01 Gefährliche Eingriffe in den
Straßenverkehr (§ 315 b StGB)
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Gem. § 315 b StGB wird bestraft, wer vorsätzlich die Sicherheit des Straßenverkehrs
dadurch beeinträchtigt, dass er
- Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt oder beseitigt,
- Hindernisse bereitet oder
- einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem
Wert gefährdet.
§
315b StGB
Die Tat ist ein Vergehen und ist von Amts wegen zu verfolgen (Offizialdelikt); der
Versuch ist strafbar.
Handelt der Täter unter den Voraussetzungen des § 315 Abs. 3 StGB so ist die Tat ein
Verbrechen (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren).
Das ist der Fall, wenn der Täter in der Absicht handelt
- einen Unglücksfall herbeizuführen oder
- eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, oder
- durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine
Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht.
02 Schutzbereich von § 315 b StGB
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§ 315 b StGB schützt die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs gegen
verkehrsfremde Eingriffe von außen.
Störungen des fließenden Verkehrs auf öffentlichen Wegen durch beteiligte
Verkehrsteilnehmer werden grundsätzlich nicht von § 315 b StGB, sondern durch die
abschließenden Regelungen von § 315 c StGB erfasst.
Bloß vorschriftswidriges Verkehrsverhalten wird grundsätzlich nicht von § 315 b
StGB, sondern - bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen - nur von § 315 c StGB
erfasst.
§
315c StGB
Doch können nach gefestigter Rechtsprechung auch Vorgänge im ruhenden und fließenden
Verkehr dann ein Hindernisbereiten im Sinne von § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB sein, wenn der
Täter von vornherein vom Verhalten eines "normalen" Verkehrsteilnehmers dadurch
abweicht, dass er durch die Zuwiderhandlung gegen die Verkehrsvorschriften die Schaffung
eines Hindernisses beabsichtigt, wenn also die Behinderung nicht die bloße Folge, sondern
der Zweck des verbotswidrigen Verhaltens ist (BGH 4 StR 283/95 v. 31.08.1995).
Grundsätzlich sind also nur verkehrsfremde Eingriffe von § 315 b StGB erfasst.
Der Problembereich wurde durch OLG Düsseldorf im Falle von "Autosurfen" mit
Folge eines verletzten Surfers konkretisiert (OLG Düsseldorf v. 06.06.97).
Ein verkehrsfeindliches Verhalten ist jedenfalls gegeben, wenn es in der Absicht
erfolgt, einen Verkehrsunfall herbeizuführen, so dass in solchen Fällen der
Schutzbereich von § 315 b StGB verletzt ist (BGH 4 StR 90/99 v. 22.07.1999).
In einer neueren Entscheidung stellt der BGH fest, dass er an dieser Rechtsprechung im
Grundsatz festhält, jedoch müsse berücksichtigt werden, dass zu dem bewusst
zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzukommen
müsse, dass das Fahrzeug mit (mindestens bedingtem) Schädigungsvorsatz - etwa als Waffe
oder Schadenswerkzeug - missbraucht wird. Erst dann läge eine - über den Tatbestand des
§ 315 c StGB hinausgehende - verkehrs-atypische "Pervertierung" des
Verkehrsvorgangs zu einem gefährlichen "Eingriff" in den Straßenverkehr im
Sinne des § 315 b Abs. 1 StGB vor (BGH 4 StR 228, 02 v. 20.02.2003).
03 Öffentlicher Straßenverkehr
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Zum öffentlichen Straßenverkehr zählen zunächst die nach Straßenrecht gewidmeten
öffentlichen Verkehrsflächen.
Darüber hinaus bestimmt die Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO zu
§ 1), dass
auch nicht gewidmete Straßen öffentlicher Verkehrsraum sind, wenn diese mit Zustimmung
oder unter Duldung des Verfügungsberechtigten tatsächlich allgemein benutzt werden.
Die Rechtsfrage, ob private Verkehrsflächen öffentlicher Verkehrsraum sind oder
nicht, ist häufig Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen gewesen.
Folgende private Verkehrsflächen wurden z.B. als öffentlicher Verkehrsraum anerkannt:
- Tankstellengelände - Autowaschanlage (BayObLG)
- Städtische Mülldeponie (OLG Zweibrücken in VRS 60, 218)
- Parkhäuser (z.B. OLG Karlsruhe)
- Parkplatz einer Gastwirtschaft, es sei denn, er ist nur Übernachtungsgästen
vorbehalten (BGH 4 StR 6/61 v. 09.03.1961 - BGHSt 16, 7)
- Kasernengelände / Polizeiunterkunft, sofern allgemeiner Publikumsverkehr stattfindet
vgl. OLG Düsseldorf - NJW 56, 1651)
- Hinterhofparkplatz, der Kunden mehrerer Firmen sowie Anwohnern offen steht (OVG Münster
v. 4. 8. 99 - DÖV 2000, 211)
- Areal einer Großmarkthalle, wenn für Kundenverkehr zugelassen (BayObLG - VRS 62, 133)
Dagegen wurden z.B. folgende private Verkehrsflächen nicht als öffentlicher
Verkehrsraum gesehen:
- Fliegerhorst, wenn er nur mit Tagespassierschein nach Hinterlegung des Führerscheins
betreten werden darf (BayObLG - VRS 24, 304)
- Großmarktgelände, wenn nur Personen mit besonderem Ausweis eingelassen werden
(BGH - MDR 63, 41)
- Garagenvorplatz eines Wohnhauses (OLG Köln v. 6. 6.2000)
Öffentlicher Verkehrsraum ist also eine Fläche, die jedermann tatsächlich ohne
Zugangskontrolle begehen oder befahren kann. Auf die privaten Eigentumsverhältnisse kommt
es dabei nicht an.
Eine Verkehrsfläche ist auch dann öffentlich, wenn die Nutzung dieser Fläche davon
abhängig gemacht wird, dass eine Benutzungsgebühr gezahlt wird (OLG Bremen NJW 67 990,
991). Dies ist bei dem ständig knapper werdenden Parkraum in den Städten eher die Regel
als die Ausnahme.
Allerdings gelten Parkhäuser außerhalb der normalen Betriebszeit nicht als
öffentlicher Verkehrsraum
(OLG Stuttgart v. 27.04.1979 - NJW 80, 68).
Eine Fläche ist nicht als öffentlicher Verkehrsraum anzusehen, wenn es sich um
befriedetes Besitztum handelt und dieses befriedete Besitztum nur einem bestimmten
berechtigten Personenkreis zugänglich ist
(BGH 4 StR 6/61 v. 09.03.1961 - BGHSt 16, 11).
Folglich ist z. B. eingefriedetes Werksgelände grundsätzlich kein öffentlicher
Verkehrsraum. Wer in ein solches Betriebsgelände hineinfahren will, muss vorher an der
Pforte seine Berechtigung nachweisen. Besucher müssen in der Regel eine Besuchserlaubnis
unterzeichnen. Durch ihre Unterschrift bringen die Besucher zum Ausdruck, dass sie die im
Unternehmen gültige Betriebsordnung akzeptieren.
Wer sich also nach einem Unfall von einem Unfallort entfernt, der sich auf
eingefriedetem Privatgelände befindet, begeht keine Verkehrsunfallflucht.
Er kann jedoch wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB) zur Verantwortung
gezogen werden, wenn es sich um einen Unfall mit Personenschaden gehandelt und er
erforderliche und ihm zumutbare Hilfe nicht geleistet hat.
04 Tathandlungen
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Tathandlungen von § 315 b StGB sind:
- Zerstören, Beschädigen oder Beseitigen von Anlagen oder Fahrzeugen,
- Bereiten von Hindernissen
- Vornahme ähnlicher ebenso gefährlicher Eingriffe
Anlagen i.S.v. § 315 b StGB sind
- Öffentliche Straßen, Wege, Plätze und Brücken
- Verkehrseinrichtungen i.S.v. § 43 StVO, nämlich Schranken, Sperrpfosten, Parkuhren,
Parkscheinautomaten, Geländer, Absperrgeräte, Leiteinrichtungen sowie Blinklicht- und
Lichtzeichenanlagen
- Verkehrszeichen - Gefahrzeichen, Vorschriftenzeichen, Richtzeichen
(§§ 40 - 42 StVO)
- Geschwindigkeitsüberwachungsanlagen
- Straßenbeleuchtungen
- Oberleitungen
- Straßenbahnschienen
- Lärmschutzeinrichtungen
Fahrzeuge i.S.v. § 315 b StGB sind alle schienengebundenen und nicht
schienengebundenen Kraftfahrzeuge (Straßenbahnen, Pkw, Lkw, Busse, Krafträder, Mopeds,
Elektrofahrzeuge); ferner aber auch Fahrräder, Fuhrwerke und andere Fortbewegungsmittel,
sofern sie gem. § 24 StVO als besondere Fortbewegungsmittel nicht als Fahrzeuge i.S.d.
StVO gelten.
Folglich sind Schiebe- und Greifreifenrollstühle, Rodelschlitten, Kinderwagen, Roller,
Kinderfahrräder und ähnliche Fortbewegungsmittel (z.B. Skier und Rollschuhe oder
Inline-Skates, keine Fahrzeuge.
Zerstören, Beschädigen oder Beseitigen von Fahrzeugen
Relevante Beschädigungen von Fahrzeugen i.S.v. § 315 b StGB sind z.B.
- Anstechen von Reifen, so dass sie alsbald platzen
- Gefährliche Manipulationen am Lenksystem
- Gefährliche Manipulationen an der Bremsanlage
In Bezug auf Bremsleitungen hat der BGH entschieden, dass es sich bei dem Abreißen
einer Bremsleitung unzweifelhaft um eine die Sicherheit des Straßenverkehrs
beeinträchtigende Beschädigung eines Fahrzeugs i.S.v.
§ 315 b Abs. 1 Nr. 1 StGB handelt
(BGH 4 StR 567/ 84 vom 25.10.1984).
Bereiten von Hindernissen ist jeder verkehrsfremde Eingriff, der geeignet ist, den
fließenden Verkehr in nicht nur unerheblicher Weise zu beeinträchtigen. Allerdings wird
bloß vorschriftswidriges Verkehrsverhalten grundsätzlich nicht von § 315 b StGB,
sondern - bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen nur von § 315 c StGB erfasst. Doch
können - wie bereits oben ausgeführt - nach gefestigter Rechtsprechung auch Vorgänge im
ruhenden und fließenden Verkehr dann ein Hindernisbereiten im Sinne von § 315 b Abs. 1
Nr. 2 StGB sein, wenn der Täter von vornherein vom Verhalten eines "normalen"
Verkehrsteilnehmers dadurch abweicht, dass er durch die Zuwiderhandlung gegen die
Verkehrsvorschriften die Schaffung eines Hindernisses beabsichtigt, wenn also die
Behinderung nicht die bloße Folge, sondern der Zweck des verbotswidrigen Verhaltens ist
(BGH 4 StR 283/95 v. 31.08.1995 - NJW 1996, 203).
Demnach kann ein "Bereiten von Hindernissen" z.B. in folgenden Fällen
angenommen werden:
- Verbringen von Steinen, Glasscherben, Nägeln, Krähenfüßen etc. auf die Fahrbahn
- Begießen einer Straße mit Öl
- Begießen einer Straße mit Wasser bei Frost,
- Spannen eines Drahtseils über die Straße,
- Errichten einer Barrikade oder Straßensperre,
- unzureichende Absicherung von Bau- und Unfallstellen (BGH 7, 311),
- Liegenlassen des Unfallgetöteten (OLG Oldenburg, VRS 11, 53).
- Absichtliches Abschneiden des Weges, ohne durch die Verkehrslage dazu veranlasst zu sein
(BGH 4 StR 283/95 v. 31.08.1995 - NJW 1996, 203)
- Absichtliches Verhindern des Überholens eines Polizeifahrzeuges, um nicht angehalten
werden zu können (BGHSt 21, 301, 303; 22, 67, 75).
- Scharfes Abbremsen, um einen Auffahrunfall zu verursachen (BGH VRS 53, 355)
Ähnliche, ebenso gefährliche Eingriffe sind solche, die dem Bereiten von Hindernissen
gleichkommen. In Betracht kommen z.B.:
- Zufahren auf einen Polizeibeamten, in der Absicht, sich der Festnahme zu entziehen, um
ihn zum Beiseitespringen und zur Freigabe der Fahrbahn zu zwingen (BGH NJW 1968/456), auch
wenn der Täter noch im letzten Augenblick ausweichen will (BGH 26, 176).
- Einsatz eines Fahrzeuges, um Unfälle zu provozieren
- Schneiden der Fahrbahn um ein Polizeifahrzeug am Überholen zu hindern (BGH 23, 4).
- Benutzen eines Fahrzeuges als Fluchtmittel (BGHSt 22, 67, 75; 28, 87, 91; BGH NStZ 1985,
267)
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist grundsätzlich ein "ebenso
gefährlicher Eingriff" im Sinne von
§ 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben, wenn der Täter das von ihm gesteuerte Fahrzeug
bewusst zweckwidrig als "Waffe" oder "Schadenswerkzeug" missbraucht.
Jedoch setzt ein "gefährlicher Eingriff" im Sinne dieser Vorschrift nach
ständiger Rechtsprechung weiter eine grobe Einwirkung von einigem Gewicht voraus
(BGH 4 StR 233/01 - Urteil vom 15. November 2001), z.B. absichtliches Rammen fremder
Fahrzeuge
(BGHR StGB § 315 b Abs. 1 Gefährdung 2).
05 Konkretes Gefährdungsdelikt
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§ 315 b StGB setzt voraus, dass durch eine von der Vorschrift erfasste Tathandlung
Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet
wurden.
Die Gefährdung muss konkret eingetreten sein (konkretes Gefährdungsdelikt). Das ist
sicher der Fall, wenn es bereits zu einer Schädigung gekommen ist. Konkrete Gefährdung
setzt jedoch nicht voraus, dass es bereits zu einem Schaden gekommen ist.
Vielmehr reicht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus, dass eine nach
allgemeiner Lebenserfahrung im Einzelfall zu beurteilende naheliegende Gefahr vorgelegen
hat, die auf einen unmittelbar bevorstehenden Unfall hindeutete (BGHSt 18, 271, 272, 273
).
Die Sicherheit einer bestimmten Person oder eines bestimmten bedeutenden Sachwertes
muss so stark beeinträchtigt sein, dass es vom Zufall abhängt, ob das Rechtsgut verletzt
wird oder nicht (BGH - VRS 45, 38).
Das ist in der Regel bereits der Fall, wenn jemand ein gefährlich manipuliertes
(defektes) Fahrzeug startet, um am Straßenverkehr teilzunehmen. So birgt z.B. die
Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeugs ohne wirksame Fußbremse für sich genommen schon ein
besonders hohes Unfallrisiko in sich, weil der Fahrzeugführer bei notwendig werdendem
Lenk- oder Bremsmanöver seinen Wagen nicht mehr in der Hand hat (BGH 4 StR 567/ 84 vom
25.10.1984).
Für die Erfüllung der Voraussetzungen des § 315b StGB ist ausreichend, wenn Insassen
des Fahrzeugs, das zur Begehung des Eingriffs benutzt wird, gefährdet werden. Das gilt
jedoch dann nicht, wenn die gefährdeten Fahrzeuginsassen Teilnehmer des gefährlichen
Eingriffs sind (OLG Düsseldorf v. 06.06.1997).
§ 315 b StGB setzt schließlich voraus, dass die vorausgesetzte konkrete Gefahr die
Folge des tatbestandsmäßigen "Eingriffs" ist, durch den die Sicherheit des
Straßenverkehrs beeinträchtigt wird. Erschöpft sich dagegen der "Eingriff" in
der konkreten Gefährdung bzw. Schädigung, scheidet der Tatbestand des
§ 315 b StGB aus. In diesen Fällen fehlt es an der Beeinträchtigung der
"Sicherheit des Straßenverkehrs
(BGH 4 StR 233/01 - Urteil vom 15. November 2001).