Zeugen unabhängig
voneinander »übereinstimmend« beschrieben werden, unmittelbar nach der
Tat in ein Hochhaus flüchteten. Von der Polizei wird das Hochhaus
abgeriegelt und von Spezialkräften durchsucht. In einem Appartement, das
kein Namensschild hat, aus dem aber verdächtige Geräusche zu entnehmen
sind, kann die Polizei zwei Männer festnehmen, auf die die
Personenbeschreibung zutrifft. Rechtslage?
Anlässlich solcher
Ausnahmesituationen muss von der Polizei erwartet werden, dass sie unter
Missachtung formaler Anordnungskompetenz sofort erforderlich werdende
polizeiliche Maßnahmen trifft, um ihrem gesetzlichen Auftrag
nachzukommen.
Würde die Polizei das aus den o.g.
formalrechtlichen Gründen nicht tun, würde das auf allgemeines
Unverständnis stoßen.
10 Räume gem. §
103 Abs. 2 StPO
TOP
Die Regelungen, die grundsätzlich
bei der Durchsuchung von Räumen unverdächtiger Personen zu beachten
sind, greifen nicht wenn
In solchen Fällen liegt Kraft
gesetzlicher Vermutung die Annahme nahe, dass irgendein denkbarer
Durchsuchungszweck erreicht werden kann.
[Beispiel:] Einem Einbrecher, der von der Polizei auf frische Tat
betroffen wurde, gelingt es, sich der Festnahme durch Flucht zu
entziehen. Die eingesetzten Polizeibeamten verfolgen den zu Fuß
flüchtenden Mann. Als dieser über die Mauer eines Betriebsgeländes
springt und sich im Anschluss daran in den weiträumigen Lagerhallen
versteckt, werden Verstärkungskräfte angefordert. Mit insgesamt 8
Polizeibeamten wird das gesamte Gelände, einschließlich der zugänglichen
Lagerhallen durchsucht. In einer abgelegenen Ecke kann der
Tatverdächtige festgenommen werden. Rechtslage?
Offenkundig ist, dass der
flüchtende Tatverdächtige sich auf dem Betriebsgelände befindet, das
einer unverdächtigen Person gehört. Von Polizeibeamten werden das
Betriebsgelände und die dazugehörigen Lagerräume (Geschäftsräume) im
Rahmen der Verfolgung eines Tatverdächtigen durchsucht.
Immer dann, wenn
ein Tatverdächtiger verfolgt wird, und im Rahmen dieser Verfolgung
befriedetes Besitztum unverdächtiger Personen betreten hat und dieses
befriedete Besitztum durchsucht werden muss, um den Tatverdächtigen zu
ergreifen, findet § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO (Durchsuchung bei anderen
Personen) keine Anwendung.
Um das Betriebsgelände durchsuchen
zu können, reicht es in solchen Fällen aus, dass
Der Nachweis von Tatsachen im
Sinne von § 103 Abs. 1 Satz 2 StPO (Gebäudedurchsuchung) ist anlässlich
solcher Fälle nicht erforderlich. Es reicht aus, dass irgendein
denkbarer Durchsuchungszweck erreicht werden kann.
[Beispiel:] Dem flüchtigen Einbrecher ist es gelungen, in die
Büroräume zu fliehen und sich dort zu verstecken. Als die Polizei den
Mann in den Büroräumen festnehmen kann, befindet er sich nicht mehr im
Besitz des Rucksacks, in dem sich mit hoher Wahrscheinlichkeit »seine«
Beute befand und den er aller Voraussicht nach irgendwo versteckt hat.
Deshalb werden die Büroräume noch einmal gründlich durchsucht. In einer
Abstellkammer wird der Rucksack gefunden. Rechtslage?
Der flüchtige Einbrecher wird von
der Polizei verfolgt und in den Geschäftsräumen einer unverdächtigen
Person ergriffen.
Für solche Fälle sieht das Gesetz
vor, § 103 Abs. 2 StPO (Durchsuchung bei anderen Tatverdächtigen), dass
die Beschränkungen des Absatzes 1 Satz 1 nicht für Räume gelten, in
denen der Beschuldigte ergriffen worden ist oder die er während der
Verfolgung betreten hat.
Um solche Räume handelt es sich in dem o.g. Beispiel.
Durch das Betreten der Räume von unverdächtigen Personen durch einen
Tatverdächtigen bzw. Beschuldigten werden diese Räume sozusagen zu
Räumen einer verdächtigen Person, so dass hinsichtlich des Erfolgs,
gemeint ist das Ergreifen der Person oder das Auffinden von
Beweismitteln, Erfolgsvermutung im Sinne von
§ 102 StPO (Durchsuchung beim Tatverdächtigen)
ausreicht.
Hat der Flüchtende während
seiner Flucht zum Beispiel Räume betreten, um dort seine Beute zu
verstecken, erlaubt es das Gesetz, auch dort nach der weggeworfenen
Beute zu suchen.
[Hinweis:] Im Zusammenhang
mit einer Verfolgung eines Tatverdächtigen auf frischer Tat ist es verfolgenden Polizeibeamten nicht möglich, eine richterliche
Anordnung für das Betreten und Durchsuchen »geschützter Räumlichkeiten«
zu erwirken. Würden sie das tun, wäre es ihnen unmöglich, einen
flüchtigen Täter zu ergreifen, denn dann müssten sie die Verfolgung
abbrechen.
11 Anordnung der
Durchsuchung
TOP
Anlässlich von Durchsuchungen ist
§ 105 StPO
(Anordnung und Ausführung von Durchsuchungen) einschlägig.
Durchsuchungen stehen grundsätzlich unter Richtervorbehalt, bei Gefahr
im Verzug können Durchsuchungen auch durch die Staatsanwaltschaft und
durch Ermittlungspersonen der StA angeordnet werden.
Im Zusammenhang mit der Anordnung von Durchsuchungen, die sich gegen
unverdächtige Personen richten, ist es in Anlehnung an
den Beschluss des BVerfG vom 13. März 2014 -
2 BvR 974/12, Aufgabe des anordnenden Richters, den für solch eine
Durchsuchung erforderlichen Tatverdacht eigenverantwortlich zu prüfen.
In dem Beschluss heißt es:
[Rn. 16:] Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der
Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG erfährt die räumliche Lebenssphäre des
Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz, in den mit einer
Durchsuchung schwerwiegend eingegriffen wird (...). Erforderlich zur
Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung zum
Zwecke der Strafverfolgung ist daher der Verdacht, dass eine Straftat
begangen wurde.
[Rn. 17:] Dieser Verdacht muss auf konkreten Tatsachen
beruhen; vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen nicht aus
(...). Eine Durchsuchung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen,
die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind; denn sie setzen
einen Verdacht bereits voraus (...). Notwendig ist, dass ein auf
konkrete Tatsachen gestütztes, dem Beschwerdeführer angelastetes
Verhalten geschildert wird, das den Tatbestand eines Strafgesetzes
erfüllt (...). Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn
sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht
mehr finden lassen (...).
[Rn. 18:] Der für die vorherige Gestattung des mit der
Durchsuchung verbundenen Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung
oder dessen nachträgliche Kontrolle zuständige Richter hat den Verdacht
eigenverantwortlich zu prüfen und dabei die Interessen des Betroffenen
angemessen zu berücksichtigen (...).
[Hinweis:] Erst wenn dieser Tatverdacht gegeben ist,
kann ein Richter einen Durchsuchungsbeschluss auf der Grundlage von
§
103 StPO (Durchsuchung bei anderen Personen) erlassen.
Gemäß
§ 105 StPO (Anordnung
und Ausführung von Durchsuchungen) dürfen Durchsuchungen (egal auf
welche Befugnis sie gestützt werden) grundsätzlich nur durch den
Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre
Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) angeordnet
werden.
Gebäudedurchsuchungen können von
Ermittlungspersonen der StA (Polizei) nicht angeordnet werden.
Anordnungsbefugt ist nur ein Richter, bei Gefahr im Verzug auch die StA.
[Gefahr im Verzug:] Gefahr
im Verzug besteht, wenn die richterliche Anordnung nicht eingeholt
werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme dadurch gefährdet wird.
Mit Beschluss vom 3. April 1979 -
1 BvR 994/76 hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich zum
unbestimmten Rechtsbegriff der »Gefahr im Verzug« Stellung bezogen.
[Rn. 23:] Bei der Auslegung
des Art. 13 Abs. 2 GG ist von seinem Wortlaut auszugehen:
»Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch
durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet ...
werden«. Es kann dahingestellt bleiben, wie weit der Begriff der
Durchsuchung in Art. 13 Abs. 2 GG reicht und wie er gegenüber den
»Eingriffen und Beschränkungen« im Sinne des Art. 13 Abs. 3 GG
abzugrenzen ist (...). Insoweit kann die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts herangezogen werden, (...) wonach für den
Begriff der Durchsuchung das zielgerichtete und zweckgerichtete Suchen
staatlicher Organe nach Personen oder Sachen oder die Ermittlung eines
Sachverhalts kennzeichnend ist, bzw. um etwas aufzuspüren, was der
Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will.
[Rn. 25:] Im Übrigen ist
der Wortlaut der Vorschrift insofern eindeutig und keiner Auslegung
zugänglich, als Durchsuchungen schlechthin dem hier statuierten
Richtervorbehalt unterworfen werden. Es wird weder nach den
unterschiedlichen Formen der Durchsuchung noch nach den verschiedenen
Anwendungsgebieten in irgendeiner Hinsicht differenziert.
[Rn. 40:] Gefahr im Verzuge
liegt in den Fällen des Art. 13 Abs. 2 GG nur dann vor, wenn die
vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der
Durchsuchung gefährden würde. Für § 105 StPO, der den Begriff der
»Gefahr im Verzuge« im gleichen Sinn verwendet wie Art. 13 Abs. 2 GG,
hat schon das Reichsgericht (RGSt 23, 334) ausgesprochen, dass dies nur
dann anzunehmen sei, »wenn der Erfolg der Durchsuchung eine Gefährdung
erlitte, zufolge der Verzögerung, die durch die Erwirkung der
richterlichen Anordnung eintreten würde«. Dem ist zuzustimmen. [En03]
3
[Hinweis: Aus gegebenem
Anlass hat sich das BVerfG in den letzten Jahren in mehreren
Entscheidungen erneut mit dem unbestimmten Rechtsbegriff »Gefahr im
Verzug« auseinandersetzen müssen. Das Gericht hat darauf hingewiesen,
dass es nur in Ausnahmefällen hinzunehmen sei, eine richterliche
Anordnung nicht einzuholen. Um dies zu ermöglichen, sei es Aufgabe der
Gerichte, einen Bereitschaftsdienst rund um die Uhr vorzuhalten, um
erforderliche richterliche Anordnungen erlassen zu können.
In einem Urteil des OLG Hamm vom
18.08.2009 - 3 Ss 293/08 heißt es diesbezüglich:
[Rn. 69:] Nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (...) ist ein nächtlicher
richterlicher Bereitschaftsdienst einzurichten, sobald nächtliche
Maßnahmen, für deren Anordnung der Richtervorbehalt gilt, nicht nur im
Ausnahmefall anfallen. [En04] 4
Die mit dieser Forderung erhobenen
Konsequenzen sind komplex und davon abhängig, wie in
Amtsgerichtsbezirken diese Forderung umgesetzt wird.
[Telefonische richterliche
Vorabanordnung:] Hinsichtlich der Möglichkeit einer vorab
telefonisch herbeigeführten richterlichen Durchsuchungsanordnung hat der
BGH mit Beschluss vom 13.01.2005 - Az. 1 StR 531/04 Folgendes
entschieden:
[Rn. 19:] Ein
fernmündlicher Antrag des Staatsanwalts auf Gestattung der Durchsuchung
und eine fernmündliche Gestattung der Durchsuchung durch den
Ermittlungsrichter genügen in Eilfällen (...) den formellen
Anforderungen an einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss im Sinne des
§ 105 Abs. 1 StPO (Nack in KK 5. Aufl. § 105 Rdn. 3). Die fernmündliche
Einholung der richterlichen Gestattung ermöglicht eine vorbeugende
richterliche Kontrolle und ist daher ein effektiverer Rechtsschutz als
die Wahrnehmung der Eilkompetenz mit nachträglicher richterlicher
Bestätigung.
[Rn. 21:] Eine richterlich
angeordnete oder gestattete Durchsuchung wird nicht dadurch
rechtswidrig, dass sie unzureichend dokumentiert worden ist. Eine
unzureichende Dokumentation der richterlichen Entscheidung führt nicht
zu einem Beweisverwertungsverbot. [En05] 5
[Urteil des LG Düsseldorf vom
24.07.2014:] In diesem Urteil heißt es zur Gefahr im Verzug:
»Ist nachts kein Richter erreichbar, darf die Polizei zum Nachweis einer
Trunkenheitsfahrt wegen Gefahr im Verzug auch ohne richterliche
Genehmigung die Entnahme einer Blutprobe anordnen«. [En06]
Dieses Urteil bestätigt den Beschluss
des OLG Düsseldorf vom 21.01.2010 - IV-1 RBs 3/10, in dem es heißt:
[Rn. 11:] »Da ein
richterlicher Eildienst bei den Amtsgerichten in Nordrhein-Westfalen
entsprechend der AV 2043-I.3 des Justizministers vom 15. Mai 2007
(JMBlNW 2007, 165) nur in der Zeit von 6:00 Uhr bis 21:00 Uhr
vorgehalten wird, konnte der Zeuge POK X bei seiner Entscheidung über
die Anordnung einer Blutprobenentnahme zu Recht davon ausgehen, dass ein
Bereitschaftsrichter erst um 6:00 Uhr morgens erreichbar sein werde. Ein
Zuwarten bis zu diesem Zeitpunkt hätte – wegen der dann erforderlichen
Rückrechnung des BAK-Werts über mehrere Stunden – zu einer nicht
hinnehmbaren Verschlechterung der Beweislage geführt und wäre mit
Rücksicht auf die Dauer der damit verbundenen Freiheitsentziehung zum
Nachteil des Betroffenen auch nicht mehr verhältnismäßig gewesen.
Angesichts dieser Sachlage bestand bei der polizeilichen Anordnung der
Blutprobenentnahme um 23:58 Uhr Gefahr im Verzug«. [En07]
[Hinweis:]
Zur Vermeidung von Wiederholungen
wird an dieser Stelle auf die Ausführungen verwiesen, die im Kapitel »§
105 ff. StPO (Anordnung - Durchführung - Formvorschriften)« näher
erörtert werden.
12 Keine Gefahr im Verzug
TOP
Bei Ermittlungen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, besteht
die Gefahr, dass auch staatsanwaltschaftliche Eilanordnungen den
Anforderungen von Gefahr im Verzug nicht entsprechen
und somit rechtswidrig sind, siehe Urteil des BGH vom 06.10.2016 - BGH 2
StR 46/15, dem nachfolgend skizzierter Anlass zugrunde lag.
[Anlass:] Im Rahmen eines
Ermittlungsverfahrens, das sich über eine längere Zeit erstreckte, war
der Beschuldigte bereits mehrfach mit den ihm vorgehaltenen Tatvorwürfen
konfrontiert worden, bevor er im Mai 2013 festgenommen wurde. Im
Anschluss daran wurde die Wohnung des Beschuldigten aufgrund von
Hinweisen der Freundin des Beschuldigten durchsucht und ein Laptop und
ein Koffer mit wichtigen Dokumenten beschlagtnahmt. Die Durchsuchung war
auf der Grundlage bestehender Eilzuständigkeit durch die zuständige
Staatsanwaltschaft angeordnet worden, obwohl die ermittelnde
Staatsanwältin den Eilrichter vor Durchsuchungsbeginn erreicht hatte.
Begründet wurde die staatsanwaltschaftliche Anordnung dennoch mit Gefahr
im Verzug.
Dieser Rechtsauffassung folgte der BGH
nicht.
Im Urteil des BGH vom 6. Oktober 2016 - BGH 2 StR 46/15
heißt es:
Die am 13. Mai 2013 durchgeführte Durchsuchung
war wegen Missachtung des Richtervorbehalts rechtswidrig. Eine gemäß §
105 Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche
Durchsuchungsanordnung lag nicht vor. Die Gestattung der Durchsuchung
durch die ermittelnde Staatsanwältin beruhte nicht auf einer
rechtmäßigen Inanspruchnahme der sich aus § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO
ergebenden Eilkompetenz.
Gefahr im Verzug lag nicht vor.
[Rn: 19:] Gefahr im Verzug ist gegeben, wenn die
vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der
Durchsuchung gefährdet hätte (...). Ob ein angemessener Zeitraum zur
Verfügung steht, innerhalb dessen eine Entscheidung des zuständigen
Richters erwartet werden kann, oder ob bereits eine zeitliche
Verzögerung wegen des Versuchs der Herbeiführung einer richterlichen
Entscheidung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde und daher eine
nichtrichterliche Durchsuchungsanordnung ergehen darf, haben die
Ermittlungsbehörden zunächst selbst zu prüfen. Dabei darf Gefahr im
Verzug nicht vorschnell angenommen werden, damit die bei
Wohnungsdurchsuchungen auch aus Art. 13 Abs. 2 GG fließende
Regelzuständigkeit des Richters nicht unterlaufen wird. Aus diesem Grund
reichen auf reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder auf
kriminalistische Alltagserfahrungen gestützte, fallunabhängige
Vermutungen nicht aus, Gefahr im Verzug zu begründen (...). Regelmäßig
ist daher auch der Versuch zu unternehmen, eine richterliche
Entscheidung herbeizuführen. Haben die Ermittlungsbehörden den
zuständigen Ermittlungs- oder Eilrichter mit der Sache befasst, ist für
ihre Eilkompetenz kein Raum mehr. Sie kann (nur) durch nachträglich
eintretende oder neu bekannt werdende tatsächliche Umstände, die sich
nicht aus dem Prozess der Prüfung des Durchsuchungsantrags und der
Entscheidung darüber ergeben, neu begründet werden (...).
[Rn. 20:] Gemessen daran ist die Annahme von Gefahr im
Verzug nicht tragfähig begründet. Die ermittelnde Staatsanwältin hat den
Eilrichter erreicht und bei ihm den Erlass einer Durchsuchungsanordnung
beantragt. Damit hat sie zu erkennen gegeben, dass zu diesem Zeitpunkt
die Voraussetzungen einer staatsanwaltschaftlichen Eilanordnung nicht
gegeben waren. Mit der Befassung des Eilrichters aber endet
grundsätzlich die Eilzuständigkeit der Ermittlungsbehörden; es ist
nunmehr Sache des Ermittlungsrichters, über den beantragten Eingriff zu
entscheiden (BVerfGE 139, 245, 273 ff.).
[Rn. 22:]
Das Fehlen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung führt
hier zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der bei der
Durchsuchung gewonnenen Beweismittel. [En08]
TOP
Ende des Kapitels
TOP
§ 103 StPO
(Durchsuchung bei anderen Personen)
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13 Quellen
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Endnote_01
Durchsuchung anlässlich der Entführung von Dr.
Schleyer im September 1977
BGH Beschluss vom 13.06.1978 (1 BJs 93/77; StB
51/78)
http://www.ejura-examensexpress.de/online-kurs/
entsch_Show_neu.php?Alp=1&dok_id=5882
Aufgerufen am 06.04.2015
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Endnote_02
Durchsuchung bei unverdächtigen Personen zur
Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
Urteil vom 28. April 2005 - EGMR Nr. 41604/98
http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/egmr/98/41604-98.php
Aufgerufen am 06.04.2015
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Endnote_03
Gefahr im Verzug
BVerfGE 51, 97 - Zwangsvollstreckung I
Beschluss vom 3. April 1979 - 1 BvR 994/76
http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv051097.html
Aufgerufen am 06.04.2015
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Endnote_04
Richter müssen auch nachts erreichbar sein
OLG Hamm, Urteil vom 18.08.2009 - 3 Ss 293/08
https://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j
2009/3_Ss_293_08urteil20090818.html
Aufgerufen am 06.04.2015
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Endnote_05
Telefonische richterliche
Durchsuchungsanordnung BGH mit Beschluss vom 13.01.2005 - Az. 1 StR
531/04
https://openjur.de/u/183518.html
Aufgerufen am 06.04.2015
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Endnote_06
Gefahr im Verzug
Urteil LG Düsseldorf vom 24.07.2014
http://www1.wdr.de/studio/duesseldorf/lokalzeit/zwangsblutprobe108.html
http://www.juraexamen.info/lg-duesseldorf-kein
-verstoss-gegen-richtervorbehalt-fuer
-blutprobenentnahme-bei-fehlende
r-erreichbarkeit-zur-nachtzeit/
Aufgerufen am
06.04.2015
Zurück
Endnote_07
Gefahr im Verzug
Beschluss des OLG Düsseldorf vom 21.01.2010 -
IV-1 RBs 3/10
https://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/duesseldorf/j2010/ IV_1_RBs_3_10beschluss20100121.html
Aufgerufen am
06.04.2015
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Endnote_08
Rechtswidrige Wohnungsdurchsuchung Gefahr
im Verzuge nicht gegeben BGH 2 StR 46/15 - Urteil vom 6. Oktober 2016
(LG Köln) https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/2/15/2-46-15.php
Aufgerufen am 26.04.2017
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§ 103 StPO
(Durchsuchung bei anderen Personen)
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